p-4Ernst MeumannJoseph ChurchClara u. William Stern    
 
LEW SEMJONOWITSCH WYGOTSKI
Experimente zur Begriffsentwicklung
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Forschungsprobleme und -methoden
Ursprung des Denkens
Die kindliche Begriffsentwicklung
Gedanke und Wort
Die innere Sprache
"Das begriffliche, von allen anschaulichen Momenten losgelöste Denken stellt Anforderungen an die Kinder, die ihre geistigen Kräfte vor dem 12. Lebensjahr übersteigen."

Bisher standen größere methodische Schwierigkeiten bei der Untersuchung der Begriffe.

Alle älteren Methoden der Begriffsforschung zerfallen in zwei Hauptgruppen. In die erste Gruppe fallen die sogenannte  Definitionsmethode  und alle ihre indirekten Variationen. Es handelt sich dabei um die Untersuchung bereits fertig ausgebildeter Begriffe mit Hilfe einer verbalen Definition ihres Inhalts.

Trotz ihrer weiten Verbreitung ist sie mit zwei wesentlichen Mängeln behaftet.
  • Sie befaßt sich mit dem fertigen Ergebnis der bereits abgeschlossenen Begriffsbildung, ohne die Dynamik, Entwicklung und den Verlauf des Prozesses zu erfassen. Dementsprechend haben wir es bei der Definition fertiger Begriffe oft nicht so sehr mit dem Denken des Kindes zu tun als vielmehr mit der Reproduktion fertiger Kenntnisse, fertig angeeigneter Definitionen. Bei den Begriffsdefinitionen erhalten wir oft über das Wissen und den Grad der sprachlichen Entwicklung des Kindes besseren Aufschluß über sein Denken.

  • Die Definitionsmethode operiert fast ausschließlich mit dem Wort und läßt dabei außer acht, daß ein Begriff besonders für das Kind mit den Wahrnehmungen verbunden ist, aus dessen Verarbeitung er erst entsteht; die Sinneswahrnehmung und das Wort sind beide für den Prozess der Begriffsbildung notwendig. Die Ablösung des Wortes von der Anschauung verlegt die Begriffsbildung auf eine dem Kind nicht gemäße, rein verbale Ebene. Daher gelingt es mit dieser Methode fast niemals, zwischen der Bedeutung, welche das Kind bei einer rein verbalen Definition einem Wort beilegt, und der tatsächlichen realen Bedeutung zu unterscheiden, die dem Wort durch die lebendige Wechselbeziehung zu der von ihm bezeichneten objektiven Wirklichkeit entspricht.
Die wichtige Beziehung des Begriffs zur Wirklichkeit wird dabei nicht untersucht; es wird versucht, an die Bedeutung eines Wortes über ein anderes Wort heranzukommen. Hier werden eher die Beziehungen, die zwischen einzelnen, erworbenen Wortfamilien bestehen, als die kindlichen Begriffe selbst entdeckt.

Die zweite Gruppe umfaßt  Methoden zur Untersuchung der Abstraktion.  Mit ihnen sollen die Mängel der rein verbalen Definitionsmethode überwunden und die Funktionen, die der Begriffsbildung, der Verarbeitung der aus der Anschauung gewonnenen Erfahrungen zugrunde liegen, untersucht werden. Hier wird das Kind vor die Aufgabe gestellt, ein gemeinsames Merkmal aus einer Reihe anderer, in der Wahrnehmung mit ihm verbundener Merkmale zu abstrahieren und dieses der ganzen Reihe von Eindrücken gemeinsame Merkmal zu verallgemeinern.

Der Mangel dieser Methoden besteht darin, daß sie nur einen Teil eines komplizierten synthetischen Vorgangs erfassen und daß damit die Bedeutung des Wortes, die Rolle des Zeichens bei der Begriffsbildung außer acht bleibt; der Abstraktionsprozeß wird so simplifiziert, weil er die charakteristische Beziehung der Begriffsbildung zum Wort nicht einbezieht, das ein wichtiges Kriterium des ganzen Prozesses darstellt. Die traditionellen Methoden zur Untersuchung der Begriffe sind also in gleicher Weise durch die  Trennung des Wortes vom objektiven Material  gekennzeichnet.

