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KURT WEINKE
Zum Problem der Universalgrammatik
bei Chomsky und Whorf


Chomsky's Annahme bezüglich der "angeborenen Ideen" legt es ihm nahe, bloß eine Sprache zu untersuchen und Generalisierungen auf alle Sprachen vorzunehmen.

WHORF, als ausgesprochener Gegner einer Universalgrammatik (UG), stellt das üblicherweise angenommene Verhältnis von Welt und Sprache, das meist im Stil der WITTGENSTEINschen Abbildtheorie gesehen wird (1), geradezu auf den Kopf, wenn er schreibt:
"Man fand, daß das linguistische System (mit anderen Worten , die Grammatik) jeder Sprache nicht nur ein reproduktives Instrument zum Ausdruck von Gedanken ist, sondern vielmehr selbst die Gedanken seiner Eindrücke und für die Synthese dessen, was ihm an Vorstellungen zur Verfügung steht. Die Formulierung von Gedanken ist kein unabhängiger Vorgang, der im alten Sinne dieses Wortes rational ist, sondern er ist beeinflußt von der jeweiligen Grammatik" (2).
Bekanntlich gipfelte diese Ansicht bei WHORF in der Formulierung eines "linguistischen Relativitätsprinzips" (3), zu dem er sich gedrängt fühlte, nachdem er, durch das Studium der Hopi-Sprache bedingt, fundamentale Unterschiede zwischen der Hopi-Sprache und den SAE (Standard Average European) -Sprachen konstatiert hatte, was auch für ihn die Annahme einer UG unmöglich machte.

