cr-4F. A. LangeTheaitetosErnst StoelzelSokrates    
 
PLATON
Der Staat
[7. Buch - Höhlengleichnis]

"Euch haben wir zu Führern und Königen gezogen, besser und vollkommener als jene gebildet. Hinabsteigen muß also ein jeder, wenn ihn die Reihe trifft, in die Behausung der andern und sich gewöhnen das Dunkle zu sehen. Denn wenn ihr euch gewöhnt, werdet ihr tausendmal besser als jene dort sehen und die einzelnen Schattenbilder erkennen, was und wessen sie sind, weil ihr das Wahre gesehen habt vom Schönen und Gerechten und Guten. Und so wird uns und euch ein wirkliches Staatsleben zuteil werden und nicht ein geträumtes, wie es jetzt gewöhnlich geführt wird, indem man um Schatten kämpft und über das Regieren sich entzweit als über ein großes Gut."

Nach diesem nun, fuhr ich fort, vergleiche unsere Natur im Hinblick auf Bildung und ungebildetes Wesen mit einem solchen Zustand: denke dir Menschen in einer unterirdischen höhlenartigen Wohnung mit einem nach dem Licht hin geöffneten längs der ganzen Höhle hin gehenden Eingang, in dieser von Kindheit an mit den Beinen und Nacken in Fesseln, so daß sie selbst an ihrem Ort bleiben und nur vor sich sehen und den Kopf im Kreis herumzubewegen durch die Fesseln gehindert sind, Licht aber von einem Feuer oben in der Ferne hinter ihnen hereinscheinend, und zwischen dem Feuer und den gefesselten oben einen Weg, vor welchem du eine Mauer vorgebaut siehst, in der Art wie die Gaukler gegen die Zuschauer einen Verschlag vor sich haben, über welchem sie ihre Wunder zeigen. Ich sehe, sprach er. Nun so sieh dann an dieser Mauer hin Leute allerlei Geräte, die über die Mauer hervorragen, und Bildern von Menschen und anderen Tieren aus Stein und Holz und allem möglichen verfertigt tragen, wie es natürlich ist die einen sprechend, die andern schweigend während des Vorbeitragens. Ein seltsames Gleichnis, sprach er, stellst du auf und seltsame Gefesselte. Die uns ähnlich sind, sagte ich. Denn glaubst du wohl, daß solche zuerst von sich selbst und voneinander etwas anderes gesehen haben könnte, als die vom Feuer auf die Wand der Höhle gegenüber geworfenen Schatten? Wie könnten sie, sprach er, wenn sie zeitlebens den Kopf zu bewegen gehindert wären? Wie aber von dem, was vorbeigetragen wird? nicht ebenso? Wie anders? Wenn sie nun miteinander reden könnten, glaubst du nicht, daß sie das, was sie sähen, als das Gegenwärtige zu benennen vermeinen würden? Notwendig. Wie aber? wenn das Gefängnis auch einen Widerhall hätte, glaubst du wohl, daß, so oft einer der vorübergehenden spräche, sie etwas anderes für das Sprechende halten würden als den vorübergehenden Schatten? Beim ZEUS, ich nicht, sprach er. Auf alle Weise also, sagte ich, würden solche nichts anderes für das Wahre halten als die Schatten der verfertigten Dinge. Sehr notwendig, sprach er. Nun betrachte, sagte ich, ihre Lösung und Heilung von den Fesseln und der Torheit, wie beschaffen sie wohl wäre, wenn ihnen naturgemäß folgendes widerführe: so oft einer gelöst würde und er plötzlich aufstehen und den Nacken herumdrehen und gehen und zu dem Licht aufblicken müßte und bei all diesen Schmerzen empfände und wegen der Flimmer die Dinge nicht erkennen könnte, von denen er vorher die Schatten sah, was glaubst du wohl daß er sprechen würde, wenn jemand zu ihm sagte, daß er vorher nichts Gescheites gesehen habe und vielmehr jetzt dem Wirklichen näher und mehr Wirklichem zugewendet richtiger sehe, und dann auch jedes der vorübergehenden ihm zeigend und danach fragen ihn zu antworten nötigte, was es sei? Glaubst du