tb-1ra-2F. BrentanoWindelbandH. RickertNietzsche     
 
IMMANUEL KANT
Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten

[3/3]

Alle Vorstellungen, die uns ohne unsere Willkür kommen (wie die der Sinne), geben uns die Gegenstände nicht anders zu erkennen, als sie uns affizieren, wobei, mithin daß, was diese Art Vorstellungen betrifft, wir dadurch, auch bei der angestrengtesten Aufmerksamkeit und Deutlichkeit, die der Verstand nur immer hinzuzufügen mag, doch bloß zur Erkenntnis der  Erscheinungen,  niemals der  Dinge ansich  gelangen können. Sobald dieser Unterschied einmal gemacht ist, so folgt von selbst, daß man hinter den Erscheinungen doch noch etwas Anderes, was nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge-ansich, einräumen und annehmen müsse, obgleich wir uns von selbst bescheiden, daß, da sie uns niemals bekannt werden können, sondern immer nur, wie sie uns affizieren, wir ihnen nicht näher treten und, was sie ansich sind, niemals wissen können."

Dritter Abschnitt
Übergang von der Metaphysik der Sitten
zur Kritik der reinen praktischen Vernunft

Begriff der Freiheit

[ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens]

Der  Wille  ist eine Art von Kausalität lebender Wesen, sofern sie vernünftig sind, und  Freiheit  würde diejenige Eigenschaft dieser Kausalität sein, da sie unabhängig von fremden sie  bestimmenden  Ursachen wirkend sein kann; so wie  Naturnotwendigkeit  die Eigenschaft der Kausalität aller vernunftlosen Wesen, durch den Einfluß fremder Ursachen zur Tätigkeit bestimmt zu werden.

Die angeführt Erklärung der Freiheit ist  negativ,  und daher, um ihr Wesen einzusehen, unfruchtbar; allein es fließt aus ihr ein  positiver  Begriff derselben, der desto reichhaltiger und fruchtbarer ist. Da der Begriff einer Kausalität den von den  Gesetzen  bei sich führt, nach welchen durch etwas, was wir Ursache nennen, etwas Anderes, nämlich die Folge, gesetzt werden muß; so ist die Freiheit, obwohl sie nicht eine Eigenschaft des Willens nach Naturgesetzen ist, darum doch nicht gar gesetzlos, sondern muß vielmehr eine Kausalität nach unwandelbaren Gesetzen, aber von besonderer Art, sein; denn sonst wäre ein freier Wille ein Unding. Die Naturnotwendigkeit war eine Heteronomie der wirkenden Ursachen; denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetz möglich, daß etwas Anderes die wirkende Ursache zur Kausalität bestimmte; was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d. h. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstand haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und das Prinzip der Sittlichkeit; also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.

Wenn also Freiheit des Willens vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit samt ihrem Prinzip daraus, durch die bloße Zergliederung ihres Begriffs. Indessen ist das Letztere doch immer ein synthetischer Satz: ein schlechterdings guter Wille ist derjenige, dessen Maxime jederzeit sich selbst, als allgemeines Gesetz betrachtet, in sich enthalten kann; denn durch Zergliederung des Begriffs von einem schlechthin guten Willen kann jene Eigenschaft der Maxime nicht gefunden werden. Solche synthetische Sätze sind aber nur dadurch möglich, daß beide Erkenntnisse durch die Verknüpfung mit einem Dritten, darin sie beiderseits anzutreffen sind, untereinander verbunden werden. Der  positive  Begriff der Freiheit schafft dieses Dritte, welches nicht, wie bei den physischen Ursachen, die Natur der Sinnenwelt sein kann (in deren Begriff die Begriffe von etwas, als Ursache, im Verhältnis auf  etwas Anderes,  als Wirkung, zusammenkommen). Was dieses Dritte sei, worauf uns die Freiheit weist, und von dem wir  a priori  eine Idee haben, läßt sich hier sofort noch nicht anzeigen, und die Deduktion des Begrifs der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft, mit ihr auch die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs begreiflich machen, sondern bedarf noch einiger Vorbereitung.


Freiheit muß als Eigenschaft des Willens
aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden.

Es ist nicht genug, daß wir unserem Willen, es sei aus welchem Grund auch immer, Freiheit zuschreiben, wenn wir nicht ebendieselbe auch allen vernünftigen Wesen beizulegen hinreichenden Grund haben. Denn da Sittlichkeit für uns bloß als für  vernünftige Wesen  zum Gesetz dient, so muß sie auch für alle vernünftigen Wesen gelten, und da sie lediglich aus der Eigenschaft der Freiheit abgeleitet werden muß, so muß auch Freiheit als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen bewiesen werden, und es ist nicht genug, sie aus gewissen vermeintlichen Erfahrungen von der menschlichen Natur darzutun (wiewohl dieses auch schlechterdings unmöglich ist und lediglich  a priori  dargetan werden kann), sondern man muß sie als zur Tätigkeit vernünftiger und mit einem Willen begabter Wesen überhaupt gehörig beweisen. Ich sage nun: ein jedes Wesen, das nicht anders,  als unter der Idee der Freiheit  handeln kann, ist eben darum, in praktischer Hinsicht, wirklich frei, d. h. es gelten für dasselbe alle Gesetze, die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, ebenso, als ob sein Wille auch ansich und in der theoretischen Philosophie gültig, für frei erklärt würde. Nun behaupte ich, daß wir jedem vernünftigen Wesen, das einen Willen hat, notwendig auch die Idee der Freiheit leihen müssen, unter der es allein handelt. Denn in einem solchen Wesen denken wir uns eine Vernunft, die praktisch ist, d. h. Kausalität in Anbetracht ihrer Objekte hat. Nun kann man sich unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtsein in Anbetracht ihrer Urteile anderwärts her eine Lenkung empfinge, denn alsdann würde das Subjekt nicht seiner Vernunft, sondern einem Antrieb die Bestimmung seiner Urteilskraft zuschreiben. Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Prinzipien ansehen, unabhängig von fremden Einflüssen, folglich mußs sie als praktische Vernunft, oder als Wille eines vernünftigen Wesens von ihr selbst als frei angesehen werden; d. h. der Wille desselben kann nur unter der Idee der Freiheit ein eigener Wille sein, und muß also in praktischer Absicht allen vernünftigen Wesen beigelegt werden.


