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GILBERT RYLE
Der Ursprung der
Kategorienverwechslung


Kategorienverwechslung Sowohl Idealismus als auch Materialismus sind die Antwort auf eine falsch gestellte Frage.

Eine der intellektuellen Hauptquellen dessen, was noch als die cartesische Kategorienverwechslung nachzuweisen sein wird, scheint folgendes zu sein: Als GALILEI bewiesen hatte, daß seine wissenschaftlichen Forschungsmethoden imstande waren, eine mechanische Theorie zu liefern, die alles Räumliche erfaßte, da entdeckte DESCARTES in sich zwei widerstreitende Motive. Als ein Mann von genialer wissenschaftlicher Begabung konnte er den Behauptungen der Mechanik nur beipflichten, jedoch als religiöser und sittlicher Mensch konnte er nicht, wie HOBBES, die niederschmetternde Folge dieser Anschauungen annehmen, die menschliche Natur unterscheide sich von einem Uhrwerk bloß durch den Grad der Kompliziertheit. Das Geistige konnte nicht einfach eine Variante des Mechanischen sein.

Er und spätere Philosophen bedienten sich daher des folgenden verständlichen, aber nichtsdestoweniger irrigen Auswegs. Da die Wörter für geistiges Verhalten nicht als die Bezeichnungen von mechanischen Prozessen zu deuten sind, so sind sie also als Bezeichnungen von nichtmechanischen Prozessen zu deuten; da mechanische Gesetze die Vorgänge im Raum als Wirkungen anderer Vorgänge im Raum erklären, müssen andere Gesetze nichträumliche Vorgänge im Geist als Wirkungen anderer nichträumlicher Vorgänge im Geist erklären.

Der Unterschied zwischen jenem menschlichen Benehmen, das wir als intelligent, und dem, das wir als unintelligent bezeichnen, muß ein Unterschied in der Verursachung sein; während also einige Bewegungen menschlicher Zungen und Glieder die Wirkung mechanischer Ursachen sind, d.h. also von Bewegungen kleiner Masseteilchen herrühren, sind andere die Wirkung nichtmechanischer Ursachen, also geistiger Vorgänge.

Die Unterschiede zwischen dem Körperlichen und Geistigen wurden so als Unterschiede innerhalb des gemeinsamen Rahmens der Kategorien  Ding  Material, Eigenschaft, Zustand, Vorgang, Veränderung, Ursache  und  Wirkung  dargestellt. Geister sind Dinge, aber Dinge von anderer Art als Körper; geistige Vorgänge sind Ursachen und Wirkungen, aber Ursachen und Wirkungen anderer Art als Körperbewegungen. Und so weiter. So wie der Ausländer erwartete, die Universität werde ein zusätzliches Gebäude sein, ähnlich wie ein College, aber auch recht anders, so haben die Antimechanisten Geister als zusätzliche Zentren von Kausalvorgängen dargestellt, ähnlich wie Maschinen, aber auch recht anders. Ihre Theorie war eine paramechanische Hypothese.

Daß diese Annahme der Kern der Lehre war, läßt sich daraus ersehen, daß von Anfang an die wechselseitige Beeinflußung von Körper und Geist als große theoretische Schwierigkeit empfunden wurde. Wie kann ein Geistesvorgang wie z.B. das Wollen eine Bewegung im Raum hervorrufen wie z.B. die Bewegung der Zunge? Wie kann eine physiologiesch Veränderung im Sehnerv die geistige Wahrnehmung eines Lichtstrahls verursachen? Dieses notorische Problem allein zeigt den logischen Rahmen, in den DESCARTES seine Theorie des Geistes preßte. Es war ebenderselbe Rahmen, in den er und Galilei ihre Mechanik spannten.

Während er weiterhin unbewußt an der Grammatik der Mechanik festhielt, wollte er den Schiffbruch durch eine Beschreibung des Geistigen in einem Vokabular anwenden, das nur das Gegenstück zu dem der Mechanik war. Beschreibungen geistiger Tätigkeiten mußten mit Hilfe barer Verneinungen der besonderen Körperbeschreibungen vorgenommen werden; sie sind nicht im Raum, sie sind nicht Bewegungen, sie sind keine Veränderungen der Materie, sie sind der öffentlichen Beobachtung unzugänglich. Ein Geist ist nicht ein Stückchen Uhrwerk, es ist nur ein Stückchen Nichtuhrwerk.

So betrachtet, ist der menschliche Geist nicht bloß ein an eine Maschine angespannter Geist, er ist selbst nur eine Geistermaschine. Obwohl der menschliche Körper ein Motor ist, ist er doch nicht ein gewöhnlicher Motor, da manche seiner Drehungen von einem anderen Motor in seinem Innern reguliert werden, wobei dieser vorgeschaltete Motor von ganz anderer Art ist. Er ist unsichtbar, unhörbar und hat weder Größe noch Gewicht. Er kann nicht zerlegt werden, und die Gesetze, denen er gehorcht, sind nicht die, die ein gewöhnlicher Ingenieur kennen soll. Wie er den Körpermotor reguliert, davon ist nichts bekannt.

