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CARL GRAPENGIESSER
Die transzendentale Deduktion
[2/2]

"Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist gar kein Zweifel. Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Sehr richtig! Denn unsere Erkenntnis beginnt erst dann, wenn uns ein Gegenstand zur Erkenntnis gegeben ist; die Art und Weise aber, wie wir das Gegebene in unsere Erkenntnis aufnehmen, erkennend auffassen, wird uns nicht gegeben, sondern gehört uns selber von Natur, entspringt also nicht erst aus der Erfahrung, kommt aber erst bei der Erfahrung zur Anwendung, zum Vorschein."


Kant und Fries
[Fortsetzung]

§ 16 führt KANT die Einheit der Synthesis des Verstandes zurück auf die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption durch die Identität der Apperzeptionen, und § 17 nennt er den Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption "das oberste Prinzip allen Verstandesgebrauchs". Es ist unzweifelhaft, was er damit meint. Diese Einheit findet er darin, daß das "Ich denke" alle meine Vorstellungen muß begleiten können. Er nennt sie selbst "die Einheit des Bewußtseins", und sagt:
    "Folglich ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, folglich ihre objektive Gültigkeit, folglich, daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht, und worauf folglich selbst die Möglichkeit des Verstandes beruth."
Also die Sache steht bei ihm so. Durch die Tätigkeit des Verstandes, nachdem wir vermöge der Sinnlichkeit nur rezipiert haben, kommt erst unsere *objektive Erkenntnis zustande, und seine Tätigkeit ist die der Synthesis, damit aus der bloßen Vorstellung Erkenntnis wird. Diese Synthesis des Verstandes wäre aber gar nicht möglich ohne die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption, des Bewußtseins. So sehen wir hier wieder ganz klar, daß KANT ausschließlich den Standpunkt der Reflexion festhält, d. h. eben des Wiederbewußtseins. Wieder fehlt die zugrunde liegende unmittelbare Erkenntnis. Denn in dieser müssen wir die ursprüngliche Einheit suchen; die synthetische Tätigkeit des Verstandes ist nur die Wiederholung jener vor dem Bewußtsein. Nicht die Einheit der Apperzeptionen, sondern die der unmittelbaren und ursprünglichen Perzeptionen ist eben die ursprüngliche synthetische Einheit. Darin, daß meine unmittelbar erkennende Vernunft das eine Subjekt aller Erkenntnis ist, nicht darin, daß ich mir dessen erst mittelbar bewußt werden, liegt der Grund davon. Denn sollte ich auch kein Bewußtsein davon haben, so wäre es doch trotzdem wirklich so. Durch meine ursprüngliche Erkenntnistätigkeit kommt die ursprüngliche Erkenntnis zustande, nicht erst durch die Reflexionstätigkeit, deren Gegenstand jene ist, nicht aber deren Produkt. Wenn ich sage: ich weiß, oder, ich bin mir bewußt, daß ich diesen Turm erkenne: so ist doch offenbar von zweierlei Erkenntnis die Rede; denn ist es nicht so viel, als sagte ich: ich erkenne, daß ich den Turm erkenne? Welches Erkennen ist nur das ursprüngliche? Doch ohne Zweifel, das Erkennen des Turms, und nicht das Erkennen, das Bewußtsein, daß ich diese Erkenntnis habe. Denn dieses letztere Erkennen wäre ja ohne jenes gar nicht möglich. Wenn KANT die synthetische Einheit der Apperzeption durch jenen Satz erklärt: "Das Ich denke muß alle meine Vorstellungen begleiten können", so ist doch wieder offenbar, daß hier von zwei Vorstellungen die Rede ist, von einer ursprünglichen und ersten und von einer anderen, die in Begleitung jener ist oder sein kann. -

