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Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft [3/7] VI. DIE NATURWISSENSCHAFTLICHE METHODE Für die herkömmliche Ansicht besteht nun das Wesen aller wissenschaftlichen Begriffsbildung oder Darstellung in erster Linie darin, daß man die Bildung allgemeiner Begriffe anstrebt, unter welche die verschiedenen Einzelgestaltungen sich als "Exemplare" unterordnen lassen. Das Wesentliche in den Dingen und Vorgängen ist dann das, was sie mit den unter denselben Begriff fallenden Objekten gemeinsam haben und alles rein Individuelle geht als "unwesentlich" nicht mit in die Wissenschaft ein. Schon die vorwissenschaftlichen Wortbedeutungen, mit denen wir arbeiten, sind ja, von Eigennamen abgesehen, alle mehr oder weniger allgemein und die Wissenschaft kann gewissermaßen als eine Art Fortsetzung und bewußte Ausbildung eines ohne unser Zutun begonnenen Begreifens der Wirklichkeit angesehen werden. ![]() Die Begriffe werden dann entweder durch Vergleichung empirisch gegebener Objekte gewonnen oder sie können auch eine so umfassende Allgemeinheit erreichen, daß sie weit über das unmittelbar Erfahrbare hinausgehen. ![]() ![]() Schon in der aristotelischen Logik, von der fast alle Untersuchungen in diesem Punkt bis auf den heutigen Tag abhängig sind, wird die wissenschaftliche Begriffsbildung in der angegebenen Weise und zwar nur so aufgefaßt und so sehr sich auch der moderne Gesetzesbegriff vom antiken Gattungsbegriff unterscheiden mag, so scheint doch dies heute wie früher zu gelten: es gibt keine Wissenschaft vom Einmaligen und Besonderen, die es mit Rücksicht auf seine Einmaligkeit und Besonderheit darstellt. Es gilt vielmehr, alle Objekte allgemeinen Begriffen, womöglich Gesetzesbegriffen, unterzuordnen. ![]() Ist durch diese Art der Begriffsbildung wirklich der formale Charakter aller Wissenschaft bestimmt? Die Frage müßte bejaht werden, wenn man unter Begriff nur die "Elemente" verstehen wollte, aus denen die Wissenschaft ihre Begriffe bildet und wenn man ferner annähme, daß sich aus allgemeinen Elementen nur allgemeine Begriffe bilden lassen. Die letzten Elemente der wissenschaftlichen Begriffe sind nämlich unter allen Umständen allgemein und einen Begriff kann man schon deswegen nur aus allgemeinen Elementen bilden, weil die Worte, deren sich die Wissenschaft bedient, um allen verständlich zu sein, allgemeine Bedeutungen haben müssen. In Bezug auf die Begriffselemente können also keine formalen Unterschiede in den Methoden der Wissenschaft bestehen. Die Frage darf vielmehr nur lauten, ob auch die wissenschaftlichen Begriffe, welche aus diesen allgemeinen Elementen gebildet werden, stets allgemein sind und solange wir nur die naturwissenschaftliche Methode in Betracht ziehen, ist auch diese Frage zu bejahen. Nur müssen wir das Wort "Natur" dann im Kantischen, also formalen oder logischen Sinne nehmen und nicht auf die Körperwelt beschränken. Die Natur erkennen heißt unter dieser Voraussetzung in der Tat, aus allgemeinen Elementen allgemeine Begriffe bilden und, wenn möglich, unbedingt allgemeine Urteile über die Wirklichkeit fällen, d. h. Begriffe von Naturgesetzen entdecken, deren logisches Wesen es einschließt, daß sie nichts von dem enthalten, was sich nur an diesem oder jenem einmaligen und individuellen Vorgang findet. ![]() Höchstens dann könnte man bestreiten, daß die Naturwissenschaft so verfährt, wenn man den Begriff des Allgemeinen zu eng faßt oder nur an eine besondere Art der Verallgemeinerung denkt. Weil das geschehen ist und dadurch die sonderbarsten Mißverständnisse der hier entwickelten Gedanken entstanden sind, will ich auf die "Allgemeinheit" der naturwissenschaftlichen Begriffe noch mit ein paar Worten eingehen. Wir nennen jeden Begriff allgemein, in dem nichts von der Besonderheit und Individualität dieser oder jener bestimmten einmaligen Wirklichkeit enthalten ist und wir berücksichtigen dabei nicht die Unterschiede in den Prozessen, durch welche allgemeine Begriffe zustande kommen. Ebensowenig fragen wir danach, ob