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ELISABETH BAUMGARTNER
Intentionalität
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"In den Logischen Untersuchungen war keineswegs schon die höchste Stufe prinzipieller Klarheit erreicht. Erst im Fortgang der Forschungen über die begrenzte Problemsphäre der LU hinaus, erst in der konsequenten Erweiterung derselben zu einer Problematik, die die Allheit möglicher Gegenstände überhaupt und die Allheit möglichen Bewußtseins überhaupt, oder möglicher Subjektivität überhaupt umspannte, konnten die letzten prinzipiellen Klärungen erwachsen Was sich im dringenden und schon von der formalen Universalität der mathesis universalis erweckten Bedürnis nach einer universellen Erweiterung von den LU aus darbieten mußte, war die Erweiterung ... der rein apriorischen Betrachtung des nur formale Allgemeinheiten berücksichtigenden erkennenden Bewußtseins auf das inhaltlich bestimmtere erkennende Bewußtsein, bezogen auf jede besondere Kategorie von Gegenständlichkeit überhaupt; und schließlich mußte von da aus eine apriorisch reine Bewußtseinslehre in voller Universalität erwachsen, die auch jederlei wertendes, strebendes, wollends und so überhaupt Bewußtsein jedes Typus umspannte, also das ganze konkrete subjektive Leben in allen Gestalten seiner Intentionalität erfaßte und die Totalitätsprobleme der Konstitution der Welt und der Einheit der Bewußtseinssubjektivität, der einzelpersonalen und vergemeinschafteten, eröffnete."

2.2. Intentionalität bei Husserl - Die Logischen Untersuchungen
Die erste systematische Untersuchung zum Intentionalitätsproblem findet sich bei HUSSERL 1901 in der "V. Logischen Untersuchung", die "Über intentionale Erlebnisse und ihre Inhalte" handelt. In der Untersuchung verbindet sich die psychologische Fragestellung (die Erlebnisse des Bewußtseins) mit der erkenntnistheoretischen (die Gegenstände, Inhalte als Objekte), die späterhin für HUSSERL die entscheidende werden sollte:
    "... die konkrete Durchführung analytischer Arbeit zeigt auch hier bereits: Die phänomenologischen Analysen von Bewußtseinserlebnissen haben gar nicht den Sinn psychologischer Untersuchungen von realen Bewußtseinsvorkommnissen psychophysischer Wesen. Vielmehr sind sie als reine und zwar rein eidetische, auf die Erforschung des Wesens der Bewußtseinserlebnisse ausgerichtete Analysen zu verstehen."(Ströker 1975, XXI)
HUSSERL klärt zunächst die Begriffe Bewußtsein, Ich und innere Wahrnehmung. Ausgehend von BRENTANOs Unterscheidung psychischer von physischen Phänomenen analysiert er "Bewußtsein als psychischer Akt" (Kap. 2), bestreitet aber BRENTANOs Trennung im Detail.
    "Es ließe sich zeigen, daß keineswegs alle psychischen Phänomene im Sinne einer möglichen Definition der Psychologie ebensolche im Sinne Brentanos, also psychische Akte sind, und daß auf der anderen Seite unter dem bei Brentano äquivok [mehrdeutig - wp] fungierenden Titel physisches Phänomen sich ein guter Teil von wahrhaft psychischen Phänomenen findet." (Husserl 1975, 24)
Beispiel für ersteres sind HUSSERLs Empfindungen und Empfindungskomplexionen.

HUSSERL wendet sich gegen BRENTANOs Verwendung des Terminus "psychisches Phänomen".
    "Was aber den Terminus Phänomen anbelangt, so ist er nicht nur mit sehr nachteiligen Vieldeutigkeiten behaftet, sondern imputiert auch eine sehr zweifelhafte theoretischen Überzeugung, die wir bei Brentano ausdrücklich hingestellt finden, nämlich daß jedes intentionale Erlebnis eben Phänomen ist. Da Phänomen in der vorwiegenden und auch von Brentano angenommenen Rede einen erscheinenden Gegenstand als solchen bezeichnet, so liegt darin, daß jedes intentionale Erlebnis nicht nur auf Gegenstände eine Beziehung hat, sondern selbst ein Gegenstand gewisser intentionaler Erlebnisse ist." (Husserl 1975, 30)
HUSSERL spricht lieber von psychischen Akten, deren Wesen die Intentionalität ist. Er betont besonders die "wesentlich spezifische Verschiedenheit der intentionalen Beziehung" (Husserl 1975, 27) und bekräftigt:
    "Die intentionale Beziehung, rein deskriptiv verstanden, als innere Eigentümlichkeit gewisser Erlebnisse, fassen wir als Wesensbestimmtheit der psychischen Phänomene oder psychischer Akte, so daß wir in Brentanos Definition, sie seien solche Phänomene, welche intentional einen Gegenstand in sich enthalten, eine essentielle Definition sehen ..." (Husserl 1975, 28)
Beim frühen HUSSERL ist der Zugang zum Problem der Intentionalität, wie gesehen, noch eng an BRENTANO und der deskriptiven Psychologie ausgerichtet; die Differenzen liegen vor allem in der Ablehnung der Scheidung von innerer und äußerer Wahrnehmung im Sinne BRENTANOs - HUSSERL nennt innere Wahrnehmung "adäquate Wahrnehmung" (Husserl 1975, 12f) - und im Aufweis der Problematik der Rede von der mentalen oder intentionalen Inexistenz eines Gegenstandes. Es geht HUSSERL hier aber nicht um eine Kritik dieser Konzeption, sondern im Zuge seiner phänomenologischen Analyse um eine Klärung der Begriffe, um einen Versuch, Äquivokationen, die mißverständlich sind, zu vermeiden, letztendlich um Sprachkritik (Rang 1973, 20).

