tb-1p4-1 J. Geyser A. ReinachE. SchraderN. O. Losski    
 
WILHELM WINDELBAND
Beiträge zur Lehre
vom negativen Urteil


"Julius Bergmann hat noch energischer als schon Lotze die von Sigwart für die Negation aufgestellte Behandlung auch auf das affirmative Urteil ausgedehnt und dabei hauptsächlich das Prinzip zur Geltung gebracht, daß im Urteil nicht nur die theoretische Funktion der Vorstellung (bzw. Vorstellungsverbindung), sondern auch die  praktische  Funktion einer Billigung oder Mißbilligung, eines Annehmens oder Verwerfens zu finden ist, daß es deshalb als eine Äußerung der Seele zu betrachten sei, an welcher ihre praktische Natur, das Begehrungsvermögen, beteiligt ist."

"Man wird sich vielmehr zu der Anerkennung entschließen müssen, daß die logische Wertbeurteilung der Vorstellungen, welche im Urteil vonstatten geht, der praktischen Seite des Seelenlebens einzuordnen und daß der Wahrheitswert den übrigen Werten zu koordinieren ist, nach denen wir den Vorstellungsinhalt entweder billigend ergreifen oder mißbilligend abstoßen. Die Disjunktion von wahr und falsch, die alternative Beurteilungsbeziehung der Vorstellungen auf den Wahrheitswert ist die psychologische Fundamentaltatsache der Logik."

"Wenn es auch richtig ist, daß affirmatives und negatives Urteil insofern durchaus zu koordinieren sind, als beide gleichmäßig der Vorstellung eine Beurteilung hinzufügen, so behält doch Sigwart in dem Sinne Recht, daß es zwar Affirmationen gibt, bei welchen ohne jede vorhergehende Frage oder Hypothese beide, Vorstellung und Beurteilung, einen einzigen, ursprünglichen, unteilbaren Akt bilden, daß aber ein negatives Urteil nie anders vorkommen kann, als in Gestalt der eine Frage oder eine hypothetische Vorstellungsverbindung verneinenden Beurteilung. Was verneint werden soll, ist niemals unmittelbar gegeben, sondern muß stets vorher wenigstens gefragt, wenn nicht gar behauptet worden sein. Alle Verneinungen sind Antworten: aber viele Bejahungen sind es nicht."


Die Umwälzung, in der sich die Logik gegenwärtig befindet, ist an keinem Punkt so sichtbar, wie am System der Urteilsformen. Das alte Schema, welches, durch die Autorität KANTs geschützt, die formale Logik seit einem Jahrhundert beherrscht, wird zwar traditionell weitergeführt: aber für jede der neueren Darstellungen der logischen Wissenschaft ist es fast nur noch ein Objekt der Kritik. Wir stoßen kaum auf Widerspruch, wenn wir dasselbe durch die eindringenden Analysen von SIGWART, LOTZE, BERGMANN u. a. als zersetzt betrachten: allein noch keiner der Versuche, den Reigen dieser Urteilsformen neu zu schlingen, hat etwas allen Anforderungen Entsprechendes an die Stelle des Alten setzen können.

Der Ausgangspunkt dieser vielleicht für lange noch nicht abgeschlossenen Bewegung liegt an der Achillesferse der Kantischen Philosophie: in KANTs  logischem Vorurteil.  Denn so darf man füglich seine Ansicht bezeichnen, wonach er die formale Logik als eine "analytische" Wissenschaft und als ein unumstößliches, im Wesentlichen fertiges System betrachtete. Während er selbst durch den schöpferischen Begriff der transzendentalen Logk den Anstoß zur Überwindung jenes Formalismus gab, welcher sich mit dem Namen des ARISTOTELES deckte, meinte er, eben diesem Formalismus den "Leitfaden" für den Entwurf der transzendentalen Analytik entnehmen zu dürfen, und benutzte die übliche, größtenteils auf grammatischen Gesichtspunkten beruhende Schuleinteilung der Urteilsformen zur Aufstellung der Kategorientafel, ohne einerseits die Unzuverlässigkeit jener Klassifikation und andererseits die Beanstandbarkeit der Ableitung der "Stammbegriffe" aus den einzelnen Urteilsformen zu betrachten. (1)

Dieses Verfahren war so unglücklich, daß nur von seiner völligen Umkehrung eine fruchtbare Neugestaltung der logischen Theorie zu erwarten schien. Die nächste Folge des Kantischen Fehlgriffs war deshalb der Entwurf einer rein erkenntnistheoretischen Logi, in welcher das System der Urteilsformen auf transzendentaler Grundlage errichtet werden sollte. FICHTEs Wissenschaftslehre, HEGELs Logik, SCHLEIERMACHERs Dialektik fügen auf diese Weise die formale Logik der transzendentalen ein und bemühen sich, die Urteilsarten durch die verschiedenen Aufgaben der inhaltlichen Erkenntnis zu bestimmen.

Seitdem ist die Frage nach dem Verhältnis der formalen und der erkenntnistheoretischen Logik eine offene, und alle diejenigen Arbeiten, in denen bei uns seit etwa einem Jahrzehnt eine "Reform der Logik" angebahnt wird, suchen auf irgendeine Weise zwischen jenen beiden Extremen ihre Stellung zu gewinnen. Dabei erweist sich als der entscheidende Punkt - im Zusammenhang mit jenem historischen Ursprung, den die Bewegung in der Kritik der reinen Vernunft hat, - die Kardinalfrage, welche man dahin formulieren kann: Welches ist in der Einteilung der Urteilsarten das principium divisionis [Einteilungskriterium - wp]?

Indem ich es einer umfassenderen Darstellung überlasse, eine allgemeine Beantwortung dieser Frage zu begründen, will ich hier durch die Analyse einiger Probleme, welche bei der neuerlichen Untersuchung des negativen Urteils hervorgetreten sind, einige vorbereitende Beiträge dazu liefern.

Die Einteilung der Urteile nach der sogenannten Qualität ist sogar insofern bestritten worden, als die Berechtigung der Unterscheidung von affirmativem und negativem Urteil als besonderer Urteilsarten nicht überall anerkannt geblieben ist (2): uns sobald man gar den Sinn dieser Unterscheidung und die Frage nach den diesen beiden etwa zu koordinierenden Arten in Betracht zieht, steht man erst recht vor einer Fülle verschiedener Ansichten. Indessen ist doch in der neueren Behandlung dieser Frage ein gemeinsamer Zug unverkennbar: derjenige nämlich zu einer vorwiegend subjektiven Auffassung der Negation. (3) Vielleicht im Rekurs auf eine metaphysische Negationslehre der Identitätsphilosophie ist bei den neueren deutschen Logikern die Einsicht zur Geltung gekommen, daß die Negation kein reales Verhältnis, sondern lediglich eine Beziehungsform des Bewußtseins ist. Gerade die primitivsten Formen des negativen Urteils, die einfachen Unterscheidungsurteile (blau ist nicht grün), liefern am deutlichsten den Beweis, wie viel daran fehlt, daß das negative Urteil der Ausdruck eines realen Verhältnisses, etwa einer Trennung, sein sollte.

Und auch über das Wesen dieser Beziehungsform bahnt sich eine Verständigung an: man beginnt die eigentliche Bedeutung der Negation in der Verwerfung des entsprechenden positiven Urteils zu suchen. Schon KANT wies den negativen Urteilen "in Ansehung des Inhaltes unserer Erkenntnis das eigentümliche Geschäft zu, lediglich den Irrtum abzuhalten". (4) In neuerer Zeit aber hat am ausführlichsten und einleuchtendsten SIGWART (5) den Beweis geliefert, daß das negative Urteil nur den Sinn habe, den Versuch oder die Möglichkeit des entsprechenden positiven abzuweisen. Er hat gezeigt, daß das Urteil, "A ist nicht B", eigentlich das Doppelurteil enthält: "Das Urteil,  A  sei  B,  ist falsch". Und bald darauf (1874) hat sich in ganz ähnlichem Sinn LOTZE (6) dahin ausgesprochen, daß "Gültigkeit und Ungültigkeit als sachliche Prädikate aufzufassen seien, welche von dem ganzen Urteilsinhalt als ihrem Subjekt gelten." Damals schon habe ich mit Rücksicht auf diese Untersuchungen brieflich an SIGWART geäußert, daß mir in dieser Hinsicht eine Änderung der Ausdrucksweise wünschenswert erschiene. Das zweite "Urteil" (LOTZE nennt es das "Nebenurteil" der Gültigkeit oder Ungültigkeit) darf nicht selbst wieder als ein theoretisches Urteil im Sinne der bloßen Vorstellungsverknüpfung ("das Urteil ist ungültig") gedacht werden. Denn als solches bedürfte es eines neuen Nebenurteils, worin diesmal  seine  Gültigkeit affirmiert würde, usf. bis ins Unendliche. Das zweite Urteil ist vielmehr ein praktisches Urteil, eine  Beurteilung  (7), deren Resultat in diesem Fall die Verwerfung ist: es ist der Ausdruck nicht mehr bloß einer Beziehung von Vorstellungen, sondern eines mißbilligenden Verhaltens des Bewußtseins zum Versuch einer solchen. Es ist nicht ein Urteil, worin ein anderes Urteil als logisches Subjekt zum Prädikat "ungültig" aufträte, sondern eben ein Urteil  über  ein Urteil, über den Wahrheitswert eines Urteils - es ist die Beurteilung eines Urteils.