wir es mit Begriffen von Relationen oder von Dingen zu tun haben, so wichtig diese Unterschiede für die Logik auch sonst sein mögen. Wir müssen hier einen ganz allgemeinen Begriff vom allgemeinen Begriff zugrunde legen, weil es nur darauf ankommt, das aller Naturwissenschaft Gemeinsame zum Bewußtsein zu bringen. ![]() Man darf also nicht etwa nur an die Begriffsbildung denken, die als "vergleichende Abstraktion" das einer gegebenen Mehrheit von Exemplaren Gemeinsame zusammenfaßt. Diese klassifikatorische Form ist in der Tat nur auf einen Teil der Naturwissenschaften beschränkt, wie zu bestreiten niemand einfallen kann. Es gibt noch andere Arten, zu allgemeinen Begriffen zu kommen. So ist z. B. die Naturwissenschaft durch das Experiment in der Lage an einem einzigen Objekt den Begriff, ja eventuell das Gesetz zu finden, das sie sucht und man kann diese Abstraktion als "isolierende" von der vergleichenden scheiden. Doch würde auch sie ihr Ziel vollkommen verfehlt zu haben glauben, wenn der an dem einen Objekt gebildete Begriff nur für dieses eine Objekt gültig wäre und deswegen kommen diese Unterschiede hier nicht in Betracht. Der Begriff oder das Gesetz soll stets für eine beliebig große Anzahl von Objekten gelten, also durchaus allgemein sein. Selbstverständlich schließt ferner die verallgemeinernde naturwissenschaftliche Erkenntnis eines Objekts keine noch so weitgehende Versenkung in die Einzelheiten und das Detail aus. Denkt man nur an die Zusammenfassung des Gemeinsamen aus einer Mehrheit gegebener Wirklichkeiten, so könnte der Schein erweckt werden, als nähme die Naturwissenschaft, die das Individuelle wegläßt, in ihre Begriffe weniger von den Dingen auf, als wir bereits von ihnen wissen oder als bedeute das Verallgemeinern geradezu eine "Flucht vor der Wirklichkeit". So ist der Satz, daß die Wissenschaft die Wirklichkeit zu vereinfachen habe, nicht zu verstehen. Jede Wissenschaft sucht vielmehr in die Wirklichkeit tiefer einzudringen und mehr von ihr zum ausdrücklichen Bewußtsein zu bringen, als bereits bekannt ist. Das sollte man nicht ausdrücklich zu sagen brauchen. Die Verallgemeinerung darf daher auch nicht zur "Analyse" in einen Gegensatz gebracht werden. Nur das ist gemeint, daß keine noch so eingehende Analyse die inhaltliche Mannigfaltigkeit des Wirklichen zu erschöpfen vermag und daß die Naturwissenschaft außerdem in der abschließenden Darstellung der Ergebnisse ihrer Analyse all das unberücksichtigt läßt, was sich allein an diesem oder jenem besonderen Objekt findet, daß sie also auch auf dem Weg der Analyse eines einzelnen Falles stets zu allgemeinen Begriffen kommt. ![]() Gewiß braucht sich ferner die Naturwissenschaft nicht mit einem allgemeinen Begriff zu begnügen, um ihr Objekt zu erkennen. Sie wendet sich oft auch dem für den einen Begriff unwesentlichen "Rest" zu, um ihn unter neue Begriffe zu bringen und wenn das geschehen ist, kann sie wiederum das Bedürfnis haben, den bei der zweiten Analyse verbleibenden Rest einer dritten Untersuchung zu unterwerfen. Unter formalen Gesichtspunkten läßt sich nicht angeben, wie weit sie in die inhaltliche Mannigfaltigkeit des Wirklichen eindringen muß, um die Begriffsbildung zu Ende zu führen, denn das hängt von den verschiedenen Zielen und Zwecken ab, welche sich die verschiedenen Teildisziplinen setzen. Aber mag mit Hilfe noch so vieler Begriffe die Analyse noch so weit getrieben und mögen noch so viele, bisher unbekannte Einzelheiten der Wirklichkeit zutage gefördert werden, so kann die Naturwissenschaft hierbei erstens niemals alle Eigentümlichkeiten der untersuchten Objekte begrifflich darstellen, weil deren Menge in jedem heterogenen Kontinuum unerschöpftlich ist und zweitens wird sie selbst bei der detailliertesten Kenntnis durch eine noch so große Fülle von Begriffsbildungen stets das nur einem einzigen Objekt Anhaftende als unwesentlich betrachten, so daß daher auch die Kombination sämtlicher an individuellen Wirklichkeiten gebildeter naturwissenschaftlicher Begriffe niemals die Besonderheit und Individualität auch