Unter Vermeidung mißverständlicher Bezeichnungen definiert HUSSERL:
    "Die intentionalen Erlebnisse haben das Eigentümliche, sich auf vorgestellte Gegenstände in verschiedener Weise zu beziehen. Das tun sie eben im Sinne der Intention. Ein Gegenstand ist in ihnen gemeint, auf ihn ist abgezielt, und zwar in der Weise der Vorstellung, oder zugleich der Beurteilung usw. Darin liegt aber nichts anderes, als daß eben gewisse Erlebnisse präsent sind, welche einen Charakter der Intention haben und speziell der vorstellenden, urteilenden, begehrenden Intention usw. Es sind ... nicht zwei Sachen psychisch präsent, es ist nicht der Gegenstand erlebt und daneben der intentionale Akt, der sich auf ihn richtet; es sind auch nicht zwei Sachen in dem Sinne, wie Teil und umfassendes Ganzes, sondern nur eine Sache ist präsent, das intentionale Erlebnis, dessen wesentlicher deskriptiver Charakter eben die bezügliche Intention ist ... Ist dieses Erlebnis in seiner psychischen, konkreten Fülle präsent, so ist eo ipso die intentionale Beziehung auf einen Gegenstand vollzogen, eo ipso ist ein Gegenstand intentional gegenwärtig; denn das eine und andere besagt genau dasselbe." (Husserl 1975, 31f)
Dabei muß auch nach HUSSERL der Gegenstand keineswegs existieren, Fiktionen und Halluzinationen fallen ebenso in die Gruppe der intentionalen Erlebnisse, deren Wesen das Intendieren, das Erlebnis des Meinens ist. Die Bildung "intentionales Erlebnis" ist eine Neuschöpfung HUSSERLs in Anlehnung an BRENTANO (Brentano 1982, 28-31).

Neben den Erlebnissen oder Akten haben nach HUSSERL auch die sprachlichen Ausdrücke den Charakter der Intentionalität. "Worten mit einer Intention auf Gegenstände legt Husserl in der Tat intentionale Bedeutung bei." (Spiegelberg 1969, 210) Es war dieser Aspekt, der in der HUSSERL-Rezeption vor allem im englischen und nordamerikanischen Raum und im "Wiener Kreis" weitreichende Untersuchungen auslöste und geradezu schulbildend wirkte. Die analytische Sprachphilosophie ist ohne die Auseinandersetzung mit dem Problem der Intentionalität nicht mehr denkbar. (Diamond/Teichmann 1979, Ineichen 1982; Hintikka 1980; Searle 1980; Lohmann 1965; Carr 1975; Petrie 1971; Chisholm 1967a; Haller 1977; Haller 1978).

Gilt für psychische Akte allgemein, daß sie intentionshaltig sind, so führt HUSSERL für die Inhalte des Aktes eine Unterscheidung ein: "nämlich die Unterscheidung zwischen dem reellen oder phänomenologischen (deskriptiv-psychologischen) Inhalt eines Aktes und seinem intentionalen Inhalt". (Husserl 1975, 55)

Reeller oder phänomenologischer Inhalt der Akte sind die Erlebnisse, die ihn konstituieren, z. B. Laute, Empfindungsdaten. Intentionaler Inhalt dagegen impliziert einen Akt der Bedeutungsverleihung, also etwa den Sinn, den man dem Laut gibt, wenn man benennt; die Person, die man mit dem Namen nennt (Husserl 1975, 55f).
    "Dieser Terminologie liegt nun freilich eine Auffassung der Bewußtseinsstruktur zugrunde, die, soweit dabei die Existenz von Empfindungsdaten vorausgesetzt wird, nicht als ohne weiteres gesichert und verbindlich gelten kann. In dieser Lehre von den Empfindungsdaten steckt immer noch ein Rest der alten Spezieslehre, nach deim Bewußtsein selbst nur Korrelate der Gegenstände, nicht diese selbst vorkommen können." (Spiegelberg 1969, 211)
Die Philosophie und Psychologie der "Logischen Untersuchungen" wurde vor allem im Münchner "Psychologischen Verein" um LIPPS und PFÄNDER aufgenommen und diskutiert; die Hinwendung zu dem "Phänomenen" des Bewußtesins war dort ebenfalls Forschungsfeld (vgl. Van Breda, 1968, VIIf) ARNOLD ist dieser Tradition verpflichtet, wenn er schreibt:
    "Was ist die eigentliche Erkenntnisquelle? Die sinnliche Erfahrung ... oder aber ein intentionaler Akt, der vorwiegend vom Bewußtsein ausgeht? Sicher steht, daß die Existenz von Sinnesempfindungen durch das Bewußtsein verbürgt wird." Und: "Das Bewußtsein ... wendet sich über die Sinne den Körpern zu." (Arnold 1969, 99)
Die Konzeption der Intentionalität in den Logischen Untersuchungen wurde dargestellt, um die historische Kontinuität zu zeigen, die von Brentano zum "frühen" HUSSERL führt. "Die Intentionalität steht hier noch ganz im Zeichen der psychologischen Deskription. Sie ist eine wesentliche Bewandtnis psychischer Erlebnisse und wird als solche analysiert." (Anzenbacher 1972, 27f)