Bedeutend für die Begriffsuntersuchung war die Entwicklung einer experimentellen Methode, bei der die Begriffsbildung adäquat dargestellt wurde, indem  beide Momente  berücksichtigt wurden: das Anschauungsmaterial, auf dessen Grundlage sich der Begriff herausbildet und das Wort, durch den er entsteht. Mit ihrer Einführung eröffnet sich eine neue Perspektive, indem nunmehr nicht fertige Begriffe, sondern der eigentliche Prozeß ihrer Bildung untersucht werden konnte. Die Methode in der von ACH angewandten Form wurde zu Recht als synthetisch - genetische Methode bezeichnet, da sie den Prozeß der Begriffsbildung, der Synthese einer Reihe von Merkmalen, die einen Begriff bilden, untersucht.

Das Prinzip dieser Methode besteht darin, künstliche, für die Versuchsperson zunächst sinnlose Wörter in das Experiment einzuführen. Ebenso wurden künstliche Begriffe verwendet, die durch Kombinationen einer Reihe von Merkmalen konstruiert worden sind, die in der Welt unserer üblichen Begriffe nicht vorkommen. Dann wird beispielsweise in ACHs Versuchen das für die Versuchsperson zunächst sinnlose Wort "gazun" im Verlaufe des Versuchs semantisiert, es nimmt eine Bedeutung an, wird zum Träger eines Begriffs, zur Bezeichnung von etwas Großem und Schwerem, oder das Wort "fal" bezeichnet etwas Kleines und Leichtes.

Im Verlauf des Versuchs wird der ganze Prozess sichtbar, durch den ein sinnloses Wort semantisiert wird und ein Begriff erarbeitet wird. Auf Grund der Verwendung künstlicher Wörter und Begriffe wird diese Methode von einem Mangel befreit; sie setzt nämlich für die Lösung der gestellten Aufgabe keine früheren Erfahrungen und Kenntnisse voraus und setzt in dieser Beziehung ein Kleinkind einem Erwachsenen gleich.

ACH wandte seine Methode gleichermaßen bei fünfjährigen Kindern und bei Erwachsenen an und erhielt so hinsichtlich ihrer Kenntnisse gleiche Voraussetzungen. Seine Methode ist also für verschiedene Altersstufen anwendbar und ermöglicht die Untersuchung der Begriffsbildung in reiner Form.

Ein Hauptmangel der Definitionsmethode bestand darin, daß dort der Begriff aus seinem natürlichen Zusammenhang gerissen und in statischer Form ohne Zusammenhang mit den Denkprozessen erfaßt wird, in denen er steht und lebt. Die Definition eines aus dem Zusammenhang gerissenen, statisch betrachteten Wortes, sagt nichts darüber aus, wie dieser Begriff in Aktion beschaffen ist, wie das Kind mit ihm im lebendigen Lösungsvorgang operiert.

Die neue Methode, die gerade die  funktionalen Bedingungen der Entstehung des Begriffs  in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt, ist nicht mit diesem Mangel behaftet. Hier wird der Begriff im Zusammenhang mit einer bestimmten Aufgabe oder irgendeinem beim Denken entstehenden Bedürfnis gefaßt, als im Zusammenhang mit dem Verstehen oder Mitteilen, mit der Erfüllung dieser oder jener Aufgabe oder Instruktion, die ohne die Bildung des Begriffs unmöglich ist.

Dies alles macht diese Untersuchungsmethode zu einem wertvollen Instrument bei der Untersuchung der Entwicklung von Begriffen. Obwohl ACH die Begriffsbildung im Jugendalter nicht speziell untersucht hat, konnte er - gestützt auf die Ergebnisse seiner Untersuchung - nicht umhin, den Inhalt und Form des Denkens betreffenden Umschwung festzustellen, der in der intellektuellen Entwicklung des Jugendlichen vor sich geht und durch den Übergang zum begrifflichen Denken gekennzeichnet ist.