nur eines einzigen realen Objektes wiederzugeben vermag. Wer das Gegenteil glaubt, muß mit PLATON das Allgemeine für das Wirkliche halten und im Besonderen und Individuellen nur einen Komplex von Allgemeinheiten erblicken. Dieser "Begriffsrealismus" gilt aber heute für überwunden. Das Wirkliche haben wir im Besonderen und Individuellen und niemals läßt es sich aus allgemeinen Elementen aufbauen. ![]() So entsteht zwischen dem Inhalt der Begriffe und dem der Wirklichkeit ![]() Daß wir trotzdem die Ergebnisse der Naturwissenschaft auf die Wirklichkeit anwenden, d. h. uns mit ihrer Hilfe in unserer Umgebung zu orientieren, sie zu berechnen, ja durch die Technik zu beherrschen imstande sind, ![]() ![]() ![]() Also gerade die Allgemeinheit des naturwissenschaftlichen Begriffes und die Kluft zwischen ihm und dem einmaligen Wirklichen, worin wir sein theoretisches Wesen gefunden haben, ist die notwendige Vorbedingung auch für seine praktische Verwendung. ![]() ![]() Übersehen kann man die Kluft zwischen der Naturwissenschaft und dem Wirklichen nur, wenn man nicht auf dessen Individualität achtet. Wer einmal versucht, naturwissenschaftliche Begriffe auf das Individuelle selbst anzuwenden, muß bald auf eine Grenze stoßen, die unüberwindlich ist. Gewiß stellt der Arzt aufgrund naturwissenschaftlicher Kenntnisse die Diagnose und dient dadurch eventuell seinem individuellen Patienten. Er kann den besonderen "Fall" dem allgemeinen Krankheitsbegriff unterordnen und infolgedessen das tun, wovon er weiß, daß es im Allgemeinen zu helfen pflegt. Er braucht also notwendig die Generalisation. Gerade dem klugen Arzt aber ist es andererseits nur zu wohl bekannt, daß es in Wirklichkeit keine "Krankheiten", sondern lediglich kranke Individuen ![]() Kurz, es zeigt sowohl die Möglichkeit einer Anwendung der naturwissenschaftlichen Begriffe auf das wirkliche Leben als auch die Grenze, die ihrer Verwertung gesteckt ist, von neuem die Eigenart der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung als eines generalisierenden Verfahrens. Die Naturwissenschaft bringt, um einen glücklichen Vergleich von BERGSON zu gebrauchen, nur Konfektionskleider zustande, die PAUL ebensogut wie PETER passen, weil sie die Gestalt keines von beiden nachzeichnen. Wollte sie "nach Maß" arbeiten, so müßte sie für jeden Gegenstand, den sie studiert, eine neue Arbeit liefern. Das aber widerstreitet ihrem Wesen als Naturwissenschaft. Sie bleibt beim Individuellen nur so lange, bis sie an ihm das Allgemeine gefunden hat, dem es sich unterordnen läßt. Insofern muß man sagen, daß die Wirklichkeit in ihrer Besonderheit und Individualität die Grenze für jede naturwissenschaftliche Begriffsbildung ist. ![]() Auch der Umstand, daß es bisweilen nur ein einziges Exemplar faktisch gibt, an dem die Naturwissenschaft ihre Begriffe bilden kann, darf uns nicht darüber täuschen, daß diese Begriffe, mit einer einzigen sogleich erwähnenden Ausnahme, nicht den Sinn haben können, nur für dieses eine Exemplar zu gelten. In diesen Fällen ist es nämlich mit Rücksicht auf die logische Struktur des naturwissenschaftlichen Begriffes sozusagen "zufällig", daß sein empirischer Umfang nur aus einem Exemplar besteht, denn der Begriffsinhalt bleibt trotzdem auf beliebig viele Exemplare anwendbar, ist also ein allgemeiner Gattungsbegriff. Zu den Zeiten z. B., als man vom "Urvogel" nur eine Feder kannte, war diese doch in erster Linie für die Aufstellung einer Gattung bedeutsam, ebenso wie heute, seitdem man zwei Exemplare dieser Gattung gefunden hat. Also der Begriff "Archäopteryx" war schon logisch allgemein, als sein empirischer Umfang noch nicht einmal aus einem ganzen Exemplar bestand. Aus allen diesen Gründen können wir die naturwissenschaftliche Methode generalisierend nennen, um damit den formalen Begriff der Natur hervortreten zu lassen. Naturerkenntnis generalisiert. Darin besteht ihr logisches Wesen. Eine Ausnahme bilden allerdings die einzelnen Weltkörper in einigen Teilen der Astronomie; doch würde eine genauere Untersuchung zeigen, daß auch diese