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HERMANN LOTZE
Drei Bücher der Logik
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"Kant wußte sehr wohl, daß die einfachen sinnlichen Empfindungen, die recht eigentlich den primitiven Inhalt aller unserer Wahrnehmungen bilden, uns nicht fertig von außen kommen, daß sie vielmehr nur als Rückwirkungen unserer eigenen geistig sinnlichen Natur auf die von dorther kommenden Reize gelten können."

Drittes Buch
Vom Erkennen
[Methodologie]

Drittes Kapitel
Apriorismus und Empirismus

322. Wenn innerhalb des Ganzen unserer Erkenntnis eine einzelne Ansiht uns zweifelhaft wird, so suchen wir eine Entscheidung in der Zergliederung der Veranlassungen, aus denen sie uns entsprungen ist; die Geschichte ihrer Entstehung soll uns lehren, ob sie Wahrheit ist, oder wie sie als Irrtum sich hat bilden müssen. So oft die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit unserer Erkenntnis überhaupt in der Geschichte der Philosophie aufgetaucht ist, hat derselbe Weg zum Ziel zu führen geschienen: aus der Art, wie unsere Vorstellungen und Urteile sich bilden, hat man über ihre Ansprüche auf den Namen von Wahrheiten entscheiden zu können geglaubt. Diese Überzeugung, welche eine Berücksichtigung verdient, da sie auch gegenwärtigen Richtungen philosophischer Untersuchung in großer Ausdehnung zugrunde liegt, lenkt mich für den Augenblick von der Fortsetzung meiner Gedanken ab; ich muß zu zeigen versuchen, daß jene genetische Betrachtungsweise für den zweiten allgemeineren Fall die Vorteile nicht hat, welche sie für den ersten speziellen unzweifelhaft verspricht. Denn beide sind nicht von gleicher Art. So oft wir die Triftigkeit einer einzelnen Ansicht prüfen wollen, benutzen wir als Entscheidungsgrund den zugestandenen Besitz anderer Wahrheit, teils allgemeiner Sätze, mit denen übereinzustimmen allen anderen obliegt, die uns gelten sollen, teils feststehender Tatsachen, denen die anderen Tatsachen nicht widerstreiten dürfen, die jene zu prüfende Ansicht behauptet oder voraussetzt, endlich gewisser Regeln des Denkens, nach denen das, was aus gültigen Prämissen triftig folgt, von untriftigen Folgerungen unterschieden wird; es ist überall hier eine Wahrheit bereits vorhanden, die auf das zu prüfende Gemenge unserer Gedanken wie ein Ferment wirkt, Entsprechendes sich assimiliert, Irriges ausstößt. Dieser gegebene und vom Gegenstand der Frage unabhängige Maßstab fehlt uns im zweiten allgemeineren Fall: die Prüfung der Wahrheit unserer Erkenntnis im Ganzen ist unmöglich, ohne die zu prüfenden Grundsätze als Entscheidungsgründe aller Zweifel vorauszusetzen. Diesen Zirkel, nach welchem unsere Erkenntnis sich die Grenzen ihrer Kompetenz selbst zu bestimmen hat, haben wir als unvermeidlich kennengelernt; aber man vermehrt die Schwierigkeit, wenn man nicht jene Grundsätze selbst, sondern eine unzergliederte Anwendung derselben, wenn man nämlich ausdrücklich die angebliche Einsicht in die Entstehung unserer Erkenntnis als jenen gewissen Bestandteil betrachtet, von dem aus ihr übriges Gebiet in Besitz genommen werden könnte. Soll die Art der Entstehung über den Anspruch auf Wahrheit entscheiden, und zwar, wie es hier gewöhnlich gemeint wird, auf Wahrheit in Bezug auf ein dem Erkennen fremdes und jenseitiges Sein, so ist es unmöglich, einen Schritt zu tun, ohne speziellere Voraussetzungen über die Stellung zu machen, in welcher sich das erkennende Subjekt gegenüber jenen Gegenständen seines Erkennens befindet, und über die Art des Verhältnisses zwischen beiden, durch welches der Vorgang des *Erkennens verwirklicht wird; denn nur die Kenntnis dieser Umstände könnte die Gefahren beurteilen lehren, die der Bildung wahrer Vorstellungen hier entgegenstehen. Darum ist das Vorgeben, man wolle zunächst durch eine völlig unbefangene Beobachtung, ohne Einmischung fraglicher Verstandesgrundsätze, den Hergang der Erkenntnis kennenlernen, eine haltlose Täuschung; jeder Versuch zur Ausführung ist notwendig voll von metaphysischen Voraussetzungen, aber von unzusammenhängenden und ungeprüften, weil man sie nur gelegentlich im Augenblick des Erklärungsbedürfnisses macht. Da folglich dieser Zirkel unvermeidlich ist, so muß man ihn reinlich begehen; man muß zuerst festzustellen versuchen, was Erkenntnis, ihrem allgemeinsten Begriff nach, bedeuten kann und welches Verhältnis zwischen einem erkennenden Subjekt und dem Objekt seiner Erkenntnis in Gemäßheit der noch allgemeineren Vorstellungen denkbar ist, nach welchen wir die Einwirkung jedes beliebigen Elements auf jedes zweite zu denken haben. Diesem letzteren Gedanken haben wir das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt des Erkennens unterzuordnen; nicht aber zuerst über dieses spezielle Verhältnis einen zufälligen mehr oder weniger probablen Einfall aufzustellen, um dann nach ihm über die Wahrheitsfähigkeit all unserer Erkenntnis zu urteilen. Ich lasse ganz unberücksichtigt die andere Frage, inwieweit es denn ausführbar sein mag, auch nur das Tatsächliche der allmählichen Entwicklung unserer ganzen Vorstellungswelt festzustellen; beobachtbar ist ihr Hergang nicht, denn jeder Beobachter hat ihn längst hinter sich. Mag nun in vielen Fällen auch das ausgebildete Bewußtsein sich noch des Weges erinnern, auf welchem es zu seinen jetzigen Vorstellungen gekommen ist, so wird man mir andererseits zugeben, daß in vielen anderen Fällen diese angeblichen Beobachtungen nur ziemlich willkürliche Einfälle über die Art sind, auf welche man sich die Entstehung der Vorstellungen glaubt denken zu können.

