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FRANZ BRENTANO
Von der Klassifikation
der psychischen Phänomene

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"Kant stellt das Wohlgefallen des Willens, als Wohlgefallen am Sein, dem Wohlgefallen des Gefühls als dem uninteressierten Wohlfgefallen, welches durch die bloße Vorstellung befriedigt ist, gegenüber."

"Für Kant gibt es eine Lust, welche mit gar keinem Begehren des Gegenstandes, sondern mit der bloßen Vorstellung, die man sich von einem Gegenstand macht, schon verknüpft ist."


Viertes Kapitel
Einheit der Grundklasse
für Gefühl und Willen

§ 1. Nachdem Vorstellung und Urteil als verschiedene Grundklassen psychischer Phänomene festgestellt sind, haben wir uns noch in Bezug auf unsere zweite Abweichung von der herrschenden Klassifikation zu rechtfertigen. Wie wir Vorstellung und Urteil trennen, so vereinigen wir Gefühl und Willen.

Hier sind wir nicht so sehr wie im früheren Punkt Neuerer; denn von ARISTOTELES bis herab auf TETENS, MENDELSSOHN und KANT hat man allgemein bloß eine Grundklasse für Fühlen und Streben angenommen; und unter den psychologischen Autoritäten der Gegenwart sahen wir HERBERT SPENCER nur zwei Seiten des Seelenlebens, eine kognitive und eine affektive, unterscheiden. Doch dies soll uns bei der Wichtigkeit der Frage nicht abhalten, mit der gleichen Sorgfalt und unter Benutzung der sämtlichen uns zu Gebote stehenden Hilfsmittel unsere Lehre zu begründen und zu sichern.

Wir halten hier denselben Gang wie bei der Untersuchung über das Verhältnis von Vorstellung und Urteil ein; wir berufen uns daher vor allem auf das Zeugnis unmittelbarer Erfahrung. Die innere Wahrnehmung, sagen wir, zeigt hier deutlich den Mangel, wie dort das Vorhandensein eines fundamentalen Unterschieds; und hier eine wesentliche Übereinstimmung, wie dort eine völlige Verschiedenheit in der Weise der Beziehung zum Objekt.

Wenn wirklich der rückständige Teil der psychischen Phänomene, von welchen wir jetzt handeln, einen ähnlich tiefgreifenden Unterschied wie das vorstellende und urteilende Denken zeigen würdde; wenn wirklich auch zwischen Fühlen und Streben von der Natur selbst eine scharfe Grenzlinie vorgezeichnet wäre: so könnten sich vielleicht in die Bestimmung der eigentümlichen Natur der einen oder anderen Klasse Irrtümer einmischen; aber die Abgrenzung der Gattungen, die Angabe, welche Erscheinungen der einen und welche der anderen Gattung angehören, würde sicher ein Leichtes sein. So wird man ohne Zögern sagen, daß "Mensch" eine bloße Vorstellung, "es gibt Menschen" ein Fürwahrhalten ausdrückt, auch wenn man über die Natur des Urteils völlig im Unklaren ist; und Ähnliches gilt für das ganze Gebiet der einen und anderen Gattung des Denkens. Aber bei der Frage, was ein Gefühl und was ein Begehren, Wollen oder Streben sein soll, verhält es sich ganz anders; und ich zumindest weiß in Wahrheit nicht, wo die Grenze zwischen beiden Klassen eigentlich liegen sollte. Zwischen den Gefühlen der Lust und Unlust und dem, was man gewöhnlich Wollen oder Streben nennt, stehen andere Erscheinungen in der Mitte; und zwischen den Extremen mag der Abstand groß erscheinen. Wenn man aber die mittleren Zustände mit in Betracht zieht; wenn man immer nur das nächststehende mit dem nächststehenden Phänomen vergleicht: so zeigt sich auf dem gesamten Gebiet nirgends eine Kluft, sondern ganz allmählich finden die Übergänge statt.

Betrachten wir als Beispiel die folgende Reihe: Traurigkeit - Sehnsucht nach dem vermißten Gut - Hoffung, daß es uns zuteil wird - Verlangen, es uns zu verschaffen - Mut, den Versuch zu unternehmen - Willensentschluß zur Tat. Das eine Extrem ist ein Gefühl, das andere ein Willen; und sie scheinen weit voneinander abzustehen. Wenn man aber auf die Zwischenglieder achtet und immer nur die nächststehenden miteinander vergleicht, zeigt sich da nicht überall der innigste Anschluß und ein fast unmerklicher Übergang? - Wenn wir sie klassifizierend in Gefühle und Strebungen scheiden wollen, zu welcher von beiden Grundklassen sollen wir die einzelnen rechnen? - Wir sagen: "ich fühle Sehnsucht", "ich fühle Hoffnung", "ich fühle ein Verlangen, mir etwas zu verschaffen", "ich fühle Mut, etwas zu versuchen"; - nur, daß er einen Willensentschluß fühlt, wird wohl keiner sagen: ist darum vielleicht hier die Grenzmarke und gehören alle Mittelglieder noch der Grundklasse der Gefühle an? Wenn wir uns durch den Sprachgebrauch des Volkes bestimmen lassen, werden wir allerdings so urteilen; und in der Tat verhalten sich zumindest die Traurigkeit über die Entbehrung und die Sehnsucht nach dem Besitz etwa so, wie sich die Leugnung eines Gegenstandes und die Anerkennung seines Nichtseins zueinander verhalten. Aber liegt nicht dem ungeachtet schon in der Sehnsucht ein Keim des Strebens? und sprießt dieser nicht auf in der Hoffnung, und entfaltet sich, bei dem Gedanken an ein etwaiges eigenes Zutun, in einem Wunsch zu handeln und in einem Mut dazu; bis schließlich das Verlangen danach zugleich die Scheu vor jedem Opfer und den Wunsch jeder längeren Erwägung überwiegt und so zum Willensentschluß gereift ist? - Sicher, wenn wir diese Reihe von Phänomenen nun doch einmal in eine Mehrheit von Grundklassen zerteilen wollen, so dürfen wir die mittleren Glieder ebensowenig mit dem ersten Glied dem ersten unter dem Namen Gefühl, als mit dem letzten Glied dem ersten unter dem Namen Willen oder Strebung entgegensetzen: vielmehr wird nichts übrig bleiben, als jedes Phänomen für sich als eine besondere Klasse zu betrachten. Dann aber, glaube ich, ist es für jeden unverkennbar, daß die Unterschiede der Klassen hier keine so tief einschneidenden Differenzen wie die zwischen Vorstellung und Urteil oder zwischen ihnen und allen übrigen psychischen Phänomenen sind; und so nötigt uns der Charakter unserer inneren Erscheinungen, die Einheit derselben natürlichen Grundklasse über das ganze Reich des Fühlens und Strebens auszudehnen. (1)

§ 2. Wenn die Grundklasse für die Phänomene des Gefühls und Willens dieselbe ist, so muß, nach dem von uns angenommenen Prinzip der Einteilung, die Weise der Beziehung des eines und anderen Bewußtseins eine wesentlich andere sein. Was aber sollen wir als den gemeinsamen Charakter ihrer Richtung auf die Gegenstände angeben? auch hierauf muß, wenn unsere Ansicht richtig ist, die innere Erfahrung antworten. Sie tut dies wirklich und liefert so noch unmittelbarer den Beweis für die Einheit der höchsten Klasse.

Wie die allgemeine Natur des Urteils darin besteht, daß eine Tatsache angenommen oder verworfen wird, so besteht nach dem Zeugnis der inneren Erfahrung auch der allgemeine Charakter des Gebietes, welches uns jetzt vorliegt, in einem gewissen Annehmen oder Verwerfen; nicht in demselben, aber in einem analogen Sinn. Wenn etwas Inhalt eines Urteils werden kann, insofern es als wahr annehmlich oder als falsch verwerflich ist, so kann es Inhalt eines Phänomens der dritten Grundklasse werden, insofern es als gut genehm (im weitesten Sinne des Wortes) oder als schlecht ungenehm sein kann. Es handelt sich, wie dort um Wahrheit und Falschheit, hier um den Wert und Unwert eines Gegenstandes.

Ich glaube, niemand wird meine Worte so verstehen, als wollte ich sagen, die Phänomene dieser Klasse seien Erkenntnisakte, vermöge deren Güte oder Schlechtigkeit, Wert oder Unwert in gewissen Gegenstängen wahrgenommen wird; doch bemerke ich ausdrücklich, um jede solche Auslegung vollends unmöglich zu machen, daß dies eine gänzliche Verkennung meiner wahren Meinung wäre. Einmal, würde ich ja sonst diese Phänomene zu den Urteilen rechnen; ich trenne sie aber von ihnen als eine besondere Klasse; und dann, würde ich die Vorstellungen von Güte und Schlechtigkeit, Wert und Unwert für diese Klasse von Phänomenen allgemein voraussetzen, während dies so wenig der Fall ist, daß ich vielmehr zeigen werde, wie alle derartigen Vorstellungen erst aus der inneren Erfahrung dieser Phänomene entspringen. Auch die Vorstellungen von Wahrheit und Falschheit werden, wie wohl niemand bezweifelt, im Hinblick auf Urteile und unter der Voraussetzung ihrer uns zuteil. Wenn wir sagen, jedes anerkennende Urteil ist ein Fürwahrhalten, jedes verwerfende ein Fürfalschhalten, so bedeutet dies also nicht, daß jenes in einer Prädikation der Wahrheit vom Fürwahrgehaltenen, dieses in einer Prädikation der Falschheit vom Fürfalschgehaltenen besteht; unsere früheren Erörterungen haben vielmehr dargelegt, daß, was die Ausdrücke bedeuten, eine besondere Weise intentionaler Aufnahme eines Gegenstandes, eine besondere Weise der psychischen Beziehung zu einem Inhalt des Bewußtseins ist. Nur das ist richtig, daß, wer etwas für wahr hält, nicht bloß den Gegenstand anerkennt, sondern dann, auf die Frage, ob der Gegenstand anzuerkennen ist, auch das Anzuerkennensein des Gegenstandes, d. h. (denn nichts anderes bedeutet dieser barbarische Ausdruck) die Wahrheit des Gegenstandes ebenalls anerkennen wird. Und damit mag der Ausdruck "Fürwahrhalten" zusammenhängen. Der Ausdruck "Fürfalschhalten" aber wird sich in analoger Weise erklären.

Ebenso bedeuten uns dann die Ausdrücke, die wir hier in analoger Weise gebrauchen, "als gut genehm sein", "als schlecht ungenehm sein", nicht, daß in den Phänomenen dieser Klasse Güte einem als gut Genehmen oder Schlechtigkeit einem als Schlecht Ungenehmen zugeschrieben wird, vielmehr bedeuten auch sie eine besondere Weise der Beziehung der psychischen Tätigkeit auf einen Inhalt. Nur das ist auch hier richtig, daß einer, dessen Bewußtsein sich in solcher Weise auf einen Inhalt bezieht, die Frage, ob der Gegenstand von der Art sei, daß man zu ihm in die betreffende Beziehung treten kann, infolge davon bejahen wird; was dann nichts anderes heißt, als ihm Güte oder Schlechtigkeit, Wert oder Unwert zuschreiben.

Ein Phänomen dieser Klasse ist nicht etwa ein Urteil: "dies ist zu lieben" oder "dies ist zu hassen" (das wäre ein Urteil über Güte oder Schlechtigkeit); aber es ist ein Lieben oder Hassen.

