tb-1Was ist Aufklärung?    
 
IMMANUEL KANT
(1724-1804)
Die Analytik der Begriffe
[ 2 / 3 ]

"Das Mannigfaltige der Vorstellungen kann in einer Anschauung gegeben werden, die bloß sinnlich d. i. nichts als Empfänglichkeit ist, und die Form dieser Anschauung kann  a priori  in unserem Vorstellungsvermögen liegen, ohne doch etwas anderes als die Art zu sein, wie das Subjekt affiziert wird. Allein die  Verbindung  (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch Sinne in uns kommen und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein; denn sie ist ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft und da man diese zum Unterschied von der Sinnlichkeit Verstand nennen muß, so ist alle Verbindung des Mannigfaltigen, wir mögen uns ihrer bewußt werden oder nicht, es mag eine Verbindung des Mannigfaltigen in der Anschauung oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der sinnlichen oder nichtsinnlichen Anschauung sein, eine Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen Benennung  Synthesis  belegen werden, um dadurch zugleich bemerklich zu machen, daß wir uns nichts als im Objekt verbunden vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben und unter allen Vorstellungen die  Verbindung  die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekt selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Aktus seiner Selbsttätigkeit ist."

Von den Prinzipien einer
transzendentalen Deduktion überhaupt


§ 13.

Die Rechtslehrer, wenn sie von Befugnissen und Anmaßungen reden, unterscheiden in einem Rechtshandel die Frage über das, was Rechtens ist (quid juris), von der, die die Tatsache angeht (quid facti); und indem sie von beiden Beweis fordern, so nennen sie den ersteren, der die Befugnis oder auch den Rechtsanspruch dartun soll, die  Deduktion.  Wir bedienen uns einer Menge empirischer Begriffe ohne jemandes Widerrede, und halten uns auch ohne Deduktion berechtigt, ihnen einen Sinn und eingebildete Bedeutung zuzueignen, weil wir jederzeit die Erfahrung bei der Hand haben, ihre objektive Realität zu beweisen. Es gibt indessen auch usurpierte Begriffe, wie etwa  Glück, Schicksal,  die zwar mit fast allgemeiner Nachsicht herumlaufen, aber doch bisweilen durch die Frage,  quid juris,  in Anspruch genommen werden, da man alsdann wegen der Deduktion derselben in nicht geringe Verlegenheit gerät, indem man keinen deutlichen Rechtsgrund weder aus der Erfahrung noch der Vernunft anführen kann, dadurch die Befugnis ihres Gebrauchs deutlich würde.

Unter den mancherlei Begriffen aber, die das sehr vermischte Gewebe der menschlichen Erkenntnis ausmachen, gibt es einige, die auch zum reinen Gebrauch  a priori  (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt sind und dieser ihre Befugnis bedarf jederzeit einer Deduktion; weil zur Rechtmäßigkeit eines solchen Gebrauchs Beweise aus der Erfahrung nicht hinreichend sind, man aber doch wissen muß, wie diese Begriffe sich auf Objekte beziehen können, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen. Ich nenne daher die Erklärung der Art, wie sich Begriffe  a priori  auf Gegenstände beziehen können, die  transzendentale Deduktion  derselben, und unterscheide sie von der  empirischen  Deduktion, welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über dieselbe erworben worden, und daher nicht die Rechtmäßigkeit, sondern das Faktum betrifft, woduch der Besitz entsprungen.

Wir haben jetzt schon zweierlei Begriffe von ganz verschiedener Art, die doch darin miteinander übereinkommen, daß sie beiderseits völlig  a priori  sich auf Gegenstände beziehen, nämlich die Begriffe des Raumes und der Zeit als Formen der Sinnlichkeit, und die Kategorien als Begriffe des Verstandes. Von ihnen eine empirische Deduktion versuchen wollen, würde ganz vergebliche Arbeit sein, weil eben darin das Unterscheidende ihrer Natur liegt, daß sie sich auf ihre Gegenstände beziehen, ohne etwas zu deren Vorstellung aus der Erfahrung entlehnt zu haben. Wenn also eine Deduktion derselben nötig ist, so wird sie jederzeit transzendental sein müssen.