RIMAT hat eine breit angelegte Untersuchung der Begriffsbildung bei Jugendlichen vorgenommen, wobei er eine etwas abgewandelte ACHsche Methode benutzte. Danach setzt die Begriffsbildung erst zu Beginn des Übergangszeitalters ein.
"Erst nach vollendetem 12. Lebensjahr zeigt sich bei den Kindern eine auffallende Besserleistung in der völlig selbsttätigen Ausbildung von Objektvorstellungen. Das begriffliche, von allen anschaulichen Momenten losgelöste Denken stellt Anforderungen an die Kinder, die (vielleicht wenige Fälle ausgenommen) ihre geistigen Kräfte vor dem 12. Lebensjahr zu übersteigen scheinen." (1)
Die Untersuchungen zeigen, daß sich erst nach dem 12. Lebensjahr, d.h. mit dem Eintritt in das Übergangsalter, beim Kind die Prozesse zu entwickeln beginnen, die zur Begriffsbildung und zum abstrakten Denken führen.

Eine grundlegende Forderung der Untersuchungen von ACH und RIMAT besteht in der Widerlegung der assoziationstheoretischen Erklärung der Begriffsbildung. ACHs Untersuchung hat gezeigt, daß - so fest die assoziativen Kopplungen zwischen sprachlichen Zeichen und Gegenständen auch sein mögen - dies allein zur Erklärung der Begriffsbildung nicht ausreicht. Die ältere Annahme, daß ein Begriff durch die große Stärke der assoziativen Koppelungen zwischen den gemeinsamen Merkmalen einer Reihe von Gegenständen und durch die Schwäche der Koppelungen zwischen den Merkmalen, in denen sich diese Gegenstände unterscheiden, entsteht, hat sich experimentell nicht bestätigen lassen.

ACHs Versuche haben gezeigt, daß die Begriffsbildung stets produktiven und nicht reproduktiven Charakter trägt, daß ein Begriff bei einer komplizierten, auf die Lösung irgendeiner Aufgabe gerichteten Operation entsteht und daß allein das Vorhandensein äußerer Bedingungen und die mechanische Herstellung einer Verbindung zwischen dem Wort und den Gegenständen für die Entstehung des Begriffs nicht ausreicht. Daneben führten diese Versuche noch zu der nicht minder wichtigen Feststellung der sogenannten  determinierenden  Tendenz.

Hierbei handelt es sich nach ACH um eine Tendenz, die den Ablauf unserer Vorstellungen und Handlungen reguliert und die von der Vorstellung vom Ziel ausgeht, auf dessen Erreichung sich der ganze Ablauf richtet, also von der Aufgabe, auf deren Lösung die ganze betreffende Tätigkeit abgestellt ist. Vor ACH unterschied man zwei Tendenzen, denen der Verlauf unserer Vorstellungen unterworfen sei: die reproduktive oder assoziative und die perseverative (im Bewußtsein wiederkehrende) Tendenz weist auf die Kraft jeder Vorstellung hin, immer wieder von neuem in den Ablauf der Vorstellungen zurückzukehren.

ACH hatte in seinen früheren Untersuchungen nachgewiesen, daß diese beiden Tendenzen für die Erklärung zielgerichteter, bewußter und auf die Lösung einer Aufgabe zielender Denkakte nicht ausreichen. Diese werden vielmehr durch eine besonders determinierende Tendenz, die von der Zielvorstellung ausgeht, bestimmt. Auch in der Untersuchung der Begriffe konnte ACH zeigen, daß ein neuer Begriff ohne die regulierende Wirkung der determinierenden Tendenzen nie entsteht. Wenn Wörter erlernt und mit Gegenständen verbunden werden, so führt das noch nicht zur Begriffsbildung. Dazu ist es nötig, daß die Versuchsperson vor einer Aufgabe steht, die nicht anders als mit Hilfe einer Begriffsbildung zu bewältigen ist.

Wir haben festgestellt, daß ACH, indem er die Prozesse der Begriffsbildung in die Struktur der Lösung einer bestimmten Aufgabe einbezog, im Vergleich zu früheren Untersuchungen einen bedeutenden Schritt vorwärts machte. Das genügte jedoch nicht. Ein Ziel, eine gestellte Aufgabe ist natürlich eine absolut notwendige Voraussetzung, damit der Lösungsprozeß entstehen kann; aber ein Ziel haben auch Vorschul- und Kleinkinder und trotzdem ist weder Kleinkind, noch ein Vorschulkind, noch überhaupt ein Kind vor dem 12. Lebensjahr völlig fähig, eine vor sich stehende Aufgabe bewußt zu erfassen, und es ist auch nicht fähig, einen neuen Begriff zu bilden.