So sehen wir hier denselben Mangel der Beobachtung: KANT geht zur Erklärung unserer Erkenntnis nur auf die Art und Weise zurück, wie wir sie uns vor dem Bewußtsein hinstellen, ohne die Erkenntnis zu beachten, auf welche sich das Bewußtsein bezieht. Allerdings sagt das Bewußtsein: ich bin mir bewußt, das eine Subjekt aller meiner Erkenntnisse zu sein. Aber ich könnte das doch nicht sagen, wenn nicht das wirkliche Erwerben dieser Erkenntnisse vorhergegangen wäre. Das Ich in dem "Ich denke" KANTs, seine reine und ursprüngliche Apperzeption ist nicht das Ursprüngliche, sondern dieses ist vielmehr das Ich in dem "Ich erkenne". Jenes gehört der Reflexion, dieses der unmittelbaren Erkenntnis an.

In der ersten Ausgabe der Kr. d. r. V. im Abschnitt "Von den Gründen a priori zur Möglichkeit der Erfahrung" heißt es:
    "Wenn ich also dem Sinn deswegen, weil er in seiner Anschauung Mannigfaltiges enthält, eine Synopsis beilege, so korrespondiert dieser jederzeit eine Synthesis, und die Rezeptivität kann nur mit Spontaneität verbunden, Erkenntnisse möglich machen. Diese ist nun der Grund einer dreifachen Synthesis, die notwendigerweise in aller Erkenntnis vorkommt: nämlich der Apprehension der Vorstellungen, als Modifikationen des Gemüts in der Anschauung, der Reproduktion derselben in der *Einbildung, und ihrer Rekognition im Begriff. Diese geben nun eine Leitung auf drei subjektive Erkenntnisquellen, welche selbst den Verstand und, durch diesen, alle Erfahrung als rein empirisches Produkt des Verstandes möglich machen."
Auch in diesem Satz KANTs scheint mir der angebene Mangel seiner inneren Selbstbeobachtung ganz unverkennbar zu sein. Ihm ist der Verstand das eigentliche Vermögen der Synthesis, - und doch spricht er hier von einer Synopsis in der Anschauung, der eine Synthesis nur korrespondiert. So muß er wohl sagen, weil er die Anschauung nur als Rezeptivität ansieht, die Synthesis aber Spontaneität ist. Allein jene Synopsis ist doch schon in der Tat eine Synthesis, eine Zusammensetzung und Verbindung in der Anschauung, und nicht erst durch den Verstand. Das gerade ist sein Irrtum, daß er die Anschauung nur für Rezeptivität hält, und lehrt, erst durch den Verstand komme es zur Erkenntnis. Nein, Sinnesanschauung ist sinnesanschauliche Erkenntnis durch die Selbsttätigkeit unseres Erkenntnisvermögens infolge der Rezeptivität, d. h. seiner Erregbarkeit. Das eben ist die unmittelbare Erkenntnis, und nicht die reflektierte des Verstandes. Und, wenn KANT hier von einer Reproduktion und einer Rekognition redet: so ist doch wohl klar, daß eine solche nicht möglich ist ohne eine ursprüngliche Produktion und Kognition. Jene Apprehension, Reproduktion und Rekognition sollen, sagt KANT, den Verstand erst möglich machen. Wie? Wenn aber nach ihm Verstand erst überhaupt Erkenntnis möglich macht, dann wäre er ja das ursprüngliche Erkenntnisvermögen, und könnte doch nicht durch eine andere Erkenntnistätigkeit erst möglich gemacht werden müssen. So tritt der angegebene Beobachtungsmangel auch hier deutlich hervor. Die erkennende Vernunft und ihre Selbsttätigkeit macht die unmittelbare Erkenntnis möglich, nicht der Verstand; eben durch ihre Selbsttätigkeit, und nicht durch die Spontaneität des Verstandes ist das unmittelbar in unserem Innern verknüpfte Ganze der mannigfaltigen Wahrnehmungen, d. h. Erfahrung möglich, während KANT die Erfahrung "ein empirisches Produkt des Verstandes" nennt. Daß´aber so unmittelbar die Erfahrung zustande kommt, das wird mir vollständig klar erst durch die Reflexion des Verstandes. -

