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MAX SCHINZ
Nikolas Tetens -
Psychologische Aufgaben

[2/2]

"Das Vaterland, der Ort, wo wir erzogen wurden, die Stelle, wo wir uns öfters gut befunden haben, behalten diesen Schimmer noch lange in der Zukunft. Dem Säufer wird auf einige Zeit sein Lieblingsgetränk verleidet, wenn ihm ein Brechmittel durch selbiges beigebracht ist. Allein ein Säufer findet das ihm verleidete Getränk nach einiger Zeit doch wieder schmackhaft. Die Vorstellung vom Vaterland, die Idee von dem Ort, dem Haus, dem Feld, wo die sorgenlose frohe Jugendzeit durchlebt wurde, macht freilich noch einigen Eindruck auf das Gemüt, der seine Ursache in den ehemaligen Empfindungen hat, deren Erinnerung sich mit der gegenwärtigen Empfindung verbindet; aber wenn die letztere so stark rührt, sollte nicht wohl ihre größte Kraft auf das Herz in ihr selbst liegen und daher kommen, weil man empfindet oder sich vorstellt, daß der Aufenthalt daselbst noch jetzt eine Quelle des Vergnügens ist?"


3. Kapitel
Ursprüngliche und
abgeleitete Empfindnisse


1. Über die bloß
tierische Glückseligkeit

Es gibt Empfindungen, deren rührende Kraft ihnen unmittelbar und für sich selbst zukommt; andere Empfindungen sind an und für sich ganz gleichgültige Eindrücke, und nur durch die Verbindung mit fremden Vorstellungen und Empfindungen werden sie rührend, indem die affizierende Kraft sich auf sie überträgt.

Was uns TETENS über die Ausbildungsfähigkeit unserer Empfindsamkeit gesagt hat, muß auch hier berücksichtigt werden. Ehe wir über die Ursprünglichkeit oder Ableitung eines Gefühls urteilen können, müssen wir uns vergewissern, daß das betreffende Individuum die erforderliche Empfänglichkeit für Affektionen und für seine Empfindsamkeit die volle Stärke erlangt hat. Dies hängt davon ab, daß ein gewisser Vorrat von Vorstellungen in der Seele vorhanden ist, auf die der objektive Eindruck wirken kann. Empfindnisse, so hat sie TETENS ja definiert, sind eben Gefühle des Verhältnisses des objektiven Eindrucks zum subjektiven Zustand. Nur wenn wir hierauf Rücksicht nehmen, kann es uns gelingen, ursprüngliche und abgeleitete Empfindnisse richtig zu unterscheiden.

Eben diese Bedingung übersehen nun gewisse Philosophen, die die ursprünglichen oder Grundempfindnisse allein in die  äußeren,  sinnlichen Empfindungen setzen. Diese Hypothese ist aber ebenso einseitig wie jene andere, wonach alle Vorstellungen aus den  äußeren  Sinnen entspringen sollen. Wie TETENS demgegenüber gezeigt hat, daß  unser Denken  Empfindungen erzeugt (1), so bemüht er sich nun um den Nachweis, daß von dergleichen  inneren  Empfindungen auch Gefühle ursprünglich entstehen können.

Hauptsächlich weist TETENS auf HELVETIUS hin, nach dessen System Lust und Unlust den äußeren, sinnlichen Empfindungen des Gesichts, des Gehörs, des Geschmacks, des Geruchs und des Gefühls allein ursprünglich anhaften. TETENS nennt dieses System das "nur etas verfeinerte System  von der bloß tierischen Glückseligkeit des Menschen".  Nach diesen epikureischen Grundsätzen sind die moralischen Empfindungen, das Mitleiden, das Gefühl der Menschenliebe, die Beschäftigung des Verstandes wohl auch mit Lust verbunden; aber diese Lust ist eine nur abgeleitete; ihre Quelle sind die äußeren Empfindungen des Körpers. Eine angenehme äußere körperliche Empfindung muß entweder direkt oder in reproduzierter Weise mit den inneren Gefühlen vergesellschaftet sein und dadurch allein erscheinen uns diese als lustvoll. Ohne diese Verbindung mit körperlicher Lust würden die höheren Gefühle "nichts als eine tote Masse sein".
    "Lebet der Mensch nur vom Genuß dessen, was aus den äußeren Empfindungen in seine Vorstellungen übergeleitet ist, so wird das, was den ARCHIMEDES an seine Betrachtungen fesselte, die innige bis ins Mark der Seele dringende sanfte Lust, die mit dem ungehinderten Fortgang in der Erkenntnis, mit der Nachforschung und der Entdeckung der Wahrheit verbunden ist, die Wollust, die der Menschenfreund fühlt, der den Notleidenden vom Elend befreit hat, welche auch in der Wiedererinnerung das Herz nährt und groß macht; so werden alle diese  intellektuellen und moralischen  Empfindnisse für sich selbst nichts an sich haben, was sie reizend macht." (2)
Wohl haben die Ideen des HELVETIUS den Vorzug größerer Einfachheit. Aber hierzu macht TETENS die treffende Bemerkung,
    "dieser Anschein von Simplizität habe am Ende in einem Mangel des vollständigen Begriffs vom Menschen seinen Grund; ein Mangel, der sich überall findet, wo man diesen vielbefassenden Gegenstand nicht aus mehr als  einem  Gesichtspunkt zu beobachten sucht". (3)
TETENS rügt also mit Recht die falsche Anwendung des Ökonomieprinzips, indem diese den Tatsachen nicht gerecht wird, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird. Auch auf eine Konsequenz dieser Hypothese macht TETENS aufmerksam, die sie zwar nicht widerlegt, aber doch nicht empfehlenswert erscheinen läßt.