Die Fortentwicklung von Brentanos Position ist nur punktuell sichtbar.
    "Tatsächlich geht die Kritik an der LU nicht tief genug, und abgesehen davon, dass sie auf terminologische Unklarheiten und Unzulänglichkeiten aufmerksam macht, bringt sie keine tiefen und fundamentalen Unterschiede im Verständnis des Konzepts der Intentionalität hervor." (Mohanty 1972, 55)
2.2.2. Intentionalität nach der "transzendentalen Wende" Husserls
Husserl, angeregt von der Idee, eine "universale Wissenschaft" zu begründen, blieb bei den Analysen der LU nicht stehen. In der Vorlesung "Phänomenologische Psychologie" von 1925 räumt er ein:
    "In den LU war keineswegs schon die höchste Stufe prinzipieller Klarheit erreicht. Erst im Fortgang der Forschungen über die begrenzte Problemsphäre der LU hinaus, erst in der konsequenten Erweiterung derselben zu einer Problematik, die die Allheit möglicher Gegenstände überhaupt und die Allheit möglichen Bewußtseins überhaupt, oder möglicher Subjektivität überhaupt umspannte, konnten die letzten prinzipiellen Klärungen erwachsen. Was sich im dringenden und schon von der formalen Universalität der mathesis universalis erweckten Bedürfnis nach einer universellen Erweiterung von den LU aus darbieten mußte, war die Erweiterung ... der rein apriorischen Betrachtung des nur formale Allgemeinheiten berücksichtigenden erkennenden Bewußtseins auf das inhaltlich bestimmtere erkennende Bewußtsein, bezogen auf jede besondere Kategorie von Gegenständlichkeit überhaupt; und schließlich mußte von da aus eine apriorisch reine Bewußtseinslehre in voller Universalität erwachsen, die auch jederlei wertendes, strebendes, wollendes und so überhaupt Bewußtsein jedes Typus umspannte, also das ganze konkrete subjektive Leben in allen Gestalten seiner Intentionalität erfaßte und die Totalitätsprobleme der Konstitution der Welt und der Einheit der Bewußtseinssubjektivität, der einzelpersonalen und vergemeinschafteten, eröffnete." (Husserl E.: Phänomenologische Psychologie (Husserliana IX), Den Haag 1968, 42f)
Soweit HUSSERLs Anspruch. Im Folgenden sollen die wichtigsten Bestimmungsstücke seiner neuen Sicht von Intentionalität herausgearbeitet werden.

HUSSERLs Methode ist nun nicht mehr die in Klassifikationen sich erschöpfenden Deskription, wie er BRENTANOs Vorgehen nennt (Husserl 1968, 36), sondern die Wesensschau. Dazu gebraucht HUSSERL die phänomenologische Reduktion. Ausgangspunkt ist die natürliche, vortheoretische Erfahrung, in der in naiver Ursprünglichkeit die Welt sich zeigt.
    "Wäre die Welt nicht ursprünglich durch Erfahrung vorgegeben, so könnte keine der Weltwissenschaften anfangen, sie hätte kein Substrakt für ihre Denktätigkeiten." (Husserl 1968, 56)
HUSSERL postuliert von daher "eine a priori notwendige" Struktur der Erfahrungswelt (Husserl 1968, 57). Dabei beinhaltet der Terminus "a priori" in der phänomenologischen Psychologie HUSSERLs keine metaphysische Akzentuierung, er hat den Sinn des "Von-vornherein" (Drüe, 1963, 62f).
    "Die Vorgegebenheit der Welt besagt für die Ichsubjekte, daß sie als Menschensubjekte immerfort auf die Welt gerichtet sind. Das menschliche Leben hat die Form des in die Welt Hineinlebens und hatte sie nicht nur, sondern hat sie habituell, schon im Voraus." (Husserl 1968, 427)
Die Wesensschau, das Zutagetreten des "eidos", der Idee, stellt sich ein durch eine Variation der naiven Erfahrung, beispielsweise mit Wahrnehmungsgegenständen (ein Tisch von verschiedenen Seiten, bei unterschiedlichen Beleuchtungsverhältnissen usw.). Durch alle Variationen hindurch erscheint das Invariante, das "Wesen" des Tisches. (Zur Methode der phänomenologischen Reduktion vgl. Husserl 1968, 442) Die Welt ist also erfaßbar, erschaubar.

Die Fähigkeit dazu hat der Mensch durch die Eigenart des Psychischen: die Intentionalität.
    "Die intentionale Offenheit des Bewußtseins zur Welt hin darf heute als Gemeingut jeder phänomenologisch ausgerichteten Psychologie gelten. Diese Erkenntnis durchbricht die künstlich aufgerichtete Subjekt-Objekt-Schranke, überwindet das Dogma von der Binnenhaftigkeit (Weltabgeschlossenheit) des Seelischen, löst sich vom physikalischen Wirklichkeitsbegriff in der Psychologie, der Brentanos Lehre noch beherrschte, und bekennt sich zur unmittelbar erlebten anschaulichen Wirklichkeit." (Pongratz 1967, 127)
Wie für BRENTANO ist für HUSSERL Intentionalität" der allgemeinste, aus der Evidenz der inneren Erfahrung direkt zu schöpfende Wesenscharakter des psychischen Lebens". (Husserl 1968, 31)

Bewußtsein als "Bewußtsein von" ist HUSSERL Indiz für die Weltverwiesenheit des Psychischen (Mensch und Tier); er charakterisiert Intentionalität als ein Leisten, als zielgerichtet (Husserl 1968, 36).