nicht, daß er nichts zu sagen wissen und das vorher Gesehene für wahrer halten würde als das jetzt Gezeigte? Für viel wahrer halten würde als das jetzt Gezeigte? Für viel wahrer, sprach er. Und wohl auch, wenn er ihn in das Licht selbst zu blicken nötigte, daß ihm die Augen weh tun und er fliehend sich zu jenem, was er sehen kann, zurückwenden und dieses für wirklich klarer halten würde als das Gezeigte? Nicht anders, sprach er. Wenn aber, sagte ich, einer mit Gewalt ihn von dort weg den rauhen und steilen Weg herauf zöge und nicht nachließe, bis er ihn herausgezogen hätte an das Licht der Sonne, nicht daß ihm das peinlich und widerwärtig sein würde so gezogen zu werden, und wenn er an das Licht käme, er mit seinen von Glanz erfüllten Augen nicht ein einziges von Dingen würde sehen können, die wir jetzt wirkliche nennen? Gewiß nicht, sprach er, mit einem Mal. Gewöhnung also, denke ich, würde er brauchen um das, was oben ist, zu sehen, und zuerst die Schatten am leichtesten erkennen und alsdann im Wasser die Bilder der Menschen und der übrigen Dinge, und nachher sie selbst; nach diesen aber würde er das am Himmel und den Himmel selbst bei Nacht leichter sehen, auf das Licht der Sterne und des Mondes hinblickend, als am Tag auf die Sonne und das der Sonne. Wie anders? Das Letzte aber, denke ich, wäre, daß er die Sonne nicht im Wasser noch auf fremder Fläche ihre Abbilder, sondern sie selbst für sich an ihrem eigenen Ort sehen und schauen könnte wie sie ist. Notwendig, sprach er. Und wenn er nun so weit wäre, dann würde er von ihr schließen, daß sie es ist, welche die Jahreszeiten und Jahre gibt und alles im sichtbaren Ort versorgt und auf gewisse Weise alles jenes, was sie sahen, verursacht. Offenbar, sprach er, würde er nach jenem auf dieses kommen. Wie nun? wenn er sich der ersten Wohnung und der dortigen Weisheit und der damaligen Mitgefangenen erinnert, glaubst du nicht, daß er sich wegen der Veränderung glücklich preisen, jene aber bedauern wird? Ja wohl. Wenn sie aber dort Ehre und Lob voneinander hatten und Ehrengeschenke für den, der das vorübergehende am schärfsten erkannte und am meisten im Gedächtnis hatte, was sich davon früher und später vorbeibewegte, und daraus dann am besten vorhersagen konnte, was kommen würde, meinst du wohl daß er sich danach sehnt und die bei jenen geehrten und unter ihnen gebietenden beneidet, oder daß er sich in der homerischen Lage befindet und viel lieber ein Bauer im Dienst eines anderen Mannes, welcher wenig besitzt, und in jeder anderen Lage sein wolle als jenes wähnen und auf jene Weise leben? Ich glaube das Letztere, sprach er, daß er vorziehen würde in jeder anderen Lage zu als so zu leben. Nun bedenke auch dieses, sagte ich. Wenn ein solcher wieder hinunterginge und sich auf denselben Sitz setzte, würde er nicht die Augen voll Finsternis haben, so unmittelbar aus der Sonne kommend? Ei freilich, sprach er. Wenn er nun aber wieder im Erkennen jener Schatten wetteifern müßte mit jenen immer Gefesselten, während er noch blödsichtig ist, ehe ihm die Augen zum Stehen gekommen sind, und diese Zeit der Gewöhnung nicht allzu kur dauerte, würde er da nicht ausgelacht werden und es von ihm heißen, daß weil er hinaufgestiegen ist, er das Gesicht verloren habe, und man dürfe gar nicht versuchen hinaufzugehen, und wer es unternähme sie zu lösen und hinaufzuführen, wenn sie ihn in ihre Hände bekommen und töten könnten, sie ihn töten würden? Ganz gewiß, sprach er. Dieses Gleichnis nun also, sagte ich, geliebter GLAUKON, ist ganz auf das vorher Gesagte