cr-2 Philosophie und WissenschaftPhilosophische Propädeutik    
 
ERNST FISCHER-PLANER
Erkenntnistheorie, Metaphysik
und Naturwissenschaft


"Die Aufgabe der Erkenntnistheorie ist somit, die Begriffe auf ihre Realität hin zu untersuchen. Wenn ich aber von vornherein sage, die Welt ist meine Vorstellung, so benütze ich Begriffe, deren Inhalt mir zwar aus der Erfahrung bekannt ist, aber ich habe niemals eine Vorstellung direkt wahrgenommen. Man kann nun einwenden, daß dies deshalb unmöglich ist, weil sie geistig ist. Nun würde man hier zum Beweis einen neuen Begriff benützen; das darf aber nicht sein, denn als einzig anerkannte Voraussetzung haben wir den Satz: Ich will denken angenommen. Diesen Satz kann ich unmöglich bezweifeln, wohl aber die Behauptung:  Die Welt ist meine Vorstellung, oder Ich habe einen Geist. Soll diese Behauptung bewiesen werden, dann darf man nur den Satz: Ich will denken als Beweis benützen."

Wenn wir eine philosophische Untersuchung beginnen, müssen wir eine Grundlage haben, von der wir ausgehen und die als erste Voraussetzung unbewiesen bleiben und von allen anerkannt werden muß. Denn ich bestreite die Möglichkeit einer Voraussetzungslosigkeit. Diese Grundlage gewinnen wir durch Nachdenken über das, was wir bei der Untersuchung tun. Die Voraussetzung für diese Untersuchung ist: "Denken" und "Sprechen", ein "Wollen", es zu tun und ein "Ich", welches dies tut. Absehen kann ich von den übrigen Voraussetzungen, nämlich, daß noch andere Menschen vorhanden sind, denen ich dies mitteilen kann und absehen will ich von den sich hieraus weiter ergebenden Schlüssen. Ebenfalls absehen können wir vom Sprechen als Resultat des Denkens. Ich bekomme also als Voraussetzung und unbeweisbare Behauptung den Satz: "Ich will denken". Beweisen kann ich ihn direkt nie, denn dazu muß "ich denken wollen". Bestritten kann der Satz auch nicht werden, denn wollte man ihn bezweifeln, würde der Zweifler nicht denken wollen, somit wäre jedes Philosophieren unmöglich.

Dieser Satz ist nun zwar eine Tatsache, aber keine unmittebare Gewißheit. Gewiß ist nur, daß eine Handlung geschieht, die ich mit diesen drei Begriffen bezeichne. Den Satz als solchen kann ich nicht beweiesn, wohl aber kann ich das "Ich", das "will" und das "Denken" untersuchen; das "Icht" kann ich zum Objekt machen, ebenso das "Denken" und das "will"; indem ich den ausgesprochenen Satz als eine Handlung der Vergangenheit im Gedächtnis aufbewahre und durch das gegenwärtige Denken untersuche. Das Vergangene ist Objekt, das gegenwärtige Tun Subjekt. Das ist unbestreitbar. Somit ist eine Kritik des Erkenntnisvermögens möglich.

Unsere ganze Wissenschaft ist eine Nachbildung von Tatsachen in Gedanken und Tatsachen sind Bewußtseinsinhalte und Empfindungen, sagt MACH. Das Geschehen wird also mit einem Begriff bezeichnet und wir sind uns zur Verständigung darüber einig, dieses momentane Geschehen mit "Denken" zu bezeichnen.

Somit wäre unmittelbar gewiß als eine bewußt gewordene Tatsache eine Tätigkeit, veranlaßt und ausgeführt von einem Subjekt; diese Tatsache will ich mit "Ich will denken" begrifflich bezeichnen. Letzteres wissen wir aus Erfahrung, ersteres ist uns in dem Moment zur Erfahrung geworden, als es uns bewußt wurde. Hier geschah also die Tätigkeit des Denkens durch Verbinden von Begriffen mit einem Bewußtseinsinhalt und Ordnen der drei Begriffe.

Nun entsteht die Frage, welches die Ursache des Denkens ist. Man erlebt einen körperlichen Reiz beim Empfang von Eindrücken und man äußert das Gedachte beim Sprechen. Das sind also körperlich-materielle Vorgänge. Nun stammt aus uralten Zeiten ein Begriff, mit dem man die Ursache des Denkens, Empfindens und Wollens bezeichnete. Es ist der Begriff: Geist. Den Körper konnte man direkt wahrnehmen, aber den Geist nahm man nur als Ursache an. Sinnlich ist er niemals direkt wahrnehmbar.