Im Sinne der gegebenen Erläuterung wiederhole ich also jetzt ohne Besorgnis mißverstanden zu werden, daß es sich analog wie bei den Urteilen um Wahrheit oder Unwahrheit bei den Phänomenen dieser Klasse um Güte und Schlechtigkeit, um Wert oder Unwert der Gegenstände handelt. Und diese charakteristische Beziehung zum Objekt ist es, die, wie ich behaupte, bei Begehren und Wollen so wie bei allem, was wir Gefühl oder Gemütsbewegung nennen, die innere Wahrnehmung in gleich unmittelbarer und evidenter Weise erkennen läßt.

§ 3. Beim Streben, Begehren und Wollen darf, was ich sage, als allgemein anerkannt betrachtet werden. Hören wir darüber einen der hervorragendsten und einflußreichsten Verteidiger der fundamentalen Scheidung von Gefühl und Willen.

HERMANN LOTZE, wo er diejenigen bekämpft, welche das Wollen als ein Wissen fassen und sagen, das "ich will" ist gleich einem zuversichtlichen "ich werde", setzt das Wesen des Wollens in eine Billigung oder Mißbilligung, also in ein Gutfinden oder Schlechtfinden. Nur die Gewißheit, daß ich vielleicht handeln werde", sagt er,
    "mag gleichgeltend sein mit dem Wissen meines Wollens, aber dann wird im Begriff des Handelns jenes eigentümliche Element der Billigung, der Zulassung oder Absicht eingeschlossen sein, welches den Willen zum Willen macht."
Und wiederum, gegen diejenigen gewendet, welche den Willen als eine gewisse Macht zum Wirken begreifen wollen, erklärt er:
    "Diese Billigung nun, durch welche unser Wille den Entschluß, welchen die drängenden Beweggründe des Vorstellungslaufes ihm darbieten, als den seinigen adoptiert, oder die Mißbilligung, mit welcher er ihn von sich zurückweist, beide würden denkbar sein, auch wenn keiner von beiden die geringste Macht besäße, bestimmend und verändernd in den Ablauf der inneren Ereignisse einzugreifen." (2)
Was ist diese Billigung oder Mißbilligung, von der LOTZE spricht? Es ist klar, daß er nicht ein Gut- und Schlechtfinden im Sinne eines praktischen Urteils meint, da er die Urteile, wie wir sahen, zur Klasse der Vorstellungen rechnet. Was lehrt er also anderes, als daß das Wesen des Wollens in einer besonderen Beziehung der psychischen Tätigkeit auf den Gegenstand als gut oder schlecht besteht?

Ähnlich könnten wir Stellen von KANT und von MENDELSSOHN, den vorzüglichsten Begründern der üblichen Dreiteilung, anführen, die dafür sprechen, daß eine solche Beziehung auf den Gegenstand als gut oder schlecht den Grundcharakter eines jeden Begehrens ausmacht (3). Doch wir greifen lieber sogleich in das Altertum zurück, um das Zeugnis der antiken Psychologie mit dem der modernen zu verbinden.

ARISTOTELES spricht hier mit einer Deutlichkeit die nichts zu wünschen übrig läßt: "Gut" und "begehrbar" sind ihm gleichbedeutende Ausdrücke. "Der Gegenstand des Begehrens" (to orekton), sagt er in seinen Büchern von der Seele, "ist das Gute oder das als gut Erscheinende": und am Anfang seiner Ethik erklärt er : "Jede handlung und jede Wahl scheint nach einem Gut zu streben; weshalb man mit Recht das Gute als dasjenige bezeichnet hat, wonach alles strebt." (4) Daher identifiziert er auch die Zweckursache mit dem Guten (5). Dieselbe Lehre erhielt sich dann im Mittelalter. THOMAS von AQUIN lehrt mit aller Klarheit, daß, wie das Denken zu einem Objekt als erkennbarem, das Begehren zu ihm als gutem in Beziehung tritt. So könne es geschehen, daß ein und dasselbe Gegenstand ganz heterogener psychischer Tätigkeiten wird. (6)

Wir sehen an diesen Beispielen, wie die hervorragendsten Denker verschiedener Perioden hinsichtlich des Strebens und Wollens in der Anerkennung der von uns geltend gemachten Erfahrungstatsache einig sind, wenn sie auch vielleicht nicht alle in gleicher Weise ihre Bedeutung würdigen.

§ 4. Wenden wir uns zu den anderen Phänomenen, um die es sich handelt, und namentlich zu Lust und Unlust, die am meisten als Gefühle vom Willen gesondert zu werden pflegen. Ist es richtig, daß auch hier die innere Erfahrung jene eigentümliche Weise der Beziehung die innere Erfahrung jene eigentümliche Weise der Beziehung zum Inhalt, jenes "als gut Genehmsein" oder "als schlecht Ungenehmsein" als Grundcharakter der Erscheinungen mit Klarheit erkennen läßt? Handelt es sich auch hier deutlich in ähnlicher Weise um den Wert und Unwert, wie beim Urteil um die Wahrheit und Falschheit der Gegenstände? - Was mich betrifft, so scheint mir dies bei ihnen nicht weniger einleuchtend als beim Begehren.

Weil man aber glauben könnte, daß eine Voreingenommenheit hierbei im Spiel ist und mich die Erscheinungen mißdeuten läßt, so will ich mich auch hier wieder zugleich auf die Zeugnisse anderer berufen.

Hören wir auch in diesem Punkt vor allem LOTZE.
    "War es eine ursprüngliche Eigentümlichkeit des Geistes", sagt er in seinem Mikrokosmus (7), "Veränderungen nicht nur zu erfahren, sondern sie auch vorstellend wahrzunehmen, so ist es ein ebenso ursprünglicher Zug desselben, sie nicht nur vorzustellen, sondern in Lust und Unlust auch des Wertes [lotzwert] inne zu werden, den sie für ihn haben."
Unmittelbar darauf äußert er sich ähnlich: So wiederholt er noch öfter den Gedanken und hält ihn bei höheren wie niederen Gefühlen gleichmäßig fest. Der eigentliche Kern des sinnlichen Triebes ist nach ihm
    "immer nur ein Gefühl, das uns in Lust und Unlust den Wert eines vielleicht nicht zur bewußten Einsicht kommenden körperlichen Zustandes verrät" (8); und "die sittlichen Grundsätze jeder Zeit waren Aussprüche eines wertempfindenden Gefühls"; sie "wurden stets vom Gemüt in einer anderen Weise gebilligt als die Wahrheiten der Erkenntnis." (9)
Wie sich LOTZE das Empfinden des Wertes in dem Gefühl denkt, wage ich nicht mit voller Sicherheit zu bestimmen; daß er aber das Gefühl selbst nicht als die Erkenntnis eines Wertes ansah, ist unzweifelhaft, nicht bloß wegen einzelner Äußerungen (10), sondern auch schon darum, weil er es sonst seiner ersten Klasse untergeordnet haben würde. Danach scheint sich aber der Ausdruck nur mehr in einer Weise, und zwar im Sinne unserer Anschauung rechtfertigen zu lassen. Es ist auch bemerkenswert, daß LOTZE nicht bloß sagt, daß das Gefühl Wert und Unwert empfindet und es so zum Gegenstand als gut und schlecht in Beziehung setzt, sondern sich bei ihm auch ganz derselben Bezeichnung "billigen" bedient, die er zuvor angewandt hatte, um das "eigentümliche Element, welches den Willen zum Willen macht", zu benennen. Umgekehrt sagt er ein anderes Mal für "Wollen" "herzliche Teilnahme" (11), ein Ausdruck, der gewöhnlich für Phänomene von Lust und Leid gebraucht wird. Wie sollte nicht in dieser Übertragung der am meisten charakteristischen Benennungen des einen Gebietes auf das andere ein unwillkürliches, aber bedeutungsvolles Zeugnis für die wesentliche Verwandtschaft in der Beziehungsweise der beiderseitigen Erscheinungen zu ihren Objekten und somit für ihre Zusammengehörigkeit zu einer Grundklasse liegen?

HAMILTON - denn auch diesen großen Verteidiger der Sonderstellung der Gefühle wollen wir nicht unberücksichtigt lassen - nennt mit ganz ähnlichen Ausdrücken wie LOTZE "Lust und Unlust" "eine Schätzung des relativen Wertes der Objekte" (12), wobei wir es freilich ihm selbst überlassen müssen, diesen Ausspruch mit dem, wie er uns lehrte, "subjektivisch subjektiven" Charakter der Gefühle in Einklang zu bringen. Solche Äußerungen, welche die Beziehung der Gefühlsphänomene auf die Gegenstände als gut und schlecht deutlich anerkennen, kehren bei ihm auch anderswo, ja sehr häufig wieder. (13)

KANT schließlich, in seiner "Kritik der Urteilskraft", bezeichnet gerade da, wo er Gefühl und Begehren scheiden will, beide als ein Wohlgefallen, nur das eie als untinteressiertes, das andere als praktisches. Näher untersucht, läuft dies darauf hinaus, daß man im Gefühl bloß an der Existenz eines Gegenstandes ein Interesse hat; und auch dieser Unterschied würde aufgehoben, wenn es sich zeigen sollte, daß, was KANT hier Gefühl nennt, in Wahrheit auf jene Vorstellung selbst als seinen Gegenstand gerichtet ist. In einer früheren Schrift aber sagt KANT geradezu:
    "Man hat es in unseren Tagen allerst einzusehen angefangen, daß das Vermögen, das Wahre vorzustellen, die Erkenntnis, dasjenige aber, das Gute zu empfinden, das Gefühl ist, und daß beide ja nicht miteinander müssen verwechselt werden." (14)
Solche Zeugnisse aus dem Mund der am meisten hervorragenden Gegner sind gewiß von unleugbarer Bedeutung. Und auch hier verbinden sich mit den modernen (15) die übereinstimmenden Aussagen längst vergangener Perioden. Wie wenig es richtig ist, daß man, wie KANT meinte, erst zu seiner Zeit ein besonderes Vermögen, welches sich auf etwas als gut bezieht, dem, welches auf etwas als wahr gerichtet ist, zur Seite zu stellen anfing, hat uns unser historischer Überblick gelehrt. Die ältere Psychologie, so weit und so lange ARISTOTELES sie beherrschte, schied ja in diesem Sinn Denken und Begehren voneinander. Im Begehren - so sehr entschränkt sie den Ausdruck - waren auch die Gefühle von Lust und Unlust und überhaupt alles, was kein vorstellendes oder urteilendes Denken ist, begriffen. Hierin lag, was uns bei unserer Frage vorzüglich interessiert, die Anerkennung, daß die Relation zu den Objekten als guten oder schlechten, die wir als den allgemeinen wesentlichen Grundcharakter der Gefühle behaupten, bei ihnen nicht weniger als beim Begehren oder Wollen gegeben ist. Dasselbe zeigen die Aussprüche des ARISTOTELES über die Beziehung der begleitenden Lust zur Vollkommenheit des Aktes, die man in der Nikomachischen Ethik findet, und die wir bei der Untersuchung über das Bewußtsein erwähnt haben, sowie einige Stellen seiner Rhetorik (16). Die Peripatetische Schule des Mittelalters, insbesondere THOMAS von AQUIN in seiner interessanten Lehre vom Zusammenhang der Gemütsbewegungen vertritt auf das Unzweideutigste dieselbe Anschauung (17).