ACH hat selbst in seinen Untersuchungen gezeigt, daß Vorschulkinder bei der Lösung von Aufgaben sich von Erwachsenen und Jugendlichen nicht dadurch unterscheiden, daß sie sich das Ziel schlechter oder weniger richtig vorstellen, sondern dadurch daß sie den ganzen Lösungsprozeß völlig anders anlegen. USNADSE hat in einer experimentellen Untersuchung der Begriffsbildung bei Vorschulkindern, nachgewiesen, daß ein Kind im Vorschulalter den Aufgaben genauso gegenübersteht wie der Erwachsene, wenn er mit einem Begriff operiert, nur daß das Vorschulkind diese Aufgabe ganz anders löst. Das Kind benützt das Wort ebenso wie der Erwachsene als Mittel; für das Kind ist es also mit der Funktion des Mitteilens, Semantisierens und Verstehens verbunden, wie für den Erwachsenen.

Demnach wird also der wesentliche genetische Unterschied zwischen dem begrifflichen Denken des Erwachsenen und den Denkformen, wie sie für das Kleinkind kennzeichnend sind, nicht durch die determinierende Tendenz bedingt, sondern durch andere Faktoren.

Besonders USNADSE lenkte die Aufmerksamkeit auf das Mitteilen, auf das gegenseitige Verstehen der Menschen mit Hilfe der Sprache. "Das Wort dient als Mittel zum gegenseitigen Verstehen der Menschen.
Bei der Begriffsbildung", sagt USNADSE, "spielt gerade dieser Umstand eine entscheidende Rolle; bei der Notwendigkeit, sich miteinander zu verständigen, gewinnt ein bestimmter Lautkomplex eine bestimmte Bedeutung: er wird auf diese Art und Weise zu einem Wort oder Begriff. Ohne dieses funktionale Moment des gegenseitigen Verstehens könnte kein Lautkomplex zum Träger irgendeiner Bedeutung werden, könnte kein Begriff entstehen."
Bekanntlich wird der Kontakt zwischen dem Kind und der Welt der Erwachsenen sehr früh hergestellt. Das Kind wächst von Anfang an in einer entsprechenden Umgebung auf und beginnt selbst, den Mechanismus der Sprache vom zweiten Lebensjahr an zu benutzen.
"Es steht außer Zweifel, daß es keine sinnlosen Lautkomplexe benutzt, sondern echte Wörter, und daß es nach Maßgabe der Entwicklung mit ihnen immer differenziertere Bedeutungen verbindet."
Dabei kann es als gesichert angesehen werden, daß das Kind verhältnismäßig spät jenen Grad der Sozialisierung seines Denkens erreicht, der für die Herausbildung voll entwickelter Begriffe notwendig ist.

Wir sehen also, daß sich einerseits vollwertige Begriffe, die den höchsten Grad der Sozialisierung des kindlichen Denkens voraussetzen, verhältnismäßig spät entwickeln, während andererseits die Kinder schon früh beginnen, Wörter zu gebrauchen, um mit ihrer Hilfe ein gegenseitiges Verstehen mit den Erwachsenen und untereinander herzustellen.

Also haben die Wörter, die noch nicht die Stufe vollkommener Begriffe erreicht haben, die Funktionen dieser letzteren übernommen und können als Mittel des Mitteilens und Verstehens zwischen sprechenden Menschen dienen. Ein spezielle Untersuchung der entsprechenden Altersstufe soll uns zeigen, wie sich jene Formen des Denkens entwickeln, die nicht als Begriffsdenken, sondern als funktionales Äquivalent zu betrachten sind, und wie sie die Stufe erreichen, die das voll entwickelte Denken kennzeichnet.

