p-4p-4G. SimmelF. StaudingerM. D. VernonJ. Rehmke    
 
HERMANN SCHWARZ
[mit NS-Vergangenheit]
Die Umwälzung der
Wahrnehmungshypothesen

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In der Lehre von den  Universalien  hat man das  fictum  zu dem Zweck angenommen, damit die allgemeine Erkenntnis ein allgemeines Objekt erhält. Allein nicht das Objekt macht die Allgemeinheit des Aktes, sondern die Art, wie der letztere sich auf mehrere Einzeldinge richtet."


E. Die nominalistische Beleuchtung der
erkenntnistheoretischen Fragen.

1. Wie ein reinigendes Gewitter kam die nominalistische Kritik über die Erkenntnislehre der übrigen Scholastik. Nicht auf die objektivationstheoretischen Anwandlungen des THOMAS richtete sich ein erster Linie diese Kritik; - siw waren innerhalb der Scholastik niemals ernsthaft zur Geltung gekommen. - Wohl aber bot den Lehre von den Spezies Angriffspunkte dar, noch mehr die Lehre von den der Erkenntnis vorschwebenden Bildern, die wir z. B. im System des SUAREZ durch die Theorie der intellektuellen Hapsis nur mühsam verdeckt fanden. Einerseits der Kampf gegen die luftigen Entitäten, die dem Erkenntnisakt vorangehen, andererseits der Kampf gegen die nicht minder luftigen Entitäten,  die dem durch die Spezies informierten Erkenntnisakt als sein Objekt vorgebildet werden sollten,  ist für die nominalistische Denkweise charakteristisch.

2. Das minder Bedeutsame ist die nominalistische Polemik gegen die Speziestheorie. Hier hat GABRIEL BIEL, der unter den späteren Vertretern des Nominalismus die führende Rolle einnimmt, die entscheidenden Gründe verfehlt, ja seine Polemik erscheint ungerecht.

Was der Speziestheorie in damaliger Zeit ein großes Gewicht gab, war der Umstand, daß sie durch die Annahme einer Reflexion und Refraktion der Spezies ein Mittel in die Hand gab, um viele Erscheinungen, namentlich auf optischem Gebiet, zu erklären, für die jede andere Erklärung zu versagen schien. Das ist ihr unstreitiges Verdienst. Um Beispiele zu geben: Das Auge sieht sich selbst nach der Vorhaltung eines Spiegels. Das wurde zur Zeit BIELs allgemein durch  reflektierte Spezies  erklärt. Unmöglich, so machte man geltend, könne hierbei das Auge durch sich  selbst  sein eigenes Objekt werden, weil es sich sonst an seinem wirklichen Ort sehen müßte, während die in Rede stehende Wahrnehmung es im Spiegel, ja jenseits desselben zeigt; außerdem sei die Gegenwart des Spiegels dann überhaupt unnötig. Nicht minder unterstützte die Erscheinung des im Wasser gebrochenen Stabes die Speziestheoretiker. Eine andere Erklärung als durch  refraktierte Spezie,  die von der im Wasser liegenden Hälfte des Stabes ausgehend, beim Übergang in das dünnere Medium der Luft von der Senkrechten hinweggebrochen würden, galt für undenkbar.

Man sieht, die Spezieslehre spielte für die damalige Optik (und Akustik) dieselbe Rolle, wie die Annahme intermediärer, zwischen Objekt und Sinnesorgan vermittelnder Bewegungen für die heutige Theorie der Gesichts- (und Gehörs-)Wahrnehmung. Allein die eben erwähnten Erklärungsversuche, so sympathisch sie uns Moderne ihrem allgemeinen Sinn nach berühren, waren viel zu unbehilflich, um nicht von den Nominalisten in allerlei Schwierigkeiten verwickelt zu werden. Wenn die Spezies durch ihre Reflexion vom Spiegel die Selbstwahrnehmung des Auges vermitteln, warum, fragt BIEL, findet nicht das Gleihe bei ihrer Reflexion vor einer rauhen Oberfläche statt? Der ganz richtig gedachten Entgegnng, daß sich im letzteren Fall die reflektierten Spezies nicht wieder in einem einzigen Punkt vereinigen, hält er das weitere Bedenken entgegen, daß ja alles von Spezies erfüllt sein soll und darum nicht einzusehen ist, was jener Vereinigung im Wege steht. Sollen ferner die Spezies beim Übergang aus dem dichteren ins dünnere Medium eine Ablenkung erfahren, so wünsche er zu wissen, was jene Ablenkung veranlaßt. Die einzig mögliche Antwort sei, daß die  Natur  der Spezies und des Mediums es so mit sich bringt; dieselbe Antwort aber zeigt, daß man um die Annahme besonderer, natürlicher Wirkungsweisen nicht herumkommt; wenn das aber so ist, dann braucht man die Spezieslehre nicht.

BIEL selbst glaubt mit der Annahme einer natürlichen Fernwirkung der äußeren Objekte auf das Sinnesorgan ebensoweit zu kommen, wie die Gegner mit der Annahme von Spezies. Solche Fernwirkungen seien etwas ganz Gewöhnliches in der Natur. Die von der Sonne in den oberen Luftschichte hervorgebrachte Wärme sei von dieser Art, da die zwischen ihr und der Luft dazwischenliegenden Regionen der Wärmeaufnahme unfähig seien, so könne nur eine unmittelbare Fernwirkung der Sonne die Ursache jener Wärme bilden; Gleiches lasse sich vom hellen Licht beweisen, das, während die Sonne durch ein Fenster scheint, auf der gegenüberliegenden Wand entsteht. Eine ebensolche Fernwirkung soll nun auch zwischen dem Objekt und dem Sinnesorgan stattfinden. Nicht so, als ob unser Scholastiker die gleichzeitige Mitbeteiligung anderer Faktoren dabei auschließt; vielmehr erklärt er ausdrücklich, daß z. B. in der Gesichtswahrnehmung eine solche Mitwirkung sicher stattfindet; den Effekt bestimmt dort der  gemeinschaftliche  Einfluß, den erstens das äußere Objekt, zweitens das Licht, drittens das Medium auf das Auge ausüben.  Allein der erste Einfluß ist weitaus überwiegen.  Das erhellt sich daraus, daß der Sehakt auf das Objekt, nicht auf das Licht und das Medium geht. Auch folgt nur der Änderung des Objekts eine Änderung der Gesichtwahrnehmung, nicht der des Lichts oder des Mediums, ganz zu schweigen von jenen Fällen, wo sich eine Gesichtswahrnehmung ohne jedes Medium vollzieht. Soviel über den Charakter der die Sinneswahrnehmung herbeiführenden Fernwirkung im allgemeinen. - Für die besondere Art jener Fernwirkung stellt BIEL folgendes Prinzip auf: "Zur Erzeugung eines bestimmten Effekts", so bemerkt er, "genügt nicht jeder beliebige Zustand des Agens und Patiens, sondern daszu ist eine ganz bestimmte gegenseitige Annäherung derselben nötig. Bei einer Änderung jener Annäherung wird sich auch der Effekt ändern". BIEL erinnert zur Erläuterung an die vom Feuer erzeugte Wärme, die je nach der Entfernung größer oder kleiner ist, und fährt dann fort: "Daß aber die Wirkungen nach der gegenseitigen Stellung des Agens und Patiens so verschieden sind, liegt in der  Natur  der letzteren, die sich uns in diesen Erfahrungen kund gibt".

