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SIMON BRYSZ
Das Ding ansich
[4/4]

"Es ist unmöglich, die Vereinigung, die Herr  Kant  stiften will, deutlich mit kurzen Worten vorzustellen, unmöglich, glaube ich, sie deutlich einzusehen. Aber das ist deutlich, daß der Verfasser  gewisse Sätze für höher und heiliger hält als sein System  und daß er bei gewissen Entscheidungen mehr Rücksicht auf die Folgen nahm, die er durchaus stehen lassen wollte, als auf die Prinzipien, die er festgesetzt hatte."

"Die strikte Durchführung des  Kopernikanischen Gedankens,  daß die Dinge sich nach den Begriffen richten müssen, hätte zu dem Ergebnis führen müssen, daß jede Bewegung, Lage oder jedes besondere Verhältnis unter den Erscheinungen durch den spontanen Verstand geschaffen werden. Denn das Erfahrungsmaterial müßte uns völlig ungeordnet gegeben werden, damit es sich den apriorischen Formen fügt. Dann dürfte es aber gar keine empirische Gesetzmäßigkeit, sondern nur reine Erkenntnisse geben."

"Es geht ein anderes Urteil voraus, ehe aus Wahrnehmung Erfahrung werden kann. Neben dieser metaphysischen Deduktion versucht  Kant  die  Rechtmäßigkeit  der Kategorien zu beweisen, indem er zeigt, daß die Kategorien es sind, die allererst unseren Wahrnehmungen die Beziehung auf ein Objekt verschaffen."



Wie ist das Ergebnis der Deduktion mit der
Möglichkeit empirischer Gesetze in Einklang
zu bringen?

Kaum sind wir zum Schluß der Deduktion gelangt, und schon erhebt sich eine Schwierigkeit, an der das ganze Gebäude der kantischen Erkenntnistheorie zu zerschellen droht. es ist dies das nämliche Problem, das uns schon bei der Auseinandersetzung über die transzendentale Ästhetik beschäftigt hat, jedoch mit einer kleinen Modifikation. Dort interesierte uns hauptsächlich die Frage, ob und wie die bunte Mannigfaltigkeit der empirischen Formen aus der reinen Form der Anschauung abgeleitet werden kann. Hier hingegen ist die Frage der Ableitung gegenstandslos, denn das bloße Vorhandensein einer empirischen Gesetzmäßigkeit bereitet die hier in Betracht kommenden Schwierigkeiten. Am Schluß beider Deduktionen sagt KANT:
    "Auf mehrere Gesetze ... wie die, auf denen eine  Natur überhaupt  als Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit beruth, reicht auch das reine Verstandesvermögen nicht aus, durch bloße Kategorien den Erscheinungen  a priori  Gesetze vorzuschreiben. Besondere Gesetze, weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, können davon  nicht vollständig  abgeleitet werden, ob sie gleich alle insgesamt unter jenen stehen. Es muß Erfahrung dazu kommen, um die letzteren überhaupt keinen zu lernen." (1)
Und ebenso in der ersten Auflage:
    "Es können empirische Gesetze ... ihren Ursprung keineswegs vom reinen Verstand herleiten, so wenig wie die unermeßliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen aus der reinen Form der sinnlichen Anschauung hinlänglich begriffen werden kann." (2)
Die apriorische Erkenntnis von der Natur in einem formalen Sinn beschränkt sich also nur auf die Gültigkeit der Kategorien. Diese Gültigkeit genügt zwar vollständig, um auf ihr eine Naturwissenschaft aufzubauen; wie ist jedoch das Vorhandensein und die Möglichkeit empirischer Gesetze mit der sonstigen Lehre KANTs in Einklang zu bringen? Die Voraussetzung für die Gültigkeit der Kategorien war, daß die Erscheinungen die Ordnung annehmen müssen, die ihnen der Verstand vorschreibt. (3) Gibt es aber in der Erfahrung Verhältnisse, die ihren Ursprung nicht vom Verstand herleiten können, sondern aus der Erfahrung geschöpft werden müssen, so ist damit zugleich zugegeben, daß die Erscheinungen eine ihnen eigentümliche Gesetzmäßigkeit haben. Und es entsteht jetzt die Frage: worauf beruth die notwendige Übereinstimmung dieser aposteriorischen, besonderen, von den jeweiligen empirischen Bestimmungen abhängenden Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen mit der apriorischen, allgemeinen von uns aus geschaffenen? War ja doch der Ausgangspunkt der Deduktion der Gedanke, daß die Verbindung von uns geschaffen wird. Dies konnte nicht so gemeint sein, daß wir die Erscheinungen so verbinden müssen, wie ihre empirischen Bestimmungen gebieten, weil dann alle Erkenntnis a posteriori sein müßte. Die Spontaneität des Verstandes muß daher unbedingt ursprünglich sein. Wird aber jetzt wiederum den Erscheinungen eine Art Autonomie zugestanden, so ist damit das Prinzip der Deduktion vernichtet. Denn daß die Erscheinungen in einer begrifflichen Form ins Bewußtsein kommen müssen, hat noch gar keine Bedeutung für die Art ihrer Affinität. - Daß die mannigfachen  sinnlichen Formen,  so verschieden sie auch sein mögen, mit der Form des Raums übereinstimmen müssen, ist klar, weil sie sonst überhaupt nicht erscheinen könnten, da die Anschauungsform nur subjektiv ist. Hingegen brauchen die besonderen empirischen Verhältnisse mit den allgemeinen Gesetzen des Verstandes nicht übereinzustimmen, weil sie trotzdem gedacht werden könnten. Ich kann z. B. in einer Zauberbude eine ganze Reihe von Zauberkünsten apprehendieren, ohne daß dadurch die Einheit meines Selbstbewußtseins im mindesten gestört wird. Wenn ferner nach KANTs Lehre die Erscheinungen hinsichtlich ihrer  Qualität,  die er Empfindung nennt, durch die Objekte bestimmt werden, so wird dadurch die Apriorität der Kategorien auch noch nicht angetastet. Sowie aber die Möglichkeit irgendeiner  Verbindung  durch andere als apriorische Prinzipien zugestanden wird, so ist die Gültigkeit der Kategorien nicht mehr einzusehen. Denn die besonderen Gesetze stehen mit den apriorischen in einer Reihe und unterscheiden sich voneinander nur hinsichtlich ihrer Allgemeinheit oder Besonderheit; demnach wird jede Abweichung eines besonderen Gesetzes von der allgemeinen Regel - und wenn es nur von empirischen Bestimmungen abhängen soll, so ist eine Abweichung nicht ausgeschlossen - diese Regel in ihrer Allgemeinheit beeinträchtigen. Schließlich, wenn alle Verknüpfung durch den Verstand vollzogen wird, wie kommt es, daß wir zwei Arten von Erkenntnissen haben, eine empirische und eine reine, warum verbindet ein und derselbe Verstand das eine Mal allgemeingültig, das andere Mal aber nicht? Die Einteilung in Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile (4) kann hier keine Auskunft geben, denn man nehme z. B. das Gravitationsgesetz, das zu den empirischen Gesetzen gezählt werden muß, weil es a priori aus dem Verstand nicht abzuleiten ist, und das wohl niemand ein Wahrnehmungsurteil nennen wird. Die Tatsache empirischer Gesetze kann also nur auf die Verhältnisse, die die Substrate der Erscheinungen, die Dinge-ansich bewirken, zurückgeführt werden. Wie kann demnach KANT die Phänomenalität der Erscheinungen als den zureichenden Grund seiner Deduktion ansehen? Wenn wir es mit Dingen zu tun haben, die einer anderen Ordnung als der, die ihnen der spontane Verstand vorschreibt, gehorchen, und wenn trotzdem eine notwendige Übereinstimmung dieser Ordnung mit der allgemeinen apriorischen vorhanden sein soll, so muß ein neues Prinzip gefunden werden, denn das alte reicht nicht mehr aus. Es ist außerdem nicht einzusehen, inwiefern wir es dadurch leichter haben sollten, daß unsere Erscheinungen mit ihren Substraten gar keine Ähnlichkeit haben. Soll die Tatsache, daß die Kategorien nicht von der Erfahrung abgeleitet sind, schon zur Konstruktion einer Wissenschaft genügen, selbst wenn die Erscheinungen, mit denen es die Wissenschaft zu tun hat, ihren eigenen besonderen empirischen Bestimmungen unterworfen sind, so könnten die letzteren getreue Abbilder ihrer Substrate sein, und es müßte trotzdem eine apriorische Erkenntnis von ihnen möglich sein. Denn ihren Charakter als Vorstellungen würden sie auch dann bewahren. Wir stehen also vor folgender Alternative: entweder müssen die Erscheinungen so beschaffen sein, daß die Kräfte unseres Gemüts in  jeder Hinsicht,  also auch hinsichtlich derjenigen Bestimmungen, die wir aus der Natur unseres Verstandes abzuleiten nicht imstande sind, sie formen und ordnen können: dann hätte die Betonung der Phänomenalität der Erscheinungen ihren Sinn; - oder aber, soll den Erscheinungen eine ihne zugrunde liegende, vom Verstand nicht geschaffene Ordnung zugestanden werden, so muß ein neues Prinzip gefunden werden, um die Übereinstimmung dieser empirischen Ordnung mit den allgemeinen Gesetzen des Verstandes erklärlich zu machen.

