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(1795 - 1886) Zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber
Was noch zu tun ist Indem wir nun zum zweiten wiederholen, was diese geleistet haben, läßt sich am leichtesten fassen, was noch zu tun ist. Über Italien ist das Meiste allerdings bereits geschehen; doch nicht Weniges ist noch immer zurück. Die Florentinischen Geschichtsschreiber zuerst haben wohl die inneren Verhältnisse ihres Vaterlandes in dieser Zeit, so zu sagen, vollkommen aufgeklärt, doch nicht die äußeren. Wie viel hier zu leisten übrig ist, bezeugen die Mitteilungen in FABRONIs "Lorenzo Medici" und in MACCHIAVELLIs "Legationen". FABRONI bekennt, es sei ihm nicht möglich gewesen, alle seine Urkunden aufzunehmen, da es eine fast unzählbare Menge ist (1); und wenn er sich in seinem "Lorenzo" beschränkt hat, so hat er es im "Leben Leos X" noch mehr getan. In Hinsicht auf den Zweck eines Biographen muß man dies billigen; auch in den mitgeteilten Briefen LORENZOs z. B. kann man seinen klaren Verstand,, seine helle und durchsichtige Schreibart bis zu einer gewissen Genüge wahrnehmen. DOch wem an der genaueren Kenntnis dieser Dinge gelegen ist, der wird hiermit nicht befriedigt. MACCHIAVELLIs "Legationen" haben wir freilich vollständig; doch waren sie weder die einzigen in ihrer Art, noch immer die wichtigsten. Die wahre Belehrung, die wir aus ihnen schöpfen, machen eine Einsicht in die Gesandtschaftsberichte auch anderer Florentiner, die ohne Zweifel eben da vorhanden sind, wo die seien gefunden wurden, allerdings wünschenswürdig. In den venetianischen Dingen läßt sich vielleicht über die äußeren Kriegsbegebenheiten wenig Neues auffinden, aber über die persönlichen Beziehungen ihrer Häupter unter einander und zu fremden Fürsten, über das Geheimere ihrer Unterhandlungen in der Signorie [höchste Behörde der italienischen Stadtstaaten im Mittelalter - wp] und an fremden Höfen sind wir durchaus so gut wie gar nicht unterrichtet. Man sollte hoffen, PIERRE DARU werde dies aus der "Historia di Venezia" (1457-1500), besonders aus den "Varie scritture di Venezia" und aus anderen authentischen Urkunden und Berichten, die er handschriftlich in Händen hatte, in der "Histoire de Venise" geleistet haben; doch sei es, daß ihm diese Schriften nichts gewährten, oder aus welchem Grund auch, genug, geleistet ist es nicht. Man muß bekennen, den Ursprung der Staatsinquisition und einiges Andere hat er zuerst entdeckt oder mitgeteilt; aber wenn er bei ungewöhnlichen Darstellungen wichtiger Begebenheiten nichts als den DOGLIONI und VERDIZOTTI, zwei späte und nicht allzu berufene Schriftsteller anführt, so kann sein Zeugnis nicht mehr gelten, als deren Zeugnis. Hier ist für eine genaue Kenntnis noch viel, wenn nicht zu leisten, dann doch zu wünschen. Von den mailändischen Geschichtsschreibern sind nur BERNARDINO CORIO und MARTIANUS CAPELLA wirklich authentisch; zwischen ihnen ist aber eine Lücke von 20 Jahren. Diesen Mangel könnten die mailändischen Chroniken von ARLUNI, ANDREA del PRATO, FAGNANO und anderen ersetzen; doch sie befinden sich ungedruckt auf der ambrosianischen Bibliothek. Auch außer diesen finden sich zu Mailand große Schätze für die Geschichte dieser Zeit. ROSMINI hat allein 70 geschriebene Volumina, zum Zweck der Biographie JOHANN JACOB TRIULZIOs, in Händen gehabt, und was er daraus mitteilt, ist alles trefflich und belehrend. Besonders wird man auf die Briefe HIERONYMO MORONEs aufmerksam, von denen sich eine