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JOHN SOMERVILLE
Die Sprache des Kalten Krieges

Wenn man das Vokabular des Gegners nicht versteht und seine Prinzipien nicht kennt, dann wird man ihn leicht der Heuchelei anklagen, ganz gleichgültig, was er sagt.

FRANCIS BACON, ein Meister semantischer Einsichten, mehrere Jahrhunderte zuvor, bevor das Wort Semantik in Gebrauch kam, prägte den Ausdruck "Idole des Marktplatzes". Er bezeichnete damit jene Verwirrungen, falschen Begriffe, Mißverständnisse und Trugschlüsse, die aus sprachlichen Unarten entstehen - aus Unkenntnis und Mißbrauch der Sprache oder Unvollkommenheit einer bestimmten Sprache. Würde BACON heute leben, dann würde er mit Erlaub auf der Suche nach "Idolen des Marktplatzes" kein fruchtbareres Feld als den Kalten Krieg finden, und nirgends wäre es notwendiger, sie im Geiste seines Wahlspruches "Wissen ist Macht" zu überwinden.

Jene Marktplatzidole, deren Beseitigung dazu dienen würde, die internationalen Spannungen zu vermindern, zu einem besseren Verständnis zu führen und die Aussichten des Friedens zu vermehren, lassen sich in drei Typen einteilen:
  • Fälle, in denen dasselbe Wort beiden Seiten gehört und von ihnen gebraucht wird, jedoch mit verschiedener Bedeutung auf beiden Seiten.
  • Fälle, in denen beide Seiten gleicherweise dieselbe Vorstellung für richtig halten, sie doch in zwei Arten von Worten zum Ausdruck bringen - sauberen Wörtern für die eigene Sache, schmutzige für die andere
  • Fälle, in denen ein bestimmtes Wort hauptsächlich von einer Seite gebraucht, von der anderen jedoch mißverstanden wird.
Es ist klar, daß sich viele Beispiele für diese verschiedenen Typen der Verdrehung und des Mißbrauchs der Sprache anführen ließen. Wir wollen uns aber auf ein Beispiel für jeden Typ beschränken und uns dabei hauptsächlich an das halten, was in Amerika vorherrscht. Ich möchte hinzufügen, daß ich in der Sowjet-Union mit der anderen Seite der Medaille zu tun hatte, als ich im Rahmen eines kulturellen Austausches dort mehrere Vorlesungen hielt. Dies ist ein wirklich riskantes Vorgehen, das die eigene Beliebtheit auf beiden Seiten nicht mit Sicherheit erhöht. Wir müssen aber mit Geduld und Objektivität diese Selbstprüfung vornehmen. Es gilt daran zu denken, daß nicht nur wir Mängel haben, aber nur wir es gegebenenfalls sind, die unsere eigenen Mängel beheben können.

Um mit Typ 1 zu beginnen, wollen wir das Wort  Demokratie  nehmen. Zunächst ist festzustellen, daß dies auf beiden Seiten ein "sauberes" Wort ist. Das ließe sich nicht sagen, falls "die andere Seite", über die wir sprechen, eine faschistische oder nazistische Ideologie verträte, die Demokratie in all ihren Formen grundsätzlich und ausdrücklich verdammt. Obwohl das Wort "Demokratie" also auf beiden Seiten des Kalten Krieges ein sauberes Wort ist, bedeutet Demokratie auf beiden Seiten nicht dasselbe. Wenn wir dies nicht verstehen, entsteht sehr viel unnötiger Verdruß.

Bei uns herrscht die Meinung vor, daß Demokratie ein Prinzip ist, das hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, in seinem Anwendungsbereich politisch ist. Man will damit eine bestimmte Regierungsform bezeichnen, die ihrerseits einen bestimmten Weg bedeutet, um zu politischen Entscheidungen zu kommen, wozu ein Mehrparteiensystem und bürgerliche Grundrechte bestimmter Art gehören.

In der kommunistischen Welt andererseits wird Demokratie als ein Prinzip angesehen, das eher einen weiten  sozialen,  als einen fast ausschließlich politischen Anwendungsbereich hat. Man versteht darunter Verpflichtungen nicht nur im Hinblick auf Regierung und das Zustandekommen politischer Entscheidungen, sondern auch im Hinblick auf Wirtschaft, Erziehung, Kunst und gesellschaftliches Leben im allgemeinen.

