Die "eigene" Identität ist vielmehr etwas, das für andere existiert und weniger für einen selbst. Nicht umsonst ist das Ich in der buddhistischen Philosophie eine Jllusion. Wenn die Leute sich eine Eigenschaft ausdenken sollen, die sie durchgehend als fester Bestandteil durch ihr bisheriges Leben begleitet hat, dann kommen die meisten ins Grübeln und verfallen schließlich auf das Bild, das andere von ihnen haben. Wieso weigern sich kluge Menschen, selbst ihre Vorzüge aufzuzählen, wie man das oft bei Preisverleihungen erlebt? Weil ihnen klar ist, daß sie sich selbst in den wenigsten Fällen so sehen, wie das andere tun. So eine Beurteilung ist immer subjektiv, weil sie perspektivisch ist, von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet. Eine "objektive" Person gibt es nicht und deshalb kann es auch keine objektive Wirklichkeit geben, außer eben man behauptet, daß es bei der "Tatsachenfestellung" nicht auf ein besonderes, individuelles Bewußtsein ankommt und die "Fakten" ansich allgemeingültig sind und von "jedem" unterschiedslos anerkannt werden müssen. Und dann wird oft witzigerweise noch die Einschränkung gemacht: von jedem, der zwei und zwei zusammenzählen kann. Alle diese Fakten sind aber letztlich immer zweckbedingt, weil sich ein "Standpunkt", der von jemandem eingenommen wird, nicht ausschalten läßt. Selbstverständlich kann man den Umstand, daß einer den anderen erschlagen hat, als Mord bezeichnen, aber es kann auch Totschlag gewesen sein. Selbstverständlich ist jemand tot, aber auch das Totsein findet nicht ohne Bezugnahme statt, wenn man z. B. an die Unterscheidung von Hirntod und Herzstillstand denkt. Und so kann man sich auf vieles "einigen", was dann als Verbrechen zu verurteilen ist, aber sowas muß "gewollt" werden und ist eine subjektive Entscheidung und kein objektives Wissen. Was populistisch als "Wissen" bezeichnet wird, ist immer nur ein Teil eines umfassenderen Zusammenhangs, der als Ganzer zu betrachten ist. Und diese Sichtweise führt auch nicht dazu, daß sich die Leute leichter aus der Verantwortung stehlen und Schuld von sich abwälzen können, sondern im Gegenteil: es werden dann plötzlich Verantwortliche ausgemacht, wo man es vorher nur mit einer "neutralen" Realität zu tun hatte.
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