Ich hoffe, daß diese einzelnen Hinweise genügen, um deutlich zu erkennen, was ich mit jenem der Kritik KANTs zugeschriebenen Mangel der inneren Selbstbeobachtung meine. Er ist ein Fehler der Erkenntnistheorie, und liegt so der ganzen Kritik zugrunde. Aber dieser Umstand benimmt der eigentlich kritischen Untersuchung KANTs nichts an ihrem hohen Wert, an ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit. Denn so sprach ganz bestimmt KANT die Aufgabe aus, die er sich stellte: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Und diese Aufgabe hat er richtig und vollständig gelöst. Nur durch Reflexion konnte ihm das gelingen, und es gelang ihm mit seinem außerordentlichen Scharfsinn, seinem unermüdlichen Eifer, seiner bewundernswerten Geistesklarheit. Er hat uns gezeigt, wie er den Besitz jener Erkenntnisse a priori gefunden hat, er hat uns klar gemacht, wie sie unserer ganzen Erfahrungserkenntnis zugrunde liegen.

Ich kehre jetzt zu dem Anderen zurück, nämlich dem Fehler, den ich der transzendentalen Deduktion KANTs zum Vorwurf gemacht habe, der allerdings auch mit dem obigen Mangel der inneren Selbstbeobachtung zusammenhängt. Ich habe gezeigt, daß KANT seine Dedution als einen Beweis unserer Erkenntnis a priori ansieht, und diese Beweisführung wieder für Erkenntnis a priori hält. Beides ist Irrtum. Es ist ein altes Vorurteil, das noch jetzt im täglichen Leben wie in wissenschaftlichen Schriften sehr gewöhnlich ist, daß der Beweis allein die rechte Begründung unserer Urteile ist, man nennt das allein wissenschaftlich. Das ist aber ganz falsch. Der Beweis ist vielmehr eine untergeordnete Begründungsweise, denn er leitet nur analytisch ein Urteil von einem andern ab. Darum können Grundurteile nimmermehr durch einen Beweis begründet werden. Neben dem Beweis haben wir, wie angegeben, noch als ebenso gültige Begründungsarten Demonstration und Deduktion. Die Demonstration ist Begründung durch Anschauung, Sinnesanschauung und reine Anschauung. Die Sinnesanschauung ist der Grund unserer empirischen Urteile, die reine Anschauung der unserer notwendigen mathematischen Urteile a priori. Unsere philosophische Erkenntnis kann aber weder durch Beweis noch durch Anschauung begründet werden, durch Beweis nicht, denn sie enthält die Grundurteile unserer Erkenntnis; durch Sinnesanschauung nicht, denn sie ist eine gedachte und notwendige Erkenntnis; durch reine Anschauung nicht, denn sie ist Erkenntnis a priori aus bloßen Begriffen. So bleibt für sie nur Deduktion. Worin besteht nun diese? Sie ist der Nachweis, daß und wie die philosophische Erkenntnis in der Natur unserer erkennenden Vernunft begründet ist. Ich beweise also ihre Wahrheit nicht, denn sie ist ja für sich allgemeine und notwendige Erkenntnis. Daß sie uns aber eine solche ist, davon liegt der Grund in der allgemeinen natürlichen Beschaffenheit unseres menschlichen Erkenntnisvermögens. Also müssen wir zum Zweck jener philosophischen Deduktion uns eine Kenntnis dieses Erkenntnisvermögens zu verschaffen suchen. Wie ist das möglich? Doch offenbar, einzig und allein durch innere Selbstbeobachtung, durch innere Erfahrung. Also wird die philosophische Erkenntnis a priori nicht wieder durch eine Erkenntnis a priori begründet, sondern durch den Nachweis ihres Ursprungs in der Natur unserer erkennenden Vernunft infolge psychisch-anthropologischer Erfahrungserkenntnis. - So steht es mit dem Fehler in KANTs Deduktion. Er hat darin ganz Recht, daß die philosophischen Urteile eine Deduktion als Begründung verlangen; aber diese Deduktion ist nicht Beweis und nicht Erkenntnis a priori, wie er doch meint. Ich will das nun in seiner Kritik nachweisen.