Indessen kann man von diesen Begriffen, wie von aller Erkenntnis, wo nicht das Prinzipium ihrer Möglichkeit, doch die Gelegenheitsursachen ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufsuchen, wo alsdann die Eindrücke der Sinne den ersten Anlaß geben, die ganze Erkenntniskraft in Ansehung ihrer zu eröffnen und Erfahrung zustande zu bringen, die zwei sehr ungleichartige Elemente enthält, nämlich eine  Materie  zur Erkenntnis aus den Sinnen, und eine gewisse  Form  sie zu ordnen aus dem inneren Quelle des reinen Anschauens und Denkens, die bei Gelegenheit der ersteren zuerst in Ausübung gebracht werden und Begriffe hervorbringen. Ein solches Nachspüren der ersten Bestrebungen unserer Erkenntniskraft, um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Begriffen zu steigen, hat ohne Zweifel seinen großen Nutzen, und man hat es dem berühmten LOCKE zu verdanken, daß er dazu zuerst den Weg eröffnet hat. Allein eine  Deduktion  der reinen Begriffe  a priori  kommt dadurch niemals zustande, denn sie liegt ganz und gar nicht auf diesem Weg, weil in Ansehung ihres künftigen Gebrauchs, der von der Erfahrung gänzlich unabhängig sein soll, sie einen ganze anderen Geburtsbrief als den der Abstammung von Erfahrungen müssen aufzuzeigen haben. Diese versuchte physiologische Ableitung, die eigentlich gar nicht Deduktion heißen kann, weil sie eine  quaestionem facti  betrifft, will ich daher die Erklärung des  Besitzes  einer reinen Erkenntnis nennen. Es ist also klar, daß von dieser es allein eine transzendentale Deduktion und keineswegs eine empirische geben könne, und daß letztere in Ansehung der reinen Begriffe  a priori  nichts als eitle Versuche sind, womit sich nur derjenige beschäftigen kann, welcher die ganz eigentümliche Natur dieser Erkenntnisse nicht begriffen hat.

Ob nun aber gleich die einzige Art einer möglichen Deduktion der reinen Erkenntnis  a priori,  nämlich die auf dem transzendentalen Weg eingeräumt wird, so erhellt dadurch doch eben nicht, daß sie so unumgänglich notwendig sei. Wir haben oben die Begriffe des Raumes und der Zeit mittels einer transzendentalen Deduktion zu ihren Quellen verfolgt, und ihre objektive Gültigkeit  a priori  erklärt und bestimmt. Gleichwohl geht die Geometrie ihren sicheren Schritt durch lauter Erkenntnisse  a priori,  ohne daß sie sich wegen der reinen und gesetzmäßigen Abkunft ihres Grundbegriffs vom Raum von der Philosophie einen Beglaubigungsschein erbitten darf. Allein der Gebrauch des Begriffs geht in dieser Wissenschaft auch nur auf die äußere Sinnenwelt, von welcher der Raum die reine Form ihrer Anschauung ist, in welcher also alle geometrische Erkenntnis, weil sie sich auf Anschauung ist, in welcher also alle geometrische Erkenntnis, weil sie sich auf Anschauung  a priori  gründet, unmittelbare Evidenz hat, und die Gegenstände durch die Erkenntnis selbst  a priori  (der Form nach) in der Anschauung gegeben werden. Dagegen fängt mit den  reinen Verstandesbegriffen  das unumgängliche Bedürfnis an, nicht allein von ihnen selbst, sondern auch vom Raum die transzendentale Deduktion zu suchen, weil, da sie von Gegenständen nicht durch Prädikate der Anschauung und der Sinnlichkeit, sondern des reinen Denkens  a priori  reden, sie sich auf Gegenstände ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit allgemein beziehen und sie, da sie nicht auf Erfahrung gegründet sind, auch in der Anschauung  a priori  kein Objekt vorzeigen können, worauf sie vor aller Erfahrung ihre Synthesis gründeten und daher nicht allein wegen der objektiven Gültigkeit und Schranken ihres Gebrauchs Verdacht erregen, sondern auch jenen  Begriff des Raumes  zweideutig machen, dadurch, daß sie ihn über die Bedingungen der sinnlichen Anschauung zu gebrauchen geneigt sind, weshalb auch oben von ihm eine transzendentale Deduktion von nöten war. So muß denn der Leser von der unumgänglichen Notwendigkeit einer solchen transzendentalen Deduktion, ehe er einen einzigen Schritt im Feld der reinen Vernunft getan hat, überzeugt werden, weil er sonst blind verfährt und, nachdem er mannigfaltig umher geirrt hat, doch wieder zu der Unwissenheit zurückkehren muß, von der er ausgegangen war. Er muß aber auch die unvermeidliche Schwierigkeit zum voraus deutlich einsehen, damit er nicht über Dunkelheit klage, wo die Sache selbst tief eingehüllt ist, oder über die Wegräumung der Hindernisse zu früh verdrossen werde, weil es darauf ankommt, entweder alle Ansprüche zu Einsichten der reinen Vernunft, als das beliebteste Feld, nämlich dasjenige über die Grenzen aller möglichen Erfahrung hinaus, völlig aufzugeben oder diese kritische Untersuchung zur Vollkommenheit zu bringen.