Es müßte die "ganze Masse des menschlichen Wohls ohne Zuwachs immer dieselbe bleiben, solange die Summe seiner sinnlichen Ergötzungen und ihre Spuren in der Phantasie dieselbe Größe behalten". (4) TETENS faßt ja bei seiner Abhandlung nicht die menschliche Natur ins Auge, wie sie ansich ist, sondern sie ist ihm eine Größe, die auf Entwicklung angelegt ist. Ihre Selbsttätigkeit, die TETENS gegenüber der Assoziationspsychologie betont, tendiert nach Fortschritt. Von einem solchen Fortschritt aber wäre nichts vorhanden, wenn alle Lust und Unlust in letzter Linie körperlicher Art wäre.
    "Der sinnlichste Mensch zieht die Lust und Unlust unmittelbar aus der Wurzel; der ausgebildete, der geistige genießt sie nicht anders als so, wie es in den Ästen und Zweigen verteilt und schon und schon etwas geschwächt vorhanden ist. Die Wissenschaften und Künste, der Umgang mit den Musen, die Entfaltung der Phantasie und des Herzens gewähren keine neue Lust für uns, die der sinnliche Wollüstling, der die Kunst angenehm zu empfinden versteht, sich nicht in einer viel reichlicheren Masse verschaffen könnte, sofern nicht jene erworbene und entwickelte Fähigkeiten zugleich die Empfänglichkeit der sinnlichen Vergnügungen erhöhen."
Die Lust der moralisch und geistig entwickelten Menschen wäre dann also dem Grad nach sogar schwächer als die der sinnlichen; sie wäre nur eine  reproduzierte  Lust, bei diesem dagegen ein ursprüngliches und direktes Gefühl; höchstens wäre sie bei jenem größer im Hinblick auf ihre Qualität und ihre Dauer, indem der Mensch vielleicht empfänglicher für die Lust würde, die "mehr ausgebreitet und an mehreren Stellen verteilt" (5) wäre. TETENS dagegen nimmt für das Zustandekommen sittlicher Wertschätzungen hauptsächlich eine andere  Qualität  von Lust, nämlich geistige Lust in Anspruch, wenn er auch der sinnlichen Lust ihre Bedeutung und ihren Wert nicht abspricht. Wir sehen somit, daß er in gewisser Hinsicht einen Eudämonismus vertrit, und wir werden sehen, daß er dem eudämonistischen Prinzip ein wichtiges Moment hinzufügt.


2. Beobachtungen über den Unterschied
ursprünglicher und abgeleiteter Empfindnisse

Die Lehre des HELVETIUS setzt voraus, daß alle Gefühle, die sich an innere Vorgänge der Seele anschließen, schließlich von Eindrücken des äußeren Sinns herrühren, von denen sie nur abgeleitet und auf die inneren Vorgänge der Seele übertragen sind. TETENS konstatier nun aber, daß es zwei nicht ganz identische Theorien für eine solche Übertragung der Gefühle gibt. Die eine stammt von HARTLEY.

Der in Rede stehende Vorgang spielt sich nach ihm etwa so ab: Der Mensch sucht anfangs das Geld um des Nutzens und des Vergnügens willen, das er sich dadurch verschaffen kann. Die Vorstellungen derjenigen Dinge, die man für Geld haben kann, verbinden sich mit Lustgefühlen, und diese Vorstellungen und Gefühle wiederum sind alle mit der Vorstellung des Geldes als dem gemeinsamen Mittel hierzu verbunden. Der Mann, dem die Erwerbung dieses Mittels Mühe macht, vergißt die Absicht und verliert sich im Mittel. Die Lustgefühle, die sonst nur mit den Vorstellungen des Zwecks, wozu das Geld dienen soll, sich verbanden, legen sich nun an die Vorstellung des Mittels an. Wenn nun die öftere lebhaftere Vorstellung des Mittels, die um das öfter erneuert und lebhafter gemacht wird, als sie  derselbe  Durchgangspunkt für die Erweckung der unendlich vielen Zweckvorstellungen ist, darum die Vorstellungen von einem Zweck in den Hintergrund drängt, so werden diese doch nicht ganz ausgeschaltet; wenn auch kaum mehr bemerkt werden, so sind sie doch "im inneren Grund der Seele gegenwärtig".
    "Die Assoziation des Vergnügens an der Vorstellung vom Geld ist also immer abhängig von der sie verbindenen Vorstellung der Absicht, und diese Verbindung müßte aufhören, wenn die letztere gänzlich aus der Seele verschwinden würde. Daher sind es auch dieselben Vorstellungen von dem, was man mit dem Geld machen kann, will und wird, und die nämlichen Hoffnungen auf das Vergnügen, das man sich vom Gebrauch desselben verspricht, die noch immerfort die Begierden des Geizhalses reizen und noch immer die Quelle seiner Lust sind, womit er es sich zu erwerben bemüht, so wie sie es das erste Mal gewesen sind. Und wenn nun gleich diese Lust mit der Idee vom bloßen Besitz und mit dem bloßen Anblick des Metalls unmittelbar scheint verknüpft zu sein, so kommt dies nur daher, weil der Gedanke, das Geld zu gebrauchen, unterdrückt wird." (6)
TETENS will dieser Theorie der Gefühlsübertragung durch Assoziation "ihre Wirkung nicht absprechen, die man ihr nach den Beobachtungen zuschreiben muß" (7). "Aber muß deswegen in allen Fällen die rührende Idee gegenwärtig sein, wo sie das erste Mal es hat sein müssen?" (8)

