Zeit und RaumJacobi - HumeC. GrubeHönigswaldP. Richter | |||||
Humes Kausalitätstheorie
Die Erfahrung als Problem Die Gegenstände unseres Denkens oder Forschen insgesamt lassen sich nach ihrer Natur in zwei Arten einteilen: in der Beziehung der Ideen und in Tatsachen. Mit der ersten Art von Objekten beschäftigen sich Geometrie, Algebra, Arithmetik, und überhaupt gehört hierher jeder Satz, welcher entweder von intuitiver oder von demonstrativer Gewißheit ist. Man achte auf diese LOCKE entlehnten Ausdrücke. Daß das Quadrat der Hypotenuse gleich ist den Quadraten der beiden Seiten, drückt ein Verhältnis zwischen diesen Figuren aus, daß dreimal fünf die Hälfte von dreißig ist, gibt ein Verhältnis zwischen diesen Zahlen an. Alle Sätze dieser Art lassen sich durch die bloße Tätigkeit des Denkens entdecken, unabhängig von irgend etwas, das in der Welt existiert. Gäbe es auch nirgends in der Natur einen Kreis, oder ein Dreieck, - und es gibt in ihr, wie wir hinzufügen wollen, in der Tat keinen vollkommenen Kreis, kei geometrisch genaues Dreieck -, die von EUKLID bewiesenen Wahrheiten behielten dennoch und für immer ihre Gewißheit und Evidenz. Anders verhält es sich mit den Tatsachen, der zweiten Art von Gegenständen unserer Erkenntnis. Sie sind nicht auf dieselbe Weise gewiß zu machen, noch ist ihre Gewißheit, wie groß sie auch immer sein mag, von der nämlichen Natur, wie die der ersten Art. Das Gegenteil einer Tatsache bleibt immer vorstellbar. Daß die Sonne morgen nicht mehr aufgehen werde, ist genauso verständlich wie, daß sie aufgehen wird. Was ist, kann rein begrifflich erwogen, auch nicht sein. Das Nichtsein einer Tatsache enthält niemals einen Widerspruch, folglich kann auch das Sein einer Tatsache niemals aus bloßen Begriffen bewiesen werden. Die Folgerung auf das Dasein oder wirkliche Existenz kann nie demonstrativ gewiß sien. Dies soll nicht bedeuten, daß sie deshalb ungewiß bleiben müsse; es heißt nur, ihre Gewißheit ist von anderer Art als die Gewißheit der Sätze über Verhältnisse der Begriffe. Daß CÄSAR wirklich gelebt hat, heißt es in einem von BURTON mitgeteilten Briefe HUMEs, oder daß es eine Sizilien gibt, auch für den, der sie nicht besucht hat, sind Behauptungen, für die wir keinen eigentlichen Beweis noch einen intuitiv zu erkennenden Grund haben, daraus folgt aber nicht, daß sie nicht warh oder selbst gewiß sind. Es gibt verschiedene Arten von Gewißheit, und darunter solche, die ebenso befriedigend, wenn auch nicht gerade regelmäßig sind, wie der eigentliche Beweis. Das Kennzeichen intuitiver und beweisbarer Wahrheiten ist die Unvorstellbarkeit ihres Gegenteils; jeder unwahre Satz ist hier auch unverständlich. Doch unterscheidet HUME noch nicht das Denknotwendige von dem, was anschaulich notwendig ist; in beiden Fällen ist das Gegenteil unmöglich; nur in dem ersten Falle ist es zugleich widersprechend. Alle Sätze, deren Wahrheit unabhängig ist von Dasein oder wirklicher Existenz, alle Sätze a priori sind nach HUME analytisch; alle synthetischen Sätze empirisch. Durch diese Unterscheidung und Gegenüberstellung einer begrifflichen Erkenntnis und einer tatsächlichen wird die Erfahrung zum Probleme.
Der Empirismus, die Erfahrungsphilosophie, ist bei HUME kritisch geworden. HUME ist nicht bloß ein Kritiker der reinen Vernunft und Metaphysik; er ist auch und vor allem der Kritiker der reinen Erfahrung. Auch die Untersuchung des Kausalitätsprinzipes hängt unmittelbar mit der allgemeinen Frage nach dem Erkenntniswert der Erfahrung zusammen; vielmehr die Frage nach diesem Wert verwandelt sich, gestaltet sich bestimmter um in die Frage nach der Bedeutung jenes Prinzips. Wahrnehmung ist noch nicht Erfahrung. Die Eindrücke der Sinne werden unmittelbar erfaßt und dazu brauchen wir keine Erfahrung; das gilt von den in unserem Gedächtnis anwesenden Vorstellungen. Auch die Beobachtung der räumlichen und zeitlichen Verhältnisse unserer Wahrnehmungen, die Beobachtung, daß Dinge zugleich sind, oder aufeinanderfolgen, ist nicht eigentlich Erfahrung; auch sie geht nicht über das hinaus, was unserem Bewußtsein unmittelbar gegeben wird. Wir geben diesen Satz einstweilen zu und erwägen mit HUME die Schwierigkeit, welche entsteht, wenn wir eine gegenwärtige oder erinnerte Wahrnehmung mit der Vorstellung eines Dinges verbinden, das den Sinnen oder dem Gedächtnis gegenwärtig ist und dessen Dasein daher gefolgert werden muß. Dies ist jedesmal der Fall, sooft wir zeitlich verschiedene Wahrnehmungen auf Grund ihrer Ähnlichkeit auf ein und dasselbe Objekt beziehen, die verschiedenen Wahrnehmungen eines Hauses z.B. auf das nämliche Haus, oder eine Wahrnehmung, es sei der Sinne oder des Gedächtnisses, in Beziehung zu einer Tatsache setzen, die entweder nicht mehr ist, oder noch nicht ist, die der Wahrnehmung entweder voranging, oder ihr folgen wird; es ist mit einem Worte bei jeder tatsächlichen Erkenntnis der Fall. In der Erkenntnis der Verhältnisse der Begriffe sind die Vorstellungen, die wir verknüpfen, gleichartig, in der Erkenntnis von Tatsachen ungleichartig. Dort schließen wir von Idee auf Idee, hier muß der Ausgangspunkt unserer Folgerung eine Impression sein.
