Julius Fröbel - Theorie der Politik | ||||
(1802-1880) Selbstkritik des Liberalismus
viel Schnöderes trugst du ja sonst schon! Unterdessen ist, hauptsächlich in Preußen, eine Erweiterung des Bewußtseins eingetreten, welche eine ganz neue Welt aus sich zu erzeugen verspricht und dem Gedanken oder vielmehr dem Entschluß, frei zu sein, sehr nahe steht. Die vortreffliche Rheinische, die leitenden Artikel der Königsberger Zeitung und von Seiten der Gesetzgebung die völlige und ehrlich gemeinte Pressefreiheit der Bücher über 20 Bogen sind Erscheinungen einer ganz neuen Denkungsart. Im Zusammenhang mit dieser Bewegung ist dann auch die Zensur der Jahrbücher zu einer Praxis zurückgekehrt, welche im Schriftsteller und Philosophen nicht mehr einfach den Ketzer vernichtet, sondern wieder den Menschen anerkennt, dem ohne weiteres die geistigen Nasen und Ohren herunter zu schneiden zumindest türkisch wäre. Hält auch der größte Teil der altsächsischen Gelehrten die neueste Philosophie für eine tolle Unverschämtheit oder, wenn man lieber will, für eine unverschämte Tollheit, so ist doch auch zu ihnen eine dunkle Kunde davon gedrungen, daß die Tollheit des Denkens und der Freiheit einige Achtung, wenn auch bei weitem keine Nachahmung verdiene. Doch daß ich nicht bitter werde gegen diese Ärmsten -
Der Stab der Tyrannei" - Aber kein Gefangener liebt seine Ketten, sollten sie auch mit Samt gefüttert sein und es wäre kein Zeichen von großer Besonnenheit, wenn man nun etwas Sonderliches erreicht zu haben dächte und über einer bloßen Zensurerleichterung die allgemeine Erschlaffung und politische Trostlosigkeit unserer Zeit verkennte. Die Versäumnis der Deutschen ist ungeheuer, alles Zusammenwirken für große praktische Zwecke, - wäre es auch nur auf theoretischem Gebiet, z. B. für die Pressefreiheit; - die ganze Welt einer staatsbürgerlichen Praxis ist uns so gut wie unbekannt. Wie soll das Volk aus der Träumerei und Verweichlichung des Privatlebens heraus zur Existenz der idealen Interessen im gemeinen Leben und zum wirklichen freien Tagesleben des politischen Menschen, d. h. zu seinem Begriff gelangen? Dazu müßte es den ungeheuren Schritt tun, alle Herrlichkeiten des befreiten Innern, alle Schätze der protestantischen Gedankenwelt, zur Gemüts- und Willenssache, zur Religion und zur weltbewegenden Leidenschaft zu verdichten. Kann die Kritik ihm dazu verhelfen? ist es nicht vielmehr ihr Begriff, daß sie nur scheidet, nicht verbindet, nur auflöst, nicht verdichtet? Das ist er und dennoch bleibt uns nichts übrig, um den Anfang der Praxis zu machen, als eben die Kritik. Scheidet sie, so reinigt sie auch; jede Selbsterkenntnis ist ein Fortschritt des Bewußtseins und ein Ansatz zur Tat. Jetzt also, wenn wir die Kritik gründlich und unerbittlich gegen uns selbst kehrten, sollte es uns nicht begegnen können, daß wir ernstlich von uns selber loskämen und aus der schalgewordenen Selbstgenügsamkeit des Wissens zur Hingabe an große gemeinsame Zwecke gelangten? Allerdings wäre dieser Schritt der Übergang in ein völlig neues Gebiet und darum viel schwerer als alles, was uns bisher gelungen ist; aber es ist der Mühe wert, ihn zu versuchen. Fassen wir also einmal den ganzen Liberalismus ins Auge. Wir werden vielleicht besser, als seine Gegner, entdecken, was ihm fehlt und raten, was ihm frommt, versteht sich, wenn von einer Aufhilfe überhaupt noch die Rede sein