Am Schluß von § 27 gibt KANT einen "kurzen Begriff dieser Deduktion". Er sagt:
    "Sie ist die Darstellung der reinen Verstandesbegriffe (und mit ihnen aller theoretischen Erkenntnisse a priori) als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung, dieser aber als Bestimmung der Erscheinungen in Raum und Zeit überhaupt, - endlich dieser aus dem Prinzip der ursprüngliche synthetischen Einheit der Apperzeption als der Form des Verstandes in Beziehung auf Raum und Zeit, als ursprüngliche Form der Sinnlichkeit."
So beschreibt er klar den ganzen Verlauf seiner kritischen Untersuchungen rückwärts, denn die Deduktion ist das Letzte; er suchte erst die Erkenntnis a priori auf, und dann begründete, bewies er sie. So fand er zuerst die Anschauung a priori, die reine Anschauung von Raum und Zeit als ursprüngliche Form unserer Sinnlichkeit; dann vermöge der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption die Einheit der Erfahrung als Bestimmung der Erscheinungen in Raum und Zeit; endlich die reinen Verstandesbegriffe, durch welche Erfahrung allein möglich ist. Dazu kommt nun seine Deduktion, sein Beweis jener reinen Erkenntnisse a priori aus dem Prinzip möglicher Erfahrung. So sagt er im Abschnitt "Übergang zur transzendentalen Deduktion der Kategorien":
    "Die transzendentale Deduktion aller Begriffe a priori hat also ein Prinzipium, worauf die ganze Nachforschung gerichtet sein muß, nämlich dieses: daß sie als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung erkannt werden müssen (es sei der Anschauung, die in ihr angetroffen wird, oder des Denkens)."
Wie beweist er nun? Er beweist die Notwendigkeit der reinen Anschauung von Raum und Zeit daraus, weil nur in diesen Formen uns ein Gegenstand erscheinen, d. h. ein Objekt der empirischen Anschauung sein kann. Wie aber? Ist das ein Beweis des Raumes und der Zeit selbst? Nein, es ist vielmehr der Nachweis der subjektiven Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit dieser Formen für die Sinnlichkeit unserer erkennenden Vernunft, also eine Begründung jener Anschauungsformen durch die natürliche Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens. Diese können wir aber nicht a priori erkennen, sondern einzig und allein durch innere Selbstbeobachtung, durch innere Erfahrung.

Ebenso verhält es sich mit seinem Beweis für die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien. Er beweist sie daraus, weil nur durch sie überhaupt Erfahrung als das verknüpfte Ganze unserer Wahrnehmungen möglich ist. Aber wiederum, ist das ein Beweis derselben? Beweist er etwa dadurch die Notwendigkeit der Beharrlichkeit der Substanz, der Kausalität, der Gemeinschaft und Wechselwirkung? Nein. Denn, wollte er diese unsere Erkenntnisse a priori aus höheren Wahrheiten beweisen: so müßte er einen Standpunkt über unserer ganzen Erfahrungserkenntnis einnehmen, und etwa aus einem absoluten höchsten Weltgesetz die Notwendigkeit dieser unserer höchsten Naturgesetze herleiten. Das wäre die Idee der Naturphilosophie SCHELLINGs. Aber diese ist nur Phantasie; es ist uns nicht möglich, einen solchen Standpunkt einzunehmen. So ist dann auch KANTs Deduktion der Kategorien kein solcher Beweis, sondern der Nachweis, daß sie notwendig sind für unser menschliche Erfahrungserkenntnis; und daß dies der Fall ist, läßt sich wieder allein zeigen durch die erfahrungsmäßig innerlich erworbene Kenntnis unseres menschlichen Erkenntnisvermögens.

