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Tralfamadore
KURT VONNEGUT

  Billy bat um etwas zum Lesen auf dem Flug nach Tralfamadore. Seine Häscher besaßen fünf Millionen irdische Bücher auf Microfilm, hatten aber keine Möglichkeit, sie in Billys Kabine vorzuführen. Sie hatten nur ein einziges englisches Buch, das in ein tralfamadorianisches Museum gebracht werden würde. Es war "Tal der Puppen" von Jaqueline Susann.

Billy las es und fand es stellenweise recht gut. Die Menschen darin hatten jedenfalls ihr Auf und Ab, Auf und Ab. Aber Billy wollte nicht immer wieder von demselben Auf und Ab lesen. Er fragte, ob es nicht, bitte, einen anderen Lesestoff hier gebe.

"Nur tralfamadorianische Romane, die Sie, wie ich fürchte, gar nicht erst verstehen könnten", sagte der Lautsprecher an der Wand.

"Lassen Sie mich trotzdem einen ansehen."

Also sandten Sie ihm mehrere hinein. Es waren kleine Dinger. Ein Dutzend von ihnen mochte vielleicht den Umfang von "Tal der Puppen" mit all seinen Auf und Ab, Auf und Ab gehabt haben.

Billy konnte natürlich nicht Tralfamadorianisch lesen, aber er konnte wenigstens sehen, wie die Bücher angelegt waren - in kurzen Zusammenballungen von Symbolen, getrennt durch Sterne. Billy machte die Bemerkung, die Zusammenballungen könnten vielleicht Telegramme sein.

"Ganz recht", sagte die Stimme.

"Sind es denn Telegramme?"

"Es gibt keine Telegramme auf Tralfamadore. Sie haben recht: jede Zusammenballung von Symbolen ist eine kurze, dringliche Botschaft - die eine Situation, eine Szene beschreibt. Wir Tralfamadorianer lesen sie alle gleichzeitig, nicht eine nach der anderen. Es besteht keine besondere Beziehung zwischen all den Botschaften, außer daß der Verfasser sie sorgfältig ausgewählt hat, so daß sie - wenn alle gleichzeitig gesehen werden - ein Bild des Lebens hervorbringen, das schön, überraschend und tief ist. Es gibt keinen Anfang, keine Mitte, kein Ende, keine Gewißheit, keine Moral, keine Beweggründe, keine Wirkungen. Was wir in unseren Büchern lieben, sind die Tiefen vieler wunderbarer Augenblicke, alle gleichzeitig gesehen."


LITERATUR, Kurt Vonnegut jr., Schlachthof 5, Reinbek 1994, Seite 88f