Inzwischen hat nun BERGMANN (8) von einem ganz ähnlichen Gesichtspunkt aus die von SIGWART und LOTZE angeregte Untersuchung fortgeführt und umgebildet; er hat noch energischer als schon LOTZE die von SIGWART für die Negation aufgestellte Behandlung auch auf das affirmative Urteil ausgedehnt und dabei hauptsächlich das Prinzip zur Geltung gebracht, daß im Urteil nicht nur die theoretische Funktion der Vorstellung (bzw. Vorstellungsverbindung; vgl. unten), sondern auch die "praktische" Funktion einer Billigung oder Mißbilligung, eines Annehmens oder Verwerfens zu finden ist, daß es deshalb als eine "Äußerung der Seele zu betrachten sei, an welcher ihre praktische Natur, das Begehrungsvermögen, beteiligt ist".

Mit der Einsicht in diese "praktische" Seite der Urteilstätigkeit ist DESCARTES vorangegangen, der bei seiner Erklärung des Irrtums (9) ausdrücklich lehrte, daß weder in einzelnen "Ideen" noch in Verbindungen von Ideen Wahrheit oder Falschheit zu suchen sei, sondern erst in den Urteilen, welche eine Bejahung oder Verneinung der Ideen oder ihrer Verbindungen enthalten. Affirmation und Negation wurden deshalb von DESCARTES ausdrücklich als Willensakte, als Volitiones, bezeichnet. (10) In neuerer Zeit hat FORTLAGE (11) die von ihm sogenannten "apriorischen Schemat" Ja und Nein als die beiden möglichen Antworten auf die das Wesen der Aufmerksamkeit ausmachende "Frage" für "Triebkategorien" oder "Willenskategorien" erklärt. Mit besonderem Nachdruck aber und mit einer eigentümlichen Verschiebung der Ausdrucksweise begegnet man dieser Auffassung in der Klassifikation der psychischen Funktionen, welche BRENTANO (12) zu begründen versucht hat. Derselbe schlägt eine Dreiteilung der Seelentätigkeiten in "Vorstellungen", "Urteile" und "Phänomene von Liebe und Haß" vor und leitet die Notwendigkeit, aus einer sehr scharfsinnigen Kritik verschiedener Ansichten ab, welche die neueren englischen Assoziationspsychologen über das Wesen des Urteils aufgestellt haben. Er zeigt namentlich, daß es nicht ausreicht, das Urteil als eine irgendwie durch ihre Lebhaftigkeit, ihre Folgeerscheinungen oder ihre Verbindungsweise charakterisierte Art der Vorstellungsassoziation zu erklären, daß vielmehr im Urteil zu den Vorstellungen oder ihren Verbindungen noch ein Besonderes, nämlich der "Glaube" - der HUMEsche  belief  - an ihre Wahrheit oder Unwahrheit hinzutritt und daß dieser Glaube etwas von den Vorstellungen selbst und ihren Verbindungen seinem psychologischen Wesen nach durchaus Verschiedenes ist. Die dabei auftretenden Funktionen der Billigung oder Verwerfung enthalten eine ganz andersartige Seelentätigkeit als das bloße Vorstellen oder Vorstellungenverbinden, welches ja beides auch ohne jene Funktionen, in der Phantasie z. B. oder in der völlig unbeurteilten Hypothese, auftreten kann.

Diese Darstellung BRENTANOs ist, während sie von ganz anderen, weil von rein psychologischen Gesichtspunkten ausgeht, ebenso einleuchtend und überzeugend, wie die logische Betrachtung der Sache von BERGMANN, und beide laufen auf dasselbe hinaus: im "Urteil" neben der Funktion des Vorstellens oder der Vorstellungsverbindung die andere Funktion der (billigenden oder mißbilligenden) Beurteilung nachzuweisen. Umso weniger verstehe ich, wie BRENTANO dazu gekommen ist, diese Einsicht zur Statuierung der "Urteile" als einer eigenen "Klasse" von psychischen Funktionen zu benutzen. Während es ihm vollständig geglückt ist, zu zeigen, daß im Urteil zur bloßen Vorstellungstätigkeit ein wesentlich davon verschiedenes Moment hinzutritt, ist es ihm nicht geglückt, zu zeigen, daß dieses Moment dem psychologischen Wesen nach von demjenigen Moment verschieden ist, welches zu den Vorstellungen bei den von ihm als "Phänomene von Liebe und Hass" bezeichneten Funktionen hinzutritt. Unter dem letzteren Namen, der nach dem eigenen Zugeständnis BRENTANOs (13) "nicht recht geeignet ist" und für den auch die Ausdrücke "Gemütsbewegungen", "Phänomene des Interesses" oder "Phänomene der Liebe" nicht sehr glückliche Varianten bilden, faßt er alle diejenigen Funktionen zusammen, welche sonst in der empirischen Psychologie auf die beiden Klassen des "Gefühls" und des "Willens" verteilt zu werden pflegen. Über die Berechtigung dieser Zusammenfassung kann man (wozu hier nicht der Ort ist) streiten: aber gibt man sie zu und findet man sie begründet, daß ebenso im Gefühl wie im Willen das Bewußtsein sich zu einem Vorstellungsobjekt in der alternativen Weise der Billigung oder der Mißbilligung verhält, so ist absolut nicht abzusehen, weshalb nicht in diese Klasse auch das Moment der Billigung oder Mißbilligung gerechnet werden soll, welches beim "Urteil" zum bloßen Vorstellungsinhalt hinzutritt. BRENTANO selbst hat (14) sehr ausführlich die zahlreichen und tiefgehenden Analogien aufgezählt, welche zwischen "Urteilen" und den "Phänomenen von Liebe und Hass" bestehen: wo er jedoch die ersteren von den letzteren als besondere Klasse abzugrenzen unternimmt (15), da ist er nicht imstande gewesen, zu beweisen, daß diejenigen Beurteilungen, welche durch das Prädikatpaar wahr und falsch charakterisiert sind, von allen anderen Arten der Beurteilung mehr verschieden sind, als diese untereinander, z. B. als diejenigen, in welchen das Prädikatpaar angenehm und unangenehm fungiert, von denjenigen, welche ihr Objekt als gut oder böse bestimmen (16); und noch weniger hat er einleuchtend machen können, daß für die Klassifikation diese Artunterschiede der Beurteilung wichtiger seien, als der gemeinsame Charakter der Beurteilung, in welchem die "Urteile" mit den "Phänomenen von Liebe und Hass" übereinstimmen und sich gleichmäßig von den bloßen Vorstellungen oder Vorstellungsverbindungen unterscheiden. Man wird sich vielmehr zu der Anerkennung entschließen müssen, daß die logische Wertbeurteilung der Vorstellungen, welche im Urteil vonstatten geht, der praktischen Seite des Seelenlebens einzuordnen und daß der Wahrheitswert den übrigen Werten zu koordinieren ist, nach denen wir den Vorstellungsinhalt entweder billigend ergreifen oder mißbilligend abstoßen. Die Disjunktion von wahr und falsch, die alternative Beurteilungsbeziehung der Vorstellungen auf den Wahrheitswert ist die psychologische Fundamentaltatsache der Logik.

