cr-4K. SchneiderSigwartM. StingelinR. GätschenbergerF. Brentano    
 
ANTON MARTY
Über subjektlose Sätze
[2/3]

"Auch das ist nicht zu vergessen, daß oft einer wirklichen Aussage  nebenher  den Ausdruck eines Gefühls beigemischt ist. Hierher gehört der Unterschied von höflichem und beleidigendem, anständigem und unanständigem, unzartem und euphemistischen Ausdruck usw. Denn nicht bloß an Ton und Gebärde, sondern, wie man weiß, auch an das geschriebene Wort sind ein für allemal solche Unterschiede geknüpft. Wer nur auf das kundgegebene Urteil sieht, der wird (wie es die Stoiker taten) den anständigen und unanständigen Ausdruck für synonym oder wenigstens äquivalent erklären. Beide sprechen von derselben Tatsache. Allein in Wahrheit und ihrer Gesamtfunktion betrachtet, sind sie nicht gleichwertig wegen der Verschiedenheit der Gefühle, die durch den einen oder anderen kundgegeben und im Hörer erweckt werden. So entstehen bereits eine Menge sprachlicher Unterschiede und Formen, denen keine logischen entsprechen."

Wenn alle Verben Nominalthemen hätten, wie  es  donnert, es wintert, so bedürften wir keines  ist.  ( es ist Sommer  usw.).

Erster Artikel
[Fortsetzung]

C.

Aber  schwierig  freilich mag diese Betrachtung sein und gerne gäben wir dem Rat Gehör, das schwierige Geschäft zu umgehen, wenn es sich umgehen ließe.

Man hoffte an der Syntax der Sprachen, namentlich an derjenigen der fortgeschrittensten, ein teures Bild vom Bau unserer Gedankenwelt, an den grammatischen Kategorien ein Gegenstückt der logischen, zu besitzen. So war z. B. TRENDELENBURG im Anschluß an den von ihm verehrten KARL FERDINAND BECKER dieser Anschauung günstig, freilich ohne sie streng festzuhalten. Bestände aber eine solche Parallelität zwischen den Formen des Gedankens und den Wendungen der Sprache oder wäre sie von vornherein mit Grund zu erwarten, dann möchte es allerdings geraten erscheinen, die Beschreibung des Urteils auf eine Beschreibung der Aussage zu bauen. Sinnliche Eindrücke, Empfindungsinhalte, wie es die sprachlichen Zeichen sind, werden ja viel leichter bemerkt und unterschieden, als psychische Phänomene, die wir nie, während sie gegenwärtig sind, sondern stets bloß in ihren lückenhaften und abgeblassten Gedächtnisbildern beobachten, d. h. zum Gegenstand konzentrierter Aufmerksamkeit machen können. (1) Jedermann muß darum fühlen, wie vorteilhaft es wäre, wenn für die mühselige und vielen Täuschungen unterworfene Betrachtung des Urteils sich eine Analyse der sprachlichen Ausdrücke substituieren ließe.

Allein ganz offenbar sind die Gründe, die von vornherein die Hoffnung zerstören, in irgendeiner zuverlässigen Weise Logik auf Grammatik bauen zu können. Nicht ein Parallelismus, sondern mannigfache Diskrepanz ist zwischen grammatischen und logischen Kategorien zu erwarten angesichts der vielfachen Zwecke, denen die Sprache zu dienen hat und der eigentümlichen Art ihrer Entstehung.

Einmal ist die Sprache nicht bloß Ausdruck unserer Urteile, sondern ebenso sehr unserer Gefühle und Interessen, Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen usw. Bloß das ist zuzugeben, daß, da diese Phänomene auf unseren Vorstellungen und Urteilen beruhen, die Sprache naturgemäß unsere Gemütsbewegungen größtenteils durch eine Angabe jener Bedingungen näher charakterisiert, auf welchen ihre Eigentümlichkeit beruth. Der Ausdruck von Urteilen ist darum sehr allgemein in dem des Willens und der Gemütsbewegungen als Bestandteil enthalten, aber es wäre natürlich verkehrt, ihn damit zu identifizieren. Nicht alle Sätze sind Aussagen, wie PRANTL meint. Wunsch-, Befehl-, Fragesätze (2) wollen Gefühle und Entschlüsse, nicht bloße Urteile, kundgeben und in anderen erwecken.

Auch das ist nicht zu vergessen, daß oft einer wirklichen Aussage  nebenher  den Ausdruck eines Gefühls beigemischt ist. Hierher gehört der Unterschied von höflichem und beleidigendem, anständigem und unanständigem, unzartem und euphemistischen [beschönigenden - wp] Ausdruck usw. Denn nicht bloß an Ton und Gebärde, sondern, wie man weiß, auch an das geschriebene Wort sind ein für allemal solche Unterschiede geknüpft. Wer nur auf das kundgegebene Urteil sieht, der wird (wie es die Stoiker taten) den anständigen und unanständigen Ausdruck für synonym oder wenigstens äquivalent erklären. Beide sprechen von derselben Tatsache. Allein in Wahrheit und ihrer Gesamtfunktion betrachtet, sind sie nicht gleichwertig wegen der Verschiedenheit der Gefühle, die durch den einen oder anderen kundgegeben und im Hörer erweckt werden.

So entstehen bereits eine Menge sprachlicher Unterschiede und Formen, denen keine logischen entsprechen.

Aber wir verfolgen in der Sprache nicht bloß den Zweck, neben den Urteilen auch Gefühle und Willensentschlüsse zu erwecken, sondern auch das Vorstellungsleben zu bereichern und zu verschönern. Was anfänglich nur der Notdurft diente, wird in echt humaner Weise später in den Dienst des Schönen gezogen. Die Schönheit der sprachlichen Darstellung liegt teils im gefälligen Wechsel, in Wohlklang und Rhythmus des Sprachlauts an und für sich, teils in den Vorstellungen, welche durch Gewohnheit mit ihm assoziiert sind. Auch  dieses  Bestreben erzeugt aber Wendungen, die schlechtweg betrachtet mannigfach verschieden, logisch dagegen identisch oder wenigstens äquivalent, d. h. Ausdruck desselben oder eines gleichwertigen Urteils sind. Was sie unterscheidet, dient der angenehmen Beschäftigung der Phantasie, dem ästhetischen Vergnügen.