Die Anwendung des Prinzips liegt auf der Hand. Es dient unter anderem, um die Abnahme in der scheinbaren Größe der Gesichtsobjekte bei wachsender Entfernung zu erklären. Die Optiker, bemerkt unser Autor, haben sich daran gewöhnt, hier mit perspektivischen Linien zu operieren. Allein die Linien, die die Mathematiker brauchen, sind ganz irreal und imaginär, und bilden nur eine äußerlich hinzugetragene Beschreibung dafür, daß die Wirkungen verschieden sind je nach der verschiedenen Stellung und Entfernung der Dinge. Auch die Selbstwahrnehmung des Auges im Spiegel wird besprochen. Das Auge sei Teilursache seiner eigenen Wahrnehmung, freilich nur die Teilursache; die andere sei der Spiegel, nach dessen Entfernung die Wahrnehmung aufhört. Findet man es befremdlich, daß das Auge, um sich selbst zu sehen, der Hilfe eines Spiegels bedarf, während es doch andere Objekte ohne einen solchen wahrnimmt, so sei wiederum auf die Natur der Dinge zu verweisen. Diese ist einmal so, wie sie sich in unseren Erfahrungen kundgibt. - Offenbar schießt der Nominalist über sein Ziel hinaus. In dem Bestreben, möglichst einfach zu sein, begnügt er sich, lieber gar nicht zu erklären, sondern überall auf die nackten Tatsachen hinzuweisen. Seine Argumentation gegen die Spezieslehre kommt unter diesen Umständen auf den folgenden Gedanken hinaus: Die Spezies sollen bestimte Effekte des Naturgeschehens erklären. Jene Effekte sind auch ohne die Spezies vorhanden; folglich sind die Spezies überfüssig. - Eine solche Argumentation mußte ihren Zweck verfehlen. Erst durch den wuchtigen Angriff der mechanischen Methode wurde das Ziel erreicht, das BIEL mit unzulänglichen Mitteln anstrebte, die Beseitigung der Spezieslehre; nicht aufgrund des  Fernwirkungsgedankens,  wie dieser wollte, sondern vermöge einer durchgreifenden Klärung desselben  Vermittlungsprinzips,  auf dem die im Mittelalter herrschende Speziestheorie beruhte.

3. Von ganz anderer Bedeutung ist die zweite Polemik, die BIEL führt.

SUAREZ hatte die thomistische Lehre vom Phantasma mit Recht bekämpft. Das letztere könne unmöglich ein  in der Seele  mangels der Abwesenheit wirklicher Gegenstände erzeugtes Gebilde sein, ein Idol, das nicht in der wahrnehmenden, wohl aber in der gedächtnismäßige Erkenntnis vorkommen soll. Vielmehr so sollte es, nach den eigenen Auseinandersetzungen des erstgenanntenn Scholastikers, sein, daß der durch die Spezies informierte Erkenntnisakt sich in allen Fällen auf zwar von Natur ihm  vorschwebende,  aber nicht von ihm selbst erzeugte Objekte richtet. Mit diesen dem Erkenntnisakt  vorschwebenden  Objekten beschäftigt sich GABRIEL BIEL sehr ausführlich. Es handelt sich bei ihm nicht um die thomistischen Phantasmata, die ja ein subjektives, d. h. reales Sein in der Seele haben, die produziert, nicht fingiert werden. Nein, die Gebilde, die der Nominalist seiner Kritik unterwerfen will, sind von ganz anderer Art; sie haben ihr Analogon an den irrealen Farben des SUAREZ, die das vom Taubenhals kommende Licht uns vorspiegelt, an der irrealen Wärme, die wir fälschlich der Sonne zuschreiben. Ihr Sein ist wie das jener täuschenden Sinnesqualitäten ein bloß "objektives", im Erkanntwerden beschlossenes, sie sind weder im Bewußtsein, noch außerhalb des Bewußtseins, sondern  für  das Bewußtsein da.

Es verschlägt nichts an der inneren Gleichartigkeit der von BIEL sogleich an den logischen Seziertisch zu führenden Gebilde und der bei SUAREZ beschriebenen  termini  der Erkenntnis, wenn die einen als Gegenstand nur der abstraktiven, die anderen als Gegenstand auch der sinnlichen Erkenntnis gedacht werden. Der entscheidenden Beschreibung BIELs fügen sich die letzteren ebensogut wie die ersteren. Der Intellekt, so lautet diese Beschreibung, bildet (fingit) beim Anblick eines äußeren Gegenstandes ein Bild (similitudinem) des letzteren, das ebenso in  esse objectivo  ist wie das äußere Ding in  esse subjectivo.  Er handelt hierin ähnlich wie ein Künstler, der, ein äußeres Haus erblickend, ein gleiches innerlich bildet; nicht ein realtes Haus, weil jenes  fictum nihil reale  ist, dennoch ein gleiches, weil es ebenso in  esse objectivo, id est in interiori apparentia  [ein seiender Gegenstand, der innerlich erscheint - wp] ist, wie das äußere Haus in Wirklichkeit. Darauf folgt die äußerst charakteristische Bemerkung, daß, wenn der Künstler dieselbe hervorbringende wie anschauende Kraft besäße, er das fingierte Haus real hervorbringen würde, nicht als ein mit dem ersten Haus identisches,  sondern als ein von ihm numerisch verschiedenes, im übrigen völlig gleiches Haus.  Den Schluß bildet der Vergleich mit den Bildern im Spiegel. Das  fictum  könne in gewisser Weise mit einem im Spiegel erscheindenden Bild verglichen werden, das dennoch dem sich spiegelnden Gegenstand äußerst ähnlich  in esse apparente  [als erscheinendes Sein - wp] ist. - Auch hieraus sieht man, daß vom Phantasma des THOMAS nicht die Rede sein kann; weder paßt darauf die Bemerkung, daß das  fictum nihil reale  ist, noch die Bemerkung, daß es in seinem  esse apparens  das unmittelbare Objekt der Erkenntnis bildet, das vom Erkenntnisakt unerzeugt im  cognosci  [Erkennen - wp] ganz aufgeht. Vielmehr führt BIEL, indem er nur nebenbei eine die Ansicht des THOMAS treffende Theorie zurückweist, die Lehrmeinung vom  fictum  als eine im eigenen nominalistischen Lager verbreitete auf. Von dort aus scheint sie das System des SUAREZ an den früher besprochenen Punkten infiziert zu haben.