Ausnahme die allgemeine Regel nicht aufheben kann, weil die Rolle, die hier das Einmalige als solches in einer Gesetzeswissenschaft spielt, durch ganz besondere Umstände bedingt und auf scharf abzugrenzenden Gebiete beschränkt ist. Hier wird, wie in der Physik, wieder die Mathematik wesentlich und davon wollen wir später sprechen. Sehen wir vorläufig von diesen Fällen ab, so ergibt sich ferner auch, wie infolge dieser Art von Begriffsbildung die Gesamtheit der im logischen Sinne naturwissenschaftlichen oder generalisierende Disziplinen sich gliedern und zu einem einheitlichen Ganzen mit gemeinsamen Zielen zusammenfassen läßt, zu dessen Realisierung jede besondere Wissenschaft auf ihrem Gebiet beiträgt. Die Wirklichkeit zerfällt für die generalisierenden Wissenschaften zunächst in zwei Arten von Realitäten, in solche, die einen Raum erfüllen (wobei das Wort "erfüllen" zu betonen ist, denn bloß ausgedehnte "Körper" sind nicht wirklich) und solche, die dies nicht tun (wenn sie auch deswegen durchaus nicht überhaupt "unräumlich" zu denken sind) und die generalisierenden Spezialforschungen halten, falls wir von materialistischen Velleitäten [Willensbekundungen - wp] absehen, an der Trennung in physisches und psychisches Sein streng fest. ![]() ![]() Es gibt demnach für die generalisierenden Wissenschaften zwei getrennte Gebiete der Untersuchung und dementsprechend müssen auch zwei Systeme von generalisierenden Einzelwissenschaften aufgestellt werden, von denen die einen körperlich, die anderen seelische Wirklichkeiten behandeln. In ihrer logischen, also formalen Struktur aber gleichen die beiden Systeme einander ![]() Denken wir nämlich die Systeme vollendet, ![]() ![]() Deshalb widerspricht es z. B. dem Sinn jeder generalisierenden Wissenschaft, ein prinzipiell nicht gesetzmäßiges Geschehen anzunehmen und für die Körperwissenschaften haben sogar nur Begriffsbildungen Wert, die mit einer mechanischen Auffassung nicht prinzipiell unvereinbar sind, weshalb "vitalistische" Theorien keine Problemlösungen, sondern nur Problemverdunkelungen geben können, obwohl die Biologie ohne relativ besondere Begriffe vom "Leben" nicht auskommt. (4) Die Psychologie hat es bisher nicht zu einer allgemein anerkannten Theorie vom Seelenleben gebracht und steht aus diesem Grund hinter den Körperwissenschaften mit Rücksicht auf eine systematische Durchbildung noch weit zurück. ![]() Selbstverständlich soll hiermit nicht einer unkritischen Übertragung des in den Körperwissenschaften erprobten Verfahrens auf die Psychologie das Wort geredet werden. Im einzelnen hat jede wissenschaftliche Untersuchungsmethode sich nach den inhaltlichen Eigentümlichkeiten ihrer Objekte zu richten. Hier kommt es nur darauf an, ob diese Eigenarten eine derartige logische Bedeutung haben, ![]() Man hat oft auf den einheitlichen Zusammenhang hingewiesen, der das erlebte psychische Sein zum Unterschied von der Körperwelt charakterisiert und daraus Schlüsse auch auf die Methode seiner Darstellung gezogen. An der Tatsache einer solchen "Einheit" ist nicht zu zweifeln. Aber man wird doch genau angeben müssen, worin diese Einheit besteht und dann, falls sie wirklich der naturwissenschaftlichen Methode einen Widerstand entgegensetzt, prüfen, ob dieser Widerstand auch dem Wesen des psychischen Seins ![]() Man kann ferner auch von einer Einheit des "Bewußtseins" reden und sie der Vielheit der physischen Wirklichkeit entgegensetzen. Handelt es sich jedoch dabei um den erkenntnistheoretischen Begriff, so schließt die bloß formale Einheit die psychische Mannigfaltigkeit nicht in prinzipiell anderer Weise zusammen als die physische und diese Form kommt für die Methode der Psychologie daher gar nicht in Betracht. Weil die psychologische Begriffsbildung sich ausschließlich auf den Inhalt der psychischen Wirklichkeiten ![]() ![]() Doch ist dies in der Tat nicht die einzige "Einheit", die das Seelenleben zeigt. ![]() ![]() ![]() ![]() Im ersten Fall der organischen Einheit, in dem Werte keine Rolle spielen, ![]() ![]() Erst wenn die Einheit mit Rücksicht