Auch die Sprache des gewöhnlichen Lebens deutet darauf hin, daß bei Lust und Unlust eine Beziehung zum Gegenstand besteht, die derjenigen des Wollens wesentlich verwandt ist. Sie liebt es, Ausdrücke, die sie zunächst auf dem einen Gebiet anwandte, dann auf das andere zu übertragen. So nennen wir das angenehm, was uns Lust, unangenehm das, was uns Unlust gewährt, wir sprechen aber auch von einem Genehmsein und einer Genehmigung auf der Seite des Willens. Ebenso wurd das "Placet" [Bekundung eines Einverständnisses - wp] im Sinne einer Gutheißung offenbar aus dem Gebiet des Gefühls auf einen Willensentschluß übertragen; un nicht weniger deutlich hat der deutsche Ausdruck "gefallen" in "tue, was dir gefälllt!" oder "ist Ihnen etwas gefällig?" usw. dasselbe erfahren. Ja selbst das Wort "Lust" wird in der Frage: "hast du Lust?" zur unverkennbaren Bezeichnung einer Willensrichtung. Andererseits ist der "Unwillen" kaum ein Wille zu nennen, obwohl der Ausdruck daher entlehnt ist, und der "Widerwille" als Bezeichnung gewisser Erscheinungen des Ekels ist unverkennbar der Name eines Gefühls geworden.

Die Sprache tut aber mehr als daß sie gewisse Namen von Erscheinungen des einen auf Erscheinungen eines anderen Gebietes überträgt. Sie hat in den Ausdrücken "Liebe" und "Haß" ein Mittel der Bezeichnung, das in ganz eigentlicher Weise bei jedem Phänomen im gesamten Bereich anwendbar ist. Denn sind sie auch im einen oder anderen Fall weniger üblich, so versteht einer doch, wenn man sie gebraucht, was damit gemeint ist, und erkennt, daß sie ihrer eigentlichen Bedeutung nicht entfremdet werden. Das Einzige, was in solchen Fällen gegen sie spricht, ist, daß der Sprachgebrauch hier spezielleren Bezeichnungen den Vorzug zu geben pflegt. Denn in Wahrheit sind sie in einem sehr gewöhnlichen, obwohl nicht ausschließlich damit verbundenen Sinn Ausdrücke, welche die unserer dritten Grundklasse eigentümliche Weise der Beziehung zum Gegenstand in ihrer Allgemeinheit kennzeichnen.

Die Zusammenstellung von "Lust und Liebe" "lieb und leid" und dgl. zeigen den Ausdruck "Liebe" auf die entschiedensten Gefühle angewandt. Und wenn wir sagen "lieblich", "häßlich", was meinen wir anderes als eine Lust oder Unlust erweckende Erscheinung? Andererseits weisen Äußerungen wie "es beliebt mir", "tue was dir lieb ist" deutlich auf Phänomene des Willens hin. In dem Satz "er hat eine Vorliebe für wissenschaftliche Beschäftigung" ist etwas ausgesprochen, was vielleicht manche zum Gefühl rechnen, während es andere für eine habituelle Richtung des Willens erklären werden. Ebenso überlasse ich es anderen, zu entscheiden, ob bei Namen wie "mißliebig", "unliebsam", "Liebling" ("Lieblingspferde" und "Lieblingsstudium" miteinbegriffen) mehr Gründe für die Einordnung des Liebens, von dem die Rede ist, in das Gebiet, das sie Gefühle nennen, oder in das, welches sie dem Willen zuweisen, sich anführen lassen. Was mich betrifft, so glaube ich, daß es als allgemeinerer Ausdruck auch in diesem einzelnen Fall beide umspannt.

Wer sich nach etwas sehnt, der liebt es zu haben; wer über etwas trauert, dem ist es unlieb, worüber er trauert; wer sich über etwas freut, liebt, daß es so ist; wer etwas tun will, liebt es zu tun (wenn nicht an und für sich, so doch im Hinblick auf diese oder jene Folge) usw., und die genannten Akte sind nicht etwas, was bloß mit einem Lieben zusammen besteht, sondern sie selbst sind Akte der Liebe. So zeigt sich, daß "gut sein" und "irgendwie zu lieben sein" so wie andererseits "schlecht sdin" und "irgendwie zu hassen sein" dasselbe besagen, und wir sind gerechtfertigt, wenn wir den Ausdruck "Liebe" zum Namen unserer dritten Grundklasse wählten, indem wir dabei, wie schon bemerkt, wie man bei Begehren und Wollen ähnlich zu tun pflegt, den Gegensatz miteinbegriffen.

Als Ergebnis unserer Erörterung dürfen wir also aussprechen, daß die innere Erfahrung deutlich die Einheit der Grundklasse für Gefühl und Willen offenbart. Sie tut es, indem sie uns zeigt, daß nirgends zwischen ihnen eine scharf gezogene Grenze ist, und daß ein gemeinsamer Charakter ihrer Beziehung auf den Inhalt sie von den übrigen psychichischen Phänomenen unterscheidet. Was die Philosophen der verschiedensten Richtung und selbst die, welche das Gebiet in zwei Grundklassen sondern, darüber äußerten, wies deutlich auf diesen gemeinsamen Charakter hin und bestätigte, ebenso wie die Sprache des Volkes, die Richtigkeit unserer Beschreibung der inneren Erscheinungen.

§ 5. Verfolgen wir weiter den Plan unserer Untersuchung.

Als es sich darum handelte, Vorstellung und Urteil als zwei verschiedene Grundklassen psychischer Phänomene zu erweisen, begnügten wir uns nicht damit, das direkte Zeugnis der Erfahrung anzurufen; vielmehr haben wir auch gezeigt, daß der große Unterschied, der unleugbar zwischen dem ein oder anderen Phänomen besteht, gänzlich auf Rechnung der verschiedenen Weise ihrer Beziehung zum Objekt zu setzen ist. Von diesem Unterschied abgesehen, würde sich jedes Urteil mit einer Vorstellung gedeckt haben und umgekehrt. Werfen wir jetzt in Bezug auf Gefühl und Willen die gleiche Frage auf. Wäre, wer keinerlei Unterschied in der Weise des Bewußtseins zwischen einem Fühlen von Freude und Schmerz und einem Wollen anerkennt, vielleicht ebenfalls außerstand irgendetwas als unterscheidend namhaft zu machen? würde auch zwischen ihnen jede Verschiedenheit dann ausgeglichen sein? - Sicher ist dies nicht der Fall.

Wir haben früher gesehen, wie zwischen dem Fühlen einer Freude oder eines Schmerzes und dem Wollen im eigentlichsten Sinn eine Reihe von Seelenzuständen sozusagen in der Mitte steht, von welchen man nicht recht weiß, ob sie bei einer Scheidung des Gebietes in Gefühl und Willen besser der einen oder der anderen Seite zugerechnet werden. Sehnsucht, Hoffnung, Mut und andere Erscheinungen gehören hierher. Gewiß wird niemand behaupten, jede dieser Klassen sei von der Art, daß sich außer einer etwaigen Besonderheit der Beziehung zum Objekt kein Unterschied dafür angeben läßt. Eigentümlichkeiten der Vorstellungen und Eigentümlichkeiten der Urteile, die ihnen zugrunde liegen, dienen dazu, die eine von der anderen zu unterscheiden; und an solche Unterschiede hat man sich darum gehalten, da man in älterer wie neuerer Zeit Versuche machte, sie definierend gegeneinander abzugrenzen. Dies hat schon ARISTOTELES in seiner Rhetorik, so wie in der Nikomachischen Ethik getan, und andere wie z. B. CICERO im vierten Buch der Tusculanae Quaestiones sind seinem Beispiel gefolgt. Später finden wir ähnliche Versuche bei Kirchenvätern wie GREGOR von NYSSA, AUGUSTINUS und anderen, und in einem vorzüglichen Maß im Mittelalter bei THOMAS von AQUIN in seiner Primae Secundae. Wiederum begegnen sie uns in der Neuzeit bei DESCARTES in seiner "Abhandlung über die Leidenschaften", bei SPINOZA im dritten Teil seiner "Ethik", wohl dem verdienstvollsten des ganzen Werkes; ferner bei HUME, HARTLEY, JAMES MILL usw. bis auf unsere Zeit.

Natürlich konnten solche Definitionen, indem sie die einzelne Klasse nicht bloß gegen eine, sondern gegen jede andere abgrenzen wollten, nicht immer von dem Gegensatz absehen, welcher dieses Gebiet, wie Anerkennung und Leugnung das der Urteile durchdringt und ebenso mußten sie auf die Unterschiede in der Stärke der Phänomene mitunter Rücksicht nehmen. Mehr aber ist in der Tat nicht nötig, und im Übrigen mit den zuvor erwähnten Mitteln bei der Bestimmung eines jeden zu diesem Gebiet gehörigen Klassenbegriffs vollkommen ausreichen; womit selbstverständlich nicht gesagt sein soll, daß jeder Versuch, den man mit ihrer Hilfe gemacht hat, auch wirklich gelungen ist.

LOTZE, der in seiner medizinischen Psychologie hinsichtlich verschiedener Klassen, die er zu den Gefühlen rechnet, denselbe Weg der Definition betritt, enthält sich dagegen in Bezug auf die Besonderheit des Wollens eines jeden solchen Versuches, indem er ihn für notwendig erfolglos hält.
    "Vergeblich", sagt er, "sucht man das Vorhandensein des Wollens zu leugnen, ebenso vergeblich, wie wir uns bemühen würden, seine einfache Natur, die sich nur unmittelbar erleben läßt, durch umschreibende Erklärungen zu verdeutlichen." (18)
Das ist auf seinem Standpunkt konsequent geurteilt (19); richtig aber scheint es mir in keiner Weise. Jedes Wollen partizipiert am gemeinsamen Charakter unserer dritten Grundklasse; und wer darum das Gewollte als etwas, was jemand lieb ist, bezeichnet, hat dadurch schon einigermaßen und in äußerster Allgemeinheit die Natur der Willenstätigkeit gekennzeichnet. Fügt man dann Bestimmungen ber die Besonderheit des Inhalts, ber die Eigentümlichkeit der Vorstellung und des Urteils hinzu, die dem Wollen zugrunde liegen, so ergänzt sich die erste Angabe in ähnlicher Weise zu einer genau abgrenzenden Definition, wie in anderen Fällen die einer Klasse von Gefühlen. Jedes Wollen geht auf ein Tun, von dem wir glauben, daß es in unserer Macht liegt, auf ein Gut, welches als Folge des Wollens selbst erwartet wird. An diese spezialisierenden Bestimmungen hat schon ARISTOTELES gerührt, indem der das Wählbare als ein durch Handeln zu erreichendes Gut bezeichnete. Eingehender haben JAMES MILL und ALEXANDER BAIN die besonderen Bedingungen des Phänomens, die in den zugrunde liegenden Vorstellungen und Urteilen gegeben sind, analysiert. Diese Analysen, selbst wenn einer das eine oder andere noch daran auszusetzen fände, werden doch, glaube ich, in jedem, der sie beachtet, die Überzeugung erwecken, daß man wirklich auch das Wollen in ähnlicher Weise und mit ähnlichen Mitteln wie die einzelnen Klassen der Gefühle definieren kann, und daß es nicht so unbeschreiblich einfach ist, wie uns LOTZE lehrte. (20)

§ 6. Wenn wir nun gesagt haben, daß das Wollen durch eine Hinzufügung von solcherlei Bestimmungen zum allgemeinen Begriff der Liebe definiert ist, so meinen wir damit nicht, daß jemand, der das spezielle Phänomen nie selbst in sich erfahren hat, durch die Definition zu vollkommener Klarheit darüber gelangen könnte. Dies ist keineswegs der Fall. Es besteht in dieser Beziehung ein großer Unterschied zwischen der Definition des Wollens und der Begriffsbestimmung einer besonderen Klasse von Urteilen durch die Angabe der Gattung des Inhaltes, auf welchen sie anerkennend oder verwerfend gerichtet sind. Wenn man nur irgendwelche bejahende und verneinende Urteile gefällt hat, so kann man sich jedes andere Urteil anschaulich vorstellen, sobald man weiß, worauf es bejahend oder verneinend gerichtet ist. Hätte sich dagegen jemand auch noch so häufig liebend und hassend betätigt und in mannigfachen Abstufungen der Stärke, so würde doch für ihn, wenn er nie in specie [im Besonderen - wp] etas gewollt hätte, aus der Angabe der Besonderheit des Wollen in den erwähnten Beziehungen das Phänomen in seiner eigentümlichen Natur nie vollkommen vorstellbar werden. Wenn LOTZE nichts anderes hätte sagen wollen, so würden wir uns vollkommen mit ihm einverstanden erklären.