Darum gibt TETENS "in vielen Fällen" der zweiten Theorie, die SEARCH aufgestellt hat, den Vorzug. Nach SEARCH findet  eine eigentliche Übertragung  des Vergnügens von den Zweckvorstellungen auf die Vorstellung des Mittels statt. Das Lustgefühl verbindet sich unmittelbar mit der Idee vom Reichtum
    "und wird dann mit dieser letzteren in solchen unmittelbaren Verbindungen erhalten werden, ohne daß die Vorstellung von der Absicht, die anfangs die Mittelidee war (d. h. diejenige Idee, die das Lustgefühl mit der Vorstellung des Geldes verknüpfte), welche sie vereinigte, nun ferner zwischen ihnen liegen und weiter dazu beiwirken darf". (9)
TETENS erwähnt hier übrigens die Schrift von GARVE über die Neigungen. Hierin findet sich auch scharfsinnig der Grund erklärt,
    "warum die Reihe der Vorstellungen, von der vom Besitz des Geldes an bis zur Idee von dessen Genuß in der Phantasie des Geizigen sozusagen abgeschnitten und die Selle bei der Vorstellung vom Geld, als der letzten, stehen bleibt und Vergnügen, Bedürfnis und Begierde daran heftet. Daran ist auch ein natürlicher Grund im Gesetz der Reproduktion, daß, wenn viele Ideenreihen eine Vorstellung als einen gemeinschaftlichen Punkt haben, auf welchen die Seele bei der Reproduktion kommen muß, wenn sie zu jenen dahinterliegenden Reihen hin will, sie gemeiniglich bei jenem Punkt als bei einem Endpunkt stehen bleibt. Denn eben weil viele verschiedene Reihen fast gleich stark an dieser gemeinschaftlichen Vorstellung anliegen, so kann sie solche nicht alle zugleich erwecken und wird daher aufgehalten und steht still. Es muß die eine oder andere von den nachfolgenden assoziierten Reihen vorzüglich lebhaft sein, wenn die Einbildungskraft ihr weiter nachgehen soll. So ein gemeinschaftlicher Punkt mehrerer Reihen ist die Vorstellung von Geld im Kopf des Geizigen." (10)
Aber weder die Erklärung HARTLEYs noch diejenige von SEARCH befriedigen TETENS. Sie reichen nach ihm beide nicht aus, die Tatsachen vollständig zu erklären.
    "Ich will die Ableitung des Vergnügens wirken lassen, was sie kann, und ihre Macht nicht verkennen, wie die Erfahrung sie zeigt. Die Phantasie ist eine große Zauberin; sie verwandelt dürre Sandwüsten in Paradiese und elende Hütten in Paläste; aber mit großer Einschränkung. Vermag sie deswegen alles?" (11)
Also TETENS ruft die Erfahrung an; sie allein kann entscheiden, ob alle an innere Vorgänge sich anschließenden Gefühle von äußeren Sinneseindrücken und ihren entsprechenden Gefühlen hergeleitet werden müssen oder
    "ob nicht in so vielen Fällen dieser Art eine neue Quelle von Vernügen hinzukommt, die selbst in der Arbeit, im Bestreben und in der Tätigkeit liegt, womit man die Absicht zu erreichen sucht?" (12)
Daß TETENS hier den Weg der Beobachtung einschlagen will, ist bezeichnend. Er hätte sich nämlich auch auf die Analogie berufen können. Er hat das Vorhandensein innerer Empfindung dargelegt (13); können nun diese inneren Empfindungen nicht in dem gleichen Sinn mit Gefühlen verbunden sein, wie es die äußeren Empfindungen sind, nämlich unmittelbar? Hat TETENS nicht ferner noch bewiesen, daß Empfindungen und Empfindnisse sich darin gleich verhalten, daß sie sich auf etwas Gegenwärtiges beziehen, daß sie ein Leiden der Seele und eine besondere absolute Modifikation sind? Daraus würde dann die Folgerung zu ziehen sein, daß die Gefühle, die die inneren Vorgänge der Seele begleiten, ursprüngliche, nicht abgeleitete und reproduzierte, nicht mittelbar, sondern unmittelbar verbundene Gefühle sind. Das gleiche ließe sich auf folgern aus der von BONNET, SEARCH und anderen angenommenen Voraussetzung, der sich auch TETENS in gewisser Hinsicht anschließt, daß alle Empfindungen auch körperliche Veränderungen sind und somit auch die Empfindnisse. Wenn nämlich die inneren Empfindungen
    "für sich selbst und ursprünglich empfindbar sind, so kann ihre Empfindung ein Empfindnis sein (d. h. mit einem ursprünglichen Gefühl verbunden sein) und die letzteren (d. h. die äußeren Empfindungen) besitzen nicht allein diesen Vorzug." (14)
Aber solche Analogieschlüsse möchte TETENS nicht ziehen. Denn auf solche berufen sich eben auch HARTLEY und SEARCH: weil die Übertragung der Gefühle ein Vorgang ist, der öfters stattfindet, so sollen alle höheren Gefühle auf diese Weise erklärt werden. Also für TETENS  und  seine Gegner können Analogieschlüsse in Anspruch genommen werden.
    "Die Möglichkeit ist auf beiden Seiten gleich; die Analogie können beide für sich anführen. Nur die unmittelbare Beobachtung ist der einen günstiger als der andern." (15)
Hierbei macht TETENS noch eine feine Bemerkung. Durch Analogieschlüsse wäre es schließlich leicht noch weiter zu gehen, als SEARCH, HARTLEY und HELVETIUS tatsächlich gehen; man könnte nämlich nur die Empfindnisse für ursprünglich gelten lassen, die sich an die Empfindungen des körperlichen Gefühls und des Geschmacks anschließen; alle übrigen, also die Gehörs- und Gesichtsempfindungen können in abgeleitete Empfindnisse verwandelt werden. "Da würden wir das einfachste System haben, aber gewiß auch das ärmste und einseitigste." (16)

Also die Beobachtung soll entscheiden. Wie bei der Wahrnehmung Phantasie und Dichtkraft mit im Spiel sind und uns doch das Unterscheidungszeichen wahrer Empfindungen nicht ganz entrissen werden kann, ebensowenig wird uns die Fähigkeit ganz fehlen, zu erkennen, ob das Rührende der Empfindung selbst für sich zukommt oder ob es aus einer anderen Empfindung auf sie übertragen wird.