Bevor wir dieses neue Prinzip in Betracht ziehen, wollen wir noch untersuchen, ob vielleicht KANTs Lehre von der doppelten Kausalität uns irgendeine Aufklärung über unser Problem zu geben vermag.


Die Kausalität durch Freiheit und
die Affinität der Erscheinungen

Die dritte Antinomie behandelt bekanntlich den Widerstreit der Vernunft hinsichtlich der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren Ursachen. Das Gesetz der Kausalität besagt, daß alles, was geschieht, etwas voraussetzt, wonach es nach einer Regel folgt. Auf diesem Gesetz baut sich die dritte Antinomie auf. Sie wird dadurch gegeben, daß nach einer ersten Ursache gefragt wird. Die Thesis behauptet: es muß neben der Kausalität nach Gesetzen der Natur noch eine Kausalität durch Freiheit angenommen werden. Wir haben z. B. eine Reihe von Erscheinungen  a, b, c ...,  die eine Kausalreihe bildet, indem  a  die Ursache von  b, b  die von  c  usw. darstellt. Wenn wir von  a  aus einen Regressus unternehmen wollen, so würden wir eine ganze Unendlichkeit von Ursachen und deren Vorursachen durchlaufen, ohne jemals zu einer  bestimmten  Ursache zu gelangen.
    "Nun besteht aber eben darin das Gesetz der Natur, daß ohne hinreichend  a priori  bestimmte Ursache nichts geschieht." (5)
Also widerspricht der Grundsatz der Kausalität sich selbst. Es muß daher eine Kausalität angenommen werden, bei der die Ursache nicht wiederum durch eine andere hervorgebracht zu werden braucht, nämlich eine Kausalität durch Freiheit. (6)

Die Antithesis dagegen behauptet: es gibt keine andere Kausalität als die der Naturnotwendigkeit. Denn mit dem Moment, wo man eine erste Ursache setzt, hat man das Kausalgesetz durchbrochen und man hat kein allgemeingültiges Prinzip mehr zur durchgängigen Erklärung des Naturgeschehens.

KANT löst diese Antinomie auf, indem er zeigt, daß sowohl Thesis wie Antithesis Recht behalten, wenn beide von den richtigen Standpunkten aus gedacht sind. Die Ästhetik hat gezeigt, daß die Gegenstände der Erfahrung nur Erscheinungen sind, die ansich in ihrer räumlich-zeitlichen Bestimmtheit gar nicht existieren. Sie sind bloße Vorstellungen von Dingen-ansich, von denen die sinnlichen Formen gar nicht prädiziet werden können. Wird diese dort festgelegte Unterscheidung von Ding-ansich und Erscheinung eingehalten, so ist die Möglichkeit vorhanden, die Antinomie zu beseitigen.

Die Antithesis, die unter keinen Umständen eine Unterbrechung in der Kausalreihe zuläßt, ist gültig, solange von Erscheinungen gehandelt wird. Der Regressus kann uns aber zu keiner zeitlich ersten Ursache führen, weil die Zeit die Form unserer Anschauung ist. Daher wird, so oft etwas erscheint, es in der Zeit auftreten, ohne daß jemals ein erster Anfang gegeben werden könnte. Die Erscheinungen sind jedoch nur die eine Seite des Seins. Ihnen liegen Dinge ansich zugrunde. Von diesen dürfen wir zwar nichts erkennen; es liegt jedoch nichts im Weg, auch von ihnen sich eine Art Kausalität zu denken. Von vornherein ist klar, daß diese Kausalität von allem Empirischen frei sein wird, denn mit der Zeitlichkeit ist zugleich jede Veränderung, jedes Geschehen von den Dingen-ansich ausgeschlossen. Man wird sich daher von ihnen eine Kausalität durch Freiheit zu denken haben. Durch die Annahme einer derartigen Kausalität würde aber mit einem Schlag zwei Probleme gelöst werden. Erstens würde dadurch die kosmologische Freiheit ermöglicht werden, d. h. das Vermögen der Dinge-ansich einen Zustand von selbst anzufangen. Würde aber diese Art von Freiheit zugelassen, so bedürfte es nur noch eines weiteren Schrittes, um
    "mitten im Lauf der Welt  verschiedene Reihen  der Kausalität nach von selbst anfangen zu lassen und den Substanzen derselben ein Vermögen beizulegen aus Freiheit zu handeln." (7)
Dadurch würde auch das weitaus wichtigere Problem der praktischen Freiheit (Unabhängigkeit von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit) lösbar. Da nun die empirische und intelligible Kausalität ihre verschiedenen Gebiete haben, so stören sie einander nicht, und sowohl Thesis wie Antithesis bleiben zu Recht bestehen, wenn die erste sich auf Dinge-ansich, die andere auf Erscheinungen bezieht.

Diese Auflösung unserer Antinomie fordert zum Nachdenken auf. Es ist zunächst unverständlich, warum KANT diese Antinomie nicht in der gleichen Weise aufgelöst hat, wie die beiden mathematischen. Jener Widerstreit wurde aufgehoben, indem gezeigt wurde, daß jede Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Welt als Ganzes müßig ist, da Raum und Zeit lediglich subjektive Formen unserer Sinnlichkeit sind. Es hat deshalb keinen Sinn zu fragen, ob etwas, was uns niemals in seiner Totalität als Erscheinung gegeben werden kann, endlich oder unendlich ist, da es als Nicht-Erscheinung nicht einmal räumlich oder zeitlich ist. (8)

Ganz analog hätte die Frage nach der Kausalität desjenigen, was dem Geschehen zugrunde liegt, beantwortet werden können. Wenn die mathematischen Antinomien durch die Berufung auf den transzendentalen Idealismus aufgelöst werden konnten, so hätten beide dynamischen (9) durch den Hinweis auf das Resultat der Analytik beseitigt werden können. Hat nämlich die Ästhetik gezeigt, daß Raum und Zeit keine Eigenschaften der Dinge selbst sind, - so war es der Grundgedanke der kritischen Grenzbestimmung unserer Erkenntnis in der Analytik, daß Kategorien von keinem anderen als empirischem Gebrauch sein dürfen. (10) Wie kann demnach nach der Kausalität des Unbedingten gefragt werden - denn nur darum ist es in den dynamischen Antinomien zu tun - wenn Ursachsein nur bei Erscheinungen stattfindet, die ganze Frage also müßig ist? Eine derartige Lösung unseres Problems hätte den Vorzug gehabt, daß sie erstens zu keiner problematischen Annahme - wie KANT dies selbst hervorhebt - einer intelligiblen Kausalität Zuflucht zu nehmen brauchte. Andererseits würde aus der so aufgefaßten dynamischen Antinomie ein indirekter Beweis für die kritische Tendenz der Analytik herfließen, ähnlich wie die mathematischen Antinomien eine mittelbare Bestätigung der Lehre der transzendentalen Ästhetik abgegeben haben.

Es müssen daher wichtige Gründe vorhanden gewesen sein, die KANT veranlaßt haben, die vorliegende unerwartete Auflösung anstelle der vom kritischen Standpunkt allein berechtigten vorzunehmen. Solche Gründe lassen sich in der Tat finden. Auch hier war es das praktische Interesse, das das theoretische überwog. (11) Mit dem Problem der kosmologischen Kausalität war für KANTs Bewußtsein dasjenige der praktischen Freiheit unzertrennlich verbunden. Die psychologische Seite unseres Problems ist es ja gerade, die von jeher der Philosophie die größten Schwierigkeiten bereitet hat. Die praktische Freiheit war jedoch ohne die Annahme einer intelligiblen Kausalität gar nicht zu retten. (12)

Aber das kosmologische Problem selbst hat für KANT eine besondere Bedeutung gewonnen. Die dritte Antinomie durfte nicht anders gelöst werden, sollte der transzendentale Idealismus in seinem ganzen Umfang aufrechterhalten bleiben. Die Voraussetzung einer intelligiblen Welt als Ursache der phänomenalen - die, wie wir gesehen haben, KANT niemals verlassen hatte - hat es erforderlich gemacht, die Art ihrer Einwirkung auf das wahrnehmende Subjekt in irgendeiner Weise zu erklären. Die gewöhnliche, empirische Kausalität mußte sich zu dieser Erklärung als untauglich erweisen. Kategorien dürfen nur auf Erscheinungen angewandt werden, weil das Zeitmoment, das in jedem empirischen Geschehen enthalten ist, bei einem intelligiblen Gegenstand wegfallen muß. Mit der Setzung der Dinge-ansich war also zugleich stillschweigend eine intelligible Kausalität angenommen, die jetzt gleichzeitig zur Lösung des Problems der praktischen Freiheit gedient hat.