Von dem Interesse,
welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt.

Wir haben den bestimmten Begriff der Sittlichkeit auf die Idee der Freiheit zuletzt zurückgeführt; diese aber konnten wir, als etwas Wirkliches, nicht einmal in uns selbst und in der menschlichen Natur beweisen; wir sahen nur, daß wir sie voraussetzen müssen, wenn wir uns ein Wesen als vernünftig und mit Bewußtsein seiner Kausalität in Anbetracht der Handlungen, d. h. mit einem Willen begabt denken wollen, und so finden wir, daß wir aus ebendemselben Grund jedem mit Vernunft und Willen begabten Wesen diese Eigenschaft, sich unter der Idee seiner Freiheit zum Handelns zu bestimmen, beilegen müssen.

Es floß aber aus der Voraussetzung dieser Idee auch das Bewußtsein eines Gesetzes zu handeln: daß die subjektiven Grundsätze der Handlungen, d. h. Maximen, jederzeit so genommen werden müssen, daß sie auch objektiv, d. h. allgemein als Grundsätze, gelten, mithin zu unserer eigenen allgemeinen Gesetzgebund dienen können. Warum aber soll ich mich dann diesem Prinzip unterwerfen und zwar als vernünftiges Wesen überhaupt, mithin auch dadurch alle andere mit Vernunft begabte Wesen? Ich will einräumen, daß mich hierzu kein Interesse  treibt,  denn das würde keinen kategorischen Imperativ geben; aber ich muß doch hieran notwendig ein Interesse  nehmen  und einsehen, wie das zugeht; denn dieses Sollen ist eigentlich ein Wollen, das unter der Bedingung für jedes vernünftige Wesen gilt, wenn die Vernunft bei ihm ohne Hindernisse praktisch wäre; für Wesen, die, wie wir, noch durch Sinnlichkeit, als Triebfedern anderer Art, affiziert werden, bei denen es nicht immer geschieht, was die Vernunft für sich allein tun würde, heißt jene Notwendigkeit wird von der objektiven unterschieden.

Es scheint also, als setzten wir in der Idee der Freiheit eigentlich das moralische Gesetz, nämlich das Prinzip der Autonomie des Willens selbst, nur voraus, und könnten seine Realität und objektive Notwendigkeit nicht für sich beweisen, und da hätten wir zwar noch immer etwas ganz Beträchtliches dadurch gewonnen, daß wir wenigstens das echte Prinzip genauer, als wohl sonst geschehen, bestimmt hätten, in Anbetracht seiner Gültigkeit aber und der praktischen Notwendigkeit, sich ihm zu unterwerfen, wären wir um nichts weiter gekommen; denn wir könnten dem, der uns fragte: warum denn die Allgemeingültigkeit unserer Maxime, als eines Gesetzes, die einschränkende Bedingung unserer Handlung sein muß, und worauf wir den Wert gründen, den wir dieser Art zu handeln beilegen, der so groß sein soll, daß es überall kein höheres Interesse geben kann, und wie es zugeht, daß der Mensch dadurch allein seinen persönlichen Wert zu fühlen glaubt, gegen den der eines angenehmen oder unangenehmen Zustandes für nichts zu halten sei, keine genugtuende Antwort geben.

Zwar finden wir wohl, daß wir an einer persönlichen Beschaffenheit ein Interesse nehmen können, die gar kein Interesse des Zustandes bei sich führt, wenn jene uns nur fähig macht, des letzteren teilhaftig zu werden, im Falle der Vernunft die Austeilung desselben bewirken sollte, d. h. daß die bloße Würdigkeit, glücklich zu sein, auch ohne den Beweggrund, dieser Glückseligkeit teilhaftig zu werden, für sich interessieren könne; aber dieses Urteil ist in der Tat nur die Wirkung von der schon vorausgesetzten Wichtigkeit moralischer Gesetze (wenn wir uns durch die Idee der Freiheit von allem empirischen Interesse trennen), aber, daß wir uns von diesem trennen, d. h. uns als frei im Handeln betrachten, und so uns dennoch für gewissen Gesetzen unterworfen halten sollen, um einen Wert bloß in unserer Person zu finden, der uns allen Verlust dessen, was unserem Zustand einen Wert verschafft, vergüten könne, und wie dieses möglich sei, mithin  woher das moralische Gesetz verbinde,  können wir auf solche Art noch nicht einsehen.

Es zeigt sich hier, man muß es frei gestehen, eine Art von Zirkel, aus dem, wie scheint, nicht herauszukommen ist. Wir nehmen uns in der Ordnung der wirkenden Ursachen als frei an, um uns in der Ordnung der Zwecke unter sittlichen Gesetzen zu denken, und wir denken uns nachher als diesen Gesetzen unterworfen, weil wir uns die Freiheit des Willens beigelegt haben; denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe, davon aber einer eben um deswillen nicht dazu gebracht werden kann, um den anderen zu erklären und von ihm Grund anzugeben, sondern höchstens nur, um in logischer Absicht verschieden scheinende Vorstellungen von ebendemselben Gegenstand auf einen einzigen Begriff (wie verschiedene Brüche gleichen Inhalts auf die kleinsten Ausdrücke) zu bringen.

Eine Auskunft bleibt uns aber noch übrig, nämlich zu suchen: ob wir, wenn wir uns, durch Freiheit, als  a priori  wirkende Ursachen denken, nicht einen anderen Standpunkt einnehmen, als wenn wir uns selbst nach unseren Handlungen als Wirkungen, die wir vor unseren Augen sehen, vorstellen.