Wenn man die  ursprünglichen  und die  abgeleiteten  Empfindnisse jede besonders genau betrachtet, so zeigen sich doch bestimmte Unterschiede zwischen ihnen. Das Affizierende gewisser Empfindungen oder Vorstellungen kann sich nämlich leicht ändern, ohne daß ihr objektiver Eindruck anders wird. Dies hängt ab von der Intensität der Empfindung, von ihren räumlichen und zeitlichen Verhältnissen, von der momentanen Disposition des Subjekts, von der Oberflächlichkeit oder Gründlichkeit, womit wir uns mit dem Eindruck beschäftigen, vom Reiz der Neuheit oder von der langen Gewöhnung. Einige Veränderung verlangen wir, um nicht stumpf zu werden; aber eine zu große Veränderung tut uns Gewalt an und verursacht Schmerzen (17). Diese leichte Veränderlichkeit des Gefühlstons unserer Empfindungen ist eine allgemein anerkannte Tatsache. Hierbei glaubt jedoch TETENS einen Unterschied beobachten zu können im Grad der Stärke und der Dauer, den die Verbindung eines Empfindnisses mit der entsprechenden Empfindung hat. Ist die Dauer und Stärke dieser Verbindung groß, so glaubt er auf ein ursprüngliches Gefühl schließen zu dürfen, sei es, daß dieses von Anfang an vorhanden war, sei es, daß es durch eine "innerliche Umänderung des Empfindnisses" (18) zustande kam, wobei "das Verhältnis der Eindrücke gegen die Empfindungskraft und also auch das Empfindnisbare in ihnen geändert wird". (19) Ist die Dauer und Stärke einer solchen Verbindung aber gering, so glaubt TETENS darin das Kennzeichen für ein bloß abgeleitetes Gefühl erblicken zu können. Als Beispiel für eine bloße Übertragung der affizierenden Kraft nennt TETENS Folgendes:
    "Das Vaterland, der Ort, wo wir erzogen wurden, die Stelle, wo wir uns öfters gut befunden haben, behalten diesen Schimmer noch lange in der Zukunft. Dem Säufer wird auf einige Zeit sein Lieblingsgetränk verleidet, wenn ihm ein Vomitiv [Brechmittel - wp] durch selbiges beigebracht ist." (20) Allein "ein Säufer findet das ihm verleidete Getränk nach einiger Zeit doch wieder schmackhaft. Die Vorstellung vom Vaterland, die Idee von dem Ort, dem Haus, dem Feld, wo die sorgenlose frohe Jugendzeit durchlebt wurde, macht freilich noch einigen Eindruck auf das Gemüt, der seine Ursache in den ehemaligen Empfindungen hat, deren Erinnerung sich mit der gegenwärtigen Empfindung verbindet; aber wenn die letztere so stark rührt, sollte nicht wohl ihre größte Kraft auf das Herz in ihr selbst liegen und daher kommen, weil man empfindet oder sich vorstellt, daß der Aufenthalt daselbst noch jetzt eine Quelle des Vergnügens ist? ... Wo der letztere Umstand fehlt, da behält das Andenken des Vaterlandes noch wohl einen schwachen Schein von seiner vorigen Farbe; aber das Leben der Idee ist dahin und sie entzückt nicht mehr. Es wird  patria ubicumque bene est."  [Das Vaterland ist da, wo immer man sich wohlfühlt. - wp] (21)
Das dem Säufer durch ein Vomitiv verleidete Getränk, das Vaterland, das uns durch Jugenderinnerungen lieb ist, sind Beispiele für übertragene Gefühle. Daher kann auch die Verbindung eines solchen Gefühls mit der betreffenden Empfindung des Getränks oder des Ortes ein anderes Gefühl auslöst als das von früheren Empfindungen herstammende reproduzierte Gefühl, so muß letzteres weichen.

Reproduzierte Gefühle, so haben wir im letzten Kapitel gesehen sind zwar in ihrer Intensität den ursprünglichen nicht so fern stehend wie die Vorstellungen im Verhältnis zu den Empfindungen. Allein wo ein reproduziertes mit einem ursprünglichen, neu entstandenen durch eine entgegengesetzte Qualität in Konflikt kommt, wird im allgemeinen doch letzteres die Stelle behaupten. Das Unlustgefühl, das sich vom Vomitiv auf das Lieblingsgetränk übertragen hat, muß schließlich doch der eigenen rührenden Kraft dieses Getränks weichen; diese ist stärker und dauerhafter.

Ob ein Gefühl einem Eindruck ansich zukommt oder nur auf ihn übertragen wird, kann man also durch das Kennzeichen seiner Stärke und Dauer erfahren. Bei der allgemeinen Veränderlichkeit des Gefühlstons unserer Empfindungen ist weniger darauf Gewicht zu legen, daß ein Empfindnis einem Eindruck ursprünglich, d. h. von Anfang an zukommt, als darauf, daß es mit ihm stark und dauernd verbunden ist. Übrigens hätte TETENS für die Unterscheidung ursprünglicher und übertragener Empfindnisse mehr auf den Umstand merken solen, ob die betreffenden Gefühle elementarer oder zusammengesetzter Art sind. Darum ist auch das Beispiel von der Liebe zum Vaterland, als einem sehr komplexen Gefühlszustand, nicht glücklich gewählt.

Gelegentlich meint TETENS, man könne es auch durch die einzelne Beobachtung unmittelbar "empfinden"; ob die Lust oder Unlust aus einem gegenwärtigen psychischen Akt oder nur durch Reproduktion entsteht (22). Doch ist ihm dieses Kennzeichen wohl nicht so sicher.

Nun betrachtet TETENS die intellektuellen und moralischen Empfindnisse unter diesem Gesichtspunkt. Wo finden wir eine starke und dauerhafte Vereinigung der Gefühle mit den entsprechenden Eindrücken und wo nicht?

Wo durch Übung eine Tätigkeit leichter vonstatten geht, knüpft sich daran ein Lustgefühl. Dieses Lustgefühl ist seiner Natur nach dauerhaft, wenigstens solange diese Fertigkeit besteht. Mag auch diese Tätigkeit erst um einer andern durch Assoziation mit ihr verbundenen lusterweckenden Vorstellung willen angenehm geschienen haben, so ist sie es jetzt um ihrer selbst willen.
    "Die übertragene Lust ode Unlust hatte die Kräfte der Seele vorbereitet, um die Empfindung genießen zu können, und es trägt sich oft zu, daß diese Empfänglichkeit des Gemüts, die auf eine solche Art durch ein vergesellschaftetes fremdes Empfindnis entstanden ist, sich auf einmal festsetzt und in eine fortdauernde Fertigkeit auf ähnliche Art von einer ähnlichen Sache gerührt zu werden, übergeht. Die Aufmerksamkeit des fähigen Knaben auf sein ABC kann zuerst durch den Kuchen gereizt worden sein, den der Lehrer als eine Belohnung auf das Erlernen gesetzt hat. Aber die einmal so gereizte, gestimmte und auf das Erfassen der Buchstaben gerichtete Vorstellungskraft findet nicht nur diese seine Beschäftigung selbst den Kräften angemessen, sondern behält auch für die Zukunft die eingedruckte Fertigkeit, sich mit gleicher Intension mit dieser Arbeit zu befassen. Alsdann besteht dieser Geschmack auch in der Folge und kann durch jeden neuen glücklichen Fortgang vergrößert werden." (23)
War diese Klasse von inneren Gefühlen wegen ihrer starken und dauernden Verbindung mit den entsprechenden Empfindungen ursprünglicher Art, so verhält es sich umgekehrt, wo eine Idee in der Einbildungskraft mit einer großen Menge anderer unmittelbar verbunden wird. Da wird auch das Band, das sie an jede einzelne bindet, schwächer und unbestimmter.
    "Wenn also ein Vergnügen der Verdruß von einer Empfindung auf mehrere gleichgültige Empfindungen übertragen wird, so kann es mit diesen einzeln genommen nur in einem schwachen Grad vereinigt sein und öfters von der einen oder andern getrennt werden." (24)
TETENS hat hier wohl Fälle im Auge, wo, wie er sagt, "die innere Heiterkeit der Tugend und Weisheit sich über alles verbreitet, was um den Menschen ist." (25)