Um nun zu unserer besonderen Frage, des Verhältnisses der empirischen Affinität der Erscheinungen zur Kausalität durch Freiheit zu gelangen, ist es notwendig, einen Punkt zu besprechen, der, soweit ich sehe, von der Interpretation niemals mit genügender Deutlichkeit hervorgehoben worden ist. Die größte Schwierigkeit in der Lehre von der doppelten Kausalität hat von jeher der Umstand bereitet, daß man sich nicht vorstellen konnte, wie es möglich ist, ein und dasselbe Geschehen einerseits als frei, andererseits als dem Naturgesetz gehorchend anzusehen. Man verstand KANTs Lehre so, als ob nach ihm unter den Dingen-ansich selbst Freiheit herrscht; dasselbe Verhältnis aber ins Empirische übersetzt, durch die empirische Kausalität ausgedrückt wird. Indessen trifft diese Auffassung nur die Lehre von der praktischen Freiheit: die kosmologische Kausalität muß anders aufgefaßt werden. Der richtige Sinn dieser letzten Kausalität kann nur verstanden werden, wenn man sich streng an die Definition der Freiheit hält. Freiheit im kosmologischen Sinn bedeutet das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen. Daraus geht aber hervor, daß diese Freiheit  nicht die Kausalität der Dinge-ansich untereinander,  sondern ihre Kausalität im Verhältnis zum affizierten Subjekt bedeutet. Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung eine Anmerkung KANTs in den  Prolegomena
    "Die Idee der Freiheit findet lediglich im Verhältnis des  Intellektuellen,  als Ursache, zur  Erscheinung  als Wirkung statt. Daher können wir der Materie in Anbetracht ihrer unaufhörlichen Handlung ... nicht Freiheit beilegen, obschon diese Handlung aus einem inneren Prinzip geschieht. Ebensowenig können wir für reine Verstandeswesen, z. B. Gott, sofern seine Handlung immanent ist, einen Begriff von Freiheit angemessen finden. Denn seine Handlung, obgleich unabhängig von äußeren bestimmenden Ursachen, ist dennoch in seiner ewigen Vernunft, mithin in der göttlichen  Natur bestimmt. Nur wenn durch eine Handlung  etwas anfangen  soll, mithin die Wirkung in der Zeitreihe, folglich der Sinnenwelt anzutreffen sein soll (z. B. Anfang der Welt), da erhebt sich die Frage, ob die Kausalität der Ursache selbst auch anfangen muß, oder ob die Ursache eine Wirkung anheben kann, ohne daß ihre Kausalität selbst anfängt ... Hieraus wird der Leser ersehen, daß, da ich Freiheit als das Vermögen eine Begebenheit von selbst anzufangen erklärte, ich genau den Begriff traf, der das Problem der Metaphysik ist." (13)
Aus dieser Darlegung erhellt sich, wie wir uns die Auflösung des kosmologischen Problems zu denken haben. Die Welt läßt sich vom Standpunkt der Erfahrung aus nur als eine empirische Kausalreihe auffassen. Jedes Geschehen muß in ihr eine empirische Ursache haben, die wieder zur Ursache wird für eine künftige Wirkung. Der Regresszs führt zu immer entfernteren Ursachen zurück; aber wie weit wir auch diese verfolgen mögen, immer werden wir auf empirische Ursachen geführt, ohne irgendwann eine solche anzutreffen, die von selbst zu wirken angefangen hätte. Nun hat aber die Kritik gezeigt, daß die ganze Erfahrungswelt ansich in dieser ihrer Beschaffenheit und Gestalt gar nicht existiert. Sie ist nur die Vorstellung, das empirische Abbild eines für unsere Erkenntnis unzugänglichen Reiches von intelligiblen Gegenständen, die weder entstehen noch vergehen.

Der raum-zeitlichen empirischen Kausalreihe steht also ein  X  gegenüber. Beide stehen wiederum zueinander in einem kausalen Verhältnis, in welchem das  X  die Ursache, die empirische Welt die Wirkung ist. Eigentlich ist das  X  mit der empirischen Welt identisch. Denn nur für das wahrnehmende Subjekt spaltet es sich ein eine phänomenale und eine unerkennbare Welt, indem es diesem affizierten Subjekt in der Gestalt der Erfahrung erscheint. Dies alles war, mehr oder weniger deutlich, bereits in der transzendentalen Ästhetik vorgetragen. Werden aber diese Prämissen angenommen, so brauchen wir, um zur intelligiblen Kausalität zu gelangen, gar keine neue Annahme zu machen, sondern können auf rein analytischem Weg das Verhältnis der Dinge-ansich zur Erscheinung bestimmen.

Dieses Verhältnis, haben wir gesagt, ist kausal: das  X  ist die Ursache der Empirie. Diese Kausalität ist jedoch keine empirische, denn die Ursache ist nicht in der Zeit. Dadurch zeigt sie aber die Fähigkeit, einen Zustand von selbst anzufangen, ohne selbst eine andere Ursache zu ihrer eigenen Entstehung zu bedürfen, weil sie ja als zeitlos gar nicht entsteht. Also ist die Kausalität, die das Verhältnis des Dings-ansich zur Erscheinung ausdrückt, eine Kausalität durch Freiheit (14).

Wenn also die Kausalreihe  ... un un+1 un+2 ...  betrachten, so ist es nur Schein, wenn wir glauben,  un+1  ist die Wirkung von  un denn sowohl  un  wie  un+1  sind keine Dinge, sondern bloße Vorstellungen von Dingen, als solche können sie aber einander gar nicht hervorbringen. Vielmehr ist die ganze Kette von Erscheinungen mit samt ihrer gesetzmäßigen Verknüpfung nur  eine  unmittelbare Wirkung eines - oder mehrerer - ihnen zugrunde liegenden  X.  Die ganze Empirie ist der unmittelbare Ausdruck der intelligiblen Welt. Wenn wir demnach einen Regressus zur ersten Ursache unternehmen wollten, so würden wir umsonst die Reihe von  un  bis zu  un-∞  durchzulaufen suchen - wir würden immer nur subalterne Ursachen bekommen. Hingegen genügt der Rückgang zur wirklichen Ursache der Erscheinung - zum Ding-ansich. Wir haben dann keinen weiten Weg zurückzulegen, wenn wir uns auch gestehen müssen, daß wir einen Sprung in die Transzendenz unternommen haben. - Das ist die durchaus begreifliche und - solange nur als problematische Ansicht vorgetragen - vom kritischen Standpunkt zulässige Lösung des Problems der kosmologischen Freiheit. Sie führt, wie gesagt, nichts Neues ein, sie ist nur eine Konsequenz der bereits in der Ästhetik vollzogenen Scheidung der Gegenstände in Phänomena und Noumena.

Ganz anders verhält sich die Sache, wenn man diese Lösung auf das Problem der praktischen oder psychologischen Freiheit überträgt. Dann erheben sich Schwierigkeiten, die den scharfsinnigen Erklärungsversuchen Trotz bieten. Die Lehre von der praktischen Freiheit hat dann auch von Anfang an (15) den eigentlichen Stein des Anstoßes in der Antinomienlehre gebildet. Zwar klingt es sehr plausibel, wenn KANT sagt, daß, wenn man einmal ein Vermögen angenommen hat, das imstande ist, eine Reihe von selbst anzufangen, dann nichts im Weg steht, auch "mitten im Lauf der Welt  verschiedene  Reihen der Kausalität von selbst anfangen zu lassen, und den Substanzen derselben ein Vermögen beizulegen, aus Freiheit zu handeln". Will man aber die Konsequenz dieser weiteren Annahme mit in Kauf nehmen, so scheint es, daß die Naturnotwendigkeit überhaupt geopfert werden muß. (16)

Solange nur gesagt wird, die ganze empirische Kausalkette sei der phänomenale Ausdruck einer intelligiblen Kausalität, so ist dagegen nichts einzuwenden. Sollen aber in dieser Kette selbst hie und da frei handelnde Subjekte eingeschaltet werden, so ist es unbegreiflich, wie das Naturgesetz in seiner Integrität gewahrt bleiben kann. Wenn die praktische Freiheit nur darin bestehen soll, daß unter den sonstigen Dingen-ansich unsere Vernunft ebenfalls als Noumenon von selbst zu handeln anfängt, so ist nicht einzusehen, warum die Handlungen der Vernunft gegenüber der Naturnotwendigkeit eine besondere Wertung erhalten sollten, da doch alles, was geschieht, eigentlich nur der Ausdruck frei handelnder Dinge-ansich ist. Ferner ist das Sollen im Gegensatz zu dem, was bereits geschehen ist, unverständlich, denn es ist nach KANTs ausdrücklicher Lehre nicht möglich, daß die Sinnlichkeit auf eine Vernunft, die  Noumenon  ist, irgendeine Wirkung ausüben könnte, um deren Handlung unfrei zu machen. Schließlich scheinen die Beweise, die KANT für diesen Punkt anführt, nicht zwingend zu sein. Wenn unsere abfällige Beurteilung einer bösen Tat als Beweis für die Möglichkeit freier Handlungen angeführt und behauptet wird: "wenn wir sagen, daß ungeachtet seines ganzen bis dahin geführten Lebenswandels der Täter die Lüge doch hätte unterlassen können, so bedeutet dies nur, daß ... die Vernunft in ihrer Kausalität keinen Bedingungen der Erscheinung ... unterworfen ist" (17), - so kann demgegenüber geltend gemacht werden, daß aus eben dieser Zurechnung mit nicht geringer Evidenz hervorgeht, daß unsere Beurteilung menschlicher Handlungen falsch ist. Übrigens, was bedeuten eigentlich die hier oft angeführten "Bedingungen der Erscheinung", sind sie etwas anderes als der phänomenale Ausdruck einer intelligiblen Gesetzmäßigkeit? Wir brauchen jedoch die Schwierigkeiten, die der Begriff der praktischen Freiheit mit sich führt, nicht weiter auszuführen. Für unseren Zweck müssen wir vielmehr den Sinn der kosmologischen Kausalität näher ins Auge fassen.