Die Untersuchung von USNADSE zeigt, daß sich diese funktionalen Äquivalente des Begriffsdenkens qualitativ und strukturell grundlegend von dem entwickelten Denken des Jugendlichen und des Erwachsenen unterscheiden. Dieser Unterschied kann nicht durch den Faktor entstehen, den ACH anführt, denn gerade in funktioneller Hinsicht, im Sinne der determinierenden Tendenzen stellen diese Formen, wie USNADSE nachgewiesen hat, begriffliche Äquivalente dar.

Es ergibt sich also: die Aufgaben und die von ihr ausgehenden Zielvorstellungen sind dem Kinde auf verhältnismäßig frühen Stufen zugänglich; gerade kraft der Identität der Aufgaben des Verstehens und des Mitteilens bei Kindern und Erwachsenen entwickeln sich beim Kinde überaus früh funktionale Äquivalente der Begriffe, aber trotz der Identität der Aufgabe sind die Denkformen beim Lösungsprozeß in ihrer Zusammensetzung, Struktur und Wirkungsweise bei Kindern und Erwachsenen grundverschieden.

Offensichtlich bestimmen nicht die Aufgabe und ihre Zielvorstellungen den gesamten Verlauf des Prozesses, sondern ein neuer Faktor, den ACH unberücksichtigt gelassen hat.

Das Ziel ist überhaupt keine Erklärung. Ohne das Vorhandensein eines Zieles ist natürlich irgendeine zweckentsprechende Handlung unmöglich, aber die Existenz dieses Ziels erklärt in keiner Weise den ganzen Prozeß in seiner Entwicklung und Strukur, durch den es erreicht wird. Das Ziel und die von ihm ausgehenden determinierenden Tendenzen leiten, wie ACH selbst sagt, den Prozeß ein, regulieren ihn aber nicht. Das Vorhandensein eines Ziels, einer Aufgabe, ist ein notwendiges, aber unzureichendes Moment für das Entstehen einer sinnvollen Tätigkeit.

Die Erfahrungen des Kindes und Erwachsenen umfassen zahlreiche Fälle, wo sich der Mensch vor nicht gelöste, auf der gegebenen Entwicklungsstufe nicht lösbare oder schlecht gelöste Aufgaben, nicht erreichte oder unerreichbare Ziele gestellt sieht, ohne daß dadurch bereits ein Erfolg gewährleistet wäre. Offenbar müssen wir bei der Erklärung der Natur des psychischen Prozesses, der zur Lösung einer Aufgabe führt, vom Ziel ausgehen, aber wir können uns nicht darauf beschränken.

Das mit dem Prozeß der Begriffsbildung und der sinnvollen Tätigkeit überhaupt im Zusammenhang stehende Grundproblem ist das der Mittel, mit deren Hilfe diese oder jene psychologische Operation, diese oder jene zweckentsprechende Tätigkeit ausgeführt wird.

Auch die Arbeit des Menschen als sinnvolle Tätigkeit kann nicht damit befriedigend erklärt werden, daß sie durch Ziele und Aufgaben ausgelöst wird, sondern wir müssen sie mit dem Gebrauch der Werkzeuge erklären, ohne die die Arbeit nicht hätte entstehen können.

Wie die Versuche zeigen, enthalten alle höheren psychischen Funktionen das gemeinsame Merkmal, daß sie vermittelte Prozesse sind, d.h. daß sie in ihre Struktur den Gebrauch eines Zeichens als des Hauptmittels zur Lenkung und Beherrschung der psychischen Prozesse einschließen.

Im Problem der Begriffsbildung ist ein solches Zeichen das Wort, das als Mittel zur Bildung eines Begriffes auftritt und später dessen Symbol ist. Nur das Studium des funktionalen Gebrauchs des Wortes und seiner Entwicklung, seiner qualitativ in jeder Altersstufe verschiedenen, aber genetisch miteinander verbundenen Anwendungsformen kann als Schlüssel bei der Erforschung der Begriffsbildung dienen. Der Hauptmangel der Methodik von ACH besteht darin, daß wir hier nicht den genetischen Prozeß der Begriffsbildung ergründen, sondern lediglich das Vorhandensein oder das Fehlen dieses Prozesses konstatieren. Bereits die Versuchsanordnung setzt voraus, daß die Mittel, mit denen der Begriff gebildet wird, d.h. die experimentellen Wörter, die als Zeichen fungieren, von Anfang an gegeben sind und eine konstante Größe darstellen, die sich während des ganzen Versuchs nicht ändert, und daß sie darüber hinaus die Art ihrer Verwendung in der Instruktion im voraus festgelegt ist.