So verfehlt mir danach die von BRENTANO proponierte [vorgeschlagene - wp] Dreiteilung erscheinen mag, so glaube ich doch, daß seine Untersuchungen insofern einen bleibenden Wert besitzen, als sie vom rein psychologischen Standpunkt aus dargetan haben, daß im "Urteil" neben der Vorstellung auch eine Art Wertbestimmung als wesentliches, nicht nur nebenbei hinzutretendes Moment anzuerkennen ist. (17) Wenn aber so im affirmativen Urteil so gut wie im negativen die beiden Grundfunktionen, die wir im Bewußtsein überhaupt konstatieren können, die theoretische und die praktische, die Vorstellung und die Beurteilung, miteinander verbunden sind, so muß man, um die Art dieser Verbundenheit richtig zu verstehen, sich darauf besinnen, daß die Begriffe dieser beiden Funktionsweisen nur Abstraktionen der psychologischen Analyse sind, deren reale Trennbarkeit mit ihrer wissenschaftlichen Unterscheidbarkeit nicht zu verwechseln ist. Vorstellungen treten zwar, wenn auch nicht häufig, doch gelegentlich ohne jede Beziehung auf eine Wertbestimmung, ohne Gefühl oder Willen auf: inwieweit jedoch dabei der Vorstellungsverlauf selbst durch eine dem Bewußtsein unbemerkbare Mitwirkung seiner praktischen Natur bedingt ist, bedarf einer psychologischen Erörterung (18), welche auch für solche Fälle scheinbar gänzlich unbetonter Vorstellungen wenigstens eine genetische Verknüpfung mit den Wertfunktionen aufweisen würde. Jedenfalls aber treten die praktischen Funktionen des Bewußtseins niemals auf, ohne mit theoretischen verbunden zu sein, deren Inhalt das Objekt ihrer Billigung oder Mißbilligung, sei es im Urteil, sei es im Gefühl, sei es im Willen, bildet. Dieser Tatbestand verleitet leicht zu der Auffassung, als ob die Vorstellungen nicht nur die unerläßlichen Bedingungen der praktischen Funktionen wären, sondern auch den letzteren  unter allen Umständen  in der Weise zeitlich vorhergingen, daß der Akt der Billigung oder Mißbilligung immer erst als eine zweite Seelentätigkeit dem Akt der Vorstellung folgte. Diese Fragen reichen in die höchsten Probleme der Psychologie hinaus, und es kann hier nur einiges angedeutet werden, was sich speziell auf die logische Beurteilung bezieht. Gewiß haben wir es oft mit zwei aufeinanderfolgenden und gelegtentlich sogar durch ein großes Zeitintervall getrennte Akte zu tun, von denen der erste eine bloße Vorstellungsverbindung, etwa in phantastischer Kombination und ohne jede Frage nach der Wahrheit, darbietet und erst der zweite zum Wahrheitswert des Inhalts des ersten Stellung nimmt. Allein dieser zweite Akt ist doch nur dadurch möglich, daß das Bewußtsein sich bei seiner Beurteilung das Objekt derselben in der Vorstellung gegenwärtig erhält, daß also die Funktion der Billigung oder Mißbilligung diejenige der Vorstellung untrennbar eingeschmolzen ist. In dieser zweiten Tätigkeit sind also jedenfalls Vorstellung und Beurteilung, theoretische und praktische Funktion  die beiden nur in der Abstraktion trennbaren, in der Wirklichkeit aber durchaus miteinander verschmolzenen Momente eines und desselben unteilbaren psychischen Aktes.  In diesem Verhältnis innigster Gemeinsamkeit befinden sie sich aber von vornherein in denjenigen Fällen, wo die Vorstellung von Anfang an mit dem Bewußtsein ihres Wahrheitswertes gegeben ist, in der unmittelbaren Gewißheit der Wahrnehmungen. Hierbei doch zwei Akte, einen der bloßen Vorstellung und einen zweiten der auf dieselbe gerichteten Affirmationen, annehmen zu wollen, zwischen denen etwa nur eine für das Bewußtsein unmerkliche Zeit verlaufe, ist deshalb sinnlos, weil das Motiv dieser nachkommenden Beurteilung immer nur wieder in der unmittelbaren Evidenz gesucht werden kann, mit der sich die Vorstellung schon geltend gemacht haben muß, wenn sie hinterher als wahr anerkannt werden soll. Nur für diese Fälle der unmittelbaren Gewißheit finde ich die Ausführung von BERGMANN (a. a. O. Seite 48) zutreffend, während ich die Anwendung derselben auch alle Urteile und besonders auf die negativen nicht zugestehen kann. Alle Urteile von mittelbarer Gewißheit, besonders diejenigen, welche erst durch formal logische Operationen zu begründen sind, können versuchsweise (als problematische Sätze; vgl. unten) aufgestellt werden, um dann später durch irgendwelche Vermittlungen, nicht durch ihre eigene Evidenz, sondern von außen her, durch Folgerung oder Schluß ihre Beurteilung zu finden: in diesen Fällen tritt also tatsächlich die Beurteilung als nachkommender Akt hinzu.

Jenes unmittelbare und ursprüngliche Zusammensein von Vorstellung und Beurteilung kommt aber in der tat nur bei der affirmativen Form der letzteren vor: die sogenannten negativen Wahrnehmungsurteile dagegen enthalten schon eine wenn auch noch so schnell nachkommende Beurteilung. Wenn ich den Akt meiner Wahrnehmung durch das Urteil:  diese Rose ist weiß  wiedergebe, so wird darin die gedachte Vorstellungsverbindung ohne jede vorhergehende Frage affirmiert; wenn ich dagegen sage:  diese Rose ist nicht rot,  so muß zur fertigen Wahrnehmung erst die Vorstellung  rot  hinzukommen, wodurch dann die Frage "Ist diese Rose wohl rot?" erzeugt und dann verneint (19) wird. Wenn es daher auch richtig ist, daß affirmatives und negatives Urteil insofern durchaus zu koordinieren sind, als beide gleichmäßig der Vorstellung eine Beurteilung hinzufügen, so behält doch SIGWART in dem Sinne Recht, daß es zwar Affirmationen gibt, bei welchen ohne jede vorhergehende Frage oder Hypothese beide, Vorstellung und Beurteilung, einen einzigen, ursprünglichen, unteilbaren Akt bilden, daß aber ein negatives Urteil nie anders vorkommen kann, als in Gestalt der eine Frage oder eine hypothetische Vorstellungsverbindung verneinenden Beurteilung. Was verneint werden soll, ist niemals unmittelbar gegeben, sondern muß stets vorher wenigstens gefragt, wenn nicht gar behauptet worden sein. Alle Verneinungen sind Antworten: aber viele Bejahungen sind es nicht.

Es geht aus diesen Erörterungen hervor, daß die Einteilung der Urteile nach der Qualität und die Koordination von affirmativem und negativem Urteil nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten ist, sobald man es zu den wesentlichen Merkmalen in der Definition des Urteils rechnet, eine Aussage über den Wahrheitswert von Vorstellungen oder Vorstellungsverbindungen zu machen. Reflektiert man aber auf diese Voraussetzung, so kann der Streit, der über jene Frage geführt wird, leicht auf einen Wortstreit rückführbar erscheinen, der in der verschiedenen terminologischen Bestimmung dessen, was man Urteil nennen will, seine Veranlassung hat. Denn bestimmt man als das Wesentliche im Urteil nur eine gewisse Art der Synthese von Subjekt und Prädikat, also eine Vorstellungsverbindung, dann ist es natürlich für die Urteilsfunktion selbst gleichgültig, ob sie gebilligt oder verworfen wird, dann sind ja Affirmation und Negation nur "Nebengedanken", auf welche eine Einteilung der Urteilsarten nicht gegründet werden kann. Genauso steht aber die Sache bei SIGWART (20) und bei LOTZE (21) Ähnlich, und deshalb auch hinsichtlich der Qualität der Urteile von ähnlichem Erfolg sind die Ansichten von ULRICI (22), SCHUPPE (23), WUNDT (24) u. a.

Wer dagegen, wie BRENTANO, das wesentliche Merkmal, wodurch sich das Urteil von der Vorstellung oder Vorstellungsverbindung allein unterscheide, im Akt der billigenden oder mißbilligenden Beurteilung findet, für den muß die Einteilung der Urteile nach der Qualität nicht nur die wichtigste, sondern die einzig wesentliche, den Urteilsakt selbst betreffende sein: alle anderen Unterschiede sind dann nebensächlich und äußerlich, es sind Unterschiede des Urteilsobjekts, nicht der Urteilsfunktion, Unterschiede nur des Vorstellungsinhaltes, der gebilligt oder mißbilligt werden soll. Ganz in diesem Sinne hat schon HERBART (25) gelehrt: "diese Einteilung (nach der sogenannten Qualität) ist die einzige den Urteilen wesentliche; alle übrigen müssen als zufällige derselben nachgesetzt werden" und ebenso (26), obwohl mit etwas verändertem Sinn: "Qualität macht das Wesen des Urteils aus; denn Subjekt und Prädikat, jedes für sich, sind Begriffe".

Eine interessante Konsequezn dieser prinzipiell verschiedenen Auffassung vom Wesen des Urteils zeigt sich auch in der Behandlung der sogenannten Existentialsätze, welche, vielfach vernachlässigt, in neuerer Zeit erst wieder im Zusammenhang mit den hier behandelten Fragen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Geht man nämlich von der alten Ansicht aus, die schon der Dialog  Sophistes  (27) im Corpus Platonicum vertritt, daß für das Urteil eine Beziehung von Subjekt und Prädikat, welche dann durch die sogenannte Kopula oder deren grammatische Substitute ausgedrückt werden, einerseis wesentlich andererseits unerläßlich sei, so bleibt hinsichtlich des Existenzialsatzes nur die Alternative übrig, entweder die Existenz als ein berechtigtes Prädikat zu betrachten oder in den Existentialsätzen keine eigentlichen Urteile im logischen Sinn anzuerkennen. Das Letztere scheint die Ansicht der meisten Logiker zu sein, da der Existenzialsatz gewöhnlich gar nicht oder nur ganz gelegentlich erwähnt wird, ohne in den üblichen oder den neu versuchten Einteilungen eine passende Stelle zu finden und finden zu können. (28) Der anderen Auffassung steht die Autorität KANTs im Weg, welcher bekanntlich (29) gelehrt hat, daß die Existenz kein Urteilsprädikat sei. Daher hat BERGMANN, welcher neben der Wertentscheidung auch die "Prädizierung" als wesentlichen Bestandteil des Urteils ansieht (30), sich, um dem Existentialsatz sein logisches Recht nicht verkümmern zu lassen, dazu genötigt gesehen, im Gegensatz zu KANT die Existenz zwar nicht für ein Merkmal, aber doch für ein inhaltlich selbständiges Prädikat zu erklären (31).