Aber warum tat man das? PLATO war derjenige, welcher, zwar nicht als erster überhaupt, so doch als erster Philosoph, auf die Ansicht von seinen Ideen und ihrem geistigen Inhalt hin den Geistesbegrif in die Philosophie einführte. Später begründete man diesen Begriff genauer und nun spukt er in fast allen Systemen. Aber darf man denn auf bloß vernünftige Ansichten und Überlegungen hin diesen Begriff ohne weiteres gebrauchen? Das für uns Wahrnehmbare ist doch rein körperlich.

Hier ist der Punkt, an dem man strauchelte. Die Naturwissenschaft, welche die körperlichen Tatsachen ergründen, beschreiben und zerlegen sollte, war noch nicht so weit, daß sie die geistigen Fähigkeiten des Menschen (und auch die der Tiere) vollkommen restlos und widerspruchslos erklären konnte. Und deshalb hat man bis heute die Resultate der Naturwissenschaft gerade in diesem Punkt in den Kreisen der Philosophen nicht oder nur wenig beachtt. Aber heute ist man fähig, wenn auch noch nicht restlos, die Mechanik des Geisteslebens zu erklären. Ich will hier diese Erklärungen nicht ausführen, sondern nur darauf hinweisen, warum man die Resultat der Naturwissenschaft beachten  muß. 

Wir dürfen keinen Begriff benützen, der keine wirklich sinnlich wahrnehmbare Tatsache, ein Ding oder ein Geschehen bezeichnet. Der Begriff  Geist  aber sol die uns wirklich unbekannte Ursache unserer psychischen Fähigkeiten sein. Das ist aber unbeweisbar, denn wir müssen unser Denken auf seine Bestandteile reduzieren, diese Teile als Entstehungsursachen sind ihrerseits wieder Wirkungen von Ursachen, diese wieder usw. Ein Geist ist aber die Endursache, hat selbst keine Ursache mehr. Natürlich mußten bei dieser Auffassung Systeme entstehen, welche sofort sagten: alles ist Geist, das Körperliche ist nur Erscheinungswelt, Vorstellung, oder: Körper und Geist existieren nebeneinander, entweder in Wechselbeziehung oder nach prästabilierter Harmonie [im Voraus festgestellte Einheit - wp] sich aber entsprechend.

Diesen Begriff "Geist" nenne ich einen abstrakten, solange die Realität seines Inhalts nicht nachgewiesen ist. Die Naturwissenschaft benutzt die Unzahl von Begriffen, deren Inhalt nicht real ist. Sie tut dies, um schlechtweg eine Ursache zu bezeichnen, z. B. existiert der Schall ansich nicht, sondern Schall ist: schwingende Luftteilchen. Wir benutzen also einen Sammelnamen für eine Erscheinung mit bestimmten Wirkungen. Es gibt auch anders schwingende und wirkende Luftteilchen, die wir z. B. mit Wind oder Sturm bezeichnen. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie ist somit, die Begriffe auf ihre Realität hin zu untersuchen. Wenn ich aber von vornherein sage, die Welt ist meine Vorstellung, so benütze ich Begriffe, deren Inhalt mir zwar aus der Erfahrung bekannt ist, aber ich habe niemals eine Vorstellung direkt wahrgenommen. Man kann nun einwenden, daß dies deshalb unmöglich ist, weil sie geistig ist. Nun würde man hier zum Beweis einen neuen Begriff benützen; das darf aber nicht sein, denn als einzig anerkannte Voraussetzung haben wir den Satz: "Ich will denken" angenommen. Diesen Satz kann ich unmöglich bezweifeln, wohl aber die Behauptung: "Die Welt ist meine Vorstellung", oder "Ich habe einen Geist". Soll diese Behauptung bewiesen werden, dann darf man nur den Satz: "Ich will denken" als Beweis benützen.

