cr-2 Erste EinleitungZweite EinleitungP. Hensel    
 
JOHANN GOTTLIEB FICHTE
(1762 - 1814)
Versuch einer neuen
Darstellung der Wissenschaftslehre

[1797]

"Alles mögliche Bewußtsein, als Objektives eines Subjekts, setzt ein unmittelbares Bewußtsein, in welchem Subjektives und Objektives schlechthin eins sind, voraus; außer dem ist das Bewußtsein schlechthin unbegreiflich. Man wird immer vergeblich nach einem Band zwischen dem Subjekt und Objekt suchen, wenn man sie nicht gleich ursprünglich in ihrer Vereinigung aufgefaßt hat. Darum ist alle Philosophie, die nicht von dem Punkt, in welchem sie vereinigt sind, ausgeht, notwendig seicht und unvollständig, und vermag nicht zu erkären, was sie erklären soll und ist deshalb keine Philosophie."

"Man nennt die innere Tätigkeit, in ihrer Ruhe aufgefaßt, durchgängig den Begriff. Es war deshalb der Begriff des Ich, der mit der Anschauung desselben notwendig vereinigt war, und ohne welchen das Bewußtsein des Ich unmöglich geblieben wäre; denn der Begriff erst vollendet und umfaßt das Bewußtsein."


Erstes Kapitel
Alles Bewußtsein ist bedingt durch
das unmittelbare Bewußtsein unserer selbst.

I.

Der Leser, mit welchem wir uns in Übereinstimmung des Denkens zu versetzen haben, erlaube uns, ihn anzureden, und mit dem zutraulichen Du ihn anzureden.

1) Du kannst ohne Zweifel denken: Ich; und indem du dies denkst, findest du innerlich dein Bewußtsein auf eine gewisse Weise bestimmt; du denkst nur etwas, eben dasjenige, was du unter jenem Begriff des Ich befaßst, und bist dir desselben bewußt; und denkst dann etwas anderes, das du sonst wohl auch denken kannst, und schon gedacht haben magst, nicht. - Es ist mir vorderhand nicht darum zu tun, ob du mehr oder weniger, als ich selbst, in dem Begriff: Ich, zusammengefaßt haben magst. Worauf es mir ankommt, hast du dann doch sicherlich auch mit darin, und das genügt mir.

2) Du hättest statt dieses bestimmten auch etwas anderes denken können, z. B. deinen Tisch, deine Wände, deine Fenster, und du denkst auch wohl diese Gegenstände wirklich, wenn ich dich dazu auffordere. Du tust es zufolge einer Aufforderung, zufolge eines Begriffs von dem zu denkenden; der, deiner Annahme nach, auch ein anderer hätte sein können, sage ich. Du bemerkst demnach Tätigkeit und Freiheit in diesem deinem Denken in diesem Übergehen vom Denken des Ich zum Denken des Tisches, der Wände, usw. Dein Denken ist dir ein  Handeln.  Befürchte nicht, daß du mir durch dieses Geständnis etwas zugestehst, das dich hinterher reuen möchte. Ich rede nur von der Tätigkeit, der du in diesem Zustand unmittelbar bewußt wirst, und insofern ihrer bewußt wirst. Solltest du aber in dem Fall sein, dir hierbei gar keiner Tätigkeit bewußt zu werden - es sind mehrere berühmte Philosophen unseres Zeitalters in diesem Fall - so laß uns gleich hier in Frieden voneinander scheiden: denn du wirst von nun an keines meiner Worte verstehen.

Ich rede mit denen, die mich in diesem Punkt verstehen. Euer Denken ist ein Handeln, euer bestimmtes Denken ist dementsprechend ein bestimmtes Handeln, d. h. das, was ihr denkte, ist gerade dieses, weil ihr im Denken gerade so gehandelt habt; und es würde etwas anderes sein (ihr würdet  etwas anderes  denken), wenn ihr in eurem Denken anders gehandelt hätte (wenn ihr  anders  gedacht hättet).