Wenn man auf der anderen Seite das Wesen des Urteils lediglich in der billigenden oder mißbilligenden Beurteilung sucht, so ist es für das Wesen des Urteils zufällig und erst von sekundärem Interesse, ob das Objekt der Beurteilung eine "einfache" Vorstellung oder eine Synthese von Vorstellungen ist; dann gehört die Prädikation nicht mehr zum Wesen des Urteils ( (32), und dann ist die im Existentialgesetz ausgesprochene Bejahung des Begriffs nicht nur eine berechtigte Form des Urteils, sondern der reinste und einfachste Grundtypus des Urteils überhaupt. Für BRENTANO, der diese Konsequenz gezogen hat (33), ist sie dies in dem Maße, daß er behauptet, es ließen sich alle kategorischen Urteile in Existentialsätze verwandeln. Versucht man dies und geht man über die etwas sehr einfachen Beispiele hinaus, die BRENTANO gewählt hat, so zeigt es sich, daß man nicht nur auf sprachliche Ungefügigkeiten stößt, welche ja erträglich wären, sondern auf sehr viel wichtigere Fragen.

Es ist freilich immer möglich, die rein sprachliche Umformung vorzunehmen, wonach das, was sich im natürlichen Ausdruck unseres Denkens als ein Satz mit Subjekt und Prädikat darstellte, zu einem durch alle diese Merkmale bestimmten Substantivum umgebildet wird, welches dann als Subjektbegriff des Existentialsatzes figurieren kann. Wenn der Existentialsatz "Gott ist" besagen will, daß der im  Wort  "Gott" gedachte Begriff eines Wesens, welches die Merkmale der Allweisheit, Allgüte usw. hat, als seiend anerkannt werden soll, so darf man den Sinn des Satzes "Gott regiert die Welt" dahin aussprechen, daß der in dieser  Wortverbindung  gedachte Begriff der göttlichen Weltregierung als seiend anerkannt werden soll.

Gibt man dies zu, so scheint dadurch die übliche, rein theoretische und das praktische Moment im Urteil übersehenden Unterscheidung von Begriff und Urteil zur Bedeutung einer lediglich sprachlichen Unterscheidung von Wort und Satz herabgedrückt zu werden. Ein "Begriff", dessen sprachliche Form das Substantivum, eventuell in direkter Verbindung mit dem Adjektivum ist, kann zu seinem Inhalt nicht nur (wie es der ursprüngliche Sinn des Substantivums involviert) ein Ding, sondern auch die Eigenschaft eines solchen, eine Relation mehrerer Dinge oder Eigenschaften usw. haben (34): jede Art der Vorstellungsverknüpfung, welche durch ein "Urteil" erst vollzogen werden soll, kann als fertig in einem Begriff zusammengefaßt werden. Dann ist aber die verbindende Funktion im Satz wie im Begriff dieselbe. "Das Ding ist weiß" und "das weiße Ding" enthalten genau dieselbe Funktion der Vorstellungsverknüpfung, nämlich die Kategorie der Inhärenz: und bezeichnet man diese Verknüpfungsform als das im logischen Sinne Wesentliche, so ist dieselbe im Begriff und im Urteil die gleiche. (35) Dann enthält der "Begriff" in sprachlich zusammengefaßter und abgeschlossener Weise genau dieselben Elemente und Elementverbindungen, welche im "Urteil" noch oder wieder auseinandergelegt sind. Daher läßt sich einerseits der Inhalt jedes Begriffs in der Form eines Urteils aussprechen - KANTs sogenannte analytische Urteile -, andererseits steht, wie das jede Logik hervorhebt, das Urteil "im Dienst der Begriffsbildung", denn jede durch ein Urteil neu gewonnene Vorstellungsverknüpfung läßt sich in der Form eines Begriffs aussprechen, so schwerfällig sich das manchmal auch in der Sprache ausnehmen mag, welche natürlich weder die Krfat noch das Interesse hat, für jede neu auftauchende Vorstellungsverbindung eine neue Bezeichnung zu bilden, sondern diese ihre wortbildende Tätigkeit auf die gebräuchlichsten und wichtigsten Verbindungen beschränkt.

Unter diesen Umständen erweist sich für die Aufgabe, welche man gewöhnlich der Logik gibt, nämlich das normative System der "Formen des Denkens" aufzustellen, die traditionelle Einteilung nach Begriff und Urteil als unzutreffend: sie ist grammatisch, aber nicht logisch. Denn wenn es dieselbe Denkform ist, nach der im Begriff, wie im Urteil die Vorstellungselemente verknüpft werden, und wenn das Interesse der Logik wesentlich auf die Art dieser Verknüpfung gerichtet ist, so wird die übliche Unterscheidung von Begriff und Urteil für die Logik nebensächlich. In der Tat hat dieselbe heute nicht mehr die beherrschende Stellung wie früher, und in vielen der neueren Bearbeitungen der Logik tritt sie gänzlich zurück. Damit ist zugleich der systematische Vorteil verbunden, daß eine Reihe von Wiederholungen oder von Auseinanderreissungen des Zusammengehörigen vermieden werden. In der "Lehre vom Begriff" pflegte man vom Verhältnis des Begrifss usw. zu handeln: ganz dieselben Denkformen kehren im prädikativen, dem beschreibenden, dem erzählenden Urteil usw. wieder. Für jede Art von Verhältnissen der Begriffe, Subordination, Koordination, Division, Disjunktion etc., läßt sich in der "Lehre vom Urteil" ein Analogon, subsumtives, disjunktive Urteil usw. auffinden, worin dasselbe Verhältnis zum satzmäßigen Ausdruck gelangt. Kurz, es läßt sich eine Logik als Lehre von den Formen des Denkens aufstellen, welche, den üblichen Unterschied von Begriff und Urteil ganz beiseite schiebend, doch für jede Denkform einen begrifflichen und einen urteilsmäßigen Ausdruck aufzuweisen imstande wäre.

Dann bleibt in der Tat nichts weiter übrig, als in jedem Urteil den Existentialsatz für die darin gedachte Vorstellungsverbindung zu sehen. Auch die im natürlichen Ausdruck des Denkens auftretenden Existentialsätze haben ja zu Subjekten wohl niemals (36) einfache Vorstellungen, sondern stets Vorstellungsverbindungen mehr oder minder komplizierter Art, meistens Vorstellungen von Substanzen mit diesen und jenen Attributen. Aber darum braucht man doch den Unterschied zwischen Begriff und Urteil nicht für rein sprachlich zu erklären und ihn auf denjenigen von Wort und Satz zu reduzieren; sondern als das Spezifische im Urteil erscheint dann eben nur wieder die Bejahung oder Verneinung, das Setzen oder Verwerfen der darin gedachten Vorstellungsverbindung, welche, bloß als solche, jedesmal auch in Gestalt eines nicht beurteilten Begriffs möglich ist. Jedes "Urteil" enthält eine Vorstellungsverknüpfung als Objekt seiner Beurteilung; und man wird sodann berechtigt und verpflichtet sein, die Urteile nicht nur nach der Art der Beurteilung (Qualität), sondern auch nach der Art der darin beurteilten Vorstellungsbeziehungen einzuteilen, welche freilich zugleich auch die Arten der Begriffsbildung darstellen müssen. (37) Denn unter einem "Begriff" wird man dann wieder nichts anderes verstehen können, als eine fixierte und womöglich durch ein eigenes Wort bezeichnete Vorstellungsverbindug, deren Billigung durch ein affirmatives Urteil vollzogen werden muß.