Obwohl das Parteietikett "Sozialdemokrat" in polemischen marxistischen Auseinandersetzungen einen mit Parteikämpfen verbundenen gehässigen Beiklang hat, dürfen wir nicht vergessen, daß dies beim Grundkonzept der Sozialdemokratie nicht zutrifft. Es wurde von der gesamten Bewegung immer als Ausdruck für das Gesamtziel angesehen, Demokratie von dem Bereich der Politik aus auf die gesellschaftlichen Institutionen im ganzen zu erstrecken.

In der marxistischen oder kommunistischen Auffassung ist die Grundlage der Demokratie nicht politisch, sondern wirtschaftlich. Das Gewicht liegt darauf, daß Klassengegensätze aus dem menschlichen Leben beseitigt werden sollten. Und man vertritt die Ansicht, daß dies nur durch die Abschaffung ökonomischer Klassen geschehen könne - wohlgemerkt:  ökonomischer,  nicht anderer Klassen. Andere Schichtungen, die wir bisweilen Klassen nennen, wenn wir von Erziehung, Interessen und ähnlichem sprechen, sind nach marxistischer Ansicht nicht notwendigerweise antagonistisch.

Für den Marxisten ist die Wurzel des Problems nicht psychologisch, sondern ökonomisch. Die Klassen, auf die es ankommt, werden durch wirtschaftliche Beziehungen gebildet. Nach marxistischer Ansicht ist in diesen Beziehungen ein Ausbeutungsmechanismus eingebaut, ohne den sie nicht funktionieren können.

Nach den Lehren des Marxismus und Leninismus ist es das Endziel der Demokratie, das materielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes als ganzem zu erhöhen, was nach ihrer Ansicht nur auf der Grundlage des kollektiven Eigentums an den Produktionsmitteln richtig erreicht werden kann. Ihrer Ansicht nach gibt es auf lange Sicht keinen anderen effektiven Weg, um wirtschaftliche Ausbeutung zu beenden und soziale Gerechtigkeit für alle zu sichern.

Hier wäre hinzuzufügen, daß es für unseren gegenwärtigen Zweck nicht wichtig ist, über die Gültigkeit dieser Vorstellung zu diskutieren, sondern ihren semantischen Zusammenhang zu verstehen. Dies ist freilich die Voraussetzung für jegliche sinnvolle Debatte. Abgesehen von der Tatsache, daß man in der kommunistischen Welt bei Demokratie nicht ausschließlich oder auch nur hauptsächlich in politischen Begriffen denkt, ist zu beachten, daß auf das Ziel der Demokratie viel größerer Wert gelegt wird als auf die Mittel, um sie herbeizuführen. Auch dies steht in scharfem Gegensatz zu der bei uns vorherrschenden Tendenz.

Unsere Einstellung ist vorwiegend auf Technik und Methoden gerichtet. "Demokratie" halten wir dort für gegeben, wo parlamentarische Regierungsweise, Wahlkämpfe, Redefreiheit und Entscheidung durch Abstimmungsmehrheit und ähnliche Faktoren vorliegen, mag das  Ergebnis  sein, wie es will. Wir sprechen hier von den vorherrschenden ideologischen Einstellungen, dem Haupttrend der Theorie. Wir sind uns dabei bewußt, daß Abweichungen und Verletzungen von Theorie und Prinzip auf beiden Seiten vorgekommen sind und vorkommen. Das ist ein anderes Problem, das zwar wichtig ist, nicht aber die Notwendigkeit oder den Wert ändert, das jeweils gültige Prinzip zu verstehen.

Es bleibt notwendig und wertvoll, zu begreifen, ob irgend eine Aktion oder Politik eine Verletzung der behaupteten Prinzipien darstellt. Wenn in der kommunistischen Welt zum Beispiel ein Mehrparteiensystem und Bürgerrechte in unserem Sinne einer legalen, organisierten politischen Opposition fehlen, dann stellt dies keine Verletzung der erklärten Prinzipien dar.

Die Beziehung zwischen Diktatur und Demokratie ist komplexer. Bei uns gilt, daß diese Beziehung so beschaffen ist, daß beide sich gegenseitig ausschließen, weil wir unter Diktatur eine Herrschaft willkürlicher Gewalt ohne Zustimmung der Regierten verstehen. Falls die Marxisten eine Diktatur einfach auf diese Weise definieren würden, dann würden sie zugeben, daß diese grundsätzlich mit Demokratie unvereinbar sei.