In innerer Erfahrung, der "reinen Subjektivität", konstituiert sich Welt eidetisch-intuitiv.
    "Die verkehrten Versuche der Psychologen, vom Psychischen selbst deskriptive Begriffe zu bilden, beruhen doch darauf, daß sie nicht fähig sind, die Intentionalität in ihrer Eigenart zu sehen und ihr gemäß zu behandeln. Der Bewußtseinszusammenhang ist ein intentionaler Zusammenhang, Einheit des Bewußtseins die Voraussetzung aller induktiven Apperzeptionen in logischen Induktionen und muß vor dieser in seiner Einheit und Einheit schaffenden Gesetzlichkeit, der inneren, studiert werden." (Husserl 1968, 218)
Von da her sieht er die Psychologie, in ihrer eidetischen Stufe als reine Wissenschaft vom Allgemeinen des psychischen Lebens, als Wissenschaft von den psychischen Intentionalitäten. Intentionale Vollzüge, Intentionalitäten, sind Manifestationen des subjektiven Lebens (Drüe 1963, 131).

"Psychisches Leben ist Bewußtseinsleben" (Husserl 1968, 47), und Bewußtsein ist nicht nur ein leeres Bewußthaben,
    "sondern ein in mannigfaltigen nachweisbaren Formen und zugehörigen Synthesen sich vollziehendes Leisten, überall intentional, zielgerichtet, gerichtet auf Ideen der Wahrheit. Ich kann auch sagen, erst so wurde eine transzendentale Bewußtseinslehre möglich." (Husserl 1968, 36)
Über BRENTANOs deskriptiv-klassifikatorischen Ansatz hinaus wirft HUSSERL die Frage auf nach der Art und der Funktion intentionaler Vollzüge des Bewußtseins: "wie es überhaupt und speziell strukturiert sein muß, damit ihm derartiges passieren kann, daß es z. B. Gegenstände erfassen kann." (Drüe 1963, 131)

Unter der Voraussetzung der Ausgerichtetheit auf die Welt bilden intentionale Vollzüge den Ablauf und den Zusammenhang des psychischen Lebens. Intentionalität
    "ist weltlebender Bewußtseinsstrom, in dem die jeweiligen Einzelwesen subjektiver Leistungen die singulären Pole der einzelnen Intentionalitäten synthetisch zu Sinneinheiten vereinheitlichen ... durch teleologische Zentrierung." (Drüe 1963, 132)
Der Ort dieser Leistungen heißt Ich, Personalität. (Zum Vorwurf des subjektiven Idealismus in diesem Zusammenhang vgl. Pongratz 1967, 128; Ingarden 1975, 34f)

HUSSERL hat mit dieser Charakterisierung der Intentionalität als Einheit-des-Bewußtseins-Leistende, als teleologische Zentrierung in der Bedeutung von Persönlichkeitsbildung, als Sinnaktivierung, nachfolgende Forschungen in den psychologischen Grunddisziplinen "Allgemeine Psychologie", "Persönlichkeitspsychologie" und "Tiefenpsychologie" bis heute unbeeinflußt. Näheres dazu wird in den folgenden Kapiteln ausgeführt.

Die Genese des Bewußtseins bzw. der Intentionalität, also die Entwicklung der Funktionen intentionaler Vollzüge wird von HUSSERL ebenfalls aufgeklärt. HUSSERL sieht
    "Innerhalb der vorgegebenen Welt die Menschen (Tiere) als Ichsubjekte und als auf diese Welt gerichtet - von ihr affiziert, auf sie dann eventuell sich hinwendend, auf sie hintendierend in verschiedenen Modis der Intentionalität." (Husserl 1968, 427)
Ausgangspunkt ist also ein Affiziertwerden, ein passives Geschehen. Als Beispiel kann die Erfahrung des Kleinkindes dienen, genährt, gesäubert, geliebt zu werden (passives Erleben) und die daraufhin vom Kind geleistete Sinnstiftung "Mutter" für die Person, die alle diese, für das Überleben des Kindes notwendigen Tätigkeiten ausführt.
    "Das konkret Seelische des Individuums baut sich also passiv auf als zwar unbeabsichtigtes (denn die Absicht jeder Bewußtseinsleistung geht, wenn sie keine reflexive Richtung hat, auf die Erzeugung oder Aktivierung von Polen draußen in der Welt), aber unumgängliches Erzeugnis auf der Seite des leistenden Pols des Bewußtseins." (Drüe 1963, 133)
Den Anfang bilden "gefühlsmäßig gestimmte Anmutungserlebnisse", sie sind bereits intentionale Arbeitsprozesse, auf die "das affizierbereite Ich sich eingelassen hat." (Drüe 1963, 141; vgl. auch Pongratz 1967, 128)

Bei HUSSERL ist diese genetische Betrachtung als Hierarchie gedacht innerhalb eines "Stufenbau des Seelischen": das Seelische der unteren Stufen bezeichnet seelische Passivität, das der höheren das spezifisch Geistige, ich-zentrierte Akte.
    "Was das psychische Leben der unteren passiven Stufen anlangt, so ist es überall die Voraussetzung der Personalität. Schon die bloße Rezeptivität, nämlich jedes wieder vom Ich-Zentrum ausgehende ich gewahre, ich erfasse, ich betrachte setzt voraus, daß das zu Erfassende vordem schon unerfaß im Bewußtseinsfeld des erfassenden Ich lag und auf dieses Ich eine Affektion übt, einen Reiz, sich dem aufmerksam zuzuwenden. So liegt, wie wir sehen, vor dem gewahrenden Erfahren schon ein ungewahrendes, mit zugehörigen Synthesen der Einstimmigkeit und eventuell Unstimmigkeit vor jeder Ich-Beteiligung. Ebenso ein passives Fühlen im Gegensatz zu jedem vom Ich-Zentrum ausstrahlenden Wohlgefallen oder Mißfallen ..." (Husserl 1968, 131).
Der intentionale Charakter ist auch hier gegeben, er schlägt sich nider in der sprachlichen Formulierung des "angemutet sein von", "angezogen sein von", "fühlen von".