Das also ist der Fehler in KANTs Deduktion: er hält sie für etwas Anderes, als sie ist und sein kann. Wie kam er nun wohl zu diesen Irrtümern? Zuerst, infolge der vorhin nachgewiesenen Mangelhaftigkeit seiner ganzen Erkenntnistheorie. Denn, hätte er das Verhältnis der mittelbaren Erkenntnis zur unmittelbaren erkannt: so würde er eingesehen haben, daß die reinen Begriffe unseres denkenden Verstandes keinen anderen Hintergrund und Halt haben und haben können, als in der Einheit und Notwendigkeit unserer unmittelbaren Erkenntnis. Zweitens, durch das vorhin nachgewiesene Vorurteil für das Beweisverfahren. Endlich drittens, durch seine Stellung zum Empirismus des LOCKE und HUME. Denn, was seine Deduktion Beweis, und berief sich dieser auf innere Erfahrung: so war die philosophische Erkenntnis a priori aus empirischer Erkenntnis abgeleitet, und gerade dieses bestritt er ja den englischen Denkern. Darum hielt er seine Deduktion für eine Erkenntnis a priori. Darauf beruth auch seine fast sonderbare Mißachtung der empirischen Psychologie. KANT redet über sie in der "Architektonik der reinen Vernunft". Er weist ihr ihren Platz an in der angewandten Philosophie, zu welcher die reine Philosophie die Prinzipien a priori enthält, die also mit jener zwar verbunden, aber nicht vermischt werden darf.
    "Also muß empirische Psychologie aus der Metaphysik gänzlich verbannt sein, und ist schon durch die Idee derselben davon gänzlich ausgeschlossen."
Das ist ganz richtig. Verstehen wir unter Metaphysik das System der philosophischen Erkenntnisse a priori, so gehört die empirische Psychologie da nicht hinein, denn sie ist keine Erkenntnis a priori. Wohl aber ist ein Teil derselben eine philosophische Wissenschaft. Ebenso wie die Logik zwar mit der Metaphysik nicht verwechselt werden darf, da jene das System der analytischen, diese aber das der synthetischen Urteile a priori ist, aber doch eine philosophische Wissenschaft ist, weil ihr Gegenstand eine Erkenntnisart a priori betrifft: so ist auch die empirische Psychologie nicht ein Teil der Metaphysik, aber dennoch eine philosophische Wissenschaft insofern, weil wir nur durch sie zur Erkenntnis gelangen können, daß der Besitz unserer philosophischen Erkenntnisse in der Natur unseres menschlichen Erkenntnisvermögens begründet ist. KANT will der empirischen Psychologie, wenn auch nur als Episode, aus ökonomischen Gründen ein Plätzchen in der Metaphysik verstatten,
    "weil sie noch nicht so reich ist, daß sie allein ein Studium ausmachen, und doch zu wichtig, als daß man sie ganz ausstoßen oder anderswo anheften sollte, wo sie noch weniger Verwandtschaft als in der Metaphysik antrifft."
Sonderbar fürwahr! Ist die empirische *Psychologie überhaupt eine Wissenschaft, so muß sie doch als solche in der Architektonik der Wissenschaften einen bestimmten Platz einnehmen, - und KANT sagt selbst, sie habe noch die meiste Verwandtschaft mit der Metaphysik! Das muß doch einen Grund haben. Nun, ich meine, der Grund ist eben kein anderer, als der vorhin angegebene. Die metaphysischen, philosophischen Erkenntnisse bedürfen einer Begründung; diese ist ohne empirische Psychologie, ohne innere Erfahrung nicht zu geben. Denn nur so können wir die Natur unseres menschlichen Erkenntnisvermögens kennenlernen. KANT setzt hinzu:
    "Es ist also bloß ein so lange aufgenommener Fremdling, dem man auf einige Zeit einen Aufenthalt vergönnt, bis er in einer ausführlichen Anthropologie (dem Pendant zur empirischen Naturlehre) seine eigene Behausung wird beziehen können."
Das ist wieder durchaus richtig. Zum Zweck der Deduktion der philosophischen Erkenntnisse werden allerdings zerstreute innere Wahrnehmungen und die bloße Beschreibung innerer Erscheinungen nicht genügen; wir müssen zu einer Theorie des inneren Lebens, einer psychischen Anthropologie zu kommen suchen, um jene von uns gesuchte Ableitung zu finden. War diese auch noch nicht vollständig geliefert, so muß KANT sie doch nach seinen eigenen Worten hier für möglich gehalten haben. Und was sollte uns abhalten oder verhindern, danach zu streben? Eben das war es, was FRIES fest ins Auge faßte. Er bildete sich auf dem Weg gründlicher psychisch empirischer Spekulation jene Theorie, und bemühte sich, von ihr aus die vollständige Deduktion unserer philosophischen Erkenntnis zu geben. Darum nannte er seine Neue Kritik der Vernunft auch eine "anthropologische".