Ihre Definition ist aber eine andere. Für Marxisten stellen Klassengesellschafts-Staaten, die einen Apparat physischer Gewaltanwendung - Polizei, Gefängnisse, Streitkräfte und dergleichen einsetzen - Diktaturen dar. Der wahre Unterschied liegt in den Klasseninteressen, die vorwiegend durchgesetzt werden. Nach ihrer Ansicht werden durch die geltenden Gesetze im Kapitalismus hauptsächlich die Interessen der Kapitalistenklasse - einer Minderheit - durchgesetzt, während im Sozialismus die Interessen der arbeitenden Klasse - der Mehrheit - gesetzlich durchgesetzt werden. Deshalb betrachten sie die Diktatur der Arbeiterklasse als demokratischer als kapitalistische Staaten.

Darüber läßt sich gewiß streiten. Uns kommt es hier allein darauf an, daß durch die bloße Tatsache, daß die andere Seite ein Wort zu billigen scheint, welches wir verdammen, nichts ausgemacht ist, weil jede Seite dem Wort verschiedene Bedeutungen beilegt.

Semantische Analysen können freilich nicht den Streit und den Wettbewerb zwischen Kapitalismus und Kommunismus aus der Welt schaffen. Sie können dennoch einen wichtigen Beitrag zum Frieden leisten. Semantische Analysen können die echten Streitpunkte genau bezeichnen und klären und dadurch einen Beitrag zu der äußerst wichtigen Bemühung leisten, von deren Erfolg jetzt alles abhängt: die Gegensätze in rationaler Diskussion und durch friedlichen Wettbewerb anzugehen, anstatt sie durch Methoden zu behandeln, die zur beiderseitigen Vernichtung führen.

Wenn man das Vokabular des Gegners nicht versteht und seine Prinzipien nicht kennt, dann wird man ihn leicht der Heuchelei anklagen, ganz gleichgültig, was er sagt. In diesem Fall fängt man nicht nur einen gefährlichen Streit über eine falsche Frage an. Man versperrt auch vernünftige Bemühungen, die echten Streitfragen zu behandeln, und verhindert eine mögliche Kooperation dort, wo für sie vielleicht ein gemeinsamer Boden vorhanden ist.

Ein Verständnis des marxistischen Begriffes von Demokratie könnte zum Beispiel sehr wohl zu dem Schluß führen, daß einer der Gründe dafür, daß kommunistische Länder eine andere Ansicht über Demokratie als wir haben, darauf beruht, daß die riesigen sozialen Probleme, denen sie als ein Ergebnis ihres besonderen geschichtlichen Erbes gegenüberstanden, andere gewesen sind als unsere. Ihre Probleme waren in der Hauptsache wirtschaftlicher und sozialer Natur und unterschieden sich von unseren Problemen. Wir alle müssen bereit sein, Unterschiede in der sprachlichen Ausdrucksweise auf Unterschiede der geschichtlichen Notwendigkeiten zu beziehen, und wir sollten uns darauf einstellen, solche Unterschiede als eine Tatsache des Lebens hinzunehmen.

Wir wollen uns jetzt einem Beispiel des Typs 2 zuwenden, in dem derselben Idee zwei Gesichter gegeben werden - ein tugendhaftes auf unserer Seite und ein lasterhaftes auf der anderen Seite. Als wichtigstes Beispiel hierfür können wir vielleicht die Lehre vom Sturz einer Regierung durch Revolution untersuchen. Die Situation stellt sich dann so dar: die Kommunisten glauben an Macht und Gewalt, wir aber nicht. Daher wird eine Revolution, an der sie irgend einen Anteil haben, zu einem schmutzigen Wort, und "Glaube an Macht und Gewalt" ist Anklage einer verbrecherischen Haltung.

Doch wie steht es mit der Geburt unseres Landes? Ist nicht die durch bewaffnete Streitkräfte durchgeführte Amerikanische Revolution ein Beispiel für den Umsturz einer Regierung? Unsere Jugend wird gelehrt, daß diese Revolution ein einzigartig ruhmreiches Ereignis in unserer nationalen Geschichte gewesen sei und daß die Unabhängigkeitserklärung, in der die grundlegende Rechtfertigung für sie niedergelegt ist, eines unserer heiligsten Dokumente sei.

Der einzig mögliche Weg, diese Situation vernünftigerweise zu rechtfertigen, läge darin, zu zeigen, daß unsere Lehre von der Revolution für die Anwendung von Macht und Gewalt Vorbedingungen aufweist, die sich grundsätzlich von denen unterscheiden, die in der marxistischen Doktrin niedergelegt sind: die eine Art von Vorbedingung mach irgendwie legitim, die andere nicht. Dieser Ausweg ist aber verlegt. Bei näherem Zusehen stellt sich heraus, daß die beiden Arten von Bedingungen im Grunde dieselben sind.