kann. Die Klage über die Zerfahrenheit des Liberalismus ist sehr allgemein und sie ist es darum, wie es scheint, weil alle Welt der schönen Rede und fertigen Klageformeln satt ist, sich vielmehr nach den Taten der liberalen Partei sehnt und die weiseste Weisheit ohne Energie des Charakters und ohne Hingebung an die eine Sache, die uns Religion geworden, bereits zur Torheit herabgesunken ist. Die Forderung ist gerecht; aber gibt es denn eine liberale Partei, kann es überhaupt unter uns eine geben? Unser Glück besteht ja bekanntlich darin, daß wir keine Parteien haben und wenn es auch kein Glück wäre, so ist es doch unser Zustand, wohlverstanden! unser politischer Zustand; denn in der Wissenschaft, wo wir ein öffentliches Leben führen, bekämpfen sich fortdauern die ausgesprochendsten Gegensätze und verhehlen nicht, daß sie Partei sind. Wie sind wir dazu gekommen, politisch ohne Parteien zu sein? Eine Partei, die ihre Gegenpartei vernichtet, vernichtet sich selbst: wir erinnern an die Partei SULLAs, der Bartholomäusnacht und des Berges. Die ganze Frage wird alsdann auf eine neue Basis gestellt. Dem Tod folgt die Auflösung und die Verwesung, aus der oft erst die Jahrhunderte ein neues Leben hervorrufen. Und wenn die Geschichte dennoch, ja, wenn sie eben dadurch fortschreitet, so ist es wenigsten nicht im Sinn der siegenden Partei, wie dies geschieht. Die Gegenwart Deutschlands ist noch immer eine solche Zeit des Todes und der Verwesung; zur reellen Wiedergeburt ist noch so wenig geschehen, daß wir in der souveränen Sphäre unserer Politik nicht einmal eine offene Frage haben, deren Beantwortung uns in Spannung hielte. In den Freiheitskriegen war ein Keim zum neuen Deutschland vorhanden, die radikalen Demokraten, deren großartige Wirksamkeit in der Regeneration Preußens und der ganzen Volkserhebung gegen NAPOLEON vorliegt. Der Keim ist erstickt, - gestehen wir es uns nur ein, die alten Gracchen der Freiheitskriege sind von der Erde verschwunden, jene Gärung hat nicht ausgegoren, sie hat, im Frieden, wo nun ihr Prozeß erst wirken konnte, ernstlich nicht einmal begonnen. Nicht durch Volksvertreter, durch Diplomaten wurde der damalige Neubau aufgeführt. Er enthält auch so noch alle Probleme der Zeit, es ist für alle ein Paragraph in der Bundesakte vorhanden, aber daß kein einzige von allen den Problemen wirklich gelöst worden, im Gegenteil, daß sie samt und sonders, die Einheit sowohl als alle Arten der Freiheit, die der Presse nicht ausgenommen, noch immer Probleme sind, wird niemand leugnen. Ein neues Deutschland zu gründen war die Aufgabe. Was geschah? Ein Bild des alten, der deutsche Bund, wurde wirklich gegründet. Hätte die Volkspartei existieren, hätten die demokratischen Retter Deutschlands die Demokratie retten wollen, so mußten sie dieser Auskaunft widerstehen. Sie, in deren Namen STEIN gesagt hatte, die Dynastien seien ihm gleichgültig, sollte nun die Dynastien und die alten deutschen Privatstaaten mit all ihren alten Herrlichkeiten, - Stände und Bischöfe, ja sogar den heiligen Vater nicht ausgenommen, - zum Prinzip der neuen Zeit erhoben sehen. Mit dem ersten Lebenshauch des deutschen Bundes ist der Keim der demokratischen Partei in Deutschland erstickt: die demagogischen Umtriebe sind Narrenpossen, ohne alle andere, als eine phantastische Realität: den Boden der reellen Welt haben die alten Territorialherren ganz allein wieder