3) Nun sollt ihr hier insbesondere denken:  Ich.  Da das ein bestimmter Gedanke ist, so kommt er, nach den soeben aufgestellten Sätzen, notwendig durch ein bestimmtes Verfahren im Denken zustande; und meine Aufgabe an die, verständiger Leser, ist die: dir eigentlich und innigst bewußt zu werden,  wie  du verfährst, wenn du denkst: Ich. Da es sein könnte, daß wir beide in diesem Begriff nicht ganz dasselbe umfaßten, so muß ich dir nachhelfen.

Indem du deinen Tisch oder deine Wand dachtest, warst du, da du ja, als verständiger Leser, dir der Tätigkeit in deinem Denken bewußt bist, in diesem Denken dir selbst  das Denkende:  aber  das Gedachte  war dir nicht du selbst, sondern etwas von dir zu unterscheidendes. Kurz, in allen Begriffen dieser Art soll, wie du es in deinem Bewußtsein wohl finden wirst, das Denkende und das Gedachte zweierlei sind. Indem du aber  dich  denkst, bist dur dir nicht nur das Denkende, sondern zugleich auch das Gedachte; Denkendes und Gedachtes sollen dann Eins sein; dein Handeln im Denken soll auf dich selbst, das Denkende, zurückgehen.

Also -  der Begriff oder das Denken des Ich besteht im auf sich Handeln des Ich selbst;  und umgekehrt,  ein solches Handeln auf sich selbst gibt dem Denken des Ich, und schlechthin kein anderes Denken.  Das erstere hast du soeben in dir selbst gefunden und mir zugestanden: solltest du am zweiten Anstoß nehmen, und über unsere Berechtigung zur Umkehrung des Satzes Zweifel haben, so überlasse ich es dir selbst, zu versuchen, ob durch das Zurückgehen deines Denkens auf dich, als das Denkende, je ein anderer Begriff herauskommt, als der deiner selbst; und ob du dir die Möglichkeit denken könntest, daß ein anderer herauskommt. - Beides also, der Begriff eines in sich zurückkehrenden Denkens, und der Begriff des Ich, erschöpfen sich gegenseitig. Das Ich ist das sich selbst Setzende, und nichts weiter: das sich selbst Setzende ist das Ich und nichts weiter. Durch den beschriebenen Akt kommt nichts anderes heraus, als das Ich: und das Ich kommt durch keinen möglichen anderen Akt heraus, außer durch den beschriebenen.

Hier ersiehst du zugleich, in welchem Sinn dir das Denken des Ich zugemutet wurde. Die Sprachzeichen nämlich sind durch die Hände der Gedankenlosigkeit gegangen, und haben etwas von der Unbestimmtheit derselben angenommen; man kann sich durch sie nicht sattsam verständigen. Nur dadurch, daß man den Akt angibt, durch welchen ein Begriff zustande kommt, wird derselbe vollkommen bestimmt. Tue, was ich dir sage, so wirst du denken, was ich denke. Diese Methode wird auch im Fortgang unserer Untersuchung ohne Ausnahme beobachtet werden. - So mochtest du vielleicht in den Begriff des Ich mancherlei aufgenommen haben, was ich in denselben nicht aufgenommen hatte, z. B. den Begriff deiner Individualität, weil auch dieser durch jenes Wortzeichen bedeutet wird. All das wir dir nunmehr erlassen; nur dasjenige, was durch das bloße Zurückgehen deines Denkes auf die selbst zustande kommt, ist das Ich, von welchem ich hier rede.