PONGRATZ sieht in diesen Formulierungen eine Analogie zur Feldtheorie des Bewußtseins (Pongratz 1967, 129; vgl. auch Gurwitsch 1974). Zu HUSSERLs Bild des Stufenbaus bzw. der Schichten des Seelischen vgl. Kap. 5 (Persönlichkeitspsychologie); nähere Einlassungen zum Entwicklungsaspekt folgen in Kapitel 4 (Entwicklungspsychologie).

2.2.3. Würdigung
HUSSERLs Beschäftigung mit der Intentionalitätsproblematik führte, von der Wiedereinführung des Begrifs durch BRENTANO ausgehend, zur Analyse der intentionalen Erlebnisse, der intentionalen Akte (auch als sprachliche Ausdrücke) und der intentionalen Gegenstände. Diese Ausweitung ist nicht unproblematisch:
    "So führte diese Terminologie Husserls zu einer Vermengung der Intention als Abzielung und der Intention als Gegenstandskonstituierung, eine Vermengung, die sich gerade bei Husserl verhängnisvoll ausgewirkt hat, der die Intentionalität des Gegenstandes immer mehr im Sinne einer Konstituiertheit durch leistend-produktive Intentionen auslegte." (Spiegelberg 1969, 212)
In diesem Zusammenhang ist HUSSERL der Vorwurf des subjektiven Idealismus gemacht worden, doch geht ja der Konstituierung von Welt das "Angemutetsein" voraus, wie bereits beschrieben.

Mit der Beschreibung der Ontogenese der Intentionalität baut HUSSERL seine Analyse der Intentionalität weiter aus. Mit "aktiver" und "passiver" Intentionalität (bewußtes Abzielen vs. betroffenes Erleben) nimmt HUSSERL ebenfalls eine Ausweitung des Begriffs vor, die nicht unproblematisch ist. Der Bewußtseinsbegriff wird hier implizit mit ausgeweitet, "Vorbewußtes" und "Unbewußtes" als verschiedene Klarheitsgrade, als "Hof" oder "Horizont" um das reflexive Bewußtsein vom "späten" HUSSERL durchaus zugelassen.

Noch eine andere, im Licht seiner Zeit gesehene "Grenzüberschreitung" nimmt HUSSERL vor: folgt er zunächst noch in den "Logischen Untersuchungen" der Trennung BRENTANOs in physische und psychische Phänomene, so kommt er später, infolge seiner Konstruktion der "passiven Intentionalität" zu Kennzeichnungen des Seelischen (Psychischen, Intentionalen) als "sinnliches Empfinden, Wahrnehmen und sonstiges Erfahren, Denktätigkeiten vollziehen, ... Lust und Schmerz passiv fühlen oder auch aktiv an etwas Gefallen oder Mißfallen haben". (Husserl 1968, 104) Der Empfindungsbegriff ist hier überraschend. In der Beurteilung ist ASEMISSEN zuzustimmen:
    "Die Empfindungsdefinition Husserls spiegelt den Umstand wider, daß er die Empfindungen als Empfindungen gar nicht untersucht hat. Er benützt einen unüberprüften Empfindungsbegriff, um mit seiner Hilfe die Eigenart intentionaler Erlebnisse ... verständlich zu machen." (Asemissen 1957, 24f)
HUSSERLs Interesse ist eben nicht die naturwissenschaftliche, auf kausale Gesetzmäßigkeit ausgerichtete Erforschung des Seelischen, sondern eine "universale und radikal wissenschaftliche Welterkenntnis", er sucht eine "radikale Begründung der transzendentalen Weltauffassung". (Husserl 1968, 516) In dieser Tradition kann dann auch MERLEAU-PONTY sagen: "Das Empfinden ist das intentionale Geflecht, das zu entflechten Sache aller Erkenntnis bleibt." (Merleau-Ponty 1966, 76)

HUSSERLs Ausweitung des Begriffs des Psychischen oder Seelischen auf alles Belebte beinhaltet auch eine Auseinandersetzung mit der physischen Leiblichkeit.
    "Hierbei wird also der Leib und jeder spezifisch leibliche Vorgang, jedes spezifische Leibesglied und zwar in seiner Doppelseitigkeit, zugleich in seiner physischen Äußerlichkeit und seiner beseelenden Innerlichkeit gesehen ... Erfahrung von Leiblichkeit als Leiblichkeit ist also schon seelische oder vielmehr zweiseitig psychophysische Erfahrung." (Husserl, 1968, 131)
Im Anschluß an HUSSERL formuliert auch RICOEUR
    "Im reflexiven Erleben kommt der Leib zu sich selbst, entdeckt sich als Ursprung, ... als Ich. Er entdeckt dann gleichfalls, daß seine Ursprünglichkeit und Spontaneität bereits vorgegeben sind und nicht erst durch die Reflexion entstehen. Der Leib hatte schon ... ein vorreflexives Bewußtsein, ... eine implizite Intentionalität". (Linschoten 1961, 235; vgl. Pongratz 1967, 129)
MERLEAU-PONTY bezeichnet "die Motorik unzweideutig als eine ursprüngliche Intentionalität". (Merleau-Ponty 1966, 166)

Dieser ausgeweitete Bewußtseinsbegriff (inkl. Intentionalität) HUSSERLs muß dann selbstverständlich auch für Tiere, zumindest "die höheren" gelten. (Husserl 1968, 130)