Wir haben oben an den Begriffen des Raumes und der Zeit mit leichter Mühe begreiflich machen können, wie diese als Erkenntnisse  a priori  sich gleichwohl auf Gegenstände notwendig beziehen müssen und eine synthetische Erkenntnisse derselben unabhängig von aller Erfahrung möglich machen. Denn da nur mittels solcher reinen Formen der Sinnlichkeit uns ein Gegenstand erscheinen, d. i. ein Objekt der empirischen Anschauung sein kann, so sind Raum und Zeit reine Anschauungen, welche die Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände als Erscheinungen  a priori  enthalten und die Synthesis in denselben hat objektive Gültigkeit.

Die Kategorien des Verstandes dagegen stellen uns gar nicht die Bedingungen vor, unter denen Gegenstände in der Anschauung gegeben werden; mithin können uns allerdings Gegenstände erscheinen, ohne daß sie sich notwendig auf Funktionen des Verstandes beziehen müssen und dieser also die Bedingungen derselben  a priori  enthielte. Daher zeigt sich hier eine Schwierigkeit, die wir im Feld der Sinnlichkeit nicht antrafen, wie nämlich  subjektive  Bedingungen des Denkens  sollten   objektive  Gültigkeit haben, d. i. Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben; denn ohne Funktionen des Verstandes können allerdings Erscheinungen in der Anschauung gegeben. Ich nehme z. B. den Begriff der Ursache, welcher eine besondere Art der Synthesis bedeutet, da auf etwas  A  etwas ganz Verschiedenes  B  nach einer Regel gesetzt wird. Es ist  a priori  nicht klar, warum Erscheinungen etwas dergleichen enthalten sollten (denn Erfahrungen kann man nicht zum Beweis anführen, weil die objektive Gültigkeit dieses Begriffs  a priori  muß dargetan werden können) und es ist daher  a priori  zweifelhaft, ob ein solcher Begriff nicht etwa gar leer sei und überall unter den Erscheinungen keinen Gegenstand antreffe. Denn daß Gegenstände der sinnlichen Anschuung den im Gemüt  a priori  liegenden formalen Bedingungen der Sinnlichkeit gemäß sein müssen, ist daraus klar, weil sie sonst nicht Gegenstände für uns sein würden; daß sie aber auch überdem den Bedingungen, deren der Verstand zur synthetischen Einheit des Denkens bedarf, gemäß sein müssen, davon in die Schlußfolge nich so leicht einzusehen. Denn es können wohl allenfalls Erscheinungen so beschaffen sein, daß der Verstand sie den Bedingungen seiner Einheit gar nicht gemäß fände und alles so in Verwirrung läge, daß z. B. in der Reihenfolge der Erscheinungen sich nichts darböte, was eine Regel der Synthesis an die Hand gäbe und also dem Begriff der Ursache und Wirkung entspräche, so daß dieser Begriff also ganz leer, nicht und ohne Bedeutung wäre. Erscheinungen würden nichtsdestoweniger unserer Anschauung Gegenstände darbieten, denn die Anschauung bedarf der Funktionen des Denkens auf keine Weise.

Gedächte man sich von der Mühsamkeit dieser Untersuchungen dadurch loszuwickeln, daß man sagte, die Erfahrung böte unablässig Beispiele einer solchen Regelmäßigkeit der Erscheinungen dar, die genugsam Anlaß geben, den Begriff der Ursache davon abzusondern und dadurch zugleich die objektive Gültigkeit eines solchen Begriffs zu bewähren, so bemerkt man nicht, daß auf diese Weise der Begriff der Ursache gar nicht entspringen kann, sondern daß er entweder völlig  a priori  im Verstand müsse gegründet sein oder als ein bloßes Hirngespinst gänzlich aufgegeben werden müsse. Denn dieser Begriff erfordert durchaus, daß etwas  A  von der Art sei, daß ein anderes  B  daraus  notwendig  und  nach einer schlechthin allgemeinen Regel  folge. Erscheinungen geben gar wohl Fälle an die Hand, aus denen eine Regel möglich ist, nach der etwas gewöhnlichermaßen geschieht, aber niemals, daß der Erfolg notwendig sei; daher der Synthesis der Ursache und Wirkung auch eine Dignität anhängt, die man gar nicht empirisch ausdrücken kann, nämlich daß die Wirkung nicht bloß zur Ursache hinzu komme, sondern durch dieselbe gesetzt sei und aus ihr erfolge. Die strenge Allgemeinheit der Regel ist auch gar keine Eigenschaft empirischer Regeln, die durch Induktion keine andere als komparative Allgemeinheit d. i. ausgebreitete Brauchbarkeit bekommen können. Nun würde sich aber der Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe gänzlich ändern, wenn man sie nur als empirische Produkte behandeln wollte.