auf Werte in Frage kommt, kann man vielleicht behaupten, daß die generalisierende Betrachtung diese Einheit zerstören muß und daher die einheitliche Seele nicht nur naturwissenschaftlich untersucht werden darf, weil damit ihre Beziehung auf die Werte aufgehoben werden würde. Hierdurch aber ist in keiner Weise bewiesen, daß das seelische Leben als solches sich gegen eine naturwissenschaftliche Auffassung sträubt oder daß die naturwissenschaftlich unbegreifliche Einheit aus dem Wesen des Psychischen stammt, sondern nur, daß bestimmte Arten des Seelenlebens wegen der an ihnen haftenden Bedeutungen oder Sinngebliden sich generalisierend nicht erschöpfend behandeln lassen. ![]() Doch können wir diese Frage erst dann behandeln, wenn wir die rein logischen und formalen Unterschiede der Methoden mit dem materialen Einteilungsprinzip von Natur und Kultur verbinden. Vorläufig kommt es nur darauf an, zu zeigen, daß die Wissenschaft, welche das seelische Leben lediglich mit Rücksicht darauf untersucht, daß es seelisch und nicht körperlich ist, also von allen Werten und Sinngebilden absieht, keinen Grund hat, sich einer anderen als der im logischen Sinne naturwissenschaftlichen, d. h. generalisierenden Methode zu bedienen. Es bleibt eher dabei, daß jede Wirklichkeit, also auch die psychische, generalisierend als Natur aufgefaßt werden kann und folglich auch naturwissenschaftlich begriffen werden muß. Sonst wäre ein die gesamte psychophysische Natur umfassender wissenschaftlicher Begriff überhaupt nicht zu bilden. ![]() NATUR UND GESCHICHTE Fassen wir nun aber den Begriff der Naturwissenschaft so weit, daß er mit dem einer generalisierenden Wissenschaft zusammenfällt, ist dann ein anderes als naturwissenschaftliches Verfahren bei der Erkenntnis der realen Sinnenwelt überhaupt noch möglich? Die Wissenschaft bedarf, wie wir gesehen haben, für die Auswahl des Wesentlichen eines leitenden Prinzips. Die Zusammenfassung des Gemeinsamen durch empirischen Vergleich oder die Darstellung des Allgemeinen von der Form des Naturgesetzes liefert es ihr. ![]() ![]() ![]() Und in der Tat, wer zwei Gruppen von Einzelwissenschaften nach dem Gegensatz von Natur und Geist so scheiden will, daß Geist dabei dabei nur das seelische oder psychische Sein bedeutet, wird dieser Ansicht gegenüber keine durchschlagenden Argumente finden. Wo man versucht, aus den Eigenschaften des seelischen Lebens Gründe abzuleiten, die seine Erforschung nach naturwissenschaftlicher Methode unmöglich machen sollen, hat man entweder höchstens logisch sekundäre Unterschiede finden können, welche die Aufstellung eines prinzipiellen formalen Gegensatzes zwischen Natur- und Geisteswissenschaften nicht rechtfertigen ![]() ![]() Mit solchen Behauptungen kann man in der Wissenschaftslehre nur Verwirrung stiften. MILL (5) hätte mit Recht triumphiert, daß es nur Naturwissenschaft gibt, wenn es wirklich auf die Alternative Freiheit oder kausale Notwendigkeit bei dieser Frage ankäme, denn aufgrund eines metaphysischen Freiheitsbegriffs wird man niemals dem Versuch widerstehen können, das empirisch gegebene Seelenleben ![]() ![]() ![]() Es gibt Wissenschaften, die nicht auf die Aufstellung von Naturgesetzen, ja überhaupt nicht nur auf die Bildung allgemeiner Begriffe gerichtet sind und das sind die historischen Wissenschaften im weitesten Sinne des Wortes. Sie wollen nicht nur "Konfektionskleider" machen, die PAUL ebensogut wie PETER passen, d. h. sie wollen die Wirklichkeit, die niemals allgemein, sondern stets individuell ist, ![]() Die Historiker werden mit GOETHE vom Allgemeinen sagen: "Wir benutzens, aber wir lieben es nicht, ![]() ![]() Wie die Geschichtswissenschaft die Besonderheit und Individualität des Wirklichen, das sie behandelt, darstellt, sei zunächst dahingestellt. Weil die Wirklichkeit als solche wegen ihrer unübersehbaren Mannigfaltigkeit in keinen Begriff eingeht und weil die "Elemente" aller Begriffe allgemein sind, muß der Gedanke an eine individualisierende Begriffs bildung zunächst problematisch erscheinen. Daß aber die Geschichte