Ich hatte über diesen Punkt als nichtkommunistischer Sachverständiger in vier Strafverfahren gegen Kommunisten in unseren Bundesgerichtshöfen auszusagen. Nach Durchsicht der grundlegenden Dokumente und der Werke der führenden Autoritäten der kommunistischen Bewegung versuchte ich, die Sache auf folgende Weise zusammenzufassen. Sie rechtfertigen eine gewaltsame Revolution nur dann, wenn zwei Bedingungen gleichzeitig vorliegen:
  • die bestehende Regierung ist nicht willens oder fähig, den Willen der Mehrheit in lebenswichtigen Fragen auszuführen
  • die Mehrheit unterstützt einen so drastischen Schritt, wie ihn eine Revolution darstellt.
Obgleich in revolutionären Situationen, seien sie nun kommunistisch oder nicht, nationale Geheimwahlen selten möglich sind, gibt es andere Mittel, um die Zustimmung für sie zu beurteilen; die Einstellung hierzu ist wichtig. Einige Revolutionslehren lehnen den Gedanken ab, daß die Frage nach Mehrheit oder Minderheit überhaupt erheblich sei. Bei der Lehre von Männern wie MARX, ENGELS und LENIN ist dies nicht der Fall. Diese Denker stellten sich eine gerechtfertigte Revolution offensichtlich in den Begriffen einer Massenbewegung vor, die die Unterstützung der Mehrheit hat.

Ihrer Ansicht nach könnten Revolutionen, die ihrer Natur nach nicht den von der Mehrheit empfundenen Bedürfnissen entsprächen, nicht wirklich erfolgreich sein. Sie sollten nicht unternommen werden. MARX selbst gebrauchte mehrfach den Ausdruck "Putschist" vom deutschen Wort "Putsch", um Anhänger von blindlings oder ständig vorgenommenen revolutionären Versuchen zu bezeichnen. Er lehnte ihre Lehren nachdrücklich ab.

Man vergleiche diese Einstellung mit dem, was in der Unabhängigkeitserklärung festgestellt wird. Zu den "Wahrheiten", welche "wir für selbstverständlich halten", gehört, daß "wann immer irgendeine Regierungsform diese Ziele (Leben, Freiheit, Streben nach Glück) zunichte macht, es das Recht des Volkes ist, die Regierung zu ändern oder zu beseitigen." Das heißt natürlich mit Gewalt, wenn friedliche Aufforderungen keine Wirkung haben.

Dies wird in einem anderen Absatz der Unabhängigkeitserklärung betont, der lautet: "Wenn aber eine lange Reihe von Mißbräuchen und Übergriffen, die stets dasselbe Ziel verfolgen, die Absicht beweisen, sie (die Bürgerrechte) unter absolutem Despotismus einzuschränken, ist es das Recht, ist es die Pflicht (des Volkes), eine solche Regierung zu stürzen und neue Wächter für ihre künftige Sicherheit zu bestellen." Mit anderen Worten, wenn eine Regierung sich weigert, den Willen der Majorität auszuführen, wenn sie zu einer Tyrannei wird, dann hat die Mehrheit das Recht, sie mit Gewalt zu beseitigen.

Was die Unabhängigkeitserklärung demnach darlegt, ist wesentlich dieselbe Einstellung, die wir in der kommunistischen Lehre gefunden haben. Historisch ist sie als das Recht auf Revolution bekannt, und sie wird als ein wesentlicher, unaufgebbarer Teil der Demokratie betrachtet. Es liegt auf der Hand, daß Begriffe wie Souveränität des Volkes, die Zustimmung der Regierten und der Mehrheitswille in der Praxis keine wirkliche Bedeutung hätten, wenn dem Volk - der Mehrheit - nicht das Recht zugebilligt würde, eine Regierung mit Gewalt zu stürzen, die sich weigert, den Volkswillen auszuführen.

Haben dann unsere Vorfahren, die unseren Staat gründeten, deshalb "an Macht und Gewalt geglaubt", und tun auch wir das, wenn wir ihre Lehren für richtig halten und sie befolgen? Sind sie und wir dann also "Befürworter von Macht und Gewalt"? Sobald solche Fragen über  uns  aufgeworfen werden, sehen wir sofort die Notwendigkeit ein, bestimmte Unterscheidungen zu machen.