4) Die aufgestellten Sätze,  der unmittelbare Ausdruck unserer soeben gemachten Beobachtung,  könnten nur unter der Bedingung Bedenklichkeiten erregen, daß sie für etwas mehr gehalten würden, als für diesen unmittelbaren Ausdruck. Das Ich kommt nur durch das Zurückgehen des Denkens auf sich selbst zustande, sage ich: und rede dabei lediglich von demjenigen, was durch bloßes Denken zustanden kommen kann; was, wenn ich so denke, unmittelbar in meinem Bewußtsein vorkommt, und was, wenn du so denkst, unmittelbar in deinem Bewußtsein vorkommt; kurz, ich rede nur vom Begriff des Ich. Von einem Sein des Ich außer dem Begriff ist hier noch gar nicht die Rede; ob und inwiefern von einem solchen Sein überhaupt die Reden entstehen kann, wird sich zu seiner Zeit zeigen. Um also den Leser vor allen möglichen Zweifeln sicherzustellen, und vor aller Gefahr, im Verlauf der Untersuchung den zugestandenen Satz in einem Sinn genommen zu sehen, den er nicht zugestehen wollte, füge ich zu den eben aufgestellten Sätzen: das Ich ist ein sich selbst Setzen, und dgl. hinzu:  für das Ich. 

Den Grund dieser Bedenklichkeit des Lesers, daß man ihn nicht etwa zuviel zugestehen läßt, kann ich auch zugleich mit anführen; auf die Bedingung, daß man sich dadurch nicht zerstreuen läßt: denn das Ganze ist eine zufällige Bemerkung, die hier noch nicht eigentlich zur Sache gehört, und bloß darum beigebracht wird, um keinen Augenblick einige Dunkelheit übrigzulassen. - Dein Ich kommt lediglich durch das Zurückgehen deines Denkens auf dich selbst zustande, wurde behauptet. In einem kleinen Winkel deiner Seele liegt dagegen die Einwendung, - entweder: ich soll  denken,  aber ehe ich denken kann, muß ich  sein;  oder die: ich soll  mich  denken, in mich zurückgehen; aber was gedacht werden soll, auf welches zurückgegangen werden soll, muß sein, ehe es gedacht oder darauf zurückgegangen wird. In beiden Fällen postulierst du ein vom Denken und Gedachtsein deiner selbst unabhängiges, und demselben vorauszusetzende  Dasein  deiner selbst; im ersten Fall als des  Denkenden,  im zweiten als des  Zu-Denkenden.  Hierbei sage mir vorläufig nur dies: wer ist es denn, der da behauptet, daß du deinem Denken vorhergewesen sein müßtest? Das bist ohne Zweifel du selbst, und dieses dein Behaupten ist ohne Zweifel ein Denken; und, wie du noch weiter behauptest, und wir dir mit beiden Händen zugeben, ein notwendiges, in diesem Zusammenhang dir sich aufdrängendes Denken. Du weißt doch hoffentlich von diesem vorauszusetzenden Dasein nur insofern, als du es denkst; und dieses Dasein des Ich ist sonach auch nichts mehr, als ein Gesetztsein deiner selbst durch dich selbst. In dem Faktum, das du uns aufgezeigt hast, liegt dann, wenn wir es scharf genug ansehen, nichts mehr, als dies:  du  must deinem gegenwärtigen, zum deutlichen Bewußtsein erhobenen Selbst-Setzen ein anderes solches Setzen, als ohnes deutliches Bewußtsein geschehen, vorausdenken, worauf das gegenwärtige sich bezieht und dadurch bedingt ist. Dies wir dir das fruchtbare Gesetz, nach welchem es so ist, aufzeigen, begnüge dich mit der Einsicht, daß das angeführte Faktum weiter nichts aussagt, als das Angegebene, damit du durch dasselbe nicht irre gemacht werdest.

II.

Wir versetzen und auf einen höheren Standpunkt der Spekulation.

1) Denke dich, und bemerke, wie du das machst: war meine erste Forderung. Bemerken mußtest du, um mich zu verstehen (denn ich redete von etwas, das nur in dir selbst sein konnte); und um in deiner eigenen Erfahrung als wahr zu befinden, was ich dir sagte. Diese  Aufmerksamkeit  auf uns selbst in jenem Akt war das uns beiden gemeinschaftliche  Subjektive.  Dein Verfahren im Denken deiner selbst, welches beim mir auch kein anderes war, war es,  worauf  du merktest; es war der Gegenstand unserer Untersuchung: das uns beiden gemeinschaftliche  Objektive. 