323. Verfolgen wir die Versuche, die gemacht worden sind, zuerst eine zweifellose *Tatsache zu gewinnen, von der aus die Entstehung der Erkenntnis und die Wahrheit derselben beurteilbar würde, so begegnen wir am Anfang der modernen Zeit dem Satz des DESCARTES: *cogito ergo sum*; der einzigen Gewißheit, die ihm aus dem Zweifel an aller überkommenen Erkenntnis übrig zu bleiben schien. An diesen Satz ist oft angeknüpft worden, und immer, schon seit *AUGUSTINUS, bei dem wir ihn zuerst finden, hat er sich als eine ebenso zweifellose wie vollkommen unfruchtbare Wahrheit erwiesen; nicht der kleinste Schritt zur Begründung irgendeiner Erkenntnistheorie ist aus ihm allein, ohne Zuziehung anderer von ihm unabhängiger Gedanken, möglich gewesen; schon das nächste Kriterium: wahr seien die Vorstellungen, die gleiche Evidenz und Klarheit genießen, meinte *DESCARTES selbst aus jenem Satz nicht ableiten zu können, ohne sich gegen die Möglichkeit, daß uns vollkommen unwahre Ideen mit derselben Ideen betrügen könnten, auf einem früher erwähnten Umweg sicher zu stellen. In der Tat ist leicht einzusehen, daß aus diesem Anfang nichts Neues fließen kann. Betrachtet man den Satz in seiner negativen Bedeutung, nämlich daß nichts uns gewiß ist als die Tatsache unseres Denkens, nicht aber die Wirklichkeit einer *Außenwelt, so erinnere ich an eine früher gemachte Bemerkung: auch wenn jene Außenwelt wirklich ist, so kann doch in uns von ihr nur ein Gedankenbild, nicht sie selbst vorhanden sein; die Tatsache folglich, daß nichts uns unmittelbar gewiß ist als unsere eigene Gedankenwelt, kann niemals darüber entscheiden, ob nur sie und ob nicht außer ihr eine Welt des Seins vorhanden ist, auf welche sie sich bezieht. Und selbst, wenn die Vorstellung dieser Außenwelt sich als ein notwendiges Erzeugnis unserer erkennenden Tätigkeit nachweisen läßt, unvermeidlich gemacht durch die Organisation unseres Geistes und durch die Gesetze, nach denen unsere Gedanken sich verknüpfen müssen, wenn also aus der Tatsache dieses cogito sich die Notwendigkeit dieses subjektiven Ursprungs unserer Annahme einer Außenwelt des Seins ableiten ließe: auch dann würde die Wahrheit dieser Annahme weder widerlegt noch bewiesen sein; denn auch wenn es diese Welt wirklich gibt, könenn wir dennoch auf die Vorstellung derselben nur dann geraten, wenn die Natur unseres Geistes und der Verlauf unserer Gedanken sie als eine zur Vermeidung innerer Widersprüche für uns notwendige Ergänzung hervortreibt. Achten wir aber auf den bejahenden Sinn des Satzes, so finden wir diesen nicht zweckmäßig formuliert; er ist nicht mehr Ausdruck einer unmittelbaren Tatsache, sondern einer Abstraktion. Dies freiliiich mache ich ihm nicht zum Vorwurf, daß er an der ersten Person der Verba cogito und sum festhielt; denn gewiß, so dunkel auch und zu weiteren Untersuchungen anregend die hierin enthaltene Vorstellung des Ich sein mag: zum ursprünglichsten Tatbestand diser einfachsten Erfahrung gehört sie unwidersprechlich; und Meinungen, welche dem cogito das cogitare, dem sum das esse als die erste und gewisseste Tatsache der Beobachtung unterschieben möchten, verfehlen ganz den Ruhm vorurteilsloser und unbefangener Grundlegung, den sie mit dem exakten Verfahren der Naturwissenschaft zu teilen suchen. Nirgends begegnet uns als eine einfachste Tatsache eine Vorstellung, die bloß wäre, die aber Niemand hätte; nirgends ein Bewußtsein, das nur als Bewußtsein überhaupt und nicht als das Bewußtsein eines Ich erschiene, welches in ihm entweder seiner selbst oder eines Andern sich bewußt wird; von dieser beständigen Zurückbeziehung auf ein Subjekt, dessen Natur völlig im Dunkeln bleibt, mag später die Wissenschaft die Ereignisse des Denkens und Wissens irgendwie zu sondern suchen; ursprünglich gewiß und gegeben aber sind sie nur in der Form des cogito, nicht in der infinitivischen des cogitare. Andererseits freilich, was in dieser richtigen Personalendung Fruchtbares liegen mag, ist von DESCARTES übersehen worden; welche Gedanken KANT daran zu knüpfen wußte, ist nicht dieses Ortes. Eine nicht förderliche Abstraktion liegt nun aber in dem Satz des DESCARTES insofern, als er von allen den einzelnen Zuständen, die als solche die unmittelbare Gewißheit der Selbsterfahrung besitzen, nur ihren allgemeinen Charakter hervorhebt: den der cogitatio, d. h. jenes Bewußtseins in weitester Bedeutung, durch welches sich sehr verschiedene Zustände der Seele, Empfinden und Vorstellen, Fühlen und Wollen, gemeinsam von dem unterscheiden, was wir uns als Zustand eines selbstlosen unbeseelten Wesens glauben denken zu können. Gewiß geht nun dieses Bewußtsein in jede der einzelnen Selbstbeobachtungen ein; aber welchen Nutzen konnte es haben, nur diesen gemeinsamen Zug aller zu erwähnen und die einzelnen Inhalte zu verschweigen, in denen allein er doch wirklich sein und unmittelbarer Gegenstand der Selbstbeobachtung werden kann? Nicht daß dieses cogito überhaupt vorkommt, in irgendeiner der Formen, die es annehmen kann, sondern in welchen Formen es vorkommt, darin lag ein fruchtbarer Anfangspunkt; nicht die nackte Tatsache, daß wir bewußt sein oder denken, lehrt uns die uns zugängliche Wahrheit kennen, sondern was wir denken, der Inhalt unserer cogitatio, ist nicht nur das Ursprünglichste, was uns gegeben ist, sondern auch das Einzige, woraus folgen kann, was wir denken sollen oder müssen. Wies doch DESCARTES selbst darauf hin, daß auch der Zweifler, indem er zweifelt oder jedes Wissen leugnet, die Tatsache der cogitatio durch sein eigenes Tun bestätigt; eben deshalb nun,, weil sie mit jedem wahren Wissen jedem Zweifel und jedem Irrtum auf gleiche Weise verknüpft ist, kann sie nicht dazu dienen, Wahres von Unwahrem zu unterscheiden.

324. Es war daher unvermeidlich ein neuer Anfang, an den die Untersuchung über unsere Erkenntnis anknüpfte: der Glaube an die Wahrheit dem Geist eingeborener Ideen. An diesen Namen, der einen langen Streit in die Geschichte der Erkenntnistheorie eingeführt hat, muß man nicht Einwürfe knüpfen, die mit einigem guten Willen sich leicht beseitigen lasen. Schon die Alten, wenn sie von dem sprachen, quod a natura nobis insitum est [was uns von Natur aus innewohnt - wp] und alle, die sich ähnlich ausdrückten, sind gewiß weit von der Annahme einer Wahrheit entfernt gewesen, die, dem Geist ansich fremd, in irgendeinem Augenblich seines beginnenden Lebens ihm eingeprägt und von da ein beständiger Gegenstand seines bewußten Vorstellens geworden ist. Nur dies meinten sie: so sei eben unser Geist durch seine eigene Natur, daß er, unter Bedingungen, die auf ihn einwirken, bestimmte Gewohnheiten der Gedankenverknüpfung notwendig entwickeln wird, zuerst als eine Verfahrensweise, die er unbewußt befolgt; zuletzt, auf unzählige so ausgeübte Handlungen seines Denkens reflektierend, hebe er die unbewußt in ihnen befolgte Regel seines Verhaltens nun selbst zum Gegenstand seines Vorstellens hervor. Angeboren aber nannte man diese Ideen in der Voraussetzung, es reiche nicht hin, daß der Geist, in dem sie sich bilden sollen, nur im Allgemeinen den Charakter eines vorstellungsfähigen Wesens trägt, so daß uner denselben Bedingungen dieselben Ideen in jedem Wesen entstehen müßte, das diesen formalen Charakter teilt; es schien vielmehr notwendig, daß in jedem Geist eine konkrete Anlage seiner Natur, durch die er sich von anderen vorstellungsfähigen Wesen unterscheiden könnte, die Form bestimmt, in welcher von ihm jene Vorstellungstätigkeit ausgeübt und ihre einzelnen Handlungen verknüpft werden. Allerdings lag keine Veranlassung vor, diese Annahme eines solchen möglichen Unterschiedes zwischen verschiedenen vorstellungsfähigen Wesen für mehr als eine Fiktion zu halten, durch die man nur zu verdeutlichen suchte, daß der hinreichende Grund unserer Erkenntnis nicht im allgemeinen Charakter der cogitatio liegt, sondern in einer konkreteren, aber allen Geistern in Wirklichkeit gemeinsamenen Bestimmtheit ihrer Natur. Indessen konnte, nach dem Zugeständnis der Denkbarkeit dieses Unterschiedes, doch der Versuch nicht mehr abgewehrt werden, zu sehen, was aus ihm folgt, wenn man ihn für wirklich nimmt. Und dann fielen die beiden Teile des kartesianischen Gedankens, die Apriorität der Ideen und ihre Wahrheit auseinander: jedem Wesen muß dasjenige als Wahrheit erscheinen, was aus der Folgerichtigkeit seiner Natur fließt; ist daher ein Schatz von Ideen jedem in der angegebenen Weise eingeboren, so ist es nur ein lebhafter, aber grundloser Glaube, wenn wir diejenigen, die uns Menschen gegeben sind, in einem höheren Sinn für Wahrheit halten, als die von ihnen abweichenden, die sich vielleicht mit gleicher Evidenz anders gearteten Wesen aufdrängen. Man sieht, daß dieses Bedenken nicht nur Geltung hat, wenn wir die Gesamtheit unserer Erkenntnis einer *objektiven Welt des Seins entgegensetzen, dessen Abbildung sie sein soll, sondern auch dann, wenn wir, was noch unerläßlicher scheint, nur das für Wahrheit halten, was allen Geistern auf gleiche Weise notwendig, nicht aber dem einen so dem andern anders vorkommt. Die spätere Polemik hat hieran angeknüpft und behaptet: sind unsere *Ideen angeboren, so haben sie keinen Anspruch auf Wahrheit; sie können ihn nur erlangen, wenn wir sie von der möglichen Verschiedenheit der vorstellenden Subjekte unabhängig und abhängig nur von der Natur einer für alle gemeinsamen Objektenwelt denken.