anzuwenden, so daß der Ort der sichtbaren Erscheinungen mit der Wohnung im Gefängnis verglichen werde und das Licht des Feuers in ihr mit der Wirkung der Sonne; das Hinaufsteigen aber und Schauen des oben befindlichen nimm als den Aufgang der Seele zum denkbaren Ort und du wirst meine Ahnung treffen, weil du diese zu hören begehrst; ob sie aber wahr ist, weiß Gott; doch dieses ist es, was mir scheint, daß im Erkennbaren als letztes der Begriff des Guten und mit Mühe gesehen wird, und ist er gesehen, von ihm geschlossen werden muß und daß er alles rechten und schönen Ursache für alle ist, als der im sichtbaren das Licht und dessen Herrn gezeugt hat und im denkbaren selbst Herr Wahrheit und Vernunft gibt, und daß ihn sehen muß wer im besondern oder öffentlichen verständig handeln will. Auch ich bin dieses Glaubens, sprach er, so wie ich nur kann. So komm den, sagte ich, und sei auch dieses Glaubens und wundere dich nicht, daß die, welche dahin gekommen sind, die menschlichen Angelegenheiten nicht betreiben mögen, sondern daß ihre Seelen immer oben zu verweilen gedrungen sind. Denn es ist wohl so natürlich, wenn auch dieses sich nach dem vorerwähnten Gleichnis verhält. Gewiß natürlich, sprach er. Wie aber? kommt dir das wunderbar vor, sagte ich, wenn von göttlichen Anschauungen einer zu den menschlichen Übeln kommend sich ungeschickt anstellt und sehr lächerlich erscheint, wenn er noch blödsichtig und nicht gehörig an das hiesige Dunkel gewöhnt vor Gericht oder sonst wo kämpfen muß um die Schatten des gerechten oder die Gebilde, von welchen die Schatten sind, und darüber wettstreiten, wie doch dieses genommen wird von denen, die die Gerechtigkeit selbst niemals gesehen haben? Ganz und gar nicht wunderbar, sprach er. Aber wer vernünftig wäre, sagte ich, würde sich erinnern, daß es zweierlei Störungen der Augen und aus zweierlei Gründen gibt, einmal beim Übergang aus Licht in Dunkel und dann aus Dunkel in Licht, und ebendasselbe auch in Bezug auf die Seele annehmend würde er wenn er eine in Verwirrung und außerstande etwas wahrzunehmen sähe, nicht unüberlegt lachen, sondern zusehen, ob sie aus einem helleren Leben kommend durch das ungewohnte verdunkelt, oder aus größerer Unwissenheit in ein helleres übergehend durch den größeren Glanz mit Geflimmer erfüllt ist, und so nun die eine glücklich preisen wegen ihres Zustandes und Lebens und die andere bedauern, und wenn er üüber sie lachen wollte, dieses sein Lachen weniger lächerlich sein als das über die von oben aus dem Licht kommende. Sehr passen gesagt, sprach er. Wir haben also, fuhr ich fort, wenn das wahr ist, so davon zu denken, daß es mit der Bildung nicht so wie einige Versprechungen machende sagen, so sich auch verhalte. Sie sagen aber wohl, daß sie die Wissenschaft, die in der Seele nicht vorhanden ist, hineinbringen gleichsam wie Sehkraft in blinde Augen. Ja, so sagen sie, sprach er. Die jetzige Rede aber, sagte ich, zeigt, daß diese Kraft als in eines jeden Seele vorhanden und das Werkzeug, mit welchem jeder begreift, wie ein Auge, das nicht anders als mit dem ganzen Körper aus dem Dunklen und Hellen zugekehrt werden könnte, so mit der ganzen Seele vom Entstehenden weg und herumgewandt werden müsse, bis sie imstand ist das Hinblicken auf das Seiende und auf das Hellste des Seienden auszuhalten; dieses aber, sagen wir, sei das Gute: nicht wahr? Ja. Also eben dieses, sagte ich, wäre durch Kunst zu bewirken, die Herumwendung, wie einer am leichtesten und wirksamsten umgekehrt werden könnte, nicht das Hineinbringen des Sehens in