4. Das nächstliegende Bedenken gegen die hier geschilderte Lehre kennen wir bereits, jenes, daß danach nicht einzusehen ist, wie vor lauter der Erkenntnis vorschwebenden Bildern der äußeren Objekte die äußeren Objekte selbst zur Wahrnehmung gelangen sollen. - Es ist richtig, das  fictum,  das der Erkenntnis vorschwebt, ist der Voraussetzung nach dem wirklichen Objekt so ähnlich wie möglich, der beste  Stellvertreter,  den man sich denken kann. Allein wie kommen wir von der Kenntnis eines noch so guten Stellvertreters zu einem Wissen darum, daß hinter diesem Stellvertreter etwas  anderes  steht, von dem er der Stellvertreter ist? SUAREZ hatte, unzureichend genug, mit der Theorie der intellektuellen Hapsis geantwortet, dadurch dem Verstand eine Fähigkeit in die Schuhe schiebend, die für die Sinne erst begriffen werden sollte.

Der Verfasser der "Libri quattuor" ist nicht geneigt, sich die Gelegenheit zu einer ernsthafen Prüfung der Lehre vom  fictum  entgehen zu lassen. Er erhebt den obigen Einwand sozusagen vom umgekehrten Ende aus. Wir würden formulieren: Wenn das  fictum  Objekt des Erkenntnisaktes ist, so kann der wirkliche Gegenstand nicht Objekt des Aktes sein. BIEL formuliert: Das Objekt muß dem Erkenntnisakt als eine Ursache vorausgehen. Das  fictum  geht dem Akt nicht voraus, da vielmehr sein Sein im  cognosci  bestehen soll. Folglich ist es nicht das Objekt der Erkenntnis. Unser Scholastiker findet die zwingende Kraft des Einwands nicht so groß, um nicht die Gegner den Versuch machen zu lassen, durch eine Unterscheidung demselben zu entgehen.

Es gibt, läßt er die Vertreter der Theorie vom  fictum antworten,  ein  doppeltes Erkenntnisobjekt.  Das eine, das äußere Dinge, geht als  objectum movens  dem Erkenntisvorgang voraus, wie die Ursache der Wirkung, und bestimmt denselben  ultimativ,  so daß der Intellekt, darin gleichsam ruhend, sich auf nichts weiteres hinaus richtet. Das andere, das  fictum,  bestimmt den Erkenntnisvorgäng nicht ultimativ, sondern  immediate  [unmittelbar - wp] und bildet sozusagen eine Art Mittel, durch welches sich vermöge des Erkenntnisvorgangs der Intellekt auf das  objectum ultimate terminans  richtet. Es geht dem Akt nicht voraus, wie das letztere, sondern folgt ihm, nicht zeitlich, wohl aber sachlich. Denn da das Sein des  fictum  im  intelligi  aufgeht, ein bloßes  esse objectivum  ist, so wird das  fictum  mit dem Vorhandensein des Erkenntnisaktes notwendig mitgesetzt, es wird durch den Erkenntnisakt in seinem Sein konstituiert. - Sicherlich ist diese Auskunft etwas billig. Es liegt uns nichts daran, vom Unterschied des  fictum  gegen das äußere Objekt unterhalten zu werden, zu hören, daß bei dem einen die Erkenntnis zur Ruhe kommt, beim anderen nicht, sondern wir wollen wissen, ob unter der Voraussetzung, daß sich die Erkenntnis auf äußere Gegenstände richtet, die Annahme des  fictum  nicht ganz unnötig ist. Der Forderung, hierüber klar zu werden, verschließt sich auch BIEL nicht, und bringt wieder zur Polemik übergehend, alsbald das eigentliche Problem schärfer zur Sprache.

Wenn, wie eben behauptet, das  fictum  ein  Objekt  des Erkenntnisaktes, also irgendwie von ihm  verschieden  ist, so kann, wendet er ein, Gott das  fictum  ohne den Akt, den Akt ohne das  fictum  erhalten. Man hat dann entweder die Schwierigkeit, daß das  fictum,  dessen Sein im Erkanntwerden aufgehen sollte, doch unerkannt fortexistiert; oder man hat einen Erkenntnisakt, dem zwar das angebliche  objectum immediate terminans  fehlt, der aber nach wie vor als auf das  objectum ultimatum  gerichtet zu denken ist (da sonst ein Erkennen ohne etwas Erkanntes vorliegt), so daß sich die Annahme des  fictum  als ganz überflüssig erweist. - Hier ist die Schwierigkeit offen zum Ausdruck gebracht. Die Anhänger der Lehre vom  fictum  könnten zwar das Argument von der getrennten Erhaltung des Aktes und des  fictum  zu bemängeln suchen. Sie könnten einwenden, daß diese Erhaltung einen  realen  Unterschied der beiden voraussetzt, während sie sich doch nicht wie  res  und  res,  sondern wie  res  und  ens rationis  verhalten.  Res  sei der  actus cognoscendi  als eine wirkliche, der Seele inhärierende Qualität; das  fictum  aber ist nur  ens rationis,  ist nicht im Bewußtsein, wie der Akt, auch nicht außerhalb des Bewußtseins, wie die äußeren Dinge, sondern eben nur für das Bewußtsein da, außer seinem  intelligi  besitzt es kein Sein. Jeder Gedanke einer Trennung beider ist darum von vornherein abzuweisen. Allein BIEL hält schon zwei Bemerkungen bereit, die die Lehre vom  fictum  entscheidend treffen: Einmal, daß alle Eigentümlichkeiten der Erkenntnis sich ohne die Annahme eines  fictum  um vieles leichter und besser erklären lassen, zweitens,  daß die Setzung des fictum als eines ens rationis gleichbedeutend ist mit der Aufstellung einer dritten Gattung von Seiendem;  man pflege das Seiende in  ens in anima  und in  ens extra animam  zu teilen. Jene  ficta  aber mit ihrem  esse objectivum  seien keines von beiden, seien etwas Neues und Besonderes, eine zwischen beiden in der Mitte schwebende Zwischenwelt.