325. Ehe man in das Für und Wider über diese Fragen eintritt, muß man sich überzeugen, daß hier der Punkt ist, an welchem man anstatt der verstohlenen Voraussetzungen, denen man sich zu überlassen liebt, unumwunden eine ausdrückliche Voraussetzung machen muß. Keine dieser Untersuchungen kann ihr Ergebnis, worin es auch bestehen mag, überhaupt begründen ohne irgendeine beiläufig gemachte Annahme über die Art, in welcher sie die Einwirkung eines Erkenntnisobjekts auf das erkennende Subjekt möglich denkt. Anstatt sie beiläufig zu machen, setzen wir diese Annahme an die Spitze unserer Gedanken, und zwar so, wie die vielseitige Erfahrung des Denkens sie formulieren gelehrt hat: wo auch immer zwischen zwei Elementen A und B von irgendeiner Natur das Ereignis stattfindet, welches wir eine Einwirkung des A auf B nennen, niemals besteht dieses Wirken darin, daß ein Bestandteil a oder ein Prädikat a oder ein Zustand a, welcher dem A angehört, sich von diesem löst und fertig unverändert selbständig nach B übergeht, um diesem sich anzuknüpfen oder von ihm aufgenommen zu werden oder jetzt dessen Zustand zu sein; immer ist jener im A entstehende oder vorhandene Zustand a nur der Grund, um dessentwillen, unter Voraussetzung einer zwischen A und B bestehenden oder eintretenden Beziehung C, nun auch B einen neuen Zustand b aus seiner eigenen Natur heraus und in sich selbst erzeugen muß. Wodurch diese Notwendigkeit des Zusammenhangs der Zustände von A und B herbeigeführ, wie es also gemacht wird, daß B nach A sich richten muß, worin ferner, entweder allgemein oder in verschiedenen Fällen verschieden, die Beziehung C besteht, welche notwendig ist zur Erzeugung der Wirkung: alle diese Fragen samt der Vorfrage, ob sie überhaupt beantwortbar sind, können unserem jetzigen Gedankengang fremd bleiben; uns genügt das ausgesprochene formale Verhalten, gleichviel wie es in der Wirklichkeit realisiert wird. Aus ihm aber folgt, daß niemals die Form der Wirkung b unabhängig von der Natur des Objekts B sein kann, welches sie erfährt; sie ändert sich vielmehr mit ihm, und dieselbe Beziehung C, die zwischen A und B stattfand, wird, wenn sie zwischen A und eintritt, in eine andere Wirkung b¹, verschieden von b hervorbringen. Ebensowenig ist die Wirkung b unabhängig von der Natur des einwirkenden Elements A und von der Art der Beziehung C; sie ändert sich mit beiden; sie wird β werden, wenn nicht A, sondern mit B in die Beziehung C und β¹, wenn B mit A in die Beziehung tritt. Immer aber werden b b¹ β β¹ eine geschlossene Reihe von Ereignissen bilden, die nur in B möglich sind, und A und C werden nur als Reize zu betrachten sein, die da bestimmen, welche von den vielen der Natur des B möglichen Wirkungen in jedem Augenblick und in welcher Reihenfolge sie wirklich werden sollen. Gefällt man sich, die vielgebrauchten Bezeichnungen der Rezeptivität und Spontaneität hier anzwenden, so ist jedes Element rezeptiv für Anregungen seine Spontaneität und keines spontan wirksam, ohne diese Anregungen rezipiert zu haben.

326. Diesem allgemeinen Verhalten ordnen wir die Einwirkung von Erkenntnisobjekten auf ein erkennendes Subjekt unter. Jede Annahme zuerst ist ganz unzulässig, welche den Ursprung unserer Erkenntnisse ganz und einseitig in das erkennbare Objekt verlegt; es genügt wenig Aufmerksamkeit, um selbst in der tabula rasa, mit der man die empfängliche Seele verglichen hat, oder in dem Wachs, dem ähnlich sie Eindrücke nur aufnehmen sollte, die Unvermeidlichkeit der spontanen Rückwirkung zu entdecken. Nur weil die Tafel durch die ihrer Natur und Konsistenz eigenen Wirkungsweisen die farbigen Punkte festhält und sie am Verfließen ineinander hindert, nur weil das Wachs den Anziehungen seiner Teile diesen unelastischen Aggregatzustand verdankt, zwar leicht verschiebbar zu sein, aber die aufgezwungene Form festzuhalten, nur deswegen eignen sich beide, Eindrücke auf sich malen oder in sich einprägen zu lassen; ein Element, das gar keine eigenen Wirkungsweisen dem ankommenden Reiz entgegenstellt, würde nicht einmal die ihm zugeschriebene Eigenschaft der reinen Rezeptivität besitzen. Es ist ferner notwendig sich klar zu machen, daß in einer Erkenntnis zwar der vom Objekt herrührende unmittelbare Beitrag fehlen kann, aber niemals derjenige, den die Natur des Subjekts liefert; denn dies ist denkbar, daß zwei Vorstellungen  α und  β, nachdem sie einmal auf äußere Veranlassung in der Seele entstanden sind, sich nun nach Gesetzen, die nur aus der Eigentümlichkeit der Seele fließen, und ohne wiederholte Beihilfe der Außenwelt, zu einem neuen Ergebnis γ3 verschmelzen; undenkbar dagegen, daß ein Eindruck von außen auf uns geschieht, an dessen Gestaltung unser eigenes Wesen nicht teilnimmt. Und darum können wir auch der Unterscheidung nicht beistimmen, welche KANT, in seinen Gedanken zwar nicht irrend, aber lässig im Ausdruck, so aufstellte, daß er den gesamten Inhalt unserer Erkenntnis der Erfahrung, und nur ihre Form der angeborenen Tätigkeit des Geistes zugeschrieben hat. Denn KANT wußte sehr wohl, was wir hier hervorheben, daß auch die einfachen sinnlichen Empfindungen, die recht eigentlich den primitiven Inhalt aller unserer Wahrnehmungen bilden, uns nicht fertig von außen kommen, daß sie vielmehr, wenn wir überhaupt die Vorstellung dieser Außenwelt festhalten, nur als Rückwirkungen unserer eigenen geistig sinnlichen Natur auf die von dorther kommenden Reize gelten können; sie sind die a priori uns eigentümlichen Möglichkeiten des Empfindens, zur Wirklichkeit in bestimmter Reihenfolge freilich durch äußere Veranlassung berufen, aber nie durch diese Veranlassung uns fertig überliefert. Was aber ferner aus der Zusammensetzung dieser einfachen Elemente sich bildet, das räumlich anschauliche Bild dieser bestimmten Gestalt, der zeitliche Verlauf jener Melodie oder Reihenfolge, auch das ist, selbst in allen Einzelheiten seiner Zeichnung, nicht weniger ein Erzeugnis des vorstellenden Subjekts, nicht weniger als a priori. Denn auch wenn wir annehmen, in einem wirklich sich ausdehnenden Raum oder einer wirklich verlaufenden Zeit befänden sich Dinge in denselben Lagen oder in demselben Wechsel, in welchem wir sie dann räumlich oder zeitlich auffassen: auch dann würde diese räumlich zeitliche Vorstellung derselben etwas anderes sein als ihr eigenes räumlich zeitliches Sein; wir könnten nicht dahin gelangen, unsere Vorstellungen  α β γ in dieselbe Ordnung zu bringen, welche zwischen ihren objektiven Ursachen  a b c besteht, wenn nicht unsere eigene Natur und die Gesetze unseres Vorstellens uns dazu befähigen und nötigen würden.