Zu diesem Zweck wollen wir unser obiges Schema noch einmal anführen:


Wir haben gesagt, daß die Kausalität durch Freiheit nur das Verhältnis des Intelligiblen zur Reihe der Erscheinungen ausdrücken kann. Dieses Verhältnis wurde durch die vertikalen Pfeile angedeutet. Hingegen haben wir zwei andere Verhältnise außer Betracht gelassen: das Verhältnis der Erscheinungen untereinander und dasjenige der Dinge selbst zueinander. Die kosmologische Freiheit als solche kann auf die Art dieser Verhältnisse keinen Einfluß üben. Nun wissen wir - a priori oder durch Erfahrung, bleibt sich hier gleich -, daß unter den Erscheinungen eine kausale Notwendigkeit herrscht (sie wird in unserem Schema durch die unteren horizontalen, nach rechts gerichteten Pfeile ausgedrückt). Was für Verhältnisse unter den Dingen-ansich herrschen, können wir nicht wissen. Das eine wissen wir jedoch, daß Gesetzmäßigkeit kein ausschließlich empirischer Begriff ist. Man lese noch einmal:
    "Ebensowenig können wir für reine Verstandeswesen, z. B. Gott, sofern seine Handlung immanent ist, einen Begriff von Freiheit angemessen finden. Denn seine Handlung, obgleich unabhängig von äußeren bestimmenden Ursachen, ist dennoch ... in der göttlichen  Natur  bestimmt." (18)
Das Verhältnis der Noumena ist also eine bestimmte Gesetzmäßigkeit (in unserem Schema durch die Doppelpfeile symbolisiert). Nunmehr handelt es sich um die Bestimmung des Verhältnisses, welches zwischen der intelligiblen Gesetzmäßigkeit und der Kausalität der Erscheinungen herrscht. Bewirkt die intelligible Kausalität nur, daß Erscheinungen  sind,  während die notwendigen Gesetze unter ihnen vom spontanen Verstand geschaffen werden; - oder ist sowohl die Existenz, wie die Ursächlichkeit der Erscheinungen ausschließlich durch ihre Substrate und die unter ihnen selbst herrschende Gesetzmäßigkeit bedingt? Für beide Teile der Alternative lassen sich in der Kritik positive Antworten finden. Die Deduktion hat gelehrt, daß  wir  der Natur Gesetze vorschreiben. Hier wiederum fragt KANT, ob es denn nicht möglich ist,
    "daß, obgleich zu jeder Wirkung in der Erscheinung eine Verknüpfung mit ihrer Ursache nach Gesetzen der empirischen Kausalität erfordert wird, dennoch  diese empirische Kausalität selbst ... eine Wirkung einer nicht empirischen, sondern intelligiblen Kausalität  sein könnte." (19)
Und an einer anderen Stelle heißt es noch bestimmter:
    "... ein anderer intelligibler Charakter würde einen anderen empirischen gegeben haben." (20)
Wie sind diese beiden entgegengesetzten Ansichten zu vereinigen? Auch das Problem der empirischen Gesetze fällt noch ins Gewicht. Wäre die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen das Werk des spontanen Verstandes, dann müßte sie sich ingesamt  a priori  aus dem Verstand ableiten lassen. Dies trifft jedoch für die empirischen Gesetze nicht zu. Um sie zu erklären, bleibt also nichts anderes übrig, als auf die Dinge-ansich zu rekurrieren. Ist es aber einleuchtend, daß die mindeste Abweichung eines empirischen Gesetzes von demjenigen des reinen Verstandes, dieses Verstandesgesetzes vernichten würde, so taucht die Frage von neuem auf: auf welchem Prinzip beruth die Übereinstimmung der empirischen, vom Verstand völlig unabhängigen Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen mit den reinen Gesetzen, die der Verstand diesen Erscheinungen vorschreibt? Soll aber die gesamte Naturnotwendigkeit nur der phänomenale Ausdruck der intelligiblen Gesetzmäßigkeit sein, so ist es unbegreiflich, wie noch von einem der Natur Gesetze vorschreibenden Verstand die Rede sein kann. - Wir sehen also, die Auflösung der dritten Antinomie vermag den Widerspruch, der im kantischen System entsteht, wenn empirische Gesetze zugegeben werden, nicht zu lösen. Vielmehr wird dieser Widerspruch durch die genaue Feststellung des Sinnes der intelligiblen Kausalität noch verschärft. Nunmehr wollen wir zusehen, welchen Ausweg KANT findet, als ihm dieses Problem durch die Kritik vor Augen geführt wird, und ob die Einführung des neuen Prinzips, von dem gleich gehandelt werden soll, die Schwierigkeit zu beseitigen vermag.


Die prästabilierte Harmonie
und die empirischen Gesetze

Das Problem der empirischen Gesetze hat KANT in der Kr. d. r. V. selbst noch nicht beunruhigt. Dort heißt es noch:
    "... alle empirischen Gesetze sind nur besondere Bestimmungen der reinen Gesetze des Verstandes, unter welchen und nach deren Norm jene allererst möglich sind und die Erscheinungen eine gesetzliche Form annehmen ..." (21)
Die entsprechende Stelle in der zweiten Auflage ist schon etwas schüchterner gehalten. In den  Losen Blättern  findet sich zwar eine Aufzeichnung, die anscheinend nach dem Jahr 1787 niedergeschrieben worden ist und die zeigt, daß das Problem der empirischen Gesetze KANT zu beunruhigen beginnt. So schreibt er dort:
    "Es müssen  zweierlei  Prinzipien der Einheit  a priori  sein, Einheit der Intellektion (22) der Erscheinungen  a priori,  sofern wir durch sie bestimmt werden, und Einheit der Spontaneität des Verstandes, sofern die Erscheinungen durch ihn bestimmt werden." (23)
Aber auch hier findet sich noch kein Wort darüber, wie diese beiden Prinzipien in eine Einheit der Erfahrungen zusammenstimmen müssen. (24) Jedoch schon zwei Jahre nach dem Erscheinen der 2. Auflage der "Kritik" sieht sich KANT infolge der Einwände MAIMONs gezwungen, eine neues Prinzip in seine Erkenntnistheorie einzuführen. Es ist dies das Prinzip einer  transzendentalen prästabilierten Harmonie  zwischen der Sinnlichkeit und dem Verstand, die vielleicht Gott beim Schöpfungsakt in unser Erkenntnisvermögen gelegt hat. Ein alter Gedanke KANTs, der ihn in der Periode des strengsten Kritizismus nicht verlassen hatte, und der als private Meinung neben dem kritischen  Ignoramus  [Wir können es nicht wissen. - wp] einherging (25). Jetzt wird dieser Gedanke genau präzisiert, und es wird der Versuch gemacht, diese transzendentale prästabilierte Harmonie mit dem Ergebnis der Analytik in Einklang zu bringen.