Alle Folgerungen in bezug auf Tatsachen sind von derselben Natur. Um von einer gegebenen Tatsache auf eine nicht gegebene zu schließen, bedürfen wir eines Bande, das beide verknüpft, eines Prinzipes, das unseren Schluß vermittelt. Dieses Prinzip nun ist in allen Schlüssen dieser Art ein und dasselbe: die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen der gegebenen Tatsache und der gefolgerten, oder das Prinzip der Kausalität. Wer auf einer verlassenen Insel eine Uhr oder eine andere Maschine findet, dessen Geist wird sogleich und mit zwingender Notwendigkeit auf die Vorstellung der früheren Anwesenheit von Menschen geführt. Er faßt den gegenwärtigen Eindruck als Wirkung auf und ergänzt ihn durch die Vorstellung der vergangenen Ursache. Hören wir im Dunkeln artikulierte Laute und ein zusammenhängendes Gespräch, so sind wir uns der Gegenwart einer Person gewiß, aus keinem anderen Grunde, als weil dies Wirkungen menschlicher Art und Natur sind und eng mit dieser verknüpft. Selbst das Verhältnis der Ähnlichkeit schließt, wenn es aus der Vergleichung einer Tatsache mit einer Idee gefolgert wird, die Vorstellung von Verursachung in sich ein. Ein Porträt ist nur deshalb dem abwesenden Freund ähnlich, weil es wirklich von ihm abgenommen wurde. Mit einem Worte: alle Folgerungen von Tatsachen gründen sich, es sei näher oder ferner, unmittelbar oder mittelbar, auf die Beziehung von Ursache und Wirkung. Alle Erfahrungsschlüsse sind kausale Schlüsse; die Kausalität ist nicht bloß das oberste, sie ist das einzige Prinzip der Erkenntnis von Tatsachen, das einzige Prinzip der Erfahrung. Die Erfahrung prüfen heißt mithin die Kausalität prüfen, und darum steht bei HUME die Prüfung des ursächlichen Verhältnisses im Mittelpunkt der Kritik der Erfahrung. Kausalität ist die einzige Form, Begriffe mit Tatsachen zu verbinden, der einzige Weg, der über bloße Begriffe hinausführt zu Erfahrung und Wirklichkeit. Die Wissenschaft gebraucht den Kausalsatz als Voraussetzung; sie muß ihn als zugestanden als erwiesen ansehen, denn er ist für sie ein methodischer Satz, der ihr Verfahren leitet, die Anweisung, Gesetze der Dinge zu suchen; daher seiner allgemeinen Form nach vielmehr ein Gesetz der Erforschung der Natur, als unmittelbar ein Gesetz der Natur selbst. Alle wissenschaftliche Erwartung und Voraussicht gründet sich auf diesen Satz, ebenso aber auch alle Klugheit und Berechnung des gewöhnlichen Lebens. Er erweitert den Horizont der realen Erkenntnis über den augenblicklichen Tatbestand des Bewußtseins und verbindet das Gegenwärtige mit dem Vergangenen und dem Künftigen zu der einen und ganzen Wirklichkeit. Und nicht bloß die Wissenschaft und das Leben, auch die dogmatische Philosophie stützt sich auf dieses Prinzip, nachdem sie es zuvor, unter dem Namen des Satzes vom zureichenden Grunde, zu einem reinen Denkgesetz gemacht hat. Das Fundament, worauf diese Philosophie ihre Lehren baut, ist der Glaube an die Erkennbarkeit der Dinge durch reine Vernunft, und der Leitfaden aller solcher Vernunftbeweise der Satz vom zureichenden Grunde. Eine Denkforderung, die sich nur auf Sätze bezieht, die nicht selbst Grundsätze sind, also schon im reinen Denken von eingeschränktem Gebrauche ist, wird vom Dogmatismus in ein allumfassendes metaphysisches Gesetz der Verknüpfung, ja sogar des Daseins der Dinge selbst verwandelt. |