327. Oder wollte man sich durch Worte täuschen lassen und meinen, diese geringfügige Leistung einer Abbildung verstehe sich von selbst und bedürfe keiner wiedererzeugenden Arbeit? Aber was heißt abbilden und wie entsteht ein Bild? Lassen wir noch ganz das Auge beiseite, für welches zuletzt jedes Bild erst Bild ist, und fragen wir nur: wie stellt ein Spiegel die Bedingungen her, unter welchen für ein Auge das Bild eines Gegenstandes entstehen kann? Er vermag es nur, indem er die Lichtstrahlen, die der Gegenstand auf ihn sendet, mit Beibehaltung ihrer gegenseitigen Ordnung nach einer anderen Richtung zurückwirft, und hierzu wird er nur durch Glätte und Form seiner Oberfläche befähigt. Von diesen Eigenschaften hängt es ab, ob er die Strahlen so regellos zerstreut, daß kein Auge sie zu einem Bild vereinigen kann, oder ob er sie so wieder ausschickt, daß sie divergierend ein reelles Bild zusammensetzen, das dem Auge wie ein neuer Gegenstand sichtbar wird. Mit dem allen aber stellt der Spiegel doch nur den Reiz her, der auf die Sehkraft ähnlich wirkt, wie der Gegenstand selbst, und deshalb ihn vertreten kann; fragen wir aber, wie nun infolge desselben ein Bild gesehen werden kann, so empfinden wir, wie unpassend überhaupt die Vergleichung einer Erkenntnis mit einer Abbildung ist. Das erkennende Bewußtsein ist keine widerstehende gekrümte oder ebene, glatte oder rauhe Oberfläche, und es würde ihm nichts helfen, empfangene Strahlen irgendwohin zu reflektieren; in sich selbst und in seiner zusammenfassenden Einheit, die kein Raum und keine Platte, sondern eine Tätigkeit ist, muß es die erregten Einzelvorstellungen zur *Anschauung einer räumlichen Ordnung verbinden, welche nicht selbst wieder eine räumliche Ordnung, sondern eben nur deren Vorstellung ist. Denn wenn nun auch, wie vielleicht Einige meinen, die Vorstellung eines linken Punktes in unserem Bewußtsein links neben der Vorstellung eines rechten Punktes läge, und die eines oberen über der eines unteren, so wäre durch diese Tatsache noch nicht die Anschauung dieser Tatsache gegeben; hierdurch allein würden wir uns in der Tat nur als ein Spiegel verhalten, in welchem die Wahrnehmung einer anderen Seele die Lage jener Punkte entdecken könnte, wenn diese Seele wenigstens das vollbrächte, was unsere eigene nicht getan hätte: wenn sie nämlich die von uns in bestimmter Ordnung ihr zugestrahlten Eindrücke nicht bloß erleiden und in sich beherbergen würde, sondern sie sich zur Veranlassung dienen ließe, eine zusammenfassende Anschauung dieser Ordnung zu erzeugen. Nichts also bleibt von diesem ungenauen Gleichnis übrig, als die Überzeugung, daß selbst die bloße *Wahrnehmung eines Sachverhalts, so wie er ist, nur unter der Voraussetzung möglich ist, das wahrnehmende Subjekt sei durch seine eigene Natur befähigt und genötigt, die von den Gegenständen ihm zugekommenen Anregungen in diejenigen Formen zu vereinigen, die es an ihnen anschauen soll und von ihnen einfach zu empfangen glaubt. Daß es sich ebenso verhält mit allen Vorstellungen, die wir über den inneren Zusammenhang verschiedener Wahrnehmungen bilden, füge ich vorderhand nur kurz hinzu: denn eben dies ist am öftersten zugestanden worden. Daß wir eine ursächliche Verbindung zwischen zwei Ereignissen nicht sehen, daß vielmehr die Vorstellung einer solchen erst von uns zur wahrnehmbaren Zeitfolge der Begebenheiten hinzugebracht wird, hat man allseitig eingeräumt, bald um durch diesen apriorischen Ursprung dem Begriff des Kausalnexus die höhere Würde eines notwendigen allgemeingültigen Gedankens zu sichern, bald um ihm jede Gültigkeit in Bezug auf die Welt der Dinge abzusprechen, aus deren Wahrnehmung er nicht entstanden ist. Beide Folgerungen sind unrichtig; in Bezug auf die zweite wiederhole ich die einfache Betrachtung: auch wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Ereignissen der Außenwelt stattfindet: als unmittelbarer Gegenstand einer Wahrnehmung, die sich völlig rezeptiv verhält, könnte er uns auch dann nicht gezeigt werden; immer kann uns durch die Art der Verbindung zwischen Einzeleindrücken nur eine Veranlassung gegeben werden, ihn hinzuzudenken, und diese Veranlassung kann nur dann wirksam sein, wenn es unserer geistigen Natur unvermeidlich ist, jene Verbindung des Mannigfaltigen in unserem Bewußtsein uns durch diese Ergänzung erst zu vervollständigen und zu rechtfertigen.