So ist schon durch die Mehrheit der Zwecke, denen die Sprache dient, der Parallelismus von Logik und Grammatik vielfältig gestört. Doch nicht genug. Sollte sich der Logiker auf die Sprache verlassen können, so müßte sie nicht bloß ausschließlicher, sondern auch allseitiger, fehlerloser und systematischer Ausdruck des Urteilens sein. Wir müßten voraussetzen, daß den Sprachbildnern die  vollständige  Tafel der Unterschiede des Urteils vorschwebte, die den Logiker interessieren können und daß sie dabei nirgends  Identisches  für verschieden und Verschiedenes für gleich hielten. Und  planmäßig  mußte für dieses System von Unterschieden ein entsprechendes System von sprachlichen Bezeichnungsmitteln gebildet werden. Aber natürlich hat in Wirklichkeit nicht ein Logiker und Grammatiker die Sprache ersonnen, sowenig als etwa der Staat die Erfindung eines Philosophen oder Juristen ist. Überhaupt ist die Sprache nicht das Werk eines Einzelnen, so daß dieser sie den anderen gelehrt oder daß er als Bauführer dem Werk vorgestanden hätte, während jene etwa nur Handlangerdienste taten. Es war ein unvollkommene Psychologie, ungeübt in der Unterscheidung der verschiedenen Formen und Stufen seelischer Tätigkeit, die sich mit solchen Kategorien an die Erklärung jener Werke machte, die man mit besserem Recht Erzeugnisse der Völker genannt hat. Aber freilich darf nun auch dabei unter Volk und Volksgeist nicht eine mystische und nebulöse Einheit, eine  vis occulta  verstanden werden, sondern eine  Vielheit  leibhaftiger Individuen, nur unter ähnlichen Lebensbedingungen in verwandter Sinnesart sich entwickelnd. Diese Vielheit von Menschen haben gleich selbständig, jeder nur vom momentanen Bedürfnis der Verständigung geleitet, ihr Scherflein zum Sprachschatz beigesteuert und damit ist schon jede Art planmäßiger Berechnung bei der Arbeit des Sprachbaus ausgeschlossen. (3) Jeder einzelne Baustein wurde durch eine gewisse psychische Arbeit beigetragen, aufgrund von Erfahrungen und Analogien und insofern mit Bewußtsein, aber keiner der Beitragenden hatte eine Vorstellung vom endlichen Resultat, an dem er mitarbeitete. Wie man vielfach eine Sprache mit Sicherheit gebraucht, ohne von ihrem Bau, seiner Gliederung und den verschiedenen Obliegenheiten seiner Teile ein Bewußtsein zu haben, so ist die Volkssprache auch gebildet worden. Es blieb den nachkommenden Grammatikern überlassen, am fertigen Werk eine Übersicht über seine Teile und deren Funktionen zu gewinnen und für sie und die beim Bau unbewußt befolgten Methoden und Stilweisen gut oder schlecht einen abstrakten Ausdruck zu finden.

Die notwendige Folge dieser planlosen Entstehung ist aber, daß jede Sprache bald Überfluß, bald Mangel und neben stückweisen Analogien vielfältige Anomalien aufweist. Auch darum kann sich der Logiker auf die von ihr ausgeprägten Formen und Kategorien nicht verlassen.

Und wenn nun von den aufgezählten Momenten jedes für sich allein schon genügend wäre, um die Parallelität zwischen dem Denken und der Sprache in Frage zu stellen, so läßt sich abnehmen, wie wenig, das sie tatsächlich alle zusammenwirkten, zu erwarten ist, daß die Sprache das Denken getreu widerspiegle und der Logiker sich etwa getrost auf eine Analyse der Satzformen statt der Urteile verlassen könnte.

Eine Betrachtung des Denkens unabhängig von der Sprache erscheint also dringend empfohlen.

Wir versuchen sie im Folgenden bezüglich des Gedankens, welcher die Bedeutung der sogenannten impersonalen Sätze ausmacht.


II.
Beschreibung des Gedankens,
welcher den impersonalen Sätzen zugrunde liegt.

Allgemein ist man einig darüber, daß der betreffende Gedanke keine bloße Vorstellung, sondern ein Urteil sei. Nach der gewöhnlichen Anschauung aber unterscheidet sich das Urteil dadurch von einer bloßen Vorstellung, daß es ein  zusammengesetzter Gedanke  ist, eine Verknüpfung oder Beziehung zweier Begriffe, eines Subjekts und Prädikats.


A.

Hören wir zunächst, wie man in Übereinstimmung mit dieser Voraussetzung von dem in den Impersonalia ausgesprochenen Gedanken Rechenschaft zu geben suchte.

Es geschah nicht in einheitlicher Weise.

Die einen, und hierher gehört die große Mehrzahl der Logiker und Grammatiker,  vindizieren auch dem Impersonale ein Subjekt.  Der Name Impersonale wäre also unberechtigt. Nur  scheinbar  fehlt das Subjekt. In Wahrheit ist eines vorhanden, wird aber aus besonderen Gründen leicht verkannt oder übersehen.

Die anderen dagegen sind der Ansicht, daß  kein Subjekt gegeben sei  und gar nicht nach einem solchen gefragt werden könne.

I. Wer ein Subjekt für die impersonalen Sätze sucht und zu finden glaubt, der bezeichnet als solches entweder einen  universellen  (unbestimmten)  Begriff  oder aber einen  individuellen  (bestimmten). Ein Drittes ist offenbar nicht denkbar. Würde einer etwa sagen, das Impersonale habe weder einen bestimmten noch unbestimmten Begriff zum Subjekt, sondern das Subjekt sei "unbestimmt gelassen", so könnte das nur entweder heißen, der Satz selber lasse das Subjekt unbestimmt oder aber es gelinge dem Grammatiker oder Logiker nicht, eines anzugeben, zu bestimmen, was nach dem Gedanken des Sprechenden Subjekt sei. Das Letztere wäre kein Mangel des Subjekts, sondern ein Mangel der Theorie. Das Erstere aber würde nichts anderes als das Zugeständnis sein, daß der Gedanke des Impersonale  kein  Subjekt involviere.

Ein unbestimmter oder bestimmter Subjektsbegriff sind also die einzigen Möglichkeiten. Die erst läßt aber wieder Modifikationen zu. Nach den einen ist der unbestimmte Begriff, welcher das Subjekt bildet,  im Verbalstamm  angedeutet, nach anderen ist er  anderswoher  zu ergänzen.

1. Es gehört in die  letztere Kategorie,  wenn manche bei "es fehlt an Geld" substituieren: "Geld fehlt". Doch soll uns ein solches, offenbar unwissenschaftliches Verfahren, welches für eine einheitliche grammatische Erscheinung eine beliebige Vielheit von Erklärungen herbeiruft, nicht länger aufhalten.