Es ist eine Bemerkung, welche anzustellen eben kein subtiles Nachdenken erfordern wird, sondern von der man annehmen kann, daß sie wohl der gemeinste Verstand, zwar nach seiner Art, durch eine dunkle Unterscheidung der Urteilskraft, die er Gefühl nennt, machen mag: daß alle Vorstellungen, die uns ohne unsere Willkür kommen (wie die der Sinne), uns die Gegenstände nicht anders zu erkennen geben, als sie uns affizieren, wobei, mithin daß, was diese Art Vorstellungen betrifft, wir dadurch, auch bei der angestrengtesten Aufmerksamkeit und Deutlichkeit, die der Verstand nur immer hinzuzufügen mag, doch bloß zur Erkenntnis der  Erscheinungen niemals der  Dinge ansich  gelangen können. Sobald dieser Unterschied (allenfalls bloß durch die bemerkte Verschiedenheit zwischen den Vorstellungen, die uns anderswoher gegeben werden und dabei wir leidend sind, von denen, die wir lediglich aus uns selbst hervorbringen und dabei wir unsere Tätigkeit beweisen) einmal gemacht ist, so folgt von selbst, daß man hinter den Erscheinungen doch noch etwas Anderes, was nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge-ansich, einräumen und annehmen müsse, obgleich wir uns von selbst bescheiden, daß, da sie uns niemals bekannt werden können, sondern immer nur, wie sie uns affizieren, wir ihnen nicht näher treten und, was sie ansich sind, niemals wissen können. Dieses muß eine, zwar rohe Unterscheidung der  Sinnenwelt  von der  Verstandeswelt  abgeben, davon die erstere nach Verschiedenheit der Sinnlichkeit in mancherlei Weltbeschauern auch sehr verschieden sein kann, indessen die zweite, die ihr zugrunde liegt, immer dieselbe bleibt. Sogar sich selbst und zwar nach der Kenntnis, die der Mensch durch unsere Empfindung von sich hat, darf er sich nicht anmaßen zu erkennen, wie er ansich sei. Denn da er doch sich selbst nicht gleichsam schafft und seinen Begriff nicht  a priori,  sondern empirisch bekommt, so ist natürlich, daß er auch von sich durch den inneren Sinn und folglich nur durch die Erscheinung seiner Natur und die Art, wie sein Bewußtsein affiziert wird Kundschaft einziehen könne, indessen er doch notwendigerweise über diese aus lauter Erscheinungen zusammengesetzte Beschaffenheit seines eigenen Subjekts noch etwas anderes zugrunde liegendes, nämlich sein Ich, so wie es ansich beschaffen sein mag, annehmen, und sich also in Absicht auf die bloße Wahrnehmung und Empfänglichkeit der Empfindungen zur  Sinnenwelt,  in Anbetracht dessen aber, was in ihm reine Tätigkeit sein mag (dessen, was gar nicht durch Affizierung der Sinne, sondern unmittelbar zu Bewußtsein gelangt), sich zur  intellektuellen Welt  zählen muß, die er doch nicht weiter kennt.

Dergleichen Schluß muß der nachdenkende Mensch von allen Dingen, die ihm vorkommen mögen, fällen; vermutlich ist er auch im gemeinsten Verstand anzutreffen, der, wie bekannt, sehr geneigt ist, hinter den Gegenständen der Sinne noch immer etwas Unsichtbares, für sich selbst Tätiges zu erwarten, es aber wiederum dadurch verdirbt, daß er dieses Unsichtbare sich bald wiederum versinnlicht, d. h. zum Gegenstand der Anschauung machen will, und dadurch also nicht um einen Grad klüger wird.

Nun findet der Mensch in sich wirklich ein Vermögen, dadurch er sich von allen anderen Dingen, ja von sich selbst, sofern er durch Gegenstände affiziert wird, unterscheidet, und das ist die  Vernunft.  Diese, als reine Selbsttätigkeit ist, und nicht, wie der Sinn, bloß Vorstellungen enthält, die nur entspringen, wenn man von Dingen affiziert (mithin leidend) ist, er dennoch aus seiner Tätigkeit keine anderen Begriffe hervorbringen kann, als die, die bloß dazu dienen, um die  sinnlichen Vorstellungen unter Regeln zu bringen  und sie dadurch in einem Bewußtsein zu vereinigen, ohne welchen Gebrauch der Sinnlichkeit er gar nichts denken würde, dahingegen die Vernunft unter dem Namen der Ideen eine so reine Spontaneität zeigt, daß er dadurch weit über alles, was ihm Sinnlichkeit nur liefern kann, hinausgeht, und ihr vornehmstes Geschäft darin beweist, Sinnenwelt und Verstandeswelt voneinander zu unterscheiden, dadurch aber dem Verstand selbst seine Schranken vorzuzeichnen.

Um deswillen muß ein vernünftiges Wesen sich selbst,  als Intelligenz  (also nicht von Seiten seiner unteren Kräfte), nicht als zur Sinnen-, sondern zur Verstandeswelt gehörig, ansehen; mithin hat es zwei Standpunkte, daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich all seiner Handlungen erkennen kann,  einmal,  sofern es zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen (Heteronomie),  zweitens,  als zur intelligiblen Welt gehörig, unter Gesetzen, die, von der Natur unabhängig, nicht empirisch, sondern bloß in der Vernunft begründet sind.

Als ein vernünftiges, mithin zur intelligiblen Welt gehöriges Wesen, kann der Mensch die Kausalität seines eigenen Willens niemals anders, als unter der Idee der Freiheit denken; denn Unabhängigkeit von den bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt (dergleichen die Vernunft jederzeit sich selbst beilegen muß) ist Freiheit. Mit der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der  Autonomie  unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Prinzip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen Handlungen  vernünftiger  Wesen ebenso zugrunde liegt, als Naturgesetz allen Erscheinungen.

Nun ist der Verdacht, den wir oben rege machten, gehoben, als wäre ein geheimer Zirkel in unserem Schluß aus der Freiheit auf die Autonomie und aus dieser aufs sittliche Gesetz enthalten, daß wir nämlich vielleicht die Idee der Freiheit nur um des sittlichen Gesetzes willen zugrunde legten, um dieses nachher aus der Freiheit wiederum zu schließen, mithin von jenem gar keinen Grund angeben könnten, sondern es nur als Erbittung eines Prinzips, das uns gutgesinnte Seelen wohl gerne einräumen werden, welches wir aber niemals als einen erweislichen Satz aufstellen könnten. Denn jetzt sehen wir, daß, wenn wir uns als frei denken, so versetzen wir uns als Glieder in die Verstandeswelt, und erkennen die Autonomie des Willens samt ihrer Folge, der Moralität; denken wir uns aber als verpflichtet, so betrachten wir uns als zur Sinnenwelt und doch zugleich zur Verstandeswelt gehörig.


Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich?

Das vernünftige Wesen zählt sich als Intelligenz zur Verstandeswelt und bloß als eine zu dieser gehörige wirkende Ursache nennt es seine Kausalität einen  Willen.  Von der anderen Seite ist es sich seiner doch auch als eines Stücks der Sinnenwelt bewußt, in welcher seine Handlungen als bloße Erscheinungen jener Kausalität angetroffen werden, deren Möglichkeit aber aus dieser, die wir nicht kennen, nicht eingesehen werden kann, sondern an deren Statt jene Handlungen als bestimmt durch andere Erscheinungen, nämlich Begierden und Neigungen, als zur Sinnenwelt gehörig, eingesehen werden müssen. Als bloßen Gliedes der Verstandes welt würden also alle meine Handlungen dem Prinzip der Autonomie des reinen Willens vollkommen gemäß sein; als bloßen Stücks der Sinnenwelt würden sie gänzlich dem Naturgesetz der Begierden und Neigungen, mithin der Heteronomie der Natur gemäß genommen werden müssen. (Die ersteren würden auf dem obersten Prinzip der Sittlichkeit, die zweiten der Glückseligkeit beruhen.  Weil  aber die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt, mithin auch der Gesetze derselben enthält,' also in Anbetracht meines Willens (der ganz zur Verstandeswelt gehört) unmittelbar gesetzgebend ist und also auch als solche gedacht werden muß, so werde ich mich als Intelligenz, obgleich andererseits wie ein zur Sinnenwelt gehöriges Wesen, dennoch dem Gesetz der ersteren, d. h. der Vernunft, die in der Idee der Freiheit das Gesetz derselben enthält, und also der Autonomie des Willens unterworfen erkennen, folglich die Gesetze der Verstandeswelt für mich als Imperativen und die diesem Prinzip gemäßen Handlungen als Pflichten ansehen müssen.

Und so sind kategorische Imperative möglich, dadurch, daß die Idee der Freiheit mich zu einem Glied einer intelligiblen Welt macht, wodurch, wenn ich solches allein wäre, alle meine Handlungen der Autonomie des Willens jederzeit gemäß sein  würden,  da ich mich aber zugleich als Glied der Sinnenwelt anschaue, gemäß sein  sollen,  wobei das  kategorische  Sollen einen synthetischen Satz  a priori  vorstellt, dadurch, daß über meinen durch sinnliche Begierden affizierten Willen noch die Idee ebendesselben, aber zur Verstandeswelt gehörigen, reinen, für sich selbst praktischen Willens hinzukommt, welcher die oberste Bedingung des ersteren nach der Vernunft enthält; ungefähr so, wie zu den Anschauungen der Sinnenwelt Begriffe des Verstandes, die für sich selbst nichts, als gesetzliche Form überhaupt bedeuten, hinzu kommen, und dadurch synthetische Sätze  a priori,  auf welchen alle Erkenntnis einer Natur beruth, möglich machen.

Der praktische Gebrauch der gemeinen Menschenvernunft bestätigt die Richtigkeit dieser Deduktion. Es ist niemand, selbst der ärgste Bösewicht, wenn er nur sonst Vernunft zu brauchen gewohnt ist, der nicht, wenn man ihm Beispiele der Redlichkeit in Absichten, der Standhaftigkeit in der Befolgung guter Maximen, der Teilnahme und des allgemeinen Wohlwollens (und noch dazu mit großen Aufopferungen von Vorteilen und Gemächlichkeit verbunden) vorlegt, nicht wünsche, daß er auch so gesinnt sein möchte. Er kann es aber nur wegen seiner Neigungen und Antriebe nicht wohl in sich zustande bringen; wobei er dennoch zugleich wünscht, von solchen ihm selbst lästigen Neigungen frei zu sein. Er beweist hierdurch also, daß er mit einem Willen, der von Antrieben der Sinnlichkeit frei ist, sich in Gedanken in eine ganz andere Ordnung der Dinge versetzt, als die seiner Begierden im Feld der Sinnlichkeit, weil er von jenem Wunsch keine Vergnügung der Begierden, mithin keinen für irgendeine seiner wirklichen oder sonst erdenklichen Neigungen befriedigenden Zustand (denn dadurch würde selbst die Idee, welche ihm den Wunsch ablockt, ihre Vorzüglichkeit einbüßen), sondern nur einen größeren inneren Wert seiner Person erwarten kann. Diese bessere Person glaubt er aber zu sein, wenn er sich in den Standpunkt eines Gliedes der Verstandeswelt versetzt, dazu die Idee der Freiheit, d. h. der Unabhängigkeit) von  bestimmenden  Ursachen der Sinnenwelt ihn unwillkürlich nötigt, und in welchem er sich eines guten Willens bewußt ist, der für seinen bösen Willen, als Glied der Sinnenwelt, nach seinem eigenen Geständnis das Gesetz ausmacht, dessen Ansehen er kennt, indem er es übertritt. Das moralische Sollen ist also eigenes notwendiges Wollen als Glied einer intelligiblen Welt, und wird nur insofern von ihm als Sollen gedaht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet.