ganze Sammlung vorfindet, und welche zu den wichtigsten Urkunden gezählt werden müssen, sofern sie wirklich echt heißen dürfen. Ich will jedoch nicht verbergen, daß mir jene Berichte, die in den Briefen MORONEs vom Ausgang LODOVICO SFORZAs gegeben werden, - sie finden sich bei ROSMINI - nicht durchaus authentisch scheinen. Es ist mancherlei, was sich gegen sie erinnern läßt, aber das Wichtigste, daß sie beim Jahr 1500 stets von duodecim pavis Helvetiorum [zwölf Schweizer Ortschaften - wp] reden, da in diesem Jahr doch nur zehn Orte waren, welche erst im Juli und August 1501 durch die Aufnahme von Schaffhausen und Basel auf zwölf vermehrt wurden. Vielleicht sind sie zwar von MORONE, aber später geschrieben; auch dann werden sie wichtig genug sein. Ob sich nun auch in Neapel, außer etwa den von MURATORI verschmähten Schriften CARACCIOLAs, wichtige Denkmale für die Geschichte dieser Zeit finden werden, kann ich nicht sagen; ganz unwahrscheinlich ist es nicht, da das Wichtigste, die Chronik PASSEROs, erst spät und nicht seit allzulange bekannt geworden ist; aber gewiß ist, daß für die Geschichte der Päpste vielleicht die Hauptdenkmale noch nicht benutzt worden sind. Zuerst sind es jene acht Bände handschriftliche Nachrichten der Zeremonienmeister zu München, die, wenn den Berichterstattern zu trauen ist, fast ohne Lücke von 1484 bis 1538 reichen, und nicht allein den BURKARDUS ergänzen, sondern für diesen wichtigen Zeitraum zugleich ganz unbekannte und durchaus authentische Nachrichten enthalten müssen (2). Aber überdies müssen päpstliche Gesandtschaftsberichte, und in ihnen die allerbesten Erklärungen über die gesamte europäische Politik vorhanden sein. Ein Beispiel geben die Briefe CANOSSAs in den "Lettere die Principi". Etwas unzugänglich wird man diese Berichte freilich finden. Sollte aber wohl Jemand ihre und ähnliche öffentliche Bekanntmachung wirklich zu fürchten haben? Man könnte es glauben, wäre nicht das Schlimmste längst vermutet, gesagt, ja als Wahrheit nachgesagt worden. Genauere Kenntnis stellt die Menschen immer menschlicher dar; sie zeigt erst, in wiefern ein Fehler möglich und folglich verzeihlich ist. Dies wäre für's Erste für die Kenntnis der allgemeinen Verhältnisse und Begebenheiten in Italien zu tun notwendig. In Spanien fehlt freilich der ganze Fleiß eines ZURITA für KARL V. Die Materialien müssen für die Zeit, welche KARL in Spanien war, daselbst vorhanden sein; aber SANDOVAL zumindest hat sie entweder nicht gehabt oder doch nicht, wie ZURITA, benutzt. Auch Frankreich hat - um dies sogleich zu erwähnen - in den königlichen Archiven und Bibliotheken bedeutende Schätze. Aus den Manuskripten von "Bethune" hat GARNIER einige schöne Aufklärungen an den Tag gebracht. ROSMINI sind über die Zeit, da die Franzosen Mailand besessen haben, zwölf Volumina übersendet worden, und es müssen sich in diesen und ähnlichen weit bedeutendere Dinge finden, als seine Mitteilungen gerade anzeigen. DARU hat eine "Histoire de Charles VIII", eine "Histoire de la conquête du duche de Milan", noch eine "Conquête de Milan", Instruktionen und Kapitulationen, alles handschriftlich, aus denselben Schätzen in Händen gehabt; wie es jedoch scheint, war mehr sein Zweck, darauf aufmerksam zu machen, als es durch und durch zu benutzen. Das Wichtigste aber ist ohne Zweifel in Deutschland selbst zu tun. Es sind über diese Zeit Akten, Briefe, Lebensbeschreibungen, Chroniken von der größten Wichtigkeit vorhanden, für die es aber ist, als wäre die