Und doch, trotz der steten Betonung der Verschiedenheit der diversen Grammatiken, kann WHORF nicht umhin, der Frage nachzuspüren, was wohl den einzelnen Grammatiken zugrunde liegt, wobei er bei einem extralinguistischem Element landet, wenn er betont:
"Die verschiedenen Muttersprachen sind die wirklichen Gegebenheiten. Wenn wir von ihnen aus nach einem Allgemeinen suchen, so wird das vielleicht nicht irgendein Universalbegriff von 'Sprache' sein, sondern etwas Besseres - etwas 'Sublinguistisches' oder 'Superlinguistisches' - und etwas, das, so anders es auch sein mag, nicht etwas völlig Anderes als das ist, dem wir heute das Adjektiv 'geistig' beilegen." (4)
Ich werde dabei den Verdacht nicht los, daß WHORF damit keine Klärung erzielen konnte, da er mit Hilfe eines höchst unklaren Begriffs versuchte, eine äußerst komplexe Materie zu deuten. Es wäre jedenfalls verfehlt, wollte man daraus ableiten, daß WHORF doch so etwas wie eine UG annahm, denn seine Hinwendung zu etwas Sub- oder Superlinguistischem weist eher auf das Gegenteil hin. Das geht aus den vielen Stellen hervor, in denen er die Eigenheiten der SAE-Sprachen kritisierte, von denen eine hervorgehoben werden soll:
"Die englische Technik der Aussage stützt sich auf die zwei künstlichen Klassen der Substantive und Verben und auf die zweiteilende Ideologie von der Natur" (5) -
doch gerade dieses Moment möchte WHORF keineswegs missen, da er in ihm ein wichtiges, erkenntnistheoretisches Element erblickt:
"Das Denken auf die Strukturschemata des Englischen und insbesondere auf jene Schemata zu beschränken, die die Krone der Einfachheit tragen, heißt Denkmöglichkeiten aufzugeben, die, einmal verloren, nie zurückgewonnen werden können." (6)
Demgegenüber vertritt NOAM CHOMSKY vehement die Ansicht, daß es grammatikalische Prinzipien gibt, die allen, untereinander noch so verschiedenen, Sprachgruppen gemeinsam sind. Allerdings ist nicht bekannt, daß CHOMSKY ausführliche Studien etwa einer Indianersprache getrieben hätte, so daß seine diesbezüglichen Aussagen der empirischen Basis entbehren. Trotzdem meint er:
"Es scheint, daß Dialekte, die an der Oberfläche ziemlich weit voneinander entfernt, ja sogar bei einem ersten Kontakt kaum gegenseitig verständlich sind, einen großen zentralen Fundus gemeinsamer Regeln und Prozesse aufweisen und sich in den zugrunde liegenden Strukturen, die durch lange historische Epochen hindurch unveränderlich zu bleiben scheinen, nur sehr leicht voneinander unterschieden." (7)
Diese Gemeinsamkeiten, die vom Nicht-Linguisten, der nur die sprachlichen Informationen, die der Oberflächen-Struktur angehören, kennt, sind in der Subjekt-Objekt -Opposition aller Sprachen oder in einer gemeinsamen Kategorientafel zu erblicken, von der JERROLD KATZ, ein CHOMSKY-Schüler annimmt, daß "die Verwendung dieser Kategorien eins der Merkmale ist, die ein linguistisches System aufweisen muß, um eine natürliche Sprache zu sein." (8) Doch CHOMSKY selbst geht darüber hinaus zu extra-linguistischen Faktoren, wenn er erklärt:
"Noch relevanter für unser Thema, so glaube ich, sind die Entwicklungen in der komparativen Ethologie der letzten dreissig Jahre ... auf Grund derartiger Untersuchungen spricht heute vieles dafür, daß sich die Perzeption von Linien, Winkeln, Bewegung und anderen komplexen Eigenschaften der physikalischen Welt auf eine angeborene Organisation des Nervensystems gründet." (9)
Selbstverständlich ist für CHOMSKY nach wie vor die rationalistische Annahme von "angeborenen Ideen" das entscheidende Kriterium für die UG denn für ihn gilt: "Wir teilen also die Regeln der Sprache mit anderen, wir wir mit ihnen eine Organisation des Gesichtsfeldes teilen" (10), was bei ihm sogar zu einer teilweisen Suspendierung der linguistischen Untersuchungen führt, zugunsten der Humanbiologie etwa. Seine Annahme bezüglich der "angeborenen Ideen" und seine weitere bezüglich der prinzipiell gleichen biologischen Grundausstattung aller Menschen legt es ihm nahe, bloß eine Sprache (hier ist es das Englische) zu untersuchen und Generalisierungen auf alle Sprachen vorzunehmen. Seine diesbezügliche Bedenkenlosigkeit stützt er auf ein Argument, das in der Tat zwingend ist, nämlich auf die prinzipielle Übersetzungsmöglichkeit:
"Trotz beträchtlicher Verschiedenheiten in unseren jeweiligen Lernerfahrungen können wir ohne Schwierigkeiten miteinander kommunizieren; nichts deutet darauf hin, daß wir fundamental verschiedene Sprachen sprechen." (11)
Was nun das biologische Argument von der gleichen Grundausstattung aller Menschen anbelangt, das CHOMSKY direkt strapaziert, so sei betont, daß aus der Tatsache, daß jeder Mensch mit der Fähigkeit, irgendeine Sprache zu erlernen, geboren wird, nichts folgt im Hinblick auf Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer UG, sondern damit nur zum Ausdruck gebracht wird, daß der Mensch neben der angeborenen Fähigkeit, aufrecht zu gehen, auch jene der Spracherwerbung besitzt. Auf dieser prä- und extra-linguistischen Ebene gibt es sicherlich zwischen Anhängern und Gegnern einer UG keine Meinungsunterschiede - diese können überhaupt erst auf der linguistischen Ebene auftauchen!

Hier begegnet einem das Faktum der prinzipiellen Übersetzbarkeit eines Textes der Sprache X in jene von Y. Gäbe es - so kann man schließen - nicht doch so etwas wie eine UG, so wäre dies wohl nicht möglich, wobei natürlich die, jedem Übersetzer nur allzu gut bekannten Übersetzungsprobleme als marginal ausgeklammert werden können. Auch die von WHORF aufgezeigten, großen Unterschiede in den verschiedenen Sprachstrukturen sind offensichtlich nicht gravierend, sofern man sich dieser Tatsache bewußt ist und gelernt hat, vom einen System in das andere zu wechseln.