Von der äußersten Grenze
aller praktischen Philosophie

Alle Menschen denken sich dem Willen nach als frei. Daher kommen alle Urteile über Handlungen als solche, die hätten  geschehen sollen,  obgleich sie  nicht geschehen sind.  Gleichwohl ist diese Freiheit kein Erfahrungsbegriff, und kann es auch nicht sein, weil er immer bleibt, obgleich die Erfahrung das Gegenteil von denjenigen Forderungen zeigt, die unter der Voraussetzung derselben als notwendig vorgestellt werden. Auf der anderen Seite ist es ebenso notwendig, daß alles, was geschieht, nach Naturgesetzen unausbleiblich bestimmt sei, und diese Naturnotwendigkeit ist auch kein Erfahrungsbegriff, eben darum, weil er den Begriff der Notwendigkeit, mithin einer Erkenntnis  a priori  bei sich führt. Aber dieser Begriff von einer Natur wird durch Erfahrung bestätigt, und muß selbst unvermeidlich vorausgesetzt werden, wenn Erfahrung, d. h. nach allgemeinen Gesetzen zusammenhängende Erkenntnis der Gegenstände der Sinne möglich sein soll. Daher ist Freiheit nur eine  Idee  der Vernunft, deren objektive Realität ansich zweifelhaft ist, Natur aber ein  Verstandesbegriff,  der seine Realität an Beispielen der Erfahrung beweist und notwendig beweisen muß.

Obgleich nun hieraus eine Dialektik der Vernunft entspringt, da in Anbetracht des Willens die ihm beigelegte Freiheit mit der Naturnotwendigkeit im Widerspruch zu stehen scheint, und bei dieser Wegscheidung, die Vernunft in  spekulativer Absicht  den Weg der Naturnotwendigkeit viel gebahnter und brauchbarer findet, als den der Freiheit, so ist doch in  praktischer Absicht  der Fußsteig der Freiheit der einzige, auf welchem es möglich ist, von seiner Vernunft bei unserem Tun und Lassen Gebrauch zu machen; daher wird es der subtilsten Philosophie ebenso unmöglich, wie der gemeinsten Menschenvernunft, die Freiheit wegzuvernünfteln. Diese muß also wohl voraussetzen, daß kein wahrer Widerspruch zwischen Freiheit und Naturnotwendigkeit ebenderselben menschlichen Handlungen angetroffen werde; denn sie kann ebenso wenig den Begriff der Natur, wie den der Freiheit aufgeben.

Indessen muß dieser Scheinwiderspruch wenigstens auf überzeugende Art getilgt werden, obgleich man wie Freiheit möglich sei, niemals begreifen könnte. Denn wenn sogar der Gedanke von der Freiheit sich selbst oder der Natur, die ebenso notwendig ist, widerspricht, so müßte sie gegen die Naturnotwendigkeit durchaus aufgegeben werden.

Es ist aber unmöglich, diesem Widerspruch zu entgehen, wenn das Subjekt, was sich frei dünkt, sich selbst  in demselben Sinne  oder  in demselben Verhältnis  dächte, wenn es sich frei nennt, als wenn es sich in Absicht auf die nämliche Handlung dem Naturgesetz unterworfen annimmt. Daher ist es eine unnachlässliche Aufgabe der spekulativen Philosophie, weningstens zu zeigen, daß ihre Täuschung wegen des Widerspruchs darin beruth, daß wir den Menschen in einem anderen Sinne und Verhältnis denken, wenn wir ihn frei nennen, als wenn wir ihn, als Stück der Natur, dieser ihren Gesetzen für unterworfen halten, und daß beide nicht allein gar wohl beisammen stehen  können,  sondern auch als  notwendig vereint  in demselben Subjekt gedacht werden müssen, weil sonst kein Grund angegeben werden könnte, warum wir die Vernunft mit einer Idee belästigen sollten, die, obgleich sie sich  ohne Widerspruch  mit einer anderen genugsam bewährten vereinigen läßt, dennoch uns in ein Geschäft verwickelt, wodurch die Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauch sehr in die Enge gebracht wird. Diese Pflicht obliegt aber bloß der spekulativen Philosophie, damit sie der praktischen freie Bahn schaffe. Also ist es nicht in das Belieben des Philosophen gesetzt, ob er den scheinbaren Widerstreit heben, oder ihn unangerührt lassen will; denn im letzteren Fall ist die Theorie hierüber  bonum vacans  [herrenloses Gut - wp], in dessen Besitz sich der Fatalist mit Grund setzen und alle Moral aus ihrem ohne Titel besessenen vermeinten Eigentum verjagen kann.

Doch kann man hier noch nicht sagen, daß die Grenze der praktischen Philosophie anfängt. Denn jene Beilegung der Streitigkeit gehört ihr gar nicht zu, sondern sie fordert nur von der spekulativen Vernunft, daß diese die Uneinigkeit, darin sie sich in theoretischen Fragen selbst verwickelt, zu Ende bringe, damit praktische Vernunft Ruhe und Sicherheit für äußere Angriffe habe, die ihr den Boden, worauf sie sich anbauen will, streitig machen könnten.

Der Rechtsanspruch aber, selbst der gemeinen Menschenvernunft, auf Freiheit des Willens, gründet sich auf das Bewußtsein und die zugestandene Voraussetzung der Unabhängigkeit der Vernunft von bloß subjektiv bestimmenden Ursachen, die insgesamt das ausmachen, was bloß zur Empfindung, mithin unter die allgemeine Benennung der Sinnichkeit gehört. Der Mensch, der sich auf solche Weise als Intelligenz betrachtet, setzt sich dadurch in eine andere Ordnung der Dinge und in ein Verhältnis zu bestimmenden Gründen von ganz anderer Art, wenn er sich als Intelligenz mit einem Willen, folglich mit Kausalität begabt denkt, als wenn er sich wie ein Phänomen in der Sinnenwelt (welches er wirklich auch ist) wahrnimmt und seine Kausalität, äußerer Bestimmung nach, Naturgesetzen unterwirft. Nun wird er bald inne, daß beides zugleich stattfinden könne, ja sogar müsse. Denn daß ein  Ding in der Erscheinung  (das zur Sinnenwelt gehörig) gewissen Gesetzen unterworfen ist, von welchen ebendasselbe,  als Ding  oder Wesen  ansich unabhängig ist, enthält nicht den mindesten Widerspruch; daß er sich selbst aber auf diese zweifache Art vorstellen und denken müsse, beruth, was das Erste betrifft, auf dem Bewußtsein seiner selbst als durch Sinne affizierten Gegenstandes, was das Zweite anlangt, auf dem Bewußtsein seiner selbst als Intelligenz, d. h. als unabhängig im Vernunftgebrauch von sinnlichen Eindrücken (mithin als zur Verstandeswelt gehörig).

