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ALFRED BIESE
(1856-1930)
Philosophie des Metaphorischen
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"Es führt keine andere Brücke von dem Denken zum Sein als die Analogie; und daher ist Denken und Sprechen metaphorisch."

Der Verstand und die Phantasie sind die uralten Feinde, welche sich auf Tod und Leben in der Welt des Geistes befehden. Jener herrscht auf dem Gebiete des Gedankens, diese auf dem der Kunst. Und doch kreuzen sich ihre Wege so oft, doch sind sie Todfeinde? Es ist eben das Verhängnisvolle, daß sie einander so notwendig bedürfen, daß der Eine ohne den Anderen nichts Rechtes leisten kann. Aber ist dies wahr? In dem künstlerischen Schaffen freilich muß die Begeisterung, muß der kühne Flug der Phantasie durch Besonnenheit geleitet und gelenkt werden, aber giebt es nicht ein reines, abstraktes Denken?

Hat nicht HEGEL den Beweis der Selbstentwickelung des reinen Gedankens in der Dialektik erbracht? Nein! Es war nur Schein, es war nur Wahn. Der Traum zerrann, und je holder und hehrer, je bannender er gewesen, um so nüchterner war das Erwachen. Aber es ist einmal so: es giebt kein Denken ohne Anschauung; und giebt es Anschauung ohne leise Färbung, ohne Bilder der Phantasie?
"Der innerste Kern einer echten und wirklichen Erkenntnis" -, sagt SCHOPENHAUER "ist eine Anschauung; auch ist jede neue Wahrheit die Ausbeute aus einer solchen. Alles Andenken geschieht in Bildern: darum ist die Phantasie ein so notwendiges Werkzeug desselben."
So sehr sich auch der Philosoph, ja selbst der strengste abstrakte Logiker in der ätherreinen Sphäre des Gedankens, fernab von den Bildern dieser bunten Erscheinungswelt, wähnen mag, so erhaben er über der Welt des schönen Scheins, die der Dichter schafft, sich dünken mag: das Denken bedarf des Gedachten, des Objektes, und dieses übermittelt nur die Anschauung.

Die Dialektik hatte zu beweisen, daß das in sich geschlossene Denken die wirkliche Welt ergreife. Aber der Beweis fehlt. Denn allenthalben hat es sich heimlich geöffnet, um von außen aufzunehmen, was ihm von innen mangelt. Das geschlossene Auge sieht nur Phantasmen. Das menschliche Denken lebt von der Anschauung, und es stirbt, wenn es von seinen eigenen Eingeweiden leben soll, den Hungertod.

Das geistige Leben des Menschen ist ein einheitliches; die einzelnen Sphären desselben stehen nicht gesondert da, sondern sie berühren sich in beständiger Wechselwirkung; so auch die Thätigkeit des Verstandes und die Anschauung, so Denken und Dichten. Die Anschauung wird durchgeistigt, das Denken versinnlicht. Es ist ein schönes Wort LUDWIG UHLANDs:
"Das Innere, des Menschen strahlt nichts zurück, ohne es mit seinem eigenen Leben, seinem Sinnen und Empfinden getränkt und damit mehr oder weniger umgeschaffen zu haben. So tauchen aus dem Borne der Phantasie die Kräfte und Erscheinungen der Natur als Personen und Thaten in menschlicher Weise wieder auf. Ebenso werden auch abgezogene Begriffe wie die Formen und Verhältnisse der Zeit als handelnde Wesen gestaltet. Der Gedanke steht niemals abgeschieden neben dem Bilde, wohl aber teilt er den aus der Natur und aus der menschlichen Erscheinung entnommenen Gebilden seine eigene schrankenlose Bewegung mit, und so erhält das Natürliche, indem es teils seinen gewohnten, teils fremden und höheren Gesetzen folgt, den Zauber des Wunderbaren, die Mythendichtung im Ganzen aber den Charakter des Tiefsinns und der sicheren Kühnheit."
Auch das Erkennen und das Denken kann niemals den Charakter des Subjektiven verleugnen. Die Welt, die wir wahrnehmen, existiert doch nur so in unserem Geiste; sie erfährt in unseren Sinnen, in unserem Denkvermögen eine Umgestaltung; aber sie würde zu reinem Schein herabsinken, wenn wir nicht eine Analogie zwischen dem Bilde unserer Wahrnehmungen und den Dingen, die jene konstruieren, wenn wir nicht eine Einheit zwischen Geist und Welt bis zu einem gewissen Grade annehmen müßten.