Jetzt aber sage ich dir: bemerke  dein Bemerken  deines Selbst-Setzens; bemerke, was du in der soeben geführten Untersuchung selbst tatest, und wie du es machtest, um dich selbst zu bemerken. Mach das, was bisher das Subjektive war, selbst zum Objekt einer neuen Untersuchung, die wir gegenwärtig anheben.

2) Der Punkt, um welchen es mir hier zu tun ist, ist nicht so leicht getroffen: wird er aber verfehlt, so wird alles verfehlt, denn auf ihm beruth meine ganze Lehre. Der Leser erlaube mir daher, daß ich ihn durch einen Eingang leite, und ihn so nahe wie möglich vor dasjenige hinstelle, was er zu beobachten hat.

Indem du irgendeines Gegenstandes - es sei derselben die gegenüberstehende Wand - dir bewußt bis, bis du dir, wie du eben zugestanden hast, eigentlich deines Denkens dieser Wand bewußt, und nur insofern du dir dessen bewußt bist, ist ein Bewußtsein von der Wand möglich. Aber um dir deines Denkens bewußt zu sein, mußt du dir deiner selbst bewußt sein. -  Du  bist - dir  deiner  bewußt, sagst du; du unterscheidest als notwendig dein  denkendes  Ich von dem im Denken desselben  gedachten  Ich. Aber damit du das kannst, muß abermals das Denkende in jenem Denken  Objekt  eines höheren Denkens sein, um Objekt des Bewußtseins sein zu können; und du erhältst zugleich ein neues  Subjekt,  welches dessen, das vorhin das Selbstbewußt sein  war, sich wieder bewußt ist. Hier argumentiere ich nun abermals, wie vorher; und nachdem wir einmal nach diesem Gesetz fortzuschließen angefangen haben, kannst du mir nirgends eine Stelle nachweisen, wo wir aufhören sollten; wir werden also ins Unendliche fort für jedes Bewußtsein eines neuen Bewußtseins bedürfen, dessen Objekt das erstere ist, und dann nie dazu kommen, ein wirkliches Bewußtsein annehmen zu können. - Du bist dir deiner, als des Bewußten, bewußt, lediglich insofern du dir deiner als des Bewußtseienden bewußt bist; aber dann ist das Bewußtseiende wieder das Bewußte, und du mußt dir wieder des Bewußtseienden dieses Bewußten bewußt werden, und so unendlich weiter: und so magst du sehen, wie du zu einem ersten Bewußtsein kommst.

Kurz; auf diese Weise läßt das Bewußtsein sich schlechthin nicht erklären. - Noch einmal: welches war das Wesen des soeben geführten Räsonnements, und der eigentliche Grund, warum das Bewußtsein auf diesem Weg unbegreiflich war? Dieser: jedes Objekt kommt lediglich unter der Bedingung zu Bewußtsein, daß ich auch meiner selbst, des bewußtseienden Subjekts, mir bewußt bin. Dieser Satz ist unwidersprechlich. - Aber in diesem Selbstbewußtsein meiner, wurde weiter behauptet, bin ich mir selbst Objekt, und es gilt vom Subjekt zu diesem Objekt abermals, was vom vorigen galt; es wird Objekt und bedarf eines neuen Subjektes, und so fort ins Unendliche. In jedem Bewußtsein also wurden Subjekt und Objekt voneinander geschieden und jedes als ein besonderes betrachtet; das war der Grund, warum uns das Bewußtsein unbegreiflich ausfiel.

Nun aber ist doch ein Bewußtsein; mithin muß jene Behauptung falsch sein. Sie ist falsch, heißt: ihr Gegenteil gilt; also gilt folgender Satz: es gibt ein Bewußtsein, in welchem das Subjektive und das Objektive gar nicht zu trennen, sondern absolut ein und dasselbe sind. Ein solches Bewußtsein wäre es also, dessen wir bedürften, um das Bewußtsein überhaupt zu erklären. Wir gehen jetzt, ohne hierauf weiter zu achten, unbefangen zu unserer Untersuchung zurück.