Aber weiterhin ist nun zu beachten, daß die Billigung oder Mißbilligung der im Urteil vollzogenen Vorstellungsverknüpfung keineswegs eindeutig ist, (38) daß vielmehr die Affirmation oder Negation je nach der Art der zu beurteilenden Vorstellungsverknüpfung eine verschiedene Bedeutung gewinnt. Wenn sich jedes Urteil in einen Existentialsatz verwandeln läßt, so hat das "Sein", welches dem Subjekt des letzteren zugesprochen oder abgesprochen wird, durchaus nicht immer den gleichen Sinn, und welchen Sinn es im einzelnen Fall hat, das hängt vom Inhalt des Urteils, von der Art seiner Vorstellungsverbindung ab. Schon an ganz einfachen Existentialsätzen ist das zu bemerken. Sagt man z. B. "die Freiheit ist", so wird man doch zugestehen müssen, daß man ihr ein andersartiges "Sein" zuschreibt, als etwa der Gottheit in dem Satz "Gott ist". Und dabei haben doch beide Sätze noch das gemein, daß dieses "Sein" um welches es sich dabei handelt, in beiden Fällen ein "Wirklichsein" oder "Realsein" bedeutet, wenn auch eben eine Substanz in einem anderen Sinne "ist" als eine Eigenschaft oder eine Tätigkeit. Versucht man dagegen etwa den Satz "der Blitz ist die Ursache des Donners" in den Existentialsatz zu verwandeln "das Kausalverhältnis zwischen Blitz und Donner  ist",  so wird man schon sehr zweifelhaft darüber sein können, ob dieses "ist" im Sinne der "Wirklichkeit", der "Realität" gedeutet werden darf. Kommt man gar an einen Existentialsatz, wie etwa "die Unterordnung der Rose unter den Begriff der Blume  ist"  - denn nur so dürfte die Verwandlung des Satzes "die Rose ist eine Blume" in einen Existentialsatz lauten (39) -, so würde man einen Hyperrealismus, der nicht nur die Universalien, sondern auch ihre Beziehungen hypostasierte [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp], hineingeraten, wenn man dieses "Sein" auch wieder als "absolute Wirklichkeit" deuten wollte.

Der natürlicheres Ausdruck in den beiden letzten Fällen wäre der, statt "ist" "gilt" zu setzen. (40): aber eben dadurch kommt zu Bewußtsein, daß in diesen Fällen die Bejahung oder Verneinung eine ganz andere Bedeutung hat, als in den ersten Fällen, wo es sich um das "Wirklichsein" im eigentlichsten Sinn des Wortes handelt; und es wird zugleich klar, daß dieser verschiedene Sinn der Beurteilung von der Verschiedenheit des Beurteilten abhängt. Die Vorstellungen von Substanzen und diejenigen von prädikativen oder funktionellen Verhältnissen werden (unbeschadet der auch zwischen ihnen noch obwaltenden Nuancen) daraufhin beurteilt, ob sie im System der wirklichen Dinge einen Platz haben oder nicht: Subordinationsverhältnisse dagegen zwischen Begriffen (die hier nur als Beispiel einer ganzen Klasse erwähnt sein sollen) werden in einem ganz anderen Sinn, nämlich daraufhin beurteilt, ob sie allgemein und notwendig gedacht werden sollen.

Ohne es hier weiter auszuführen, will ich nur darauf hinweisen, daß sich hieraus neben der Einteilung nach der Qualität der Notwendigkeit einer zweiten, sich damit kreuzenden Einteilung der Urteile ergibt, deren  principium divisionis  die Verschiedenheit des Sinns der Beurteilung (41) bildet: und diese ist von selbst, wie sich aus dem Obigen ergibt, eine Einteilung der Arten der Vorstellungsverbindung, d. h. also der rein theoretischen Beziehungen, welche im Urteil als Objekt der Billigung oder Mißbilligung erscheinen. Diese Auffassung finde ich bisher am meisten durch die Logik von BERGMANN (42) realisiert; in gewissem Sinne nähert sich ihr auch SCHUPPE.

Indem ich dies nur andeute, kehre ich zur Einteilung der Urteile nach der Qualität zurück, deren Berechtigung nach all diesen Untersuchungen nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann; und es frägt sich zunächst, welche Einteilung sich aus diesem Gesichtspunkt ergibt. Da affirmatives und negatives Urteil dabei als koordinierte Arten selbstverständlich sind, so bleibt nur zu untersuchen, ob ihnen noch andere Formen an die Seite zu stellen sind. (43)

Auch diese Frage findet nun ihre vollständige Erledigung, wie mir scheint, erst dadurch, daß man die Qualität auf den "praktischen Teil der Seele" bezieht und die Verwandtschaft der Beurteilungstätigkeit mit den Funktionen des Gefühls und des Willens im Auge behält. Der alternative Charakter all dieser Erscheinungen spricht sich zunächst auch im logischen Gegensatz von Affirmation und Negation aus, und es scheint auf den ersten Blick, als wäre ihnen danach nichts zu koordinieren. Wie jedes Gefühl entweder Lust oder Unlust, jedes Wollen entweder Begehren oder Verabscheuen, so ist jedes Urteil entweder Bejahen oder Verneinen. Aber es folgt aus dieser Vergleichung noch eine wichtige Einsicht: auch die Beurteilung hat, wie alle Funktionen des Billigens oder Verwerfens, die Möglichkeit einer graduellen Verschiedenheit. Das "Überzeugungsgefühl" (oder die "Gewißheit") ist, wie alle Gefühle, graduell abstufbar. Das ist von fundamentaler Wichtigkeit für die Auffassung des Begriffs der  Wahrscheinlichkeit,  der nur von hier aus völlig zu erleuchten ist. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts hat man sich - im Zusammenhang teils mit den Versuchen, die Logik überhaupt zu "quantifizieren", teils in Abhängigkeit von der zahlenmäßigen Bestimmtheit der naturwissenschaftlichen Gesetze - darum bemüht, die logische Wahrscheinlichkeit auf die mathematische zurückzuführen: in Deutschland hat, obwohl sich auch hierin hin und wieder der ausländische Einfluß geltend macht, doch meistens, nachdem schon FRIES (44) gegen diese Vermischung des Heterogenen protestiert hatte, die Einsicht in die Unzulänglichkeit und prinzipielle Verfehltheit dieser Versuche vorgewaltet. Nur dadurch aber, daß man die Gewißheit als einen Gefühlszustand auffaßt und nach Analogie der übrigen Erscheinungen des "praktischen" Seelenlebens behandelt, nur dadurch gewinnt man auch die Möglichkeit, jene Gradation der Gewißheit zu verstehen, welche in der Wahrscheinlichkeit zutage tritt. Diese Intensitäten des Überzeugungsgefühls sind aber auch aus demselben Grund ebensowenig zahlenmäßig zu bestimmen, wie für andere Gefühle und für psychische Funktionen überhaupt den Zahlenbestimmungen eine andere, als eine rein willkürliche Anwendbarkeit zukommt (45), und so erleuchtet auch hier, wie überall, die Einsicht in das Wesen der Sache den Grund des Irrtums.

Diese Abstufbarkeit in der Intensität der Gewißheit trifft nun ebenso das negative wie das affirmative Urteil: und die verschiedenen Intensitäten der Wahrscheinlichkeiten lassen sich (wie es bei allen Gefühls- und Willenstätigkeiten möglich ist) derartig auf einer Linie schematisiert denken, daß von den beiden Endpunkten völliger Gewißheit, auf der einen Seite der Bejahung, auf der andern Seite der Verneinung, sie sich durch eine allmähliche Abschwächung einem  Indifferenzpunkt  nähern, auf welchem weder Bejahung noch Verneinung vorhanden ist. Dieser Nullpunkt der logischen Beurteilungsskala ist nun aber für die Lehre von der Qualität der Urteile von ganz hervorragender Bedeutung. Denn auch er ist nicht eindeutig. Die Indifferenz nämlich zwischen positiver und negativer Reaktion kann dabei eine totale oder eine kritische sein. Die totale Indifferenz liegt da vor, wo überhaupt noch nicht geurteilt wird, die kritische Indifferenz aber da, wo nach vollzogener Erwägung sowohl Bejahung als auch Verneinung zurückgehalten werden.

Die totale Indifferenz kann man nun bei allen denjenigen Vorstellungsverläufen konstatieren, welche ohne jede Rücksicht auf ihren Wahrheitswert vonstatten gehen und auf welche deshalb die Logik auch ihrerseits keine Rücksicht zu nehmen hat: innerhalb des Gebietes der logischen Untersuchung, welche immer eine Beziehung der Vorstellungsverbindung auf die Wahrheitsbeurteilung voraussetzt, findet sich jene totale Indifferenz nur bei der  Frage.  In dieser wird eine Vorstellungsverbindung  nicht etwa nur versucht, sondern vollzogen;  sie wird dann mit der Beurteilung des Wahrheitswertes in Beziehung gesetzt, aber nur diese Beurteilung ist es, welche noch nicht vollzogen wird. Man darf deshalb sagen: die Frage enthält den theoretischen Bestandteil des Urteils ohne den praktischen; sie ist eine Vorstellungsverbindung ohne Entscheidung des Wahrheitswertes, aber mit dem Verlangen danach (46). Hieraus erklärt es sich, daß man die "Frage" gern mit der Qualität der Urteile in Verbindung gebracht hat. Schon HERBART setzt, wo er die Einteilung nach der Qualität als die den Urteilen wesentlich entwickelt (47), die "Eigentümlichkeit des Urteils" in die "Entscheidung der Frage". Ähnlich hat sich FRIES (48) ausgesprochen, und auch FORTLAGEs psychologische Untersuchungen lassen die Akte des urteilenden Bewußtseins als Reaktionen auf den ursprünglichen Triebzustand der "Frage" erscheinen (49). In neuerer Zeit hat LOTZE (50) geradezu erklärt, daß "der Fragesatz schicklich die Dreiheit der Urteilsqualitäten ausgefüllt haben würde", und auch GLOGAU (51) hat die "Frage" den Urteilsformen der Qualität beigesellt. Der Letztere macht jedoch ausdrücklich darauf aufmerksam, daß die Frage nur "ein unvollständiges Urteil" bzw. der "Keim" eines Urteils sei. Es zeigt sich auch hierbei wieder die Wirkung der verschiedenen Begriffsbestimmungen des "Urteils". Wer, wie LOTZE, das theoretische Moment der Vorstellungsverbindung als das Wesen des Urteils und die eventuelle Entscheidung als einen "Nebengedanken" ansieht, für den ist die "Frage" in dieser Hinsicht gleichwertig mit Bejahung und Verneinung: denn es ist ganz die gleiche Vorstellungsverbindung, welche ebenso in die Frage, wie in die Affirmation oder Negation eingeht. (52) In diesem Sinne also ist jede Frage schon ein Urteil. Wer dagegen zum Wesen des Urteils eine Entscheidung über die Geltung des Gedachten rechnet, der mag die Frage als die Vorstufe des Urteils mit der Qualität des letzteren in noch so innige Verbindung bringen: er wird nie die Frage selbst als Urteilsart mit Affirmation und Negation koordinieren können.