Aber diese Analogie wird im Denken notwendig metaphorische Vorstellungen hervorrufen. Wir wissen nur von einer Welt, so weit wir sie in uns erleben, d. h. so weit wir sie nach den Gesetzen unseres Geistes umformen, unsere geistig-leiblichen Verhältnisse ihr leihen. Das Denken und Erkennen muß daher voll von dem Metaphorischen durchsetzt sein.

Aber zu dieser Thatsache, und zu der Unmöglichkeit, von dem Bildlichen der von der stets geschäftigen Farbenmischung der Phantasie abzusehen, kommt hinzu, daß das Denken aufs innigste verschmolzen ist mit der Sprache. Ist diese auch nur der Stoff und jenes die Form, ist die Sprache nur der Leib, das Denken die Seele, so ist doch das Denken, wenn es sich nicht in Zeichen kundthun soll, an die Sprache gebunden; daß diese aber durch und durch symbolisch und metaphorisch ist, ruht in unserem physisch-psychischem Sein.

Es führt keine andere Brücke von dem Denken zum Sein als die Analogie; und daher ist Denken und Sprechen metaphorisch, und daher kann man Philosophie, d. i. die Wissenschaft der Prinzipien des Weltganzen, die Wissenschaft der Wissenschaften, ein Dichten in Begriffen nennen; sie kann nimmer der Phantasiethätigkeit entraten, sie wird durch die Sprache, aber auch durch die Begriffe selbst und durch die menschliche Gebundenheit, die kein anderes Grundprinzip als das des Inneren und Äußeren aus dem eigenen Sein zu entwickeln ermöglicht, durchaus metaphorisch.

Es ist daher in der That der Zusammenhang zwischen Philosophie und Poesie, ein weit, engerer, als man gemeinhin annimmt; das fesselnde Band beider ist, eben das Metaphorische. Hinzu kommt die Tyrannei der Sprache, welche feste Begriffe übermittelt und behufs Weiterbildung der Gedanken zu immer neuen Übertragungen dieser Begriffe, d. h. also zu metaphorischer Umbildung derselben führt.

Auch hier vollzieht sich dann. wie beim Mythos das Schauspiel: was nur Symbol war, wird zur Thatsache, und umgekehrt, was eigentlich und als Wirklichkeit gemeint war, sinkt zum (erkannten) Bilde, zum Symbol herab; der Nachfolger wirft seinem Vorgänger metaphorischen Ausdruck seiner Gedanken vor; und nun müht er sich, in die alten Schläuche neuen Wein, zu füllen; und so entsteht ein höchst interessanter Prozeß der beständigen Umprägung der alten Münzen die nun einmal durch unsere begränzte Erkenntnis gegeben sind. Immer neue Analogien spielen hinein und verändern so das Weltbild im Geiste des Philosophen. Jede Zeit hat so ihr geistiges Auge; und auch in dieser Hinsicht läßt sich der enge Zusammenhang - wie bei allen Kulturerscheinungen einer individuell ausgeprägten Zeit - zwischen Denken und Dichten, zwischen Philosophen und Poeten aufweisen.

Kopf und Herz liegen eben dicht bei einander; Das Herz versorgt auch das Hirn mit dem Lebensstrom des Blutes; auch der Philosoph vermag nicht - ebenso wenig wie der Erfinder und der Entdecker - der Herzerregung, der Begeisterung zu entraten; er vermag aber auch nicht, seine Zeit, mit ihren Anschauungen und Begriffen zu verleugnen; es ist somit mehr als Phrase, wenn man z. B. von SCHOPENHAUER sagt, daß er die Philosophie der Romantik geschrieben hat, und wenn man PLATON oder HEGEL in Beziehung setzt zu der Poesie ihrer Zeit.

So sehr man auch die Anschauung in Gegensatz sehen mag zu den Begriffen; diese verleugnen jene doch selten; und der Nachweis der Irrtümer früherer Systeme gründet sich vor allem auf den Satz, daß jene ein Bild statt der Sache, eine Metapher statt eines Begriffes geben.