Die Philosophen fühlten das Bedürfnis nach einer Interpretation, die alle Fälle umfaßt und so meinen denn fast alle neueren Logiker, das Subjekt der sogenannten Impersonalia sie der unbestimmte Begriff  etwas  oder ein ähnlicher. So sagt z. B. ÜBERWEG: "Niemals kann einem Urteil und Satz das Subjekt völlig fehlen, wohl aber kann die bestimmte Subjektsvorstellung fehlen und stattdessen das bloße Etwas (es) eintreten. In  es  (soviel als  etwas)   ist ein Gott, es gibt einen Gott  tritt die unbestimmt vorgestellte Totalität des Seienden oder ein unbestimmter Teil derselben als Subjekt ein, gleichwie auch in den Sätzen: es regnet, es schneit usw." (4)

Ähnlich lehrt LOTZE: "Wer ein impersonales Urteil ausspricht, betrachtet den bestimmten Inhalt als haftend an einem unbestimmten Subjekt. Das  Es  in  es blitzt  bezeichnet den allumfassenden Gedanken der Wirklichkeit, die bald so, bald anders gestaltet ist." (5)

Auch PRANTL meint, wenn man um jeden Preis eine Antwort auf die Frage haben wolle, wer denn jenes "Es" in "Es blitzt" und dgl. sei, "so dürfte es das einzig Vernünftige sein, daß die unbestimmte Allgemeinheit der Wahrnehmungswelt das Subjekt aller derartigen Sätze sei." (6)

BERGMANN zitiert diese Angaben beifällig. Aber während PRANTL mit LOTZE (7) die Bemerkung, der Sinn von "Es blitzt" sei "Blitzen ist", als sehr ungeschickt abweist, gesteht ihr BERGMANN doch gleichfalls Berechtigung zu. Nach ihm liegen den sogenannten Impersonalia wirkliche Existentialurteil zu Grunde und nur zugleich  "der Versuch,  die Welt als Subjekt und das existierende Ding als ihre Beschaffenheit zu denken." (8)

Auch WUNDTs Auffassung scheint hierher zu fallen. Unkenntnis des Subjekts (d. h. wohl Mangel einer genaueren Kenntnis, die über das "Irgendetwas hinausginge) ist nach ihm der Grund der fraglichen Sätze. Aber er verwirft ihre Bezeichnung als subjektlose. (9)

Von Grammatikern hört man häufig die Behauptung, unser "es" oder dessen Äquivalent beim Impersonale bezeichne "etwas nur Andeutbares, Unbekanntes oder Geheimnisvolles" (10)

STEINTHAL führt in einer Anzeige der ersten Auflage von MIKLOSICHs Schrift aus: Jedes Verbum sei Prädikat. Als solches weise es aber auf ein Subjekt hin. Doch treibe die Sprache hier ein schönes Spiel, indem sie zwar auf ein Subjekt hinweise, es aber nicht aufweise. "Das Impersonale bezeichnet eine Handlung als eine solche, deren Subjekt als geheimnisvoll oder unbekannt nur angedeutet wird. Die Sprache kann nicht anders als auch in solchen Fällen zur Handlung ein Subjekt setzen; aber sie setzt hier eines, das man nicht denken kann oder denken soll" (11) (d. h. wohl: in größerer Bestimmtheit nicht? Denn mit schlechtweg Undenkbarem operiert die Grammatik nicht, bemerkt MIKLOSICH gewiß mit Recht).

Dies nennt STEINTHAL, freilich die bloß  grammatische  Betrachtung der Erscheinung. Die  logische  wird davon getrennt und soll zu einem anderen Resultat führen. In ähnlicher Weise trennte er schon früher (12) logische und grammatische Betrachtung. Doch würde man irren, wenn man danach erwartete, er betrachte die Unterscheidung von Subjekt und Prädikat etwa als eine rein sprachliche Angelegenheit, die nur den Satz, nicht das Urteil betreffe. Vielmehr liegt die Voraussetzung, daß Subjekt und Prädikat dem Urteil durchaus wesentlich seien, stillschweigend seinen Ausführungen allerorten in seinen Schriften zugrunde und wird hier (Seite 237) gegen MIKLOSICH auch ausdrücklich formuliert. (13)

Die Frage, ob irgendwo ein Subjekt gegeben sei oder fehle, ist also auch nach STEINTHAL eine solche, die das Urteil betrifft (ich würde sagen eine logische) und wir müssen ihn den erwähnten Logikern beigesellen, die dem im Impersonale ausgedrückten Urteile ein unbestimmtes Subjekt vindizieren [aneignen - wp].

2. Die Ansicht,  daß das Subjekt der sogenannten Impersonalia im Stamm des Verbums zu suchen sei,  hat wieder eine doppelte Fassung erfahren. Nach den einen ist der Sinn von  curritur  [sich rasch bewegen - wp]: cursus curritur [sich laufend rasch bewegen - wp] Dasselbe Begriffsgebiet soll also Subjekt  und Prädikat  liefern.

Allein man sieht sofort, daß es unmöglich ist, überall eine res verbi, ein mit dem Verbum verwandtes nomen, zu jenem vernünftig hinzuzuergänzen: Sage ich: es geht mir gut, wer wird ergänzen wollen: das Gehen oder das Gutgehen geht mir gut?

Man ist also wieder gezwungen, nach Umständen von diesem Erklärungsprinzip zu anderen abzuspringen und gibt eine wissenschaftliche Behandlung auf.

Dagegen verspricht eine andere Auffassung einheitliche Durchführung,  die  nämlich, daß die Verba impersonalia als sujets conjuges oder Existentialsätze gefaßt werden, deren Prädikat nicht der im Verbalstamm enthaltene Begriff, sondern derjenige der "Existenz" wäre.

Eine solche Anschauung ist, wie ich aus MIKLOSICH ersehe, ausgesprochen in den Notions élémentaires de grammaire comparée von EGGER (Seite 84). Danach wären die Verba Impersonalia als sujets conjugés anzusehen. Es nimmt gewissermaßen, sagt man, das Nomen eine Verbalendung an und wird konjugiert. Und in der Tat; wenn alle Verben Nominalthemen hätten, wie "es donnert", "es wintert", so bedürften wir keines "ist" ("es ist Sommer" usw.).

In neuerer Zeit hat STEINTHAL diese Anschauung, daß die Impersonalia als Existentialsätze zu fassen seien, mehrfach ausgesprochen. Es ist die diejenige Auffassung, die er vom Standpunkt der von ihm sogenannten  logischen  Betrachtung für die richtige hält. "Logisch betrachtet" sei "Es friert" soviel wie "Frieren ist". Man habe oft ein Subjekt vor sich, dem die Existenz als Prädikat zugeschrieben wird, wie auch z. B. beim Sätzchen "Es sind Menschen." (14)

Auch von BERGMANN hörten wir oben, den Impersonalien lägen in Wahrheit Existentialsätze zugrunde.

3. Die Meinung,  daß  bei den Impersonalia ein individuelles Subjekt vorliege, gehört SIGWART an. (15) Er glaubt nämlich, daß darin bloße Benennungsurteile über individuelle Eindrücke ausgesprochen seien.

Was unter einem "Benennungsurteil" gemeint ist, sagt SIGWART nicht mit wünschenswerter Klarheit und Konsequenz. Seite 62 bezeichnet er nämlich als "Bennenungsurteil ein solches, dessen Inhalt eine Benennung ausmacht und das ist die nächstliegende Erklärung, auf die wohl jeder verfällt. Die Behauptung, daß ein größere oder geringerer Kreis von Menschen einen gewissen Gegenstand so oder so benenne, z. B. dies (diese Blume) heißt eine Primel, ist gewiß im eigentlichsten Sinne als Benennungsurteil zu bezeichnen.