2.3. Die existentialistische Sichtweise
Wie im letzten Kapitel schon angedeutet, zeigte HUSSERLs Philosophie Auswirkungen auf - historisch - nachfolgende philosophische Strömungen. So problematisch es sein mag, HEIDEGGER, SARTRE, MERLEAU-PONTY, JASPERS unter dem gemeinsamen Nenner "Existenzialismus" zu versammeln, so ist doch die Ausrichtung der Problemstellungen auf das Leben des Individuums ("Existenz" im Sinne KIERKEGAARDs) auf Freiheit, Verantwortung, Entscheidung (auch auf Angst und Tod) eine gemeinsame. Dem Begriff der Intentionalität kommt in diesem Zusammenhang, vor allem bei Ansätzen zu einer Theorie der Subjektivität und zur Ontologie, große Bedeutung zu.

2.3.1. M. Heidegger
HUSSERLs Schüler und Nachfolger auf dem Freiburger Lehrstuhl, MARTIN HEIDEGGER, stand zunächst in der phänomenologischen Tradition; er benutzte ihre Methode (mit Ausnahme der phänomenologischen Reduktion) und bemühte sich, sie weiterzuführen. Die Existenzanalyse, wie HEIDEGGER sie vornahm, mißfiel HUSSERL, er hielt sie für einen Rückfall in die Todsünden des Anthropomorphismus und Psychologismus. HEIDEGGER vermied fürderhin den Ausdruck Phänomenologie (Spiegelberg 1981, 53). Inwieweit HEIDEGGERs Konzeption des "Daseins" (in "Sein und Zeit", 1927) HUSSERLs Konzeption der "Lebenswelt" (in "Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie" aus dem Jahr 1936) beeinflußte, ist hier nicht zu untersuchen (vgl. Ströker 1979).

Wohl läßt sich aber HEIDEGGERs In-der-Welt-sein als angeregt von HUSSERLs Intentionalitätsbeschreibungen erklären, z. B.:
    "Das menschliche Leben hat die Form des in die Welt Hineinlebens, ... dieses ganze Leben in der Natürlichkeit geht auf Weltliches". (Husserl 1968, 427)
HEIDEGGERs Grundfrage ist die nach dem Sinn des Seins und zwar als konkretes Dasein. In diesem Begriff ist die ursprüngliche Bezogenheit der Menschen auf die Welt ausgedrückt, der Weltbezug, das In-der-Welt-sein ist das bestimmende Strukturmoment des Daseins; Dasein ist Offenheit für die Welt. Dieser ursprüngliche Weltbezug, den ja auch HUSSERL schon thematisiert hatte, ist nun bei HEIDEGGER nicht mehr nur eine praktische Vorstufe für ein eigentliches, theoretisches Weltverständnis, für Erkenntnis, sondern ein gleichberechtigter, ursprünglicher Seinsbezug, der Seinsverständnis eröffnet.

Intentionalität zeigt sich also einmal in der "Offenheit" für die Welt (de Waelhens 1959, 133), sodann in der "Sorge" (vgl. de Waelhens 1959, 136; Mohanty 1972, 129. "Sorge" ist der ursprüngliche Weltbezug, nicht der Erkenntnisbezug (vgl. Lüthe 1983, 280f). "Sorge" zeigt sich in den drei zeitlichen Modi von Geworfenheit, Entwurf und Rede. Diese Problemstellung erinnert an HUSSERLs Ausführungen zu "Retention", "Protention" und "Gegenwärtigung" in ihrer Bedeutung für das praktische Leben (Husserl 1968, 200f).

Die drei von HEIDEGGER herausgearbeiteten Existentialien Befindlichkeit (die emotionale Erschlossenheit der Welt für das Dasein mit dem ontischen Korrelat der Stimmung), Verstehen (intellektuelle Erschließung der Welt) und Rede (Gegenwartsbezug des Daseins) haben einen Vorentwurf in HUSSERLs hyletischer Komponente der Intentionalität, der sogenannten passiven Intentionalität, der Intentionalität als leistender (noetisch) und dem noema (vgl. Mohanty 1972, 130). Der zeitliche Charakter der Intentionalität ist in beiden Konzeptionen sichtbar, HEIDEGGER betont, "daß ... die Intentionalität des Bewußtseins in der ekstatischen Zeitlichkeit des Daseins gründet". (Heidegger 1979, 363) Daß HEIDEGGER "Bewußtsein" in Anführungszeichen setzt liegt an seiner Ablehnung dieses Begriffs zugunsten des "Seins". Nach der "Kehre" in HEIDEGGERs Denken ist die Bedingung der Möglichkeit von Intentionalität im "Weltentwurf" des Seins enthalten (Mohanty 1972, 132), seine phänomenologische Ontologie sucht ihre Begründung nun in einer "richtig" verstandenen Metaphysik.