Für solche Gefühle besteht die Erklärung von HARTLEY und der Assoziationspsychologie zu Recht.


3. Es gibt innere Empfindnisse und
darum eine geistige Lust.

Welches sind nun die ursprünglichen Empfindnisse? Der Zeitordnung nach, in der sie auftreten, kann man zwei Klassen unter ihnen unterscheiden. Die  ersten  sind diejenigen, die sich an  körperliche äußere Empfindungen  anschließen.
    "Gefühl und Geschmack sind beim Kind die Sinne, deren Empfindungen zuerst angenehm oder widrig sind. Es beweist sich dieses in ihren Bestrebungen, sich von einigen Dingen zu entfernen und anderen sich anzunähern." (26)
Der Geruch ist schon viel gleichgültiger. "Auf die Eindrücke, die das Gehör und das Gesicht empfangen, wird das Kind schon mehr durch die Amme von außen her aufmerksam gemacht" (27), bis es unter ihnen, durch sympathische Empfindnisse gereizt, eine Auswahl trifft.
    "Das innere Selbstgefühl, das Gefühl eigener Tätigkeiten der Phantasie, der Denkkraft, des Herzens usw., also die  zweite  Klasse von Empfindungen, entwickelt sich zwar zwischendurch mit den äußeren Sinnen, aber es ist doch immer sozusagen um einen Schritt zurück." (28)
Noch mher als bei den feineren Empfindungen der äußeren Sinne muß das Gefühl durch gewisse Hilfsmittel auf sie hingelenkt werden.
    "Man muß es dem Kind noch öfter sagen und vollausgedruckt sagen, mit Mienen, Gebärden und Handlungen es sagen, daß es sein Vergnügen ist, etwas zu lernen, eine Wollust andere Menschen vergnügt zu machen und dergleichen, um seine Anlage zu den intellektuellen und moralischen Empfindnissen anzufachen, und dies muß ihm mehr und öfter gesagt werden, als es nötig ist, ihm auf dem Klavier vorzuspielen, und zu bezeugen, daß es ergötzt, um ihnen einen Geschmack an Musik beizubringen. Aber in der Folge bemerkt man, in dem Maß, wie die innere Tätigkeitskraft der jugendlichen Seele zunimmt, eben eine solche Unterscheidung zwischen den  inneren  Empfindnissen, einen Hang zu gewissen Spielarten und Ergötzungen mehr als zu anderen, eine Liebe zu gewissen kleinen Geschäften, Absichten, zur Ausführung der kindischen Einfälle, und zu gewissen geflissentlichen Tätigkeiten und Arbeiten der vorstellenden und denkenden Kraft, und eine ähnliche lebhafte Auskiesung der einen Art vor der andern, wie sich solches bei den äußeren Empfindungen verraten hat." (29)
Die inneren Empfindnisse sind also  für sich  ursprüngliche Empfindnisse,  eigene  Quellen von Lust und Unlust. Gegenüber jener Hypothese des HELVETIUS und anderer, wonach
    "alles Vergnügen der Menschen für ein sinnliches, körperliches Vergnügen erklärt wird, das nur in dem Sinn ein geistiges und moralisches genannt werden kann, weil es sich in die höheren moralischen Vermögen und Tätigkeiten der Seele eingesogen und an ihnen angelegt hat",
weist TETENS auf die mannigfaltigen Beschäftigungen der Menschen, der Philosophen, des Dichters, des Künstlers, des Landmannes, des Handwerkers, von denen jeder an seiner eigenen Art von Beschäftigung Freude empfindet.
    "Wie mannigfaltig, wie verschieden sind nicht diese Vergnügungen! Alles diese Arte von Lust und Unlust sollten nichts sein als die Lust und Unlust, die mit den Eindrücken auf das Gefühl und auf den Geschmack verbunden und von diesen auf jene übertragen sind?" (30)
Mit dem Nachweis einer geistigen Lust, die qualitativ von der körperlichen verschieden ist, aber der körperlichen Lust gegenüber später auftritt, hat TETENS der Moralphilosophie einen großen Dienst erwiesen. Dieser Nachweis einer geistigen Lust ist zu wenig beachtet worden. Wenn TETENS diese Gefühle als moralische bezeichnet, so bleibt er hier allerdings die Rechenschaftsablegung darüber noch schuldig, wie diese Gefühle moralischen Charakter erhalten. Er unterläßt es auch hier, zu zeigen, wie es zu einer höheren Schätzung der geistigen Lust gegenüber der sinnlichen kommt. (31)


4. Kapitel
Über die rührende Kraft der Empfindungen
und der Vorstellungen


1. Die Empfindung und ihre rührende Kraft

Für den Moralphilosophen ist es eine wichtige Frage, "ob das Rührende in der Empfindung von der Empfindung der Sache selbst getrennt werden kann?" (32)

