Fritz Mauthners gescheiterte Sprachkritik
Sprachskepsis und Dichtung Mit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wächst unter den Dichtern immer schneller die Furcht, die Dichtung greife ins Leere. Den Grund dafür sucht man in der Sprache. Sie habe abgewirtschaftet, sei verdorben, sei unbrauchbar für eine Erkenntnis des Menschen, der Wirklichkeit, der Wahrheit. Die Sprache wird wie nie zuvor zu einem Angelpunkt der dichtungstheoretischen Diskussion, und sie ist es bis heute geblieben. "The real metaphysical problem today is the word", heißt es in einem Aufsatz über JAMES JOYCE. MAUTHNERs Sprachskepsis wird für CHRISTIAN MORGENSTERN zu einer Rechtfertigung für das Spiel mit der Sprache. In MAUTHNERs Gedanken findet MORGENSTERN die Klärung seiner eigenen Anschauung vom Wesen der Sprache, insofern spricht er mit Recht von der "Krone einer inneren Entwicklung". MORGENSTERN bekennt sich zu einer radikalen Sprachskepsis, zu einem Leben "jenseits der Begriffe"(1) Von ihm stammt auch die Ankündigung eines FRITZ-MAUTHNER-Tags: Vorankündigung 22. November Fritz-Mauthner-Tag 22. November Spectaculum Grande Großes Wörterschießen! Preise bis zu 1000 M! Mittelpunkt der Veranstaltung: Zehnmaliges Erschießen des Wortes "Weltgeschichte" Das Festkomité der Vereinigung zur ordnungsgemäßen Erschießung verurteilter Wörter Zerstörung der Sprache, der Syntax, des Worts, der Bedeutung: solche Gedanken manifestieren sich im Dadaismus. "Die Dadaisten waren die ersten, die das Ausmaß der Katastrophe erkannten. Sie sahen auch das Versagen der aufgewühlten Dichtung und die Gegenstandslosigkeit der messianischen Sprache. Utopien, Ideale, jede Verpflichtung der Kunst auf einen Glauben, die Literatur insgesamt gehörten für sie zum Gerümpel einer absurd gewordenen Epoche. Sie taten den letzten Schritt zur Befreiung der Sprache von der Tradition. Sie befreiten sich auch von der Aufgabe, die Menschen feierlich zu erschüttern oder satirisch zu verletzen, und führten ihren nützlichen Gebrauch überhaupt ad absurdum. Nach ihrer Poetik konnte sich die absolute Freiheit der Kunst nur noch als Ausbruch aus jeder inhaltlichen Fixierung beweisen. Nach Auflösung der Syntax unternahmen sie die Zertrümmerung des Worts in seine Splitter von Laut und Sinn, den Vorstoß in das sprachliche Nichts."(2) In HUGO BALL, dem Denker des Dadaismus, zeigt sich am deutlichsten die Problematik dieses Experiments. Er hat nicht nur versucht, sich theoretisch darüber Rechenschaft abzulegen, sondern selbst erfahren, daß die Zerstörung der Sprache eine Illusion ist. Sein Leiden an der Sprache ist weniger erkenntnistheoretischer Art, vielmehr das Leiden des Dichters an der verkommenen Sprache seiner Zeit. Bei der Beschäftigung mit dem Anarchismus stößt er auf Pierre-Joseph Proudhon und notiert sich: "PROUDHON, der Vater des Anarchismus, scheint auch der erste gewesen zu sein, der um die stilistischen Konsequenzen wußte. Hat man nämlich einmal erkannt, daß das Wort die erste Regierung war, so führt dies zu einem fluktuierenden Stil, der das Dingwort meidet und der Konzentration (Zusammenballung) ausweicht." HUGO BALL bezieht sich in seinem Roman Flucht aus der Zeit (3) deutlich, teilweise sogar in der Formulierung, auf GUSTAV LANDAUER, der in seinem Buch Skepsis und Mystik (1903) und dann in der Revolution (1907) MAUTHNERs Skepsis als Durchbruch zu totaler Freiheit und damit zur Neugestaltung der Wirklichkeit dargestellt hatte. Daß der Dichter sich Rechenschaft über sein Verhältnis zur Sprache abzulegen habe, ist seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine weitverbreitete Vorstellung. Die Herausforderung durch die Sprachexperimente der Zeit darf dabei nicht unterschätzt werden, dennoch scheint es mir, als habe FRITZ MAUTHNER diese Diskussion wesentlich gefördert. Bei einer großen Anzahl sehr unterschiedlicher Dichter läßt sich die Erkenntnis seiner Schriften nachweisen, bei anderen ist sie wenigstens wahrscheinlich. Zu erwähnen wären etwa ALFRED DÖBLIN, GERHART HAUPTMANN, HERMANN HESSE, RAINER MARIA RILKE und schließlich KURT TUCHOLSKY, der an H.E. Blaich, dem Redakteur des Simplizissimus, schreibt:
Es ist kaum möglich, alle diese Dichter unter einen gemeinsamen Nenner zu fassen, wenn man sich nicht auf die Feststellung beschränken will, sie hätten irgendwie mit dem Zweifel an der Sprache zu tun. Deutlich ist aber die Macht und Zähigkeit des sprachkritischen Gedankens, der in so verschiedener Weise über 90 Jahre lang, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität - Höhepunkte liegen in den ersten zwanzig und in den letzten zehn Jahren dieses Zeitraums - Dichter fesseln konnte. FRITZ MAUTHNER hat diesen Stein ins Rollen gebracht. Die Beiträge Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, im Frühjahr 1901, erschien im Cotta-Verlag ein umfangreiches Buch von über 700 Seiten, der erste Band von Fritz MAUTHNERs Beiträgen zu einer Kritik der Sprache. Der damals einundfünfzigjährige Autor, Theaterkritiker am Berliner Tageblatt, hatte sich gerade mit seinen Parodien Nach berühmten Mustern (1879) einen Namen gemacht, Romane, Erzählungen und Gedichte veröffentlicht und war geliebt und gefürchtet als scharfzüngiger Journalist. Die Kritik der Sprache ist seine erste philosophische Arbeit. Schon der Titel zeigt, welch hohen Anspruch er zu erfüllen sucht: das Werk wird neben Kants Vernunftkritik gestellt, wenn auch nicht als geschlossenes System, so doch als erste Beiträge zu einer neuen Richtung philosophischer Forschung. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist mit Bedacht gewählt und unterstreicht diesen Anspruch. Von der Jahrhundertwende erwartete man den großen Umbruch, die neue Zeit. Eine revolutionäre Erkenntnis, die alles menschliche Denken und alles Gedachte umstürzt, verkündet auch MAUTHNER: alles Denken ist eitel, alles Denken ist nur Sprache, nicht nur ohne Beziehung zur Wirklichkeit, vielmehr eine undurchdringliche Mauer zwischen Mensch und Wirklichkeit, auch keine Brücke des Verständnisses der Menschen untereinander, sondern die Ursache alles Mißverstehens und aller Einsamkeit. Sprache und Denken erscheinen als eine ungeheure Fehlentwicklung des Organismus Mensch, als ein Fluch, von dem er sich erlösen muß. FRIEDRICH NIETZSCHEs Zerstörung der moralischen Begriffe und der Kultur des modernen Europa wird übersteigert zu einer Verneinung des menschlichen Denkens gleichweder Kultur und Zeit. "Das Buch ist ein unerhörter Protest gegen Welt, Mensch und Gott", heißt es in einer Rezension. Nach der Kritik der Sprache bleibt nichts mehr zu sagen übrig. Doch niemand, kein Dichter und kein Philosoph, fühlte sich verpflichtet, wirklich zu schweigen. MAUTHNER selbst schreibt weiter, allerdings in der Absicht, den Weg zu einer neuen Mystik aufzutun; noch in seinen letzten Lebensjahren entsteht das vierbändige Monumentalwerk Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. Nur ein armer Student zog aus MAUTHNERs Lehre wirklich die letzte Konsequenz und beging Selbstmord. Jeder, der schreibt, muß sich darüber im Klaren sein, daß er diese radikale Sprachskepsis nicht teilt, oder, wenn er sie teilt, seine eigenen Gedanken nicht zu ernst nimmt. MAUTHNER war sich dieser Aporie (Ausweglosigkeit) bewußt und versucht sich mit einem Gleichnis darüber hinwegzuhelfen:
"In dieser Einsicht liegt der Verzicht auf die Selbsttäuschung, ein Buch zu schreiben gegen die Sprache in einer starren Sprache. So mußte der Entschluß reifen, diese Bruchstücke entweder als Bruchstücke zu veröffentlichen, oder das Ganze dem radikalsten Erlöser zu überantworten, dem Feuer. Das Feuer hätte die Ruhe gebracht. Der Mensch jedoch, solange er lebt, ist wie die lebendige Sprache und glaubt, er habe etwas zu sagen, wenn er spricht."(7) Die "soziale Wirklichkeit" Sprache wird zu einer "sozialen Illusion", wo ihr eine Aufgabe zugemutet wird, die über die der alltäglichen Mitteilung zur praktischen Bewältigung des Lebens hinausgeht. Ihr Wesen liegt in der aktuellen Verwirklichung, die Art der Verwirklichung bestimmt ihren Wert. "Die Sprache ist ein Gebrauchsgegenstand, der durch die Ausbreitung des Gebrauchs an Wert gewinnt." Die Sprache ist ein Spiel und als solches ohne Beziehung zur Wirklichkeit, ein geordnetes Regelsystem, das nur im Gebrauch Bedeutung gewinnt: "Die Sprache ist nur ein Scheinwert wie eine Spielregel, die auch umso zwingender wird, je mehr Mitspieler sich ihr unterwerfen, die aber die Wirklichkeit weder ändern, noch begreifen will." MAUTHNER verfolgt in der Kritik der Sprache mehrere Absichten. Er will das Wesen der Sprache erklären; sie ist ein eigengesetzliches System neben der Wirklichkeit und kann deshalb zu deren Erkenntnis nichts beitragen. Auch die Menschen bringt die Sprache nur so weit einander näher, wie eine Spielregel die Mitspieler verbindet. Wirkliches gegenseitiges Verstehen ist ausgeschlossen. Wer sein Gegenüber, die Wirklichkeit und den Menschen, verstehen will, muß sich von der Sprache befreien. Aber die totale Befreiung bleibt eine Illusion. Deshalb ist Befreiung von der Sprache eine Befreiung von den Teilen, die den Menschen die Möglichkeit einer Erkenntnisgewinnung vortäuschen und das wahre Wesen der Sprache verschleiern. Das sind in erster Linie die Scheinbegriffe. Jeder Fortschritt im Denken findet seinen Anstoß außerhalb der Sprache und schlägt sich als Erweiterung der Sprache nieder. MAUTHNERs praktische Sprachkritik umfasst Wortkritik, Wissenschaftskritik und Kritik an öffentlichen Institutionen. Die "Kritik der Sprache" ist philosophiegeschichtlich gesehen keine völlig überraschende Explosion neuer Gedanken; sie fußt auf einer langen Tradition. Die Intension und das emotionale Engagement, mit dem MAUTHNER sich diese Tradition zu eigen macht und überlieferte Gedanken radikal zu Ende denkt, macht die Bedeutung des Werkes aus. In den Stellen, wo der Sprachskeptiker sich zu dichterischem Pathos findet, muß der Kern des Werkes gesehen werden. Sie beeindrucken uns und nicht MAUTHNERs Nominalismus, seine Lehre von den Zufallssinnen, sein Kampf gegen Sprachwissenschaft und Logik, bei aller Bedeutung zahlreicher Apercus [geistreiche Bemerkungen - wp], bei allen Anregungen, die er Linguistik und Sprachphilosophie gegeben hat. Das ist nur ein - oft mißratenes - Gewand, eine philosophische Maske, in die MAUTHNER sein Leiden an der Sprache kleidet, weil er sich die Kraft zu einer rein dichterischen Bewältigung nicht zutraute und wohl auch nicht besaß. Daher endet die Kritik der Sprache auch in Resignation. Wo er triumphiert und stolz auf seine Leistung pocht, da geschieht das entweder aus Zorn über die Verachtung, die seine Gegner ihm entgegenbringen, oder aber er beruft sich auf die praktische Sprachkritiker:
Christian an Margarete Morgenstern, 8.10.1908 Adolf Muschg, Von Trakl zu Brecht, Seite 76 Hugo Ball, Flucht aus der Zeit, Seite 67 Kurt Tucholsky, Briefe, vom 4.3.1916 Ellmann, James Joyce, Seite 620 Einen ganz ähnlichen Rückzug tritt auch LUDWIG WITTGENSTEIN gegen Ende des 'Tractatus' an: "Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als Unsinn erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinaus gestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Fritz Mauthner, Kritik der Sprache, Bd.1, Seite 2 Fritz Mauthner, Gespräche im Himmel, Seite 56 |