ihn, sondern wie bei einem, der es hat, aber sich nicht in der rechten Richtung befindet und nicht dahin blickt, wohin er sollte, die Bewerkstelligung davon. Ja so scheint es, sprach er. Die anderen sogenannten Tugenden der Seele nun scheinen mit denen des Leibes Ähnlichkeit zu haben, nämlich in der Tat vorher nicht darin vorhanden nachher hineingebracht zu werden durch Gewohnheiten und Übungen; die des Erkennens aber haftet durchaus an etwas Göttlicherem, wie es scheint, was seine Kraft niemals verliert und durch die Herumwendung brauchbar und nützlich und wiederum unbrauchbar und schädlich wird. Oder hast du noch nicht an denen, von welchen man sagt, daß sie böse aber klug sind, bemerkt, welch einen durchdringenden Blick die kleine Seele hat und wie scharf sie das durchschaut, worauf sie gerichtet ist, als eine mit nicht zu verachtender Sehkraft begabte, aber der Schlechtigkeit zu dienen Gezwungene und also je schärfer sie sieht, desto mehr Schlechtes tuende? Allerdings, sprach er. Wenn jedoch, sagte ich, diese so beschaffene Natur gleich von Jugend auf bearbeitet und das der Entstehung verwandte heruntergearbeitet würde, das Bleigewichten ähnliche, die an Genüsse des Gaumens und ähnliche Lüste und Leckereien sich anhängend das Auge der Seele nach unten hin ziehen, wenn sie von diesen befreit auf das Wahre herumgekehrt würde, dann sähe eben dieses an denselben Menschen auch jenes auf Schärfste so gut wie das, worauf es jetzt gerichtet ist. Natürlich, sprach er. Wie aber? ist das nicht natürlich, sagte ich, und nach dem früher Gesagten notwendig, daß weder die Ungebildeten und der Wahrheit Unkundigen jemals einen Staat gehörig leiten werden, noch die, welchen gestattet wird sich unaufhörlich mit dem, was Bildung gewährt, zu beschäftigen: jene nicht, weil ihrem Leben dasjenige fehlt, worauf sie als auf ihr einziges Ziel gerichtet alles tun sollen was sie im besonderen wie im Öffentlichen tun, diese nicht, weil sie schon hier auf Inseln der seligen zu wohnen meinend freiwillig nichts tun werden? Das ist wahr, sprach er. Uns also, sagte ich, die wir den Staat begründen, kommt es zu, die besten Naturen zu nötigen, daß sie zum Gegenstand des Lernens gelangen, den wir im vorigen für den größten erklärten, und das Gute sehen und jenen Weg hinaufsteigen, und alsdann, wenn sie hinaufgestiegen sind und es gehörig gesehen haben, ihnen nicht zu gestatten was jetzt gestattet wird. Und was wäre das? Daß sie dort verbleiben, sagte ich, und nicht wieder heruntersteigen wollen zu jenen Gefesselten, noch Teil nehmen an ihren Beschwerden und ihren mehr oder weniger zu verachtenden Ehren. So wollen wir ihnen, sprach er, Unrecht tun und ein schlechteres Leben bereiten, da sie ein besseres haben können? Du hast wieder vergessen, sagte ich, o Freund, daß es dem Gesetz nicht darum zu tun ist, daß eine Klasse im Staat sich vorzugsweise wohl befindet, daß eine Klasse im Staat dies zu verschaffen sucht, indem es die Bürger durch Überredung und Zwang zusammenfügt, bewirkend, daß sie einander den Nutzen genießen lassen, den jeder dem gemeinen Wesen zu gewähren vermag, und indem es selbst solche Männer im Staat hervorbringt, nicht um sie gehen zu lassen wohin jeder will, sondern um sie selbst zu verwenden zur Verknüpfung des Staates. Richtig, sprach er: ich hatte es vergessen. So bedenke nun, fuhr ich fort, o GLAUKON, daß wir denen, die bei uns Freunde der Wissenschaft werden, auch nicht Unrecht tun, sondern Gerechtes zu ihnen sagen werden, wenn wir sie nötigen, für die andern zu sorgen und zu wachen. Denn wir