5. Die letztere Bemerkung ist äußerst glücklich.

Denken wir an die den Sinnen vorschwebenden Qualitäten des SUAREZ zurück, so wußte man gar nicht, ob sie mit den wirklichen Qualitäten der äußeren Dinge identisch oder Kopien derselben sein sollten. Das eine schien die Meinung, solange es sich um die normalen Fälle der Sinneswahrnehmung und um die Erkenntnis des Gegenwärtigen handelt. Die ganze Anlage der Spezieslehre deutete hier darauf hin, daß SUAREZ sich die wahrnehmende Erkenntnis zunächst als eine Hapsis der  seienden  Eigenschaften durch die Sinne dachte, entsprechend dem Standpunkt der naiven Realisten, die sowohl bei den Sinnen, wie beim Intellekt ein haptisches Erkennen annehmen. Damit war nun aber die Behandlung, die die Fälle der Sinnestäuschung und der Erkenntnis abwesender Dinge im "liber de anima" erfuhren, nicht in Einklang zu bringen. Nur die intellektuelle Hapsis blieb, was dagegen als Anschauungsobjekt der Sinne beschrieben wurde, waren nicht mehr die äußeren Qualitäten der Dinge selbst, sondern Qualitäten bilder,  von den wirklichen Qualitäten mehr oder minder abweichend. Diese Qualitätenbilder wurden zwar durch die intellektuelle Hapsis an die wirklichen Dinge sozusagen angeschmiedet, angeheftet. Dennoch war ihr Sein kein wirkliches, sondern nur ein solches für das Bewußtsein; sie  erschienen  nur, waren nicht real, ihre Existenz ging im  percipi  auf, war ausschließlich ein  esse objectivum.  Sie bildeten in ihrem  esse objectivum,  um die Terminologie von BIEL zu gebrauchen, das  objectum immediate terminans,  das sich zwischen das Subjekt und das  subjectum ultimate terminans,  die äußeren Qualitäten, einschob, die Wahrnehmung der letzteren nicht vermittelnd, sondern gerade im Gegenteil verwehrend und hemmend. - Es hindert zumindest nichts, nach Maßgabe dieser SUAREZ'schen Behandlung der Sinnestäuschungen und nach Maßgabe seiner Behandlung der Erkenntnis abwesender, unterdessen veränderter Dinge auch die normalen Fälle der Wahrnehmung zu interpretieren. Auch in der normalen Wahrnehmung findet, wenn man die Konsequenz zieht, niemals eine sinnliche Hapsis statt. Was die  species impressa  den Sinnen zeigt, ist auch dort ein Qualitäten bild,  nicht die wirkliche Qualität, freilich ein Qualitätenbild, das dem Original in allen Stücken völlig gleicht, für das letztere  supponiert,  ohne Täuschung und Irrtum herbeizuführen. Den Sinnen bleibt danach die unmittelbare Wahrnehmung immer und ewig versagt; immer und ewig schieben sich zwischen das Subjekt und das wirkliche, äußere Objekt, das  objectum ultimate terminans,  Bilder, Kopien ein,  objecta immediate terminantia;  diese Kopien sind begabt mit einem bloßen  esse objectivum,  mit einem Sein, das in ihrem  pericipi  ohne Rest beschlossen ist; sie sind erscheinende und  nur  erscheinende Repräsentationen der äußeren, wirklichen Qualitäten, Repräsentationen, die bald den letzteren völlig gleichen, bald von ihnen verschieden sind und die in beiden Fällen von der intellektuellen Hapsis demselben Träger angeschmiedet, angeheftet werden, an dem die wirklichen, durch jene verdeckten Qualitäten inhärieren.

Das ist das Lehrgebäude, das aus den Erörterungen des SUAREZ über die Wahrnehmung immer hervorlugt, ohne direkt ausgesprochen zu sein. Ihm gilt der Zuruf BIELs, daß jene Entitäten, die sich immer zwischen das Subjekt und äußere Objekt einschieben, ohne von dem einen erzeugt, ohne mit dem anderen identisch zu sein, eine dritte Gattung von Seiendem konstituieren, eine luftige Zwischenwelt, die da ist, sobald unser Erkenntnisakt da ist und verschwindet, sobald der Erkenntnisakt verschwindet. Dieses System, innerhalb der Scholastik nur schüchtern angedeutet, ist nach der scholastischen Zeit (bald ohne, bald mit einem Wegfall der Lehre von der Hapsis) lange eine Krankheit gewesen, die die Erkenntnistheoretiker befiel. Die  ideae  des DESCARTES, die ein  esse objectivum  besitzen sollten, ohne sich eines  esse formale  zu erfreuen, gehören hierher; MALEBRANCHE hatte es mit derselben Zwischenwelt zu tun, deren Ort er in die Regionen des göttlichen Geistes verlegte. Da diese dem Erkenntnisakt vorschwebenden Entitäten, die von ihm verschieden sind und unter keinen Umständen von ihm erzeugt werden, sich schließlich immer und ewig zwischen das Subjekt und die (äußeren)  objecta ultimate terminantia  einschieben, da sie die letzteren fortwährend dem Blick verdecken, so kann die Frage auftauchen, mit welchem Recht wir denn eigentlich an die Existenz der  objecta ultimate terminantia,  der äußeren Dinge glauben, wenn wir doch niemals  sie,  sondern nur die  objecta immediate terminantia  zur Anschauung bekommen. Die  objecta ultimate terminantia  erscheinen (das Umgekehrte zur obigen Argumentation BIELs) ganz überflüssig, das  objectum immediate terminans  hat sie aus dem Feld geschlagen. Das ist die Wendung, die BERKELEY dem System der Zwischenwelt gegeben hat.

Das System der Zwischenwelt ist, wie wir eben hörten, durch die Bemerkung charakterisiert, daß das Subjekt deswegen niemals zur Erkenntnis äußerer Objekte gelangen kann, weil sich zwischen beide gewisse vom Bewußtsein  unerzeugte  Wesenheiten einschieben (die  objecta immediate terminantia  im Sinne der von BIEL bekämpften Lehre), deren Sein ein bloß objektives ist. Das System der Objektivationstheoretiker andererseits wird durch die Bemerkung charakterisiert, daß das Subjekt gleichfalls nicht zur Erkenntnis äußerer Objekte gelangen kann, aber aus dem Grund, weil sich zwischen beide durch den Erkenntnisakt  erzeugte  Gebilde, Phantasmen mit subjektiver Existenz in der Seele, einschieben. Im einen Fall erscheint die unmittelbare Erkenntnis durch den dritten, im anderen Fall durch den zweiten jener Wälle vermauert, von denen bereits gesprochen wurde. BIELs eigene Lehre räumt die Mauern, die Schranken weg; sie gleicht dem Prinzen, der den Dornbusch teilt und das Dornröschen findet, in diesem Fall das von allen metaphysischen Zutaten ledige psychologische Wesen des Erkenntnisvorgangs.

6. Damit stehen wir bei der zweiten der oben mitgeteilten Bemerkungen BIELs, der, daß  die Hypothese vom fictum völlig überflüssig ist,  sowohl in der Lehre von den Universalien, wie in der Lehre von den "Ideen".