Allein das ist es doch nicht, was nach SIGWART in dem Sätzchen: "es regnet" ausgesprochen werden soll. "Wären ja auch sonst: il pleut, pluit [es regnet - wp] usw. ebensoviele neue Wahrheiten.) Und als  Beispiel  von Benennungsurteilen führt SIGWART denn vielmehr Sätze an wie: Diese Blume  ist  eine Rose und der Inhalt dieses Urteils ist keine bloße Benennung. Der Satz besagt nicht dasselbe wie: Diese Blume  heißt  eine Rose. Wenn ich recht verstehe, erkennt auch SIGWART diese Unterscheidung an und ist nicht sie es, die er Seite 80 (Anmerkung) von sich weist durch die Parallelisierung mit der Frage des klugen Kritikers: "woher wissen denn die Astronomen, daß der Stern, den sie Uranus nennen, auch der Uranus ist?" Der Vergleich würde ja auch hier nicht zutreffen. Denn jener Hyperkluge fragt, ob die Gesamtheit der Namensgeber bei einer Benennungsweise im Recht sei, wo sie unmöglich im Unrecht sein kann. Sie kann es nicht, weil es sich um einen individuellen Namen und Begriff handelt, wobei letzterer eben aus den Merkmalen  dieses  Gegenstandes gebildet und dem Namen unterlegt wurde. In einem solchen Fall kann es aber nicht geschehen, daß die Gesamtheit der Namengeber mit sich selbst in Widerspruch komme. Anders, wenn es sich um einen universellen Namen und Begriff handelt. So hat z. B. die Frage, ob etwas nicht bloß ein Hund  heiße  (wie der Seehund) oder ein Fisch (wie der Walfisch), sondern ob ihm auch  der Begriff zukomme,  einen guten Sinn. Denn in diesem Fall konnte nicht bloß der Einzelne mit der Gesamtheit, sondern auch diese mit sich selbst sehr wohl in Widerstreit geraten. Etwas anderes ist also der Satz: das ist Schnee und dieses heißt Schnee. Der erstere ist kein Benennungsurteil im nächstliegenden Sinn des Wortes. (16)

SIGWART verbindet also offenbar (entgegen dem Wortlaut mancher Stellen) mit dieser Bezeichnung einen anderen Sinn und Seite 57 definiert er dann das Benennungsurteil ausdrücklich als ein Ineinssetzen einer Anschauung mit einer innerlich reproduzierten Vorstellung oder unzweideutiger als ein Erkennen (Wiedererkennen), als die Antwort auf die Frage: Was ist das? (Seite 59 und 64). Ob er diesen Vorgang richtig charakterisiert, indem er ihn als "Ineinssetzen einer Anschauung mit einer innerlich reproduzierten Vorstellung" beschreibt, müssen wir hier dahingestellt sein lassen.

Verwandt ist, was ich bei HERBART lese: "Der Ruf  Feuer, Land  bezeichnet "ein bloßes Erkennen des Gesehenen. Der  Anblick  geht voran; die Vorstellung, die er unmittelbar gibt, weckt eine  frühere  Vorstellung, welche mit jener  verschmilzt".  (17)

Genug, daß danach bei SIGWART unter einem Benennungsurteil nicht ein Urteil über bloße Namensgebung, sondern ein Fall wahrer Klassifikation gemeint ist. Nach seiner Ansicht heißt also: "Es blitzt": das ist Blitzen (ein Blitz) oder wie er sich ausdrückt:  "das  blitzt,  das  rauscht", wo mit dem  das  nur der sinnliche Eindruck gemeint sei (während die mit dem angeschauten Objekt sich deckende reproduzierte Vorstellung das Prädikat bildet).

Daß SIGWART dem, was wir eine Klassifikation durch Wiedererkennen nennen würden, den Namen "Benennungsurteil" gibt, hängt wohl damit zusammen, daß Klassifizieren und Benennen häufig Hand in Hand gehen. Aber  nicht immer  tun sie es und das scheint mir ein berechtigtes Bedenken gegen den Sprachgebrauch, den der so verdiente Logiker hier einführt. Es gibt Benennungen, die  kein  Wiedererkennen involvieren. Bei Neubildung von Namen, nicht bloß der individuellen, sondern auch der universellen, seien diese willkürlich oder durch bewußte Metapher, Metonymie [Umbenennung - wp] und dgl. gewählt, liegt der Benennung kein Wiedererkennen, sondern eine Unterscheidung des Neuen vom bisher Bekannten zugrunde.

Auch das Umgekehrte ist denkbar, daß man etwas klassifiziere,  ohne es zu benennen.  Das scheint freilich SIGWART bestreiten zu wollen. Er glaubt, es sei "dem Urteil wesentlich, sich nur im  Aussprechen  des Prädikats zu vollenden", Seite 56. "Es kann zwar," bemerkt er, "Fälle geben, in welchen z. B. ein bestimmtes Objekt wieder erkannt wird, für welches uns das bezeichnende Wort fehlt, und darum der innere Vorgang nicht ausgesprochen werden kann; aber wir betrachten eben darum denselben als mangelhaft und als vollendetes Urteil nur das, in welchem das Prädikat mit der Wortbezeichnung erscheint."

Wir nehmen an, daß SIGWART dabei bloß an das innerliche Aussprechen des Namens denke und nicht auch demjenigen das vollendete Urteil absprechen wolle, der den richtigen Namen im Sinne hat, aber (was ja vorkommt) infolge eines Mangels an Herrschaft über die Bewegungen ihn nicht auszusprechen vermag, oder, sei es wegen eines pathologischen Mangels oder wegen Hineinspielens anderweitiger Assoziationen, unwillkürlich einen unrichtigen ausspricht.

Allein auch das kommt vor, daß einer einen Gegenstand durchaus wiedererkennt und ihm doch aus irgendeinem Grund der Name desselbe gar nicht einfällt. Die Regel ist das freilich nicht. Vielmehr assoziiert sich infolge des öfteren Gebrauchs der Name mit der Vorstellung des Gegenstandes so innig, daß sich diese selten einstellen kann, ohne daß auch der Name in der Erinnerung auftaucht. Man hat darum ein gewisses Recht, die Erinnerung und das Aussprechen des Namens als ein sicheres (und aus anderen Gründen bequemes) Zeichen anzusehen für das Erkennen des Gegenstandes, für das Urteil, daß er es sei. Allein es gibt doch auch andere, ebenso untrügliche Zeichen dafür, wie namentlich das Handeln. Und aus solchen erschließen wir bei anderen (bei uns selbst aber nehmen wir es gelegentlich direkt wahr), daß ausnahmsweise, infolge momentaner oder dauernder, partieller oder allgemeiner Störungen im Gebiet der Wortassoziation, ein Gegenstand vollkommen wiedererkannt und richtig klassifiziert wird, ohne daß man sich gleichzeitig auf den Namen zu besinnen vermag. Dieses Wiedererkennen werden wir solange nicht als "unvollendetes" ansehen, bis nicht bewiesen ist, daß ein bestimmter Name zum  Wesen  und  Begriff  jedes Gegenstandes gehört. Diese Lehre aber wird SIGWART gewiß nicht verteidigen. Dann aber muß er zugeben, daß  das Urteil  nicht bloß keine wirkliche Ausdrucksbewegung, sondern auch nicht die Vorstellung einer solchen irgendwie zu seiner Vollendung braucht.