2.3.2. J. P. Sartre
"Une idée fondamentale de la phénoménologie des Husserl: l'intentionalité" schrieb SARTRE 1939 (Sartre 1947). Anders als HEIDEGGER, der den Bewußtseinsbegriff ablehnt zugunsten des Seinsbegriffs und die Intentionalität im "Dasein" sieht, rekurriert SARTREs Intentionalitätsverständnis auf Bewußtsein oder, wie er sagt, auf das "Für sich". In seinen philosophischen Schriften geht er darauf ein. In der "Transzendenz des Ego" setzt SARTRE sich mit HUSSERLs Phänomenologie, die er (Sartre) als "Tatsachenwissenschaft" (Sartre 1964, 8) begreift, auseinander.
    "Das Problem der Beziehung zwischen Ich und Bewußtsein ist also ein Existenzproblem. Husserl hat das transzendentale Bewußtsein Kants wiederentdeckt ... Dieses Bewußtsein ist nun aber nicht mehr ein Inbegriff logischer Bedingungen, es ist ein absolutes Faktum. Es ist auch keine Hypostase der Geltung, kein zwischen dem Reellen und dem Idealen schwebendes Unbewußtes. Es ist ein wirkliches Bewußtsein, das jedem von uns zugänglich ist, sobald er nur die Reduktion vollzieht. Gleichwohl konstituiert dieses Bewußtsein unser empirisches in der Welt seiendes Bewußtsein mit seinem psychischen und psychophysischen Ich." (Sartre 1964, 9)
Insoweit folgt SARTRE HUSSERL, er betont auch seine Überzeugung von der Existenz eines konstitutiven Bewußtseins, doch weiter geht er nicht; vielmehr fragt er:
    "Genügt denn das psychische und psychophysische ICH nicht? Muß man es wirklich verdoppeln durch ein transzendentales Ich als Struktur des absoluten Bewußtseins?" (Sartre 1964, 9)
SARTRE hält diesen Schritt für überflüssig und begründet seine Auffassung wie folgt:
    "Das Bewußtsein definiert sich nämlich durch Intentionalität. Vermöge der Intentionalität transzendiert es sich selbst, einigt es sich, indem es vor sich flieht. Die Einheit all der tausend aktiven Bewußtseinsakte, in denen ich zwei und zwei addiert habe, addiere und addieren werde, um vier zu erhalten, ist der transzendente Gegenstand zwei und zwei ist vier. Ohne die Dauer dieser ewigen Wahrheit wäre es unmöglich, eine reelle Einheit zu begreifen, und gäbe es ebensoviel unzurückführbare Operationen wie Bewußtseinsvollzüge." (Sartre 1964, 10)
Die Einheit gibt sich das Bewußtsein selbst, in Bezug auf die Zeit
    "in einem Spiel transversaler Intentionalitäten, d. h. konkreter und reeller Retentionen vergangener Erlebnisse. So bezieht sich das Bewußtsein immerfort auf sich selbst." (Sartre 1964, 10)
SARTRE charakterisiert dieses "Bewußtsein ersten Grades oder unreflektiertes Bewußtsein" als
    "klar und vollkommen durchsichtig: ihm steht der Gegenstand in seiner charakteristischen Undurchschaubarkeit gegenüber, das Bewußtsein selbst ist schlicht und einfach ein Bewußtsein des Bewußtseins des Gegenstandes: dies ist die Gesetzlichkeit seiner Seinsweise. Man muß hinzusetzen, daß dieses Bewußtsein des Bewußtseins - außer in Fällen der Reflexion ... - nicht positional ist, d. h. das Bewußtsein ist nicht sein eigener Gegenstand. Sein Gegenstand liegt prinzipiell außerhalb seiner, und deswegen setzt und erfaßt das Bewußtsein ihn in ein und demselben Akt." (Sartre 1964, 11)
Selbstbewußtsein ist insofern nicht positional, als kein außerhalb des Bewußtseins liegender Gegenstand erfaßt wird. Dies ist eine Beschreibung seiner Existenzweise, nicht seiner Funktion. Demgegenüber erscheint das Ich nur "gelegentlich eines Reflexionsaktes" (Sartre 1964, 16), der "transzendente Gegenstand des Reflexionsaktes ist das Ich." (Sartre 1964, 17)

In "Das Sein und das Nichts" knüpft SARTRE an diese Gedankengänge an. Bewußtsein wird beschrieben als "das erkennende Sein, insofern es ist, und nicht, insofern es erkannt ist". (Sartre 1962, 16) Jedes Bewußtsein ist Bewußtsein von etwas, es ist die Setzung eines transzendenten Objekts, es gibt keine Inhalte im Bewußtsein. Grundgegebenheit ist der Weltbezug (vgl. HEIDEGGER), der nicht unbedingt Erkenntnis zum Ziel hat. SARTRE erteilt dem Primat der Erkenntnis eine Absage zugunsten der Entdeckung des Seins des Erkennenden. In dieser Folge ist seine Bewußtseinsbeschreibung entstanden:
    "Das Bewußtsein hat nichts Substantielles an sich, es ist eine reine Erscheinung in dem Sinne, daß es nur in dem Maße existiert, in dem es sich erscheint. Aber gerade weil es reine Erscheinung ist, weil es ganz Leere ist (da die ganze Welt außerhalb seiner liegt), wegen dieser in ihm steckenden Identität von Erscheinung und Existenz, kann es als das Absolute betrachtet werden." (Sartre 1962, 23)
In seiner Analyse des Seins als Bewußtsein kommt SARTRE zu dem Schluß, daß HUSSERL die wesentliche Eigenart der Intentionalität verkannt hat; die "fungierende Intentionalität" wird von SARTRE abgelehnt; Bewußtsein als präreflexives Sein kann nich das Sein der Objekte konstituieren, vielmehr ist "das Bewußtsein aufgrund seiner eigentlichsten Beschaffenheit Beziehung ... zu einem transzendenten Sein." (Sartre 1962, 27)