3) Indem du dachtest, wie wir von dir forderten, jetzt Gegenstände, die außer dir sein sollten, jetzt dich selbst, wußtest du ohne Zweifel, daß, und was, und wie du dachtest; denn wir vermochten uns darüber miteinander zu unterreden, wie wir im obigen getan haben.

Wie kamst du nun zu diesem Bewußtsein deines Denkens? Du wirst mir antworten: ich wußte es unmittelbar. Das Bewußtsein meines Denkens ist meinem Denken nicht etwa ein zufälliges, erst hinterher dazugesetztes, und damit verknüpftes, sondern es ist von ihm unabtrennlich. - So wirst du antworten, und mußt du antworten; denn du vermagst dir dein Denken ohne ein Bewußtsein desselben gar nicht zu denken.

Zuallererst hätten wir also ein solches Bewußtsein gefunden, wie wir es soeben suchten; ein Bewußtsein, in welchem das Subjektive und Objektive unmittelbar vereinigt sind. Das Bewußtsein unseres eigenen Denkens ist dieses Bewußtsein. - Dann: du bist dir deines Denkens unmittelbar bewußt; wie stellst du dir dasselbe aber vor? Offenbar nicht anders, als so: deine innere Tätigkeit, die auf etwas außer ihr (auf das Objekt des Denkens geht), geht zugleich in sich selbst, und auf sich selbst. Aber durch die in sich zurückgehende Tätigkeit entsteht uns, nach obigem, das Ich. Du warst dir also in deinem Denken deiner selbst bewußt, und dieses Selbstbewußtsein eben war jenes unmittelbare Bewußtsein deines Denkens; sei es, daß ein Objekt, oder daß du selbst gedacht wurdest. - Also das Selbstbewußtsein ist unmittelbar; in ihm ist Subjektives und Objektives unzertrennlich vereinigt und absolut Eins.

Ein solches unmittelbares Bewußtsein heißt mit dem wissenschaftlichen Ausdruck eine  Anschauung,  und so wollen auch wir es nennen. Die Anschauung, von welcher hier die Rede ist, ist ein  sich Setzen als  setzend (irgendein Objektives, welches auch ich selbst, als bloßes Objekt, sein kann), keineswegs aber etwa ein bloßes  Setzen;  denn dadurch würden wir in die soeben aufgezeigte Unmöglichkeit, das Bewußtsein zu erklären, verwickelt. Es liegt mir alles daran, über diesen Punkt, der die Grundlage des ganzen hier vorzutragenden Systems ausmacht, verstanden zu werden, und zu überzeugen.

Alles mögliche Bewußtsein, als Objektives eines Subjekts, setzt ein unmittelbares Bewußtsein, in welchem Subjektives und Objektives schlechthin eins sind, voraus; außer dem ist das Bewußtsein schlechthin unbegreiflich. Man wird immer vergeblich nach einem Band zwischen dem Subjekt und Objekt suchen, wenn man sie nicht gleich ursprünglich in ihrer Vereinigung aufgefaßt hat. Darum ist alle Philosophie, die nicht von dem Punkt, in welchem sie vereinigt sind, ausgeht, notwendig seicht und unvollständig, und vermag nicht zu erkären, was sie erklären soll und ist deshalb keine Philosophie.

Dieses unmittelbare Bewußtsein ist die soeben beschriebene Anschauung des Ich; in ihr setzt das Ich sich selbst notwendig, und ist deshalb das Subjektive und Objektive in Einem. Alles andere Bewußtsein wird an dieses angeknüpft und durch dasselbe vermittelt; wird lediglich durch die Verknüpfung damit zu einem Bewußtsein: dieses allein ist durch nichts vermittelt oder bedingt; es ist absolut möglich und schlechthin notwendig, wenn irgendein anderes Bewußtsein stattfinden soll. - Das Ich ist nicht als bloßes Subjekt zu betrachten, wie man es bis jetzt beinahe durchgängig betrachtet hat, sondern als Subjekt-Objekt im angegebenen Sinn.