In der Lehre von den  Universalien  habe man das  fictum  zu dem Zweck angenommen, damit die allgemeine Erkenntnis ein allgemeines Objekt erhält. Allein nicht das Objekt macht die Allgemeinheit des Aktes, sondern die Art, wie der letztere sich auf mehrere Einzeldinge richtet. - Bereits an dieser Stelle fällt manche fruchtbare Bemerkung. Die Gegner hatten geglaubt, in dem, was man "geistiges Konzept" nennt,, ihr  fictum  erblicken zu müssen. Das lehnt BIEL ab: Das Wort "Konzept" bedeutet entweder (im eigentlichen Sinne)  res quae concipitur  [Dinge als Vorstellung - wp], d. h.  quae actu cognoscendi intelligitur  [als Akt des erkennenden Denkens - wp] und das sei ein für allemal der äußere Gegenstand; oder es bedeutet den Erkenntnisvorgang, der eine wirkliche Qualität der Seele und die einzige  naturalis similitudo  [natürliche Form - wp] der Dinge ist, von der die Rede sein kann,  non in existendo, sed in repraesentando  [nicht als existierend, sondern als repräsentierend - wp]. Mehr als dieses beides, der Erkenntnisakt und das äußere Objekt, spielt in der Erkenntnis keine Rolle.

Ausführlicher entwickelt BIEL seine Anschauungen in einer Erörterung über die Frage, ob Gott das von ihm Verschiedene, die Kreaturen, durch  "Ideen"  erkennt? Es handelt sich hier in erster Linie darum, was unter "Idee" zu verstehen ist. Wenn irgendwo, so schien hier die Lehre vom  fictum  eine Stütze und Halt zu finden. Nach der gewöhnlichen kirchlichen Ansicht waren ja die "Ideen" von Ewigkeit her in Gott, lange bevor die Berge und Welt geschaffen wurden. Was konnten da, wenn man nicht Häretiker werden wollte, jene "Ideen" sein? Sicher Erkenntnisobjekte, antworteten die Anhänger der Lehre vom  fictum,  aber ebenso sicher nicht die  objecta ultimate terminantia;  denn dazu fehlt ihnen die physische Subsistenz. Es bleibt nur übrig, daß die Ideen in Bezug auf Gott dasselbe sind, wie die  ficta  in Bezug auf die menschliche Erkenntnis,  objecta immediate terminantia,  deren Existenz im Erkanntwerden durch den göttlichen Intellekt (continentur divina intelligentia) aufgeht. Was sie von den  ficta  unterscheidet, ist nur dies, daß sie nicht von einer bloß ruhenden, menschlichen Intelligenz angeschaut werden, sondern daß sie der schöpferischen Intelligenz Gottes als Musterbilder für die danach zu schaffenden Kreaturen vorschweben.

So günstig die Position der Gegner hier erscheint, so wird sie doch gleich durch die erste Bemerkung unseres Scholastikers über den Haufen geworfen. Die Wörter  idea  und  conceptus,  sagt BIEL, wollen richtig verstanden werden. Sie stehen nicht für Dinge,  non habent quid rei  [sie haben nichts davon - wp] (wie z. B. das Wort "Stein"), sondern sagen bloß aus, daß zu den übrigen Beziehungen eines Dings eine neue hinzugetreten ist, die, daß es von uns vorgestellt wird.  Connotant actum cognoscendi seu concipiendi  [suggerieren einen Akt des Erkennens oder Verstehens - wp] und haben insofern  tantum quid nominis  [nur etwas nominelles - wp]. - Diese Bemerkung ist ebenso einfach wie weittragend. Mit dem Wort  idea,  sofern es für sich allein, isoliert, steht, läßt sich danach kein Sinn verbinden; es fordert die Hinzufügung eines Genitivs. Wird aber der Genetiv hinzugefügt, so fällt aller Nachdruck der Bedeutung auf das durch das im Genitiv stehende Wort Bezeichnete. Letzteres selbst (- das durch das im Genitiv stehende Wort Bezeichnete -) ist das, was gemeint ist, nur daß es, unbeschadet aller anderen Beziehungen, in die es vorher verwickelt war, als eintretend in eine neue Beziehung gedacht wird, die, von einem erkennenden Wesen sinnlich angeschaut, begrifflich aufgefaßt zu sein.  Ideae rerum  [Idee von - wp] besagt somit gar nichts anderes als  res cognitae  [erkanntes Ding],  ideae (creaturae) in mente Dei  [Ideen sind (Geschöpfe) aus dem Geist Gottes - wp] nichts anderes als  ipsamet cognita creatura  [reine Gedankengebilde wp].

Diese Anschauungsweise wird vom nominalistischen Autor klar und streng zuende geführt.

Hat z. B. der heilige AUGUSTIN die Redeweise aufgebracht, daß die Ideen  objective continentur in mente divina  [objektiv in göttlichem Geist - wp] sind und geben die Anhänger der Lehre vom  fictum  dieser Redeweise die oben geschilderte mystische Interpretation, so erklärt BIEL seinerseits den Ausdruck in denkbar einfachster Weise: "Contineri objective in Deo" [objektiv in Gott enthalten - wp] ist nichts anderes, als "von Gott erkannt werden"; in diesem Sinne ist der Stein in Gott, indem er das Objekt der göttlichen Erkenntnis bildet. In ganz gleicher Weise könne man, wenn man den Sprachgebrauch einführen wollte, von der Weiße an der Wand sagen, daß sie in  oculo conteneatur  [im Auge enthalten - wp]. Denn sie wird vom Auge gesehen. Vom Hinzutritt einer neuen Seinsweise könne in keinem der beiden Fälle die Rede sein. Stein und Farbe bleiben, wie sie waren. - An der hier von BIEL gegebenen Interpretation darf nicht beirren, daß der vorhin genannte Kirchenvater die im göttlichen Geist zusammengehaltenen Ideen als ewig bezeichnet hat. Das könne, betont unser Nominalist, keinen anderen Sinn haben als den, den Unterschied der göttlichen Erkenntnis von der menschlichen zu bezeichnen: Während der menschliche Geist die Dinge nicht immer in derselben Weise erkennt, sondern bald mehr, bald weniger klar und deutlich, bald gar nicht, auch in der Erkenntnis leicht ermüdet, so werden von Gott die Kreaturen immer erkannt und immer in derselben Weise erkannt, ohne daß die Kraft der göttlichen Erkenntnis nachläßt. - Endlich hat der heilige AUGUSTIN die Ideen im göttlichen Geist als Vorbilder der danach zu schaffenden Dinge bezeichnet. Man darf einigermaßen neugierig sein wie der Verfasser der "Libri quattuor" hier seine Anschauung durchführen wird. Das Vorbild, scheint es, muß doch eher angeschaut werden, als das Ding, dessen Vorbild es ist, existiert; es ist folglich etwas von diesem Ding Verschiedenes, und das, wsa nach der nominalistischen Erklärung eines sein sollte, das Ding und seine Idee, klafft damit doch wieder auseinander, neben das reale subjektive Sein des einen tritt das mystische objektive Sein des anderen.