in Besitz und was an ihre Residenzen nicht anknüpft, schwebt als revolutionäre Phantasie in der Luft: das notwendige Schicksal der sogenannten Demagogie. Also es gibt keine politischen Parteien: das Glück des politischen Todes ist uns zuteil geworden. Wir verwesen im Privatwesen, wir sind politisch ein glücklicher Leichnam, wenn nicht ganz so, doch möglichst nach dem Muster des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, versteht sich aus der Zeit, als es keine Nation mehr war. Wer hat also eigentlich gesiegt? Die Restauration der historischen Privatrechte. Wer ist besiegt worden? Die Demokratie und die Menschenrechte der Revolution. Noch mehr, die demokratische Partei ist vernichtet. Ist dies nun nach unserer Ansicht keine frohe Botschaft für die Sieger - ihnen gähnt die Zukunft als ein schwarzer barbarische Schlund entgegen, niemand kann ihn ergründen, weil unser eigener Inhalt ein ganz verborgener ist, den erst die prüfenden Ereignisse an den Tag bringen werden -, so ist es wahrlich auch kein Kompliment für den Liberalismus, diesen theoretischen Sohn der frühverstorbenen demokratischen Partei. Oder was ist der Liberalismus anders, als der blaue Dunst einer unfruchtbaren Theorie, wenn er keine Partei ist? Und dürfen wir denn sagen, daß eine liberale Partei in Deutschland existiert, da kein politisches Deutschland existiert, sondern nur, wenn wir nicht irren (und wer dürfte sich in diesem Punkt nicht irren?), 37 Territorien? Und wenn in irgendeinem dieser Territorien, etwa in Baden oder wenn dicht vor den Toren des deutschen Bundes, etwa in Ostpreußen, von einer liberalen Partei die Rede sein könnte, zu welchen politischen Effekten dient es, daß sie redet und existiert, wenn ihre Existenz ein Luxus und ihre Rede ein Raub der Wind ist? Oder gibt es einen deutlicheren Beweis von der Richtexistenz der liberalen Partei im deutschen Bund, als diese ihre Existenz und Ohnmacht in Baden und in Ostpreußen? Finden ihre Reden und Schriften Anklang und reelle politische Geltung, so wird offenbar etwas getan, von dem jetzt nur gesprochen wird, so hebt sich der Liberalismus selbst auf. Genau zu der Zeit, als die Realisierung der Demokratie in Deutschland durch den deutschen Bund unmöglich geworden war, entstand der Liberalismus, d. h. auf Deutsch die guten Meinung, die frommen Wünsche für die Freiheit, die "Freisinnigkeit" oder die Sympathien mit der Demokratie - "in der Gesinnung". Ein Sympathisierer will oder kann nicht selber etwas tun; wer sympathisiert, sieht die Schlacht aus dem Fenster mit an und wünscht allen Freiheitshelden Glück und Segen; diese Gesinnung ist sehr liebenswürdig, aber sie ist - graue Theorie. Ja, es ist wahr, diese "gute Gesinnung" hat eine solche Unbestimmtheit und Weit, daß alles Mögliche hineingeht, jeder Gott und jeder Staat. So wurde denn Anfangs der Liberalismus auch mit auf den Bundestag gebracht, wo er nun eine deutsche Partei hätte werden können, wenn nicht alsbald eine Purifikation [Reinigung - wp] von diesen Elementen wäre vorgenommen worden. Die liberale Partei kann aber bei uns in der Tat nirgends zur reellen Existenz kommen, weil sie nirgends weiß was sie will und was sie weiß nicht selber will, sondern nur andere Leute will wollen lassen. Man hat das allmählich begriffen und die Zeit ist daher gekommen, wo der deutsche TRAJAN [römischer Kaiser - wp] und der Herr von BLITTERSDORF die