Die zweite Hauptschwierigkeit lehrt dasselbe. Da nach der offiziellen Lehre der Geist zur selben Kategorie gehört wie der Körper und da der Körper von ehernen mechanischen Gesetzen regiert wird, schien es manchen Theoretikern, als müßten Geister von ähnlichen ehernen nichtmechanischen Gesetzen regiert werden. Die physikalische Welt ist ein deterministisches System, also muß die Geisterwelt ein deterministisches System sein. Körper können die ihnen zustoßenden Veränderungen nicht vermeiden, daher können Geister nicht vermeiden, die ihnen vorgezeichnete Laufbahn zu verfolgen.

 Verantwortlichkeit, Wahl, Verdienst  und  Schuld  sind daher unabwendbare Begriffe - außer man nimmt die Kompromißlösung an zu sagen, die die Geistesvorgänge regierenden Gesetze unterschieden sich von den die Körpervorgänge regierenden durch die freundliche Eigenschaft, nur ziemlich ehern zu sein. Das Problem der Willensfreiheit bestand darin, die Hypothese, daß Geister mit Wörtern aus den Kategorien der Mechanik beschrieben werden müßten, mit der Einsicht zu versöhnen, daß die höheren menschlichen Verhaltensweisen völlig anders sind als die Arbeitsweisen von Maschinen.

Es ist ein Kuriosum der Geschichte, daß niemand die Unhaltbarkeit dieser ganzen Argumentation bemerkt hat. Theoretiker nahmen richtig an, jeder normale Mensch können den Unterschied z.B. zwischen rationalen und nichtrationalen Äußerungen oder zwischen absichtlichem und automatischem Benehmen erkennen. Sonst wäre ja nichts vor der Gefahr des mechanischen Materialismus zu bewahren gewesen. Und doch setzte die Erklärung der offiziellen Lehre voraus, daß ein Mensch grundsätzlich niemals den Unterschied zwischen den rationalen und irrationalen Äußerungen erkennen könnte, die von den Lippen anderer Menschen fallen, da er ja nie Zutritt zu den postulierten nichtmateriellen Ursachen einiger dieser Äußerungen haben kann.

Mit der zweifelhaften Ausnahme seiner selbst könnte er nie den Unterschied zwischen einem Menschen und einem Roboter feststellen. Es müßte also z.B. zugegeben werden, daß, soweit wir feststellen können, das Innenleben eines als schwachsinnig oder verrückt Erklärten ebenso rational sein könnte wie das jedes andern. Vielleicht ist nur sein äußeres Leben unbefriedigend; d.h. also, vielleicht sind sogenannte Schwachsinnige gar nicht wirklich schwachsinnig und "Irre" gar nicht wirklich irre.

Vielleicht sind außerdem einige der als normal Erklärten wirklich schwachsinnig. Nach der Theorie könnten äußere Beobachter nie wissen, wie das von außen beobachtete Benehmen anderer mit ihren geistigen Fähigkeiten und den geistigen Vorgängen in ihrem Innern zusammenhängt, und sie könnten also nie auch nur glaubwürdige Vermutungen darüber anstellen, ob ihre Anwendungen von Begriffen für geistiges Verhalten auf diese andern Leute richtig oder unrichtig waren. Von sich selbst geistige Normalität oder logische Widerspruchsfreiheit zu behaupten, wäre Glückssache oder überhaupt unmöglich, da man ja verhindert ist, seine eigenen Leistungen mit denen anderer zu vergleichen.

Kurz, Leute und ihr Verhalten hätten niemals als intelligent, klug und tugendhaft oder als dumm, heuchlerisch und feige gekennzeichnet werden können, daher hätte also das Problem nie auftauchen können, eine besondere kausale Hypothese als Grundlage für diese Diagnosen zu finden. Die Frage: "Wie unterscheiden sich Menschen von Maschinen?" tauchte gerade deswegen auf, weil ja jedermann Begriffe für geistiges Verhalten verwenden konnte, bevor die neue kausale Hypothese eingeführt wurde. Diese Kausalhypothese konnte also nicht der Ursprung der in diesen Verwendungen gebrauchten Kriterien sein.

Selbstverständlich ist auch unsere Handhabung dieser Kriterien nicht im geringsten Maße durch diese Kausalhypothese verbessert worden. Wir unterscheiden noch immer gute und schlechte Arithmetik, weises und unweises Betragen, Ideenreichtum und Ideenarmut auf genau dieselbe Art, wie DESCARTES es tat, bevor und nachdem er darüber nachgedacht hatte, wie sich die Verwendbarkeit dieser Kriterien mit dem Prinzip der mechanischen Kausalität vereinbaren ließe.