Ganz anders dagegen steht die Sache bei der kritischen, d. h. der durch die Reflexion hindurchgegangenen Indifferenz. Wenn die Betrachtung einer durch eine Frage vollzogenen Vorstellungsverbindung - man mag sie mit SIGWART (53) als Hypothese bezeichnen - zur Einsicht führt, daß weder für die Bejahung noch für die Verneinung zureichende Gründe der Gewißheit und auch nur der Wahrscheinlichkeit vorliegen, so ist damit ein Zustand der Ungewißheit erkannt, und dieser findet seinen adäquaten Ausdruck in dem sogenannten  problematischen  Urteil (54). Der Satz:  A  kann  B  sein, welcher bekanntlich mit dem anderen Satz:  A  kann nicht  B  sein, zugleich gilt, ist nur dann ein wirklich problematisches (55) Urteil, wenn er bedeutet, daß über die Geltung der Vorstellungsverbindungen  A - B  nichts ausgesagt werden solle. Er enthält also wiederum, wie die Frage, vollständig das theoretische Moment des Urteils, die vollzogene Vorstellungsverbindung, aber zugleich eine ausdrückliche  Suspension der Beurteilung.  Darin besteht zunächst die Verwandtschaft des problematischen Urteils mit der Frage, wie dieselbe auch darin zutage tritt, daß eben jedes problematische Urteil eine "offene Frage" bezeichnet. Aber der Unterschied zwischen beiden ist doch der, daß, während in der Frage noch nicht die geringste Entscheidung vorliegt, das problematische Urteil aus einer Einsicht in die Unzulänglichkeit der bisherigen (oder auch der überhaupt möglichen) Gründe pro und kontra hervorgeht und deshalb ein wirklicher Akt der Erkenntnis ist. Das tritt besonders da hervor, wo, etwa hinsichtlich metaphysischer Fragen, die im problematischen Urteil ausgesprochene Suspension des Urteilsaktes den definitiven Entscheid menschlicher Einsicht ausmacht. Es würde mir sehr gegen eine Urteilstheorie zu sprechen scheinen, wenn dieselbe derartigen "problematischen Urteilen", welche oft den Inbegriff unserer Menschenweisheit darstellen, den Charakter des "Urteils" abspräche. Da außerdem, wo die Gründe pro und kontra sich ungefähr das Gleichgewicht halten, doch mit psychologischer Notwendigkeit eine Tendenz zur Wahrscheinlichkeit nach der einen oder anderen Seite eintritt, so verlangt in solchen Fällen die logische Gesetzgebung vom Urteilenden ausdrücklich das problematische Verhalten. Wenn deshalb SIGWART (56) zu zeigen versucht, daß der problematische Satz, weil er einen Verzicht auf die Entscheidung der Frage, einen Verzicht zugleich auf Bejahung und Verneinung enthält, nicht als eigene Urteilsform anzuerkennen ist, so möchte ich dagegen geltend machen, daß eben dieser Verzicht eine vollständige Entscheidung und die dritte, der Bejahung und der Verneinung zu koordinierende Möglichkeit ist. Das bewußte "problematische Verhalten" als der Ausdruck jenes Nullpunkts der Beurteilungsskala ist eine selbständige Entscheidung der Stellung, welche der Urteilende zu der in der Frage vollzogenen Vorstellungsverbindung einnimmt, und das problematische Urteil ist in der Einteilung nach der Qualität dem affirmativen und dem negativen zu koordinieren. (57)

Man darf sich nicht wundern, wenn in dieser Weise eine Urteilsform. welche im bisherigen Schema unter der Kategorie der Modalität figuriert, in die Einteilung nach der Qualität herübergenommen wird. Die Verwandtschaft und die nahen Beziehungen beider Einteilungen sind oft hervorgehoben worden. (58) Es versteht sich das auch ganz von selbst, wenn die Qualität so wie hier oder ähnlich aufgefaßt wird und wenn man dabei bedenkt, daß nach KANTs (59) Ausdruck die Modalität "nichts zum Inhalt des Urteils beiträgt, sondern nur den  Wert  der Kopula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht." Außerdem ist die Einteilung der Urteile nach der Modalität als vollständig unhaltbar durch SIGWART (60) und LOTZE (61) dargestellt worden, und es hat sich gezeigt, daß der Unterschied des sogenannten assertorischen und des sogenannten apodiktischen Urteils weder in der Form noch im Inhalt, sondern höchstens in der Art der Begründung des Urteils zu suchen ist. Da aber mit diesem Gesichtspunkt, der zudem mit der Einteilung der Urteile überhaupt gar nichts zu tun hat, das "problematische" Urteil in keine Verbindung zu bringen ist, so kann es nur erfreulich sein, wenn diese sozusagen heimatlos gewordene Form des Urteils an anderer Stelle eine Unterkunft findet.



Mit der Definition des negativen Urteils als der Verwerfung oder Mißbilligung einer durch die Frage vollzogenen Vorstellungsverbindung kann man demnach in der Lehre von der Einteilung der Urteilsformen in völlig hinreichender Weise auskommen. Eine andere Frage aber ist die, in welchem Maße diese Bestimmung sich für die Theorie des  Schlusses  hinlänglich erweist. Eine systematische Anwendung dieser Definition auf die Syllogistik ist bisher nicht versucht worden, weder von LOTZE noch von SIGWART noch von BERGMANN. Nur BRENTANO hat (62) in etwas sehr mysteriöser Weise einen Umsturz der ganzen bisherigen Schlußlehre aufgrund der neuen Auffassung vom Wesen des Urteils in Aussicht gestellt, ohne jedoch den Schleier weiter als über einigen paradoxen Konsequenzen derselben zu lüften. Obwohl es also vielleicht nicht gar zu schwer erraten wäre, wie er sich diese "Reform" denkt, so verzichte ich doch auf die Behandlung einer so geheimnisvollen Proklamation. Bestimmt man die Negation als die Ungültigkeitserklärung einer Vorstellungsverbindung, so hat die Schlußlehre zunächst nur festzustellen, was unter Umständen aus zwei affirmativen Urteilen folgt, und sodann zu fragen: welche Konsequenz sich für den Schluß aus der Verwerfung einer oder beider Prämissen ergibt. Führt man dies durch, so zeigt sich zunächst beim Subsumtionsschluß (die sogenannte I. Figur), daß die Negation einer oder beider Prämissen nicht etwa eine Negation des Schlußsatzes mit sich führt, sondern überhaupt jeden Schluß unmöglich macht. Wird die Regel negiert, so folgt weder bei der Aufrechterhaltung noch bei der Verwerfung der Subsumtion etwas; wird die Subsumtion negiert, so ist erst recht kein Schluß möglich. Dagegen folgt im Komprädikationsschluß (die sogenannte III. Figur) stets etwas, auch wenn eine oder beide Prämissen negiert werden. (63) Im einen Fall folgt: es ist konstatiert, daß  S  ohne  P  vorkommt; im andern Fall folgt: es ist konstatiert, daß in gewissen Fällen die Bestimmungen  S  und  P  fehlen, - stets partikulare Schlußsätze, von denen aber höchstens der erste und auch dieser nur gezwungen, als Verneinung des ohne die Verwerfung der Prämissen eintretenden positiven Schlußsatzes sich auffassen lassen.

Die Ursache dieser Erscheinungen liegt natürlich in der alten Regel, daß mit der Folge zwar der Grund, aber nicht mit dem Grund die Folge aufgehoben ist. Die Negation der Prämissen macht daher den Schlußsatz immer nur problematisch und nie negativ. Bliebe man also bei diesen Bestimmungen stehen, so ergäbe sich, daß niemals ein Schlußsatz negativ sein könnte!