werden sagen, daß diejenigen zwar, welche in den anderen Staaten solche werden, natürlich nicht teilnehmen an den Beschwerden in ihnen; denn sie wachsen von selbst darin, ohne daß die Verfassung derselben es will, und es ist dem Recht gemäß, wenn das von selbst gewachsene, was keinem seine Ernährung verdankt, auch keinem Kosten für Ernährung bezahlen will; euch aber haben wir für euch selbst und für den übrigen Staat wie in Bienenschwärmen zu Führern und Königen gezogen, besser und vollkommener als jene gebildet und mehr imstand an beiden Teil zu nehmen. Hinabsteigen muß also ein jeder, wenn ihn die Reihe trifft, in die Behausung der andern und sich gewöhnen das Dunkle zu sehen. Denn wenn ihr euch gewöhnt, werdet ihr tausendmal besser als jene dort sehen und die einzelnen Schattenbilder erkennen, was und wessen sie sind, weil ihr das Wahre gesehen habt vom Schönen und Gerechten und Guten. Und so wird uns und euch ein wirkliches Staatsleben zuteil werden und nicht ein geträumtes, wie es jetzt gewöhnlich geführt wird, indem man um Schatten kämpft und über das Regieren sich entzweit als über ein großes Gut. Das Wahre aber ist wohl das: in welchem Staat die, welche regieren werden, am wenigsten dazu geneigt sind, der muß am besten bestellt und am freiesten von Zwietracht sein, und umgekehrt der, mit dessen Regierenden es sich umgekehrt verhält. Allerdings, sprach er. Glaubst du nun, daß uns die Zöglinge, wenn sie dies hören, nicht folgen und sich weigern werden mit zuarbeiten ein jeder, den größten Teil der Zeit aber miteinander zu wohnen auf der reinen Höhe? Unmöglich, sprach er; denn wir werden ja Gerechtes von Gerechten fordern. Doch wird ohne allen Zweifel ein jeder von ihnen an das Regieren wie an etwas Notwendiges gehen, umgekehrt wie die, welche jetzt in den einzelnen Staaten regieren. Ja, sagte ich; denn so, o lieber, verhält es sich: wenn du für die welche regieren werden, en besseres Leben als das Regieren finden wirst, so kannst du einen Stat, mit dem es gut steht, bekommen. Denn in ihm allein werden die regieren, welche wahrhaft reich sind, nicht an Gold, sondern woran der Glückselige reich sein muß, an gutem und vernünftigem Leben. Wenn aber von eigenen Gütern entblößte und Notleidende an das Öffentliche gehen, weil sie denken, daß von hier aus das Gute zu holen sei, so ist es nicht möglich. Denn wenn das Regieren ein Gegenstand des Streites wird, so ist das ein innerer und einheimischer Krieg, der sie selbst und den übrigen Staat zugrunde richtet. Sehr wahr, sprach er. Weißt du nun, sagte ich, ein anderes Leben, welches die obrigkeitlichen Ämter im Staat verachtet, als das der wahren Wissenschaftsliebe? Nein beim ZEUS, sagte er. Aber Nichtliebhaber des Regierens müssen es doch sein, die daran gehen, und ist es nicht der Fall, so werden die Mitliebhaber streiten. Wie anders? Welche andern wirst du also nötigen an die Bewachung des Staates zu gehen als die, welche die meiste Einsicht in dem, wodurch ein Staat ab besten verwaltet wird, und zugleich andere Ehren und ein besseres Leben als das öffentliche haben? Keine anderen, sprach er. Willst du also, daß wir dieses jetzt erwägen, auf welche Weise die so beschaffenen im Staat entstehen werden und wie man sie hinaufführen wird zum Licht, so wie auch aus der Unterwelt einige zu den Göttern hinaufgekommen sein sollen? Ja, wohl will ich, sprach er. Das wäre dann, wie es scheint, nicht wie man eine Hand umkehrt, sondern wie man die Seele umwendet aus einem nachtähnlichen Tag auf den wahrhaften Weg zum Seienden hinauf, als welchen