cr-4Wilhelm von OckhamMeister Eckhart    
 
KARL WERNER
Die Psychologie und Erkenntnislehre
des Johannes Duns Scotus


"Fragen wir nach einem inneren psychologischen Grund, welcher Duns Scotus bewegen konnte, an der Unvergänglichkeit und wesenhaften Identität der  anima sensibilis  mit der  intellectiva  festzuhalten, so wird es wohl kein anderer gewesen sein als dieser, dem unsterblichen inneren Seelenmenschen den Vollgehalt des psychischen Innenlebens, das nicht im Denken und Wollen aufgeht, zu retten. Bei Thomas von Aquin lag die Sache anders; indem er bestimmter und entschiedener als Duns Scotus das Wesen oder den Grund der Seele von den Potenzen derselben abschied, konnte er im verborgenen Grund derselben ein schlummerndes Sehnen und Begehren nach absoluter Erfüllung und Befriedigung voraussetzen, über dessen Ziel und Gegenstand erst die vom Leib geschiedene Seele zu vollkommen klarem Bewußtsein gelangt, und welches sich selber erst in der ihres Leibes ledig gewordenen Seele mit voller Macht und Entschiedenheit vernehmbar macht. Wir begreifen also, welches Interesse - ihrem strengen Festhalten an der aristotelischen Psychologie entsprechend - Thomas, wie vor ihm schon Albert, haben konnten, das Wesen der intellektiven Seele von den Potenzen, deren ausschließliches Subjekt sie nach Aristoteles ist, so bestimmt abzutrennen; es handelte sich für sie darum, der geistig-seelischen Innerlichkeit des Menschen einen Lebens- und Tätigkeitsgehalt zu retten, der im bewußten Denken und Wollen des irdischen Zeitmenschen nicht aufgeht, ja demselben nach ihrer Ansicht nicht einmal deutlich ins Bewußtsein tritt, es sei denn, daß Gnade und Erleuchtung den Menschen über sich selbst erheben."

Die psychologischen und erkenntnistheoretischen Lehren des JOHANNES DUNS SCOTUS sind durch bestimmte metaphysische Grundanschauungen bedingt, die zum Verständnis derselben vorausgeschickt werden müssen, und zunächst in seiner eigenartigen Lehre von der Materie ausgebildet vorliegen. Die dem DUNS SCOTUS eigentümlichen Sätze über die Materie betreffen die Materialität alles Geschaffenen, die selbsteigene Quiddität [Washeit - wp] der Materie als solcher und unabhängig von der sie gestaltenden Form, und die dem menschlichen Leib als solchem zukommende, vom seelischen Informationsprinzip zu unterscheiden Wesensform.

Die Überzeugung von der Materialität alles Geschaffenen begründet sich dem DUNS SCOTUS aus dem Unterschied der Geschaffenen vom Ungeschaffenen, alles schaffenden Einem, der als höchstes Eines zugleich auch das absolut Einfache ist. (1) Im Gegensatz hierzu muß das viele Geschöpfliche sich allenthalben auch als das Zusammengesetzte erweisen, und zumindest als Zusammensetzung aus Esse [Sein - wp und Essentia [Wesen - wp] darstellen. Eben diese Zusammensetzung erweist sich aber bei näherer Analyse als ein Zusammensein aus Materie und Form, das Wort  Materie  in rein metaphysischem Sinn, als denknotwendiges Substrat und Subjekt jeder begrenzten Wesensform verstanden (2). DUNS SCOTUS nennt dieses denknotwendige Wesenssubstrat alles Geschaffenen die  materia primo-prima,  von welcher er die weitere Determination derselben, die  materia extensa  oder die  materia mathematica  als secundo-prima unterscheidet. (3) Unter der  materia tertio-prima  oder  physica  sind sodann selbstverständlich die eigenartigsten Stofflichkeiten aller besonderen Körper zu verstehen. Aus diesen Angaben resultiert von selber auch schon, daß die allem Geschaffenen eigene gemeinsame Grundmaterie oder  materia primo-prima  nur  eine  sei, die ihrer natur nach zur Rezeption aller geschöpflichen Wesensformen geeignet ist. (4) Die aus den nachfolgenden speziellen Determinationen hervorgegangenen  materiae secundae  aber sind spezifisch voneinander verschieden, und natürlich nur zur Rezeption oder Festhaltung der ihnen kongruierenden speziellen Wesensformen geeignet. Die Bildung einer  materia terito-prima  ist eigentlich nur im Bereich der sublunaren korruptiblen Körperwelt möglich, weil es nur in dieser ein Generationsleben gibt; (5) eben diese Eigenartigkeit der sublunaren Körperwelt setzt aber eine besondere Art von Materialität voraus, welche von jener inkorruptiblen und deshalb in quantitativer Beziehung unveränderlich determinierten himmlischen Körper, und endlich auch von der durch ihre besondere Wesensform aktuell und potentiell der Quantität beraubten Materie der Engelwesen und Menschenseelen verschieden sein muß.

Der Materialgrund der gesamten geschöpflichen Wirklichkeit, der geistigen sowohl als der sinnlichen, ist sonach die  materia primo-prima,  die in allem Geschaffenen enthalten ist, aber jedem geschöpflichen Agens unerreichbar einzig durch Gott bestimmt ist. DUNS SCOTUS vergleich die Welt mit einem herrlichen Baum, (6) dessen Wurzel und Samengrund (radix et seminarum) die  materia prima  ist; die Akzidenzen sind die abfallenden Blätter dieses Baumes, die korruptiblen Dinge Laub und Zweige, die Blüten die vernunftbegabten Menschenseelen, die dem Wesen des Baumes entsprechenden Früchte die englischen Naturen. Mit der monistischen Fassung dieses Weltschemas scheint es nicht zu stimmen, wenn unmittelbar beigefügt wird, daß die Wurzel des Baumes unmittelbar in die beiden Hauptstämme der Körper- und Geisterwelt auseinander gehe, welcher dualistischen Grundgliederung die Untergliederung der Körperwelt in die korruptible und inkorruptible Körperwelt, sowie der Geisterwelt in drei Hierarchien angeschlossen wird. Ebenso scheint ferner eine innerlich nicht vermittelte Fusion differenter Standpunkte vorzuliegen, wenn DUNS SCOTUS, aus der an die Idee der  materia prima  angeknüpften Deduktion des Weltgedankes in die konstruktive Darlegung desselben übergehend, den Menschen als Drittes in die Mitte desselben rücken läßt, (7) wofür sich allerdings in seinen später anzudeutenden christologischen Anschauungen der erklärende Grund darbietet. Die Abstufung der Geisterwelt in die drei Hierarchien scheint als sublimierter Reflex der Triplizität der Weltwesen im Allgemeinen, (8) sowie der Dreigliederung der Materie genommen werden zu müssen, was im Zusammenhang mit der Anschauung von der Materie als notwendiger Unterlage aller kosmischen Existenzen zu erklären scheint, weshalb die Engel bildlich als die gezeitigten Früchte des Weltbaumes bezeichnet werden. Die Bezeichnung der  materia prima  als Radix und Seminarium gibt bereits eine Andeutung über die eigentümliche Gestaltung des in der scotischen Doktrin mit dem abstrakt formalisierenden Peripatetismus [Aristotelesismus - wp] ringenden Individualismus, worauf wir weiter unten des Näheren zurückkommen werden.