Man muß sich allerdings fragen, ob die Annahme berechtigt ist, daß auch ontologische und metaphysische Probleme, die nur auf der Ebene einer ganz bestimmten Sprache entstehen konnten, in eine völlig verschiedene Sprache übertragen werden können. Ist nicht der sog. "Universalien-Streit" des Mittelalters etwas, was nur auf dem Hintergrund der SAE-Sprachen entstehen konnte, da andere Sprachfamilien die Dichotomisierung zwischen Konkreta und Abstrakta nicht so hypertroph (übermäßig) ausgestalteten und daher diese Frage nicht zu diesem Problem hochstilisiert werden konnte?

Umgekehrt wäre vielleicht die Rezeption der DARWINschen Gedanken in einer Sprache, die stärker den dynamischen Aspekt betont, leichter gewesen als in den SAE-Sprachen, die mit der Bevorzugung des Substantivs eher das Beharrende des LINNEschen Systems zum Ausdruck bringen. Hier kann von einer Übersetzung keine Rede mehr sein, da in bestimmten Sprachen einfach die nötigen Ausdrucksmittel fehlen - CHOMSKYs möglicher Rekurs auf formale Universalien der UG ziehen nicht, da sie in diesem Zusammenhang Leerformelcharakter tragen.

Es mag stimmen, daß sich die diversen Grammatiken, die in ihrer Oberflächenstruktur mehr oder minder starke Unterschiede zeigen, in einer tieferen, sprachlichen Schicht ähnlich sind (im Hinblick auf ihre materiellen und formalen Universalien); doch geht CHOMSKY fehl, wenn er diese zweite Ebene als tiefste annimmt, denn in einer tieferen Ebene tauchen die ontologisch -metaphyisischen und allgemein -philosophischen Probleme auf, die letztlich auf der jeweiligen Sprache basieren und sich nicht so einfach eliminieren lassen, wie etwa im Falle von Berichten über eine im wesentlich ähnlich erlebte Umwelt.

Für die Berechtigung der hier aufgestellten Hypothese von drei zu unterscheidenden Sprachebenen spricht die Tatsache, daß WHORF selbst in vielen Fällen zu Unterscheidungen schreiten mußte, da es ihm unmöglich war, korrekte Übersetzungen zu liefern. Ich glaube, daß die Kontroverse um Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer UG, die hier an den beiden Antipoden WHORF und CHOMSKY dargestellt wurde, in der Weise behoben werden kann, daß man sich dessen bewußt wird, daß beide auf verschiedenen Sprachebenen operieren und somit (ohne widersprüchlich zu werden), auch zu verschiedenen Ergebnissen gelangen konnten.
LITERATUR - Kurt Weinke in Rudolf Haller / Wolfgang Grassl (Hrsg), Sprache, Logik und Philosophie, Akten des Vierten Internationalen Wittgenstein Symosiums vom 28. August bis 2. September 1979 in Kirchberg am Wechsel (Österreich), Wien 1980
    Anmerkungen
    1) siehe LUDWIG WITTGENSTEIN, Tractatus logico-philosophicus, Ffm 1960
    2) B.L. WHORF, Sprache, Denken, Wirklichkeit, Reinbek 1963, Seite 12
    3) B.L. WHORF, Sprache, Denken, Wirklichkeit, Reinbek 1963, Seite 12f
    4) B.L. WHORF, Sprache, Denken, Wirklichkeit, Reinbek 1963, Seite 39
    5) B.L. WHORF, Sprache, Denken, Wirklichkeit, Reinbek 1963, Seite 43
    6) B.L. WHORF, Sprache, Denken, Wirklichkeit, Reinbek 1963, Seite 45
    7) N. CHOMSKY, Sprache und Geist, Ffm 1973, Seite 131
    8) J.J. KATZ, Philosophie der Sprache, Ffm 1969, Seite 217
    9) N. CHOMSKY, Sprache und Geist, Ffm 1973, Seite 154
    10 N. CHOMSKY, Reflexionen über die Sprache, Ffm 1977, Seite 90
    11) N. CHOMSKY, Sprache und Geist, Ffm 1973, Seite 147


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