In einem Brief an HERZ, der für MAIMON bestimmt war, heißt es:
    "Nun fragt Herr MAIMON: Wie erkläre ich mir die Möglichkeit der Zusammenstimmung der Anschauung  a priori  zu meinen Begriffen  a priori,  wenn jede ihren spezifischen verschiedenen Ursprung hat, da dieselbe zwar als Faktum gegeben, aber ihre Rechtmäßigkeit oder die Notwendigkeit der Übereinstimmung zweier so heterogener Vorstellungsarten nicht begreiflich gemacht werden kann; und umgekehrt, wie kann ich durch meinen Verstandesbegriff z. B. der  Ursache,  dessen Möglichkeit ansich doch nur problematisch ist, der Natur, d. h. den Objekten selbst, das Gesetz vorschreiben; zuletzt gar, wie kann ich selbst von diesen Funktionen des Verstandes, deren Dasein in demselben auch bloß ein Faktum ist, die Notwendigkeit beweisen, die doch vorausgesetzt werden muß, wenn man ihnen  Dinge, wie sie uns immer vorkommen mögen,  unterwerfen will." (26)
KANT erwidert darauf, indem er das Resultat seiner Analytik rekapituliert, wobei er kein Jota von seiner Lehre aufgibt, er bemerkt jedoch am Schluß:
    "Wie aber eine solche sinnliche Anschauung (als Raum und Zeit) so von unserer Sinnlichkeit oder solchen Funktionen des Verstandes, als deren die Logik aus ihm entwickelt ist, selbst möglich sei, oder wie es zugeht, daß eine Form mit der anderen zu einer möglichen Erkenntnis zusammenstimmt, das ist uns schlechterdings unmöglich weiter zu erklären ... Es ist mißlich, den Gedanken, der einem tiefdenkenden Mann vorgeschwebt haben mag und den er sich selbst nicht recht klar machen konnte, zu erraten; gleichwohl überrede ich mir sehr, daß LEIBNIZ mit seiner vorherbestimmten Harmonie ... nicht die Harmonie zweier verschiedener Wesen, nämlich Sinnes- und Verstandeswesen, sondern zweier Vermögen eben desselben Wesens, in welchem Sinnlichkeit und Verstand zu einer Erfahrungserkenntnis zusammenstimmen, vor Augen gehabt habe, von deren Ursprung, wenn wir ja darüber urteilen wollten, obgleich eine solche Nachforschung gänzlich über die menschliche Vernunft hinausliegt, wir weiter keinen Grund als den göttlichen Urheber von uns angeben können."
Man sieht deutlich, daß die von KANT hier interpretierte prästabilierte Harmonie, die sich infolge dieser Interpretation in eine transzendentale verwandelt, KANTs eigene Ansicht ist. Noch deutlicher ist KANT am Schluß der Streitschrift gegen EBERHARD, wo besonders das Problem der empirischen Gesetze ganz deutlich hervorgehoben wird. KANT sagt dort:
    "Es läßt sich die Gemeinschaft zwischen Verstand und Sinnlichkeit in demselben Subjekt nach gewissen Gesetzen  a priori  wohl denken und doch zugleich die notwendige natürliche Abhängigkeit der letzteren von äußeren Dingen, ohne diese dem Idealismus preiszugeben. - Von dieser Harmonie zwischen dem Verstand und der Sinnlichkeit, sofern sie Erkenntnisse von  allgemeinen  Naturgesetzen  a priori  möglich macht, hat die Kritik genügende Gründe angegeben, daß ohne diese keine Erfahrung möglich ist, mithin die Gegenstände ... von uns in die Einheit des Bewußtseins gar nicht aufgenommen werden und in die Erfahrung hineinkommen, mithin für uns nichts sein würden. Wir konnten aber doch keinen Grund angeben, warum wir gerade eine solche Art der Sinnlichkeit und eine solche Natur des Verstandes haben, durch deren Verbindung Erfahrung möglich wird; noch mehr, warum sie als sonst völlig heterogene Erkenntnisquellen zu der Möglichkeit einer Erfahrungskenntnis überhaupt,  hauptsächlich  aber zu der Möglichkeit einer Erfahrung von der Natur unter ihren mannigfachen  besonderen und bloß empirischen  Gesetzen, von denen uns der Verstand  a priori  nichts lehrt, doch so gut immer zustammenstimmen, als wenn die Natur für unsere Fassungskraft absichtlich eingerichtet wäre; dieses konnten wir nicht (und das kann auch niemand) weiter erklären. LEIBNIZ nannte den Grund davon ... eine vorherbestimmte Harmonie, wodurch er augenscheinlich jene Übereinstimmung nicht erklärt hatte, auch nicht erklären wollte, sondern nur anzeigte, daß wir dadurch eine gewisse Zweckmäßigkeit in der Anordnung der obersten Ursache unserer selbst sowohl, als aller Dinge außerhalb von uns zu denken hätten und diese zwar schon als in die Schöpfung gelegt (vorherbestimmt), aber nicht Vorherbestimmung außereinander [dem Ort nach verschieden - wp] befindlicher Dinge, sondern nur der Gemütskräfte in uns, der Sinnlichkeit und des Verstandes nach jeder ihrer eigentümlichen Beschaffenheit füreinander, so wie die Kritik lehrt, daß sie zur Erkenntnis der Dinge  a priori  stehen müssen." (27)
Diese transzendentale prästablilierte Harmonie ist allerdings eine dogmatische Hypothese, die KANT auch deshalb mit einer gewissen Reserve erwähnt. Sie steht jedoch nicht - wie es auf den ersten Blick scheinen könnte - mit dem Resultat der Analytik im Widerspruch. Sowohl hier, wie in dem erwähnten Brief an HERZ wird ausdrücklich hervorgehoben, daß hier nicht die Rede ist von einer "Vorherbestimmung außereinander befindlicher Dinge, sondern der Gemütskräfte in uns", nicht von einer "Harmonie zweier verschiedener Wesen, nämlich Sinnes- und Verstandeswesen, sondern zweier Vermögen eben desselben Wesens, in welchem Sinnlichkeit und Verstand zu einer Erfahrungserkenntnis zusammenstimmen". In dieser Fassung ist aber die Harmonie nur eine weitere Konsequenz der Analytik. Diese hat gezeigt, daß wir deshalb von der Natur eine Erkenntnis  a priori  besitzen, weil die Erscheinungen, wenn sie überhaupt gedacht werden sollen, den allgemeinen Gesetzen des Verstandes gemäß sein  müssen.  Die Tatsache der Erfahrung, die wissenschaftliche Erfahrbarkeit der Natur, beweist also die Konformität der Erscheinungen mit unserem Erkenntnisvermögen. Nunmehr fragt es sich, wie ist diese, auf transzendentalem Weg bewiesene Übereinstimmung zu erklären? Wohl nicht anders, als durch die Annahme einer vorherbestimmten Harmonie zwischen dem Verstand und der Sinnlichkeit.

Es wäre jedoch übereilt, anzunehmen, daß durch die Betonung dieser Harmonie die Schwierigkeit, die das Vorhandensein empirischer Gesetze der kantischen Erkenntnislehre bereitet, tatsächlich beseitigt worden ist. Denn KANT bringt hier zwei Fragen zusammen, die miteinander nichts zu tun haben. Es ist für die Erkenntnistheorie von gar keiner Bedeutung, "warum wir gerade eine solche Art der Sinnlichkeit und eine solche Natur des Verstandes haben", so wenig wie es uns interessieren kann, warum wir gerade zwölf Kategorien haben, oder warum der intelligible Charakter gerade diesen empirischen gibt. Derartige Fragen wurden auch schon in der Kritik und in den Prolegomena gestreift. Nicht minder belanglos ist es, nach dem letzten Grund der Übereinstimmung des Verstandes mit der Sinnlichkeit zu fragen, wenn die Erkenntnislehre nur gezeigt hat,  daß  sie miteinander übereinstimmen müssen. Von größter Bedeutung ist jedoch die Frage, vom Verhältnis der empirischen zur reinen Erkenntnis. Hier darf KANT sich nicht auf die Beschränktheit unserer Einsicht berufen. Denn wird dieses Verhältnis nicht genau bestimmt und wird nicht gezeigt, wie empirische Gesetze neben den reinen möglich sind, so ist die Deduktion selbst nicht zu begreifen. Zur Erklärung der Möglichkeit "einer Erfahrung von der Natur unter ihren mannigfachen besonderen und bloß empirischen Gesetzen, von denen uns der Verstand  a priori  nichts lehrt", genügt es aber nicht eine Harmonie zwischen den Erkenntniskräften unseres Gemüts anzunehmen. Es müßte vielmehr gezeigt werden, wie es zugeht, daß "alle empirischen Gesetze" trotz ihrer Aposteriorität "nur Bestimmungen der reinen Gesetze des Verstandes" sein müssen. Am leichtesten könnte diese Frage dadurch gelöst werden, wenn man eine Vorherbestimmung der  Dinge  außereinander [dem Ort nach verschieden - wp] annehmen würde. Diesen Ausweg mußte KANT jedoch mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Denn die Annahme einer derartigen Harmonie würde dir Rückkehr zum dogmatischen Rationalismus bedeuten. Aber auch die kritische Lösung unseres Problems kann nicht ganz befriedigen. Die strikte Durchführung des "Kopernikanischen Gedankens", daß die Dinge sich nach den Begriffen richten müssen, hätte zu dem Ergebnis führen müssen, daß jede Bewegung, Lage oder jedes besondere Verhältnis unter den Erscheinungen durch den spontanen Verstand geschaffen werden. Denn das Erfahrungsmaterial müßte uns völlig ungeordnet gegeben werden, damit es sich den apriorischen Formen fügt. Dann dürfte es aber gar keine empirische Gesetzmäßigkeit, sondern nur reine Erkenntnisse geben. Oder aber es müßte der aposteriorische Charakter der besonderen Gestaltungen der Materie und ihrer empirischen Verhältnisse auf die Unbewußtheit der entsprechenden Funktionen der Kräfte unseres Gemüts zurückgeführt werden, was jedoch zu gewagt gewesen wäre. Denn erstens war für eine derartige Annahme kein Beweis zu erbringen; zweitens wäre nicht einzusehen, warum man bei der Schöpfung der besonderen Formen stehen bleiben, und nicht auch die Hervorbringung der Materie dem unbewußt schaffenden Verstand zuschreiben soll. Dies wäre jedoch weder mit dem Realismus KANTs, noch mit seinen praktischen Intentionen zu versöhnen gewesen. KANT hat deshalb auch die Konsequenz seiner Lehre von der "Revolution der Denkart" niemals so weit ausgeführt. Das Problem der empirischen Gesetze bliebt deshalb ungelöst. Denn so wenig wie der Übergang von der transzendentalen Einheit der Apperzeption zu den einzelnen Kategorien durch eine lückenlose Deduktion geschehen ist, so wenig ist es KANT gelungen, die empirischen Gesetze aus diesen Kategorien abzuleiten und mit ihrer Apriorität in Einklang zu bringen. KANT ist sich dieser Lücke und dieses Widerspruchs in seinem System niemals ganz klar bewußt geworden. Trotzdem war das eigentliche und wichtigste Ziel seiner Untersuchungen erreicht. Aus seinen unumstößlichen Prämissen folgt mit völliger Sicherheit, "daß aller Gebrauch der reinen Vernunft niemals auf etwas anderes, als auf Gegenstände der Erfahrung gehen kann, und, weil in Grundsätzen  a priori  nichts Empirisches die Bedingung sein kann, sie nichts weiter als Prinzipien der  Möglichkeit der Erfahrung überhaupt  sein können. Dies allein ist das wahre und hinlängliche Fundament der Grenzbestimmung der reinen Vernunft, aber nicht die Aufgabe:
    " wie  nun Erfahrung mittels jener Kategorien und nur allein durch diese möglich ist ... und gesetzt, die Art  wie  Erfahrung dadurch allererst möglich wird, könnte  niemals  hinreichend erklärt werden, so bleibt es doch unwidersprechlich gewiß,  daß  sie bloß durch jene Begriffe möglich, und jene Begriffe umgekehrt auch in keiner anderen Beziehung, als auf Gegenstände der Erfahrung einer Bedeutung und irgendeines Gebrauchs fähig sind." (28)
Von hieraus läßt sich nunmehr auch die Rolle des Dings-ansich beim Zustandekommen der empirischen Anschauung genauer bestimmen. "Was den Veränderungen in den  intellectualibus  korrespondiert, wissen wir" zwar nach wie vor "nicht", (29) noch weniger, was den Qualitäten, Formen, Bewegungen und Gestalten, oder sogar einzelnen Individuen in den Substraten entspricht. Ist aber die Mannigfaltigkeit der empirischen Anschauung und ihrer besonderen Verhältnisse nicht das Werk des spontanen Verstandes, so müssen wir auf die Dinge-ansich zurückgehen und die Mannigfaltigkeit der Qualitäten, der Formen und des Geschehens auf die mannigfache, differenzierte Wirkung dieser Dinge zurückführen. (30) Trotzdem bleibt es zweifelhaft, ob das Ding-ansich "in uns oder auch außer uns anzutreffen ist" (31), ja man darf nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, daß es mehrere Dinge-ansich gibt (32) oder endlich, daß sie verschieden sind. Denn wir haben in unserer absolut spontanen Vernunft, im freien Willen ein Analogon dafür, wie aus einem allem Anschein nach einfachen Vermögen die mannigfachsten Wünsche entstehen können, weil der Wille in dieser Beziehung tatsächlich unendlich ist.