rara temporum felicitas [seltenes Glück der Zeiten - wp] gewähren können, daß die Leute denken was sie wollen und reden was sie denken. Gegen die rein theoretischen Reden der Liberalen zu handeln, wäre überflüssig, nach ihnen zu handeln, ist nicht nötig. Haben wir doch im Strafredner BÖRNE sogar unseren TACITUS gehabt, - und er ist deutlicher geworden, er konnte mehr nach Vorwärts weisen, als der römische, aber wir können ihrer noch zehn vertragen, ohne daß wir darum eine liberale Partei bekämen. Was könnte auch eine deutsche liberale Partei wollen? Doch wohl nur ein Problem der politischen Freiheit unserer Zeit in einem souveränen Staat lösen? Kann sie also die Provinz wollen oder zum Gegenstand ihres politischen Zwecks haben? Nein! denn in der Provinz kann sie keinen freien Willen haben und noch weniger einen durchführen. WEnn sie nun aber dennoch nur Provinzen vorfindet, was kann sie alsdann wollen? Es ist offenbar, daß sie dies weder wissen, noch wenn sie's wüßte, es wollen kann, denn sie ist ja nicht revolutionär. Mit deutschen Worten: die Entwicklung Deutschlands in politischer Hinsicht bricht da ab, wo die Demokratie der Regenerationsperiode vernichtet wird. - Darum wurde nun eine Zeit lang die Entwicklung überhaupt gefürchtet. Zunächst ist aber die Furcht, daß sie eintreten werde, nicht begründet; die Gegenwart also, die sich davon überzeugt hat, ist auch in Rücksicht der Revolutionäre fast zu derselben liebenswürdigen Toleranz gekommen, wie in Rücksicht der Liberalen. Wir können uns die schönsten Schlachtgesänge dichten und sie von hinreißenden Melodien begleiten lassen, es glaubt kein Mensch an ihren Ernst; und wär' es auch, daß der Dichter unter jeden Vers die Versicherung setzte: "und das ist meine Meinung!" es würd' ihn dennoch keiner für so böse halten. Wie verkehrt also, daß man zuerst über HERWEGH erschrak; wie abgeschmackt, daß wir uns von diesem gerechten Entsetzen des Philisters vor einem solchen Revolutionär eine politische Ermunterung des entschlafenen Vaterlandes versprachen! Was ist denn weiter nötig, als zu fingieren oder vielmehr das ganze Volk in seinem eigenen Bewußtsein die Auslegung finden zu lassen, dies sei bloße Theorie? Wir haben bereits die Probe. In ganz Deutschland, selbst im geistreichen Berlin, findet man alles vortrefflich gesagt und kräft ausgedrückt; man enthusiasmiert sich für den feurigen Poeten; aber man denkt: "Poesie ist Poesie; es gibt keine Brücke vom Himmel der Visionen auf unsere Erde!" Die Liberalen sympathisieren mit dem Republikaner; nun - was weiter? Haben sie das nicht schon immer getan? Werden nicht alle Schulkinder dazu angehalten? Werden nicht alle Schulkinder dazu angehalten? Alles das gibt keine Umkehr des politischen Bewußtsein, all das befreit uns nicht aus der Theorie, aus dem Stand der Zuschauer, aus den bloßen Sympathien eines ohnmächtigen, willen- und gegenstandlosen Liberalismus. Der Liberalismus ist die Freiheit eines Volkes, welches in der Theorie stecken geblieben ist. Er, der keine Freiheit, sondern nur Sympathie für fremde und höchstens Sehnsucht nach gelegentlicher eigeneer, durch irgendeinen Zufall von Außen ihm zuzuführender Freiheit ist, er ist so wenig Partei, daß er in der Tat unsere ganze jetzige Freiheit selbst ist. Weil der Liberalismus keine Partei ist, so ist er ein unpolitisches, nämlich ein rein theoretisches und passives Verhalten in der