Dieser Fehler in KANTs Deduktion hat dann auch seine transzendentale Dialektik als eine Logik des Scheins herbeigeführt. Nachdem er am Leitfaden der logischen Momente der Urteile die reinen Verstandesbegriffe, die Kategorien entdeckt hatte, leitete er ebenso von den logischen Schlußformen die transzendentalen Ideen her. Aber, konnte er die Anwendung der Kategorien durch den mathematischen Schematismus auf die Erfahrung zeigen, so die höchsten Naturgesetze finden, und dadurch darlegen, daß die objektive Gültigkeit jener Verstandesbegriffe darin liegt, daß sie die Prinzipien möglicher Erfahrung sind: so könnte er natürlich in solcher Weise die Ideen nicht begründen, weil sie transzendent sind und über alle Erfahrung hinausgehen. So meinte er dann, sie seien in theoretischer Philosophie nicht zu begründen, nicht zu deduzieren; es liege ihnen vielmehr ein notwendiger transzendentaler Schein in Trugschlüssen zugrunde; denn beweisen würden sie sich theoretisch nicht lassen. So verleitete ihn auch hier das Vorurteil für die Notwendigkeit des Beweises zu dem Grundirrtum seiner transzendentalen Dialektik. Denn es ist nicht möglich, daß unsere Vernunft, die unser oberstes und höchstes Erkenntnisvermögen ist, von einem notwendigen Schein in Trugschlüssen sollte beherrscht sein. Wäre das der Fall, so wäre unsere Vernunft überall keiner Erkenntnis der *Wahrheit fähig, und wie sollte diese trügerische Vernunft ihre eigenen Trugschlüsse zu entdecken und zu beurteilen imstande sein? Aber KANTs Dialektik hat, von dieser Mißdeutung abgesehen, einen außerordentlich hohen Wert. Denn mit unübertrefflicher Klarheit hat er gerade gezeigt, daß alle Versuche, die Ideen der Unsterblichkeit der Seele und der Gottheit zu beweisen, irrige und verfehlte waren, in den Antinomien der Vernunft aber aufgedeckt, daß unserer Vernunft eine zweifache Ansicht der Dinge gehört, eine empirische und eine ideale, und hat er dafür die richtige Lösung gegeben mit seinem transzendentalen Idealismus.