Auch HUSSERL hatte die Transzendenz des Bewußtseins beschrieben, das ist für SARTRE HUSSERLs "wesentlicher Entdeckung. Aber von dem Augenblick an, wo er aus dem Noema etwas Irreales, zur Noesis Korrelatives macht, dessen esse ein percipi ist, wird er seinem Prinzip vollkommen untreu." (Sartre 1962, 28). Für ihn (Sartre) gilt als ontologischer Beweis, "daß die Transzendenz eine konstitutive Struktur des Bewußtseins ist; das heißt, das Bewußtsein erwächst ruhend auf einem Sein, das nicht es (das Bewußtsein) ist." (Sartre 1962, 28) Das Bewußtsein enthält ein nichtbewußtes und transphänomenales Sein, hier folgt SARTRE HEIDEGGER und geht noch über ihn hinaus, indem er formuliert:
    "das Bewußtsein ist ein Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht, insofern dieses Sein ein Sein in sich einbezieht, das ein anderes als es selbst ist." (Sartre 1962, 29)
In der Folge konstituiert SARTRE zwei Seins-Typen, das Ansich und das Für-sich. Während An-sich-Sein den Phänomenen, der Welt zukommt, ist das Für-Sich die Seinsweise des Bewußtseins. In der Transzendenz des Für-Sich zeigt sich sein Wesen: das Nichts. Dies gilt als revolutionärste These SARTREs: Bewußtsein ist Nichts. (vgl. Mohanty 1972, 135)

2.3.3. M. Merlau-Ponty
Auch MERLEAU-PONTY greift den Begriff der Intentionalität auf. In phänomenologischer Tradition glaubt er, ihn nur aufgrund der Reduktion verstehen zu können. Er weist auf KANT hin, der die Gegenstandsbezogenheit der inneren Wahrnehmung bereits thematisiert hatte und hebt die Intentionalität davon ab als
    "der Gedanke der Einheit der Welt als je schon, vor aller Setzung durch die Erkenntnis und Akte ausdrücklicher Identifizierung, erlebter, als je schon vollbracht oder je schon da." (Merleau-Ponty 1966, 14)
Intentionalität ist, mit HUSSERL,
    "Bewußtsein selbst als Entwurf der Welt, als zugeeignet einer Welt, die es nie zu umfassen und nie zu besitzen vermag, doch auf die es sich unabläßlich richtet." (Merleau-Ponty 1966, 15)
Mit Hilfe dieses Intentionalitätsbegriffs verdeutlicht MERLEAU-PONTY auch den Methodenwechsel, der die Phänomenologie auszeichnet: von der "Einsicht" zum "Verstehen". Er beschreibt:
    "Wahrgenommene Dinge, Ereignisse in der Geschichte oder philosophische Lehren verstehen heißt die Totalintention erfassen: nicht allein das, was etwas in der Vorstellung ist, die Eigenschaften der wahrgenommenen Dinge, die Masse historischer Fakten, die Ideen der philosophischen Lehren, sondern die einzigartige Weise des Seins, die je sich ausdrückt in den Beschaffenheiten des Kiesels, des Glases oder des Wachsstücks, in all den Tatsachen einer Revolutioin, in allen Gedanken des Philosophen." (Merleau-Ponty 1966, 15)
Im weiteren geht es um die "Sinngenesis" und letztendlich gilt: "Zur Welt seiend, sind wir verurteilt zum Sinn" (Merleau-Ponty 1966, 16).

MERLEAU-PONTY wendet sich gegen SARTREs Unterscheidung des An-sich (das Objektive, physische) und des Für-Sich (nur dem zweiten, dem Bewußtsein, wurde Intentionalität zugeschrieben), indem er den Leib, die Motorik, als Träger der Intentionalität ansetzt; "die Unterscheidung zwischen dem Leib als Mechanismus-ansich und dem Bewußtsein als Sein-für-sich" (Merleau-Ponty 1966, 168) gilt es zu überwinden. Er spricht von der "Intentionalität des Leibes" (ebd. 165-169) sieht darin den Gegensatz von Welt und Bewußtsein aufgehoben. Er bezieht sich dabei ausdrücklich auf HUSSERL und dessen Intentionalitätsbegriff. HUSSERLs Bedeutung liegt seiner Meinung nach
    "in einer Entfaltung dieses Begriffs und in der Entdeckung einer der Intentionalität der Vorstellungen zugrunde liegenden tieferen Intentionalität, der andere den Namen der Existenz gegeben haben." (ebd. 149)
Sehen und Bewegung sind Weisen unseres Gegenstandsbezugs (oder Weltbezugs), in denen sich die Bewegung der Existenz ausdrückt (ebd. 166), und Existenz ist für MERLEAU-PONTY Intentionalität.

2.3.4. Resumee
Trotz der Unterschiede in den verschiedenen "Philosophien" existentialistischer Richtung lassen sich bezüglich des Intentionalitätsbegriffs Gemeinsamkeiten aufweisen:
    1. eine Ausweitung des Begriffs, ausgehend von Husserl, nicht nur auf Akte des reflexiven Bewußtseins, sondern auf Verhalten überhaupt. Heideggers In-der-Welt-sein, Sartres Gleichsetzung mit Transzendenz, Merleau-Pontys Äquivokation mit Existenz beziehen alle Weisen des sich zur Welt Verhaltens und in der Welt Existierens in den Begriff mit ein. Intentionalität wird damit Bedingung der Möglichkeit zu sein und enthüllt gleichzeitig des Sinn des Seins.

    2. Träger der Intentionalität ist nur bei Sartre ein reflektierendes Ich, bei den anderen erwähnten Autoren ist es ein Sein, das kein reflexives Bewußtsein sein muß. Sinn der Intentionalität ist die Kommunikation mit der Welt. Passives Angemutetwerden und aktives Konstituieren sind die Mittel der Kommunikation.

LITERATUR Elisabeth Baumgartner, Intentionalität, Würzburg 1985