§ 14.
Übergang zur transzendentalen Deduktion der Kategorien

Es sind nur zwei Fälle möglich, unter denen synthetische Vorstellungen und ihre Gegenstände zusammentreffen, sich auf einander in notwendiger Weise beziehen und gleichsam einander begegnen können. Entweder der Gegenstand die Vorstellung oder diese den Gegenstand allein möglich macht. Ist das erstere, so ist diese Beziehung nur empirisch und die Vorstellung ist niemals  a priori  möglich. Und das ist der Fall mit Erscheinungen in Ansehung dessen, was an ihnen zur Empfindung gehört. Ist aber das zweite, weil Vorstellung an sich selbst (denn von deren Kausalität mittels des Willens ist hier gar nicht die Rede) ihren Gegenstand  dem Dasein nach  nicht hervorbringt, so ist doch die Vorstellung in Ansehung des Gegenstandes alsdann  a priori  bestimmend, wenn durch sie allein es möglich ist, etwas  als einen Gegenstand  zu erkennen. Es sind aber zwei Bedingungen, unter denen allein die Erkenntnis des Gegenstandes möglich ist, erstlich  Anschauung,  dadurch derselbe, aber nur als Erscheinung, gegeben wird, zweitens  Begriff,  dadurch ein Gegenstand gedacht wird, der dieser Anschauung entspricht. Es ist aber aus dem Obigen klar, daß die erste Bedingung, nämlich die, unter der allein Gegenstände angeschaut werden können, in de Tat den Objekten der Form nach  a priori  im Gemüt zum Grunde liege. Mit dieser formalen Bedingung der Sinnlichkeit stimmen also alle Erscheinungen notwendig überein, weil sie nur durch dieselbe erscheinen, d. i. empirisch angeschaut und gegeben werden können. Nun fragt es sich, ob nicht auch Begriffe  a priori  vorausgehen als Bedingungen, unter denen allein etwas, wenn gleich nicht angeschaut, dennoch als Gegenstand überhaupt gedacht wird; denn alsdann ist alle empirische Erkenntnis der Gegenstände solchen Begriffen notwendinger Weise gemäß, weil ohne deren Voraussetzung nichts  als Objekt der Erfahrung  möglich ist. Nun enthält aber alle Erfahrung außer der Anschauung der Sinne, wodurch etwas gegeben wird, noch einen  Begriff  von einem Gegenstand, der in der Anschauung gegeben wird oder erscheint; demnach werden Begriffe von Gegenständen überhaupt als Bedingungen  a priori  aller Erfahrungskenntnis zum Grunde liegen; folglich wird die objektive Gültigkeit der Kategorien als Begriffe  a priori  darauf beruhen, daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei. Denn alsdann beziehen sie sich notwendiger Weise und  a priori  auf Gegenstände der Erfahrung, weil nur mittels ihrer überhaupt irgendeine Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann.

Die transzendentale Deduktion aller Begriffe  a priori  hat also ein Prinzipium, worauf die ganze Nachforschung gerichtet werden muß, nämlich dieses, daß sie als Bedingungen  a priori  der Möglichkeit der Erfahrung erkannt werden müssen (es sei der Anschauung, die in ihr angetroffen wird, oder des Denkens). Begriffe, die den objektiven Grund der Möglichkeit der Erfahrung abgeben, sind eben darum notwendig. Die Entwicklung der Erfahrung aber, worin sie angetroffen werden, ist nicht ihre Deduktion (sonder Jllustration), weil sie dabei doch nur zufällig sein würden. Ohne diese ursprüngliche Beziehung auf mögliche Erfahrung, in welcher alle Gegenstände der Erkenntnis vorkommen, würde die Beziehung derselben auf irgendein Objekt gar nicht begriffen werden können.

Der berühmte LOCKE hatte aus Ermangelung dieser Betrachtung, und weil er reine Begriffe des Verstandes in der Erfahrung antraf, sie auch von der Erfahrung abgeleitet, und verfuhr doch so  inkonsequent,  daß er damit Versuche zu Erkenntnissen wagte, die weit über alle Erfahrungsgrenze hinausgehen. DAVID HUME erkannte, um das das Letztere tun zu können, sei es notwendig, daß diese Begriffe ihren Ursprung  a priori  haben müßten. Da er sich aber gar nicht erklären konnte, wie es möglich sei, daß der Verstand Begriffe, die an sich im Verstand nicht verbunden sind, doch als im Gegenstand notwendig verbunden müsse und darauf nicht verfiel, daß vielleicht der Verstand durch diese Begriffe selbst Urheber der Erfahrung, worin seine Gegenstände angetroffen werden, sein könne, so leitete er sie, durch Not gedrungen, von der Erfahrung ab (nämlich von einer durch öftere Assoziation in der Erfahrung entsprungenen subjektiven Notwendigkeiten, welche zuletzt fälschlich für objektiv gehalten wird, d. i. der  Gewohnheit),  verfuhr aber hernach sehr  konsequent  darin, daß er es für unmöglich erklärte, mit diesen Begriffen und den Grundsätzen, die sie veranlassen, über die Erfahrungsgrenze hinauszugehen. Die  empirische  Ableitung aber, worauf beide verfielen, läßt sich mit der Wirklichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse  a priori,  die wir haben, nämlich der  reinen Mathematik  und  allgemeinen Naturwissenschaft  nicht vereinigen, und wird also durch das Faktum widerlegt.