Er hatte die Logik seines Problems mißverstanden. Statt zu fragen, mit welchen Kriterien man intelligentes von unintelligentem Benehmen unterscheidet, fragte er:
"Angenommen, daß das mechanische Kausalprinzip uns den Unterschied nicht verraten kann, welches andere Kausalprinzip kann ihn uns verraten?"
Er erkannte, daß es sich nicht um ein Problem der Mechanik handle, und nahm daher an, es müsse eines sein, das zu einer Art Gegenstück der Mechaniker gehöre. Als dieses Gegenstück wird begreiflicherweise oft die Psychologie ausersehen.

Wenn zwei Ausdrücke zur selben Kategorie gehören, dann ist es zulässig, durch Konjunktionen verbundene Sätze zu bilden, die diese Ausdrücke enthalten. Ein Käufer kann z.B. sagen, er habe einen rechten und einen linken Handschuh gekauft, aber nicht, er habe einen linken Handschuh, einen rechten Handschuh und ein Paar Handschuhe gekauft. "Sie kam heim in einer Flut von Tränen und in einer Sänfte" ist ein bekannter Witz, der auf der Absurdität beruht, zwei Wörter verschiedenen Typs auf diese Weise durch  und  zu verbinden. Die Disjunktion "Sie kam entweder in einer Flut von Tränen oder in einer Sänfte nach Hause" wäre ebenso lächerlich gewesen. Aber das Dogma vom Gespenst in der Maschine tut gerade das.

Es behauptet, daß sowohl Körper, als auch Geister existierten; daß sich physische und psychische Vorgänge ereignen; daß es mechanische und geistige Ursachen von Körperbewegungen gäbe. Im folgenden soll bewiesen werden, daß diese und ähnliche Verknüpfungen absurd sind; mein Beweis wird aber wohlgemerkt nicht zeigen, daß jeder einzelne der auf diese Art unrechtmäßig verbundenen Sätze für sich allein absurd ist.

Ich leugne z.B. nicht, daß sich geistige Vorgänge abspielen. Dividieren von großen Zahlen ist ein geistiger Vorgang und Witzemachen ist es auch. Aber ich behaupte, daß der Ausdruck "ein geistiger Vorgang hat sich abgespielt" nicht dieselbe Art von Behauptung aufstellt wie "ein physischer Vorgang hat sich abgespielt", und daß es daher sinnlos ist, die beiden mit dem Worte  und  zu verbinden.

Ist meine Beweisführung richtig, dann hat das einige interessante Folgen. Erstens wird der altehrwürdige Gegensatz zwischen Materie und Geist aufgelöst werden, aber nicht durch die ebenso altehrwürdige Absorption des Geistes durch die Materie oder der Materie durch den Geist, sondern auf eine ganz andere Art. Denn der scheinbare Gegensatz zwischen diesen beiden wird sich als ebenso ungehörig erweisen wie der zwischen "sie kam in einer Tränenflut" und "sie kam in einer Sänfte". Der Glaube an den polaren Gegensatz zwischen Geist und Materie ist der Glaube daran, daß sie Ausdrücke desselben logischen Typs sind.

Es ist eine weitere Folge, daß sowohl Idealismus als Materialismus die Antwort auf eine falsch gestellte Frage sind. Die Rückführung der materiellen Welt auf Geisteszustände und -vorgänge und genauso die Rückführung der Geisteszustände und -vorgänge auf physische Zustände und Vorgänge setzen die Rechtmäßigkeit der Disjunktion: "Entweder gibt es Geister oder es gibt Körper (aber nicht beides)" voraus. Als ob einer sagen wollte: "Entweder sie hat einen linken und rechten Handschuh gekauft oder sie hat ein Paar Handschuhe gekauft (aber nicht beides)".

Es durchaus zulässig, in einem gewissen logischen Ton zu sagen, Geister existierten, und dann wieder in einem anderen logischen Ton zu sagen, Körper existierten; aber diese Ausdrücke zeigen nicht verschiedene Arten von Existenz an, denn  Existenz  ist nicht ein Gattungswort wie  Farbe  oder  Geschlecht.  Sie zeigen vielmehr zwei verschiedene Bedeutungen des Wortes  existieren  an, etwa so wie das Wort  steigen  in dem Satz "die Flut steigt" etwas anderes bedeutet als in "die Erwartung steigt" oder "das durchschnittliche Sterbealter steigt".

Es wäre ein schlechter Witz zu sagen, daß jetzt also drei Dinge steigen, die Flut, die Erwartung und das durchschnittliche Sterbealter. Es wäre ein ebenso guter oder schlechter Witz zu behaupten, daß Primzahlen, Mittwoche, die öffentliche Meinung und Flotten existierten. In den folgenden Kapiteln will ich beweisen, daß die offizielle Lehre tatsächlich auf einer Reihe von Kategorienverwechslungen beruht, indem ich zeige, daß absurde Konsequenzen aus ihr folgen. Der Aufweis dieser Absurditäten hat die positive Wirkung, die richtige Logik der Begriffe für geistiges Verhalten zum Teil ans Licht zu bringen.
LITERATUR - Gilbert Ryle, Der Begriff des Geistes, Stuttgart 1969