wir die wahre Wissenschaftsliebe bezeichnen werden. Allerdings. So muß denn wohl erwogen werden, welcher unter den Gegenständen des Lernens eine solche Kraft besitzt? Wie anders? Welcher möchte wohl also, o GLAUKON, die Seele vom Werdenden zum Seienden ziehen können? Es fällt mir aber hierbei dies ein: sagten wir denn nicht, daß diese in der Jugend Wettkämpfer des Krieges sein müßten? Ja, so sagten wir. Der Gegenstand, den wir suchen, muß also zu jenem auch dieses noch haben. Was? Daß er Kriegern nicht unnütz ist. Freilich muß er das, sprach er, wenn es sein kann. Turnkunst nun und Tonkunst waren das, wodurch wir sie vorher bildeten. Sie waren es, sprach er. Die Turnkunst nun verkehrt wohl mit Werdendem und vergehendem; denn über des Leibes Wachstum und Abnahme ist sie gesetzt. Offenbar. Dies wäre also nicht der Gegenstand, den wir suchen. Freilich nicht. Aber etwa die Tonkunst, soweit sie sich in unserer früheren Darstellung erstreckte? Aber die war ja, sprach er, das Seitenstück zur Turnkunst, wenn du dich erinnerst, durch Gewöhnung die Wächter bildend, indem sie mittels des Einklangs eine Wohlgestimmtheit, nicht Wissenschaft, und mittels des Zeitmaßes Wohlgemessenheit mitteilte und durch die Reden ebenfalls, sprach er, diesem Verwandtes bewirkte, sowohl durch die fabelhaften als durch die andern mehr wahren: für einen solchen Zweck aber, wie du jetzt suchst, war nichts in ihr zu lernen. Sehr genau, sagte ich, rufst du es mir ins Gedächtnis zurück; denn wirklich hatte sie nichts von solcher Art. Aber, o trefflicher GLAUKON, was wäre wohl von solcher Art? Denn die Künste schienen wohl alle den Geist abzustumpfen. Wie anders? Und doch, was gibt es sonst noch zu lernen, was von der Tonkunst und Turnkunst und von den Künsten abgesondert bestünde? Wohlan, sagte ich, wenn uns nichts außerhalb dieser Liegendes übrig bleibt, nehmen wir etwas, was sich auf alle erstreckt. Was wäre das? Zum Beispiel dieses allgemein, dessen sich alle Künste und Verstandestätigkeiten und Wissenschaften mitbedienen, was auch jeder mit zuerst lernen muß. Was denn? sprach er. Dieses einfache, sagte ich, ein und zwei und drei zu unterscheiden; ich nenne es aber zusammen Zahl und Rechnen. Oder verhält es sich nicht so damit, daß jeder Kunst und Wissenschaft etwas davon notwendig ist? Ja wohl, sprach er. Wohl auch, sagte ich, der Kriegskunst? Sehr notwendig, sprach er. Wenigstens läßt PALAMEDES, sprach ich, den AGAMEMMNON immer als einen sehr lächerlichen Feldherrn in den Tragödien erscheinen. Oder hast dur nicht bemerkt, wie er sagt, daß er die Zahl erfunden und so die Ordnungen dem Heer eingerichtet hat vor Jlion [Troja - wp] und ausgezählt die Schiffe und das andere alles, als ob es vorher nicht zu zählen gewesen ist und AGAMEMMNON, wie es scheint, auch nicht gewußt habe, wieviele Beine er hatte, wenn er nicht zählen konnte? Und was für ein Feldherr meist du war er da? Ich meine ein wunderlicher, sagte er, wenn dem so war. Werden wir also, sagte ich, auch rechnen und zählen zu können als etwas annehmen, was ein Kriegsmann notwendig lernen muß? Ei ganz vorzüglich, sprach er, wenn er auch nur etwas von Ordnungen verstehen, oder vielmehr auch nur ein Mensch sein soll. Denkst du nun, fuhr ich fort, über diesen Gegenstand des Lernens so wie ich? Wie denn? Er scheint unter die ihrer Natur nach zum Denken führenden zu gehören, die wir suchen, aber von keinem recht gebraucht zu werden mit seiner ganz zum Sein hinziehenden Beschaffenheit. Wie sagst du? sprach er. Ich will versuchen, sagte ich, meine Meinung deutlich zu