Wir müssen also dabei bleiben, daß Benennen und Klassifizieren im Sinne des Wiedererkennens nicht ausnahmslos Hand in Hand gehen.

Aber noch etwas anderes scheint SIGWART vorauszusetzen, was ihn vielleicht mit bestimmte, der Klassifikation den Namen Benennungsurteil zu geben. Er glaubt, daß jedes Benennen ein Urteil über den Sprachgebrauch involviere, nämlich die Behauptung, daß mein Sprachgebrauch mit dem allgemeingültigen in Übereinstimmung sei (vgl. Seite 78).

Allein auch dies ist nicht richtig. Der Glaube, daß alle Welt dasjenige "Schnee" nennt, was ich so nenne, ist allerdings die Voraussetzung dafür, daß ich in redlicher Absicht den Satz äußere: Dies ist Schnee. Allein man kann nicht sagen, daß dieses sprachliche Urteil implizit mit behauptet sei. Daß das nicht der Fall ist, dürfte schon daraus hervorgehen, daß es, während ich den fraglichen Satz ausspreche, in gar keiner Weise in meinem Bewußtseins gegenwärtig zu sein braucht. Genug, daß es früher einmal da war und sich aufgrund seiner zuversichtlichen Annahme die  Sprechgewohnheit  gebildet hat, die nun für sich allein wirksam sein kann.

Die Sache ändert sich aber auch nicht, wenn ich, etwas benennend, nun wirklich zugleich ein Urteil über die Richtigkeit des Namens fälle. Dieses Urteil gehört auch dann in der Regel nicht zur  Bedeutung  meiner Äußerung, d. h. es ist nicht das, was man mitteilen will, außer in den seltenen Fällen, wo einer den andern über den Sprachgebrauch belehrt oder sich mit ihm darüber verabredet - Fälle, die bei der volkstümlichen Bildung und Fortpflanzung der Sprache eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Und so hat sich denn überhaupt das Benennen in den seltensten Fällen durch Äußerung eines Benennungsurteils im strengen Sinne, d. h. eines Urteils über den Sprachgebrauch vollzogen oder war mit dem Benennen eine Behauptung über den Namen verbunden.

Die SIGWARTsche Deutung der sogenannten Impersonalia als Ausdruck einer Klassifikation hatte wiederum auch STEINTHAL einmal versucht. Er bemerkt (18), man müsse den Satz: "es blitzt" ebensogut wie den Satz: "es sind Menschen" doppelt fassen, indem er bald ein Qualitäts-, bald ein Existentialurteil enthalten könne. "Jemand erwacht des Nachts. Er sieht eine schnell verschwindende Erscheinung und sagt sich: Es blitzt. hier ist  es  unbestimmtes Subjekt." (Das heißt nach dem obigen: ein individuelles Subjekt.) "Das, was du sahst, ist Blitz. Gerade wie man dem Kurzsichtigen sagt: "das sind Menschen. Das Gesehene ist Subjekt." Auch noch später (19) bemerkt er, die Impersonalia enthielten nur in den seltensten Fällen Existentialurteile, gewöhnlich seien es Qualitätsurteile. Wer sagt "es regnet", wolle vom gegenwärtigen Wetter eine qualitative Bestimmung aussagen.

Doch gleich darauf (a. a. O.) scheint er diese Ansicht zurückzunehmen, indem er erklärt, das im Deutschen dem Impersonale vorgesetzte "es" sei eine Null, eine bloße Verstärkung der Flexionssendung. "Es war eine Abirrung von meiner eigenen Ansicht, wenn ich (Grammatische Logik, Seite 210) dieses  es  als Hinweisung auf die dem Urteil zugrunde liegende Realität faßte. Wäre dies der Sinn des Sprechenden, so würde er  das sagen  oder  dies." 



Dies sind die bemerkenswerten Weisen, wie man, unter der Voraussetzung, daß Subjekt und Prädikat dem Urteil unentbehrlich seien, für den im Impersonale ausgesprochenen Gedanken ein Subjekt zu gewinnen suchte. Wir beginnen, indem wir sie prüfen, mit der eigentümlichen  Ansicht von  SIGWART.

STEINTHAL hat, wie wir eben hörten, gegen sie (und so gegen sich selbst) eingewendet, wenn man durch das "es" auf einen vorliegenden Gegenstand hinweisen wollte, so würde man sagen:  dies. 

Und mit einigem Grund.

Allerdings kann ich mir denken, daß einer zu anderen, die mit ihm zusammen eine Röte am Horizont beobachten, kurz und lebendig sagt: "Es brennt" und dies in seinem Sinn heißt: "Das (was wir sehen) ist ein Brand". Aber STEINTHAL könnte hier mit Grund einwenden, das Urteil des Sprechenden sei in diesem Fall  nicht adäquat durch Worte  ausgedrückt, sondern der ungenaue lautliche Ausdruck müsse durch begleitende Gebärden oder die sprechenden Umstände ergänzt werden. Die letzteren besorgen den Hinweis auf das Subjekt, nicht das Wörtchen "es".

Vollkommen entscheidend gegen SIGWART ist aber, daß die Sätzchen "es blitzt, es brennt" und dgl. jedenfalls nur dann den Sinn von "das ist ein Blitz" usw. haben könnten, wenn ein sinnlicher Eindruck vorliegt, auf den der Sprecher und die Hörenden bereits aufmerksam geworden sind und der nun bloß beschrieben werden soll. Wo aber bleibt diese Zweigliedrigkeit der dem Urteil zugrunde liegenden Vorstellung, wenn ich zu einem in seine Arbeit vertieften Freund ins Zimmer tretend sage: Es regnet, es brennt in der Vorstadt? Nach SIGWART könnte dieser den Satz nicht verstehen, ehe er durchs Fenster sehend das Subjek zu diesem (vermeintlichen) Prädikat erblickt. Und wohin soll er blicken, wenn ich sage: Es spukt wieder einmal in der Türkei, unserem Freund in London geht es besser, es fehlt dem Staat an Geld?

Wenn kein individueller Begriff Subjekt der Impersonalia ist,  ist es vielleicht ein universeller,  sie es ein im Verbalstamm liegender oder ein anderswoher zu ergänzender?

Ich denke, was vorab die  Ansicht von  ÜBERWEG, LOTZE, WUNDT  und die sogenannte grammatische Anschauung von  STEINTHAL betrifft, so möchte wohl nicht  mehr  nötig sein, als sich den Sinn derselben völlig klar zu machen, um von ihrer Unhaltbarkeit überzeugt zu werden.

Wir bemerkten schon, daß, wenn man sich von dieser Seite zuweilen ausgedrückt hat, das Subjekt der Impersonalia sei unbestimmt gelassen, dies nicht heißen kann, es sei fraglich, ob und was für ein Subjekt z. B. zu "es regnet" hinzudenken sei - sonst wäre im Satz eben  kein  Subjekt ausgesprochen - sondern man sei durch ihn angewiesen, einen sehr unbestimmten Begriff, z. B. den des "Etwas", als Subjekt zu denken. "Es regnet" hieße also: Irgendetwas, irgendein Teil der Wirklichkeit, regnet.