Anhang
Von den Wahrnehmungs- und
Erfahrungsurteilen

Die Lehre von den Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen gehört bekanntlich zu denjenigen, die von jeher der Interpretation die größten Schwierigkeiten bereitet haben. Ich glaube jedoch, daß ein erheblicher Teil dieser Schwierigkeiten beseitigt wird, wenn man nur genau feststellt, was KANT eigentlich mit dieser seiner Einteilung bezwecken wollte.

Ein Wahrnehmungsurteil ist eine Synthesis von Wahrnehmungen in einem Subjekt. Wenn ich z. B. das Urteil fälle:  der Zucker ist süß,  so geschieht dies aufgrund der Empfindungen, die der Zucker in mir hervorruft. Was ich mit einem derartigen Urteil zunächst aussagen will, ist nicht die Qualitätsbezeichnung des Zuckers, sondern die Konstatierung der Empfindung, die beim Genuß des Zuckers in meinem Subjekt auftritt. Zwar ist das erwähnte Urteil der Form nach objektiv, jedoch dem Inhalt nach ist es nicht weniger subjektiv wie das Urteil:  es friert mich.  Derartige Urteile haben deshalb nur Gültigkeit für mich und meinen gegenwärtigen Zustand; ob ein anderer Mensch und ob ich selbst morgen beim Genuß des Zuckers dieselben Empfindungen haben werde, kann ich nicht vorausbestimmen. Anders verhält es sich beim Urteil:  die Luft ist elastisch.  Auch dieses Urteil ist zunächst nur eine Wahrnehmungsurteil, es kann aber unter gewissen Umständen ein Erfahrungsurteil werden, d. h. ein Urteil, das vom Objekt, hier von der Luft gilt; denn was mich Erfahrung unter gewissen Umständen lehrt, muß sie mich immer und auch jedermann lehren. Wie kommt es aber, daß ein und dasselbe Urteil das eine Mal nur subjektive und momentane, das andere Mal einen allgemeine Gültigkeit besitzt? KANTs Antwort lautet: Eine Wahrnehmung wird in eine Erfahrung verwandelt, wenn ein Verstandesbegriff zum Wahrnehmungsurteil hinzutritt. Zur Erläuterung gibt KANT folgendes Beispiel:
    "Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm. Dieses Urteil ist ein bloßes Wahrnehmungsurteil und enthält keine Notwendigkeit, ich mag dies noch so oft und andere auch noch so oft wahrgenommen haben; die Wahrnehmungen finden sich nur gewöhnlich so verbunden. Sage ich aber: die Sonne erwärmt den Stein, so kommt über die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff, der Ursache hinzu, der mit dem Begriff des Sonnenscheins den der Wärme  notwendig  verknüpft, und das synthetische Urteil wird notwendig allgemeingültig, folglich objektiv und aus einer Wahrnehmung in eine Erfahrung verwandelt." (33)
Diese Einteilung der Urteile und ihre Wertschätzung für die Wahrheit scheint nun folgende Schwierigkeiten zu enthalten:
    1. geht aus dem Wortlaut KANTs hervor, daß die Umwandlung des Wahrnehmungs- in ein Erfahrungsurteil, mithin die Subjektivität einer Aussage in eine notwendige Wahrheit, lediglich von unserem Willen abhängt, denn er sagt: "Will ich, es soll ein Erfahrungsurteil heißen, so verlange ich ... Ich will also, daß ich jederzeit und auch jedermann dieselbe Wahrnehmung unter denselben Umständen notwendig verbinden muß." (34)

    2. gibt KANT hier eine Anweisung, wie man aus subjektiven notwendige und allgemeingültige Urteile schafft, und zwar durch die Anwendung des Verstandesbegriffs, in unserem Fall der Kategorie der  Ursache.  Aber wie oft sehen wir, daß Urteile, die einen Verstandesbegriff enthalten, falsch sind. Die Geschichte der Wissenschaften kann eine Unmenge derartiger falscher Urteile aufweisen.

    3. Das Charakteristische der Erfahrungsurteile ist die Beziehung auf ein Objekt, diese Urteile sind allgemeingültig. Nun sind neun Zehntel unserer Urteile objektiv, d. h. sie beziehen ihre Prädikate auf einen Gegenstand, aber wie selten sind sie notwendige Urteile?

    4. Wie kann selbst das Urteil in unserem Beispiel:  die Sonne erwärmt den Stein  als notwendig angesehen werden? Lehrt doch KANT ausdrücklich, daß in jeder Erkenntnis nur soviel Wissenschaft enthalten ist, wie Mathematik in ihr Verwendung findet?
Indessen lassen sich alle diese Schwierigkeiten beseitigen,, sobald man auf das wahre Ziel der kantischen Einteilung der Urteile seinen Blick richtet. Dann zeigt sich, daß KANT hier keineswegs eine Theorie der Urteilsgeltung, der Wahrheits- und Gewiheitskriterien aufzustellen beabsichtigt, sondern lediglich eine Deduktion der Kategorien geben will, die in eine metaphysische und eine transzendentale zerfällt. Nur täuscht die synthetische Methode, die er in den §§ 18 und 19 und zum Teil § 20 anwendet, über das eigentliche Vorhaben KANTs hinweg. Das Ziel ist, wie gesagt, eine Deduktion der Kategorien; die metaphysische Deduktioin hat den apriorischen Charakter der Verstandesbegriffe nachzuweisen. Wenn gezeigt werden kann, daß in einigen unserer Urteile Begriffe enthalten sind, die aus der Erfahrung nicht abgeleitet werden können, so ist dadurch bewiesen, daß sie ihren Ursprung im Verstand haben. Diese metaphysische Deduktion gipfelt in dem Satz:
    "Es geht ein anderes Urteil voraus, ehe aus Wahrnehmung Erfahrung werden kann." (35)
Neben dieser metaphysischen Deduktion versucht KANT die  Rechtmäßigkeit  der Kategorien zu beweisen, indem er zeigt, daß die Kategorien es sind, die allererst unseren Wahrnehmungen die Beziehung auf ein Objekt verschaffen.