in der Darstellung des Einmaligen, Besonderen und Individuellen selbst ihre Aufgabe sieht, sollte man nicht bestreiten und von dieser Aufgabe aus muß man ihr formales Wesen darlegen. Denn alle Begriffe von Wissenschaften sind Begriffe von Aufgaben und ihr logisches Verständnis ist nur möglich, wenn man vom Ziel, das sie sich setzen, in die logische Struktur ihrer Methode eindringt. Diese ist der Weg, der zum Ziel führt. ![]() In neuester Zeit ist dann auch der Gegensatz des naturwissenschaftlichen, d. h. generalisierenden und des historischen Verfahrens wenigstens nach dieser einen, wenn auch gewissermaßen nur negativen Seite hin klar gemacht. Die Unterscheiung von Gesetzes- und Geschichtswissenschaften bei HERMANN PAUL habe ich bereits erwähnt. Ohne auf die übrigen Beiträge zur Klarlegung dieses Punktes einzugehen, weise ich hier nur auf die Ausführungen WINDELBANDs (6) hin. Er stellt neben das "nomothetische" Verfahren der Naturwissenschaften das "idiographische" der Geschichte als dasjenige, welches auf die Darstellung des Einmaligen und Besonderen gerichtet ist und mit der Einschränkung, daß das nomothetische Verfahren nicht nur auf die Auffindung von Gesetzen ![]() Ich selbst habe, um zwei rein logische und damit rein formale Begriffe von Natur und Geschichte zu gewinnen, mit denen nicht zwei verschiedene Realitäten, sondern dieselbe Wirklichkeit unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten ![]() ![]() In diesem Unterschied besitzen wir dann das gesuchte formale Prinzip für die Einteilung der Wissenschaften und wer die Wissenschaftslehre wirklich logisch betreiben will, muß diese formalen Unterschied zugrundelegen. Sonst wird er das logische Wesen der empirischen Wissenschaften nie verstehen. Es ist eine Tatsache, die man beklagen, aber dadurch nicht aus der Welt schaffen kann, daß die wirklich ausgeübte wissenschaftliche Begriffsbildung der Einzelforschung sich in diese zwei logisch einander entgegengesetzten Richtungen spaltet und diese Spaltung, nicht irgendwelche sachlichen Unterschiede, muß daher die Wissenschaftslehre zuerst berücksichtigen. ![]() Mit allgemeinen Redewendungen wie: alle Wissenschaft sei einheitlich, es könne doch nicht mehrere Wahrheiten geben oder die Geschichte sei keine "Wissenschaft", weil sie nicht generalisiere, ist der Logik nicht geholfen. Gewiß haben alle empirischen Wissenschaften das miteinander gemeinsam, daß sie wahre Urteile über das reale Sein der Sinnenwelt geben, d. h. nur wirklich vorhandene Objekte und nicht Produkte der Phantasie darstellen wollen. Insofern gibt es nur eine einheitliche Wissenschaft, die auf die eine Wirklichkeit gerichtet ist. ![]() ![]() Wer den Namen der "Wissenschaft" nur für die Produkte generalisierender Auffassung verwenden will, ist natürlich nicht zu widerlegen, weil solche terminologischen Festsetzungen überhaupt jenseits von wahr und falsch liegen. Daß es aber eine besonders glückliche Terminologie ist, die die Werke RANKEs und aller großen Historiker nicht zur "Wissenschaft" zu rechnen gestattet, wird man nicht behaupten können. Man sollte sich vielmehr bemühen, einen Begriff von Wissenschaft zu bilden, der das umfaßt, was allgemein Wissenschaft genannt wird und zu diesem Zweck vor allem die Tatsache berücksichtigen, daß die Wissenschaften nicht überall dieselbe Form des naturwissenschaftlichen oder generalisierenden Verfahrens zeigen. Machen wir das zunächst noch ausdrücklich an Beispielen klar und vergleichen wir zu diesem Zweck die berühmte Darstellung, die K. E. von BAER von der Entwicklung des Huhns im Ei gegeben hat, mit RANKEs Römischen Päpsten im 16. und 17. Jahrhundert. In dem einen Fall wird eine unübersehbare große Mehrheit von Objekten unter ein System von allgemeinen Begriffen gebracht, das den Zweck hat, für jedes beliebige Exemplar dieser Mehrheit zu gelten und das darzustellen, was sich immer von neuem wiederholt. ![]() ![]() Ja, die Beispiele sind so gewählt, daß sich zugleich noch etwas anderes aus ihnen ersehen läßt. Wenn die eine Darstellung ihre Objekte mit Rücksicht auf das