Aber dies ist nichts, was nicht ebenso für andere spezielle Klassen, die man gewöhnlich dem Gefühl unterordnet, gelten würde; denn auch von ihnen zeigt, um mich eines Ausdrucks von LOTZE selbst zu bedienen, jede eine besondere Färbung. Wer nur Gefühle der Freude und der Trauer gehabt hätte, dem würde durch eine Definition des Hoffens oder Fürchtens dessen innere Eigentümlichkeit unmöglich vollkommen anschaulich werden; ja schon hinsichtlich verschiedener Arten von Freude gilt dasselbe: die Freude des guten Gewissens und die Lust bei angenehmer Erwärmung, die Freude beim Anblick eines schönen Gemäldes und die Lust beim Wohlgeschmack einer Speise sind etwa bloß quantitativ, sie sind qualitativ voneinander verschieden und ohne eine spezifische Erfahrung würde die Angabe des besonderen Objekts zur Erweckung einer vollkommen entsprechenden Vorstellung nicht führen können.

Um dieser qualitativen Verschiedenheiten willen wird man allerdings zugeben müssen, daß innerhalb des Gebietes der Liebe noch Unterschiede in der Weise der Beziehung zum Objekt bestehen. Aber damit ist nicht gesagt, daß nicht die Einheit derselben Grundklasse alle Phänomene der Liebe umfaßt. Wie vielmehr zwischen qualitativ verschiedenen Farben, so besteht auch zwischen qualitativ verschiedenen Phänomenen der Liebe eine wesentliche Verwandtschaft und Übereinstimmung. Auch der Vergleich mit dem Gebiet des Urteils macht dies deutlich. Auch hier fehlt es nicht an Unterschieden in der Weise der Beziehung zum Objekt, wie denn vor allem der Unterschied von Anerkennen und Verwerfen ganz offenbar als ein solcher zu betrachten ist (21). Man nennt sie mit Recht qualitativ verschieden. Dennoch erstreckt sich, da sie in ihrem allgemeinen Charakter miteinander übereinstimmen, die Einheit derselben Grundklasse über beide, und ihre Scheidung, obwohl ebenfalls durch die Natur vorgezeichnet, ist doch keine, welche auch nur annähernd eine ähnlich fundamentale Bedeutung wie die zwischen Vorstellung und Urteil hätte. Ganz dasselbe gilt in unserem Fall. Ja, es ist womöglich noch einleuchtender, daß bei einer Grundeinteilung der psychischen Phänomene die qualitativen Unterschiede spezieller Weisen des Liebens nicht in Betracht kommen können, als daß die Unterschiede der Qualität der Urteile nicht dabei zu berücksichtigen sind. Die höchsten Klassen würden außerordentlich zahlreich oder vielmehr geradezu unzählig werden, namentlich da dasjenige, was zu einem geliebten oder gehaßten Gegenstand in Beziehung tritt, selbst wieder Gegenstand einer Liebe oder eines Hasses wird, und sehr gewöhnlich mit einer veränderten Färbung des Phänomens. Auch würde die enge Umgrenzung, die jede von diesen höchsten Klassen erhielte, dem Zweck einer ersten und fundamentalen Einteilung entgegen sein.

Darum haben auch diejenigen, welche das von uns einheitlich umschriebene Gebiet in mehrere Grundklassen zerlegten, bei ihrer Einteilung nicht allen diesen Unterschieden Rechnung getragen. Sie scheiden nur zwei Klassen, Gefühl und Willen; alle speziellen Färbungen der Phänomene der Liebe und des Hasses, welche innerhalb des Gebietes, das sie Willen nennen und zahlreicher noch innerhalb des Bereiches der Gefühle bestehen, lassen sie dagegen unberücksichtigt. So erkennen sie durch ihr praktisches Verhalten, in der bei weitem größeren Zahl der Fälle an, daß solche untergeordnete Unterschiede keine Sonderung in verschiedene Grundklassen rechtfertigen und hiermit ist, wenn unsere Auseinandersetzung richtig ist, auch die Verwerfung ihrer Unterscheidung von Gefühl und Willen als höchster Klassen im Prinzip zugeben.

§ 7. Wir kommen zu einer dritten Reihe von Erörterungen, welche die von uns behauptete Zusammengehörigkeit von Gefühl und Willen zu einer natürlichen Grundklasse bestätigen wird.

Da es sich um die Feststellung der fundamentalen Verschiedenheit von Vorstellung und Urteil handelte, zeigten wir, wie alle Umstände darauf hinweisen, daß ein grundverschiedenes Verhältnis zum Inhalt das eine vom anderen Phänomen unterscheidet. Wo das Urteil zur Vorstellung hinzutritt, findet man eine ganz neue Gattung von Gegensätzen, eine ganz neue Gattung von Intensität, eine ganz neue Gattung von Vollkommenheit und Unvollkommenheit und eine ganz neue Gattung von Gesetzen der Entstehung und der Aufeinanderfolge. Auch die Klasse der Liebe und des Hasses, als Ganzes genommen, zeigte sich uns damals der Vorstellung und dem Urteil gegenüber in derselben allseitigen Weise durch Eigentümlichkeiten ausgezeichnet. Sollte innerhalb dieser Klasse selbst noch ein fundamentaler Unterschied in der Beziehungsweise zum Objekt bestehen, so dürfen wir demnach erwarten, daß auch hier in ähnlicher Art das eine Gebiet vom anderen in jeder der angegebenen Richtungen die Besonderheit seines Charakters offenbaren wird.

Aber in keiner Weise ist dies der Fall.

Vor allem wird man sich leicht überzeugen, daß innerhalb des ganzen Gebietes von Gefühl und Willen nirgends eine Verschiedenheit von Gegensätzen auftritt, von denen das eine Paar dem anderen so heterogen wäre, wie es der Gegensatz von Liebe und Haß dem von Anerkennung und Leugnung ist. Auch wenn wir Freude und Traurigkeit mit Wollen und Nichtwollen vergleichen, erkennen wir, daß uns hier und dort im Grunde genommen derselbe Gegensatz von Lieb- und Unliebsein, Gefallen und Mißfallen entgegentritt. Allerdings erscheint er in jedem der beiden Fälle etwas modifiziert, entsprechend der verschiedenen Färbung der Phänomene; aber der Unterschied ist nicht größer als der, welcher zwischen den Gegensätzen von Freude und Trauer, Hoffnung und Furcht, Mut und Verzagen, Verlangen und Fliehen und vielen anderen in der Klasse gefunden wird.

Dasselbe gilt in Bezug auf die Stärke. Die Gesamtheit der Klasse ist deutlich durch eine besondere Gattung von Intensität ausgezeichnet. Die Unterschiede der Gewißheit sind, wie schon früher bemerkt, mit den Unterschieden der Grade des Liebens und Hassens unvergleichbar; ja geradezu lächerlich würde es sesin, wenn einer sagen würde: es ist mir dies doppelt so wahrscheinlich, als mir jenes lieb ist oder dergleichen. Aber innerhalb der Klasse selbst gilt nirgends dasselbe. Wie die verschiedenen Stufen der Überzeugung im Anerkennen und Verwerfen, so lassen auch die Gradunterschiede im Lieben und Hassen sich miteinander vergleichen. Wie ich ohne Inkonvenienz [Schwierigkeiten - wp] sagen kann, daß ich das eine mit größerer Gewißheit annehme, als das andere leugne: so kann ich auch sagen, daß ich das eine in höherem Maß liebe, als ich das andere hasse. Und nicht bloß die Stärke von Gegensätzen, sondern auch die Freude, das Verlangen, Wille und Vorsatz kann ich im Verhältnis zueinander als größer und geringer bestimmen. Ich freue mich mehr darüber, als ich nach jenem verlange; mein Verlangen ihn wiederzusehen ist nicht so stark, wie mein Vorsatz ihm meine Mißbilligung empfinden zu lassen usw.

Ähnliches zeigt sich im Hinblick auf die Vollkommenheit und Unvollkommenheit. Wir sahen, wie in den Vorstellungen einerseits weder Tugend noch sittliche Schlechtigkeit, andererseits weder Erkenntnis noch Irrtum liegt. Mit den Phänomenen des Urteilens kommen die letzten beiden hinzu; das erste Paar dagegen liegt, wie schon gesagt, ausschließlich auf dem Gebiet der Liebe und des Hasses. Findet es sich nun vielleicht nur in der einen der beiden Klassen in welche man das Gebiet zerlegt hat, im Willen, nicht aber in dem der Gefühle? - Man erkennt leicht, daß dies nicht der Fall ist, sondern daß es wie einen sittlich guten und sittlich schlechten Willen, auch sittlich gute und sittlich schlechte Gefühle gibt, wie z. B. Mitleid, Dankbarkeit, Heldenmut, Neid, Schadenfreude, feige Furcht usw. Wegen des besprochenen Mangels deutlicher Abgrenzung weiß ich freilich nicht, inwieweit einer einzelne von diesen Beispielen vielleicht lieber zum Gebiet des Willens rechnet; aber auch nur eines von ihnen würde zu unserem Zweck genügen (22). Auch kann man nicht behaupten, daß zwar Tugend und Schlechtigkeit beiden Gebieten gemein, aber im Willen noch eine neue, besondere Klasse von Vollkommenheit und Unvollkommenheit zu ihnen hinzugekommen ist; und bis jetzt zumindest hat, meines Wissens, niemand eine solche bezeichnet.

Wenden wir uns zum letzten Punkt des Vergleiches, zu den Gesetzen der Sukzession der Erscheinungen.

Bei den Urteilen, obwohl sie von den allgemeinen Gesetzen des Vorstellungsverlaufs sich keineswegs unabhängig zeigen, kommen doch noch andere, besondere Gesetze hinzu, welche aus ihnen nicht abgeleitet werden können. Wir bemerkten bereits, daß diese Gesetze die vorzügliche psychologische Grundlage der Logik ausmachen. Bei Liebe und Haß, sagten wir damals, sei etwas ähnliches der Fall; und in der Tat sind zwar diese Phänomene weder von den Gesetzen des Vorstellungsverlaufes noch von denen der Entstehung und Sukzession der Urteile unabhängig: aber dennoch zeigen auch sie besondere unableitbare Gesetze ihrer Aufeinanderfolge und Entwicklung, welche die psychologische Grundlage der Ethik bilden.