Daher kommt es, daß der Mensch sich einen Willen anmaßt, der nichts auf seine Rechnung kommen läßt, was bloß zu seinen Begierden und Neigungen gehört, und dagegen Handlungen durch sich als möglich, ja gar als notwendig denkt, die nur mit Hintansetzung aller Begierden und sinnlichen Anreizungen geschehen können. Die Kausalität derselben liegt in ihm als Intelligenz und in den Gesetzen der Wirkungen und Handlungen nach Prinzipien einer intelligiblen Welt, von der er wohl nichts weiter weiß, als daß darin lediglich die Vernunft, und zwar reine, von Sinnlichkeit unabhängige Vernunft, das Gesetz gebe, desgleichen da er daselbst nur als Intelligenz das eigentliche Selbst (als Mensch hingegen nur Erscheinung seiner selbst) ist, jene Gesetze ihn unmittelbar und kategorisch angehen, so daß, wozu Neigungen und Antriebe (mithin die ganze Natur der Sinnenwelt) anreizen, den Gesetzen seines Wollens, als Intelligenz, keinen Abbruch tun können, sogar, daß er die erstere nicht verantwortet und seinem eigentlichen Selbst, d. h. seinem Willen nicht zuschreibt, wohl aber die Nachsicht, die er gegen sie tragen möchte, wenn er ihnen zum Nachteil der Vernunftgesetze des Willens Einfluß auf seine Maximen einräumt.

Dadurch, daß die praktische Vernunft sich in eine Verstandeswelt hinein  denkt,  überschreitet sie gar nicht ihre Grenzen, wohl aber, wenn sie sich  hineinschauen, hineinempfinden  wollte. Jenes ist nur ein negativer Gedanke, in Anbetracht der Sinnenwelt, die der Vernunft in Bestimmung des Willens keine Gesetze gibt, und nur in diesem einzigen Punkt positiv, daß jene Freiheit, als negative Bestimmung, zugleich mit einem (positiven) Vermögen und sogar mit einer Kausalität der Vernunft verbunden sei, welche wir einen Willen nennen, so zu handeln, daß das Prinzip der Handlungen der wesentlichen Beschaffenheit einer Vernunftursache, d. h. der Bedingung der Allgemeingültigkeit der Maxime, als eines Gesetzes, gemäß sei. Würde sie aber noch ein  Objekt des Willens,  d. h. eine Bewegursache aus der Verstandeswelt herholen, so überschritte sie ihre Grenzen und maßte sich an, etwas zu kennen, wovon sie nichts weiß. Der Begriff einer Verstandeswelt ist also nur ein  Standpunkt,  den die Vernunft sich genötigt sieht, außer den Erscheinungen zu nehmen,  um sich selbst als praktisch zu denken,  welches, wenn die Einflüsse der Sinnlichkeit für den Menschen bestimmend wären, nicht möglich sein würde, welches aber doch notwendig ist, sofern ihm nicht das Bewußtsein seiner Selbst, als Intelligenz, mithin als vernünftige und durch Vernunft tätige, d. h. frei wirkende Ursache abgesprochen werden soll. Dieser Gedank führt freilich die Idee einer anderen Ordnung und Gesetzgebung, als die des Naturmechanismus, der die Sinnenwelt trifft, herbei und macht den Begriff einer intelligiblen Welt (d. h. das Ganze vernünftiger Wesen, als Dinge-ansich) notwendig, aber ohne die mindeste Anmaßung, hier weiter, als bloß ihrer  formalen  Bedingung nach, d. h. der Allgemeinheit der Maxime des Willens, als Gesetze, mithin der Autonomie des letzteren, die allein mit der Freiheit desselben bestehen kann, gemäß zu denken; dahingegen alle Gesetze, die auf ein Objekt bestimmt sind, Heteronomie geben, die nur an Naturgesetzen angetroffen werden und auch nur die Sinnenwelt treffen kann.

Aber alsdann würde die Vernunft alle ihre Grenze überschreiten, wenn sie es sich zu  erklären  unterfinge,  wie  reine Vernunft praktisch sein könne, welches völlig einerlei mit der Aufgabe sein würde, zu erklären,  wie Freiheit möglich sei. 

Denn wir können nichts erklären, als was wir auf Gesetze zurückführen können, deren Gegenstand in irgendeiner möglichen Erfahrung gegeben werden kann. Freiheit aber ist eine bloße Idee, deren objektive Realität auf keine Weise nach Naturgesetzen, mithin auch nicht in irgendeiner möglichen Erfahrung, dargetan werden kann, die also darum, weil ihr selbst niemals nach irgendeiner Analogie ein Beispiel untergelegt werden mag, niemals begriffen oder auch nur eingesehen werden kann. Sie gilt nur als notwendige Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen, das sich eines Willens, d. h. eins vom bloßen Begehrungsvermögen noch verschiedenen Vermögens (nämlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach Gesetzen der Vernunft, unabhängig von Naturinstinkte zu bestimmen) bewußt zu sein glaubt. Wo aber Bestimmung nach Naturgesetzen aufhört, da hört auch alle  Erklärung  auf, und es bleibt nichts übrig, als  Verteidigung,  d. h. die Abtreibung der Einwürfe derer, die tiefer in das Wesen der Dinge geschaut zu haben vorgeben und darum die Freiheit dreist für unmöglich erklären. Man kann ihnen nur zeigen, daß der vermeintlich von ihnen darin entdeckte Widerspruch nirgendwo anders liegt, als darin, daß, da sie, um das Naturgesetz in Anbetracht menschlicher Handlungen geltend zu machen, den Menschen notwendig als Erscheinung betrachten mußten, und nun, da man von ihnen fordert, daß sie ihn, als Intelligenz, auch als Ding-ansich denken sollten, sie ihn immer auch da noch als Erscheinung betrachten, wo dann freilich die Absonderung seiner Kausalität (d. h. seines Willens) von allen Naturgesetzen der Sinnenwelt in ein und demselben Subjekt in Widerspruch stehen würde, welcher aber wegfällt, wenn sie sich besinnen und, wie billig, eingestehen wollten, daß hinter den Erscheinungen doch die Sachen ansich (zwar verborgen) zugrunde liegen müssen, von deren Wirkungsgesetzen man nicht verlangen kann, daß sie mit denen einerlei sein sollten, unter denen ihre Erscheinungen stehen.