Nun entsteht aber die Frage, ob denn dieser Satz nicht bereits die Behauptung enthält, daß sie "geistig" ist. Das ist aber nicht der Fall, denn wir wissen nur als unmittelbar gewiß, daß diese Begriffe eine bewußte Tätigkeit bezeichnen. Wenn wir aber wissenschaftlich diesen Vorgang zerlegen, kommen wir auf äußere Dinge, welche auf unsere Nerven und Sinnesorgane einen Reiz ausüben; dieser Reiz wird durch einen chemischen Prozeß ins Gehirn geleitet und im Assoziationszentrum mit einem Begriff verbunden, der ebenfalls durch einen Reiz entstanden ist. Es wäre nun unsere Aufgabe, stets und bei allen Erscheinungen diese körperlich zu erklären. Ich sage nun, daß jeder Begriff, mit dem wir uns eine bewußt gewordene Vorstellung bezeichnen, Realität enthält. Alle anderen sind abstrakte Begriffe, die wir auf reale Erscheinungen zurückführen müssen. Die Wissenschaft darf solche abstrakten Begriffe benutzen und zwar zur Bequemlichkeit einer Verständigung, teils zur Ordnung und Übersicht bei Bezeichnungen. Aber die Metaphysik kann nur reale Begriffe gebrauchen, um sich endlich von jenen transzendenten Übergriffen auf ihre wirkliche Aufgabe zu besinnen, nämlich die Resultate der Wissenschaft zu benützen, um das All und seine Erscheinungen zu erklären und somit ein allgemeines Weltbild zu gewinnen.

Wenn nun die Naturwissenschaft nicht fähig ist, die psychischen Erscheinungen zu erklären, d. h. die Ursachen zu bestimmen, bleibt eine unbekannte Ursache bestehen, die wir mit Geist bezeichnen könnten. Aber  sie kann es heute  und darum ist es die Pflicht der Philosophie, jene Erklärungen zu beachten und sie nicht einfach als nicht in ihre Theorie passend links liegen zu lassen. Niemand kann den "Geist" beschreiben und niemand kann die wissenschaftlichen Resultate bestreiten - oder er muß jede Wissenschaft bestreiten. Und es ist möglich, alle Fragen mit ihrer Hilfe zu beantworten. man hat sie ja auch teilweise anerkennen wollen, aber man wollte den "Geist" nicht aufgeben, so kam man zu der Mißgeburt des psycho-physischen Parallelismus, bei dem der Geist aber vollkommen überflüssig ist, da er ja keine Wirkung auf den Körper ausübt und ihm  nichts  mehr zu tun übrig bleibt.