Wir weisen zunächst darauf hin, daß wir nicht an Macht und Gewalt in dem Sinne glauben, daß solche Mittel, um die Macht zu ergreifen oder sie auszuüben,  vorzuziehen  seien. Ich meine, dies ist ein völlig gerechtfertigter Anspruch. Der springende Punkt ist aber, daß die andere Seite - mit gleicher Berechtigung - denselben Anspruch erheben kann. Es gibt nichts in ihren Grundsätzen, was Macht und Gewalt als  bevorzugte  Methoden anführt. Diese Methoden werden nur dann für gerechtfertigt gehalten, wenn friedliche Mittel den Willen des Volkes nicht durchsetzen können.

Wie steht es nun mit der "Befürwortung"? Es ist sicherlich darauf hinzuweisen, daß ein Unterschied besteht zwischen der Befürwortung von Gewaltanwendung unter bestimmten, begrenzten, ungewöhnlichen Bedingungen (wenn die im Amt befindliche Regierung nicht gewillt ist, den Willen der Mehrheit auszuführen) und einer Befürwortung von Gewaltanwendung unter schlechthin allen Bedingungen. Denn wir müssen auch zugeben, daß unsere Vorväter die Anwendung von Gewalt unter den erwähnten Umständen befürworteten. Und wir tun es auch.

Auch hier befürwortet die andere Seite die gleiche Sache, und sie setzt dieselben Bedingungen dafür fest. Dies ist kein Zufall, weil es eine Tatsache ist, daß Marx und Engels diese Lehre vom Recht auf Revolution von Denkern des achtzehnten Jahrhunderts ableiteten, die einschließlich unserer staatsgründenden Vorväter sie ihrerseits von früheren Denkern übernommen hatten.

Worin liegt dann der Unterschied zwischen den beiden Seiten hinsichtlich Revolution, Macht und Gewalt? Sicherlich nicht darin, daß die eine Seite an sie glaubt und sie als ein annehmbares Mittel befürwortet, um die gewünschten Ziele zu erreichen, während die andere Seite dies nicht tut. Beide Seiten glauben unter bestimmten Bedingungen an Gewaltanwendung. Der Unterschied liegt nicht in den Mitteln, die ein Volk anwenden sollte, um zu erreichen, was es will. Er liegt darin, was das Volk wünschen  sollte. 

Grob gesagt meint die eine Seite, sie sollte den Kapitalismus wünschen. Die andere Seite meint, sie sollte den Kommunismus wünschen. Ist dies in der Tat die Meinungsverschiedenheit, dann gibt es eine Möglichkeit, sich ihr in einer rationalen Diskussion zu stellen und einen friedlichen Wettbewerb durchzuführen. Wenn die Meinungsverschiedenheit wirklich darin bestünde, daß die eine Seite an Macht und Gewalt glaubt, während die andere es nicht tut, dann würde es von der Definition her keine Möglichkeit für eine friedliche Regelung geben.

Wir sollten jetzt ein Beispiel des Typ 3 betrachten, in dem ein Begriff vorwiegend auf einer Seite verwendet wird, wo er eine bestimmte Bedeutung hat. Diese Bedeutung wird indessen von der anderen Seite mißverstanden. Nehmen wir den Begriff "Klassenkampf", die Bezeichnung für einen Begriff, der eine sehr wichtige Rolle in der marxistischen Lehre spielt. Wie wir oben feststellten, definieren Marxisten eine Klasse als eine wirtschaftliche Gruppe, die durch eine gemeinsame Beziehung zu den Produktionsmitteln gebildet wird, das heißt zum Grund und Boden, zu den Naturschätzen, Fabriken, Techniken, Energiequellen, Transportmitteln und ähnlichem.

Wenn die Beziehungen der einen Gruppe zu diesen Dingen so ist, daß sie sie besitzt, nicht aber notwendigerweise mit ihnen arbeitet, während die Beziehungen der anderen Gruppe derart sind, daß sie gegen Lohn an ihnen arbeiten, sie aber nicht notwendigerweise besitzt, dann unterscheiden sich diese Beziehungen offensichtlich. Diese beiden Gruppen bilden die Kapitalistenklasse bzw. die Arbeiterklasse.

