Ein gemeinsamer Wissensvorrat kann auch das Vorurteil sein, daß es so etwas wie "eine" Gesellschaft überhaupt gibt oder in einem umfassenderen Sinn: daß Worte "real" sind [nicht nur als Worte]. Dann könnte das Nichtwissen, bzw. das Unwissen der großen Masse [das im Aberglauben an eine solche "Gesellschaft" besteht] ein viel erheblicherer Faktor bei der Analyse der Zustände sein, als es von "Experten" wie Berger und Luckmann, für die "die" Gesellschaft offensichtlich kein Problem darstellt, veranschlagt wird. Dann könnte es sein, daß die Mehrheit der Menschen glaubt, daß ihre Interessen in ihrem Sinn von Politikern vertreten werden. Bemerkenswert wäre ein solcher Glaube deshalb, weil nirgendwo klar definiert ist, was eigentlich unter solchen "Gemeinschaftsangelegenheiten" verstanden werden soll. Man landet bei Überlegungen in dieser Hinsicht "realistisch" betrachtet bei "Institutionen" wie dem "öffentlichen Verkehr", der gemeinschaftlich geregelt werden muß, weil sonst nichts mehr vorwärts geht oder bei der "Steuerpflicht" des Bürgers, ohne die der Staat unmöglich ist. Wer über die formalen Infrastrukturen hinausdenkt und nicht nur die Mittel im Auge hat, sondern auch die Zwecke, kommt zu, in den Augen der Realisten "unrealistischen" Forderungen, wie der nach mehr Gerechtigkeit oder mehr Freiheit, die aber auch nur dann Sinn machen, wenn dabei das konkrete Individuum und keine abstrakte Allgemeinheit im Vordergrund steht. Ein Staat, der die Individualisierung als zivilisatiorischen Prozeß begreift, würde seine Aufgabe darin sehen, die bestehenden Machtverhältnisse so zu dezentralisieren, daß wirklich nur unbedingt und notwendige Hoheitsrechte in seiner Hand verbleiben. Sobald die "Staatsbürger" über die erforderliche wirtschaftliche Unabhängigkeit verfügen, um ihre sozialen Verbindungen frei zu wählen, werden die so eingegangenen Verbindungen viel dauerhafter und fester sein, als das bisher der Fall war. Die bisherige Methode, das Volk mit Angst und Unsicherheit zu motivieren, ist ein Relikt aus den Tagen autoritärer Herrschaft und dem modernen Menschen nicht mehr würdig.
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