Politik. Die politische Freiheit besteht in der freien Bewegung der Gegensätze auf dem praktischen Boden; eine solche Freiheit kann der Liberalismus nicht sein, aus dem einfachen Grund, weil sein Gegensatz übermächtig ist und ihm übermächtig erscheint. Wir müssen zugeben, daß der Souverän auf der einen und die "Freisinnigen" auf der anderen Seite keine Gegensätze auf gleicher Linie sind, selbst dann nicht, wenn der Souverän selbst freisinnig sein sollte. Die gute Meinung des Liberalismus läßt fünf gerade sein, um nur die Phantasie der Freiheit für eine wirkliche nehmen zu können. Unsere Freiheit ist darum eine Freiheit in der Phantasie, weil sie eine geschenkte ist. Die ganze Bundesakte hat den Charakter eines Geschenks - zuerst gegen die Mediatisierten, deren Los so große Sympathie erregte, daß im 6. Artikel ernstlich davon die Rede ist, ob sie nicht eine Kuriatstimme [eine gemeinsame Stimme pro Kurie - wp] am Bundestag bekommen sollten, der vielen Privilegien des 14. Artikels gar nicht zu gedenken; sodann gegen die Untertanen, welche wieder mit landständischen Verfassungen versehen werden sollen. Offenbar hatte der Kongreß Sympathien für Recht und Freiheit; nur freilich war das Recht das Fürstenrecht und das Privilegium der Mediatisierten [Unterstellten - wp], kurz, wem von den Franzosen an seinem Patrimonium Unrecht geschehen war und die Freiheit war die Freiheit der Untertanen. Allerdings sind diese Sympathien liberal und sie wurden auch so empfunden, ja sie werden jetzt sogar von nicht liberalen Schriftstellern als ein unvorsichtiger Freiheitsschwindel dargestellt; aber man täuscht sich über diese Freiheit; sie ist eine geschenkte und wurde gar bald eine nur geduldete. Vierundzwanzig kleine Staaten bekamen oktroyierte Verfassungen, die allerdings nicht ganz ständisch ausgefallen sind, ihre Prinzipien der Öffentlichkeit, der Pressefreiheit, der Steuerbewilligung aber nur soweit ausbilden dürfen, als dies von den großen Staaten und der Bundesversammlung geduldet wird. Am deutlichsten beweist dies wiederum die Geschichte der konstitutionellen Lebens in Baden. Die Freiheit der kleinen Staaten ist aber nicht nur an diese Rücksichten nach Außen gebunden, sie ist auch in jedem Land selbst ein Produkt der Theorien und Rücksichten der Territorialregierungen, nicht eines allgemeinen und souveränen Volksgeistes, obgleich nicht verkannt werden darf, daß die Regierungen allerdings unter seinem Einfluß ihre Gesetze geschaffen haben. Die geschenkte kleinstaatliche Freiheit ist eine Selbstbeschränkung des Souveräns, die sich von der Freiheit der Untertanen in den absoluten Monarchien nur dadurch unterscheidet, daß ihre Gesetze die politische Sphäre betreffen, während dauf dem Boden der Zivil-, Kriminal-, Polizei- und Militärgesetzgebung jedes Gesetz des persönlichen Souveräns ebenfalls eine Selbstbeschränkung ist. Auch der Untertan erhält mit jedem Gesetz ein Recht; die von oben her über ihn kommenden Gesetze sind also ebenfalls geschenkt. "Wer nicht denkt, dem wird's geschenkt." Die Deutschen haben 1813 und 1815 gar nichts gedacht und sie werden noch dafür büßen müssen, daß sie so gedankenlos waren. Diese kleinstaatliche Freiheit und die Freiheit der Untertanen, wie wir Deutsche sie jetzt genießen, konnte nun freilich keinen andern Geist, als den des Liberalismus hervorbringen, den guten Willen zur Freiheit, aber nicht den wirklichen Willen