DUNS SCOTUS begründet seine Ableitung alles Geschaffenen aus einem gemeinsamen Materialgrund unter nebenhergehender Berufung auf die Autorität AVICEBRONs, und sieht in der Voraussetzung eines solchen Materialgrundes die einzig denkbare Möglichkeit, vom ursprünglich absolut Einem, das allen Dingen vorausgeht, zur Vielheit der Dinge zu gelangen; die  materia primo-prima  hat die Brücke dieses Übergangs zu bilden. Die  materia primo-prima  will er keineswegs in der herkömmlichen Weise der scholastischen Peripatetiker für die bloße Möglichkeit des Seins gehalten wissen; er vindiziert ihr ein aktuelles Sein, ein Sein, das sie nicht von der Form, sondern von ihrer Wirkungsursache, von Gott hat; der Form kann bloß die Konservierung des bereits gesetzten Seins der  materia primo-prima  zugeschrieben werden. (9)

Man erkennt unschwer, daß DUNS SCOTUS das Verhältnis von Materie und Form anders bestimmt, als es von Seiten der Dominikanerschule geschah; (10) diese seine abweichende Auffassung mußte sich auch in der Auffassung des Menschenwesens reflektieren, dessen Komponenten Leib und Seele nach gemeingültiger peripatetischer Auffassung im Verhältnis von Materie und Form zueinander stehen. Nach thomistischer Ansicht ist die vernunftbegabte Seele die ausschließliche Wesensform des Menschen, welche eine von ihr verschiedene Wesensform des Leibes nicht zuläßt; DUNS SCOTUS hingegen vindiziert dem Leib als solchem eine der Seele zwar subordinierte, aber von ihr unterschiedene Wesensform, die dem Leib auch noch als totem Leib verbleibe. Hierbei wird freilich übersehen, daß der Begriff des Leibes jenen der Lebendigkeit involviert, und der Kadaver ein bloßes Residuum des einstgewesenen Leibes darstelle. Wir hätten also an DUNS SCOTUS zu bemängeln, daß er dem Begriff des Leibes, welcher nur im Zusammensein desselben mit der ihn umgreifenden und innerlich gefaßt haltenden Seele Wahrheit hat, den Begriff Körper substituierte, der als solcher etwas der Seele Äußerliches darstellt, und insofern freilich eine von der Seele verschiedene Realität ist, woraus aber keineswegs folgt, daß er als eine von seinem geistigen Formprinzp getrennte Wesenheit existieren könne. Der Begriff eines relativen Selbstlebens des der Seele eignenden Leibes, der allerdings dem diesen Begriff ignorierenden Thomismus gegenüber zur Geltung zu bringen war, kam in der Opposition des Scotismus gegen den Thomismus nicht zum Ausdruck; beide einander bekämpfende Schulen standen auf dem gemeinsamen Boden einer Naturanschauung, welcher der Begriff der Naturlebendigkeit fremd war, und welche daher, anstatt den Stoff selber als lebendigen zu fassen, das Lebendigsein als etwas durch besondere Agentien Kausiertes zu ihm hinzukommen ließ.

Das Interesse des Thomismus in der Frage vom Verhältnis der beiden Konstituenten des Menschenwesens zueiander war, dieses Verhältnis im Gegensatz zum Platonismus als ein möglichst inniges zu fassen. Es ließt sich aber nicht inner fassen, denn so, daß es als Verhältnis des Stoffes zu der ihm kongruierenden Wesensform bestimmt wurde; es sollte damit die spezifische Idee des Menschenwesens als eines seiner Idee nach unteilbaren Ganzen, zugleich aber auch die durchgängige Bestimmtheit des Leiblich-Sinnlichen durch den höheren formgebenden Teilkonstituenten dieses  einen  Ganzen zum Ausdruck gebracht werden. Ein derartiges Interesse ist auch DUNS SCOTUS nicht fremd; auch er sucht zu zeigen (11) daß die Einigung des sinnlichen Leibesgebildes mit dem intellektiven Formprinzip inniger sei, als irgendeine andere Einigung von Materie und Form, wobei er selbst den von der Dominikanerschule so entschiedenst betonten Gedanken von der Seele als Lebensprinzip des Menschengebildes nicht minder entschieden zur Geltung zu bringen bemüht ist. (12) Die Einigung von Stoff und Form - lehrt DUNS SCOTUS - ist umso inniger, je vollkommener die Form ist, in welche der Stoff hineingebildet wird; die vollkommenste aller Wesensformen der sichtbaren Wirklichkeit ist aber die intellektive Menschenseele. Dieselbe erweist sich als das formmächtigste aller Prinzipien, indem sie den Stoff in seiner ausgebildetsten und vollendetsten Gestaltung, wie diese eben im menschlichen Leibesgebilde dargeboten ist, zu eigen hat; eben darum ist aber auch ihre Einigung mit dem Stoff inniger, als die jeder anderen tieferstehenden Form. Die intellektive Menschenseele ist als oberste Wesensform der sichtbaren Wirklichkeit der oberste und darum vollkommenste Halt der im Fluß begriffenen Materie; damit ist aber zugleich auch der innigste Grund der Einigung von Stoff und Form involviert. Diese Art von Einigung ist desto inniger, je feiner und durchdringender das Formprinzip ist; die intellektive Seele ist als spirituelle Wesenheit das feinste und durchdringendste aller Formprinzipien. Das Menschenwesen nimmt unter allen Verbindungen von Stoff und Form die höchste Stelle ein; es ist demnach die durchgebildetste und vollkommenste Einigung von Stoff und Form. (13) Bestimmt man den Wert der Form nach ihrem Einfluß auf den sie gestaltenden Stoff, so ist endlich auch noch hervorzuheben, daß die in Gott vollendete himmlisch verklärte Seele dem ihr eigenen Leibe eine Seinsvollendung verleiht, welche über jene der himmlischen Körper hinausreicht. (14) Daraus ergibt sich aber freilich auch, daß die vollkommene Aktualisierung der im Menschenwesen gegebenen vollkommenen Einigung von Stoff und Form dem himmlischen Vollendungsstand angehört, und auch da wieder Stufenunterschiede zuläßt; die absolute Vollendungsstufe ist in CHRISTUS dargestellt, in welchem die vollendetste Seele mit dem vollkommensten Leib zur vollkommensten Einheit zusammengeschlossen ist; diese ist demnach das Ideal und Richtmaß aller anderen Einigungen von Stoff und Form, der absolute Zusammenschluß des der Naturwelt angehörenden Stoffes mit einem geistigen Formprinzip. (15)