Buchdruckerkunst noch gar nicht erfunden. Erstens sind noch nicht einmal die Akten der Reichstage vollständig gesammelt. Einige finden sich allerdings bei DATT "de pace publica", in MÜLLERs "Reichstagstheatrum" und "Reichtagsstaat". DATT aber ist ganz unzureichend; MÜLLER geht bloß bis 1508 und hat nicht einmal seine sächsischen Archive erschöpft. Von jener Schrift, die MAXIMILIAN auf dem Reichtstag zu Costnitz über seine bisherige Rechtsverwaltung verteilen ließ, ist bei ihm keine Spur, und doch ist sie nachher aus einem sächsischen Manuskript bekannt geworden. Da sich nun aber in diesen Zeiten die Reichsverfassung unter dem lebhaftesten Für und Wider zu jener Konsistenz ausgebildet hat, vermöge deren sie die Stürme der Reformation auszuhalten fähig wurde; da hierbei nicht allein die zuweilen ausgezeichnete Persönlichkeit der Fürsten, sondern auch die nicht minder ausgezeichnete ihrer Räte, jener SERENTAIN, GURK, GOSSENBACH, LICHTENSTEIN, die dem Kaiser dienten, STÜRZLERs, den derselbe Anfangs fürchtete, und zuletzt gewann, BAUMGARTNERs, welcher Bayernlandshut, NEUHAUSERs, welcher Bayernmünchen leitete, der HOLZINGER und LAMPARTER in Württemberg, und so vieler anderer ausgezeichneter Leute tätig hervortritt, und sich der Betrachtung aufdrängt; da die Interessen der verschiedenen Landschaften und Städte in das Spiel kommen; so ist nicht allein höchst wichtig zu wissen, sondern es müßte für Verständige auch anziehend zu lesen sein, wie die Entwicklung geschehen, besonders wie sich, vom Jahr 1505 bis 1521, was so gut wie unbekannt ist, die zerstreuten Elemente zur Einheit einer Verfassung gestaltet. Wünschenswert wäre es, die Akten von kurfürstlicher, fürstlicher, städtischer Seite und womöglich auch von der kaiserlichen, beisammen zu haben und vergleichen zu können; die Relationen der Gesandten nach Haus müßte man nicht minder damit verbinden. Ist, wie ich denke, der genaue Zusammenhang der allgemeinen und der deutschen Begebenheiten erwiesen, so erkennt man, daß dies, wie die inneren Verhältnisse vollständig, so selbst die äußeren, wenigstens zum Teil, erklären müßte. Von diesen aber muß sich in den Schreiben, welche MAXIMILIAN fortwährend an die Fürsten und Städte des Reichs erlassen hat, fast eine vollständige Geschichte finden. Auch von diesen Schreiben sind einige bei DATT, bei MÜLLER, in GOLDASTs "Reichshandlung", im Archiv von HORMAYR gedruckt; aber gegen die Menge, welche noch vorhanden ist, gehalten, nur eine kleine Zahl. In der Chronik von Regensburg geschieht nicht weniger, die im hiesigen Archiv liegen, anderer anderswo Erwähnung; nicht leicht wird eines sein, das nicht irgend einen unbekannten Zug mitteilt. Man wird sich jedoch hierbei nicht mit einem einzigen von jedem Datum begnügen dürfen. In BECKMANNs anhaltischer Chronik finden sich zwei nicht unwichtige Schreiben MAXIMILIANs, vom Jahr 1510, über die italienischen Dinge. Dieselben Schreiben finden sich nun auch überdies, das eine in GOLDASTs "Reichshandlung", beide in HORMAYERs Archiv. Sie haben aber hier eine bedeutende Verschiedenheit, sie sind um die Hälfte länger. Darf man schließen, daß diese Schriften an manche Fürsten ausführlicher, als an andere gerichtet wurden? Man müßte sich, um sicherer zu sein, verschiedene Exemplare zu verschaffen suchen. Ich will der anderen originalen Papiere über diese Zeit nicht gedenken, deren sich trotz aller schwedischen Verwüstungen an jedem Hof, in jeder Stadt finden müssen; gesandtschaftliche Schreiben, wie man aus jenen sehen