Der erste dieser beiden berühmten Männer öffnete der  Schwärmerei  Tür und Tor, weil die Vernunft, wenn sie einmal Befugnisse auf ihrer Seite hat, sich nicht mehr durch unbestimmte Anpreisungen der Mäßigung in Schranken halten läßt; der zweite ergab sich gänzlich dem  Skeptizismus da er einmal eine so allgemeine, für Vernunft gehaltene Täuschung unseres Erkenntnisvermögens glaubte entdeckt zu haben. - Wir sind jetzt im Begriff einen Versuch zu machen, ob man nicht die menschliche Vernunft zwischen diesen beiden Klippen glücklich durchbringen, ihr bestimmte Grenzen anweisen, und dennoch das ganze Feld ihrer zweckmäßigen Tätigkeit für sie geöffnet erhalten könne.

Vorher will ich nur noch die  Erklärung  der  Kategorien  voranschicken. Sie sind Begriffe von einem Gegenstand überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der  logischen Funktionen  zu Urteilen als  bestimmt  angesehen wird. So war die Funktion des kategorischen Urteils die des Verhältnisses des Subjekts zum Prädikat, z. B. alle Körper sind teilbar. Allein in Ansehung des bloß logischen Gebrauchs des Verstandes blieb es unbestimmt, welchem von beiden Begriffen die Funktion des Subjekts und welchem die des Prädikats man geben wolle. Denn man kann auch sagen: einiges Teilbare ist ein Körper. Durch die Kategorie der Substanz aber, wenn ich den Begriff eines Körpers darunter bringe, wird es bestimmt, daß seine empirische Anschauung in der Erfahrung immer nur als Subjekt, niemals als bloßes Prädikat betrachtet werden müsse; und so in allen übrigen Kategorien.


§ 15.
Von der Möglichkeit einer Verbindung überhaupt

Das Mannigfaltige der Vorstellungen kann in einer Anschauung gegeben werden, die bloß sinnlich d. i. nichts als Empfänglichkeit ist, und die Form dieser Anschauung kann  a priori  in unserem Vorstellungsvermögen liegen, ohne doch etwas anderes als die Art zu sein, wie das Subjekt affiziert wird. Allein die  Verbindung  (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch Sinne in uns kommen und kann also auch nicht in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein; denn sie ist ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft und da man diese zum Unterschied von der Sinnlichkeit Verstand nennen muß, so ist alle Verbindung des Mannigfaltigen, wir mögen uns ihrer bewußt werden oder nicht, es mag eine Verbindung des Mannigfaltigen in der Anschauung oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der sinnlichen oder nichtsinnlichen Anschauung sein, eine Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen Benennung  Synthesis  belegen werden, um dadurch zugleich bemerklich zu machen, daß wir uns nichts als im Objekt verbunden vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben und unter allen Vorstellungen die  Verbindung  die einzige ist, die nicht durch Objekte gegeben, sondern nur vom Subjekt selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Aktus seiner Selbsttätigkeit ist. Man wird hier leicht gewahr, daß diese Handlung ursprünglich einig und für alle Verbindung gleichgeltend sein müsse und daß die Auflösung d. i. die  Analysis,  die ihr Gegenteil zu sein scheint, sie doch jederzeit voraussetze; denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen, weil es nur  durch  ihn als verbunden der Vorstellungskraft hat gegeben werden können.

Aber der Begriff der Verbindung führt außer dem Begriff des Mannigfaltigen und der Synthesis desselben noch den der Einheit desselben bei sich. Verbindung ist Vorstellung der  synthetischen Einheit  des Mannigfaltigen. (1) Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung erst möglich. Diese Einheit, die  a priori  vor allen Begriffen der Verbindung vorhergeht, ist nicht etwa jene Kategorie der Einheit (§ 10); denn alle Kategorien gründen sich auf logische Funktionen in Urteilen, in diesen aber ist schon Verbindung mithin Einheit gegebener Begriffe gedacht. Die Kategorie setzt also schon Verbindung voraus. Also müssen wir diese Einheit (als qualitative § 12) noch höher suchen, nämlich in demjenigen, was selbst Grund der Einheit verschiedener Begriffe in Urteilen, mithin der Möglichkeit des Verstandes sogar in seinem logischen Gebrauch enthält.