In der Analytik der Grundsätze, in der "Kritik" heißt es:
    "Zu aller Erfahrung und deren Möglichkeit gehört Verstand und das erste, was er dazu tut, ist ..., daß er die Vorstellung eines Gegenstandes überhaupt möglich macht." (36)
Denn es fragt sich:
    "Wie kommen wir nun dazu, daß wir den Vorstellungen ein Objekt setzen, oder über ihre subjektive Realität als Modifikationen ihnen noch, ich weiß nicht was für eine objektive beilegen?" (37)
Nun sucht KANT zu zeigen, daß die Kategorien unsere Anschauungen objektivieren. So ist der Begriff der Größe dasjenige, wodurch "die Vorstellung eines Objekts zuerst möglich wird." (38) Ein zweites Objektivierungsmittel ist die Kategorie der Kausalität.
    "Wenn wir untersuchen, was denn  die Beziehung auf einen Gegenstand  unseren Vorstellungen für eine neue Beschaffenheit gibt und welches die Dignität ist, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daß sie nichts weiter tut, als die Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen und sie einer Regel [gemeint ist hier die Kausalität] zu unterwerfen." (39)
Nicht weniger ist die Kategorie der Gemeinschaft ein Objektivierungsmittel. Von ihr sagt KANT: Es
    "wird ein Verstandesbegriff von der wechselseitigen Folge der Bestimmungen dieser außereinander zugleich existierenden Dinge erfordert, um zu sagen, daß die wechselseitige Folge der Wahrnehmungen im Objekt gegründet ist, und das Zugleichsein dadurch als objektiv vorzustellen." (40)
Nichts andere mein KANT hier in den  Prolegomena,  wenn er sagt:
    "Zergliedert man alle seine synthetischen Urteile, sofern sie objektiv gelten, so findet man, daß sie niemals aus bloßen Anschauungen bestehen, die bloß ... durch Vergleichung in ein Urteil verknüpft worden sind, sondern daß sie unmöglich sein würden, wäre nicht über die von der Anschauung abgezogenen Begriffe noch ein reiner Verstandesbegriff hinzugekommen, unter dem jene Begriffe subsumiert und so allererst in einem objektiv gültigen Urteil verknüpft wurden." (41)
Will man will man daher den §§ 18-20 keine anderen Absichten zumuten, als diese Feststellung der Apriorität der Kategorien und ihrer Rechtmäßigkeit und sucht man in ihnen nicht eine Theorie der Urteilsgeltung und der Wahrheitskriterien, so verschwinden alle Schwierigkeiten, die uns oben zugestoßen sind. Die Voraussetzung für obige Schwierigkeiten war die Auffassung, daß ein Erfahrungsurteil  eo ipso  ein objektiv gültiges Urteil ist. KANT sagt jedoch nur, "Urteile, sofern sie objektive Gültigkeit haben, sind Erfahrungsurteile"; dieser Satz ist aber nicht umkehrbar. "Objektive Gültigkeit und notwendige Allgemeingültigkeit sind Wechselbegriffe." Das Erfahrungsurteil ist aber zunächst nur objektiv, nicht immer aber objektiv- gültig.  Das was das Erfahrungsurteil vom Wahrnehmungsurteil unterscheidet, ist die Beziehung auf das Objekt; diese Beziehung beweist, daß dem Urteil ein Verstandesbegriff vorangegangen ist, und die  conditio sine qua non  [Grundvoraussetzung - wp] für eine Aussage, die allgemeingültig werden will; sie ist aber noch nicht der zureichende Grund, der sie zur Wahrheit stempelt. Immer wenn wir ein objektiv gültiges Erfahrungsurteil zergliedern, finden wir den Verstandesbegriff darin enthalten, nicht aber genügt schon der Hinzutritt des Verstandesbegriffs, das nunmehr objektiv gewordene Urteil (Erfahrungsurteil) objektiv- gültig  zu machen. Wie gesagt, die synthetische Art, die KANT bei dieser Deduktion anwendet, die in keiner Weise etwas Neues zu dem hinzufügt, was nicht bereits in der Kritik gesagt worden wäre, täuschte über sein Vorhaben. Man glaubte hier nun einmal das Rezept gefunden zu haben, wie man aus den Wahrnehmungen Wissenschaft konstruiert, was sehr schön zum Texte der zweiten Hauptfrage der Prolegomena paßt. Daher die Schwierigkeiten, die aber insgesamt verschwinden, sobald man einsieht, daß KANT nirgends gesagt hat, daß ein Erfahrungsurteil durch diesen seinen Charakter objektiv- gültig  ist. Dies wird übrigens durch eine spätere Erörterung in der 2. Auflage der "Kritik" ausdrücklich betont. KANT führt da das Erfahrungsurteil an: "der Körper ist schwer" im Gegensatz zu der subjektiven Aussage: "wenn ich einen Körper trage, so fühle ich den Druck der Schwere" und bemerkt, daß das genannte Erfahrungsurteil zufällig ist, daß die Vorstellungen Körper und Schwere in der empirischen Anschauung nicht notwendig zueinander gehören, sondern sie werden verbunden "nach Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen, sofern daraus  Erkenntnis werden kann."  (42)

Ob der Gedanke, der der Einteilung der Urteile in Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile zugrunde liegt, richtig ist; ob ein Wahrnehmungsurteil, wie es in der kantischen Fassung dasteht, überhaupt möglich ist, da doch jedes Urteil bereits eine Verbindung durch Kategorien voraussetzt; ob schließlich die Beziehung auf ein Objekt erst mittels apriorischer Kategorien möglich wird, ist eine andere Frage. Das letzte ist jedoch keine Spezialität der  Prolegomena,  sondern eine Ansicht KANTs, die er in der Kritik sehr energisch vertreten mußte, da sie ihm zum Hauptbeweis für die Apriorität der Grundsätze gedient hat.