Die Wörter treten nicht von Anfang an als Zeichen auf, sie unterscheiden sich prinzipiell in keiner Weise von einer anderen Reihe von Reizen, die im Versuch auftreten, von den Gegenständen nämlich, mit denen sie verbunden werden. Da ACH beweisen will, daß die assoziative Verbindung zwischen Wörtern und Gegenständen allein für die Entstehung einer Bedeutung unzureichend und die Bedeutung eines Wortes oder eines Begriffs nicht gleich der assoziativen Verbindung zwischen einem Lautkomplex und einer Reihe von Objekten ist, behält er zum Zweck der Kritik und der Polemik den traditionellen Ablauf des gesamten Prozesses der Begriffsbildung bei, der einem bestimmten Schema unterworfen ist, das mit folgenden Worten gekennzeichnet werden kann: von unten nach oben, von einzelnen konkreten Gegenständen zu wenigen umfassenden Begriffen.

Aber wie ACH selbst feststellt, steht ein solcher Ablauf des Experiments im Widerspruch zum wirklichen Verlauf der Begriffsbildung und baut sich, wie wir sehen werden, durchaus nicht auf der Grundlage von Assoziationsketten auf. Er reduziert sich nicht, um die bereits berühmt gewordenen Worte VOGELs zu gebrauchen, auf einen pyramidenartigen Aufbau der Begriffe, auf einen Übergang vom Konkreten zum mehr und mehr Abstrakten.

Darin besteht das Hauptergebnis der Untersuchungen von ACH und RIMAT. Sie wiesen nach, daß der Assoziations-Standpunkt gegenüber der Begriffsbildung falsch ist, zeigten den produktiven und schöpferischen Charakter des Begriffs und die Rolle des funktionalen Moments bei seiner Entstehung und hoben hervor, daß nur beim Vorliegen eines bestimmten Bedürfnisses, des Bedürfnisses nach einem Begriff, nur im Verlauf irgendeiner bewußten zweckentsprechenden, auf die Erreichung eines bestimmten Ziels oder die Lösung einer bestimmten Aufgabe gerichteten Tätigkeit ein Begriff entstehen und sich herausbilden kann.

Diese Untersuchungen, die mit der mechanischen Vorstellung von der Begriffsbildung aufräumten, gerieten aber auf den Weg rein teleologischer Erklärungen, die im Grunde in der Behauptung gipfelten, daß das Ziel eine entsprechende und zweckgerichtete Tätigkeit mit Hilfe der determinierenden Tendenzen schafft, daß die Aufgabe selbst ihre Lösung in sich schließt.

Außer der allgemeinen philosophischen und methodologischen Unhaltbarkeit dieser Anschauung führt eine derartige Erklärung zu unlösbaren Widersprüchen. Sie erklärt nicht, warum bei der funktionellen Identität der Aufgaben oder Ziele die Denkformen, mit deren Hilfe das Kind diese Aufgabe löst, sich in jeder Altersstufe grundlegend unterscheiden.

Es ist von diesem Standpunkt überhaupt unverständlich, daß sich die Formen des Denkens entwickeln. Darum ließen die Untersuchungen von ACH und RIMAT das Problem kausal-mechanisch völlig offen, so daß die experimentelle Forschung vor der Aufgabe stand, die Entwicklung der Begriffsbildung in ihrer kausal-dynamischen Bedingtheit zu untersuchen.
LITERATUR - Lew S. Wygotski, Denken und Sprechen, Berlin 1906
    Anmerkungen
    1. F. Rimat, Intelligenzuntersuchungen anschließend an die Achsche Suchmethode, in: Untersuchungen zur Psychologie, Philosophie und Pädagogik, herausgeg. von Narziß von Ach, Leipzig-Göttingen 1925, V.Band