Auch an dieser Stelle lassen die Auseinandersetzungen BIELs an Klarheit nichts zu wünschen übrig. "Ad ipsam creaturam Deus adspicit, ut eam  rationaliter producat  [Und Gott sah die Kreatur, wie sie rationale Ideen hervorbringt - wp], lautet die von ihm gegebene Lösung. - Jede hervorbringende Ursache, so wird das ausgeführt, kann entweder rationaliter oder ignoranter hervorbringen: ignoranter, wenn sie während des Erzeugungsaktes nichts von dem weiß, was sie erzeugt, rationaliter, wenn letzteres der Fall ist. So ist es bei Gott:  Er bringt zugleich die Kreatur hervor und erkennt, wie sie ist;  beides fällt bei ihm zusammen, das Wissen von der Kreatur, und die Hervorbringung derselben. - Näheres hierüber lehrt der Vergleich Gottes als des ewigen himmlischen Künstlers mit dem irdischen geschaffenen Künstler: Wenn der irdische Künstler ein Haus erschaut und nach Maßgabe dieses angeschauten Hauses ein zweites Haus hervorbringt, so sagen wir, er habe nach der Idee des ersten Hauses (rationaliter) das zweite geschaffen, das erste Haus sei das Vorbild und Muster für das zweite Haus gewesen. Setzen wir nun aber den Fall, der Künstler habe nicht nötig, ehe er ein Haus hervorbringt, andere Häuser gesehen zu haben, sondern wisse ohne das vorher, wie das Haus beschaffen sein wird, dem seine kunstfertige Hand die Entstehung gibt, so würde in diesem Fall das letztere sein eigenes Vorbild genannt werden müssen, es wäre erbaut  nach der Idee  nicht eines anderen Hauses, sondern  seiner selbst".  Was dem irdischen Künstler unmöglich ist, vermag der himmlische. Zur Hervorbringung einer Kreatur bedarf er nicht des Hinschauens auf andere Kreaturen, sondern ihm genügt das Wissen von ihr selbst, und dieses Wissen von ihr selbst, das Wollen und Vollbringen ihrer Erzeugung ist bei Gott zu einer unlöslichen Einheit verflochten.  Ipsa creatura vere est sui ipsius exemplar et idea.  [Die Kreatur ist sich selbst Modell und Idee. - wp]

Hier drängt sich eine andere Bemerkung desselben Autors in die Erinnerung, mit der er seine Schilderung der Theorie des  fictum  einleitete. Wenn die Menschen, besagt jene andere Bemerkung, ebenso viele hervorbringende wie anschauende Kraft besäßen, und wenn es wahr wäre, daß sie wirklich nur durch ein  fictum  zu erkennen vermögen, so würde es snicht bei der bloßen Anschauung des  fictum  bleiben; nein, das  fictum,  das  objectum immediate terminans,  dessen Sein jetzt im  intelligi  aufgeht, würde dann reale Subsistenz gewinnen und ein wirklicher Gegenstand werden, ein solcher, der vom  objectum ultimate terminans  numerisch verschieden wäre, im übrigen ihm völlig gleichen würde. Man nehme diesen Gedanken zu den obigen Erörterungen über die schöpferische Erkenntnis Gottes hinzu. Der Unterschied der eigenen Theorie BIELs von der Theorie des  fictum  (als deren Vertreter in gewissem Sinne SUAREZ gelten darf), und man darf es hinzufügen, auch die Lehre des THOMAS erhellt sich dann mit einem Schlag. - Nach THOMAS ist unser Erkenntnisvorgang (im Fall der abstrakten Erkenntnis) nicht bloßes Erkennen, sondern Erkenntnis  und  Erzeugung. Das Bewußtsein erzeugt aus seinem eigenen Material das Objekt und schaut es gleichzeitig an. Nach SUAREZ ist unser Erkenntnisvorgang bloß ein Erkennen. Wenn sich aber zur erkennenden Kraft die erzeugende hinzugesellt, wenn das, worauf sich der Erkenntnisvorgang unmittelbar richtet, Subsistenz annimmt, so würde es sich nebem dem wirklich vorhandenen äußeren Gegenstand als ein zweiter diesem völlig gleichen Gegenstand subsistieren. Die Welt würde sich verdoppeln. Nach BIEL ist gleichfalls der Erkenntnisvorgang bloß ein Erkennen. Aber seine Lehre unterscheidet sich, wie die Erörterung der Verhältnisse bei der göttlichen Anschauung zeigt, darin von der des SUAREZ, daß der Hinzutritt der erzeuenden zur erkennenden Kraft nach ihm eine Verdoppelung der Welt nie und nimmer herbeiführen würde. Das Objekt der äußeren Anschauung ist unter allen Umständen der äußere Gegenstand selbst. Ihn würden wir, wenn es ginge, als einen mit sich identischen noch einmal erzeugen; zu einem zweiten, davon numerisch verschiedenen, sonst noch so gleichen Gegenstand würde es nicht kommen.

7. Man könnte einen letzten Einwand versuchen. "Ideen Gottes" wurde von den Nominalistsen das genannt, was Gott rationaliter  hervorbringt.  Danach scheint Gott keine Idee dessen zu besitzen, was weder gewesen ist, noch sein wird, wiewohl er es, wenn er wollte, hervorbringen  könnte.  Die Erkenntnis des Nichtexistierenden, scheint Gott abgesprochen werden zu müssen. - Auch von derartigem, antwortet unser Autor, besitzt Gott Ideen. Er schaut es an, nichtexistierend wie es ist, und da sein Wille das einem jeden Ding die Existenz gebende ist, so schaut er es eben an,  ohne  daß sich mit dieser Anschauung die Absicht auf eine Hervorbringung verbindet.