Fragen wir nun, wie es sich mit diesen Gesetzen verhält. Sind sie vielleicht auf die Klasse des Willens allein beschränkt? oder beherrscht wenigstens nur ein Teil von ihnen Gefühle und Willenstätigkeiten gemeinsam, während ein anderer, durch einen neuen und eigentümlichen Charakter ausgezeichnet, für die Phänomene des Wollens ausschließlich Geltung hat? - Keines von beidem ist richtig: vielmehr gehen in ganz ähnlicher Weise in einem Fall Akte des Wollens wie in einem anderen Akte der Freude und Traurigkeit auseinander hervor. Ich freue mich oder betrübe mich über einen Gegenstand um eines andere willen, während er mich sonst unberührt gelassen hätte; und ebenso begehre und will ich etwas wegen eines anderen, obwohl ich sonst nicht danach verlange. Auch erzeugt die Gewohnheit des Genusses bei eingetretenem Mangel eine stärkere Begierde, wie umgekehrt ein vorausgegangenes längeres Verlangen den eingetretenen Genuß verstärkt und hebt?

Doch wie? - Wir sagen, daß wesentlich dieselben Gesetze auf dem Gebiet der Gefühle und auf dem des Willens Geltung haben; und doch scheint gerade hier der größte Gegensatz zu bestehen, der sich überhaupt auf psychischem Gebiet zeigt. Denn der Wille, im Unterschied von allen übrigen Gattungen, gilt als das Reich der Freiheit, welches, wenn nicht jedem Einfluß, doch sicher eine Herrschaft von Gesetzen, wie sie auf den anderen Gebieten besteht, von sich ausschließt. Somit scheint hier ein starker Grund für die herkömmliche Scheidung von Gefühl und Willen vorzuliegen.

Die Tatsache der Willensfreiheit [ree], auf welche sich dieser Einwand stützt, hat bekanntlich von wurdewuraltersher den Gegenstand eifrigen Streites gebildet, an dem wir selbst uns erst an einem späteren Ort beteiligen werden (23). Aber ohne dem künftigen Ergebnis irgendwie vorzugreifen, sind wir, glaube ich, schon jetzt das Argument zurückzuweisen imstande. Angenommen, es findet sich auf dem Gebiet des Willens wirklich jene volle Freiheit, welche in demselben einzelnen Fall ein Wollen und Nichtwollen und ein entgegengesetztes Wollen als möglich erscheinen läßt: so besteht dieselbe doch sicher nicht auf dem ganzen Gebiet, sondern nur etwa da, wo entweder verschiedene Arten des Handelns oder zumindest Handeln und Nichthandeln, jedes in seiner Weise als ein Gut in Betracht kommt. Dies wurde von den bedeutendsten Vertretern der Willensfreiheit immer und ausdrücklich anerkannt. Was sich aber, obwohl vielleicht weniger deutlich ausgesprochen, dennoch ebenso unverkennbar als ihre Überzeugung zu erkennen gibt, ist, daß sich unter jenen Seelentätigkeiten, die nicht als ein Wollen bezeichnet werden können, und die man den Gefühlen zurechnet, gleichfalls freie Akte finden. So hält man den Schmerz der Reue über ein früheres Vergehen, die schadenfrohe Lust und viele andere Phänomene der Freude und Traurigkeit für nicht weniger freie Akte, als den Vorsatz, sein Leben zu ändern und die Absicht, jemand einen Nachteil zuzufügen. Ja, die Gefühle einer kontemplativen Gottesliebe gelten vielen als verdienstlicher als die hilfreiche Betätigung des Willens im Dienst des Nächsten, obwohl sie nur bei freien Betätigungen von Verdienst und Mißverdienst sprechen wollen. Wenn man trotzdem im allgemeinen nur von Willensfreiheit sprach, so hing dies bei älteren Philosophen mit dem, wie wir sahen, erweiterten und auf Gefühl und Willen im engeren Sinn gleichmäßig ausgedehnten Gebrauch dieses Namens, bei modernen aber häufig mit anderen Unklarheiten zusammen, die sich in ihre Untersuchung einmischten. So hat selbst LOCKE die Unterscheidung zwischen dem Vermögen, eine Handlung, je nachdem man sie will oder nicht will, zu üben oder zu unterlassen und der Möglichkeit, unter denselben Umständen sie zu wollen oder nicht zu wollen, niemals klar vollzogen. Es ist also sicher, daß sich, wenn überhaupt auf dem Gebiet der Liebe und des Hasses Freiheit besteht, dieselbe nicht auf Akte des Wollens allein, sondern ebenso auf gewisse Betätigungen der Gefühls erstreckt und daß andererseits ebensowenig jeder Akt des Wollens wie jeder Akt des Fühlens frei genannt werden kann. Dies genügt, um zu zeigen, wie durch die Anerkennung der Freiheit die Kluft zwischen Gefühl und Willen nicht erweitert und der hergebrachten Klasseneinteilung keine Stütze geboten wird.

§ 8. Wir haben nun den vorgezeichneten Weg unserer Untersuchung auch seinem dritten Teil nach zurückgelegt. Es war wesentlich derselbe Gang, den wir jetzt einhielten, da wir das Verhältnis von Gefühl und Begehren prüften, wie früher, als es sich um den Nachweis des fundamentalen Unterschiedes zwischen Vorstellung und Urteil handelte. Aber Schritt für Schritt waren unsere Wahrnehmungen dieses Mal die entgegengesetzten.

Fassen wir das Ergebnis zusammen.

Erstens hat uns die Erfahrung gezeigt, wie zwischen Gefühl und Willen nirgends eine scharfe Grenze gezogen ist. Wir haben bei allen psychischen Phänomenen, die nicht Vorstellungen oder Urteile sind, einen übereinstimmenden Charakter der Beziehung auf den Inhalt gefunden, und können sie alle in einem einheitlichen Sinn als Phänomene der Liebe und des Hasses bezeichnen.

Zweitens, wenn bei Vorstellung und Urteil mit der Leugnung einer Verschiedenheit in der Weise des Bewußtseins die Angabe eines Unterschieds überhaupt unmöglich wurde: so haben wir auf dem Gebiet von Gefühl und Willen im Gegenteil gesehen, daß unter Zuhilfenahme des Gegensatzes von Liebe und Haß und ihrer Gradunterschiede sich jede einzelne Klasse durch die Berücksichtigung der besonderen zugrundeliegende Phänomene definieren läßt.

Drittens endlich haben wir gesehen, daß eine Variation von Umständen, wie sie bei einer Verschiedenheit der Weise des Bewußtseins anderwärts sich zu zeigen pflegt, bei Gefühl und Willen nicht gefunden wird.

Somit dürfen wir wohl die Einheit unserer dritten Grundklasse als vollkommen erwiesen betrachten, und es bleibt uns nur noch übrig, wie früher bei Vorstellung und Urteil, so jetzt bei Gefühl und Willen die Gründe aufzudecken, welche eine Verkennung des wahren Verhältnisses begünstigen.

§ 9. Diese Anlässe der Täuschung scheinen mir von dreifacher Art gewesen zu sein: psychische, sprachliche und, wenn wir sie so nennen wollen, historische, d. h. solche Anlässe, welche durch vorausgegangene Verirrungen der Psychologie in anderen Fragen gegeben wurden.

Betrachten wir zunächst die vornehmsten psychischen Gründe.

Wir haben früher gesehen, wie die Phänomene des inneren Bewußtseins in eigentümlicher Weise mit ihrem Objekt verschmolzen sind. Die innere Wahrnehmung ist in dem Akt, den sie wahrnimmt, mitbegriffen, und ebenso ist das innere Gefühl, welches einen Akt begleitet, selbst Teil seines Gegenstandes. Es lag nahe, diese besondere Weise der Verbindung mit dem Objekt mit einer besonderen Weise von intentionaler Beziehung zu ihm zu verwechseln und so die zum inneren Bewußtsein gehörigen Phänomene der Liebe und des Hasses von allen übrigen, wie eine Grundklasse von einer anderen zu sondern.

Wenn wir an die Weise zurückdenken, in welcher sich KANT über den Unterschied des Gefühls und Begehrens äußerte, so glaube ich, werden wir deutliche Spuren eines Zusammenhangs seiner Lehre mit dem eben erwähnten Unterschied erkennen; sagte er doch, daß das Begehrungsvermögen eine "objektive Beziehung" hat, während das Gefühl "sich bloß auf das Objekt bezieht.

Bei HAMILTON tritt dasselbe in dem Maß auffälliger hervor, weil er sich ausführlicher über die Scheidung von Gefühl und Streben verbreitet; und Bestimmungen, die im übrigen schwer miteinander in Einklang zu bringen sind, weisen doch übereinstimmend darauf hin, daß ihm bei der Klasse des Gefühls hauptsächlich die zum inneren Bewußtsein gehörigen Gefühlsphänomene vorschwebten. Seine Bestimmung, daß das Gefühl ausschließlich der Gegenwart angehört, ist dann gerechtfertigt; und seine Charakteristik der Gefühle als "subjektivisch subjektiv" wenigstens begreiflich geworden. Auch steht die Untersuchung über die Entstehung der Gefühle, wie man sie im zweiten Band seiner Vorlesungen findet, vollkommen mit einer solchen Auffassung im Einklang. (24)

Wie kommt es aber, daß, wenn hier die besondere Verbindung der inneren Phänomene mit ihrem Objekt zu einer Unterscheidung zweier Grundklassen führte, auf dem Gebiet der Erkenntnis nicht dasselbe der Fall war? Warum hat man nicht auch die innere Wahrnehmung von jeder anderen Erkenntnis als eine eigene, grundverschiedene Weise des Bewußtseins abgesondert? - Die Antwort hierauf ist leicht: Wir haben gesehen, wie es eine Eigentümlichkeit unserer dritten Grundklasse ist, eine Menge von Arten in sich zu schließen, die mehr als besondere Klassen von Urteilen voneinander verschieden sind. So war es dann hier überhaupt leichter, die Übereinstimmung im allgemeinen Charakter der Beziehung zum Objekt zu verkennen als bei den Phänomenen der Erkenntnis;; und derselbe Umstand, der auf diesem Gebiet keinerlei Versuchung mit sich führte, konnte auf dem anderen die Täuschung veranlassen.

§ 10. Zum angegebenen kommt aber noch ein anderer psychischer Grund. Wie wir uns erinnern, machten KANT und seine Nachfolger für die fundamentale Verschiedenheit des Wollens vom Gefühl seine Unableitbarkeit aus den Phänomenen dieser Klasse gelten. Es steht außer Frage, daß die Erscheinungen des Willens wirklich aus anderen psychischen Phänomenen nicht abgeleitet werden können. Und ich meine hier nicht etwa dies, daß die besondere Färbung der Willensbetätigungen nur durch eine spezifische Erfahrung erkannt werden kann, denn das ist etwas, was ebenso für andere spezielle Klassen der Liebe und das Hasses gilt. Die besondere Färbung der Hoffnung gegenüber dem besitzenden Genuß, die besondere Färbung der edlen geistigen Freude gegenüber der niederen Sinnenlust sind ebenfall unableitbar. Ein anderer Umstand ist, der in einer ganz vorzüglichen Weise gerade das Wollen als unableitbar erscheinen und gerade bei ihm die Neigung entstehen läßt, es als Betätigung eines besonderen Urvermögens zu fassen.

Jedes Wollen oder Streben in einem eigentlicheren Sinn bezieht sich auf ein Handeln. Es ist nicht einfach ein Begehren, daß etwas geschieht, sondern ein Verlangen, daß etwas als Folge des Verlanges selbst eintritt. Ehe jemand die Erkenntnis oder wenigstens die Vermutung gewonnen hat, daß gewisse Phänomene der Liebe und des Verlangens die geliebten Gegenstände unmittelbar oder mittelbar als Folge nach sich ziehen, ist ein Wollen für ihn unmöglich.