LITERATUR - Simon Brysz, Das Ding ansich und die empirische Anschauung in Kants Philosophie, Halle a. d. Saale 1913
    Anmerkungen
    1) Kr. d. r. V. Seite 165
    2) Kr. d. r. V. Seite 127
    3) Besonders klar drückt KANT dies in folgender Stelle aus: "Wie können wir uns die Position der Postulate der Synthesis a prior vorstellen. Es sind drei Funktionen der Apprehension [Zusammenfassung - wp], welche beim Denken unseres Zustandes überhaupt angetroffen werden und worunter alle Erscheinung deswegen  passen muß,  weil in ihr keine Synthesis ansich liegt, wenn das Gemüt solche nicht hinzufügt oder aus den Datis derselben macht." (Lose Blätter 20)
    4) Über Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile vgl. man den Anhang.
    5) Kr. d. r. V. Seite 474
    6) Der Beweis der Thesis scheint mir nicht ganz zwingend zu sein. Er basiert auf der eben zitierten Fassung der Definition des Kausalgesetzes, wonach jede Ursache eine  a priori bestimmte  sein muß. Da wir es aber (beim Regressus) immer nur mit subalternen [untergeordneten - wp] und nicht  a priori  bestimmten Ursachen zu tun haben, so widerspricht der Grundsatz sich selbst. Nun ist es wohl richtig, daß  für uns,  für unser Erkennen hier, wie in vielen anderen Fällen die Ursache unbestimmt bleibt. Eine derartige Bestimmbarkeit ist aber auch gar nicht notwendig. Der Grundsatz verlangt nur, daß die Ursache  hinsichtlich ihrer Wirkung  die bestimmte ist, daß nämlich jede Wirkung ihre bestimmte Ursache haben soll. Dies ist aber bei jedem Geschehen erfüllt. - Den richtigen Grund oder vielmehr den psychologischen Zwang zur Annahme einer Kausalität durch Freiheit hat KANT in der Begründung der Thesis der vierten Antinomie angegeben. Dort sagt er: "Nun setzt ein jedes Bedingte, was gegeben ist ... eine  vollständige  Reihe von Bedingungen ... voraus." Hier beruft sich KANT einfach auf das Bedürfnis der Vernunft, eine Totalität zu haben, mithin nach einer ersten Ursache, nach dem Unbedingten zu fragen, indem sie den festen Punkt sucht, an dem sie Halt machen könnte. Es kommt aber darauf gar nicht an, ob Thesis und Antithesis auch wirklich bewiesen werden können, vielmehr darauf, daß sowohl die These wie die Antithese unserer Vernunft keine Befriedigung zu verschaffen vermag. KANTs scholastische Schulung hat es mit sich gebracht, daß er für die Antinomien Beweise gesucht hat und daß er sich für ihre Richtigkeit sogar verbürgt hat.
    7) Kr. d. r. V., Seite 478
    8) Dasselbe gilt hinsichtlich der Einfachheit oder Zusammengesetzheit der Substanzen.
    9) Es sei bemerkt, daß für den Common sense die dritte Antinomie - soweit nur die kosmologische Seite in Betracht kommt - mit der vierten zusammenfällt. Hat er einmal mit der Thesis der vierten Antinomie ein notwendiges Wesen gesetzt, so kann dies von ihm zugleich als die zeitlich und kausal erste Ursache des Geschehens angesehen werden. Man hat dann einen ersten Beweger und kann die Welt ihren eigenen Lauf nehmen lassen. Nach KANT sind aber die Gegenstände der Erfahrung bloße Vorstellungen, als solche können sie nicht aufeinander wie Dinge wirken. Eine Erscheinung kann eine andere Erscheinung hervorbringen. Neben dem ersten Beweger mußten daher wirkende Dinge-ansich als Ursachen der Erscheinungen und mit ihnen eine besondere Art von Kausalität angenommen werden, falls man nicht zu BERKELEY zurückkehren will.
    10) Um dies scheinbare Inkosequenz KANTs zu rechtfertigen, daß er trotz dem eigenen Verbot, von Kategorien einen transzendentalen Gebrauch zu machen, selbst die Kategorien der  Substanz, Realität  und  Kausalität  auf die Dinge-ansich anwendet, - hat man versucht, den Kategorien im Gegensatz zu Raum und Zeit einen mehr objektiven Wert einzuräumen. Tatsächlich stehen die Kategorien hinsichtlich ihrer Subjektivität nicht in derselben Reihe wie Raum und Zeit. Zwar wird auch von ihnen gesagt, daß sie "bloß subjektive Formen der Verstandeseinheit" (Kr. d. r. V. 343) sind, wie Raum und Zeit nur als subjektive Formen der Sinnlichkeit angesehen werden müssen: aber die Subjektivität der Verstandesbegriffe und mit ihr ihre Unanwendbarkeit auf intelligible Gegenstände rührt nur daher, daß Kategorien ohne sinnliche Schemata keine andere als logische Bedeutung haben. Man hat deshalb untersucht, ob vielleicht doch einige Kategorien die sinnliche Anschauung entbehren können, wodurch die von KANT angeblich vollzogene Anwendung auf Dinge-ansich gerechtfertigt sein könnte. - Alle diese Versuche scheitern jedoch an der Tatsache, daß KANT selbst wiederholt betont, daß keine von den Kategorien hierbei eine Ausnahme erleidet, und daß er gerade die hier in Frage kommenden Verstandesbegriffe herausgreift, um an ihnen zu exemplifizieren, daß sie ohne Anschauung gar keine Bedeutung haben (man vgl. z. B. Kr. d. r. V. Seite 291f). KANT begeht aber auch gar nicht die ihm zur Last gelegte Inkonsequenz. Solange er spekulativ über die Dinge-ansich denkt, denkt er sie durch gar keine Kategorie, zumindest ist er sich ihres Gebrauchs nicht bewußt. So heißt es Kr. d. r. V. Seite 344: "Der Verstand denkt sich einen Gegenstand ansich, aber nur als transzendentales Objekt, das die  Ursache  der Erscheinung ... ist, und weder als Größe noch als Realität noch als Substanz usw. gedacht werden kann (weil diese Begriffe immer sinnliche Formen erfordern...)." Hier wird also für KANTs Bewußtsein nur von der Kausalität Gebrauch gemacht. Damit er aber dies tun darf, hat er eine neue Art von Kausalität eingeführt, wie dies gleich des Näheren erörtert werden soll.
    11) Schon GARVE hat dies gefühlt, wenn er in seiner Rezension des kantischen Werks über die dritte Antinomie urteilt: "Es ist unmöglich, die Vereinigung, die Herr KANT stiften will, deutlich mit kurzen Worten vorzustellen, unmöglich, glaube ich, sie deutlich einzusehen. Aber das ist deutlich, daß der Verfasser  gewisse Sätze für höher und heiliger hält als sein System  und daß er bei gewissen Entscheidungen mehr Rücksicht auf die Folgen nahm, die er durchaus stehen lassen wollte, als auf die Prinzipien, die er festgesetzt hatte." Zitiert bei ERDMANN, Kants Kritizismus, Seite 100 aus der "Allgemeinen Bibliothek", Anhang zu Bd. 37-52, Bd. II, Seite 838f.
    12) Die Verquickung beider Probleme bei KANT hat es bedingt, daß ihm während der ganzen Auflösung der dritten Antinomie das frei handelnde Subjekt vorgeschwebt und zum Schema gedient hat, und zwar nicht nur da, wo er die willkürliche Handlung des Menschen direkt als Beispiel anwendet. Man vergleiche z. B. Kr. d. r. V. Seite 572f.
    13) Prolegomena, § 53, Anmerkung
    14) Es sei mir gestattet, trotz der Unanschaulichkeit des zu behandelnden Gegenstandes, folgendes Schema aufzustellen:
    Wir nehmen der Einfachheit halber an, daß es mehrere Dinge ansich gibt, und zwar, daß jeder Erscheinung ein besonderer transzendentaler Gegenstand substituiert. Die Dinge-ansich sollen durch die  X X  symbolisiert sein. Ihr empirisches Äquivalent ist die Reihe der Erscheinungen  un, un+1  usw. Nun findet nach KANTs ausdrücklicher Lehre die Idee der Freiheit lediglich statt "in dem Verhältnis des Intellektuellen, als Ursache, zur Erscheinung als Wirkung". Die intelligible Kausalität kann also nur durch den von uns gezeichneten vertikalen Pfeil symbolisiert werden. Daraus ist aber zugleich ersichtlich, daß die intelligible Kausalität allein noch gar nicht über den Charakter und die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen untereinander entscheidet. Die von KANT gelehrte Freiheit hindert also nicht, daß das durch Freiheit entstandene Geschehen in der Empirie als dem Kausalgesetz gehorchend angesehen wird.
    15) siehe Anmerkung 11
    16) Diese Schwierigkeit scheint ERDMANN anzudeuten, wenn er sagt, er wolle nicht untersuchen, "ob nicht die praktische Freiheit mit dem kosmologischen Begriff derselben ebenso unverträglich ist, wie das theoretische mit dem praktischen A-priori"; a. a. O., Seite 159.
    17) Kr. d. r. V. Seite 584
    18) Man vgl. außerdem Kr. d. r. V. 164: "Dingen-ansich würde ihre Gesetzmäßigkeit notwendig ... zukommen."
    19) Kr. d. r. V. Seite 572
    20) Kr. d. r. V. Seite 584
    21) Kr. d. r. V. Seite 128
    22) Intellektion = "Einstimmung der Erscheinungen untereinander" (Lose Blätter 37)
    23) Lose Blätter 111
    24) Der Versuch einer Erklärung, die KANT an einem anderen Ort gibt, ist lediglich eine Konstatierung der Tatsache. "Die intellektuellen Funktionen machen den Anfang bei der Apprehension, allein die Spezifikation gibt uns die Regel der Anwendung dieses Begriffs, daher können bestimmte Regeln der Synthesis nur durch Erfahrung gegeben werden, die allgemeine Norm derselben aber  a priori. " (Lose Blätter 39)
    25) Man vgl. KUMETARO SASAO, Prolegomena zur Bestimmung des Gottesbegriffes bei Kant, Halle a. d. Saale, 1871, Seite 29
    26) Brief an HERZ vom 26. Mai 1789
    27) "Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll", gegen Ende
    28) Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede, Werke IV, Seite 476 Anm.
    29) Reflexion Nr. 1164
    30) Das scheint auch eine Aufzeichnung bei REICKE anzudeuten: "Die bloße Apprehension", heißt es dort, "erklärt schon, daß  hinter der Erscheinung  eine Substanz, Ursache oder Zusammensetzung sein muß ..." (Lose Blätter 39).
    31) Man vgl. Kr. d. r. V. Seite 344
    32) Man vgl.  Lose Blätter  209. "Daß die Idealität des Raumes und der Zeit ... nicht den realen Idealismus enthält, der vorgibt, daß der Wahrnehmung ... gar kein Gegenstand ... gegeben ist, sondern daß  diesem Gegenstand oder diesen äußeren Gegenständen (welches unausgemacht bleibt)  nur nicht dieselbe Form des Raums ansich zukommt ..." Und an einer anderen Stelle sagt KANT: "Viele Leser der Kritik stehen noch immer in dem Wahn, daß wenn ich sage, dem Zusammengesetzten im Raum liegt das intelligible Einfache zugrunde, als ob ich sagen wollte: so viele Punkte, so viele Monaden." (Lose Blätter 230)
    33) Prolegomena § 20, Anm.
    34) Prolegomena § 19.
    35) Prolegomena § 20.
    36) Kr. d. r. V. Seite 244
    37) Kr. d. r. V. Seite 242
    38) Kr. d. r. V. Seite 203
    39) Vorrede 2, Seite XVIKr. d. r. V. Seite 242
    40) Kr. d. r. V. Seite 257
    41) Prolegomena § 20
    42) Prolegomena § 19