Hier ist vor allem darauf zu achten, daß eine Verbindung des Affizierenden mit der Empfindung des affizierenden Objekts nur da wirklich stattfindet, "wo von Empfindungen die Rede ist, die  für sich allein  und unmittelbar jene Beschaffenheit, durch welche sie Empfindnisse sind, an sich haben" (33). Es gibt aber auch noch  mittelbare  affizierende Wirkungen: Reproduktionen der Phantasie, wollüstige und fürchterliche Ideen, die sich assoziieren, Leidenschaften und Triebe, die sich anschließen, die ja, wie TETENS früher gezeigt hat, zusammengesetzter Natur sind und von den einfachen, an eine Empfindung sich anlegenden Gefühlen zu scheiden sind. Solche mittelbar verbundene affizierende Wirkungen können entweder zurückgehalten oder es kann ihnen freier Lauf gelassen werden. Der Koch, der die Speise kostet, läßt die Empfindung innerhalb der Grenzen einer objektiven Empfindung auf sich wirken: die Empfindung ist schärfer und feiner als die des Wollüstlings, der sich mehr dem Affizierenden des Eindrucks überläßt.

Nimmt man die Empfindung aber allein für sich, isoliert von solchen Zutaten der Einbildungskraft, so ist zu sagen, daß das Affizierende von der Empfindung nicht getrennt werden kann; es müßte sich schon unsere Empfänglichkeit verändert haben, wie davon im letzten Kapitel die Rede war.

Während der Empfindung kann nach TETENS vom Menschen in vierfacher Art die affizierende Kraft derselben gemildert werden:
    1. Alle Zutaten der Phantasie und der Leidenschaften werden ferngehalten un das Gefühl wird mehr in die Grenzen des bloßen gegenwärtigen Gefühls eingeschlossen.

    2. Die Empfindung kann durch die Denkkraft bearbeitet werden. Sie wird dadurch "gewissermaßen aus der Seele zurückgeschoben", objektiviert. Dies kommt aber für das gewöhnliche Individuum nicht sehr in Betracht.

    3. Durch die Erregung anderer entgegengesetzter Empfindungen können jene ersten Gefühle "überströmt" werden.

    4. Die Empfindungskräfte selbst können gestärkt werden, so daß die Disproportion zwischen ihnen und zwischen den auf sie wirkenden Eindrücken in etwas gehoben und das Gefühl geschwächt wird.
Dies also entsprechend der Theorie von TETENS über den Unterschied der Gefühle und Empfindungen. Aus diesem Grund ist der Punkt hinfällig.

Alle diese diese Wirkungen nimmt man bei heroischen Seelen wahr, während man das Entgegengesetzte bei schwachen und kleinmütigen Personen antrifft.

Zur Aufstellung dieser richtigen Gesichtspunkte war TETENS durch seine bessere Einsicht in das Wesen des Gefühls gegenüber den früheren Philosophen befähigt.


2. Die Vorstellung und ihre rührende Kraft

"Die Affektionen aus den Vorstellungen sind  abgeleitete  Empfindnisse, die ihre Kraft aus den Empfindungen haben, von denen sie in jene übergeht." (34) Wie TETENS diesen Satz im 1. Versuch schon nachgewiesen hat, haben wir erfahren. Er meint, in diesem Sinne könne er mit den Verteidigern des bloß sinnlichen Wohls einig gehen, sofern man unter sinnlicher Lust die direkt empfundene, erstmalig notwendig durch die Sinne vermittelte Lust versteht, wozu auch der  innere  Sinn gehört. Wir haben keine anderen Gefühle in uns als solche, die einmal durch die äußeren oder inneren Sinne in uns erzeugt worden sind, die also ursprünglich  sinnliche  Empfindnisse sind. Aber so meinen es ja HELVETIUS und die andern nicht.

Die rüherende Kraft einer Vorstellung beruth ganz und gar auf derjenigen der Empfindung. Die Empfindnisse aus Vorstellungen bestehen aus den wiedererweckten Spuren der Empfindnisse aus Empfindungen. Ausnahmen hiervon gibt es nur scheinbar. Durch die zufällige Verbindung der Vorstellungen mit andern, die gerade jetzt in der Seele anwesend sind, kann ein Empfindnis abgeändert werden.
    "Man liebt den jetzt, da man ihn verloren hat, den man haßte, da er gegenwärtig war und umgekehrt. Eine Leidenschaft, die das Gemüt beherrscht, unterdrückt die entgegenstehenden schwächeren Empfindnisse ..." "Ein Betrübter findet Nahrung in der Betrübnis." (35) "Ebenso verhält es sich mit den Wiedervorstellungen von den inneren Selbstempfindungen, von unseren Gesinnungen, Entschlüssen, Neigungen, Handlungen und Aufführungen." (36)
Von der Wirkung fremder Ursachen abgesehen, hat jede Vorstellung dasselbe Interesse für uns, das die Empfindung hatte.


3. Verhältnis der Affektion durch Empfindungen
zu derjenigen durch Vorstellungen

Die reproduzierten Gefühle vertreten nach TETENS leicht die wirklichen, oder, wie er sich ausdrückt, "die ideellen Empfindnisse" treten anstelle "der sinnlichen Empfindnisse", indem sie die Triebe und Kräfte der Seele rege machen, spannen und leiten gleich wie letztere es getan haben.