Doch ehe wir hierauf eingehen, mögen wir in aller Kürze und zunächst im allgemeinen uns klar machen, wie das Metaphorische in die Metaphysik, wie es in die Erkenntnistheorie hineinspielt und sodann, wie die Begriffe durch das Prinzip der Analogie, durch metaphorische Umbildung wechseln und sich umwandeln.

Die Philosophie sucht das Allgemeine im Besonderen, und die Analogie ist es vor allem, durch die sie - wie alle Einzelwissenschaften - die Welt des Wissens erobert, da sie ihr immer neue Subsumtionen bietet. Doch das Verhängnisvolle, die Schranke unseres Wissens besteht darin, daß wir dem Allgemeinen immer wieder nur das Prädikat des Einzelnen beilegen können. Und so kommen wir aus dem Metaphorischen nicht heraus. - Die Welt ist für uns teils Erscheinung - als solche gehört sie der Erkenntnistheorie an -, teils Bild, Symbol, und das ist das Reich des Metaphorischen.

"Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist." Wir müssen uns beschränken, von dem Äußeren, das wir wahrnehmen, auf ein Inneres zu schließen, das wir nicht wahrnehmen und das wir uns deuten als dem unsrigen verwandt oder metaphysisch als Urquell alles Seins, also auch des unseren. Und da fragt es sich nicht, ob es Trug, ob es Traum ist, sondern es handelt sich um die notwendigen Grenzen unseres menschlichen Erkennens, das immer Stückwerk, immer hypothetisch bleibt, um die Einsicht, daß wir die Erfahrungen an uns und in uns doch immer wieder nur als Schlüssel für die Rätsel, die uns umgeben, benutzen können.

Und ist dies Nichtwissen, dies Eingeständnis, daß der Fortschritt unseres Erkennens von der (vermeintlichen) Thatsache zum Metaphorischen, vom Metaphorischen zu neuen vermeintlichen Thatsachen und so ins Unendliche fortführt, ohne je die volle Wahrheit zu gewinnen, ist diese Einsicht, daß unser Wissen nur ein Gleichnis des Unwißbaren ist, diese Einschränkung des Erkennbaren auf das reinmenschliche Maß, d. h. auf das des Inneren und Äußeren ein - Unglück? Lehrt nicht GOETHE daß es das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche zu erforschen und das Unerforschliche ruhig zu verehren und ist es nicht wahr, daß, wie HEBBEL sagt, für uns Menschen überall der Punkt, bis zu welchem wir vordringen können, anstatt der Wahrheit gelten muß?

Freilich führt eine kritische Betrachtung der Geschichte der Philosophie, die eine Verkörperung der möglichen Weltprobleme bildet, zu dem Ergebnis, daß nicht nur die Ideen des PLATON Hypostasierungen [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] menschlicher Begriffe sind, sondern nicht minder die  Substanz  bei SPINOZA mit den beiden, den Menschenwesen abgelauschten Attributen des Denkens und der Ausdehnung, das  Ich  bei FICHTE, das  Absolute  bei HEGEL, der  Wille  bei SCHOPENHAUER, das  Unbewußte  bei HARTMANN nichts anderes als metaphorische Personifikationen sind.

Aber ist darum alles dies Philosophieren ein Traum, ist es Lug und Trug? Wohnt ihm nicht die hehre Wahrheit inne, daß wir, als Einheit von Leib und Seele, auch die Einheit des Alls, die Einheit von Geist und Welt als Postulat der Vernunft hinnehmen müssen, und zwar, wie es dem Menschen geziemt, der doch nicht selbst der Weltengeist ist und somit diesen auch nicht erkennen kann, mit dem demütigem Geständnis unseres Nichtwissens, mit dem frommen oder resignierten Genügen an - dem Gleichnis?