328. Die ausgedehnte Apriorität, die wir so für unsere Erkenntnis in Anspruch nehmen, ist indessen nur die eine Seite der Sache. Eben dann, wenn wir alle sinnlichen Empfindungsweisen, unsere Raumanschauung, unsere Begriffe von *Ding und Eigenschaft, von Ursache und Wirkung, endlich die ethischen Vorstellungen von Gut und Böse, als angeborene Äußerungsweisen des Geistes betrachten, eben dann kann der Grund zu den besonderen einander ausschließenden Anwendungen ihrer aller nicht ebenso im Wesen des Geistes liegen. In unserer Raumanschauung sind unzählige Figuren möglich, aber nur bestimmte beobachten wir in jedem Augenblick; vielerlei Farben könnten wir sehen und sehr verschiedene Reihenfolgen von Tönen hören, aber wir können das Rot nicht ändern, das wir jetzt und hier bemerken, obgleich an derselben Stelle uns auch Blau und Gelb empfindbar wäre, und der jetzt gehörten Melodie können wir keine der unzähligen unterschieben, die wir in anderen Augenblicken vernommen haben; unabhängig von uns ordnen sich die Ereignisse bald so, daß sie uns zur Vorstellung eines ursächlichen Zusammenhangs nötigen, bald so, daß sie uns die Annahme desselben unmöglich machen; endlich diese Kombination der Veranlassungen, die uns zur Ausübung unserer apriorischen Fähigkeiten gegeben werden, ändert sich von Person zu Person; sie kann also nicht in der allgemeinen Natur unseres Geistes begründet sein. Es ist gleichgültig für unseren gegenwärtigen Zusammenhang, wo wir ihre Ursachen suchen. Vielleicht hat die gewöhnliche Meinung Recht, der wir uns im Leben alle fügen, und von der wir in dieser Betrachtung ausgingen: vielleicht besteht eine Welt von Dingen außerhalb von uns, in welcher wir selbst bestimmte Plätze haben, und deren eigene Veränderungen verschieden auf uns wirken je nach den verschiedenen oder veränderlichen Stellungen, die wir in ihr einnehmen. Dann wird das Gewebe der Vorstellungen, die in uns entstehen, zwar nich in dem Sinne Anspruch auf den Namen der Wahrheit haben, als könntes es ein ähnliches Bild dessen darstellen, was in dieser Welt der Dinge ist oder geschieht; aber jede Verknüpfung, Trennung oder Abwechslung der Erscheinungen, die uns so vorschweben, wird doch als Folge den Gang einer vielleicht andersgearteten, aber bestimmten Veränderung verraten, die in den Verhältnissen der auf uns wirkenden Dingwelt stattgefunden hat. Zu demselben Ergebnis würde die andere idealistische Meinung führen, die uns im Leben stets ungeläufig bleibt, und zu welcher zulängliche Beweggründe nur innerhalb philosophischer Untersuchungen aufzufinden sind. Vielleicht gibt es, ihr zufolge, keine Welt der Dinge und der Ereignisse außerhalb von uns selbst, sondern nur die Erscheinung einer solchen wird durch eine einzige unbekannte und alle Geister durchdringende Macht eben nur in diesen Geistern selbst und so hervorgebracht, daß die Weltbilder, welche die verschiedenen um sich herum zu schauen glauben, zueinander passen und alle, jeder an seiner besonderen Stelle, sich in ein und dasselbe Universum eingeordnet erscheinen. Immer wird auch diese Vorstellungsweise zugestehen müssen, aß für jeden einzelnen Geist die Anregung, die er zur Erzeugung seines Weltbildes erhält, eine ihm selbst fremde ist und zugleich unerklärlich aus der allgemeinen geistigen Natur, die er mit allen anderen teilt; woher sie auch stammen mag, sie bliebt ein empirisches oder aposteriorisches Element unserer Erkenntnis. Und wieder: jede Verknüpfung Trennung oder Abwechslung der Erscheinungen, die uns so entstehen, wird auf ein anderes Geschehen, auf Veränderungen hinweisen, die jetzt zwar nicht mehr in den Verhältnissen mannigfacher Dinge, wohl aber im Handeln jener einheitlichen Macht vorgehen, welche diesen Traum einer Außenwelt uns verschafft.k Hier endlich wie dort wird es eine würdige Aufgabe sein, aus der Beobachtung und Vergleichung der Erscheinungen die beständigen Gesetze zu ermitteln, nach denen ihr wechselreiches Spiel erfolgt, und die Auflösung dieser Aufgabe wird die Erkenntnis einer Wahrheit sein, auch wenn es kein Mittel geben sollte, zu entscheiden, von welcher anderen Gesetzmäßigkeit einer uns unbekannt bleibenden Außenwelt diese Gesetzlichkeit des Verlaufs unserer Innenwelt hervorgebracht wird. Es ist im Wesentlichen die Ansicht KANTs, die ich hier vertrete, und von der die deutsche Philosophie nie hätte ablassen sollen. Ich vertrete sie aber unter ausdrücklicher Ablehnung jeder Beantwortung der letztgedachten Frage. Mag es immerhin sein, daß jemand eine unmittelbare Gewißheit über Sein oder Nichtsein jener Außenwelt zu besitzen glaubt: was und wie sie ist, wird er doch immer nur durch Rückschlüsse von den Erscheinungen aus enträtseln können; hier muß daher zuerst Recht geschaffen werden: die gewissen Grundsätze, nach denen der Zusammenhang dieser Innenwelt zu beurteilen ist, müssen zuerst festgestellt werden, ehe von einer Anwendung der gewonnenen Einsicht auf jene der Metaphysik zu überlassende Sonderfrage zu reden ist.

329. Wenn wir nun aber Wahrheiten voraussetzen, die, im früher angegebenen Sinn des Wortes, unserem Geist angeboren sind, woher erlangen wir die Kenntnis derselben, wenn nicht dadurch, daß wir sie in uns finden? also durch eine innere Erfahrung? so daß doch zuletzt *Erfahrung die einige Quelle aller unserer Erkenntnis wäre? Dieser Einwurf ist gemacht worden; man wird ihn zunächst für ebenso unfruchtbar wie unwiderleglich halten. Denn sicher: wenn wir eine Wahrheit wissen sollen, müssen wir uns ihrer bewußt sein, une wenn wir uns ihrer früher nicht bewußt waren, so ist der Übergang zum Wissen derselben eine Begebenheit, die wir nur erleben oder erfahren können; in demselben Sinn ist unser ganzes Dasein eine Tatsache, die wir vorfinden. Gegen den Apriorismus angeborener Ideen kann folglich dieser Einwand nicht gelten; vielmehr: auch wenn es angeborene Ideen, auch wenn es sie sogar in dem Sinn gäbe, daß sie einen unablässigen Inhalt unseres Bewußtseins bilden würden, auch dann würde eine hierauf gerichtete Reflexion ihr Vorhandensein zunächst immer nur als eine gegebene Tatsache erfahren oder erleben. In dieser weitläufigen Bedeutung genommen ist der Begriff der Erfahrung nicht mehr der Anlaß zu einer Verschiedenheit der Meinungen; von Wichtigkeit ist nur, als was wir jene Gedanken erfahren, ob als angeborene Wahrheiten oder als Erfahrungen in dem beschränkteren Sinn, in welchem sie im Gegensatz zu diesen auf einen dem Geist selbst auswärtigen Ursprung hindeuten. Und hier verschärft sich zunächst die vorige Frage; wenn wir nach Kennzeichen suchen, welche den einen Fall vom anderen unterscheiden. Aufgenötigt werden uns die Eindrücke, die von außen kommen, und wir können sie nicht ändern; aber unvermeidlich und notwendig erscheinen uns auch jene Wahrheiten; daß wir im ersten Fall einen fremden Zwang, im zweiten nur den unserer eigenen Natur erleiden, können wir vermuten, aber wie beweisen? In der Tat ist jedoch, im unbefangenen Gebrauch des Denkens, nicht dieses das Erste, was uns jetzt, im Zusammenhang unserer methodologischen Betrachtung, das Wichtigste war: nicht in dieser ihrer Eigenschaft, dem Geist angeboren zu sein, werden jene Wahrheiten erfahren, sondern die sachliche Selbstverständlichkeit ihres Inhalts fällt uns zuerst auf und macht sie, nachdem irgendein Beispiel uns veranlaßt hat, sie zu denken, von aller Bestätigung durch weitere Beispiele, folglich von der Erfahrung unabhängig, welche diese liefern könnte. Allgemeinheit und Notwendigkeit sind daher immer die beiden Eigenschaften gewesen, die den apriorischen Erkenntnissen zugeschrieben wurden. Wir verstehen die erste in dem Sinn, daß überall, sobald das Subjekt einer solchen Erkenntnis gedacht wird, auch das zugehörige Prädikat als selbstverständlich mit ihm verbunden erscheint; und in nichts Anderem als in dieser Selbstverständlichkeit besteht andererseits auch die Notwendigkeit der Geltung, die allgemeinen Wahrheiten offenbar in anderer Bedeutung zukommt, als den Verknüpfungen verschiedener Inhalte, die uns die veränderliche Erfahrung vorführt. Gegeben sind auch diese so, daß in dem Augenblick, in welchem sie stattfinden, unsere Willkür sie nicht zu trennen vermag; aber obwohl notwendig in dem Sinne, in welchem es jede Tatsache ist, die nicht hinweggeleugnet werden kann, entbehrt doch der Inhalt der Erfahrung jene Selbstverständlichkeit der inneren Verknüpfung, die uns den einen seiner Bestandteile nicht ohne den anderen zu denken erlaubt. Aber zuletzt: was in diesem einen Augenblick uns selbstverständlich erscheint, woher hätten wir das Recht zu behaupten, daß es in jedem anderen Augenblick uns ebenso erscheinen wird? ihm also jene Allgemeingültigkeit zuzuschreiben, durch die es, der veränderlichen Erfahrung gegenüber, zu einem feststehenden Grundsatz für deren Berurteilung werden würde? Schon die antike *Skepsis erhob diesen Zweifel, und er hat sie bewogen, die Zulässigkeit jeder allgemeinen Behauptung zu leugnen. In der Tat, welchen Grundsatz wir auch immer erdenken möchten, um uns zu berechtigen, von der Evidenz eines Gedankens im jetzigen Augenblick auf eine gleiche Evidenz desselben in aller Folgezeit zu schließen, als allgemeiner Grundsatz würde er genau dem Bedenken unterliegen, welches er zu heben bestimmt wäre. So würde es denn, um uns der Allgemeingültigkeit eines Gedankens zu versichern, kein Mittel geben, wenn uns die Evidenz nicht genügt, mit welcher sein Inhalt, einmal gedacht, sich selbst eine ewige Geltung der Erfahrung vorgreifend zuschreibt. Und man würde bedenken müssen, daß diese Unfähigkeit nicht eine beklagenswerte Unvollkommenheit nur der menschlichen Einsicht sein würde; jeder Geist, dessen Vorstellungsleben, in der Zeit sich entwickelnd, noch irgendeine Ähnlichkeit hätte, würde sie teilen; welche wahrste Wahrheit ihm auch angeboren sein möchte, sie würde in sein Bewußtsein doch nur in einem bestimmten Augenblick treten, und alle Evidenz, die sie dann für ihn hätte, würde den Zweifel an ihrer Denknotwendigkeit im nächsten Augenblick nicht heben.