Nun ist hier von keinem anderen Sein des Ich die Rede, als von dem in der beschriebenen Selbstanschauung; oder, noch strenger ausgedrückt, vom Sein dieser Anschauung selbst. Ich bin diese Anschauung und schlechthin nichts weiter, und diese Anschauung selbst ist Ich. Es soll durch dieses sich selbst Setzen nicht etwa eine Existenz des Ich, als eines unabhängig vom Bewußtsein bestehenden Dings ansich, hervorgebracht werden; welche Behauptung ohne Zweifel der Absurditäten größte sein würde. Ebensowenig wird dieser Anschauung ein vom Bewußtsein unabhängige Existenz des Ich, als (anschauenden) Dings vorausgesetzt; welches meines Erachtens keine kleinere Absurdität ist, ungeachtet dessen, daß man dies freilich nicht sagen soll, indem die berühmtesten Weltweisen unseres philosophischen Jahrhunderts dieser Meinung zugetan sind. Eine solche Existenz ist nicht vorauszusetzen, sage ich; denn, wenn ihr von nichts reden könnt,  dessen ihr euch nicht bewußt seid,  alles aber, dessen ihr euch bewußt seid,  durch das angezeigte Selbstbewußtsein bedingt wird; so könnt ihr nicht wiederum ein Bestimmtes,  dessen ihr euch bewußt sei, die von allem Anschauen und Denken unabhängig sein sollende Existenz des Ich,  jenes Selbstbewußtsein bedingen lassen.  Ich müßt entweder gestehen, daß ihr von etwas redet, ohne davon zu wissen, welches ihr schwerlich tun werdet, oder ihr müßtet leugnen, daß das aufgezeigte Selbstbewußtsein alles andere Bewußtsein bedingt, welches euch, wenn ihr mich nur verstanden habt, schlechthin unmöglich sein wird. - Es erhellt sich hier also auch dieses, daß man durch unseren ersten Satz, nicht nur für den angeführten, sondern für alle möglichen Fälle, unausbleiblich auf den Standpunkt eines transzendentalen Idealismus gesetzt wird; und daß es ganz Eins ist, jenen verstehen, und von diesem überzeugt werden.

Also - die Intelligenz schaut sich selbst an, bloß als Intelligenz oder als reine Intelligenz, und in dieser Selbstanschauung eben besteht ihr Wesen. Diese Anschauung wird deshalb mit Recht, falls es etwa noch eine andere Art der Anschauung geben sollte, zum Unterschied von der letzteren  intellektuelle Anschauung  genannt. - Ich bediene mich statt des Wortes Intelligenz lieber der Benennung: Ichheit; weil diese das Zurückgehen der Tätigkeit in sich selbst für jeden, der nur der geringstens Aufmerksamkeit fähig ist, am unmittelbarsten bezeichnet. (1)

III.

Es ist noch ein Umstand in der Beobachtung der von uns geforderten Tätigkeit zu bemerken. Man nehme diese Bemerkung jedoch nur als eine beiläufige. Unmittelbar wird auf sie nicht fortgebaut; erst tiefer unten wird sich zeigen, welche Folgen sie hat. Nur können wir uns die Gelegenheit, die wir hier haben, sie zu machen, nicht entgehen lassen.

Du fandest dich im Vorstellen eines Objekts, oder deiner selbst, tätig. Bemerke nochmals recht innig, was bei dieser Vorstellung der Tätigkeit in dir vorkam. - Tätigkeit ist Agilität, innere Bewegung; der Geist reißt sich selbst über ein absolut Entgegengesetztes hinweg; - durch welche Beschreibung keineswegs etwa das unbegreifliche begreiflich gemacht, sondern nur an die in jedem notwendig vorhandene Anschauung lebendiger erinnert werden soll. - Aber diese Agilität läßt sich nicht anders anschauen, und wird nicht anders angeschaut, denn als ein  Losreissen der tätigen Kraft von einer Ruhe;  und so hast dur sie in der Tat angeschaut, wenn du nur wirklich vollzogen hast, was wir von dir verlangten.