Sobald eben der Mensch seiner selbst im Denken bewußt wird und in der Reflexion die, in ihm vollzogene Synthese voll Leib und Seele auflöst, giebt es nur zwei Wege für die Weltbetrachtung: entweder wird das Innere, das Geistige verkörperlicht, so daß es zur Funktion des Physischen herabsinkt, oder das Körperliche wird vergeistigt bis zur Hypothese der Weltseele. So giebt es nur ein Entweder - Oder. Entweder ist alles materiell oder alles ist Geist, beziehungsweise beseeltes Leben. Entweder ist das geistige nur eine Begleiterscheinung des Naturprozesses oder ein höherer Grad der Wirklichkeit. Zwischen diesen beiden Problemen schwankt die gesamte Metaphysik hin und her. Alle Metaphysik ist daher metaphorisch, ist ein Gedankengedicht.

Der philosophische Poet HERDER beginnt seine Auseinandersetzungen "Vom Erkennen und Empfinden in ihrem menschlichen Ursprunge und den Gesetzen ihrer Wirkung" mit folgenden Betrachtungen:
"In allem, was wir tote Natur nennen, kennen wir keinen inneren Zustand. Wir sprechen täglich das Wort  Schwere, Stoß, Fall, Bewegung, Ruhe, Kraft,  sogar  Kraft der Trägheit  aus, und wer weiß, was es inwendig der Sache selbst bedeute?
Je mehr wir indes das große Schauspiel wirkender Kräfte in der Natur ansehn, desto weniger können wir umhin, alles mit unsrer Empfindung zu beleben. Wir sprechen von Wirksamkeit und. Ruhe, von eigener oder empfangener, voll bleibender oder sich fortpflanzender, toter oder lebendiger Kraft völlig aus unsrer Seele.  Schwere  scheint uns ein Sehnen zum Mittelpunkte, zum Ziel und Ort der Ruhe,  Trägheit  die kleine, auf seinem eignen Mittelpunkte, durch Zusammenhang mit sich selbst,  Bewegung  ein fremder Trieb, ein mitgeteiltes fortwirkendes Streben, das die Ruhe überwindet, fremder Dinge Ruhe störet, bis es die seinige wiederfindet.

HERDER weist hin auf "die wunderbare Erscheinung der Vorahnung des NEWTONschen Systems bei dem Philosophen, der von "Liebe und Haß der Körper" sprach, auf den "Magnetismus in der Natur, der anziehet und fortstößet", der "so lange als Seele der Welt betrachtet worden", auf den "elektrischen Strom, diese sonderbare Erscheinung des großen, allgegenwärtigen Lebensgeistes." - Das Motto der Schrift ist auch das VERGILsche Wort: Est Deus in nobis calescimus illo. - "Der empfindende Mensch fühlt sich in Alles, fühlt Alles aus sich heraus und drückt darauf sein Bild, sein Gepräge".

So ward NEWTON in seinem Weltgebäude wider Willen ein Dichter, wie BUFFON in seiner Kosmogonie und LEIBNIZ in seiner prästabilierten Harmonie und Monadenlehre. Und mit vollem Rechte macht HERDER darauf aufmerksam, daß wie unsere ganze Psychologie aus Bildworten bestehet, es auch meistens ein neues Bild, eine Analogie, ein auffallendes Gleichnis war, das die größten und kühnsten Theorien geboren. Und so fragt er dann: Ist in dieser "Analogie zum Menschen" - wir nennen es das Metaphorische - auch Wahrheit? "Menschliche Wahrheit gewiß" antwortet er sich selbst, "und von einer andern habe ich, so lange ich Mensch bin, keine Kunde; was wir wissen, wissen wir nur aus Analogie, von der Kreatur zu uns und von uns zum Schöpfer." Und so beugt er sich fromm vor diesem.
"Soll ich also dem nicht trauen, der mich in diesen Kreis von Empfindungen und Ähnlichkeiten setzte, mir keinen andern Schlüssel, in das Innere der Dinge einzudringen, gab als mein Gepräge oder vielmehr das Bild seines in meinem Geiste? Die stille Ähnlichkeit, die ich im Ganzen meiner Schöpfung, meiner Seele, und meines Lebens empfinde und ahne; der große Geist, der mich anwehet und mir im Kleinen und Großen, in der sichtbaren und unsichtbaren Welt, einen Gang, einerlei Gesetz zeiget: das ist mein Siegel der Wahrheit".
Doch damit scheint wenig im Einklange zu stehen, daß unsere Zeit beherrscht ist von der Induktion der Naturwissenschaften daß diese allein als wissenschaftlich gilt und der großen Mehrzahl nicht nur ihrer Anhänger, sondern auch gebildeter und halbgebildeter Laien die mechanische, materialistische, Welterklärung zu der allein würdigen stempeln möchte, sintemalen wir es ja doch schon so herrlich weit, nicht nur in Ergründung, sondern auch in Beherrschung der Natur gebracht haben und sintemalen der Materialist doch nur mit Thatsachen, nicht mit abstrakten Begriffen geschweige denn mit zu rechnen und sein Weltbild zu konstruieren pflegt.