330. Vielleicht stimmt man diesem Ergebniss eifrig zu und fährt fort: eben dies beweist die Vergeblichkeit unserer Parteinahme für Wahrheiten, die dem Geist a priori gegeben sind; selbst nachdem er sie besitzt, hat er kein Mittel, sie von dem zu unterscheiden, was ihm nur durch Erfahrung zukommt; oder anders ausgedrückt: eben nur durch Erfahrung lernt er ihre Allgemeingültigkeit kennen, wenn in jedem folgenden Versuch, sie zu denken, sich ihre Evidenz immer wieder erneuert, dann hat man zwar nicht den strengen Beweis, aber die größte Wahrscheinlichkeit ihrer allgemeinen Geltung, und hierauf, auf diese wachsende empirische Wahrscheinlichkeit, hat all unsere Erkenntnis sich dann in der Tat zu beschränken. Hierin liegt ein Teil von Wahrheit, dessen ich nachher gedenken will; aber das Ganze dieser Behauptung ist falsch. Eben dann, wenn zugestandenermaßen die in dem einen Augenblick erfahrende Evidenz eines Gedankens nicht für die Erfahrung derselben Evidenz in einem zweiten bürgen soll, eben dann kann auch eine tausendfach wiederholte gleiche Erfahrung das Eintreten der tausend und ersten nicht wahrscheinlicher machen, als schon das der zweiten oder dritten gewesen wäre. Wenn wir nach vielfachen Beispielen einer Verknüpfung zweier Ereignisse a und b, deren Reihenfolge durch kein Gegenbeispiel unterbrochen worden ist, auf jedes neue Eintreten von a und b imit immer wachsender Zuversicht erwarten, so tun wir dies aufgrund sehr bestimmter Voraussetzungen. War jene Verknüpfung von a und b nicht von der Art, daß sie, einmal gedacht, sich als selbstverständlich erweist und sich selbst als allgemeingültig für alle Zukunft ausgibt, so leiten wir ihre beständige Wiederkehr davon ab, daß die wechselnden Bedingungen, welche diesen Erfolg hätten ändern können, nicht eingetreten sind; daß sie aber auch später nicht eintreten werden, finden wir nach einer großen Anzahl gleichartiger Erfahrungen nur deshalb wahrscheinlich, weil wir im Ganzen des Weltlaufs und in einem besonderen Teil desselben, dem jene Ereignisse angehören, eine Beständigkeit des Verhaltens voraussetzen, die an einer hinlänglichen Anzahl von Beispielen erkennbar wird; nun, nachdem wir vorausgesetzt haben, daß die zukünftigen Wiederholungen der Bedingungen den beobachteten gleichen werden, schließen wir: unter gleichen Bedingungen wird Gleiches eintreten müssen. Haben wir uns in jener Voraussetzung geirrt, so werden wir eine falsche empirische Behauptung allgemein aufgestellt haben, die durch eine später kommende Erfahrung widerlegt wird; gilt uns dagegen der allgemeine Grundsatz nicht mehr für allgemein, daß unter gleichen Bedingungen gleiche Folgen entstehen, so ist das ganze logische Verfahren grundlos und haltlos, durch welches man aus Erfahrungen Sätze von auch nur wahrscheinlicher Allgemeingültigkeit zu finden hofft; denn jede Folgerung von m zu m + 1, gleichviel ob sie streng oder die wahrscheinliche Geltung irgendeines Satzes vermitteln will, setzt die strenge Allgemeingültigkeit jenes logischen Grundsatzes voraus. Man sieht daher, daß die Neigung, alle allgemeine Erkenntnis aus Erfahrung, d. h. aus Summierung von Einzelwahrnehmungen zu gewinnen, nicht zum Ziel kommt; irgendwo ist stets als notwendiges Hilfsmittel einer jener Gedanken vorauszusetzen, dessen einmal gedachtem Inhalt man mit unmittelbarem Zutrauen den von ihm erhobenen Ansprucht auf allgemeine Gültigkeit zugibt.

331. In der Tat ist nun hierüber im wirklichen Gebrauch des Denkens niemals Streit gewesen. Man hat manchen mathematischen Beweis einer erneuten Prüfung unterzogen, aber immer nur um zu ermitteln, ob jeder der einzelnen Sätze, aus denen er bestand, für sich evident war oder folgerecht aus anderen evidenten floß; niemals dagegen hat man das ansich Evidente einer bloßen Wiederholungsprobe unterworfen, um zu sehen, ob nicht doch einmal ein Augenblick käme, in welchem sein Gegenteil, die Gleichheit etwa des Ungleichen oder ein Überschuß des Teils über das Ganze, ebenso evident werden würde; und wäre jemals dieses Unerwartete Geschehen, so würde niemand gezweifelt haben, ddaß ein Fehler vorliegt, den die Unachtsamkeit des Rechnenden allein verschuldet hat. Zwiespalt ist dagegen vorhanden über den Umfang jener selbstverständlichen und allgemeingültigen Wahrheiten, und hier kommt nun der Teil Wahrheit in Betracht, den ich oben der zurückgewiesenen Ansicht doch zugestehen mußte. Aber auch dies meine ich nicht so, als könnte die Erfahrung als solche uns helfen, das festzustellen, was nicht nur als allgemeine Tatsache, sondern mit selbstverständlicher Notwendigkeit allgemein gilt; vielmehr ist es gerade die Erfahrung, deren oft wiederholte gleichförmige Aussagen uns verlocken, zuletzt für notwendig und selbstverständlich zu halten was nur wirklich, oder nicht einmal dies ist. Ich habe früher der täuschenden Evidenz gedacht, die für uns manche Gedanken annehmen, deren Inhalt ein beschränkter Beobachtungskreis uns beständig ohne Gegenbeispiel vorgeführt hat; die psychologische Assoziation, die sich dann zwischen den Vorstellungen a und b zweier stets aufeinandert gefolgten Ereignisse gebildet hat, nimmt sehr bald den Schein einer selbstverständlichen sachlichen Verknüpfung der vorgestellten Inhalte an. Ich habe schon damals angeführt, daß der Versuch, das kontradiktorische Gegenteil eines so evident gewordenden Gedankens zu denken, zuweilen dazu dient, diesen täuschenden Schein zu zerstreuen; mit Verwunderung bemerken wir dann, daß eine Annahme, die der scheinbar selbstverständlichsten Behauptung widerspricht, dennoch keinen Widerstand unseres Denkens erfährt, daß sie denkmöglich ist wie diese, daß also die Gewißheit, die wir dieser zuerkanten, nicht auf allgemeingültiger und selbstverständlicher Zusammengehörigkeit ihres Inhaltes beruth. Aber ich mußte auch schon früher hinzufügen, daß dieser Versuch nicht immer entscheidend sein wird; sehr mannigfaltig sind in der Tat die Einflüsse der vorgängigen Erfahrung, die auch seinen Nutzen vereiteln. Könnten wir sicher sein, wenn wir irgendeinen Satz dieser Prüfung unterwerfen, nicht nur sein Subjekt a, sein Prädikat b und den Sinn der Kopula c oder derjenigen Verknüpfung, in welche wir a und b bringen wollen, genau, ohne Mangel und Überfluß bestimmt zu haben, sondern auch bei der endlichen Entscheidung darüber, ob dieses c zwischen diesem a und diesem b selbstverständlich stattfindet oder nicht, und durch keinerlei Beweggrund leiten zu lassen, der dem