Dieser in seiner Art bedeutsame christophische Abschluß der metaphysisch-kosmologischen Lehre vom Verhältnis zwischen Materie und Form schließt wohl nebenher auch eine indirekte Kritik der Thomistischen Anthropologie in sich, sofern diese dasjenige, was DUNS SCOTUS zur wahrhaften und vollkommenen Einheit von Stoff und Form forderte, bereits in der von THOMAS behaupteten und urgierten Substanzeinheit des Menschenwesens gefunden zu haben glaubte. Da DUNS SCOTUS in dem aus Geist und Leib zusammengesetzten Menschenwesen ein doppelte Esse vereinigt sah, so mußte er zur vollkommenen Vermittlung der menschlichen Wesensdualität höher greifen als THOMAS, und gestand die von diesem behauptete Wesenseinheit des Menschen nur insofern und in dem Grad zu, als sie im überzeitlichen Vollendungsstand des Menschen zur Wahrheit wird; die in der unmittelbaren irdischen Erfahrung gegebene natürliche Wesenheit des Menschen wurde von ihm zwar nicht bestritten, aber doch nur als eine relative und einer nachfolgenden Vervollkommnung und vollkommenen Aktualisierung bedürftige angesehen. Das Problem der Wesenseinheit ist für ihn ein viel vermittelteres, als für THOMAS, schon aus dem Grund, weil er in der Seele, die als Formprinzip zum Leib ins Verhältnis gesetzt werden soll, selber bereits eine Zusammensetzung aus Stoff und Form sieht. Für ihn erwächst also die Notwendigkeit sich die Frage zu stellen: Kann die intellektive Seele trotzdem, daß sie selber aus Materie und Form zusammengesetzt ist, zugleich auch Formprinzip einer von ihr unterschiedenen Realität sein? Sein Vorgehen in der Lösung dieser Frage ist dieses, daß er zuerst beweist, die menschliche Seele könne nicht anders denn als Wesensform des Menschen gedacht werden; die weitere Frage ist für ihn sodann, unter welchen Modalitäten sie zufolge ihres zusammengesetzten Wesens als Wesensform des leiblich-sinnlichen Menschen gedacht werden könne. Wenn wir ihn oben sagen hörten, daß der Leib als körperliche Realität seine eigene Wesensform habe, die ihm auch noch im Tod verbleibt, so wäre wohl weiter auch noch zu fragen, ob der ein selbsteigenes Sein habende Leib den Zusammenschluß mit der Seele zu  einem  Wesen vertrage? Darauf hörten wir jedoch schon oben die Antwort, daß auch die  materia nuda  [bloßer Stoff - wp] ein selbsteigenes Sein habe und doch mit der ihr superinduzierten Form  ein  Wesen ausmache. Demzufolge leidet es keinen Zweifel, daß die  anima vegetativa  und  sensitiva  in ihrem Zusammensein die Wesensform eines sinnlichen Lebewesens konstituieren können. Es ist also nur die Frage, ob die intellketive Seele ebenso wesentlich und in derselben Art und Weise, wie die  anima vegetativa  und  sensitiva,  also als Informationsprinzip zum leiblichen Menschengebilde in Beziehung stehe. Dem DUNS SCOTUS ist dies zunächst schon durch den christlichen Glauben und durch das unmittelbare Selbstbewußtsein des Menschen gewiß, erscheint ihm weiter aber auch auf dem Weg dialektischer Vermittlung bis zur Evidenz nachweisbar. (16) Alles Leiden ist auf die Materie, alles Tun auf die Form zurückzuführen. Wenn das Intelligere, welches ein Akt der  anima intellectiva  ist, eine Tätigkeit des Menschen als Menschen ist, so muß demnach die  anima intellectiva  die Wesensform des Menschen sein. Die Ansicht, welcher gemäß die  anima sensitiva  das Formprinzip des Leibes, der Intellekt aber als etwas der Materie als solcher fremdes, nicht Form, sondern bloß ein substantieller Teil des Menschenwesens sein soll, wird von DUNS SCOTUS umständlich widerlegt. Dieser Ansicht zufolge wäre SOKRATES wahrhafter ein sinnliches Lebewesen (animal), als er SOKRATES ist. Substantiale Teile eines Ganzen können fehlen, ohne daß das dieser Teile ermangelnde Subjekt aufhören würde zu sein, was es ist; so z. B. lassen sich Menschen denken, welchen Auge, Hand, oder Fuß fehlt. Undenkbar aber ist ein Mensch ohne die intellektuelle Anlage, die ihn vom Tier unterscheidet und ihn im Unterschied vom Tier zum Menschen macht. Wäre der Intellekt bloß substantialer Teil des Menschen, so würde das Intelligere per intellectum [Verstehen durch den Verstand - wp] dem  videre per oculum  [Sehen des Auges - wp] gleichzusetzen sein. Indessen setzt das Letztere voraus, daß das Gesicht die Form des Auges ist; also müßte auch das Intelligere als Form eines Teils vom Menschen genommen werden. Aber der Mensch erkennt nicht mit einem Teil seines Wesens, sondern als Ganzer; also muß der Intellekt die Form des ganzen Menschen sein. Angenommen, daß der Intellekt dem Menschen nicht unmittelbar, sondern durch die Vermittlung der  anima sensitiva  eigne, ist jene Vermittlung entweder als  mediatio dispositionis  [bestimmte Vermittlung - wp], oder als  mediatio accidentalis  [zufällige Vermittlung - wp] oder endlich als  mediatio naturalis  [natürliche Vermittlung - wp] zu fassen. Als  mediatio dispositiva  bezeugt sie den Formcharakter des Intellekts; denn alle  dispositiones mediae  in der Materie bezwecken eine zu induzierende Form ab. Eine  mediatio accidentalis  anzunehmen ist unzulässig, weil für den Fall einer derartigen Mediation dem Menschen das Menschsein und Intelligere etwas Zufälliges wäre. Für den Fall einer  mediatio naturalis  aber oder  mediatio ordinis naturae  [Vermittlung durch natürliche Ordnung - wp] hat der Intellekt eine natürliche Inklination zum belebten Menschengebilde, die im gegebenen Fall nur als Inklination der Form zum Stoff begriffen werden kann. Der Intellekt ist etwas dem Menschen wesentlich Inhärierendes; den Charakter einer solchen Inhärenz hat aber eben nur dasjenige, was sich zu dem, welchem es inhäriert, als Form verhält.