Die subjektive Unmöglichkeit, die Freiheit des Willens zur  erklären,  ist mit der Unmöglichkeit, ein  Interesse  (1 ausfindig und begreiflich zu machen, welches der Mensch an moralischen Gesetzen nehmen könne, einerlei; und gleichwohl nimmt er wirklich daran ein Interesse, wozu wir die Grundlage in uns das moralische Gefühl nennen, welches fälschlich für das Richtmaß unserer sittlichen Beurteilung von Einigen ausgegeben wurde, da es vielmehr als die  subjektive  Wirkung, die das Gesetz auf den Willen ausübt, angesehen werden muß, wozu Vernunft allein die objektiven Gründe hergibt.

Um das zu wollen, wozu die Vernunft allein dem sinnlich affizierten vernünftigen Wesen das Sollen vorschreibt, dazu gehört freilich ein Vermögen der Vernunft, ein  Gefühl der Lust  oder des Wohlgefallens an der Erfüllung der Pflicht  einzuflößen,  mithin eine Kausalität derselben, die Sinnlichkeit ihren Prinzipien gemäß zu bestimmen. Es ist aber gänzlich unmöglich, einzusehen, d. h.  a priori  begreiflich zu machen, wie ein bloßer Gedanke, der selbst nichts Sinnliches in sich enthält, eine Empfindung der Lust oder Unlust hervorbringt; denn das ist eine besondere Art von Kausalität, von der, wie von aller Kausalität, wir gar nichts  a priori  bestimmen können, sondern darum allein die Erfahrung befragen müssen. Da diese aber kein Verhältnis der Ursache zur Wirkung, als zwischen zwei Gegenständen der Erfahrung, an die Hand geben kann, hier aber reine Vernunft durch bloße Ideen (die gar keinen Gegenstand für Erfahrung abgeben), die Ursache von einer Wirkung, die freilich in der Erfahrung liegt, sein soll, so ist die Erklärung, wie und warum uns die  Allgemeinheit der Maxime als Gesetz,  mithin die Sittlichkeit, interessiere, uns Menschen gänzlich unmöglich. Soviel nur ist gewiß, daß es nicht darum für uns Gültigkeit hat,  weil  es interessiert (denn das ist Heteronomie und Abhängigkeit der praktischen Vernunft von Sinnlichkeit, nämlich einem zugrundeliegenden Gefühl, wobei sie niemals sittlich gesetzgebend sein könnte), sondern daß es interessiert, weil es für uns als Menschen gilt, da es aus unserem Willen als Intelligenz, mithin aus unserem eigentlichen Selbst entsprungen ist;  was  aber zur bloßen Erscheinung gehört, wird von der Vernunft notwendig der Beschaffenheit der Sache ansich untergeordnet.'

Die Frage also: wie ein kategorischer Imperativ möglich sei, kann zwar so weit beantwortet werden, als man die einzige Voraussetzung angeben kann, unter der er allein möglich ist, nämlich die Idee der Freiheit, desgleichen als man die Notwendigkeit dieser Voraussetzung einsehen kann, welches zum  praktischen Gebrauch  der Vernunft, d. h. zur Überzeugung von der  Gültigkeit dieses Imperativs,  mithin auch des sittlichen Gesetzes hinreichend ist; aber wie diese Voraussetzung selbst möglich sei, läßt sich durch keine menschliche Vernunft jemals einsehen. Unter der Voraussetzung der Freiheit des Willens einer Intelligenz aber ist die  Autonomie  desselben, als die formale Bedingung, unter der er allein bestimmt werden kann, eine notwendige Folge. Diese Freiheit des Willens vorauszusetzen, ist auch nicht allein (ohne in Widerspruch mit dem Prinzip der Naturnotwendigkeit in der Verknüpfung der Erscheinungen der Sinnenwelt zu geraten) ganz wohl  möglich  (wie die spekulative Philosophie zeigen kann), sondern sie auch praktisch, d. h. in der Idee allen seinen willkürlichen Handlungen,als Bedingung, unterzulegen, ist einem vernünftigen Wesen, das sich seiner Kausalität durch Vernunft, mithin eines Willens (der von Begierden verschieden ist) bewußt ist, ohne weitere Bedingung  notwendig. Wie  nun aber reine Vernunft, ohne andere Triebfedern, die irgendwoher sonst genommen sein mögen, für sich selbst praktisch sein, d. h. wie das bloße  Prinzip der Allgemeingültigkeit aller Maximen als Gesetze  (welches freilich die Form einer reinen praktischen Vernunft sein würde), ohne alle Materie (Gegenstand) des Willens, woran man im Voraus irgendein Interesse nehmen dürfe, für sich selbst eine Triebfeder abgeben und ein Interesse, welches rein  moralisch  heißen würde, bewirken, oder mit anderen Worten:  wie reine Vernunft praktisch sein könne,  das zu erklären, dazu ist alle menschliche Vernunft gänzlich unvermögend und alle Mühe und Arbeit, hiervor eine Erklärung zu suchen, ist verloren.