Fragt man nun, welcher Einfluß auf die Seele der größere ist, derjenige der direkten oder derjenige der reproduzierten Gefühle, so ist nach TETENS die Antwort bald gegeben. So gut wie die Herrschaft der Einbildungen (Vorstellungen) ausgebreiteter und stärker ist als die Herrschaft der Empfindungen, wie schon de BUFFON dies betont hat, geradeso gut ist auch die Macht der reproduzierten Gefühle größer als die der ursprünglichen. Richtig ist es ja allerdings, das  einzelne  Gefühl aus der Empfindung ist bei sonst gleichen Verhältnissen stärker als seine Reproduktion. Und insofern ist wohl derjenige  empfindsam  zu nennen, der disponiert ist, von  Vorstellungen  gerührt zu werden, während das wenig heißen will, wenn einer nur durch Empfindungen gerührt wird. So konstatiert TETENS eine zweifache Art von Empfindsamkeit, eine solche, die in der Affizierbarkeit durch Empfindungen und einer solchen, die in der Affizierbarkeit durch Vorstellungen besteht. (37) Allein die unmittelbaren GEfühle füllen die Seele nicht aus; sie sind zeitlich getrennt und stellen sich dar wie "zerstreute Punkte auf einer  Fläche". 
    "Die Einbildungskraft ist es, die jene Empfindnisse ineinander zusammenzieht, zu einem Ganzen vereinigt, die Eindrücke von vielen in einem Haufen zusammenbringt, solche mit jeder einzelnen Empfindung verbindet und sie mit ihrer vereinigten Macht auf jede einzelne Seite des Gemüts wirksam macht. Es sind nicht die Schmerzen aus den Empfindungen, die allein  menschlich  unglücklich oder glücklich machen, es sind die Empfindnisse aus Vorstellungen, die angenehmen und unangenehmen Gefühle, welche in der Form der Vorstellungen in uns vorhanden sind, indem sie sich auf vorhergegangene Gefühle ebenso beziehen, wie all das, was Vorstellung ist, auf andere vorhergegangene Seelenveränderungen; diese sind es, welche an der ganzen Masse der menschlichen Glückseligkeit und Unglückseligkeit den stärksten und wichtigsten Anteil haben." (38)
Wenn man also die Wirkung der Affektion durch Empfindungen mit derjenigen aus Vorstellungen vergleicht, so findet TETENS zweierlei, wodurch sie sich unterscheiden.  Einmal  sind die reproduzierten Empfindnisse, nicht im einzelnen, aber in ganzen genommen, von stärkerem Einfluß auf die Seele als die direkten.  Zweitens  folgt daraus, daß die Empfänglichkeit der Seele für angenehme Empfindnisse weit größer ist als für widrige.

Was die erste Erscheinung anbetrifft, so gibt TETENS  drei Ursachen  dafür an:
    1. das reproduzierte Gefühl ist gewöhnlich  reiner  und mit entgegengesetzten oder fremdartigen Empfindnissen  unvermischter  als die Affektion aus der Empfindung. "Das gegenwärtige Vergnügen auf einer Reise, bei der Tafel, aus der Gesellschaft, bei der Musik etc. ist mit manchen kleineren Unbehaglichkeiten, mit unbefriedigten Verlangen, mit Anwandlungen von Verdruß und Ekel durchmischt. Alle diese kleineren widrigen Empfindungen fallen zum Teil von selbst heraus, zum Teil scheidet sie die Einbildungskraft zumal bei guter Laune davon ab, wenn sie das Vergangene wieder hervorzieht." (39)

    2. "Die Empfindungen entstehen nur nach und nach in der Seele; und so auch die Lust und Unlust, welche sie begleitet. Aber in der Wiedervorstellung sind ganze Reihen von affizierenden Vorstellungen auf einer Stelle in einem Augenblick beieinander." (40) Dieses Phänomen hat ja hauptsächlich HARTLEY hervorgehoben, indem er von der Wirksamkeit dunkel bewußter und unbemerkter Vorstellungen sprach. Daß die Assoziationsexperimente dies bestätigen, wurde schon erwähnt. Genau besehen sind es nicht einzelne Vorstellungen, die in uns wirksam werden, sondern ganze Haufen, die sich aneinander anlegen. Diese Einsicht geht übrigen bis auf BERKELEY zurück. TETENS fügt ihr aber die wertvolle Ergänzung bei, die für das Zustandekommen ethischer Wertschätzungen so außerordentlich wichtig ist, daß nämlich diese Vorstellungen  samt ihren zugehörigen reproduzierten Gefühlen  in der Seele wirksam werden, so daß daraus eine ganz  konzentrierte Lust und Unlust  (41) entstehen muß. Jene zuerst erwähnte Ausscheidung fremdartiger Elemente aus den reproduzierten Gefühlen, wodurch in diesen gleichsam erst ein reiner Ton entstehen kann, vereinigt mit der eben erwähnten Konzentration durch die Vorstellungstätigkeit und - wie TETENS hätte hinzufügen sollen - durch die Bildung von Urteilen macht "die Empfindnisse aus Vorstellungen zu einem abgezogenen, aber starken Geist" (42).

    3. "Hierzu kommt drittens, daß auch die Vorstellungen, als Modifikationen der Seele betrachtet, durch ihre Ordnung, Folge und Übereinstimmung unter sich und durch ihre Beziehungen auf die vorstellende Kraft eine Art von Empfindnissen in der Seele hervorbringen, die sie einzeln und absonderlich genommen nicht bewirken können." (43) TETENS verweist uns auf die Reize der Musik, das Vergnügen aus der Symmetrie, die Erzeugnisse der Dichtkunst, wo die eigenartige  Verbindung  der einzelnen Elemente eine affizierende Wirkung hat, die den Elementen ansich nicht zukommt. Ganz dasselbe geschieht bei zusammengesetzten Gefühlen. Hat uns TETENS bei Punkt 2 ihre Konzentrationsfähigkeit dargetan, so macht er nun darauf aufmerksam, daß bei einer solchen Verbindung von Gefühlen Wirkungen entstehen, die aus den Elementen allein nicht zu erklären, sondern neue Wirkungen sind, die nicht eine Summe, sondern ein Produkt der Elemente sind, nicht nur einen graduellen Unterschied gegenüber den einzelnen Gefühlen bedeuten, sondern einen qualitativen. So zumindest dürfen wir TETENS deuten, wenn er sagt, daß bei solchen Erscheinungen "die affizierende Kraft mehr von der Stellung und Folge der einzelnen Eindrücke abhängt als von der absoluten Stärke und Schwäche der Kraft, die in ihnen, einzeln genommen, vorhanden ist". (44)
Auf diese Wirkung der Verschmelzung von Gefühlen hingewiesen zu haben ist ein Verdienst von TETENS um die Moralphilosophie. Nur hätte er die Sache nicht bei diesen Andeutungen bewenden lassen sollen, sondern uns die Rolle näher charakterisieren sollen, die solche Erscheinungen bei der Entstehung der sittlichen Wertschätzungen spielen. (45)