Wir hörten oben, daß der Intellekt zunächst Wesensform der Seelensubstanz sei; und es fragt sich nun, wie dieser Formcharakter des Intellekts mit jenem anderen, zufolge dessen er auch dem Leib als Form eignen soll, zu vermitteln sei. An und für sich zeugt es allerdings noch von einer ziemlich unentwickelten Sprechweise, wenn statt des Ausdrucks  sinnliche Lebendigkeit,  die zufolge ihrer teleologischen Beziehung auf das intellektuelle Tun und Wirken des Menschen die intellektive Seele zu ihrer wesentlichen Lebensform hat, der Ausdruck  Leib  gebraucht wird; (17) wir müssen uns jedoch der Denkweise des DUNS SCOTUS anbequemen, der im Leib als solchem und abgesehen von seiner Lebendigkeit ein fertiges Esse sieht, das er im abstrakten Denken festhält, ohne sich um die mit den Lebensbedingungen des Leibes zusammenfallenden Existenzbedingungen desselben zu kümmern. Er sagt freilich, daß die Seele als Vegetationsprinzip dem Leib das  Esse substantiale  verleihe; die Art und Weise aber, wie er dies ausspricht, bekundet hinlänglich, daß eine spezielle Advertenz [Achtlosigkeit - wp] auf die Vitalvorgänge des Leibes und überhaupt auf die Vitalität desselben gänzlich außer seinem Gesichtskreis liege. (18) Demzufolge beschäftigt ihn vornehmlich nur das Verhältnis des Leibes zur sensitiven und intellektiven Seele, deren jede seiner Erklärung zufolge in einer anderen Art Formprinzip des Leibes ist - die intellektive Seele, sofern der menschliche Leib in der ebenmäßigsten Durchbildung seines Stoffes zur Vereinigung mit einem intellektiven Formprinzip geeignet ist; (19) die sensitive Seele, sofern dieser ebenmäßigst durchgebildete Leib das bestgeeignete Organ sinnlicher Wahrnehmung ist. (20) Die intellektive Seele setzt den leiblichen Organismus als etwas für sie Gegebenes voraus, und ist weder Wirkungsgrund seiner Existenz, noch auch Prinzip seiner organischen Verrichtungen, während die Sensationsfähigkeit doch wenigstens zur Vollkommenmachung der Funktionen der organischen Leiblichkeit dient, obschon der Bestand oder das Esse der organischen Leiblichkeit als solcher auch von der sensitiven Seele unabhängig ist. Wir entnehmen aus dem Gesagten, daß die Intellektivität in einem ganz anderen Sinne Formprinzip der Seele, als die intellektive Seele Formprinzip des Leibes ist; die Form der intellektiven Seele verleiht dieser das Sein, der Leib aber hat sein Esse unabhängig von der Intellektivität der Seele, obschon mit durchgängiger Beziehung auf dieselbe, wodurch er sich von jedem anderen bloß tierischen Organismus unterscheidet.