Wenn nun die Metaphysik die Resultate der Wissenschaft benützt, umd die Erscheinungen des Alls zu erklären, so darf sie nur  die  Begriffe dazu benützen, welche von der Erkenntnistheorie als real anerkannt sind. Hier mache ich nun die Bemerkungen, daß erstens der alte Dualismus unmöglich ist und daß zweitens wir bis heute keinen materialistischen Monismus besitzen. Ersteres ergibt sich aus meinen bisherigen Behauptungen vom "Geist". Letzteres muß ich beweisen. Gerade er wird von den exakten Philosophen am energischsten bekämpft - aber hauptsächlich, weil er die geistigen Erscheinungen auf körperliche zurückführen will. Das ist ja auch heute gelungen. Aber die metaphysischen Resultate sind vollkommen inkonsequent, denn erstens sind fast alle Begriffe, wie "Materie" mit den Attributen "Kraft und Stoff" abstrakte, die keine Realität besitzen und zweitens ist ein Ding mit zwei Eigenschaften keine letzte Einheit, sondern eine Zweiheit. Wir kennen kein Ding ansich, es gibt keins, denn unsere Sinne vermitteln uns nur Eigenschaften. Es gibt auch keine Eigenschaft ansich, denn jede Eigenschaft ist die Wirkung von Ursachen. Grün ansich gibt es nicht, sondern die grüne Eigenschaft eines Blattes ist die Wirkung der Bestrahlung des Blattes mit weißem Licht. Es gibt also ein grün als Eigenschaft, aber nicht ansich. Im Gegensatz zu LOCKEs Ausführungen von der Nichtexistenz einer farbigen, tönenden, riechenden Welt sage ich, die Eigenschaften sind zwar vorhanden, aber keine Träger. Wir  bezeichnen  nur die "Summe von wahrnehmbaren Eigenschaften" als Ding. Ding ist ein Sammelbegriff, der nich ansich existiert, sondern eine Summe von Eigenschaften bezeichnet. Es muß also nicht heißen: Ein Ding  hat  Eigenschaften, sondern: Ein Ding  besteht  aus Eigenschaften. Dahinter steckt kein "ansich" mehr, was ja auch ganz unnötig ist. Wenn wir nun jede Eigenschaft als Wirkung von anderen Eigenschaften auffassen, können wir stets eine Erscheinung aus der anderen ableiten. Wir erhalten also eine geschlossene Naturkausalität, indem wir die Folgen von Ursachen Wirkungen nennen. Das Kausalgesetz ist ein Ergebnis unserer Anschauungen, indem wir das, was auf eine Erscheinung folgt, mit Wirkung bezeichnen. Diese Wirkung  muß  bei vollkommen gleichen Ursachen auch stets die gleiche sein. Wenn wir nun das Denken ableiten und in seine Phasen zerlegen, bemerken wir, daß aus einem Reiz als physikalische Ursache eine chemische Veränderung in den Nerven und Gehirnzellen als Wirkung folgte. Wenn somit in gewissen Zentren des Gehirns diese Wirkung stattfindet,  nennen  wir dies einen bewußt gewordenen Reiz. Nun sind wir mit dieser Erklärung noch nicht am Ende. Denn woher kommen die chemischen Wirkungen? Wir führen sie auf Atombewegungen zurück und diese erklären wir wieder als Wirkung einer Ätherschwingung. Mit dem Äther, den wir noch sinnlich wahrnehmen können, hätten wir aber die für uns letzterkennbare Ursache bezeichnet. Er muß aber nun entweder selbst keine Ursache mehr haben und dann erhalten wir den falschen Standpunkt des Materialisten, wenn wir dies annehmen, oder der Äther ist Wirkung noch unbekannter Ursachen. Hier könnten wir sagen, diese unbekannten Ursachen sind der Geist oder ein Gott, wir kämen also auf die Möglichkeit der metaphysischen Erklärungen der alten Systeme; den man könnte sagen, daß der Äther ein Modus eines Gottes ist, bei dem die Ursache der Bewegung des Äthers der Geist ist. Das wäre der alte Dualismus; oder wir könnten sagen, diese Ursache des bewegten Äthers ist Gott und Gott besteht aus einem Geist usw. Aber, und das behaupte ich, wenn wir den Äther als letzterkennbare Ursache anerkennen, - und das müssen wir nach dem Stand der heutigen Wissenschaft -, können wir keine abstrakten Begriffe wahl- und zwecklos annehmen, seien sie nun Geist, Gott, Materie, Kraft, Stoff, Energie, Ich, Ursein, Wille, Vorstellung usw. Denn alle diese Begriffe sind erstens abstrakt, enthalten also keine wahrnehmbare Realität und zweitens würden sie als Dinge, als Wesen aus einer Summe von Eigenschaften bestehen.

Wir können aber nicht zugeben, daß die letzte Ursache eine Summe ist, sondern sie kann nur ein Ding mit einer Eigenschaft = Einheit sein. Dinge, die aus mehreren Eigenschaften bestehen, sind keine Einheit. Diese letzte Eigenschaft, die das letzte Ding als Ursache ausmacht, ist unbekannt = X. Jede weitere Hypothese darüber ist aber wertlos, denn über den schwingenden Äther, die Elektronen hinaus haben wir bis heute noch nichts sinnlich erkennen können. Wir können somit auch keine Hypothesen jenseits dieser Erkenntnisgrenze widerlegen, aber auch keine anerkennen, sondern können nur festsetzen, daß die letzte Ursache  eine  Eigenschaft  X  ist. Es ist wertlos und nur zu immer neuen Mißverständnisse führend, wollten wir sie mit einem Begriff bezeichnen. Arbeiten wird aber innerhalb dieser Grenze und beschränken wir uns auf die Bezeichnung der letzten Einheit als solche mit  X,  dann ist es endlich möglich, daß aus den Philosophiesystemen einmal eine einheitliche Philosophie wird. Es ist selbstverständlich, daß ich meine hier aufgestellten, umfassenden Behauptungen nicht in der kurzen Zeit beweisen kann. Deshalb verweiseich auf mein Buch "Philosophen untereinander", das ich dem Kongreß widmete und bitte, dort meine Ausführungen, Beweise und Stellung zu den übrigen Philosophiesystemen nachzulesen.
LITERATUR: Ernst Fischer-Planer, Erkenntnistheorie, Metaphysik und Naturwissenschaft, Bericht über den III. Internationalen Kongreß für Philosophie, hg. von Theodor Elsenhans, Heidelberg 1909