Blickt man aber andererseits auf die Art, wie nach der bisherigen Syllogistik wirklich negative Schlußsätze zustande kommen, so sieht man leicht, daß dazu immer eine Urteilsform nötig ist, welche über die oben behandelte Definition des negativen Urteils hinausgreift und dieselbe deshalb umzustoßen droht: es ist das sogenannte allgemein verneinende Urteil (E) von der sprachlichen Form  kein A ist B.  Dieser Satz ist weit davon entfernt, die bloße Negation des Satzes:  Alle A sind B  (oder in Form des Begriffsurteils  A ist B)  zu sein. Denn die bloße Negation des letzteren Satzes läßt auch die Möglichkeit offen, daß einige  A  das Prädikat  B  haben, andere aber nicht. (64) Was ist nun durch dieses "allgemein verneinende" Urteilt im Sinn der obigen Definition der Negation verneint? Man kann es vielleicht am einfachsten so ausdrücken: in diesem Fall ist nicht nur der Satz  A  ist  B,  sondern es sind im voraus auch alle diejenigen Sätze verneint, welche unter der Voraussetzung der Geltung des Satzes sich daraus durch den Subsumtionsschluß ergeben würden. Das allgemein verneinende Urteil ist also ein sehr verdichteter sprachlicher Ausdruck; seine logische Funktion ist die, eine  allgemeine Regel für Verneinungen  zu sein.

Als solche aber hat es im Schlußverfahren genau dieselbe Bedeutung, wie alle positiven allgemeneinen Regeln. Man kann sich das durch eine einfache Umformung klar machen. Setzt man an die Stelle des Satzes "kein  A  ist  B"  den anderen: "der Begriff  A  schließt das Prädikat  B  aus", so verwandeln sich alle Schlüsse, in denen nach dem gewöhnlichen Schema die Negativität einer Prämisse diejenige des Schlußsatzes nach sich zieht, in rein positive Schlüsse. Der Modus  celarent  ist genau gleich  barbara,  und die Reduktion aller Modi der sogenannten II. Figur auf solche der ersten ist ganz natürlich, während die Zurückführung der Komprädikationsschlüsse (III. Figur) auf die Subsumtionsschlüsse (I. Figur) eine Schulspielerei bleibt, welche nur in der Tendenz begründet war, die neuerdings von der "kalkulierenden" Logik und z. B. auch von F. A. LANGE wieder aufgenommen wurde, alle Urteils- und Schlußformen auf die durch die bekannten Winkel- oder Kreislaufdarstellungen schematisierten Umfangsverhältnisse zu reduzieren.

Es liegt also die formelle Möglichkeit vor, das sogenannte allgemein negative Urteil als positives Urteil aufzufassen. Man könnte es dann etwa als  Exklusionsurteil  bezeichnen: und es frägt sich nur, ob man berechtigt ist, die Exklusion (Ausschluß eines gewissen Merkmals) als ein sachliches Prädikat zu betrachten. Auf diese Frage will ich nur hindeuten: sie kann nur im Zusammenhang einer Kategorienlehre beantwortet werden. Würde sie aber bejaht, so hätten wir zwei Formen der Negation, welche bei sprachlicher Identität ganz verschiedenen Sinn hätten: die Verwerfung einer proponierten Vorstellungsverknüpfung auf der einen Seite, und ein sachliches Verhältnis der Ausschließung auf der anderen Seite - eine subjektive und eine objektive Negation. In ähnlicher Weise hat schon FRIES (65) zwischen "modalischer Position oder Negation" und "qualitativer Bejahung oder Verneinung" unterschieden.



Indem ich diese fragmentarischen Bemerkungen hier abbreche, füge ich ein Allgemeineres hinzu. In der Untersuchung über das negative Urteil tritt, wie überhaupt in der gesamten Urteilslehre, je tiefer man eindringt, umso mehr die Differenz zwischen der logischen und der sprachlichen Form hervor. Die Sprache sagt weder alles, was sie meint, noch meint sie alles so, wie sie es sagt. Es gehört zu ihrer Ökonomie, sich der gleichen Form zum Ausdruck verschiedener Beziehungen zu bedienen und auf das gegenseitige Verständnis der Sprechenden zu zählen; es fließt andererseits aus ihrer Lebendigkeit, daß sie denselben Gedanken in mannigfache Formen zu gießen vermag. Man denke nur daran, was für eine Fülle von logischen Verknüpfungen durch die indifferent Kopula nicht sowohl ausgedrückt, als vielmehr angedeutet und verdeckt wird! und andererseits, was für ein Reichtum von Redenwendungen steht uns zu Gebote, wenn wir aussagen wollen, daß eine Art  S  zu einer Gattung  P  gehört! Keine Sprache ist so pedantisch, für jede Gedankenform nur  eine,  ihr allein zugehörige Ausdrucksform zu schaffen.