Gemeinsame oder Allgemeine, die andere sie dagegen mit Rücksicht auf das Besondere und Individuelle betrachtet, so ist klar, daß hier der denkbar größte logische Unterschied zum Ausdruck kommt, den es zwischen den Methoden der empirischen Wissenschaften geben kann. Ein drittes Ziel der Wissenschaft, das sich von den beiden genannten in logischer oder formaler Hinsicht so prinzipiell unterscheidet, wie diese untereinander verschieden sind, ist bei der Darstellung empirischer Wirklichkeiten nicht möglich. Die Wissenschaftslehre wird also bei einer Einteilung der Disziplinen, die das Wirkliche erforschen, den angegebenen Unterschied als den formalen Haupt gegensatz aller wissenschaftlichen Begriffsbildung der Einzelforschung bezeichnen müssen, neben dem die anderen Unterschiede logisch sekundär sind und sie wird daher die empirischen Wissenschaften so einteilen, daß sie sagt: alle spezialwissenschaftliche Tätigkeit, die Wirkliches erkennen will, bildet entweder allgemeine oder individuelle Begriffe oder sie enthält ein Gemisch von beiden Arten. ![]() Es ist nicht einzusehen, weshalb jemand gegen diese Sätze etwas einwenden sollte. Höchstens das könnte man bezweifeln, ob die Gleichsetzung des angegebenen rein formalen Unterschiedes mit dem Gegensatz des naturwissenschaftlichen und geschichtlichen Verfahrens berechtigt ist oder ob nicht vielmehr das Wort "Geschichte" nur in einer engeren Bedeutung gebraucht werden sollte. Doch ist auch darauf die Antwort nicht schwer. Die Untersuchung von BAER nennt jeder naturwissenschaftlich und die Gründe für die Gleichsetzung der generalisierenden Begriffsbildung mit der naturwissenschaftlichen kennen wir bereits. Daß dieser logische Gebrauch des Wortes Natur im Einklang mit der Terminologie KANTs steht, gibt ihm zugleich sein historisches Recht. Nicht minder gerechtfertigt ist aber auch der Ausdruck geschichtliche Methode zur Bezeichnung des auf die Besonderheit und Individualität der Wirklichkeit gerichteten wissenschaftlichen Verfahrens. Wenn man RANKEs Werkt über die Päpste eine historische Untersuchung nennt, so denkt man allerdings gewiß auch daran, daß hier geistige oder seelische Vorgänge und insbesondere menschliches Kultur leben behandelt wird. Sieht man jedoch von diesen inhaltlichen Bestimmungen ab, was man tun muß, um einen logischen Begriff zu erhalten, so behält das Wort "geschichtlich" noch immer eine bestimmte und allgemein verständliche Bedeutung und das ist eben die hier verwendete. Freilich, der Sprachgebrauch ist nicht konsequent. Man spricht von "Naturgeschichte" und der Ausdruck "Entwicklungsgeschichte" ist gerade für solche Untersuchungen üblich geworden, an denen man sich, wie an BAERs Darstellung der Entwicklung des Huhns, das logische Wesen des naturwissenschaftlichen Verfahrens klarmachen kann. Aber das sind Ausnahmefälle. Wer von "Geschichte" schlechtweg redet, meint immer den einmaligen individuellen Verlauf einer Sache und gerade in der Philosophie ist es üblich, das Historische als das Besondere der Natur als dem Allgemeinen gegenüberzustellen. Das "historische" Recht ist das einmalige individuelle Recht im Gegensatz zum "Naturrecht", das allen gemeinsam ist oder sein soll. Die "historische" Religion ist die einmalige besondere Religon im Gegensatz zur "natürlichen" Religion, von der man glaubt, daß sie jedem Menschen mit seiner allgemeinen Natur gegeben sei. Wenn ferner der Rationalismus des achtzehnten Jahrhunderts, der die Dinge nur soweit berücksichtigt, als sie sich unter allgemeine Begriffe bringen lassen, vom "bloß" Historischen geringschätzig spricht, so identifiziert er dabei ebenfalls das Geschichtliche mit dem Einmaligen und Individuellen und dieser Sprachgebrauch zieht sich auch noch weit in die Philosophie des deutschen Idealismus hinein. Das aber kann nur ein neuer Grund sein, das Geschichtliche im logischen Sinne mit dem Einmaligen, Besonderen und Individuellen zu identifizieren. Wo KANT und seine Nachfolger nämlich vom bloß Historischen ebenfalls geringschätzig reden, da zeigt sich, daß, so große Fortschritte