festbestimmten Inhalt dieser drei Begriffe fremd wäre, so würden die endlichen Aussagen aller, bejahend oder verneinend, gewiß übereinstimmen. Wo diese Bedingungen erfüllbar sind, wie es auf dem Gebiet der *Mathematik der Fall ist, da finden wir eine solche Übereinstimmung wirklich. Die verwickelten Begriffe von Gegenständen der Wirklichkeit gestatten dagegen nicht von fern diese Genauigkeit der Zerlegung; und jedes besonnene Denken erwartet hier Ergebnisse nur von der Erfahrung oder vielmehr von einer genauen Bearbeitung der Erfahrungen; die einfachsten und allgemeinsten Begriffe und Gedanken endlich, die wir eben dieser Bearbeitung gern überordnen möchten, würden an sich allerdings jene Genauigkeit zulassen, wenn nicht eben der Einfluß der vorangegangenen Erfahrungen sie erschweren würde. Wir meinen gewiß etwas sehr Einfaches und Bestimmtes, wenn wir die Worte: Sein, Ding, Ursache, Kraft, Wirkung und Stoff aussprechen; aber jeder dieser Begriffe ist von uns, auf Veranlassung unseres Beobachtungskreises oder besonderer Lieblingsrichtungen unserer Aufmerksamkeit, gewöhnlich nur auf einen Teil des Umfangs angewandt worden, den er nach unserer eigenen Überzeugung ganz beherrschen soll, und zugleich andererseits in mancherlei Verbindungen gebracht, die ihm möglich, aber nicht wesentlich sind. Definieren würden wir daher, wenn man uns auffordert, denselben Begriff vielleicht übereinstimmend, unsere wirklichen Anschauungen seines Inhalts würden dennoch verschieden genug sein, so verschieden zumindest, wie dieselben Formen unter verschiedenen Beleuchtungen erscheinen. Alle diese unzergliederten Nebengedanken nun, die Stimmungen und Wünsche, die sich so verstohlen an das Gedachte anknüpfen und ihm sein eigentümliches Colorit geben, machen uns geneigt, Prädikate an ihm selbstverständlich zu finden, die der bloße Eigeninhalt desselben gerechtfertigt hätte. Dies ist der Wert und die Gefahr der Erfahrung: ohne durch sie veranlaßt zu sein, treten die allgemeinen Grundsätze unseres Urteilens nicht vor unser Bewußtsein; durch sie veranlaßt aber sind sie zugleich mit Einseitigkeiten Mängeln und Überschüssen behaftet, von denen eine spätere Reflexion Mühe hat sie zu reinigen. Hier beginnt, als eine unermüdlich fortzusetzende Kritik, jene dankenswerte Bemühung, psychologisch den Ursprung der Gestalt zu erforschen, die sie zuletzt in unserem Bewußtsein angenommen haben; nicht sowohl um zu zeigen, wie alle Wahrheit und Gewißheit allmählich aus den Aussagen der Erfahrung entspringt, sondern im Gegenteil, um deutlich zu machen, wie viel Fremdartiges, nur aus den Besonderheiten der beobachteten Beispiele stammend, sich inkrustierend [verzierend - wp] an den Inhalt jener ursprünglichen Wahrheiten angelagert hat, die, einfach und rein gedacht, uns nicht nur notwendig und selbstverständlich erscheinen, sondern so auch sich in allen ihren Anwendungen bewähren würden.

332. Ich glaube nicht, daß diese Kritik der Vorurteile, wie ich sie kurz nennen möchte, sich anders als stückweis und in unmittelbarem Anschluß an bestimmte zu lösende Aufgaben ausführen läßt; denn die Schwierigkeiten, die sich bei den Bearbeitungen dieser erheben, sind es eigentlich erst, die uns den Verdacht der Unrichtigkeit unserer Grundsätze und eine Vermutung über die Quellen der begangenen Irrtümer erwecken. Ich unterlasse daher, hierüber ins Einzelne zu gehen; aber ich muß mein bisheriges Verfahren rechtfertigen gegenüber der entgegengesetzten Ansicht, welche durch gewisse psychologischen Zergliederungen unserer Erkenntnisse nicht nur ursprüngliche Wahrheiten aus der Umhüllung irriger Nebengedanken zu befreien, sondern die Natur des Denkens systematisch aufzuklären und die Gültigkeit seiner Grundsätze zu erweisen sucht. Ich bin in meiner ganzen Darstellung nicht dieser Meinung gewesen, daß die *Logik wesentlichen Nutzen aus der Erörterung der Bedingungen ziehen kann, unter denen das Denken als psychologischer Vorgang verwirklicht wird. Die Bedeutung der logischen Formen besteht im Sinne der Verknüpfungen, in welche wir den Inhalt unserer Vorstellungswelt bringen sollen; in dem also, was das Denken aussagt oder befiehlt, nachdem oder indem es in uns zustande kommt, aber nicht in dem, was als erzeugende Bedingung seiner eigenen Wirklichkeit hinter ihm liegt. Gewiß muß es Bedingungen dieser Art geben, nicht bloß solche eines psychischen Mechanismus, die in jedem einzelnen Augenblick jede einzelne seiner Bewegungen ebenso bestimmen, wie jeden Zug eines äußeren Naturereignisses die im Moment seines Entstehens vorhandenen physischen Data; vielmehr auch die Notwendigkeit, mit welcher im Allgemeinen das Denken jene Regeln seines Verfahrens unwissentlich befolgt, die eine spätere Reflexion als bewußte Grundsätze ausspricht, muß eine unvermeidliche Folge der Natur des Geistes sein, deren Erforschung der *Psychologie zufällt. Aber wenn wir nun Alles wüßten, was wir hierüber zu wissen wünschen können, so würde es doch eine Täuschung sein, wenn wir darum besser über die Wahrheit unserer logischen Grundsätze urteilen zu können glaubten; wäre doch ihre Gültigkeit vielmehr die Voraussetzung für die Möglichkeit der Untersuchung gewesen, durch die wir diese ihre psychologische Entstehungsgeschichte zustande gebracht hätten. Diesen Zirkel, der uns so oft schon ermüdet hat, will ich hier zum letzten Mal erwähnt haben; es muß klar sein, daß keine sensualistische oder empirische Theorie der Entstehung unseres Denkens und Wissens dahin kommen kann, den Satz der *Identität oder des ausgeschlossenen Dritten zu beweisen oder zu widerlegen; sie bedarf beider zu jedem Schritt ihrer Folgerungen; sie kann ebensowenig die Geltung des *Kausalgesetzes erst begründen oder hinwegräumen wollen, denn jeder Versuch, seine Anwendung auf Assoziation und Reproduktion der Vorstellungen zurückzuführen, setzt in anderer Form es selbst als gültig in Bezug auf die Wechselwirkung der psychischen Zustände voraus, und sowohl seine Bejahung wie auch seine Verneinung wäre hinfällt, wenn nicht zuerst seine Gültigkeit feststände, aus der dann freilich die Verneinung nur durch einen sonderbaren Selbstmorder der Untersuchung entspringen könnte. So bleibt denn nichts übrig, als daß diese psychologischen Zergliederungen auf die Aufgabe beschränkt werden, zu zeigen, wie ansich gültige Wahrheiten im Denken und für dasselbe, sofern es ein psychischer Vorgang ist, als unbewußt befolgte Regeln seines Verfahrens verwirklicht werden.