Du dachtest meiner Aufforderung gemäß deinen Tisch, deine Wand usw., und nachdem du tätig die Gedanken dieser Gegenstände in dir hervorgebracht hattest, warst du nun in ruhiger fixierter Kontemplation derselben begriffen (obtutu haerebas fixus in illo [Du verweiltest unbewegt bei diesem Anblick. - wp], wie der Dichter sagt). Ich sagte dir: jetzt denke dich, und bemerke, daß dieses Denken ein Tun ist. Du mußtest, um das verlangte zu vollziehen, dich losreißen von jener Ruhe der Kontemplation, von jener Bestimmtheit deines Denkens, und dasselbe anders bestimmen; und nur insofern du dieses Losreißen und dieses Abändern der Bestimmtheit bemerktest, bemerktest du dich als tätig. Ich berufe mich hier lediglich auf deine eigene innere Anschauung, von außen dir anzudemonstrieren, was nur in dir selbst sein kann, vermag ich nicht.

Das Resultat der gemachten Bemerkung wäre dieses: man findet sich tätig, nur insofern man dieser Tätigkeit eine Ruhe (ein Anhalten und Fixiertsein der inneren Kraft) entgegensetzt. (Der Satz, welches wir hier nur im Vorbeigehen erinnern, ist auch umgekehrt wahr: man wird sich einer Ruhe nicht bewußt, ohne eine Tätigkeit zu setzen. Tätigkeit ist nichts ohne Ruhe und umgekehrt. Ja, der Satz ist allgemein wahr, und wird im folgenden in dieser seiner allgemeinen Gültigkeit aufgestellt werden: Alle Bestimmung, was immer es sei, das bestimmt wird, geschieht durch Gegensatz. Hier sehen wir nur auf den vorliegenden einzelnen Fall.)

Welche besondere Bestimmtheit deines Denkens war es nun, die, als Ruhe, derjenigen Tätigkeit, durch die du dich selbst dachtest, unmittelbar vorherging; oder genauer ausgedrückt, die damit unmittelbar vereinigt war, so daß du das eine nicht ohne das andere wahrnehmen konntest? - Ich sagte dir: denke  dich selbst,  um die Handlung, die du vollziehen solltest, zu bezeichnen, und du verstandest mich ohne weiteres. Du wußtest demnach, was das heißt: Ich. Aber du brauchtest nicht zu wissen, und wußtest meiner Voraussetzung nach nicht, daß dieser Gedanke durch ein Zurückgehen der Tätigkeit in sich selbst zustande kommt, sondern solltest dies erst lernen. Nun aber ist das Ich laut obigem nichts anderes, als ein in sich selbst zurückgehendes Handeln; und ein in sich selbst zurückgehendes Handeln ist das Ich. Wie konntest du denn also das letztere kennen, ohne die Tätigkeit zu kennen, durch die es zustande kommt? Nicht anders als so: du fandest, indem du den Ausdruck: Ich, verstehst,  dich, d. h. dein Handeln als Intelligenz,  bestimmt auf eine gewissen Weise; jedoch ohne das bestimmte gerade,  als ein Handeln,  zu erkennen. Du erkanntest es nur als  Bestimmtheit,  oder  Ruhe,  ohne eigentlich zu wissen, noch zu untersuchen, woher jene Bestimmtheit deines Bewußtseins kommt; kurz, so wie du mich verstehst, war diese Bestimmtheit unmittelbar da. Darum verstehst du mich, und kannst deiner Tätigkeit, die ich aufforderte, die zweckmäßige Richtung geben. Die Bestimmtheit deines Denkens durch das Denken deiner selbst war demnach, und mußte notwendig sein, diejenige Ruhe, von der du dich zur Tätigkeit losgerissen hast.

Oder um die Sache deutlicher zu machen: - wie ich dir sagte: denke dich; und so du das letztere Wort verstanden hast, vollzogst du  im Akt des Verstehens selbst  die in sich zurückgehende Tätigkeit, durch welche der Gedanke des Ich zustande kommt, nur ohne es zu wissen, weil du darauf nicht besonders aufmerksam warst; und daher kam dir das, was du in deinem Bewußtsein vorfandest. Merke auf, wie du das machst, sagte ich dir ferner; und nun vollzogst du dieselbe Tätigkeit, die du schon vollzogen hattest, nur mit Aufmerksamkeit und Bewußtsein.