Aber offenbar ist das nicht der Gedanke, den wir dabei haben und SIGWART hatte ganz Recht, zu sagen, in solchen Fällen dächten wir auch nicht von ferne an die Frage:  Was  regnet,  was  schneit? Sie hat gar keinen Sinn. Wenn dies aber von der Frage gilt, dann auch wohl von der Antwort: Etwas regnet.

Daher die gewundenen, von ÜBERWEG und LOTZE gegebenen Beschreibungen für jenes dem "es" einzuverleibende Subjekt. Keine unzweideutige Erfahrung bot eben ein solches. STEINTHAL aber, ganz abgesehen davon, daß er unter dem Titel der "logischen Betrachtung" dem Impersonale ein ganz anderes Subjekt vindiziert [unterschiebt - wp], vermag auch bei der sogenannten grammatischen Betrachtung nicht festzuhalten, daß die Flexionsendung beim Impersonale ein wahrhaftes Subjekt involviere. In seiner Zeitschrift, Bd. I, Seite 84 sagt er: "Haben wir es bei den Impersonalien überhaupt mit Verben zu tun, so haben dieselben auch Person oder Subjekt,  und sind diese für unsere gebildetere Sprache eigentlich nicht vorhanden,  so sind sie es wenigstens für das sprachliche Denken und um sie zu suchen, müssen wir uns in die naive Denk- und Anschauungsweise der Sprache versetzen." (20)

Allein es fragt sich sehr, ob die Vorstellungen dieses "sprachlichen Denkens" zur  Bedeutung  der Aussage gehören, nach der hier gefragt ist. Wir kommen hierauf zurück. Aber selbst, wenn man davon absehen wollte, müßte ich doch mit MIKLOSICH einwenden, es komme hier nicht darauf an, ob man irgendeinmal früher ein Subjekt bei den heutigen Impersonalie (oder bei ähnlichen Formeln, möchte ich dazufügen) gedacht habe, sondern "was  gegenwärtig  im Bewußtsein des Sprechenden" (und Verstehenden) sei. Denn jedenfalls handelt es sich im Augenblick um die  Deutung  jener grammatischen Formel, nicht um die  Erklärung ihrer Entstehung.  Und wie viel mehr wissenschaftlichen Wert auch die letztere haben mag, so hat auch die Beschreibung des Tatbestandes ihre Berechtigung. Ist sie ja doch eine unentbehrliche Vorbedingung für die Erklärung und leistet man der letzteren die schlechtesten Dienste, indem man sie voreilig mit der Beschreibung vermengt.

Im  heutigen  Bewußtsein des Sprechenden ist aber kein Begriff vorhanden, auch nicht der eines Unbekannten, Geheimnisvollen oder gar "Undenkbaren", der als Subjekt für das Prädikat Regnen, Blitzen und dgl. bezeichnet werden könnte. Bloß das mag einer zugeben, daß unsere heutige Sprachgewohnheit nicht umhin könne, Zeichen zu gebrauchen, welche unter anderen Umständen ein wirkliches Subjekt enthalten. Aber gibt es nicht auch anderwärts Bezeichnungsmittel, die unter Umständen eine selbständige Bedeutung haben, unter anderen aber bloß mitbezeichnend sind, z. B. das Wörtchen "der" als Demonstrativum und als Artikel?  Das  wollen wir freilich gern untersuchen, wie diese Wendungen zu der veränderten Funktion gekommen sind. Aber mag das Ergebnis der historischen Untersuchung wie immer lauten, es kann nichts ändern am jetzigen Bestand der Sprache und der heutigen Bedeutung des Impersonale.

Da die Bemühung, der Personalendung des Verbums oder dem sie verstärkenden "es" ein Subjekt einzuverleiben, so gänzlich hoffnungslos ist, kann es nicht Wunder nehmen, daß von früh an und immer wieder auch ein anderer Weg eingeschlagen wurde, ein Subjekt zu beschaffen. Ich meine den Versuch, die Impersonalia als etwas ungewöhnliche Existentialsätze zu fassen, von welchen man lehrte, ihr Prädikat (gleichviel ob durch "ist" oder durch eine Flexion am Nominalthema ausgedrückt) sei die Existenz, ihr Subjekt das Nomen oder der Stamm des Verbum. Es sommert = Sommer ist.

Gegen diese Auffassung wendet MIKLOSICH zunächst ein, es gehe nicht an, bei der Beurteilung des grammatischen Wesens eines Satzes demselben einen anderen Satz zu substituieren und das über diesen gewonnene Resultat einfach auf den ersten zu übertragen. Diese Einwendung wäre gewiß berechtigt, wenn es sich um eine rein grammatische Betrachtung handelte. Anders, wenn man, wie hier, die logische Seite eines Satzes, das ihm zugrunde liegende Urteil im Auge hat. Dieses kann natürlich dasselbe sein bei mannigfacher Verschiedenheit des Ausdrucks und  das  eben wird in unserem Fall behauptet. "Es blitzt" sei nur eine andere Wendung für: Ein Blitz ist. In beiden Fällen sei das Subjekt im Stamm "Blitz" zu suchen; das Prädikat dagegen sei die Existenz, einmal durch "ist", das andere Mal durch Flexion ausgedrückt.

Und in der Tat muß man zugeben, daß die Wendung "es sommert" logisch gerade soviel ist wie "es ist Sommer". Aber ich kann der Meinung nicht beipflichten, daß dadurch das Dogma von der Zweigliedrigkeit des Urteils gerettet sei. Es ist völlig irrig, wenn man glaubt, im Existentialsatz sei der Begriff der "Existenz" Prädikat.

Darauf hat auch MIKLOSICH schon in seiner ersten Publikation über die Impersonalia hingewiesen. Er beruft sich auf KANT, welcher bei der Gelegenheit der Kritik des ontologischen Arguments bemerkt, das "ist" im Existentialsatz enthalte keinen Begriff, also kein Prädikat.

Bekanntlich hat auch HERBART energisch betont, man lege den Existentialsatz unrichtig aus, wenn man in ihm den Begriff des Seins für das ursprüngliche Prädikat halte. Die Kopula in "Es sind Menschen" bedeute nur die unbedingte Position. (21)

Vollkommen klar hat BRENTANO gezeigt, daß, wenn wir sagen:  A  ist, dies nicht gefaßt werden kann als Verbindung eines Merkmals "Existenz" mit dem Subjekt  A  ((22). Das geht schon daraus hervor, daß ja Existenz ein Begriff ist, der nur in Reflexion auf das Urteil gewonnen werden konnte. Sagen wir doch von allem "es existiere",  was mit Recht anerkannt wird  und nichts anderes als diese Beziehung auf ein richtiges anerkennendes Urteil, welches über einen gewissen Inhalt gefällt werden kann, ist der Begriff der "Existenz". Daß "existierende" zu einem Subjekt hinzugefügt seinen Begriff nicht bereichere, kann man danach eigentlich nicht sagen und ist KANTs bezügliche Äußerung, obschon auf etwas Richtiges zielend, streng genommen unrichtig. "Existierender Taler" ist ein anderer Begriff als "Taler"; nur ist allerdings der eine mit dem anderen gegeben.