Obschon die drei Informationsprinzipien: die  anima vegetativa, sensitiva  und  intellectiva,  nach der ausdrücklichen Erklärung des DUNS SCOTUS substantiell Eins sind, (21) und die zwei ersteren, wie er sich ausdrückt, in der  anima intellectiva  wurzeln, (22) so wird doch die  anima vegetativa  von den beiden anderen sehr bestimmt unterschieden, sofern er dieselben von außen in das Produkt der elterlichen Zeugung eintreten läßt, während die  anima vegetativa  diesem Produkt als solchem angehört. Die elterliche Zeugung produziert also durch sich selbst nicht den ganzen Menschen, sondern bloß den Leib desselben als ein Gebilde, das zur Rezeption der intellektiven Seele disponiert ist; (23) mit dieser wird aber dem Leib zugleich auch die sensitive Seele durch einen göttlichen Kreationsakt infundiert, (24) so daß die Menschenerzeugung weit mehr ein übernatürlicher, als ein natürlicher, weit mehr ein göttlicher denn ein menschlicher Akt ist, und weit mehr ein Schöpferakt, als ein Generationsakt genannt zu werden verdient. Das menschliche Zeugen unterscheidet sich hierdurch tiefgreifend vom tierischen Zeugen, (25) durch welches das Gezeugte in seiner Ganzheit aus dem Zeugungsstoff eduziert [hervorgehen - wp] wird, also auch die  anima sensitiva  des Tieres. er verwirft zwar den Gedanken eines der irdischen Materie als solcher immanenten Lebens, das durch die tierische Zeugung gewissermaßen aus seiner Latenz hervorgezogen würde; aber er behauptet, daß die Wesenformen der tierischen Existenzen keimartig in der Materie präexistieren, und durch die Zeugung aktualisiert werden. Der Umstand, daß das Tier Kraft der Zeugung eine sensitive Seele hat, während diese dem Produkt der menschlichen Zeugung von Außen eingesenkt wird, bekundet den Vorzug der menschlichen  anima sensitiva  vor jener des Tieres, welche ausgedehnt und teilbar ist, (26) während jene des Menschen zufolge ihrer substantiellen Einheit mit der intellektiven Seele an der Einfachheit und Unausgedehntheit derselben Teil hat, und mit ihr als  tota in toto et qualibet parte corporis  [als Ganzes im Ganzen oder Teil des Körpers - wp] gegenwärtig ist. Als Edukt [die Form geht aus der Materie hervor - wp] aus der irdischen Materie wäre die menschliche  anima sensibilis  vergänglich wie die Tierseele, und so würde in diesem Fall das in aufsteigender Ordnung allgemein sich bewährende kosmische Gesetz der in einer bevorzugten Wesensklasse sich vollziehenden Erhebung des Niederen in das ihm zunächst übergeordnete Höhere, gerade im Menschen, dem Gipfel der sichtbaren Wirklichkeit, plötzlich zu Fall kommen. Das im kosmischen Ganzen sich durchgängig vorweisende Aufstreben zu höheren und vollendeteren Seinsweisen vollzieht sich nämlich in Form einer kegelartigen Zuspitzung, welche macht, daß von den einer bestimmten Seinsstufe angehörigen Existenzen ein auserwählter Teil, unter Zurücklassung aller übrigen auf ihrer Seinsstufe, in eine höhere emporgehoben, und so über sich selbst erhoben wird. So zeigt sich ein Teil der zusammengesetzten irdischen Körper in den Pflanzen aus der Seinsstufe der unbelebten mineralischen Körper in den Bereich der vegetativen Lebendigkeit erhoben; in der Tierwelt das weitverbreitete Gebiet der vegetativen Lebendigkeit in jenes der animalischen Sensibilität erhoben. Demnach muß auch wieder die Sensibilität in einem bestimmten bevorzugten Teil irdischer Lebewesen über sich selbst erhoben wird. So zeigt sich ein Teil der zusammengesetzten irdischen Körper in den Pflanzen aus der Seinsstufe der unbelebten mineralischen Körper in den Bereich der vegetativen Lebendigkeit erhoben; in der Tierwelt das weitverbreitete Gebiet der vegetativen Lebendigkeit in jenes der animalischen Sensibilität erhoben. Demnach muß auch wieder die Sensibilität in einem bestimmten bevorzugten Teil irdischer Lebewesen über sich selbst erhoben und in eine höhere Seinsstufe eingerückt werden. Die kegelartige Zuspitzung im Aufsteigen zu Höherem zeigt sich darin, daß von der unermeßlich großen Zahl der gemischten und komplexionierten irdischen Körper nur ein Teil vegetatives Leben hat, von den vegetativ lebendigen Körpern nur ein Teil sensibel ist, von den sensiblen Lebewesen nur ein Teil zugleich auch intellektionsfähig ist. Die vollkommene Zuspitzung der auf der breiten Basis der sinnlichen Naturexistenz sich erhebenden Pyramide vollzieht sich in CHRISTUS, in welchem die intellektive Menschenexistenz in die unmittelbare personhafte Einigung mit Gott hineingenommen ist. Die wesenhafte Einheit der  anima sensibilis  mit der  intellectiva  ist auch darum notwendig gefordert, weil nur unter dieser Bedingung ein wirklicher Vorzug der menschlichen Sinnenseele vor jener des Tieres gewahrt ist; denn es ist bekannt, daß der Mensch an Schärfe der Sinne vielen Tieren nachsteht, daher seine  anima sensibilis  nicht durch ihre Tätigkeit, sondern nur vermöge ihres Wesensranges über jener des Tieres stehen kann. Gegen den aus ARISTOTELES entlehnten Einwurf, daß einzig der Intellekt von Außen in den Menschen komme, glaubt DUNS SCOTUS (freilich unrichtig) bemerken zu dürfen, daß ARISTOTELES an der bezüglichen Stelle (27) keineswegs die intellektive Potenz in ihrem Unterschied von der sensitiven und vegetativen Potenz, sondern die Substanz der intellektiven Seele meine, welche alle jene Potenzen in sich schließe. Wir haben hier zu konstatieren, daß THOMAS AQUINAS, welcher die  anima sensibilis  des Menschen als Produkt der elterlichen Zeugung ansieht, (28) und einzig die intellektive Seele unmittelbar durch Gott verliehen werden läßt, nicht nur der aristotelischen Auffassungsweise näher steht, sondern auch den ARISTOTELES richtiger interpretierte, als DUNS SCOTUS, dessen anthropologische Anschauungen in dem eben besprochenen Punkt zu jener Art von Dualismus zurückstreben, wie er in des GENNADIUS Schrift "de dogmatibus ecclesiasticis" vertreten ist. In der Tat beruft er sich für seine Ansicht von der wesenhaften Einheit der  anima sensibilis  mit der  anima intellectiva  auf eine Stelle jener Schrift (29), die er übrigens nur aus der pseudo-augustinischen Schrift "de Spiritu et Anima" (30) kennt und für eine Äußerung AUGUSTINs nimmt. Natürlich hält sich DUNS SCOTUS infolge dessen für berechtigt, auch seine Ansicht von der Unvergänglichkeit der  anima sensibilis  des Menschen auf die Autorität des heiligen AUGUSTINUS zu stützen, während THOMAS (31) die Berufung auf eine einschlägige Stelle in der Schrift "de Spiritu et Anima" (32) mit der Bemerkung abweist, daß jene Schrift keinen Anspruch auf Beachtung habe. (33) THOMAS unterscheidet zwischen solchen Seelenkräften, deren Subjekt einzig die Seele ist, und anderen, welche den Menschen als geistig sinnliches Wesen zum Subjekt haben. Die Kräfte ersterer Art: Intellekt und Wille, verbleiben der Seele auch nach ihrer Trennung vom Leib; die Potenzen der sensitiven und nutritiven Seele verbleiben ihr nach dem Leibestod bloß virtuell, nicht aber aktuell.

