Darwins Auslese Jeder Fortschritt vom Niederen zum Höheren, so argumentiert man, ist bedingt durch das überall gültige Gesetz der Auslese, die immer mehr das Schlechte beseitigt und dem Guten zum Sieg verhilft. Dieses Gesetz muß daher zugleich auch das Prinzip der historischen Entwicklung und des Fortschritts sein. Das klingt manchem wohl sehr plausibel, aber man braucht auf die nähere Ausführung derartiger Gedanken, aufgrund deren man die verschiedensten Fortschrittsbegriff gewonnen hat, nicht einzugehen, um zu zeigen, daß hier ein totales Mißverständnis der Biologie DARWINs vorliegt. Wenn diese Theorie wirklich eine rein naturalistische Erklärung geben soll, so muß sie auf jede Wertteleologie verzichten und daher auch die Verwendung von Wertbegriffen, wie "höher" und "nieder", gänzlich vermeiden. Die natürliche Auslese beseitigt nicht das Schlechte und erhält das Gute, sondern verhilft lediglich dem unter bestimmten Verhältnissen Lebensfähigeren zum Sieg und dieser Prozeß kann nur dann ein Fortschritt genannt werden, wenn man das Leben als solches, in welcher Gestalt es auch auftreten mag, zum absoluten Wert machen will. Das aber wäre ganz sinnlos; denn Lebensfähigkeit hat alles Leben schon durch sein bloßes Dasein bewiesen und daher fällt jeder Wertunterschied von diesem Standpunkt aus weg. Man darf nicht einmal aufgrund der Begriffe DARWINs menschliches Leben höher als tierisches schätzen und daher die Entwicklung zum Menschen einen Fortschritt nennen. Vollends ist es unmöglich, unter rein naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten innerhalb des Menschenlebens irgendwelche Wertunterschiede zu machen. Nur wenn man vorher schon aufgrund eines Wertmaßstabes eine bestimmte Gestaltung als wertvoll gesetzt hat, kann man die Entwicklung, die zu ihr hinführt, als Fortschritt bezeichnen. Niemals aber wird man aus den Naturgesetzen des Entwicklungsprozesses, die für jedes beliebige Stadium dieselben sein müssen, wenn sie allgemeine Gesetze sein sollen, das Fortschrittsprinzip ableiten können. Der Umstand, daß gewisse Naturgebilde, wie z. B. die Menschen, "selbstverständlich" höher geschätzt werden, als andere Formen, erklärt uns zwar die Möglichkeit einer individualisierenden Stammesgeschichte der Organismen und trägt dazu bei, die Vertreter einer naturwissenschaftlichen Geschichtsphilosophie über den Gebrauch, den sie fortwährend von Wertprinzipien machen, zu täuschen, ändert aber an der Tatsache, daß aus wirklich naturwissenschaftlichen Begriffen keine Werte abgeleitet werden können, nichts. |