Wie soll er nun aber zu einer solchen Erkenntnis oder Vermutung gelangen? - Aus der Natur der Phänomene der Liebe, seien sie Phänomene der Lust oder Unlust, des Verlangens, der Furcht oder andere, läßt sie sich nicht schöpfen. Es bleibt also nur übrig, entweder anzunehmen, daß sie ihm angeboren ist oder daß sie, ähnlich wie auch andere Erkenntnisse von Kraftbeziehungen, von ihm der Erfahrung entnommen wird. Das erste wäre offenbar die Annahme einer ganz außerordentlichen Tatsache, die, wenn überhapt irgendetwas, keine Ableitung zuläßt. Das zweite aber, das gewiß von vornherein unvergleichlich wahrscheinlicher ist, setzt deutlich einen besonderen Kreis von Erfahrungen und die Existenz und wirkliche Betätigung einer besonderen Gattung von Kräften voraus, auf welche sich diese Erfahrungen beziehen. Somit ist die Kraft gewisser Phänomene der Liebe zur Verwirklichung der Gegenstände, auf welche sie gerichtet sind, eine Vorbedingung des Wollens und gibt, auch wenn man nicht, wie BAIN es getan hat, das Vermögen zu handeln als das Vermögen des Wollens selbst betrachtet, in gewisser Weise erst die Fähigkeit zu ihm. Da nun diese Kraft zur Äußerung und Betätigung der Liebe und des Verlangens der Fähigkeit zu diesen Phänomenen selbst völlig heterogen ist, und darum nicht mehr, ja eher noch viel weniger aus ihr, als sie aus dem Vermögen der Erkenntnis, ableitbar erscheint: so erscheint natürlich auch die Fähigkeit zum Streben und Wollen als einin ganz vorzüglicher Weise unableitbares Vermögen, obwohl die Unmöglichkeit der Ableitung nicht darin ihren Grund hat, daß die betreffenden Phänomene selbst einen vin den übrigen Phänomenen der Liebe fundamental verschiedenen Charakter zeigen.

Im Gegenteil wird man bei näherer Erwägung finden, daß sie hier aufs Neue ein Zug der Verwandtschaft der Willensphänomene mmit anderen Erscheinungen der Liebe und des Verlangens offenbart. Wenn das Wollen die Erfahrung eines Einflusses von Phänomenen der Liebe zur Hervorbringung des geliebten Gegenstandes voraussetzt, so setzt es offenbar voraus, daß auch Phänomene der Liebe, welche kein Wollen genannt werden können, ähnlichc wie das Wollen, wenn auch vielleicht in einem schwächeren Grad, sich als wirksam erweisen. Denn würde sich eine solche Einwirkung ausschließlich an das Wollen knüpfen, so würde man in einen verhängnisvollen Zirkel verwickelt. Das Wollen würde die Erfahrung des Wollens voraussetzen, während natürlich umgekehrt auch diese das Wollen voraussetzt. Anders, wenn auch schon das bloße Verlangen nach gewissen Ereignissen ihr Eintreten zur Folge hat; es kann dann mit der Modifikation, welche ihm die Kenntnis von dieser Kraftbeziehung gibt, d. h. als Wollen sich wiederholen.

Mögen diese Andeutungen genügen, bis wir uns später eingehend mit dem Problem der Entstehung des Wollens beschäftigen werden.

Wenn wir aus einer früher betrachteten Äußerung KANTs über die Eigentümlichkeit der Gefühle den Zusammenhang seiner Klassifikation mit der Zugehörigkeit gewisser Phänomene der Liebe zum inneren Bewußtsein erkannten, so weisen andere, und nicht wenige, sehr deutlich auf die eben betrachteten Verhältnisse hin. Hat doch KANT das Begehrungsvermögen geradezu als das "Vermögen durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein" definiert und an derselben Stelle, an welcher er von einer Beziehung von Vorstellungen "bloß aufs Subjekt" redet, hinsichtlich welcher sie "im Verhältnis zum Gefühl der Lust betrachtet werden", spricht er von einer anderen, "objektiven Beziehung, da sie, zugleich als Ursache der Wirklichkeit dieses Objekts betrachtet, zum Begehrungsvermögen gezählt werden". Nun fällt aber die Abgrenzung der beiden Klassen, welche sich ergibt, wenn man die inneren Phänomene der Liebe als Gefühle zusammenfaßt und allen übrigen entgegenstellt, keineswegs mit jener zusammen, zu welcher man gelangt, wenn man das Streben nach einem Gegenstand, das die besprochene Kraftbeziehung als bekannt voraussetzt, von allen übrigen Phänomenen der Liebe scheidet. Daher finden wir bei KANT jene befremdende Behauptung, daß jeder Wunsch, und wenn es ein anerkannt unmöglicher wäre, wie z. B. der Wunsch Flügel zu haben, schon ein Bestreben ist, das Gewünschte zu erlangen und die Vorstellung der Kausalität unserer Begehrung enthält (25). Sie ist ein verzweifelter Versuch die Grenzlinie der beiden Klassen, so wie die eine Rücksicht sie verlangt, auch mit den anderen in Einklang zu bringen. Andere haben es vorgezogen, die Klasse der Gefühle weiter und bis zur Grenze des eigentlichen Wollens auszudehnen; und wieder andere haben jeder der beiden Klassen mehr oder weniger beträchtliche Teile von diesem Zwischengebiet zugewiesen. Daher die Unsicherheit der Grenzscheidung, die wir gefunden haben.

§ 11. Wir sagten, zu den psychischen Gründen, die in der eigentümlichen Natur der Phänomene selbst liegen, sind sprachliche Anlässe hinzugekommen.

ARISTOTELES, welcher die Einheit unserer dritten Grundklasse richtig erkannt hatte, bezeichnete sie, wie wir hörten, mit dem Namen Begehren (orexis). Der Ausdruck war wenig passend gewählt (26); denn nichts liegt dem Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens ferner, als die Freude ein Begehren zu nennen. Doch dies hinderte nicht, daß das Mittelalter sich hier wie in so mancher anderen Beziehung von der Autorität des "Philosophen" und seiner Übersetzer leiten ließ und das Vermögen zu den sämtlichen hierher gehörigen Akten als "facultas appetendi" [Begehrungsvermögen - wp] bezeichnete (27); und an die Ausdrücke der Scholastiker schloß sich später WOLFF bei der Unterscheidung seines Erkenntnis- und Begehrungsvermögens an. Da nun der Name Begehren im Leben eine viel zu enge Bezeichnung hat, als daß er alle psychischen Phänomene außer denen des Denkens umfassen könnte, so lag der Gedanke nahe, daß es Phänomene gibt, die in den bisher aufgestellten Klassen nicht inbegriffen sind und daß somit diesen eine neue Klasse koordiniert werden muß. Daß wirklich auch dieser Umstand nicht ohne Einfluß blieb, zeigt eine früher aus HAMILTON angeführte Stelle (28).

§ 12. Wir sagten aber, die Täuschung hinsichtlich der Einheit dieser Klasse psychischer Phänomene habe auch noch eine dritte Art von Ursachen gehabt; in früheren Untersuchungen begangene Fehler haben hier nachteilig eingewirkt.

Der Irrtum, den wir hier vorzüglich im Auge hatten, war der, daß man Vorstellung und Urteil als Phänomene derselben Grundklasse betrachtete. Man fand die drei Ideen (wie man sie oft mit Auszeichnung nennt) des Wahren, Guten und Schönen; und sie schienen einander koordiniert. Man glaubte, sie müßten eine Beziehung zu drei koordinierten, grundverschiedenen Seiten unseres Seelenlebens haben. Die Idee des Wahren teilte man dem Erkenntnisvermögen, die Idee des Guten dem Begehrungsvermögen zu; da war dann das dritte Vermögen, das der Gefühle, eine willkommene Entdeckung, um ihm die Idee des Schönen als seinen Anteil zuzuweisen. So ist schon bei MENDELSSOHN, wo er von den drei Seelenvermögen spricht, vom Wahren, Guten und Schönen die Rede. Und KANT wird es von späteren Vertretern einer ähnnlichen Dreiteilung zum Vorwurf gemacht, daß er das Gefühl der Lust und Unlust "einseitig auf das ästhetische Geschmacksurteil" beschränte, und ebenso "das Begehrungsvermgen nicht als rein psychologische Kraft, sondern in Beziehung zum Ideal des Guten, dem es dienen soll, betrachtete". (29)

Bei einer genaueren Untersuchung, ob die Verteilung des Wahren, Guten und Schönen auf die drei Klassen des Erkenntnis-, Begehrungs- und Gefühlsvermögens wirklich zu rechtfertigen ist, wird sich freilich manches Bedenken erheben.

Wir haben früher eine Stelle von LOTZE angeführt, worin dieser Denker, der doch selbst Willen und Gefühl als Grundvermögen scheidet, "die sittlichen Grundsätze jeder Zeit" als "Aussprüche eines wertempfindenden Gefühls" bezeichnet. In der Tat hat HERBART (30) die ganze Ethik, wie einen besonderen Zweig, der Ästhetik als der allgemeineren Wissenschaft zugewiesen, so daß bei ihm das Ideal des Guten ganz in dem des Schönen unterzugehen droht, oder sich doch als eine besondere Gestaltung dem umfassenderen Gedanken unterordnet.

Andere haben einen entgegengesetzten Versuch gemacht; sie haben das Schöne unter den Begriff des Guten gestellt, wie z. B. THOMAS von AQUIN, indem er sagt, gut sei das, was gefällt, schön das, dessen Erscheinung gefällt. Hier wird zunächst die Erscheinung des Schönen als etwas Gutes betrachtet und dann natürlich ist auch das, was die Erscheinung hervorruft, im Hinblick darauf ein Gut. In der Tat gehört die Schönheit in diesem Sinne ohne Zweifel unter die Güter; aber auch von der Wahrheit muß Ähnliches gesagt werden; und somit scheint der Charakter des Begehrenswerten allen dreie gemeinsam zu sein, wie es ja auch darum, weil es sich um drei Ideale handelt, nicht anders denkbar ist.

Es tut also not, in einer etwas anderen Weise die Dreiheit des Schönen, Wahren und Guten zu fassen, und es wird sich dann zeigen, daß sie wirklich zu einer Dreiheit der Seiten unseres Seelenlebens in Beziehung steht; nnicht aber zu Erkenntnis, Gefühl und Willen, sondern zu jener Dreiheit, die wir in den drei Grundklassen der psychischen Phänomene unterschieden haben.