Fragen wir nach einem inneren psychologischen Grund, welcher DUNS SCOTUS bewegen konnte, an der Unvergänglichkeit und wesenhaften Identität der  anima sensibilis  mit der  intellectiva  festzuhalten (34), so wird es wohl kein anderer gewesen sein als dieser, dem unsterblichen inneren Seelenmenschen den Vollgehalt des psychischen Innenlebens, das nicht im Denken und Wollen aufgeht, zu retten. (35) Bei THOMAS lag die Sache anders; indem er bestimmter und entschiedener als DUNS SCOTUS das Wesen oder den Grund der Seele von den Potenzen derselben abschied, konnte er im verborgenen Grund derselben ein schlummerndes Sehnen und Begehren nach absoluter Erfüllung und Befriedigung voraussetzen, über dessen Ziel und Gegenstand erst die vom Leib geschiedene Seele zu vollkommen klarem Bewußtsein gelangt, und welches sich selber erst in der ihres Leibes ledig gewordenen Seele mit voller Macht und Entschiedenheit vernehmbar macht. Wir begreifen demnach, welches Interesse - ihrem strengen Festhalten an der aristotelischen Psychologie entsprechend - THOMAS, wie vor ihm schon ALBERT, haben konnten, das Wesen der intellektiven Seele von den Potenzen, deren ausschließliches Subjekt sie nach ARISTOTELES ist, so bestimmt abzutrennen; es handelte sich für sie darum, der geistig-seelischen Innerlichkeit des Menschen einen Lebens- und Tätigkeitsgehalt zu retten, der im bewußten Denken und Wollen des irdischen Zeitmenschen nicht aufgeht, ja demselben nach ihrer Ansicht nicht einmal deutlich ins Bewußtsein tritt, es sei denn, daß Gnade und Erleuchtung den Menschen über sich selbst erheben. DUNS SCOTUS hingegen wollte den Menschen eben in diesem inneren Kern seines geistigen Lebens und Strebens fassen; und da er gleichfalls an der aristotelischen Psychologie insoweit festhielt, daß er ihren Schematismus der Seelenvermögen als kanonisch gültig hinnahm, so wußte er dem inneren Seelenmenschen den Vollgehalt seines Lebens und Empfindens nur dadurch zu retten, daß er die von ARISTOTELES der sensiblen Seele zugeschriebenen irasciblen [aufbrausenden - wp] und concupisciblen [begehrenden - wp] Tätigkeiten, als mit  einem  Wort das Affektleben der Seele in die innerlichste Tiefen derselben verlegte und mit dem intellektiven Begehren derselben innigst verschmolzen dachte. Da er aber nicht Mystiker, sondern Scholastiker war, so drängte er die affektuosen Stimmungen der mystischen Theologie in sich selbst so weit zurück, als es ihm im Interesse eines scharfen und klaren Denkens geboten schien; da sich ihm jedoch das Gebiet der metaphysischen Realerkenntnis in dem Grad verengte, in welchem er die Ansprüche eines strengen Denkens steigerte, so kam er unter Verzicht auf eine spekulative Erkennbarkeit dessen, was der im gläubigen Denken festgehaltenen überirdischen Wirklichkeit angehört, dahin, den Inhalt dessen, was die kirchliche Theologie über die höchsten, ewigen Ziele der Menschheit lehrt, unter dem vorherrschenden Gesichtspunkt eines praktischen Willensinteresses anzusehen, wobei er aber als Christ, als Theologe und Ordensmann eben nur an den in heiliger Liebe geklärten, Gott zugewendeten Seelenwillen dachte. Dies ist der eigentliche Sinn und innerste Grundgedanke seiner Lehre von der im Menschen in die Region der Intellektivität emporgehobenen  anima sensitiva.  Mit dieser seiner theologischen Grundrichtung hängt sein anthropologischer Dualismus auf das engste zusammen. Je schärfer sich in seinem Denken die übernatürliche Ordnung von der natürlichen abschied, desto mehr stellte sich ihm letztere in einem gewissen Grad relativer Unabhängigkeit von ersterer dar. Diese Auffassung reflektierte sich sodann auch in seiner Anschauung vom Menschen, der zunächst in seiner seelisch-geistigen Innerlichkeit in den Zusammenhang mit jener höheren übernatürlichen Ordnung gezogen ist; die irdische Leiblichkeit besteht in einer relativen Unabhängigkeit von der seelisch-geistigen Innerlichkeit, und die unmittelbare Verbindung zwischen Seele und Körper als Lebensprinzip des Leibes bekennt, so ungenügend auch immerhin die in den allgemeinen metaphysisch-kosmologischen Anschauungen seines Denksystems enthaltene Begründung desselben ist. Der anthropologische Dualismus des DUNS SCOTUS hat seinerseits wieder seinen Rückhalt im eben aufgewiesenen allgemeinen Verhältnis zwischen Stoff und Form. DUNS SCOTUS steht bezüglich dieses Punktes in seinem Zeitalter nicht vereinzelt da. Der Satz, daß die Materie ein von der Form unabhängiges Esse habe, findet sich auch bei HEINRICH von GENT; (36) die Lehre von den der Materie eingeschaffenen  Rationes seminales  gehört zwar zunächst AUGUSTINUS an, ist aber in der Naturlehre des Landsmannes und Ordensgenossen des DUNS SCOTUS, ROGER BACON, ausgeprägt, von dessen geistigem Einfluß, wenn auch nur mittelbar und teilweise, DUNS SCOTUS immerhin berührt worden sein mag.

DUNS SCOTUS verwirft die thomistische Unterscheidung eines realen Unterschieds zwischen dem Wesen der Seele und den Kräften derselben, und entscheidet sich mit BONAVENTURA für das Gegenteil dieser Ansicht. (37) Man könne nicht leugnen, daß die Seele Subjekt oder Träger ihrer Akte sei; unmittelbarer als das aber ist sie die aktive Veranlasserin derselben. Wenn sie nun Subjekt ihrer Akte nur als Substanz sein kann, so werden umso mehr ihre Tätigkeitsemotionen unmittelbar ihrem substantiellen Wesen angehören. Jede Substanz ist die unmittelbare Ursache des durch sie gewirkten  Accidens proprium  [nicht notwendig, zufällig - wp]; wie z. B. ein Feuer, welches einen Gegenstand brennen macht, unmittelbar durch sich selber, durch seine Wesensform Ursache des erzeugten Feuers ist, und umgekehrt auch dieses aus der Materie, also aus der Substanz des entzündeten Objektes, eduziert wird. Die Seele ist zur Einigung mit Gott, dem absolut Einen bestimmt; die Einigung vollzieht sich im Erkennen und Wollen der Seele, also müssen auch die Kräfte des Erkennens und Wollens mit dem Wesen der Seele Eins sein, weil sonst die Seele durch sie nicht zur unmittelbaren Vereinigung mit Gott gelangen könnte. Die Seele geht aus dem Schöpferwillen Gottes, der mit Gott identisch ist, ohne ein vermittelndes Medium aus, und muß daher auch Gott als ihr Ziel ohne ein dazwischen tretendes Medium erreichen können; also müssen Erkenntnis und Wille mit dem Wesen der Seele Eins sein, können nicht ein Superadditum dieses Wesens sein. Die Seele ist ein Bild des dreieinigen Gottes, gleichwie nun in der göttlichen Wesenheit die Personsunterschiede Relationsunterschiede sind, so werden auch die Potenzen der Seele bloß beziehungsweise Unterschiede im Sein der Seele konstituieren. Man hat in der seelischen Potenz Materie und Form zu unterscheiden; die Materie ist mit der Substanz der Seele gegeben, die Form durch die Wirkungsweise (38), diese aber durch das Objekt, auf welches sich das Wirken bezieht. Je nachdem nun das Wirken der seelischen Potenzen auf das Seiende als solches oder auf das begrenzte und verengte Seiende geht, ergibt sich der Grundunterschied oder generische Unterschied zwischen intellektiver und sensitiver Potenz. Die intellektive Potenz unterscheidet sich vom Willen durch den Modus der Beziehung auf ein bestimmtes Objekt; (39) die sensitive Potenz diversifiziert [ausweiten - wp] sich nach Verschiedenheit der sensitiven Potenzen. Erkennen und Begehren, welche die voneinander unterschiedenen Modi der Selbstbeziehung der intellektiven Potenz auf das Objekt ausdrücken, sind selbstverständlich auch Akte der sensitiven Seele, werden aber als solche von DUNS SCOTUS nicht speziell hervorgehoben, weil ihm die sensitive Seele mit der intellektiven sachlich Eines ist; als spezifische Potenzen der  anima sensitiva  bezeichnet er nur eben solche, welche der Seele in ihrer Vereinigung mit dem Leib zukommen und deren Aktionen demnach  actiones conjuncti sive compositi humani  [Tätigkeiten im Zusammenhang mit menschlichen Erzeugnissen - wp]