Eine weitere Wirkung der reproduzierten Gefühle, die sie von den direkten unterscheidet, ist, daß hierbei die angenehmen Gefühle die niedrigen bei weitem übertreffen. Wie kommt es zu dieser auffallenden Erscheinung? Als erste Ursache ist hier wiederum jene Tendenz der Vorstellungstätigkeit anzusprechen, die wir unter 1. schon kennen lernten. Die Phantasie hat die Neigung,
    "da wo die Empfindung selbst gemischter Art ist, durch Weglassen, Unterdrücken, Verdunkeln von einer Seite und durch Hinzusetzen, Erheben, Aufklären von der andern ohne viel Anstrengung die Vorstellungen mehr von dem Unangenehmen zu reinigen und mehr von dem Gefallenden in sie hineinzubringen." (46)
Auf diese Weise können widrige Empfindungen ihre Natur verändern und zu angenehmen Empfindnissen werden. Unfälle und Widerwärtigkeiten sind unangenehm, wenn sie gegenwärtig sind und gefühlt werden, aber ihre Wiedererinnerung ist oftmals eine Wollust.

Eine zweite Ursache davon, daß die reproduzierten Gefühle ihre Natur leicht ändern, und zwar in dem Sinne, daß sie angenehmer werden, liegt nach TETENS darin, "daß die Vorstellungen schwächere und minderstarke Seelenmodifikationen sind als die Empfindungen", (47) "dadurch wird das, was in der Empfindung ein Schmerz ist, in der Vorstellung zum Kitzel". (48)

Beide Ursachen vereinigen sich, um besonders die eigentümliche Erscheinung zu erklären, die uns bei der Sympathie mit einer Unlust oder einem Schmerz entgegentritt.
    "Die aus Mitgefühl entspringenden unangenehmen Empfindnisse, die ein wirkliches  Mitleiden  sind, werden fast durchgehends zu ergötzenden Empfindnissen, wenn man sich ihrer als vergangener wiedererinnert." (49)
Alles Widrige, das der  Wahrnehmung  fremden Leidens anhaftet, hat sich verloren, wenn wir uns an eine solche Situation wiedererinnern. Wir dürfen dabei aber noch darauf hinweisen, TETENS tut es ausdrücklich allerdings nicht, daß sich uns bei den Vorgängen der Sympathie nicht einzelne, bestimmte Situatinen vergegenwärtigen, sondern ganze "Haufen" solcher Vorstellungen und reproduzierter Gefühle auf uns eindringen; dies unterstützt dann das Ausmerzen widerwärtiger Gefühle, die sich an die einzelne Situation knüpfen. Aber auch der Umstand wirkt hier mit, den TETENS zuzweit genannt hat, daß die reproduzierten Gefühle schwächer sind als die ursprünglichen.
    "Die Empfindungen des Mitleidens, die mit der Vorstellung verbunden sind, haben nichts Schmerzhaftes an sich oder doch nur wenig, und gewähren eine geheime Wollust, da wo das Mitleiden aus dem Anschauen des Elenden ein wahrer Schmerz ist." (50)
Diese feinen Bemerkungen von TETENS erklären uns, warum das Sympathieprinzip auch in solchen Fällen das leistet, was es notwendig leisten muß, wenn das Zustandekommen sittlicher Wertschätzungen nicht erschwert werden soll.

Eigentlich sollten wir an dieser Stelle das besprechen, was TETENS vom Mitgefühl oder  Sympathiegefühl  sagt. Da jedoch die Behandlung des Sympathiegefühls sich bei ihm eng an diejenige der Sympathie-Empfindung anschließt, so wäre es unzweckmäßig, hier schon die Besprechung des Sympathiegefühls vorzunehmen. Entweder wäre vieles nicht verständlich, oder dann müßten Wiederholungen stattfinden, die ich mir ersparen will. Ich verweise also auf das 7. Kapitel.
LITERATUR: Max Schinz, Nikolas Tetens - Psychologische Aufgaben, Leipzig 1906
    Anmerkungen
    1) GUSTAV STÖRRING, Die Erkenntnistheorie von Tetens, Seite 138
    2) II. Versuch, Seite 225f
    3) II. Versuch, Seite 227
    4) II. Versuch, Seite 241
    5) II. Versuch, Seite 241
    6) II. Versuch, Seite 227-229
    7) II. Versuch, Seite 227
    8) II. Versuch, Seite 229
    9) II. Versuch, Seite 228
    10) II. Versuch, Seite 230
    11) II. Versuch, Seite 230f
    12) II. Versuch, Seite 230
    13) Natürlich nur nach seinem eigenen Urteil und dem der Zeitgenossen.
    14) II. Versuch, Seite 244
    15) II. Versuch, Seite 242
    16) II. Versuch, Seite 243
    17) II. Versuch, Seite 232f
    18) II. Versuch, Seite 232
    19) II. Versuch, Seite 233
    20) II. Versuch, Seite 234
    21) II. Versuch, Seite 234-235
    22) II. Versuch, Seite 242
    23) II. Versuch, Seite 236
    24) II. Versuch, Seite 237
    25) II. Versuch, Seite 234
    26) II. Versuch, Seite 238
    27) II. Versuch, Seite 238
    28) II. Versuch, Seite 238
    29) II. Versuch, Seite 239
    30) II. Versuch, Seite 240 und 241
    31) GUSTAV STÖRRING, Moralphilosophische Streitfragen I, Seite 60 - 63
    32) II. Versuch, Seite 217
    33) II. Versuch, Seite 218
    34) II. Versuch, Seite 245
    35) II. Versuch, Seite 246
    36) II. Versuch, Seite 247
    37) II. Versuch, Seite 221f; vgl. STÖRRING, Moralphilosophische Streitfragen I, Seite 124
    38) II. Versuch, Seite 248f
    39) II. Versuch, Seite 249
    40) II. Versuch, Seite 250
    41) Ich bediene mich eines Ausdrucks von STÖRRING.
    42) II. Versuch, Seite 250
    43) II. Versuch, Seite 250
    44) II. Versuch, Seite 250
    45) WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Bd. III, Seite 624f und STÖRRING, a. a. O., Seite 151.
    46) II. Versuch, Seite 252
    47) II. Versuch, Seite 254
    48) II. Versuch, Seite 254
    49) II. Versuch, Seite 253
    50) II. Versuch, Seite 254