Jede Grundklasse von psychischen Phänomenen hat eine ihr eigentümliche Gattung von Vollkommenheit; und diese gibt sich in einem inneren Gefühl, welches, wie wir sahen, jeden Akt begleitet, zu erkennen. Den vollkommensten Akten jeder Grundklasse wohnt eine darauf bezügliche, wie wir sagen, edle Freude inne. Die höchste Vollkommenheit der vorstellenden Tätigkeit liegt in der Betrachtung des Schönen, sei diese nun durch die Einwirkung des Objekts unterstützt oder von einer solchen unabhängig. An sie knüpft sich der höchste Genuß, welchen wir in der vorstellenden Tätigkeit als solcher finden können. Die höchste Vollkommenheit der urteilenden Tätigkeit liegt in der Erkenntnis der Wahrheit; am meisten natürlich in der Erkenntnis solcher Wahrheiten, die uns mehr als andere eine reiche Fülle des Seins offenbaren. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn wir ein Gesetz erfassen, durch welches, wie durch das Gesetz der Gravitation, mit einem Schlag ein weites Gebiet von Erscheinungen erklärt wird. Darum ist das Wissen eine Freude und ein Gut ansich und abgesehen von allem praktischen Nutzen, den es gewährt. "Alle Menschen verlangen von Natur aus nach dem Wissen", sagt der große Denker, der mehr als viele andere die Freuden der Erkenntnis verkostet hat. und wiederum sagt er: "die erkennende Betrachtung ist das Süßeste und Beste". (31) Die höchste Vollkommenheit der liebenden Tätigkeit endlich liegt in der durch Rücksicht auf eigene Lust und eigenen Gewinn ungehemmten freien Erhebung zu höheren Gütern, in der opferwilligen Hingabe ihrer selbst an das, was um seiner Vollkommenheit willen mehr und über alles liebenswürdig ist, in der Übung der Tugend oder der Liebe des Guten um seiner selbst willen und nach dem Maß seiner Vollkommenheit. Die Freude, die der edlen Handlung und überhaupt der edlen Liebe innewohnt, ist es, die in ähnlicher Weise dieser Vollkommenheit, wie die Freuden der Erkenntnis und der Betrachtung des Schönen der Vollkommenheit der anderen beiden Seiten des Seelenlebens, entspricht. Das Ideal der Ideale besteht in der Einheit alles Wahren, Guten und Schönen, d. h. in einem Wesen, dessen Vorstellung die unendliche Schönheit und in ihr wie in ihrem unendlich überragenden Urbild alle denkbare endliche Schönheit zeigt; dessen Erkenntnis die unendliche Wahrheit und in ihr wie in ihrem ersten und allgemeinen Erklärungsgrund alle endliche Wahrheit offenbart; und dessen Liebe das unendliche, allumfassende Gut und in ihm jedes andere liebt, welches in endlicher Weise an der Vollkommenheit teilhat. Das, sage ich, ist das Ideal der Ideale. Und die Seligkeit aller Seligkeiten bestände im dreifachen Genuß dieser dreifachen Einheit, indem die unendliche Schönheit angeschaut und aus ihrer Anschauung durch sich selbst als notwendige und unendliche Wahrheit erkannt und als unendliche Liebenswürdigkeit offenbar geworden mit gänzlicher und notwendiger Hingabe als das unendliche Gut geliebt würde. Dies ist auch die Verheißung der Seligkeit, welche in der vollkommensten der Religionen, die in der Geschichte aufgetreten sind, im Christentum, gegeben wird; und mit ihm stimmen die größten Denker des Heidentums und namentlich der gottbegeisterte PLATON in der Hoffnung auf ein solches beseligendes Glück überein.

Wir sehen, auch wenn man mit uns das Gefühl als eine Grundklasse verwirft, wenn man nur zugleich im Übrigen unsere Grundeinteilung sich zueigen macht, läßt die Dreiheit der Ideale, des Schönen, Wahren und Guten, sich aus dem System der psychischen Vermögen wohl erklären. Ja, sie wird dadurch erst in voller Weise verständlich gemacht; und selbst bei KANT fehlt es nicht an Äußerungen, welche dafür zeugen, daß nur durch die von uns durchgeführte Beziehung des Schönen zur vorstellenden Tätigkeit ihm die richtige Stellung gegeben wird. Unter vielen will ich hier nur die eine oder andere Stelle aus verschiedenen seiner Schriften hervorheben. In der Kritik der Urteilskraft sagt KANT:
    "Wessen Gegenstandes Form in der bloßen Reflexion über dieselbe als der Grund einer Lust an der Vorstellung eines solchen Objektes beurteilt wird; mit dessen Vorstellung wird diese Lust auch als notwendig verbunden geurteilt, folglich als nicht bloß für das Subjekt, welches diese Form auffaßt, sondern für jeden Urteilenden überhaupt. Der Gegenstand heißt dann schön; und das Vermögen durch eine solche Lust (folglich auch allgemeingültig) zu urteilen, der Geschmack." (32)
In den metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre (1797) wiederholt er nochmals, daß es eine Lust gibt, welche mit gar keinem Begehren des Gegenstandes, sondern mit der bloßen Vorstellung, die man sich von einem Gegenstand macht, schon verknüpft ist und bemerkt:
    "Man würde die Lust, die mit dem Begehren des Gegenstandes nicht notwendig verbunden ist, die also im Grunde keine Lust an der Existenz des Objektes der Vorstellung ist, sondern bloß an der Vorstellung allein haftet, bloß kontemplative Lust oder untätiges Wohlgefallen nennen können. Das Gefühl der letzteren Art von Lust nennen wird Geschmack." (33)
)So bewährt sich unsere Behauptung, daß die Verkennung der fundamentalen Verschiedenheit von Vorstellung und Urteil die Annahme eines anderen fundamentalen Unterschiedes, der nicht wirklich vorhanden ist, vorbereitete; und daß so der erste in der Einteilung der psychischen Phänomene begangene Fehler zur Entstehung des zweiten wesentlich beitrug. Es scheint, als ob dieser Umstand nicht am wenigsten ein störendes Moment geworden ist.

Außerdem wurde der neue Irrtum natürlich auch durch den Mangel an Klarheit über das eigentliche Prinzip der Einteilung begünstigt. Wir haben davon schon früher gesprochen und können uns darum jetzt jedes weitere Wort ersparen.