DUNS SCOTUS läßt sowohl das Erkennen als auch das Begehren der Seele erst durch die spezifische Beziehung auf ein sinnliches Objekt zu einem sinnlichen Erkennen und Begehren werden, und teilt die Bewegungen des Concupiscibile und Irascibile der intellektiven Seele als solcher zu; das Zusammensein der  anima intellectiva  mit der  sensitiva  involviert ihm nur eine spezielle Tingierung jener Bewegungen. Dies erhellt sich daraus, daß er das Erkenntnis- und Affektleben der Engel durchaus nach Analogie des menschlichen faßt, und demzufolge auch Engel und Menschenseele entschieden näher aneinanderrückt, als es in der thomistischen Theologie der Fall ist. Der Engel konnte als geistiges Wesen - sagt THOMAS AQUINAS (40) - nur durch die Sünde des Hochmutes fallen; und dieser ersten Sünde konnte als zweite Kapitalsünde nach dem Fall nur noch der Neid (über die göttliche Vollkommenheit und über die Unschuld des Menschen) nachfolgen. DUNS SCOTUS bestreitet, (41) daß das Wesen der Sünde des Engels der Hochmut gewesen sei. Die Sünde des fallenden Engels war eine größte unheilbare Sünde; der Hochmut ist aber nicht die größte Sünde, weil sonst die Demut die größte der Tugenden sein müßte, während sie doch sicherlich der Caritas [Nächstenliebe - wp] und der Amicitia [Freundschaft - wp] nachsteht. Zudem ist der Hochmut eine Regung des Irascibile, welche jedoch immer erst einer Erregung des Concupiscibile nachfolgen kann; jedes Nolle [Nichtwollen - wp] hat, wie ANSELM von CANTERBURY in seiner Schrift "de casu diaboli" lehrt, zu seiner Voraussetzung ein Velle [Wollen - wp]. (42) Dieses spaltet sich seinerseit wieder in ein  Velle amicitae  und  Velle concupiscentiae,  welches dem  Velle amicitiae  nachfolgt. So hat dann auch die Sünde des Engels mit einem  Amor amicitiae  begonnen, und zwar mit einem ungeordneten  Amor amicitiae suiipsius  [Selbstliebe - wp], der sodann weiter ein ungeordnetes  Velle concupiscentiae  nach sich zog. Dieses Velle kann nur als ein ungeordnetes Begehren nach Glückseligkeit verstanden werden, das sich nicht an die Forderungen der Gerechtigkeit kehrte, sondern einzig das selbstische Interesse im Auge hatte. So faßt auch ANSELM dieses zweite Velle (43). Dasselbe erklärt sich psychologisch aus der Analogie, welche es mit dem durch den Sehsinn provozierten Gelüsten in der ersten Menschensünde hat. Dieses Gelüsten war durch einen sinnlichen äußeren Eindruck bedingt, welcher das Begehren auf ein bestimmtes sinnliches Objekt als höchstes Begehrenswertes lenkte; beim Engel fällt diese Beschränkung auf ein besonderes sinnliches Objekt weg, somit konnte das  Velle concupiscentiae  schlechthin nur auf das Seligsein als solches sich beziehen. Sündhaft war dieses Begehren als ein der Regel der  Gerechtigkeit  entzogenes, somit eigensüchtiges Begehren. Daran konnten sich im weiteren Fortschritt der Wesens- und Willensverkehrung die hochmütige Selbsterhebung über andere Wesen gleicher Art, Begehren nach gottgleicher Seligkeit, Hasse gegen die nicht abwendbare Oberherrschaft Gottes, endlich der Wille, daß Gott nicht sei, anschließen. Die Sünde des Engels schloß also den Hochmut erst als Folge ihrer genetischen Entwicklung in sich. Der ungeordnete  Amor amicitiae  zu sich selber, wovon jene Sünde ihren Ausgang nahm, ist weit mehr unter die Kapitalsünde der Wollust einzubeziehen; außer der grobsinnlichen Wollust gibt es auch eine feinere geistige. (44) Die weiter noch aufgewiesenen ungeordneten Regungen sind unter die Kapitalsünden des Zornes (45) und Neides einzubeziehen, so daß außer der Gula [Völlerei - wp] und Acedia [Faulheit - wp], die nur beim Menschen als sinnlichem Erdenwesen möglich sind, so ziemlich alle Kapitallaster des menschlichen Bösen in der Sünde des Engels aufzuweisen wären. (46) Daraus erklärt und begründet sich der von DUNS SCOTUS gelehrte Satz (47), daß Engel und Menschenseele sich nicht wie zwei verschiedene Arten von Spezies zueinander verhalten, sondern die Menschenseele eine Teilspezies der durch die Engel repräsentierten Spezies von Wesen darstelle.