sie im geschichtlichen Denken auch der Aufklärung gegenüber gemacht haben, zu einer logischen Erfassung der Geschichte ![]() Kurz, es ist nicht etwa Sache der Willkür, die geschichtliche Methode als die individualisierende der naturwissenschaftlichen als der generalisierenden gegenüberzustellen. Wo man KANTs logischen Begriff der Natur akzeptiert, ist vielmehr auch dieser logische Begriff der Geschichte gefordert und jedenfalls erhalten wir so allein einen brauchbaren Ausgangspunkt für eine logische Untersuchung der empirischen Wissenschaften. Die Logik hat die Aufgabe, zuerst aus dem wissenschaftlichen Ziel der Geschichte, das in der Darstellung des einmaligen und individuellen Ablaufs einer Wirklichkeit besteht, die hierbei verwendeten individualisierenden Denkformen als notwendige Mittel zur Erreichung dieses Zieles zu verstehen. ![]() ![]() ![]() Anmerkungen 1) Ich muß dies RIEHL und besonders FRISCHEISEN-KÖHLER gegenüber hervorheben, der meine "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" in mehreren ebenso betitelten Abhandlungen (Archiv für systematische Philosophie, Bd. 12 und 13) und in seinem Buch: Wissenschaft und Wirklichkeit, 1912 einer sehr eingehenden Kritik unterzogen hat. Daß er mir zutraut, ich hätte die Naturwissenschaft allen Ernstes einer "Flucht vor der Wirklichkeit" gleichgesetzt, wundert mich etwas, denn seine Ausführungen sind im übrigen streng sachlich und ich erkenne ihren Scharfsinn gerne an. Selbst seine Mißverständnisse sind mir zum Teil lehrreich gewesen, denn sie haben mich darauf aufmerksam gemacht, daß ich in einigen Punkten auch für einen aufmerksamen Leser nicht ausführlich genug gewesen bin. Im folgenden nehme ich daher noch einigemal auf seine Kritik Bezug, soweit das mit dem Charakter dieser Schrift vereinbar ist, die allzu eingehende logische Spezialuntersuchungen meidet. Vgl. auch meine "Grenzen usw.", 3. und 4. Auflage, Seite 145f. 2) Vgl. dagegen FRISCHEISEN-KÖHLER, Wissenschaft und Wirklichkeit, Seite 158f 3) Das Körperliche läßt sich vom Seelischen auch noch in anderer Weise trennen, z. B. so, daß körperlich das genannt wird, was wir alle gemeinsam erleben, seelisch dagegen, das, was jedes Individuum für sich allein hat. Von diesem Unterschied sehen wir hier jedoch ab und bemerken nur, daß er nicht mit dem im Text behandelten zusammenfällt. Ebensowenig kommt ein dritter Unterschied in Betracht, der das Verhältnis des Physischen und des Psychischen zu Werten betrifft. Er wird erst für den Begriff des "Geistes" wichtig, der von dem des Seelischen verschieden ist. 4) Vgl. "Grenzen usw.", besonders Seite 456f, 3. und 4. Auflage Seite 311f. Auf den Begriff der wertfreien Teleologie kann ich hier nicht näher eingehen und er ist auch für das Verständnis des folgenden nicht unentbehrlich. 5) JOHN STUART MILL, System der deduktiven und induktiven Logik, 1877, Bd. 2, Buch 6: Von der Logik der Geisteswissenschaften. 6) WILHELM WINDELBAND, Geschichte und Naturwissenschaft, 1894. Unveränderter Abdruck in Präludien, 5. Auflage 1915, Bd. 2, Seite 136f. Einer der ersten, der den allgemeinsten logischen Unterschied von Naturwissenschaft und Geschichte klar erkannte, war SCHOPENHAUER. Doch benutzte er diese Einsicht nur dazu, der Geschichte den Charakter als Wissenschaft abzusprechen, wie das viele im Anschluß an ihn getan haben. In positiver Hinsicht wichtig sind: HARMS, Die Philosophie in ihrer Geschichte, 1892, doch kommt er in der 2. Auflage dieser Schrift (1905) der entscheidende Punkt völlig klar heraus. Vgl. Genaueres in meinen Grenzen, 3. und 4. Auflage, Seite 205f. 7) RICKERT, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 1896, Seite 255. 3. und 4. Auflage, Seite 173 8) Daß die Voranstellung des formalen Unterschieds eine spätere Berücksichtigung der sachlichen Verschiedenheiten nicht ausschließt, ist selbstverständlich. Daher sollte man nicht sagen, die Wissenschaften seien nicht nach formalen, sondern nach sachlichen Gesichtspunkten zu gliedern. Es ist beide gleich berechtigt, je nach den Zielen, die man dabei im Auge hat. |