Deshalb aber muß die logische Analyse überall hinter die sprachliche Form zu dringen suchen und darf sich nicht an das grammatische Formsystem klammern. Wie schon in ihren Anfängen die Logik mit grammatischen Untersuchungen verschlungen erscheint, so wiederholt sich zu allen Zeiten, wo eine Reform der Logik gesucht wird, der Vorschlag, ihre Prinzipien in der Grammatik zu suchen. Niemand wird die gewaltige logische Arbeit verkennen, welche in der Sprache niedergelegt ist: aber auch von dieser Weisheit gilt es, daß sie nicht im Buchstaben steckt, sondern im Geist. Darum will die Grammatik aus der Logik verstanden sein, aber nicht umgekehrt; und, ein altes Wort variierend, dürfte man sagen: Logica cave grammaticam! [Die Logik führt die Grammatik! - wp]
LITERATUR - Wilhelm Windelband, Beiträge zur Lehre vom negativen Urteil, Eduard Zeller, Straßburger Abhandlungen zur Philosophie, Freiburg i. Br. 1884
    Anmerkungen
    1) Vgl. EDUARD ZELLER, Geschichte der deutschen Philosophie, 1873, Seite 430; FRIEDRICH HARMS, Die Philosophie seit Kant, Seite 165f, 169f und W. WINDELBAND, Geschichte der neueren Philosophie II, Seite 66f
    2) Nicht bloß SIGWART, Logik I, Seite 119, bestreitet sie, der ja überhaupt keine andere Art des Urteils als die kategorische Aussage eines Prädikats von einem Subjekt anerkennt und deshalb dem verneinenden nur neben dem hypothetischen und dem disjunktiven Urteil den Wert eines "Urteils über Hypothesen" zuspricht (ebd. Seite 260), sondern ebenso auch LOTZE (Logik 1874, Seite 61) und ähnlich schon früher ULRICI (Kompendium der Logik, Seite 275).
    3) Dieselbe zeigt sich schon bei TRENDELENBURG (Logische Untersuchungen I, 2. Auflage, Seite 44 und II, Seite 148), obwohl derselbe (vgl. II, Seite 146f) diese Auffassung ebensowenig rein aufrecht erhielt, wie sein Meister ARISTOTELES (vgl. ÜBERWEG, Logik, 4. Auflage, Seite 170).
    4) KANT, Kritik der reinen Vernunft, Methodenlehre, 1. Hauptstück, 1. Auflage, Seite 709
    5) SIGWART, Logik I, § 20f
    6) LOTZE, a. a. O. Seite 61
    7) Über "Urteil" und "Beurteilung" vgl. Windelband, Präludien, Seite 29f.
    8) JULIUS BERGMANN, Reine Logik I, Seite 177f; vgl. Seite 46f und Grundprobleme der Logik, § 10
    9) DESCARTES, Meditationes de prima philosophie IV. Historisch ließe sich übrigens diese Linie bis zu DUNS SCOTUS und von da bis zu AUGUSTIN zurückverfolgen.
    10) Ebenso behandelt SPINOZA die affirmatio und die negatio als Formen der volitio; vgl. Ethik II, prop. 49
    11) CARL FORTLAGE, System der Psychologie als empirischer Wissenschaft I, Seite 91f.
    12) FRANZ BRENTANO, Psychologie vom empirischen Standpunkt I, Seite 256f
    13) BRENTANO, a. a. O. Seite 262
    14) BRENTANO, a. a. O. Seite 291f
    15) BRENTANO, a. a. O. Seite 328f
    16) Über die vier Grundformen der "Beurteilung" (die hedonische, logische, ethische und ästhetische) und ihre wissenschaftliche Behandlung vgl. WINDELBAND, Präludien, Seite 37f.
    17) Diesen Akt der Wertbestimmung bezeichnen die englischen Assoziationspsychologen nach dem Voranschreiten HUMEs meistens als  belief.  Vgl. hauptsächlich HUME, Enquiry concerning human understanding, Ausgabe von 1770, Seite 71f und die Anführungen aus JOHN STUART MILL bei BRENTANO a. a. O. Seite 273f. In Deutschland hat SCHLEIERMACHER dafür den Namen "Überzeugungsgefühl" angewendet: Dialektik, § 59, Werke III, 4, b. Seite 25f.
    18) Vgl. die Abhandlung "Über Denken und Nachdenken" in den Präludien, Seite 189f.
    19) Diese Verneinung wird zwar psychologisch schon durch den Mangel des Prädikats in der Wahrnehmung veranlaßt; begründbar aber ist sie, wie SCHUPPE, Erkenntnistheoretische Logik, Seite 279f gezeigt hat, nur durch die sachliche Erkenntnis der Ausschließung von Merkmalen. Man kann daraus folgern, daß negative Urteile niemals unmittelbare, sondern immer nur eine mittelbare Begründung besitzen können - ein sehr wichtiger und weittragender Satz, den ich hier nur kurz angedeutet haben will, ein Satz, aus dem sich u. a. zum Beispiel ergibt, daß alle Axiome oder Normen, denen die unmittelbare Evidenz innewohnt, eigentlich affirmative Urteile und nur sprachlich teilweise in negative Form zu kleiden sind.
    20) Dieser definiert das Urteil als einen "Denkakt", durch welchen "etwas von etwas ausgesagt wird". (SIGWART, Logik I, Seite 23f)
    21) Vgl. LOTZE Logik (1874) Seite 57: "Jedes Urteil will ein Verhältnis zwischen den Inhalten zweier Vorstellungen aussprechen."
    22) ULRICI, Kompendium der Logik, Seite 266f; vgl. Seite 275
    23) SCHUPPE, Erkenntnistheoretische Logiek, Seite 11f, 644f; vgl. Das menschliche Denken, Seite 7f
    24) WUNDT, Logik I, Seite 135f, wo sich die merkwürdige Äußerung findet: die Einteilung der Urteile in wahre und falsche sei die oberflächlichste von allen.
    25) HERBART, Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, § 54. Werke I, (Ausgabe HARTENSTEIN), Seite 94
    26) HERBART, Hauptpunkte der Logik II, Werke I, Seite 470
    27) PLATO, Sophista, Seite 262
    28) Vgl. z. B. HERBART, Werke I (Ausgabe HARTENSTEIN), Seite 105 und DROBISCH, Logik, § 56, Anm. (3. Auflage, Seite 61).
    29) Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration für das Dasein Gottes, siehe HERBART, Werke I, Seite 1; Werke VI, Seite 21f. Sowie "Kritik der reinen Vernunft", 1. Auflage, Seite 598f
    30) Vgl. BERGMANN, Reine Logik, Seite 100f
    31) BERGMANN, a. a. O. Seite 142f. Auch MILL erklärt das "Sein für ein Prädikat: System der deduktiven und induktiven Logik, Buch I, Kap. 4, § 1 und Kap. 5, § 5. Übersetzung von GOMPERZ, Seite 69 und 95.
    32) Vgl. BRENTANO, a. a. O. Seite 277
    33) BRENTANO, a. a. O. Seite 283
    34) Vgl. LOTZE, Logik, 1874, Seite 18f
    35) Darauf beruth es auch, daß die Kategorien, von der einen Seite betrachtet, als die generalissima, d. h. als die allgemeinsten Formen der Begriffe und, von der anderen Seite betrachtet, als die Grundformen der Urteile erscheinen.
    36) Als einzige Ausnahme wäre der Existentialsatz "Ich bin" anzuführen; doch glaube ich zeigen zu können (was hier zu weit führen würde), daß auch für diesen die obige Erörterung zutrifft.
    37) In gewissem Sinne hat SCHUPPEs "Erkenntnistheoretische Logik" dieses Prinzip zur Durchführung gebracht. Noch mehr nähert sich demselben (aus den sogleich zu entwickelnden Gründe) die Auffassung von BERGMANN.
    38) Es ist deshalb nicht zu billigen, daß SCHLEIERMACHER (Dialektik 3 239, Werke III, Abt. 4, Bd. 2, Seite 186f) gemeint hat, das "Überzeugungsgefühl sei in allen Fällen dasselbe, nur die Art seiner Anwendung sei verschieden".
    39) Bei BRENTANO freilich würde nach Analogie der von ihm gegebenen Beispiele (a. a. O. Seit 283) der Satz sehr unglücklich so lauten: "Es gibt keine Rose, welche nicht eine Pflanze wäre". Aber der Verfasser der Schrift über die mannigfache Bedeutung des Seienden nach ARISTOTELES hat in der Psychologie nur die  eine  Art des Seins vor Augen gehabt.
    40) LOTZE hat (Logik 1874, Seite 499f) diese Unterscheidung eingeführt, ohne sie mit der Urteilstheorie in Beziehung zu setzen, und von derselben aus ein überraschendes Licht auf die platonische Ideenlehre fallen lassen: wenn diese Erörterung in einem historischen Sinn anfechtbar und vielleicht kaum haltbar ist, so ist sie in systematischer Hinsicht umso bedeutender.
    41) Man kann sich auch so ausdrücken: da die "Wahrheit" ein mehrdeutiges Beurteilungsprädikat ist, so müssen die Urteile nach den Arten der Wahrheit eingeteilt werden.
    42) Vgl. hauptsächlich BERGMANNs "Grundprobleme der Logik", Seite 7f
    43) In Bezug auf die sogenannten limitativen Urteile begnüge ich mich damit, zu wiederholen, was LOTZE (a. a. O. Seite 62) darüber gesagt hat: "Offenbare Grillen müssen in der Wissenschaft nicht einmal durch zu sorgfältige Bekämpfung fortgepflanzt werden."
    44) JAKOB FRIEDRICH FRIES, Versuch einer Kritik der Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung (Braunschweig 1842), besonders Seite 13f und Seite 127f. Vgl. meine Promotionsschrift "Die Lehren vom Zufall", Berlin 1870, Seite 39f
    45) Dies ist zugleich das entscheidende Prinzip, welches die sogenannten *psychophysischen Untersuchungen, unbeschadet ihrer hohen physiologischen Bedeutsamkeit, aus der Psychologie ausschließt. Vgl. E. ZELLER, Über die Messung psychischer Vorgänge, Abhandlung der Berliner Akademie der Wissenschaften, 1881 und J. von KRIES, Über die Messung intensiver Größen etc., Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Jahrgang VI, 1882, Seite 257f
    46) Vgl. SIGWART, Logik I, Seite 118 und 191
    47) HERBART, Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, § 54, Werke I, Seite 95
    48) FRIES, Neue Kritik der Vernunft I, Seite 172; vgl. Versuch einer Kritik der Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Seite 15
    49) Vgl. System der Psychologie, Bd. I, §§ 7 - 11. Auch SIGWART, Logik I, Seite 118, erklärt: "Fragen sei Denken."
    50) FORTLAGE, a. a. O. Seite 61
    51) GLOGAU, Abriss der philosophischen Grundwissenschaften, Teil 1, Seite 359
    52) Ich bemerke, daß LOTZE (a. a. O.) seinen Vorschlag genau in dieser Weise begründet.
    53) SIGWART, Logik I, Seite 191
    54) SIGWART, a. a. O. ebd.
    55) Es braucht natürlich nur kurz darauf hingewiesen zu werden, daß es der Gipfel aller Torheit wäre, das Vorkommen des Hilfszeitwortes "können" als charakteristisches Merkmal des problematischen Urteils anzusehen. Diese sprachliche Form dient fast häufiger zum Ausdruck eines partikularen bzw. eines Subordinationsurteils oder eines prädikativen Urteils. Das Urteil: Ein Dreieck kann rechtwinklichg sein, ist sicher nicht problematisch, und wenn jemand meine Behauptung: "Ich kann lateinisch lesen" für ein problematisches Urteil erklärte, so würde ich ihn schief ansehen.
    56) SIGWART, Logik I, Seite 191f
    57) Daß diesen drei Grundformen, deren Aufstellung, wie man sieht, nicht etwa einer Vorliebe für die Trichotomie entspringt, drei Fundamentalgesetze der Logik entsprechen, habe ich, Präludien, Seite 276 angedeutet.
    58) Vgl. besonders ÜBERWEG, System der Logik, § 69
    59) KANT, Kritik der reinen Vernunft, 1. Auflage, Seite 74f
    60) SIGWART, Logik I, Seite 193f
    61) LOTZE, Logik (1874), Seite 62f. Besonders schlagend ist der Nachweis in § 44.
    62) BRENTANO, Psychologie I, Seite 302f
    63) Über den Komprädikationsschluß aus zwei negativen Prämissen vgl. LOTZE, Logik § 89. Die große Tragweite der von LOTZE dort sehr bescheiden vorgetragenen Neuerung kommt namentlich bei der Revision früherr Klassifikationen zum Vorschein. Man nehme das Beispiel: Protozoen sind keine Tiere, Protozoen sind keine Pflanzen; Schluß: Organismen, die keine Tiere sind, braucht darum noch nicht Pflanzen zu sein. (Notwendigkeit einer dritten Art!)
    64) Vgl. SIGWART, Logik I, Seite 128f und Seite 162
    65) FRIES, Neue Kritik der Vernunft I, Seite 173. Verwandt ist die Darstellung bei KNAUER, Konträr und kontradiktorisch, Halle 1868; vgl. auch ÜBERWEG, Logik, 4. Auflage, Seite 174