der Freiheit. Die Untertanen gehorchen vielleicht nur ihren Gesetzen, aber diese sind ihnen geschenkt; sie sind nicht wirklich autonom; sie haben keinen Begriff davon, daß die Gesetze freier Wesen ihr eigenes Produkt sein müsse. Die kleinen Staaten haben in ihren Konstitutionen die "wohlmeinendsten und freisinnigsten" Paragraphen; aber die Verhältnisse erlauben ihre Verwirklichung nicht, - sie sind nicht autonom, d. h. nich souverän nach Außen. Umgekehrt die Souveräne der großen Staaten, denen der Staat erb- und eigentümlich von Gott gegeben ist, haben zur inneren Autonomie desselben nur den guten Willen, nicht den wirklichen. Ihr Verhältnis zur Freiheit ist also ganz das des Liberalismus, eine Neigung, vielleicht eine brennende Liebe zur Freiheit. Aber diese Liebe zur Freiheit täuscht sich vollständig über den Begriff der Freiheit und indem sie seine ganze Sphäre, nämlich die wahre Autonomie und Souveränität des Staates (nach Innen und nach Außen) verfehlt, sucht sie diesen Fehler durch eine gute Gesinnung und durch sogenannte freimütige Rede wieder gut zu machen. Der liberale Souverän wünscht, daß seine Untertanen frei seien, ihm aber natürlich die Souveränität lassen; die liberalen Untertanen wünschen, daß der König sie frei mache, aber die Souveränität natürlich für sich behalte. Alles ist lauter Liebe und Güte und die Erde wäre ein Paradies, - wenn es ein hölzernes Eisen gäbe oder, noch besser, wenn alles Eisen sich in Baumwolle verwandeln wollte. Der Liberale sagt, wenn ernstlich von der Freiheit die Rede ist, was jener Franzose antwortete, als er seine Schulden bezahlen sollte: "Glauben Sie mir nur diese zwei Worte, ich bin edel und gut!" Wir sind hier wieder bei der alten Gegensatzlosigkeit, bei der Eigentümlichkeit der Deutschen, daß sie keine politischen Parteien haben, d. h. bei ihrem politischen Tod angelangt sind. Der politische Liberalismus hat das alte Spießbürgerbewußtsein zur Voraussetzung: er ist nur scheinbar ein neuer Geist. Ihn quält noch immer das Gespenst des alten heiligen römischen Reichs. Nicht einmal das römische Recht, die Inquisition, die Pfaffen, die Privilegierten des hohen, mittleren und niederen Adels ist er losgeworden; dagegen öffentliches, also wirklich gesichertes Recht und Pressefreiheit, wirkliche Freiheit wenigstens auf theoretischem Gebiet - welche himmelhohen, völlig unerreichbaren Dinge! Und vollends die Idee der Volkssouveränität, auf die es vor allem ankäme, die ist nun gar französisch. Aber es wäre sehr oberflächlich, wenn man die ganze Schiefheit unseres politischen Bewußtseins vom Gespenst des alten deutschen Reichs ableiten wollte; im Gegenteil, dieses Gespenst ist aus unserer schiefen, tiefen und unsäglich konfusen Deutschheit abzuleiten, aus der Deutschheit, die alles anders haben wollte, als die "Franzen" und die nun mit ihrer gewaltigen Originalität nichts von allem, als den leeren Schein davongetragen hat, aus dem einfachen Grunde, weil es jederzeit nur eine Freiheit gibt und die Freiheit unserer Zeit zufällig die Franzosen, nicht die guten Deutschen erfunden haben. Doch das ist genug gesagt und gerügt. Wir wollen es daher hier nicht weiter rügen, sondern nur den Schluß daraus ziehen, daß unsere Freiheit nichts anderes ist, als unser Bewußtsein und seine Produkte. Fahren wir also fort, den Liberalismus zu kritisieren, indem wir das liberale Bewußtsein selbst untersuchen. |