kann, welche HORMAYR im Archiv über die Zeit KARLs V. mitgeteilt hat, sind am allerwichtigsten; hier ist nicht eine Nachlese, sondern eine Ernte übrig: eine Ernte von schönen Kenntnissen menschlicher Handlungen, wahren Lebens und vaterländischer Zustände. Überdem ist gewiß das Leben MAXIMILIANs von FUGGER nicht das Einzige, welches, wie ich in der Bemerkung über den Ehrenspiegel gezeigt habe, eine Erweckung aus dem verborgenen Manuskript erwartet. Lebensbeschreibungen aber, wie das "Leben Friedrich des Weisen" von GEORG SPALATIN, das in der Tat an JOINVILLE erinnert (FRIEDRICH an LUDWIG bzw. SPALATIN an JOINVILLE); wie die "vita Friderici Palatini" von THOMAS LEODIUS, die sich nicht in den Grenzen von Deutschland hält, sondern über die Niederlande, Spanien und Italien anziehende Notizen mitteilt; selbst wie jenes guten, derben Pommers, GASTROW, das vor Kurzem bekannt wurde, - alle aus dieser Zeit - führen in die Mitte der Begebenheiten ein. Jedermann wird ihrer mehrere zu haben wünschen. Noch mehr wahre Belehrung versprechen jedoch einzelne Chroniken, und unter denselben vor allem die schweizerischen. ANSELM VALERIUS RYDs "Chronik" gehört vielleicht zu den besten Werken unserer älteren Literatur; warum liegt sie verborgen? Ein schönes Denkmal protestantischen Eifers und evangelischer Weltansich ist nach allen Zeugnissen die "Chronik" BULLINGERs; doch nicht einmal das Jubiläum der Reformation hat es auferwecken können. EDLIBACH, Schweizer, die Fortsetzung des TSCHUDI, sind nicht minder würdig, allgemein gekannt zu werden. Wo dieselben einen Zweifel übrig lassen, treten die Akten und Bescheide der Tage erläuternd hinzu. Die Schweiz greift zu dieser Zeit in alle öffentlichen Verhältnisse tätig ein, und eine gründliche Einsicht in dieselben ist ohne die Kenntnis ihrer Bücher unmöglich. Wegen des ANSELMUS will ich noch auf STETTLERs "Chronik des Uechtlandes" aufmerksam machen. Die Bücher von FUCHS und GLUTZ teilen, wie aus Akten und anderen Chroniken, so auch aus dem ANSELMUS bedeutende und sehr belehrende Bruchstücke mit. Mir ist schon beim Krieg von 1499, hierauf ferner bis zur Schlacht von Novara 1513 aufgefallen, daß diese Auszüge häufig wörtlich mit dem STETTLER übereinstimmen. Es scheint, als wäre dessen Buch in dieser Zeit wesentlich nur eine mit Hilfe einiger späterer Schriftsteller, besonders des Le FÉRON, unternommene Überarbeitung des "Anselmus". Ohne Zweifel würde eine Kollation [Vergleich einer Abschrift mit der Urschrift - wp]dieser gedruckten und nicht ungangbaren Chronik mit der Handschrift dem Geschichtsfreund ein wertes Geschenk sein. Die übrigen Chroniken, gedruckte und ungedruckte, von jedem Land, von jeder Stadt, neuerer und älterer Zeit, sind so viele, daß ich sie nicht berühren will. Sind sie vielleicht in früheren Zeiten fabelhaft, so werden sie doch im 16. Jahrhundert, aus welchem die meisten stammen, glaubwürdiger, und einige selbst anziehend, ja schön. Was ist die allgemeine Geschichte Deutschlands ohne eine genaue Berücksichtigung wenigstens der bedeutenderen? Aber selbst ihre Literatur ist unzugänglich. Hier wäre jemand erforderlich, der mit leidlichen Kenntnissen, sattsamen Empfehlungen und guter Gesundheit ausgerüstet, Deutschland nach allen Seiten durchzieht, und die Reste einer halb untergegangenen und so nahe liegende Welt aufsucht. Wir jagen unbekannten Gräsern bis in die Wüsten Lybiens nach; sollte das Leben unserer Altvordern nicht denselben Eifer in unserem eigenen Land wert sein? ![]() ![]() |