Worauf es ankomt, ist aber, daß "existierend" kein  ursprüngliches  Prädikat, sondern aus der Betrachtung des Urteils abstrahiert ist. Der Begriff kann somit unmöglich bei allen, auch den ersten Urteilen, Prädikat sein, sowenig als das erste Urteil bereits ein Urteil über ein Urteil sein konnte.

Wer also die Impersonalia für Existentialsätze erklärt, hat sie dadurch mit dem Dogma von der Zweigliedrigkeit des Urteils gar nicht versöhnt. Denn der Existentialsatz ist recht deutlich ein solcher, der nicht eine Beziehung zweier Begriffe, eines Prädikats und eines Subjekts, aufweist.

II. Als eine  Ausnahme von der Regel, daß zum Urteil Subjekt und Prädikat gehören,  haben denn HERBART und TRENDELENBURG die Existentialsätze wie auch die Impersonalia zu fassen gesucht. (23)

Beide geben zu, daß in Sätzen, wie "es regnet", "es sind Menschen", nur  ein  Begriff gegeben sei, der an nichts anderes "angelehnt" oder angeknüpft, sondern absolut aufgestellt werde.

Unter den Grammatikern haben K. W. HEYSE (24), JACOB GRIMM (25), MIKLOSICH und BENFEY (26) die Subjektlosigkeit der Impersonalia erkannt.

Die Verba impersonalia, sagt der erste, würde man besser subjektlose Verben nennen. Es gibt nämlich Vorgänge oder Erscheinungen, die (ihrer Natur nach) keinem Subjekt angehören: es regnet. Das "es" nimmt hier nur die  vakante Stelle  des Subjekts ein, ohne einen wirklichen Gegenstand zu bezeichnen. Auch andere Vorgänge, welche in Wahrheit ein Subjekt haben, können so subjektlos aufgestellt werden: "es schlägt vier" (d. h. die Uhr); so besonders passivisch: "es wurde gespielt". Ähnlich erklärt GRIMM, in dem "es" sei "kein leibhaftes Subjekt gelegen, nur der Schein oder das Bild davon".

Natürlich waren unter diesen Forschern, die zu dem Resultat kamen, daß für die Impersonalia kein Subjekt nachweisbar sei, die Logiker dringender als die Grammatiker aufgefordert, sich Rechenschaft darüber zu geben, wie diese Erscheinungen mit der gewohnten Definition des Urteils als einer Beziehung zweier Begriffe in Einklang zu bringen seien.

HERBART meint daher, was das Impersonale ausspreche, sei  "nicht als gewöhnliches  Urteil" anzusehen, es sei "etwas aderes an dessen Platz getreten"; er unterläßt aber, näher zu definieren, was es denn sei. (27)

TRENDELENBURG erblickt darin ein  "unvollständiges Urteil"  oder "ein  Rudiment eines Urteils".  Als Urteil könne der Gedanke darum immer noch gelten, weil auch im vollständigen Urteil das Prädikat der Hauptbegriff sei. "Wir denken in Prädikaten." (28)

Daran rührt vielleicht auch HEYSE, indem er (a. a. O.) bemerkt, durch den subjektlosen Ausdruck entstehe "die einfachste  unvollkommenste  Art der Sätze." MIKLOSICH sucht in seiner früheren Publikation bei HERBART und TRENDELENBURG Rat über die beregte Frage, ohne sich jedoch zwischen ihren Lösungsversuchen zu entscheiden. In der neuesten Arbeit aber lehnt er sie als unbefriedigend ab und macht mit Bezug auf HERBART die zutreffende Bemerkung, wenn man das Urteil auf einer Verknüpfung zweier Begriffe beruhen lasse, dürfe man "es rauscht" und dgl.  gar nicht  als Urteil, auch nicht als ein ungewöhnliches anerkennen. (29)

Ähnliches gilt aber gegen TRENDELENBURG. Mag das Prädikat auch der Hauptbegriff sein: solange zum Wesen des Urteils eine Beziehung zwischen  zwei  Begriffen gehört, wird einer für sich allein in keinem Sinn ein Urteil genannt werden können, außer in einem ganz uneigentlichen, wie man etwa einen Ledigen ein Rudiment eines Ehepaares nennen könnte.