machen. Was ich nämlich bei mir selbst als zum angegebenen Ziel führend unterscheide, fasse auch du ins Auge und billige oder verwirf, damit wir auch über diesen Gegenstand mehr ins Klare kommen, ob er so beschaffen ist, wie ich ahne. Zeige, sprach er. So zeige ich denn, versetzte ich, wenn du siehst, auf der einen Seite sinnlich Wahrgenommenes, was das Denken nicht auffordert zu weiterer Untersuchung, weil das Urteil des Sinnes befriedigend ist, auf der andern aber was ihm durch gebietet weiter zu untersuchen, weil der Sinn nichts Zuverlässiges gibt. Du meist offenbar, sprach er, das von weitem erscheinende und die Werke der Fermalerei. Nicht das ist es, sagte ich, was ich meine. Nun was meinst du denn? sprach er. Unter dem nicht auffordernden, sagte ich, alles was nicht zugleich in die entgegengesetzt anzeigt, sie mag nun aus der Nähe oder von weitem her kommen. Aus folgendem aber wirst du deutlicher sehen was ich meine. Das hier, sagen wir, wären drei Finger, der kleinste und der zweite und der mittelste. Ganz recht, sprach er. Also wie aus der Nähe Gesehene denke dir daß ich sie betrachte. Nun erwäge mir aber aber hinsichtlich derselben dieses. Welches? Als Finger erscheint jeder derselben auf gleiche Weise, und es ist in dieser Rücksicht ganz einerlei, ob er in der Mitte gesehen wird oder am Ende, ob weiß oder schwarz, ob dick oder dünn oder was es sonst für Beschaffenheiten dieser Art gibt. Denn bei all diesen wirde die Seele der meisten nicht genötigt das Denken zu befragen, was wohl ein Finger ist; denn niemals zeigt das Gesicht ihr zugleich an, daß der Finger das entgegengesetzte von einem Finger sei. Freilich nicht, sprach er. Dergleichen also, sagte ich, wäre natürlich nicht geschickt das Denken aufzufordern oder zu erwecken. Natürlich. Wie aber nun? Ihre Größe und Kleinheit, sieht die das Geicht hinlänglich, und ist es ihm einerlei, ob sich einer derselben in der Mitte befindet oder am Ende? und ebenso Dicke und Dünne oder Weichheit und Härte das Gefühl? und die übrigen Sinne, geben sie befriedigende Auskunft über dergleichen? oder verhält sich jeder von ihnen so: zuerst der für das Harte bestimmte Sinn ist notwendig auch für das Weiche bestimmt und benachrichtigt die Seele, wie er ein und dasselbe als hart und weich wahrnimmt? So ist es, sprach er. Muß da nicht, fragte ich, die Seele ihrerseits in Zweifel geraten, was wohl das Harte ist, was diese Wahrnehmung ihr anzeigt, wenn sie einunddasselbe auch weich nennt, und bei der des Leichten und der des Schweren, was das Leichte als schwer anzeigt? Ja, sprach er, diese Erklärungen müssen auch der Seele wunderlich vorkommen und bedürfen einer weiteren Untersuchung. Natürlich also, sagte ich, sucht die Seele in solchen Fällen zuerst Überlegung und Denken zuhilfe nehmend zu unterschuchen, ob das jedesmal vermeldete eines ist oder zwei. Wie anders? Erscheint es nun als zwei, so erscheint wohl jedes von beiden als ein anderes und eines? Ja. Ist also jedes von beiden eines, beide aber zwei, so wrid sie dei zwei als Getrennte denken; denn ungetrennt würde sie nicht zwei, sondern eines denken. Richtig. Großes nun und Kleines, sagen wir, sah wohl auch das Gesicht, aber nicht getrennt, sondern als ein Vermischtes: nicht wahr? Ja. Um aber zur Klarheit darüber zu kommen mußte das Denken wiederum Großes und Kleines sehen, nicht vermischt, sondern unterschieden, umgekehrt wie jenes. Das ist wahr. Ist es nun nicht eben dieses, was uns zuerst darauf bringt zu fragen: was ist doch also wiederum das Große und das Kleine? Gewiß. Und so