Die menschliche Seele ist ein Bild des dreieinigen Gottes, (48) sofern in ihr die drei Potenzen Memoria, Intellectus, Voluntas, zu unterscheiden sind, welche so auseinander hervortreten, wie in der göttlichen Dreieinheit der Sohn aus dem Vater, und der Geist aus beiden hervorgeht. Aus der Memoria geht sonach der Intellekt, aus beiden die Voluntas hervor. Jedoch nur, soweit diese drei Potenzen aktiv sind, stellt sich in ihnen formaliter das Bild der göttlichen Dreieinheit dar, abgesehen hiervon nur virtualiter, weil die Potenzen an sich und bevor sie in die Tätigkeit übergegangen sind, nicht aktuell auseinandertreten. (49) Wenn wir oben DUNS SCOTUS als scholastischen Peripatetiker bloß zwei Potenzen der intellektiven Seele: Intellekt und Wille, unterscheiden sahen, während er als Theologe mit dem heiligen AUGUSTINUS drei Potenzen nennt, so sehen wir hier zunächst eine Kluft zwischen rationellem und gläubigem Erkennen konstatiert, die wir uns aus der schon betonten Schärfung des Gegensatzes zwischen Natürlichem und Übernatürlichem bei DUNS SCOTUS zu erklären haben. Weiter entnehmen wir aber aus der Analogisierung der Memoria mit der ersten Hypostase [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] des göttlichen Ternars [Dreieinigkeit von Geist, Seele und Leib - wp], welche im Verhältnis zu den beiden übrigen die Essenz des göttlichen Wesens repräsentiert, daß auch die Memoria im Unterschied von Intellekt und Wille mehr oder weniger mit dem Wesen der Seele selber zusammenfalle, diese also ihrem Wesensbegriff zufolge denkhaftes Sein sei. Daraus erklärt sich das Widerstreben des DUNS SCOTUS gegen die thomistische Abscheidung der Potenzen der intellektiven Seele vom Wesen derselben. Er will eine Unterscheidung beider nur insoweit zugeben, als dieselbe denknotwendig gefordert ist; man wird den Sinn des oben angeführten Terminus:  Distinctio formalis  [formale Unterscheidung - wp], dahin zu bestimmen haben, daß die intellektive Seele in der Tätigkeit ihrer intellektiven Potenzen gewisser Massen sich selber aktualisiere, sich Form und Gestalt gebe. Das Denken des DUNS SCOTUS war jedoch zu sehr formalisiert und in abstrakt metaphysischen Kategorien befangen, als daß er sich zu einer derartigen Verlebendigung der von ihm selbst aufgestellten Verhältnisbestimmung zwischen Wesen und Kräften der Seele hätte aufschwingen können. Zudem ließ er die Memoria, welche den Ansatz einer Verlebendigung und Vertiefung des peripatetischen Seelenbegriffs hätte abgeben müssen, außer dem Bereich seiner psychologischen Forschung; sie hatte für ihn nur ein erkenntnistheoretisches Interesse, und wird daher von ihm, wie bei den übrigen Peripatetikern nur in der Lehre vom Erkennen abgehandelt. Schon seine Einteilung der Memoria in ein sinnliches und intellektives Gedächtnis gibt dies zu erkennen; an die auf sich selbst stehende Bedeutung derselben wird nur einmal angestreift - da nämlich, wo DUNS SCOTUS die drei Potenzen der Seele: Memoria, Intellectus, Voluntas, mit den drei Passiones Entis [Seinseigenschaften - wp]: Unum, Verum, Bonum, in Parallele stellt und ihr Verhältnis zur Seele aus jenem der genannten Passiones Entis zum Ens als solchem erläutert. Zugleich aber bekundet dieser Vergleich das Festgebanntsein des DUNS SCOTUS in abstrakten ontologisch-metaphysischen Denkkategorien, die für sich allein nicht ausreichen, das Wesen der Dinge zu erklären.
LITERATUR - Karl Werner, Die Psychologie und Erkenntnislehre des Johannes Duns Scotus in: Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, Bd. 26, Wien 1877
    Anmerkungen
    1) Vgl. DUNS SCOTUS, de rerum principio, qu. 1, art. 4
    2) Rerum Principio, qu. 1, art. 1
    3) Rerum Principio, ebd.
    4) Rerum Principio, qu. 8, art. 5
    5) Rerum Principio, qu. 8, art. 4
    6) Rerum Principio, ebd.
    7) Rerum Principia, qu. 12, art. 1
    8) Rerum Principio, ebd.
    9) Rerum Principio, qu. 8, art. 6
    10) Vgl. THOMAS AQUIN 1, qu. 66, art. 1. Siehe dagegen DUNS SCOTUS, Rerum Principio, qu. 7, art. 1; Metaphysik IX, qu. 1; 2 dist. 12, qu. 1 und 2.
    11) Rerum principo, qu. 9, art. 2, sect. 3
    12) Rerum principo, qu. 9, art. 2, sect. 3
    13) Rerum principo, qu. 9, art. 2, sect. 3
    14) Rerum principo, qu. 9, art. 2, sect. 3
    15) Rerum principo, qu. 9, art. 2, sect. 4
    16) Rerum Principio, qu. 9, art. 2, sect. 2 - Vgl. 4 dist. 43, qu. 2
    17) Wie DUNS SCOTUS erklärt, wie man nicht bloß die intellektive Seele, sondern den Intellekt selbst eine Form des Leibes nennen könne in Rerum Principio, qu. 9, art. 2, sect. 2
    18) Rerum Principio, qu. 9, art. 2, sect. 2
    19) Satirisch-theologische Distichen; I. 368, 371.
    20) Rerum Principio, qu. 9, art. 2, sect. 2
    21) 4 dist. 44, qu. 1
    22) Rerum principio qu 10, art. 4.
    23) Rerum principio qu 10, art. 2 - 4 dist. 43, qu. 3
    24) Rerum principio qu 10, art. 4
    25) Rerum principio qu 10, art. 3 - 2 dist. 15, qu. unic. - 2 dist. 18, qu. unic.
    26) Rerum principio qu 12, art. 4 dist. 1, qu. 5 - 4 dist. 44, qu. 1
    27) Gen. animal. II, 2, Seite 736
    28) 1 qu. 118, art. 1
    29) Gennad. dogm. eccl. c 14
    30) De Spiritus et anima, c 48
    31) 1 qu. 77, art. 8
    32) Diese Stelle ist aus ISAAK von STELLAs Schrift "de anima" entnommen.
    33) "de anima", ebd.
    34) Vgl. auch HUGE St. VICTORE Erud. didascal, II, 5
    35) Rerum principio, qu. 11, art. 2
    36) Quodlibetica I, qu. 10
    37) Rerum principio, qu. 11, art. 3 - 2 dist. 16, qu. unic. - 4 dist. 44, qu. 2
    38) Daher die scotistische Formel, daß die Potenzen der Seele vom Wesen derselben formaliter verschieden seien.
    39) Rerum principio, qu. 11, art. 2
    40) 1 qu. 63, art. 2
    41) 2 dist. 6, qu. 2
    42) DUNS SCOTUS verweist auf das von ANSELM gewählte Beispiel "de casu diaboli" c 3.
    43) Aperte video [Ich sehe deutlich - wp] erwiderte in ANSELMs Dialog "de casu diaboli" c. 4 der Schüler dem Lehrer.
    44) Peccatum, in quo inordinate delectatur quis in speculatione conclusionis geometricae, ad luxuriam reducitur [Sünde, die Unordnung, in der einem Mann die Freude an den Ergebnissen der Geometrie auf Trunkenheit reduziert wird - wp] - bemerkt DUNS SCOTUS erläuternd hierzu.
    45) Vgl dagegen THOMAS AQUINAS 1, qu. 43, art. 2
    46) Daß in der von DUNS SCOTUS versuchten Weise, die menschlichen Kapitallaster in der Sünde des Engels nachzuweisen, auch die Avaritia [Gier - wp] aufgewiesen werden könnte, zeigt THOMAS 1 qu. 43, art. 2
    47) 2 dist. 1, qu. 4
    48) 2 dist. 16, qu. unic.
    49) Soweit die Potenzen der Seele sich nicht aktiv betätigen, ist die des Erkennens und Wollens fähige Seele formaliter nur ein Bild der göttlichen Wesenheit als solcher, abgesehen von der in der Einheit dieses Wesens sich aufschließenden Dreiheit.