§ 16.
Von der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption

Das "Ich denke" muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebenso viel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich oder wenigstens für mich nichts sein. Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt  Anschauung.  Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das "Ich denke" in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. Diese Vorstellung aber ist ein Aktus der  Spontaneität,  d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. Ich nenne sie die  reine Apperzeption um sie von der  empirischen  zu unterscheiden oder auch die  ursprüngliche Apperzeption,  weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, indem es die Vorstellung  "Ich denke"  hervorbringt, die alle anderen muß begleiten können und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden kann. Ich nenne auch die Einheit derselben die  transzendentale Einheit  des Selbstbewußtseins, um die Möglichkeit der Erkenntnis  a priori  aus ihr zu bezeichnen. Denn die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben weden, würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten, d. i. als meine Vorstellungen (ob ich mir ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen  können,  weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden. Aus dieser ursprünglichen Verbindung läßt sich Vieles folgern.

Nämlich diese durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen enthält eine Synthesis der Vorstellungen und ist nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich. Denn das empirische Bewußtsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts. Diese Beziehung geschieht also dadurch noch nicht, daß ich jede Vorstellung mit Bewußtsein begleite, sondern daß ich eine zu der anderen  hinzusetze  und mir der Synthesis derselben bewußt bin. Also nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen  in einem Bewußtsein  verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die  Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen  selbst vorstelle, d. i. die  analytische  Einheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgendeiner  synthetischen  möglich. (2) Der Gedanke: diese in der Anschauung gegebenen Vorstellungen gehören mir insgesamt zu, heißt demnach so viel als: ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein oder kann sie wenigstens darin vereinigen; und ob er gleich selbst noch nicht das  Bewußtsein der Synthesis  der Vorstellungen ist, so setzt er doch die Möglichkeit der letzteren voraus, d. i. nur dadurch, daß ich das Mannigfaltige derselben in einem Bewußtsein begreifen kann, nenne ich dieselben insgesamt meine Vorstellungen; denn sonst würde ich ein so vielfarbiges verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin. Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen als  a priori  gegeben ist also der Grund der Identität der Apperzeption selbst, die  a priori  allem meinem bestimmten Denken vorhergeht. Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist als das Vermögen,  a priori  zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter die Einheit der Apperzeption zu bringen, welcher Grundsatz der oberste in der ganzen menschlichen Erkenntnis ist.

Dieser Grundsatz der notwendigen Einheit der Apperzeption ist nun zwar selbst identisch, mithin ein analytischer Satz, erklärt aber doch eine Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen als notwending, ohne welche jene durchgängige Identität des Selbstbewußtseins nicht gedacht werden kann. Denn durch das Ich als einfache Vorstellung ist nichts Mannigfaltiges gegeben; in der Anschauung, die davon unterschieden ist, kann es nur gegeben, und durch  Verbindung  in einem Bewußtsein gedacht werden. Ein Verstand, in welchem durch das Selbstbewußtsein zugleich alles Mannigfaltige gegeben würde, würde  anschauen;  der unsere kann nur denken und muß in den Sinnen die Anschauung suchen. Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt in Ansehung des Mannigfaltigen der mir in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil ich sie ingesamt meine Vorstellungen nenne, die  eine  ausmachen. Das ist aber so viel als daß ich mir einer notwendigen Synthese derselben  a priori  bewußt bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption heißt, unter der alle mir gegebenen Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch eine  Synthesis  gebracht werden müssen.


§ 17.
Der Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption ist das
oberste Prinzip allen Verstandesgebrauchs.

Der oberste Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauung in Beziehung auf die Sinnlichkeit war laut der transzendentalen Ästhetik, daß alles Mannigfaltige derselben unter den formalen Bedingungen des Raums und der Zeit stehe. Der oberste Grundsatz eben derselben in Beziehung auf den Verstand ist, daß alles Mannigfaltige der Anschauung unter Bedingungen der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption stehe. (3) Unter dem ersteren stehen alle mannigfaltigen Vorstellungen der Anschauung, so fern sie uns  gegeben  werden, unter dem zweiten, so fern sie in einem Bewußtsein müssen  verbunden  werden können; denn ohne das kann nichts dadurch gedacht oder erkannt werden, weil die gegebenen Vorstellungen den Aktus der Apperzeption  "Ich denke"  nicht gemein haben und dadurch nicht in einem Selbstbewußtsein zusammengefaßt sein würden.

Verstand  ist, allgemein zu reden, das Vermögen der  Erkenntnisse.  Diese bestehen in der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt.  Objekt  aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung  vereinigt  ist. Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben. Folglich ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, folglich daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht, und worauf folglich selbst die Möglichkeit des Verstandes beruth.