Was immer sonst noch dazu beigetragen haben mag, daß man Gefühl und Willen irrtümlich für zwei verschiedene Grundklassen psychischer Erscheinungen hielt: die hauptsächlichsten Anlässe der Täuschung haben wir, glaube ich, in der vorausgegangenen Untersuchung zusammengestellt. Sie sind so mannigfach und bedeutend, daß wir uns nicht darüber wundern können, wenn sich auch mancher hervorragende Denker dadurch verführen ließ; und so hoffe ich, wird durch ihre Darlegung das letzte Bedenken gegen die von uns verfochtene Zusammengehörigkeit von Gefühl und Willen verschwunden sein. Dann aber scheint unsere Grundeinteilung überhaupt gesichert. Wir dürfen es daher als feststehend betrachten, daß die psychischen Phänomene nicht mehr und nicht weniger als einen dreifachen fundamentalen Unterschied hinsichtlich ihrer Beziehung zum Inhalt, oder, wie wir uns ausdrücken können, hinsichtlich der Weise des Bewußtseins zeigen; und daß sie hiernach in drei Grundklassen zerfallen: in die Klasse der Vorstellungen, in die der Urteile und in die der Phänomene der Liebe und des Hasses.
LITERATUR - Franz Brentano, Von der Klassifikation der psychischen Phänomene [Neue, durch Nachträge stark vermehrte Ausgabe der betreffenden Kapitel der Psychologie vom empirischen Standpunkt] Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1)Es ist interessant und lehrreich, das vergebliche Bemühen der Psychologen um eine feste Grenzbestimmung zwischen Gefühl und Willen oder Streben zu beobachten. Sie widersprechen dabei dem herkömmlichen Sprachgebrauch; und der eine widerspricht dem anderen, ja nicht selten sogar sich selbst. KANT rechnet schon die hoffnungslose Sehnsucht nach anerkannt Unmöglichem zum Begehrungsvermögen, und ich zweifle kaum, daß er auch die Reue dazu gerechnet haben würde;; und doch stimmt dies ebensowenig mit der gewöhnlichen Weise der Beziehung, da man von einem Gefühl der Sehnsucht spricht, als mit seiner Definition des Begehrungsvermögens als "Vermögens durch seine Vorstellungen Ursache von Wirklichkeiten der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein". HAMILTON wundert sich über die, wie er anerkennt, sehr häufige Konfusion von Erscheinungen der beiden Klassen, da es doch so leicht ist, die natürliche Grenzscheide zwischen ihnen zu erkennen (Lectures on Metaphysics II, Seite 433); aber seine wiederholten Bemühungen, eine genaue Bestimmung dafür zu geben, zeigen, daß dies keineswegs eine leichte Sache ist. Er bestimmt, wie wir schon hörten, daß die Gefühle objektlos im vollen Sinn des Wortes, daß sie "subjektivisch subjektiv" sind (a. a. O. II, Seite 432) während nach ihm die Strebungen alle auf ein Objekt gerichtet sind; und hierin, sollte man meinen, werde man ein einfaches und leicht anwendbares Kriterium besitzen: aber so sicher dies der Fall sein müßte, wenn die Bestimmung der Eigentümlichkeit der Erscheinungen entspräche, so wenig konnte HAMILTON bei ihrer tatsächlichen Unrichtigkeit mit ihr ausreichen; selbst bei den entscheidensten Gefühlen, wie Freude und Trauer, wird eben jeder sagen, auch sie schienen ihm ein Objekt zu haben. Da macht dann HAMILTON noch einen anderen Unterschied obwohl vielleicht nicht ohne einigen Widerspruch zum ersten, gehend; er bestimmt, daß das Gefühl es bloß mit Gegenwärtigem zu tun hat, während sich die Strebung auf Zukünftiges richtet. - "Lust und Unlust", sagt er, "als Gefühle, gehören ausschließlich der Gegenwart an, während die Strebung sich einzig und allein auf die Zukunt bezieht; denn Strebung ist ein Verlangen, ein Trachten, entweder den gegenwärtigen Zustand dauernd zu erhalten, oder ihn gegen einen anderen zu vertauschen" (a. a. O. II, Seite 633). Diese Bestimmungen sind nicht wie die vorigen in der Art verfehlt, daß der einen von ihnen in Wahrheit kein psychisches Phänomen entspricht. Das ist aber auch ihr einziges Lob; denn die Scheidung des Gebietes nach Gegenwart und Zukunft ist sowohl unvollständig wie willkürlich. Sie ist unvollständig, denn wohin sollen wir jene Gemütsbewegungen rechnen, die sich nicht auf Gegenwärtiges oder Zukünftiges, sondern wie die Reue und das Dankgefühl auf Vergangenes beziehen? - Man müßte wohl für sie eine dritte Klasse bilden. Doch das wäre das geringere Übel; viel schlimmer ist die Willkürlichkeit, mit welcher, im Hinblick auf verschiedene Zeitbestimmungen der Objekte, psychische Erscheinungen, die sich vorzüglich nahe stehen, hier in verschiedene Grundklassen zu sondern wären. So z. B. gehen die Phänomene, die man als Wünsche zu bezeichnen pflegt, teils auf Zukünftiges, teils auf Gegenwärtiges, teils auf Vergangenes. Ich wünsche dich oft zu sehen; ich möchte, ich wäre ein reicher Mann; ich wünschte, ich hätte das nicht getan; das sind Beispiele, welche die drei Zeiten vertreten; und wenn die letzten beiden Wünsche unfruchtbar und aussichtslos sind, so bleibt doch, wie KANT, HAMILTONs vorzüglichste Autorität, anerkennt, der allgemeine Charakter des Wunsches dabei gewahrt. Es kann aber sogar geschehen, daß, indem einer wünscht, sein Bruder sei glücklich in Amerika angekommen, sein Wunsch sich auf Vergangenes bezieht, ohne darum auf etwas zu gehen, dessen Unmöglichkeit offenbar ist. Sollen wir nun die psychischen Zustände, welche die Sprache hier unter dem Namen der Wünsche vereinigt, als in keiner Weise enger verwandt betrachten? sollen wir sie voneinander scheiden, um einen Teil mit den Willensakten, einen anderen mit Lust und Unlust, einen dritten mit der für die Vergangenheit zu bildenden Klasse zu vereinigen? Ich glaube, keinem entgeht, wie ungerechtfertigt und widernatürlich ein solches Verfahren wäre. Es ist demnach auch dieser Versuch einer Grenzbestimmung zwischen Gefühl und Willen völlig verunglückt. Kein Wunder daher, wenn die Konfusion zwischen Gefühlen und Strebungen, die HAMILTON an andern tadelte, ihm selbst in keiner Weise erspart bleibt. Hört man die Begriffsbestimmungen, die er von den spezielleren Erscheinungen gibt, so wird man oft schwerlich erraten, zu welcher von seinen zwei Grundklassen er die eine oder andere rechnen wollte. Die Eitelkeit definiert er als "den Wunsch anderen zu gefallen aus Begierde von ihnen geachtet zu werden" und rechnet sie - zu den Gefühlen (a. a. O. II, Seite 519); und ebendazu rechnet er die Reue und die Scham, d. h. "sich die Furcht und Sorge, die Mißachtung anderer zuzuziehen"; als ob nicht bei beiden ihre Richtung auf ein Objekt, und - bei der einen ansich schon, bei der anderen nach der Definition, die HAMILTON gibt - ihre Beziehung auf etwas nicht Gegenwärtiges auf das Deutlichste ersichtlich wäre. Dieser vollständige Mißerfolg eines so angesehenen Denkers bestätigt, glaube ich, in einer schlagenden Weise, was ich über den Mangel einer von der Natur selbst vorgezeichneten, deutlichen Abgrenzung zwischen den angeblichen zwei Grundklassen bemerkt habe.
    2) HERMANN LOTZE, Mikrokosmus, Bd. I, erste Auflage, Seite 280.
    3) vgl. MOSES MENDELSSOHN, Gesammelte Schriften IV, Seite 122f
    4) ARISTOTELES, De Anim. III, 10. Eth. Nic. I, 1. Metaph. A, 7. Vgl. auch Rhet. I, 6.
    5) ARISTOTELES, Metaphysik A, 10 und anderwärts.
    6) THOMAS von AQUIN, Summ. Theol. P. I. Q. 80. A. 1 ad 2.
    7) LOTZE, Mikrokosmus I, erste Auflage, Seite 261
    8) LOTZE, ebd. Seite 277.
    9) LOTZE, Mikrokosmus, a. a. O., Seite 268
    10) So setzte er in der eben mitgeteilten Stelle die Billigung durch das Gefühl als eine "andere Weise der Billigung" jeder Anerkennung einer Wahrheit entgegen. Und Seite 262 sagt er, die Gefühle der Lust oder Unlust würden "immer von uns auf irgendeine unbekannte Förderung oder Störung gedeutet werden". Die Annahme folgt also erst dem Fühlen, wenn auch vielleicht auf dem Fuß. - Fragen wir aber, warum jene Gefühle immer so gedeutet werden, so bekommen wir von LOTZE, wie mir scheint, keine ganz genügende Antwort. Daß die Vorstellung einer Lust ohne eine gleichzeitige Förderung wie die, auf welche wir sie nach LOTZE deuten, eine Kontradiktion enthalten würde, scheint nicht seine Ansicht; woher also jene Notwendigkeit oder unüberwindliche Neigung? - Wir, auf unserem Standpunkt, können, glaube ich, die Frage beantworten. Mit derselben Notwendigkeit, mit welcher jemand dem Objekt eines anerkennenden oder verwerfenden Urteils infolge dieses Urteils Wahrheit zuschreibt, mit derselben Notwendigkeit schreibt er bei der Ausübung einer Tätigkeit der dritten Grundklasse infolge dieser Tätigkeit ihrem Objekt einen Wert oder Unwert zu (a. a. O., Seite 83). So dann auch bei Lust und Unlust. Haben wir also eine von Lust begleitete sinnliche Empfindung, so schreiben wir der Empfindung einen Wert zu, und insofern ist der Prozeß offenbar notwendig. Wir werden aber alsbald weiter geführt. Indem wir z. B. bemerken, daß die angenehmen Empfindungen von gewissen körperlichen Prozessen abhängen, werden uns notwendig auch diese wegen ihrer Folgen wertvoll sein; und vermöge der eigentümlichen Gesetze, welche wir später für dieses Gebiet der Seelenerscheinungen festzustellen haben, wird es dann geschehen, daß sie allmählich auch ohne eine Berücksichtigung der Folgen Gegenstand unserer Liebe und Wertschätzung werden. Ja, es kann dazukommen, daß wir ihnen Vorzüge beilegen, für deren Annahme wir nicht den mindesten vernünftigen Anhalt besitzen, wie wenn wir ohne jede Erfahrung, daß wohlschmeckende Speisen der Gesundheit zuträglicher sind, ihnen um ihres Wohlgeschmacks willen auch diese guten Eigenschaften zuschreiben. Hat ja der Aberglaube des Volkes im Gold, weil es sich in anderer Hinsicht vielfach wertvoll und nützlich erwies, infolgedessen auch ein treffliches Heilmittel vermutet. Doch gibt es in unserem Fall auch spezifische Erfahrungen, die einen sehr weitgehenden Zusammenhang von Lust und organischer Förderung erkennen lassen und so eine vernünftigere Vermutung gestatten, es möge auch im einzelnen, vorliegenden Fall dasselbe gelten. Auch diese mögen, wenn nicht allgemein, so doch in der Regel zu den vorher besprochenen Motiven hinzukommen und mit ihnen zusammenwirken.
    11) LOTZE, ebd. Seite 280
    12) HAMLILTON, Lectures on Metaphysics, Bd. I, Seite 188
    13) HAMILTON, a. a. O., Bd. II, Seite 434f, besonders Seite 436, Nr. 3 und 4.
    14) KANT, Untersuchung über die Deutlichkeit und Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral, Bd. I, Seite 109, eine Schrift aus dem Jahr 1763.
    15) Einige andere, freilich sehr unfreiwillige neuere Zeugnnisse für den übereinstimmenden Charakter von Gefühl und Willen führt HERBART an. Wenn man die Psychologen nach dem Ursprung der Grenze zwischen Fühlen und Begehren fragt, sagt er: "drehen sich ihre Erklärungen im Zirkel" ... MAASS in seinem Werk über die Gefühle (Seite 39 des ersten Teils) erklärt: Fühlen durch Begehren ("ein Gefühl ist angenehm, sofern es um seiner selbst willen begehrt wird"), aber eben derselbe, in seinem Werk über die Leidenschaften (Seite 2; vgl. Seite 7) sagt: es sei ein bekanntes Naturgesetz, zu begehren was als gut, zu verabscheuen, was als böse vorgestellt wird. Wobei die Frage entsteht, was den gut, und was böse ist? Darauf nun erhalten wir die Antwort: die Sinnlichkeit stellt als gut das vor, wovon sie angenehm affiziert wird usw. Und hiermit sind wir im Zirkel herumgeführt. - HOFFBAUER, in seinem Grundriß der Erfahrungsseelenlehre, fängt die Kapitel vom Gefühlsvermögen und Begehrungsvermögen so an: "Wir sind uns mancher Zustände bewußt, welche wir uns bestreben hervorzubringen, diese nennen wir angenehm; gewisse Vorstellungen erzeugen in uns das Bestreben ihren Gegenstand wirklich zu machen, dies nennen wir Begehren" usw. Hier ist einerlei Grund, das Bestreben, den Gefühlen und Begierden untergelegt. (Lehrbuch zur Psychologie, Teil 2, Abschnitt 1, Kapitel 4, § 96)
    16) siehe meine Psychologie vom empirischen Standpunkt, Buch II, Kap. 3, § 6 und ARISTOTELES, Rhetorik I, 11, besonders Seite 1370, a, 16; II, 4, Seite 1381, a, 6.
    17) THOMAS von AQUIN, Summ. Theol. P. II, 1. Q. 26f.
    18) LOTZE, Mikrokosmus I, erste Auflage, Seite 280
    19) KANT und HAMILTON haben freilich die Konsequenz nicht gezogen: aber einerseits waren sie bei ihren Versuchen wenig glücklich, andererseits so weit sie Erfolg hatten, geben sie dadurch nur selbst gegen ihren Grundgedanken eines fundamentalen Klassenunterschieds Zeugnis. So KANT, wenn er das Wohlgefallen des Willens, als Wohlgefallen am Sein, dem Wohlgefallen des Gefühls als dem uninteressierten Wohlfgefallen, welches durch die bloße Vorstellung befriedigt ist, gegenüberstellt.
    20) Im fünften Buch werden wir uns eingehend mit der Frage zu beschäftigen haben.
    21) Auch an die Unterschiede von evident und nicht evident, apodiktisch und bloß assertorisch und noch andere mehr wäre hier zu denken.
    22) Es ist richtig, daß die Namen Tugend und Schlechtigkeit von uns in einem zu engen Sinn gebraucht zu werden pflegen, als daß man von jedem Akt der Liebe oder des Hasses sagen könnte, er sei tugendhaft oder schlecht. Nur gewisse ausgezeichnete Akte, in welchen das wahrhaft Liebenswürdige geliebt, das wahrhaft Hassenswürdige gehaßt wird, ehren wir mit dem Namen Tugend: und ebenso legen wir nur gewissen ausgezeichneten Akten, in welchen ein entgegengesetztes Verhalten stattfindet, den Namen "Schlechtigkeit" bei. Akte von Liebe und Haß, bei welchen ein entsprechendes Verhalten selbstverständlich erscheint, werden wir nicht als tugendhaft bezeichnen. Wir könnten vielleicht zeigen, wie sich die Begriffe zu einer vollkommen allgemeinen Anwendbarkeit entschränken lassen. Doch genügt es uns hier, dargetan zu haben, daß sie so, wie man sie gemeinhin anwendet, wenigstens der üblichen Unterscheidung von Gefühl und Willen keine Stütze bieten.
    23) Als solcher war Buch V in Aussicht genommen.
    24) HAMILTON, Lectures on Metaphysics II, Seite 436f. Vgl. auch LOTZE, Mikrokosmus I, erste Auflage, Seite 261f.
    25) KANT, Kritik der Urteilskraft, Einleitung III, Anm.
    26) ARISTOTELES wurde auf ihn wahrscheinlich durch eine verallgemeinernde Zusammenfassung von thymos [Lebenskraft - wp] und epithymia [Begierde, Sehnsucht - wp] geführt, die in PLATONs Einteilung neben dem logismos erscheinen; ein Zeichen mehr für die Wahrheit unserer früheren Bemerkung, daß sich die Grundeinteilungen des ARISTOTELES sämtlich aus der platonischen entwickelt haben. Nach anderen Seiten hin ist der Zusammenhang ohnehin unverkennbar.
    27) Nur einzelne Male zeigen sich Spuren von Emanzipation, wie z. B. bei THOMAS von AQUIN, wenn er (Summ. Theol. P. I, Q. 37, art. 1 und öfter) den Ausdruck "amare" als allgemeinsten Klassennamen gebraucht.
    28) HAMILTON, Lectures on Metaphysics II, Seite 240 (vgl. oben Kap. 1, § 4)
    29) JÜRGEN BONA-MEYER, Kants Psychologie, Seite 120
    30) Im Grunde genommen schon ADAM SMITH, wenn anders KANT Recht hat, indem er sagt, schön sei, was ein uninteressiertes Wohlgefallen erregt.
    31) ARISTOTELES, Metaphysik, A, 1; A, 7.
    32) KANT, Kritik der Urteilskraft, Einleitung IV
    33) KANT, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Kap. I. - Auch THOMAS von AQUIN, der, wie überhaupt die Peripatetische Schule, den Fehler der Vereinigung von Vorstellung und Urteil in derselben Grundklasse mit KANT gemein hatte, gibt in der oben mitgeteilten Stelle von der Beziehung des Schönen zur Vorstellung Zeugnis.