ra-4Hermann Settegast
 
Der Satan und die Freimaurer
PAUL WAGLER

Ich bin der festen Überzeugung: Der Satan ist das unwillkürliche Symbol, die Personifikation, für ein Grunderlebnis aller Menschen, nämlich für das Erlebnis, daß all unserem Handeln - praktischem und theoretischem, religiösem, sittlichen, forschenden und wirtschaftlichem - sich stets ein Widerstand entgegensetzt. Wenn wir im stärksten sittlichen Wollen frei nach unseren heiligsten Gesinnungen das Gute in uns selbst zu verwirklichen trachten, regt sich in uns nicht ein fast unüberwindbarer Widerstand, der alles sittliche Handeln erst als Sieg eines heißen, heißen Seelenkampfes gelten läßt?

Lieber Leser, hast du die Wahrheit ohne Geisteskampf gesehen? Mußtest du nicht mit tausend Mächten des Zweifels, der Täuschung, des Irrtums, ja der Lüge ringen?

Unsere Religion! Ist es nicht ein Kampf um Gott und für Gott? Wenn unsere Seele in seligster Andacht ganz mit Gott schon zu verschmelzen scheint, hört ihr nicht aus dem Urgrund der Seele den Ruf: Ist deine Andacht auch nicht Jllusion? Beweise deinen Gott! - Wer ist der Sophist? Wer durchschüttert nur täglich immer wieder unsere Andacht, unsere Gewißheit und unsere Tugend, um alles in uns zu zerstören zu können und auch alles tatsächlich in uns zu vernichten, was nicht wahr und echt ist? Wer ist dieser schreckliche Prüfer unserer Seele und des Kulturgeistes der Menschheit? Wer ist dieses fürchterliche Werkzeug der Entwicklung, diese uns aufreibende Triebkraft der Geschichte? Wer macht so unser ganzes Leben und Streben zu einer schmerzlichen Selbstüberwindung?

Lieber Leser! Was ist dein Schaffen in der Welt, deine Berufsarbeit? Ein unausgesetztes Ringen mit den Widerständen des Stoffs, eine Überwindung der Mitmenschen, eine Auflösung von Widersprüchen, eine Aufhebung von Irrtümern, eine Beseitigung von Mißverständnissen, eine Überwindung von Täuschungen, eine Abweher zerstörender Angriffe auf dein Werk, und ein Kampf mit fremder Selbstsucht und Lebensgier.

Aber merkwürdig! Dieser Widersacher ist verschwunden, sobald in dir alles schweigt, sobald Geist und Hand ruhen! Aber er ist sofort auf dem Plan, wenn sich in dir ein Gefühl, ein Begehren, ein Gedanke und der Wille zur Tat regt; er antwortet sofort mit tausend Angriffen, wenn du deinen Willen in der Außenwelt verwirklichst. Hast du ihn durch deine Lebensregung erschaffen? Ist er gar nur die andere Seite und damit ein untrennbares Element von dir selbst? Jedenfalls ist er nicht ursprünglich, sondern ein unausgesetzt werdendes Prinzip, der absolute Gegensatz, das Prinzip oder die Macht der Verneinung gegenüber dir, deinem Leben und Schaffen. Diese Macht lebt daher nicht aus sich selbst, sondern allein aus dem Geist der Verneinung zu dir selbst; aber unser Denken ist bei der Eigenart unseres Bewußtseins an eine konkrete Gestalt gebunden, uns so personifizieren wir unsere Gewißheit vom unbedingten Gegensatz, der alles Sein bis hinauf zur Gottheit beherrscht, im  Satan.  Der Satansglaube ist also doch ein Grunderlebnis der Menschheit, und er kann nach diesem Erlebnis doch als "rächende Kraft der Vernunft" aufgefaßt werden.

Lieber Leser, durchwandere die weiten Räume der Religionsgeschichte, meinetwegen anhand der trefflichen Artikel von GUNKEL und VOGT über "Satan" und "Teufel" in dem Werk "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" oder folge den Bahnen der Philosophie, z. B. der tiefgründigen Satanologie SCHELLINGs und KUNO FISCHERs "Geschichte der neueren Philosophie", und dur wirst finden, die Menschheit hat die Überzeugung:  Satan  ist die wesentliche Triebkraft der Entwicklung und das Werkzeug der Gottheit in der Weltgeschichte. Wird dir jetzt CARDUCCIs Hymnus auf den Satan verständlich? Überdies: ist GOETHEs "Faust" nicht die dichterische Verherrlichung desselben Satanserlebnisses in der Gestalt des MEPHISTOPHELES? Was sagt MEPHISTO von sich selbst?
    "Ich bin der Geist, der stets verneint,
    Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
    Ist wert, daß es zugrunde geht. -
    So ist denn alles, was ihr Sünde,
    Zerstörung, kurz das Böse nennt,
    Mein eigentliches Element."
Und auf die Frage FAUSTs: "Wer bist du denn?" antwortet er:
    "Ein Teil von jener Kraft,
    Die stets das Böse will und stets das Gute schafft."
FAUST aber ruft ihm zu:
    "Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste! --
    Du kannst im Großen nichts vernichten
    und fängst es nun im Kleinen an. -
    Was anders suche zu beginnen,
    Des Chaos wunderlicher Sohn."
Der Herr aber spricht zu ihm im Prolog des "Faust":
    "Ich habe deinesgleichen nie gehaßt.
    Von allen Geistern, die verneinen,
    Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
    Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen;
    Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
    Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu,
    Der reizt und wirkt und muß, als Teufel, schaffen."
Jetzt, lieber Leser, haben wir die richtige Stellung gegenüber dem Satanserlebnis, wie es in CARDUCCIs Satanshymne und GOETHEs  Faust  sich ausdrückt; es ist das religiös-sittliche Grunderlebnis vom Prinzip des Gegensatzes, der alles Sein, auch die Kultur beherrscht; aber es ist nicht Satanskult oder Satansanbetung.

LITERATUR, Paul Wagler, Die Freimaurernatur des deutschen Volkes, Leipzig 1920