Man nennt die innere Tätigkeit, in ihrer Ruhe aufgefaßt, durchgängig den  Begriff Es war deshalb der Begriff des Ich, der mit der Anschauung desselben notwendig vereinigt war, und ohne welchen das Bewußtsein des Ich unmöglich geblieben wäre; denn der Begriff erst vollendet und umfaßt das Bewußtsein.

Der Begriff ist überall nichts anderes, als die Tätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmtheit aufgefaßt; und so verhält es sich auch mit dem Begriff des Ich. Die in sich zurückgehende Tätigkeit als feststehend und beharrlich aufgefaßt, wodurch dann beides, Ich als Tätiges, und Ich als Objekt meiner Tätigkeit, zusammenfallen, ist der Begriff des Ich.

Im gemeinen Bewußtsein kommen nur Begriffe vor, keineswegs Anschauungen als solche; ungeachtet dessen, daß der Begriff nur durch die Anschauung, jedoch ohne unser Bewußtsein, zustande gebracht wird. Zum Bewußtsein der Anschauung erhebt man sich nur durch Freiheit, wie es soeben in Absicht des Ich geschehen ist; und jede Anschauung mit Bewußtsein bezieht sich auf einen Begriff, der der Freiheit die Richtung andeutet. Daher kommt es, daß überhaupt, so wie in unserem besonderen Fall, das Objekt der Anschauung vor der Anschauung dasein soll. Dieses Objekt ist eben der Begriff. Nach unserer gegenwärtigen Erörterung sieht man, daß dieser nichts anderes ist, als die Anschauung selbst, nur nicht als solche, als Tätigkeit, sondern als Ruhe aufgefaßt.
LITERATUR - Johann Gottlieb Fichte, Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre [Philosophisches Journal, Bd. VII, Leipzig 1797] in Johann Hermann Fichte (Hg), Sämtliche Werke, Bd. 1, Berlin 1845
    Anmerkungen
    1) Man bedient sich neuerdings, um denselben Begriff auszudrücken, häufig des Wortes:  Selbst.  Sofern ich richtig ableite, so bedeutet die ganze Familie, zu der dieses Wort gehört z. B. selbiger, usw. derselbe, usw., eine Beziehung auf ein schon Gesetztes: aber schlechthin, insofern es  durch seinen bloßen Begriff  gesetzt ist. Bin  ich  dieses Gesetzte, so wird das Wort gebildet:  selbst. Selbst  setzt demnach den Begriff vom Ich voraus; und alles was darin von Absolutheit gedacht wird, ist aus diesem Begriff entlehnt. Im populären Vortrag ist das Wort:  Selbst  vielleicht darum bequemer, weil es dem dabei doch immer dunkel mitgedachten Begriff des Ich überhaupt einen besonderen Nachdruck hinzufügt, dessen der gewöhnliche Leser wohl bedürfen mag: im wissenschaftlichen Vortrag mußte, scheint es mir, der Begriff durch sein unmittelbares und eigentümliches Zeichen benannt werden. - Welche Absicht aber  dadurch  erreicht werden soll, daß man beide Begriffe, den des Selbst und den des Ich, als verschieden, einander gegenüber stellt, und aus dem ersten eine erhabene, aus dem zweiten eine verabscheuungswürdige Lehre ableitet, wie es neuerlich in einer für das größere Publikum bestimmten Schrift geschehen ist, deren Verfasser doch wenigstens historisch wissen mußte, daß das letztere Wort auch noch in einer anderen Bedeutung genommen wird, und daß auf den dadurch bezeichneten Begriff in dieser Bedeutung ein System aufgebaut wird, welches jene verabscheuungswürdige Lehre keineswegs enthält: - welche Absicht dadurch erreicht werden soll, läßt sich schlechthin nicht begreifen, wenn man eine feindselige nicht annehmen will, noch kann.