nannten wir dann das eine Denkbares, das andere Sichtbares. Ganz recht, sprach er. Nun dieses war es auch, was ich eben zu sagen versuchte, daß einiges zum Nachdenken aufzufordern geschickt sei, anderes aber nicht, indem ich als geschickt dazu das Bestimmte, was zugleich mit seinem Gegenteil zur sinnlichen Wahrnehmung komme, was aber nicht, als nicht geschickt das Denken zu erwecken. Nun jetzt verstehe ich, sprach er, und es scheint mir so. Wie nun? zu welchem von beiden scheint dir die Zahl und das Eine zu gehören? Ich sehe es nicht, sprach er. Nun schließe nur, sprach ich, aus dem vorher Gesagten. Denn wenn das eine für sich selbst hinlänglich gesehen oder mit einem andern Sinn wahrgenommen wird, so möchte es wohl nicht zum Sein hinziehen, wie wir beim Finger sagten; wenn aber immer zugleich mit ihm ein Gegenteil von ihm gesehen wird, so daß es eben sowohl auch als das Entgegengesetzte wie als Eines erscheint, dann natürlich würde es des weiteren Urteilens bedürfen und die Seele notwendig dabei in Zweifel geraten und den Gedanken bei sich in Bewegung setzend suchen und fragen müssen, was doch wohl das eine selbst sei, und so würde das auf das Eine sich beziehende Lernen zu dem gehören, was zur Anschauung des Seienden führen und umlenken kann. Nun daran, sprach er, fehlt es beim Sehen desselben gewiß nicht; denn wir sehen einunddasselbe zugleich als Eines und als unendlich Vieles. Also das nämliche, sagte ich, ist wohl wenn mit den einen, auch mit allem was Zahl heißt, der Fall? Wie sollte es nicht? Aber die Rechenkunst und Zählkunst hat es doch ganz mit Zahlen zu tun. Ja wohl. Diese aber sind, wie sich zeigt, zur Wahrheit führend. Ganz vorzülich. So gehören sie also, wie es scheint, zu den Gegenständen des Lernens, die wir suchen. Denn der Krieger muß sie wegen der Ordnungen lernen, und der Freund der Wissenschaft, weil er sich über das Werden erheben und das Sein erfassen muß, oder auch niemals ein Rechner werden wird. So ist es, sprach er. Unser Wächter aber ist zugleich Krieger und Freund der Wissenschaft. Was sonst? So käme es uns dann zu, o GLAUKON, die Erlernung dieses Gegenstandes zu verordnen und diejenigen, welche an den höchsten Geschäften im Staat teilnehmen sollen zu überreden an die Rechenkunst zu gehen und sich nicht auf die gemeine Weise mit ihr zu beschäftigen, sondern bis sie zur Anschauung der Natur der Zahlen mittels des Denkens selbst gekommen sind, nicht Handels und Wandels wegen wie Kaufleute oder Höker sie treibend, sondern teils um des Krieges willen, teils umd die Seele selbst leichter umzulenken vom Werden zu Wahrheit und zum Sein. Sehr wohl gesprochen, sagte er. Und wahrhaftig, sagte ich, jetzt sehe ich auch, nachdem wir von diesem das Rechnen betreffenden Gegenstände des Lernens zu sprechen angefangen haben, welche eine schöne und für unseren Zweck in vieler Hinsicht dienliche Sache es ist, wenn man es des Erkennens und nicht des Hökern wegen betreibt. Wieso denn? sprach er. Nun weil es, wie wir soeben sagten, gar sehr die Seele aufwärts führt und von den Zahlen selbst zu sprechen nötigt und es nicht gelten läßt, wenn einer ihr Zahlen mit sichtbaren oder fühlbaren Körpern vorhaltend sprechen will. Denn du weißt ja wohl, daß die Kenner des Rechnens, wenn man das Eine selbst zerschneiden will in der Rede, einen auslachen und es nicht gelten lassen, sondern wenn du es zerstückelst, so vervielfältigen sie es, damit nicht etwa das Eine nicht als Eines, sondern als viele Teile erscheint. Du hast ganz Recht, sprach er.
LITERATUR - Platon, Der Staat, Breslau 1850