Die erste reine Verstandeserkenntnis also, worauf sein ganzer übriger Gebrauch sich gründet, welche auch zugleich von allen Bedingungen der sinnlichen Anschauung ganz unabhängig ist, ist nun der Grundsatz der ursprünglichen  synthetischen  Einheit der Apperzeption. So ist die bloße Form der äußeren sinnlichen Anschauung, der Raum, noch gar keine Erkenntnis; er gibt nur das Mannigfaltige der Anschauung  a priori  zu einer möglichen Erkenntnis. Um aber irgend etwas im Raume zu erkennen, z. B. eine Linie, muß ich sie  ziehen  und also eine bestimmte Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen synthetisch zustande bringen, so daß die Einheit dieser Handlung zugleich die Einheit des Bewußtseins (im Begriff einer Linie) ist und dadurch allererst ein Objekt (ein bestimmter Raum) erkannt wird. Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß,  um für mich Objekt zu werden,  weil auf andere Art und ohne diese Synthesis das Mannigfaltige sich  nicht  in einem Bewußtsein vereinigen würde.

Dieser letztere Satz ist, wie gesagt, selbst analytisch, ob er zwar die synthetische Einheit zur Bedingung allen Denkens macht; denn er sagt nichts weiter, als daß alle  meine  Vorstellungen in irgend einer gegebenen Anschauung unter der Bedingung stehen müssen, unter der sich sie allein als  meine  Vorstellungen zum identischen Selbst rechnen und also als in einer Apperzeption synthetisch verbunden durch den allgemeinen Ausdruck  "Ich denke"  zusammenfassen kann.

Aber dieser Grundsatz ist doch nicht ein Prinzip für jeden überhaupt möglichen Verstand, sondern nur für den, durch dessen reine Apperzeption in der Vorstellung  "Ich bin"  noch gar nichts Mannigfaltiges gegeben ist. Derjenige Verstand, durch dessen Selbstbewußtsein zugleich das Mannigfaltige der Anschauung gegeben würde, ein Verstand, durch dessen Vorstellung zugleich die Objekte dieser Vorstellung existierten, würde einen besondern Aktus der Synthesis des Mannigfaltigen zur Einheit des Bewußtseins nicht bedürfen, deren der menschliche Verstand, der bloß denkt, nicht anschaut, bedarf. Aber für den menschlichen Verstand ist er doch unvermeidlich der erste Grundsatz, so daß er sich sogar von einem anderen möglichen Verstand, entweder einem solchen, der selbst anschaute, oder, wenn gleich eine sinnliche Anschauung, aber doch von anderer Art als die im Raum und der Zeit zum Grunde liegend besäße, sich nicht den mindesten Begriff machen kann.


§ 18.
Was objektive Einheit des Selbstbewußtsein sei

Die  transzendentale Einheit  der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird. Sie heißt darum  objektiv  und muß von der  subjektiven Einheit  des Bewußtseins unterschieden werden, die eine  Bestimmung des inneren Sinnes  ist, dadurch jenes Mannigfaltige der Anschauung zu einer solchen Verbindung empirisch gegeben wird. Ob ich mir des Mannigfaltigen als zugleich oder nacheinander  empirisch  bewußt sein könne, kommt auf Umstände oder empirische Bedingungen an. Daher die empirische Einheit des Bewußtseins durch Assoziation der Vorstellungen selbst eine Erscheinung betrifft und ganz zufällig ist. Dagegen steht die reine Form der Anschauung in der Zeit bloß als Anschauung überhaupt, die ein gegebenes Mannigfaltiges enthält, unter der ursprünglichen Einheit des Bewußtseins lediglich durch die notwendige Beziehung des Mannigfaltigen der Anschauung zu einem  "Ich denke",  als durch die reine Synthesis des Verstandes, welche a priori der empirischen zum Grunde liegt. Jene Einheit ist allein objektiv gültig; die empirische Einheit der Apperzeption, die wir hier nicht erwägen und die auch nur von der ersteren unter gegebenen Bedingungen  in concreto  abgeleitet ist, hat nur subjektive Gültigkeit. Einer verbindet die Vorstellung eines gewissen Worts mit einer Sache, der andere mit einer anderen Sache; und die Einheit des Bewußtseins in dem, was empirisch ist, ist in Ansehung dessen, was gegeben ist, nicht notwendig und allgemein geltend.


§ 19.
Die logische Form aller Urteile besteht in der objektiven
Einheit der Apperzeption der darin enthaltenen Begriffe

Ich habe mich niemals durch die Erklärung, welche die Logiker von einem Urteil überhaupt geben, befriedigen können: es ist, wie sie sagen, die Vorstellung eines  Verhältnisses zwischen zwei Begriffen.  Ohne nun hier über das Fehlerhafte der Erklärung, daß sie allenfalls nur auf kategorische, aber nicht auf hypothetische und disjunktive Urteile paßt (als welche letzteren nicht ein Verhältnis von Begriffen, sondern selbst von Urteilen enthalten), mit ihnen zu zanken (ohnerachtet aus diesem Versehen der Logik manche lästige Folgen erwachsen sind) (4), merke ich nur an, daß, worin dieses  Verhältnis  bestehe, hier nicht bestimmt ist.