Aber der Unglaube ist auch ein Glauben.

Alles Allgemeinste, Höchste, Letzte, Fernste, Feinste, Tiefste, sagt FECHNER (Tagesansicht S. 17), ist überhaupt seiner und unsrer Natur nach Glaubenssache. Daß die Gravitation durch die ganze Welt reicht und von jeher gereicht hat, ist Glaubenssache. Daß überhaupt Gesetze, durchs Endliche verfolgt, ins Unbegrenzte von Raum und Zeit reichen, ist Glaubenssache; daß es Atome und Undulationen des Lichtes giebt, ist Glaubenssache; ja streng genommen ist alles Glaubenssache, was nicht unmittelbar erfahren ist und was nicht logisch fest steht; ein jedes Wissen um das was ist, setzt sich fort, in Glauben und muß sich darein fortsetzen.

Wie in der Sprache wir das eigentliche und bildliche Wort scheiden können, wie die Grenzlinien zwischen ihnen durchaus fließende sind, ja wie jedes im Grunde genommen ein Tropus ist, so ist auch in unserem Erkennen Glauben und Wissen nicht zu scheiden, noch auch das, was wir lediglich durch unsere Sinne wahrnehmen und logisch erschließen, von dem, was wir metaphorisch deuten, durch Analogie uns erst näher bringen müssen; das einzig Gewisse bleibt doch immer nur, was wir in unserem Innern selbst erleben, das rein Geistige, das in unserem Denken wirkt, das ins Unendliche hinüberweist;  verstehen  heißt für uns immer nur  erleben  in uns, nach uns selbst umformen und so uns selbst erkennen.

Der Stoff des Denkens, also auch die sogenannte Materie, ist daher ohne Vergeistigung nicht denkbar. Und was thut nun der Materialismus? Zwar entgottet er die Natur und will von einer Immanenz des Göttlichen ebenso wenig wissen wie von einer Transcendenz, aber was er an die Stelle desselben setzt, ist nicht minder metaphysisch, nicht minder unerkennbar, und daher deutet er es durch Analogie, metaphorisch.

Er nennt es  Kraft.  Es hat aber noch niemand zu sagen vermocht, was Kraft sei. Wir spüren an unserem Leibe, wir spüren in uns die Fähigkeit der Bewegung, wir erleben an uns den Begriff der Thätigkeit in unserem Sein und in unserem Denken, und so übertragen wir die  energeia  auf die Natur und betrachten alles Sein - dem unsrigen analog - als Thätigkeit. Wir wissen, daß THOMAS YOUNG zuerst für die lebendige Kraft eines Körpers den Ausdruck, sagen wir die Metapher "Energie", gebraucht hat, und so ward es ein Glaubenssatz: Außer den chemischen Elementen giebt es nur ein Agens, und das heißt es kann unter den passenden Verhältnissen als Bewegung, chemische Affinität, Kohäsion, Licht, Wärme und Magnetismus hervortreten, und aus jeder dieser Erscheinungsarten können alle übrigen hervorgebracht werden.

Und so stellte ROBERT MAYER zwei Arten von Weltursachen hin,  Materie  und  Kraft jede ist unzerstörbar; alle Kräfte lassen sich ineinander verwandeln, alle sind Erscheinungsformen einer und derselben Ursache. So ward die Physik die Lehre der Metamorphose der Kraft.

Aber Kraft und Materie bleiben metaphorische Begriffe; ihr Wesen läßt sich nicht begreifen.
LITERATUR - Alfred Biese, Philosophie des Metaphorischen, Hamburg/Leipzig 1893