Dieser Gedanke ist bedeutsamer als er scheint. Er gibt der Position BIELs eine neue Waffe gegen seine Gegner. Bis jetzt schien seine Erklärung, daß die Ewigkeit der Ideen, nach denen Gott die Dinge bildet, nicht als die Unwandelbarkeit der göttlichen, auf die Dinge selbst sich richtenen Erkenntnis bedeutet, hörbar, aber gekünstelt. Befriedigte es auch, daß die Unwandelbarkeit der göttlichen Erkenntnis proklamiert wurden, so schien doch darin ein Mangel zu liegen, daß Gott von den Dingen imer erst in dem Augenblick eine Idee erhalten sollte, wo er sie schafft. Der althergebrachte Gedanke, daß seit Ewigkeit her, längst ehe die Dinge geschaffen wurden, der göttliche Geist mit vorzeitlichen Muster derselben erfüllt gewesen ist, nach denen er bei der Schöpfung die Dinge gebildet hat und noch immer zu bilden fortfährt, behielt neben und trotz jener nüchternen Darlegung seine verführerische Kraft. BIELs letzte Bemerkung, zusammen mit anderen, früheren, daß anch der Vernichtung des SOKRATES die intuitive Anschauung von ihm uns seine Nichtexistenz zeigen müßte, bricht den Zauber der gegnerischen Anschauung. Die Ideen der  Dinge  kann danach Gott unmöglich vor aller Ewigkeit gehabt haben. Denn die Dinge sind Existierendes und ihre intuitiven Ideen müssen, wenn sie wahrhaft die Ideen der Dinge sein sollen, sie so zeigen, daß das Urteil der Existenz sich mit der Anschauung der Dinge evident verknüpft. Nun aber existieren die Dinge nicht vor aller Ewigkeit, folglich kann es auch vor der durch Gottes Willen hervorgebrachten Schöpfung keine Ideen der  Dinge  im göttlichen Erkenntnisvermögen gegeben haben. Vielmehr so wie Gottes Erkenntnis sich auch auf das richtet, was weder gewesen ist noch sein wird, das hervorzubringen er gar nicht die Absicht hat und von dem in der intutitiven Anschauung die Nichtexistenz nicht abgetrennt werden kann, so schaute Gott vor der Schöpfung unter anderem Nichtexistierenden auch ein  Nichtexistierenes  an, das sich zu den Dingen verhält, wie etwa der vernichtete SOKRATES zum wirklichen SOKRATES. Das ist es, was man, ehe die nominalistische Kritik kam, mit Ideen der Dinge verwechselt hatte, wiewohl es von den Ideen der Dige ein für alle Mal nur die angeschauten Dinge selbst sein können, das ist es auch, dem die Gegner BIELs jene mystische objektive Exsite im göttlichen Geist zuschrieben, wieohl nichts, was erkannt wird, dadurch in irgendeiner Weise ein besonderes Sein erhält oder ein solches Sein gleichsam als seine Verdoppelung von sich abgibt; vielmehr das vorher Unerkannte (wenn bei Gott von einem zeitliche Werden der Erkenntnis gesprochen werden könnte), wird in allen Fällen selbst zum Gegenstand der Erkenntnis ohne Dazwischenkunft eines  fictum  und bleibt dabei, wie es ist oder nicht ist.

BIELs Lehre hat anch allem Vorangegangenen unstreitig das Verdienst, das psychologische Wesen des Erkenntnisvorgangs so rein herausgeschält zu haben, wie es in damaliger Zeit möglich war. - THOMAS war es entgangen, daß sich im Wesen der Erkenntnis nichts ändert, mag sie sich auf einen anwesenden oder abwesenden Gegenstand richten. Das wurde der Anlaß, daß bei ihm metaphysische Zutaten die Psychologie des Erkennens trübten und verdarben. Indem nach seiner Meinng aus dem Schoß der Phantasie ein Stellvertreter des abwesenden Gegenstandes in Gestalt des Idolums emporwuchs, verwandelte er das bloße Erkennen in ein Erkennen und Erzeugen. Diesen Fehler vermied SUAREZ. Dem durch die Spezies informierten Erkenntnisvorgang braucht, wie er richtig sah, nicht erst ein Objekt zu stehen. Es ist des ersteren Natur, unter allen Umständen auf ein Objekt gerichtet zu sein. Allein die Ausführungen des "Liber de Anima" über die Sinnestäuschungen und die Erkenntnisabwesenden Gegenstände zeigen, daß auch SUAREZ das Objekt in eine zu feste Verbindung mit dem Erkenntnisvorgang brachte. Er ließ es nicht durch die Erkenntnis erzeugt werden, wie THOMAS, aber er verkettete und verflocht es in der Weise mit dem Erkenntnisvorgang, daß es als ein diesem Vorschwebendes hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] wurde, daß es Existenz gewann, - objektive Existenz, - jedesmal, wenn der Erkenntnisakt da war, und daß es seine objektive Existenz verlor, jedesmal wenn der Erkenntnisakt aufhörte. Sein Sein war an das des Erkenntnisaktes gebunden und eben dadurch war es von den realen Gegentänden verschieden, deren Erkenntnismöglichkeit es gefährdete. Anders BIEL! Er hütet sich das psychologische Faktum des  Erkennens  eines Objekts mit igendeiner Art von metaphysischer  Existenz  des letzteren in eine zu feste Verbindung zu bringen. Es ist wahr, wir können nicht vorstellen, ohne  Etwas  vorzustellen. Aber "Etwas vorstellen" heißt nicht, daß auf der einen Seite der Erkenntnisvorgan, auf der anderen Seite ein sei es vom Erkenntnisvorgang erzeugtes, sei es in objektiver Existenz an ihn gekettetes Etwas  ist.  Vielmehr "Etwas vorstellen" heißt, diesen bestimmten Erkenntnisvorgang haben, "Etwas anderes vorstellen" heißt einen anderen bestimmten Erkenntnisvorgang haben. Dabei ist freilich, wie BIEL es ausdrückt, jeder Erkenntnisvorgang die  naturalis similitudo  [natürliche Form - wp] von ihm verschiedener, sei es existierender, sei es nicht existierenden Entitäten. Von diesen Entitäten,  deren naturalis similitudo er ist,  sagen wir, daß sie  das vom Erkenntnisvorgang Erkannte sind;  sie können fortfahren zu sein, wenn der Erkenntnisvorgang längst vorüber ist (die existierenden Gegenstände), und brauchen nicht zu sein, wenn der Erkenntnisvorgang ist (die nicht existierenden Gegenstände).

Die Erkennbarkeit des Realen ist durch diese Theorie gesichert; nicht in dem Sinne daß, wenn wir etwas Reales erkennen, wir ohne weiteres wissen müßten, daß es etwas Reales ist (das wäre haptisches Erkennen), wohl aber in dem Sinne, daß unter den vielen Gegenständen, die wir erkennen, ganz wohl auch solche sein können, die real, leibhaftig existieren. BIEL hat den letzteren Unterschied nicht zu machen gewußt, und hier ist der Punkt, wo auch seine Theorie ein mittelalterliches Gepräge trägt, sich zur Psychologie eine unbewiesene Metaphysik hinzugesellt. Der Autor der "Libri quattuor" nimmt ohne weiteres an, daß das, was wir  wahrnehmen,  wirklich  ist,  Bestandteil einer uns umgebenden Außenwelt. Der Intellekt soll von allen Objekten der  Wahrnehmung,  der  notitia intuitiva,  wie er sie nennt, das Urteil ihrer  Existenz  mit evidenter Gewißheit vollziehen. Nicht das Gleiche sei mit den Gegenständen der gedächtnismäßigen Potenz (der notitia abstractiva) der Fall. Bei diesen können wir keine Entscheidung darüber gewinnen, ob sie existieren oder nicht, sondern nur darüber, daß wir fürher die gleichen Gegenstände wahrgenommen haben. -  Erst durch das Auftreten des  DESCARTES  wurde jener naive Glaube an die Existenz des Wahrgenommenen zerstört  und wich den Bemühungen, für das Dasein der Außenwelt einen strengen Beweis zu finden.