Es ist ebendasselbe, es ist ebendasselbe, als ob ich zu ergründen suchte, wie Freiheit selbst als Kausalität eines Willens möglich ist. Denn da verlasse ich den philosophischen Erklärungsgrund, und habe keinen anderen. Zwar könnte ich nun in der intelligiblen Welt, die mir noch übrig bleibt, in der Welt der Intelligenzen herumschwärmen; aber obgleich ich davon eine  Idee  habe, die ihren guten Grund hat, so habe ich doch von ihr nicht die mindeste  Kenntnis,  und kann auch zu dieser durch alle Bestrebung meines natürlichen Vernunftvermögens niemals gelangen. Sie bedeutet nur ein Etwas, das da übrig bleibt, wenn ich alles, was zur Sinnenwelt gehört, von den Bestimmungsgründen meines Willens ausgeschlossen habe, bloß um das Prinzip der Bewegursachen aus dem Feld der Sinnlichkeit einzuschränken, dadurch, daß ich es begrenze, und zeige, daß es nicht alles in allem in sich faßt, sondern daß außer ihm noch mehr sei; dieses Mehrere aber kenne ich nicht weiter. Von der reinen Vernunft, die dieses Ideal denkt, bleibt nach Absonderung aller Materie, d. h. der Erkenntnis der Objekte, mir nichts, als die Form übrig, nämlich das praktische Gesetz der Allgemeingültigkeit der Maximen und, diesem gemäß, die Vernunft in Beziehung auf eine reine Verstandeswelt als mögliche wirkende, d. h. als den Willen bestimmende Ursache zu denken; die Triebfeder muß hier gänzlich fehlen; es müßte denn diese Idee einer intelligiblen Welt selbst die Triebfeder, oder dasjenige sein, woran die Vernunft ursprünglich ein Interesse nähme; welches aber begreiflich zu machen gerade die Aufgabe ist, die wir nicht auflösen können.

Hier ist nun die oberste Grenze aller moralischen Nachforschung; welche aber zu bestimmen, auch schon darum von großer Wichtigkeit ist, damit die Vernunft nicht einerseits in der Sinnenwelt auf eine den Sitten schädliche Art nach der obersten Bewegursache und einem begreiflichen, aber empirischen Interesse herumsuche, andererseits aber, damit sie auch nicht in dem für sie leeren Raum transzendenter Begriffe, unter dem Namen der intelligiblen Welt, kraftlos ihre Flügel schwinge, ohne von der Stelle zu kommen, und sich unter Hirngespinsten verliere. Übrigens bleibt die Idee einer reinen Verstandeswelt, als eines Ganzen aller Intelligenzen, wozu wir selbst, als vernünftige Wesen (obgleich andererseits zugleich Glieder der Sinnenwelt), gehören, immer eine brauchbare und erlaubte Idee zum Zweck eines vernünftigen Glaubens, wenngleich alles Wissen an der Grenze derselben ein Ende hat, um durch das herrliche Ideal eines allgemeinen Reichs der  Zwecke ansich  (vernünftiger Wesen), zu welchen wir nur alsdann als Glieder gehören können, wenn wir uns nach Maximen der Freiheit, als ob sie Gesetze der Natur wären, sorgfältig verhalten, ein lebhaftes Interesse am moralischen Gesetz in uns zu bewirken.


Schlußanmerkung

Der spekulative Gebrauch der Vernunft,  in Anbetracht der Natur,  führt auf absolute Notwendigkeit irgendeiner obersten Ursache  der Welt;  der praktische Gebrauch der Vernunft, in  Absicht auf die Freiheit,  führt auch auf absolute Notwendigkeit, aber nur  der Gesetze der Handlungen  eines vernünftigen Wesens, als eines solchen. Nun ist es ein wesentliches  Prinzip  allen Gebrauchs unserer Vernunft, ihre Erkenntnis bis zum Bewußtsein ihrer  Notwendigkeit  zu treiben (denn ohne diese wäre sie nicht Erkenntnis der Vernunft). Es ist aber auch eine ebenso wesentliche  Einschränkung  ebenderselben Vernunft, daß sie weder die  Notwendigkeit  dessen, was da ist oder was geschieht, noch dessen, was geschehen soll, einsehen kann, wenn nicht eine  Bedingung,  unter der es da ist oder geschieht oder geschehen soll, zugrunde gelegt wird. Auf diese Weise aber wird durch die beständige Nachfrage nach der Bedingung die Befriedigung der Vernunft nur immer weiter aufgeschoben. Daher sucht sie rastlos das unbedingt Notwendige, und sieht sich genötigt, es anzunehmen, ohne irgendein Mittel, es sich begreiflich zu machen; glücklich genug, wenn sie nur den Begriff ausfindig machen kann, der sich mit dieser Voraussetzung verträgt. es ist also kein Tadel für unsere Deduktion des obersten Prinzips der Moralität, sondern ein Vorwurf, den man der menschlichen Vernunft überhaupt machen müßte, daß sie ein unbedingtes praktisches Gesetz (dergleichen der kategorische Imperativ sein muß) seiner absoluten Notwendigkeit nach nicht begreiflich machen kann; denn daß sie dieses nicht durch eine Bedingung, nämlich mittels irgendeines zugrunde gelegten Interesses tun will, kann ihr nicht verdacht werden, weil es alsdann kein moralisches, d. h. oberstes Gesetz der Freiheit sein würde. Und so begreifen wir zwar nicht die praktische Notwendigkeit des moralischen Imperativs, wir begreifen aber doch seine  Unbegreiflichkeit welches alles ist, was billigermaßen von einer Philosophie, die bis zur Grenze der menschlichen Vernunft in Prinzipien strebt, gefordert werden kann.
LITERATUR: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Berlin 1870 [Kirchmann-Ausgabe]
    Anmerkungen
    1) Interesse ist das, woduch Vernunft praktisch, d. h. eine den Willen bestimmende Ursache wird. Daher sagt man nur von einem vernünftigen Wesen, daß es woran ein Interesse nehme, vernunftlose Geschöpfe fühlen nur sinnliche Antriebe. Ein unmittelbares Interesse nimmt die Vernunft nur alsdann an der Handlung, wenn die Allgemeingültigkeit der Maxime derselben ein genugsamer Bestimmungsgrund des Willens ist. Ein solches Interesse ist allein rein. Wenn sie aber den Willen nur mittels eines anderen Objekts des Begehrens, oder unter der Voraussetzung eines besonderen Gefühls des Subjekts bestimmen kann, so nimmt die Vernunft nur ein mittelbares Interesse an der Handlung, und, da Vernunft für sich allein weder Objekte des Willens, noch ein besonderes ihm zugrunde liegendes Gefühl ohne Erfahrung ausfindig machen kann, so würde das letztere Interesse nur empirisch und kein reines Vernunftinteresse sein. Das logische Interesse der Vernunft (ihre Einsichten zu befördern) ist niemals unmittelbar, sondern setzt Absichten ihres Gebrauchs voraus.