Der Marxismus erkennt übrigens an, daß dieselbe Person teils zur einen Klasse und teils zur anderen Klasse gehören kann, zum Beispiel, wenn ein Arbeiter Aktien besitzt. Wenn der größte Teil seines Einkommens aus Dividenden oder Gewinnen besteht, ist er vorwiegend Kapitalist. Wenn der größte Teil seines Einkommens aus Lohn besteht, ist er vorwiegend Arbeiter. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß die Klassentrennung selbst aus einem tiefen Konflikt der Interessen entsteht.

Nach marxistischer Ansicht hängt der Konflikt nicht von persönlichen Faktoren oder dem Willen der beteiligten Menschen ab. Er steckt in der Beziehung selbst. Wenn der Profit das alleinige Motiv ist, dann braucht ein Eigentümer nur in dem Ausmaß Leute einzustellen, in dem ihre Arbeit Gewinn bringt, und er muß sie entlassen, wenn dies nicht der Fall ist. Andererseits ist für Arbeiter die Beständigkeit der Beschäftigung zwingend notwendig. Dies sind natürlich Zwänge, die miteinander in Konflikt stehen. Der Eigentümer strebt nach höherem Gewinn. Der Arbeiter fordert größeren Anteil an dem, was für Löhne abgezweigt wird. Das Ergebnis ist ein ständiges Tauziehen, das  Klassenkampf  genannt wird.

Wir behandeln hier nur einen kleinen Teil der marxistischen Klassenkampflehre. Vielleicht aber genügt dies für den gegenwärtigen Zweck. Um es noch einmal zu sagen, unsere Absicht ist nicht, über die Wahrheit oder Falschheit der in Frage stehenden Lehren zu argumentieren, sondern eine klare Vorstellung davon zu haben, was sie besagen und was sie nicht besagen - eine Voraussetzung für jegliche fruchtbare Diskussion. Eine solche Diskussion wird freilich durch das weitverbreitete Mißverständnis verhindert, daß der Marxismus (1.)den Klassenkampf hervorgebracht habe und (2.) den Klassenkampf in diesem Sinne befürworte, in dem ein Ernährungswissenschaftler eine Diät empfiehlt.

Wie wir sehen, liegt der Fall gerade umgekehrt. Der Marxist befürwortet die Abschaffung des Klassenkampfes. Das heißt er tritt dafür ein, daß ein Wirtschaftssystem eingerichtet werden sollte, das nicht auf der Grundlage des Klassenkampfes operiert, sondern auf einer genossenschaftlichen Grundlage, bei der alle Menschen hinsichtlich der Produktionsmittel mitarbeitende Teilhaber sind. In diesem Sinne fordert der Marxist eine klassenlose Gesellschaft.

Nun kann man sinnvollerweise sowohl behaupten, daß die kapitalistische Gesellschaft gegenwärtig keine solchen Klassen aufweise, oder daß solche Klassen im Gegenteil in allen Gesellschaften unausweichlich seien: mit anderen Worten, daß es überhaupt keinen Klassenkampf gibt, oder daß der Klassenkampf in keiner Gesellschaft vermieden werden kann. Wenn man aber gegen den Marxismus aus dem Grunde zu Feld zieht, weil er den Klassenkampf befürworte, so ist das gerade so, als ob man gegen die Anonymen Alkoholiker den Vorwurf erhebt, sie befürworteten den Alkoholismus. Auf solche Weise redet man einfach aneinander vorbei.

Freilich treten sowohl Marxisten, als auch die Anonymen Alkoholiker dafür ein, daß das  Vorhandensein  der Sache, gegen die sie sind,  anerkannt  werden sollte, und daß jene, die sich als geschädigt ansehen, sich zusammenfinden und ihre Bemühungen vereinen sollten, sie abzuschaffen. Dies ist aber offensichtlich eine ganz andere Sache als ihre Befürwortung.

Man kann den Kalten Krieg als einen Typ von Beziehungen definieren, der eine Verständigung zwischen Nationen oder Ideologien verhindert. Deshalb verhindert er rationale Lösungen echter Probleme und erzeugt zusätzlich imaginäre Probleme. Der einzige Weg für beide Seiten, den Kalten Krieg abzuschaffen, ist das wechselseitige Verstehen. Je mehr wir davon erreichen können und je eher dies geschieht, umso besser werden die Aussichten dafür sein, daß die Zukunft des Universums  mit  der Menschheit und nicht ohne sie stattfinden wird.
LITERATUR, John Somerville, Die Sprache des Kalten Krieges in "Wort und Wirklichkeit", Beiträge II zur Allgemeinen Semantik, Hrsg. Günther Schwarz, Darmstadt 1968