Involviert aber der Satz "Es rauscht" ein wahrhaftes Urteil, dann müssen wir uns, wie MIKLOSICH gegen HERBART fortfährt, nach einer Definition des Urteils umsehen, welche von der Zweigliedrigkeit absieht.
LITERATUR: Anton Marty, Über subjektlose Sätze und das Verhältnis der Grammatik zu Logik und Psychologie, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Leipzig 1894
    Anmerkungen
    1) Vgl. FRANZ BRENTANO, Psychologie I, Seite 42f
    2) Auch LOTZE meint einen Augenblick (wenigstens Seite 61 der Logik), der Fragesatz sei Ausdruck eines Urteils, welches als dritte Klasse neben Bejahung und Verneinung gelten könne. Vgl. jedoch auch Seite 66.
    3) Vgl. meinen "Ursprung der Sprache", Würzburg 1875, Seite 138f, wo auch (119f) untersucht ist, wie trotz dieser Planlosigkeit der Sprachentstehung sich doch ein gewisser einheitlicher Stil des Sprachbaus Bahn brechen konnte.
    4) FRIEDRICH ÜBERWEG, System der Logik, 3. Auflage, Seite 162f. Die Wendung ÜBERWEGs "es" bedeute die Totalität des Seiende, drückt offenbar seinen Gedanken nicht zutreffend aus. Denn die "Totalität des Seienden" ist ein individueller Begriff und kann nicht selbst "unbestimmt gedacht werden". ÜBERWEG meint offenbar das, was er fortfahrend mit "oder" einleitet: "einen bestimmten Teil des uns umgebenden Seins." - Mit ÜBERWEGs Angabe vgl. SCHLEIERMACHER, Dialektik, § 304: "Das primitive Urteil, welches in der Sprach durch das unpersönliche Verbum ausgedrückt wird, setzt bloß die Aktion ohne Beziehung auf ein agierendes Subjekt und auf ein leidendes Objekt, deren Stelle  durch die chaotisch gesetzte Totalität des Seins  vertreten wird."
    5) CARL PRANTL, Logik, 1874, Seite 71. Auch LOTZE muß man entgegenhalten, daß "der Gedanke der alles umfassenden Wirklichkeit" kein unbestimmtes, sondern ein individuelles Subjekt ist. Sollen wir wirklich einen sehr unbestimmten Begriff als Subjekt denken, so heißt "es regnet" etwa soviel wie: Irgendetwas regnet.
    6) CARL PRANTL, a. a. O. Seite 187
    7) LOTZE, Logik, Seite 71. Vgl. jedoch Seite 83, wo etwas anderes gelehrt wird, nämlich daß das impersonale Urteil bloß von einem Inhalt "die Geltung in Wirklichkeit behaupte".
    8) JULIUS BERGMANN, Reine Logik, 1879
    9) WILHELM WUNDT, Logik I, 1880, Seite 155
    10) Vgl. z. B. J. S. VATER, Lehrbuch der allgemeinen Grammatik, Halle 1805, Seite 120
    11) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft IV, Seite 235 - 241
    12) STEINTHAL, Grammatische Logik usw., Seite 200f
    13) "Wer nicht zuvor die Definition umstößt: Das Urteil ist eine Verbindung zweier Begriffe in der Form von Subjekt und Prädikat, kann unmöglich von subjektlosen Urteilen reden. Wer aber hätte diese Definition von Urteil umgestoßen? Wir halten fest: subjektlose Sätze sind unmöglich." Auch bei der von ihm sogenannten logischen Betrachtung der impersonalen Säze gibt er sich dann Mühe, Subjekt und Prädikat für sie zu gewinnen, wie wir noch sehen werden.
    14) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. I, Seite 73f, Bd. IV Seite 237f, Grammatische Logik, Seite 210f
    15) SIGWART, Logik I, 1873, Seite 65
    16) Auch "Dieser ist Sokrates" sagt etwas anderes als: Dieser heißt Sokrates, d. h. Dieser ist ein Sokrates-Genannter. Denn Letzteres kann von Mehreren  im selben Sinne  gelten, Ersteres nicht. "Sokrates" ist ein äquivoker und individueller, "Sokrates-Genannter" dagegen ein eindeutiger, aber universeller Name. - Darum ist auch "Alexandros ist Paris" kein bloßes Benennungsurteil. Ich erwähne das Beispiel, weil SIGWART seinen Inhalt  noch tiefer  stellt, indem er gar meint (Seite 25), in solchen Sätzen seien als Subjekt oder Prädikat nur die  Wörter als solche  gemeint, als Lautkomplexe. Ebenso im Satz: Jagsthausen ist ein Dorf und Schloß an der Jagst usw. Aber wer wird zugeben, daß "Alexandros und Paris" als Wörter oder Lautkomplexe einander gleichzusetzen seien?
    17) HERBART, Psychologie als Wissenschaft II, Seite 186. Vgl. auch LAZARUS, Leben der Seele II, Seite 291
    18) STEINTHAL, Grammatische Logik, Seite 210
    19) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft IV, Seite 238
    20) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft IV, Seite 241. Hier wird gesagt, im Satz "es fehlt an Geld" sei das Subjekt logisch entschieden "Geld", grammatisch "ein angedeutetes, aber als undenkbar angedeutetes Etwas." Streng verstanden heißt das, es werde  kein  Subjekt gedacht. Ebenso wenn STEINTHAL am selben Ort sagt. "Die Sprache treibt im Impersonale ein schönes Spiel, indem sie auf ein Subjekt hinweist, das sich nicht weisen kann oder will."
    21) Vgl. HERBART, Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, 1837, Seite 80). Von HERBART ist offenbar STEINTHAL beeinflußt, wenn er (Zeitschrift für Völkerpsychologie IV, Seite 238) sagt, man habe im Impersonale einen absolut gesetzten Begriff, der als Subjekt gelten müsse, während sein Prädikat nichts anderes sei, als "die logische Tätigkeit der absoluten Setzung". Es ist nur zum Verwundern, daß STEINTHAL so im Gegensatz zu HERBART die Setzung eines Begriffs selbst wieder als einen Begriff (denn Prädikat kann nur ein Begriff sein) betrachtet! HERBART hat konsequent die Existentialsätze als eine besondere Klasse neben den kategorischen unterschieden. KANT hat die Konsequenz nicht gezogen, sondern (ähnlich wie THOMAS von AQUINO) (vgl. Summa Theologica, Q. 16, art. 1) an der Zweigliedrigkeit des Existentialsatzes festgehalten, indem hier nach seiner Meinung  ein Begriff zu seinem Gegenstand in Beziehung gesetzt werde. 
    22) FRANZ BRENTANO, Psychologie vom empirischen Standpunkte, Seite 276
    23) Vgl. HERBART, a. a. O., Seite 80. TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen II, 1840, Seite 142 und 148. Dazu scheint auch LAZARUS (Leben der Seele II, Seite 285f) zu neigen. Er spricht von "Erscheinungen der Natur, welche wir heutzutage und bei uns  als bloße Tätigkeit auffassen  und darum durch impersonale Zeitwörter ausdrücken" usw. Doch vgl. auch Seite 286 die Anmerkung, wonach "es" doch Subjekt wäre, nicht logisches, aber psychologisches und bald "eine allgemeine Wirklichkeit", bald "das nur Andeutbare, Unbekannte oder Geheime" damit gemeint wäre.
    24) STEINTHAL, System der Sprachwissenschaft, Seite 401. Vgl. Lehrbuch der deutschen Sprache II, Seite 16
    25) Wörterbuch III, Seite 1106 - 1112. Danach scheint es mir GRIMMs Ansicht zu sein, daß unsere Impersonalia zwar aus Sätzen hervorgegangen, wo der Begriff eines "Unbekannten", "Geheimen" (vgl. a. a. O.) mit dem "es" gemeint war, jetzt aber bloß gewohnheitsmäßig jene sprachliche Wendung, die anderwärts einen Begriff vertrat, noch gebraucht werde, ohne in Wahrheit diese Funktion zu besitzen. Würde nach GRIMM heute noch ein "Unbestimmtes", "Geheimes" gedacht, so wäre ja ein wahrhaftes Subjekt gegeben. Denn jeder Begriff kann wahres Subjekt sein. GRIMM vermengt dann freilich bei Aufzählung der impersonalen Wendungen diejenigen, die es wahrhaft sind, z. B. es tagt, mit solchen, die ein Subjekt haben, z. B. es folgt, daß - es übt sich, wer Weib und Kinder hat - wie kommt's, daß du so traurig bist. (!)
    26) Göttingische gelehrte Anzeigen II, 1865, Seite 1780
    27) HERBART, Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, 1837, Seite 80
    28) TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen II, 1840, Seite 142 und 148. Wir hörten, daß auch SIGWART dem Prädikat eine Präponderanz [Übergewicht - wp] im Urteil zuschreibt, doch so, daß er glaubt, nur dieses müsse notwendig  sprachlich  ausgedrückt werden. Das Wahre an diesen Bemerkungen wird sich uns später ergeben.
    29) MIKLOSICH, Subjektlose Sätze, Seite 21. STEINTHAL, überzeugt von der Unentbehrlichkeit von Subjekt und Prädikat für das Urteil hat, hat demnach auch, wie wir sahen, nur den Worten, nicht dem Sinn nach HERBARTs Erklärung der Impersonalien und Existentialsätze adoptiert