333. Und hier möchte ich nun noch deutlich machen, daß wir auch von all dem, was wir in dieser Beziehung zu wissen wünschen können, in der Tat nichts wissen, und daß die Logik noch lange auf ein tieferes Verständnis der Denkhandlungen würde verzichten müssen, wenn sie der Aufklärung durch eine psychologische Ableitung derselben bedürfte. In den *sensualistischen Darstellungen, wie sie nach dem hierin unerreichten Vorbild *LOCKEs und nach dem kecken Versuch *CONDILLACs vielfältig wiederholt sind, kann ich nichts finden, was überhaupt dieser Aufgabe entspräche. Als Kritik der Vorurteile unseres Erkennens hat LOCKEs Werk in der Entwicklung der neueren Philosophie die Wirkung völlig gehabt, welche die Größe des von ihm eröffneten Gesichtskreises und die Schärfe seines Eindringens verdiente; aber der Mannigfaltigkeit der inneren Vorgänge, die er in Betracht zieht, steht er doch mit keinem anderen Organ als jenem *common sense gegenüber, der, an der Beurteilung des äußeren Weltlaufs geübt, mit den hier erworbenen achtbaren und probablen, aber unsystematischen Maximen überall auszureichen glaubt. Es liegt mir näher, von dem zu reden, was in der deutschen Philosophie versucht worden ist. Wenn wir von der Erklärung eines Kreises von Vorgängen sprechen und sie vermissen, so schwebt uns als Muster des Gewünschten die Gesamtheit der naturwissenschaftlichen Weltansicht vor. In ihr ist, eben durch eine Beachtung der Gesetze des Denkens und ihre sorgfältige Anwendung auf den Inhalt genauer *Beobachtungen, die Auffindung weniger Urtatsachen gelungen, aus deren Ineinandergreifen höchst mannigfache Erscheinungen mit nachweisbarer Notwendigkeit entspringen. Glückliche Eingebunden haben in jüngster Zeit auch einen Teil des inneren Lebens, die Abhängigkeit zumindest der Empfindungen von äußeren Reizen, dem so beherrschten Gebiet hinzugefügt; nicht indem man versuchte, die Eigenart psychischer Ereignisse aus physischen Vorgängen zu konstruieren, die ihnen ewig unvergleichbar bleiben, sondern indem man sich beschränkte, auf die Glieder beider Reihen, welche tatsächlich aber in unbekannter Weise die Naturordnung aneinander kettet, genaue Maßbestimmungen anwendbar zu machen und aus den gefundenen zusammengehörigen Wertpaaren das Gesetz ihrer Korrespondenz zu entwickeln. Schon früher war diesen Bemühungen ein wertvoller Versuch vorangegangen, zwar ohne Anknüpfung an Erfahrung im Einzelnen, aber nach Hypothesen, die sich dem Gesamteindruck der Erfahrungen anschlossen, in gleichem Sinn auch die inneren Zustände der Seele einer mechanischen Theorie ihres Zustandekommens zu unterwerfen. Alle diese Leistungen indessen, durch welche die psychologische Anschauungsweise der Gegenwart den Ansichten der Vorzeit sehr weit überlegen ist, reichen nicht an den rätselhaften Punkt heran, dessen helle Beleuchtung der Logik neue Wege öffnen könnte. Sie alle lehren uns nur die Wechselwirkung verschiedener dem Maß nach bestimmter psychischer Einzelzustände mit Rücksicht auf die Veränderung kennen, die jeder von ihnen durch sein Zusammentreffen mit anderen erfährt, mit Rücksich also auch auf den Gesamtzustand der Seele, soweit er nichts als das mechanische Resultat all dieser Gegenwirkungen ist. Aber sie erklären nicht ebenso die neuen Rückwirkungen, zu denen jeder so entstandene Zustand die Seele veranlaßt, und die eben nicht berechenbare Ergebnisse von Größenverhältnissen zusammentreffender Bedingungen sind, die vielmehr mit einer andersgearteten, sagen wir: mit einer dialektischen oder teleologischen Notwendigkeit vom Sinn oder der Idee abhängen, zu deren Verwirklichung die Seele bestimmt ist. Die Erforschung der äußeren Natur läßt ähnliche Fragen zurück, bedarf aber für ihre Zwecke deren Beantwortung nicht. Wie es zugeht, wie es gemacht wird, oder wozu es denn so ist, daß Massenelemente einander nach Maßgabe ihrer Zwischenentfernung anziehen, kann dahingestellt bleiben; nachdem das Gesetz dieser Wirkung bekannt ist, darf sie als ein konstantes Element des Naturlaufs, d. h. hier als ein solches gelten, dessen Variationen in jedem Einzelfall durch die gegebenen Umstände mitbestimmt sind; je mehr es gelingt, alle Naturvorgänge auf so sich verhaltende gleichartige Bewegungskräfte zurückzubringen, umso mehr wird auch seiner Form nach jedes einzelne Ereignis aus seinen veranlassenden Bedingungen konstruierbar werden. Dies würde sich ändern, wenn die Naturforschung Ursache zu der Annahme erhielte, daß auch die für unveränderlich geachteten Elemente unter der Wirkung solcher Kräfte innere Zustände erleiden und durch diese bestimmt würden, mit neuen vorher nie angeregten Formen der Rückwirkung in das Spiel der Ereignisse einzutreten. Gewiß würde man auch diese neuen Einflüsse, soweit sie in der Umgestaltung physischer Umstände wirksam würden, unmittelbar an die erkennbaren äußeren Bedingungen anschließen, unter denen sie entstanden sind, also allgemein ausgedrückt, sie als Funktionen dieser letzteren betrachten können; scheinbar würde daher nicht die Stetigkeit der wissenschaftlichen Konstruktionen eine Unterbrechung, sondern nur ihre Ausführung eine vermehrte Schwierigkeit erfahren: in der Tat aber würde ein Sprung in dieser Kontinuität doch vorhanden sein. Denn daß überhaupt unter der Summe  m gewisser physischer Bedingungen eine neue Wirkungsweise  μ, unter der anderen Summe n eine andere neue Wirkung ν auftreten wird, würde doch ein neues Datum, eine Tatsache sein, die man aus Erfahrung weiß, aber nicht selbstverständlich und analytisch als notwendige Folge jener Bedingungen ableiten kann. In einem solchen Fall nun befinden wir uns hier. Alle die inneren Vorgänge, die wir psychologisch als notwendige Voraussetzungen für die Verwirklichung irgendeiner Denkhandlung kennen, sind nur jene Veranlassungen in oder  n, unter denen diese logischen Rückwirkungen  μ und  ν des Geistes zum Vorschein kommen; aber erklärlich wird uns aus  m und n weder die Tatsache, daß  μ und  ν, überhaupt zwischen den verschiedenen elementaren Ausübngen seiner Tätigkeit in immer sich steigender Verwicklung anstiftet. Ich würde hierbei verweilen, wenn nicht ohnehin der Gegenstand des nächsten Abschnits mich nötigen würde, im Einzelnen auf die tiefe Kluft hinzuweisen, die zwischen dem psychischen Mechanismus und dem Denken unausgefüllt liegt; ich begnüge mich hier mit dem Ausdruck meiner Überzeugung, daß man alle logischen Rückwirkungen des Geistes als ein in sich zusammengehöriges Ganzes, als eine einheitliche Tendenz aufzufassen hat, deren einzelne Äußerungen ihrem Sinn nach sich verständlich in eine Reihe gliedern lassen, dagegen nach ihrer Entstehung als psychische Vorgänge noch völlig unbegreiflich sind. Es ist eine Jllusion der Psychologie und eine Verderbnis der Logik zugleich, die Veranlassungen, unter denen sie sich kundgeben, für sie selbst zu halten; hoffnungsloser ist nur noch der Wahn, durch eine vervollkommnete Theorie der Nervenphysik das deutlich zu machen, worauf die Möglichkeit jeder Theorie beruth.
LITERATUR - Hermann Lotze, System der Philosophie, Erster Teil: Drei Bücher der Logik (vom Denken, Untersuchen und Erkennen), Leipzig 1912