8. Bis jetzt hat noch nichts über BIELs Meinung von den Sinnestäuschungen verlautet. Wir wissen, daß diese Materie die Klippe bildete, an der SUAREZ' Theorie scheiterte. Das  esse apparens  [scheinbare Sein - wp], das nach SUAREZ die Schillerfarben am Taubenhals im Gegensatz zu den wirklichen Farben besitzen sollten, gestattete weder sie als Etwas Immanentes noch als etwas Transzendentes aufzufassen, sondern machte sie zu Gliedern einer Zwischenwelt, die mit dem Wahrnehmungsakt kam und verging. - Auch BIELs Lehre steht hier vor einer Schwierigkeit. Das Einfachste wäre (von einem  esse objectivum  kann bei BIEL selbstverständlich nicht die Rede sein), jene Schillerfarbe mit den Gegenständen bloß Einbildungen wie Chimären, runden Vierecken usw. auf eine Stufe zu stellen, den auf sie sich richtenden Erkenntnisakt als die  naturalis similitudo  von Etwas Nichtexistierendem zu betrachten. Allein dem steht im Weg, daß hier keine abstraktive, sondern eine intuitive Erkenntnis, ein Wahrnehmungsvorgang vorliegt, und von allen (natürlichen) Wahrnehmungsvorgängen hörten wir unseren Scholastiker sagen, daß die Existenz ihrer Gegenstände durch eine evidente Einsicht des Geistes verbürgt ist. - Der Verfasser der "Quattuor libri" sucht dich dadurch zu helfen, daß er in diesem Fall die Fähigkeit des Intellekts, über Existenz oder Nichtexistenz des Wahrgenommenen zu urteilen, einschränkt. Das schiebt die Schwierigkeit nur hinaus. Denn schließlich läßt sich die Frage doch nicht vermeiden, ob jene Schillerfarbe etwas Existierendes oder Nichtexitierendes ist, und da hat sich BIEL viel zu entschieden gegen die (natürliche) Möglichkeit einer intuitiven Erkenntnis von etwas Nichtexistierendem ausgesprochen, als daß im Hinblick auf eine zu gebende Antwort geschwankt weden könnte: Jene Farben, weil sie der Gegenstand einer intuitiven Erkenntnis sind, müssen  reale Existenz  haben.

Das verwickelt sofort in andere Verlegenheiten. Denn jetzt wird es schwierig, den Ort der Farben zu bestimmen, da sie ja am Taubenhals ihren Ort nicht haben sollen (25). BIEL hat sich zu diesem Problem nicht geäußert. Er glaubt offenbar mit der oben angeführten Bemerkung die Sache erledigt zu haben. Aber er behandelt mit großer Sorgfalt einen zweiten ähnlichen Fall. - Wenn wir in ein helles Licht sehen, haben wir bekanntlich nachher, nach einer Verdeckung der Augen, ein Nachbild des ersteren. Über dieses äußert sich der scholastische Philosoph wie folgt. Wer ein starkes Licht oder eine grüne Wiese sieht, der wird auch nach dem Schluß der Lider Licht oder die grüne Farbe im Auge sehen. Das kommt daher, daß beim Sehen vom äußeren sichtbaren Gegenstand Etwas in das Auge  eingedrückt  wird, was nicht der Sehakt selbst ist (der vom Objekt in Zusammenwirkung mit der wahrnehmenden Potenz hervorgebracht wird), auch keine Spezies, auch nicht Etwas durch den Akt des Sehens Erzeugtes,  sondern eine gewisse Qualität,  die dem Gesichtssinn mit dem Akt des Sehens gleichzeitig eingeprägt wird. Diese Qualität ist nicht das Objekt jenes Aktes, der mit ihr zusammen hervorgebracht wird; sondern nach dem ersten Akt, der sich auf das hell leuchtende äußere Objekt richtet, hat der Gesichtssinn einen zweiten vollkommeneren Akt,  apparitio  [Aussehen - wp] genannt; auch dieser ist eine  cognitio intuitiva  und sein Objekt die eingedrückte Qualität. Mit anderen Worten, die Farbe des Nachbilds wird von unserem Autor  ins Auge  verlegt, wo sie  reale Existenz  hat. Der erscheinenden Farbe am Taubenhals, die real ist aber nicht am Taubenhals sein kann, kommt konsequenterweise der gleiche Ort zu.

Hiermit sind die Bedenken aber immer noch nicht zu Ende. Die Farbe des Nachbildes soll im Organ, soll dem Auge nahe sein. Die Farbe des Nachbildes unterscheidet sich andererseits in nichts von den sonstigen Farben, insbesondere nicht von der Farbe des primären Objekts. Woher wissen wir da, daß es beim  primären Akt  des Sehens eine äußere Farbe war, die Farbe des fernen Objekts, die wir wahrnahmen, und nicht auch eine im Auge befindliche, dem Auge  nahe Farbe? Es ist, nachdem das Problem der Erkenntnis  realer Gegenstände aufgrund der Auseinandersetzungen BIELs aufgehört hat, ein Problem zu sein, noch einmal das Problem der Erkenntnis ferner Gegenstände, das sich in dieser Gestalt darbietet, - die modernen Lokalisationstheorien geben die Antwort.
LITERATUR: Hermann Schwarz - Die Umwälzung der Wahrnehmungshypothesen durch die mechanische Methode, Leipzig 1895
    Anmerkungen
    25) Das Beispiel entspricht nicht mehr den modernen Anschauungen. Die Schillerfarbe am Taubenhals kommt demselben in dem Augenblick, wo die Sonne ihn bescheint, ebensosehr und ebensowenig zu, wie im gleichen Augenblick einem daneben befindlichen Blatt die grüne Farbe. Wir würden heute das Beispiel des Farbenblinden vorziehen, der den Zinnober nicht rot, sondern schwarz sieht; oder wir würden an die Erhöhung der Töne beim Ausklingen denken, bei unverändert abschließender mechanischer Wirksamkeit des tongebenden Instruments. Man vgl. dazu: HERMANN SCHWARZ, Das Wahrnehmungsproblem vom Standpunkt des Physikers, des Physiologen und des Philosophen, § 10 und Seite 369-70.