Wenn ich aber die Beziehung gegebener Erkenntnisse in jedem Urteil genauer untersuche und sie als dem Verstand angehörig vom Verhältnis nach Gesetzen der reproduktiven Einbildungskraft (welches nur subjektive Gültigkeit hat) unterscheide, so finde ich, daß ein Urteil nichts anderes sei als die Art, gegebene Erkenntnisse zur  objektiven  Einheit der Apperzeption zu bringen. Darauf zielt das Verhältniswörtchen "ist" in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperzeption und die  notwendige Einheit  derselben, wenn gleich das Ureil selbst empirisch, mithin zufällig ist, z. B. die Körper sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen will, diese Vorstellungen gehören in der empirischen Anschauung  notwendig  zu einander, sondern sie gehören  vermöge der notwendigen Einheit  der Apperzeption in der Synthesis der Anschauungen zueinander, d. i. nach Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen, so fern daraus Erkenntnis werden kann, welche Prinzipien alle aus dem Grundsatz der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet sind. Dadurch allein wird aus diesem Verhältnis  ein Urteil,  d. i. ein Verhältnis, das  objektiv gültig  ist und sich vom Verhältnisse eben derselben Vorstellungen, worin blooß subjektive Gültigkeit wäre, z. B. nach Gesetzen der Assoziation, hinreichend unterscheidet. Nach den letzteren würde ich nur sagen können: wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere, aber nicht: er, der Körper, ist schwer, welches so viel sagen will als: diese beiden Vorstellungen sind im Objekt, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts verbunden, und nicht bloß in der Wahrnehmung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen.
LITERATUR - Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Ausgabe Erdmann, Hamburg und Leipzig 1889
    Anmerkungen
    1) Ob die Vorstellungen selbst identisch sind und also eine durch die andere analytisch könne gedacht werden, das kommt hier nicht in Betrachtung. Das  Bewußtsein  der einen ist, so fern vom Mannigfaltigen die Rede ist, vom Bewußtsein der anderen doch immer zu unterscheiden und auf die Synthesis dieses (möglichen) Bewußtseins kommt es hier allein an.
    2) Die analytische Einheit des Bewußtseins hängt allen gemeinsamen Begriffen als solchen an; z. B. wenn ich mir  rot  überhaupt denke, so stelle ich mir dadurch eine Beschaffenheit vor, die (als Merkmal) irgend woran angetroffen oder mi anderen Vorstellungen verbunden sein kann; also nur vermöge einer vorausgedachten möglichen synthetischen Einheit kann ich mir die analytische vorstellen. Eine Vorstellung, die als verschiedenen  gemein gedacht werden soll, wird als zu solchen gehörig angesehen, die außer ihr noch etwas  Verschiedenes  an sich haben; folglich muß sie in synthetischer Einheit mit anderen (wenn gleich nur möglichen Vorstellungen) vorher gedacht werden, ehe ich die analytische Einheit des Bewußtsein, welche sie zum  conceptus communis  macht, an ihr denken kann. Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an den man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik und nach ihr die Transzendental-Philosophie heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst.
    3) Der Raum und die Zeit und alle Teile desselben sind  Anschauungen,  mithin einzelne Vorstellungen mit dem Mannigfaltigen, das sie in sich enthalten (siehe die transzendentale Ästhetik), mithin nicht bloße Begriffe, durch die eben dasselbe Bewußtsein als in vielen Vorstellungen, sondern viele Vorstellungen als in einer und deren Bewußtsein enthalten, mithin als zusammengesetzt, folglich die Einheit des Bewußtseins als  synthetisch  aber doch ursprünglich angetroffen wird. Diese  Einzigkeit  derselben ist wichtig in der Anwendung (siehe § 25).
    4) Die weitläufige Lehre von den vier syllogistischen Figuren betrifft nur die kategorischen Vernunftschlüsse und ob sie zwar nichts weiter ist als eine Kunst, durch Versteckung unmittelbarer Schlüsse (consequentiae immediatae) unter die Prämissen eines reinen Vernunftschlusses den Schein mehrerer Schlußarten als des in der ersten Figur zu erschleichen, so würde sie doch dadurch allein kein sonderliches Glück gemacht haben, wen es ihr nicht gelungen wäre, die kategorischen Urteile als die, worauf sich alle anderen müssen beziehen lassen, in ausschließliches Ansehen zu bringen, welches aber nach § 9 falsch ist.