Zeigt er aber, daß in spekulativer Vernunft zwar eine Deduktion der Ideen nicht möglich ist, meint er doch, in der *Kritik der praktischen Vernunft* moralische Beweise für sie zu geben. Hier sehen wir wieder sein Vorurteil für den Beweis und seine irrige Ansicht von demselben. Denn beweist er wirklich die Ideen, wie er doch meint? Ich sage: Nein. Denn wie begründet er sie? Er zeigt, daß sie notwendige Postulate unserer praktischen Vernunft sind, daß das autonome Sittengesetz, das wir faktisch in uns finden, die Ideen von der Unsterblichkeit der Seele, der *Freiheit des Willens* und der Gottheit voraussetzt. Sind aber die Ideen notwendige Voraussetzungen für die Geltung des Sittengesetzes, so würde ja aus ihnen umgekehrt dieses bewiesen werden. Nun hat KANT so trefflich gezeigt, daß das Sittengesetz in sich seine unzweifelhafte Notwendigkeit hat, und darum eines Beweises gar nicht bedarf. Wiederum aber können die Ideen der Unsterblichkeit und der Gottheit nicht abgeleitete Wahrheiten sein, die erst aufgrund einer höheren Wahrheit gelten. Wie können wir mit unserem Sittengesetz etwas über die Ewigkeit unserer Seele und die Gottheit bestimmen? Also, auch hier ist das, was KANT Beweis nennt, etwas ganz Anderes; es ist in der Tat der psychisch-anthropologische Nachweis, in wie genauem Zusammenhang unsere ethischen Grundwahrheiten mit den Ideen stehen; sie gelten unserer Vernunft mit gleicher Notwendigkeit, können aber nicht auseinander bewiesen werden. Denn unser notwendiges *Moralgesetz hat wirklich selber eine ideale Grundlage. Der kategorische Imperativ KANTs, das autonome Gebot "Du *sollst", wäre nicht möglich, ohne die Überzeugung von unserer Willensfreiheit. Allein diese ist Idee, und darf nicht verwechselt werden mit der natürlichen psychologischen Freiheit. Denn diese ist nur eine Freiheit von äußerer Notwendigkeit, nicht aber von innerer Gesetzmäßigkeit. Wir sind nicht heilige Wesen, in denen die Überzeugung von der Heiligkeit des moralischen Gebots unmittelbar und notwendig zur guten Handlung führen müßte. Dazu gehört, daß jene Überzeugung auf der entscheidende Antrieb zu Entschluß und Tat wird. Diese Freiheit besitzen wir aber hier nicht, denn wir müssen immer für möglich halten, daß unter Umständen ein fremder Antrieb mit größerer Intensität uns gegen unsere eigene innereste Überzeugung untreu werden läßt. Daher das *religiöse Gefühl der Sündhaftigkeit. Also mit diesem innersten Zusammenhang zwischen unserer moralischen Überzeugung und den Ideen hat KANT vollkommen Recht, aber seine moralischen Beweise sind niemals Beweise für die Ideen.

FRIES dagegen bei seiner anderen und, wie ich gezeigt zu haben glaube, allein richtigen Ansicht von der philosophischen Deduktion war imstande, dieselbe gleichmäßig für die Kategorien wie die Ideen zu geben. Er weist aus der natürlichen Beschaffenheit unserer menschlichen Vernunft nach, daß jene sowohl wie diese notwendige Grundwahrheiten derselben sind. Denn die Kategorien mit ihrem mathematischen Schematismus bringen uns die höchsten, notwendigen Naturgesetze für unsere empirische Erfahrung zum Bewußtsein, die *Ideen aber gehören der idealen Ansicht der Dinge an, und lassen deshalb allein einen ethischen Schematismus zu. Sie sind nicht Selbsttäuschungen unserer Vernunft, sondern Vernunftwahrheiten, notwendige Überzeugungen von ewiger Wahrheit, und haben in unserer vernünftigen Erkenntnis einen negativen Ursprung nach dem Grundstz der Vollendung in unserer Vernunft durch eine Negation der Schranken unserer empirischen Erfahrungserkenntnis.

Also das ist das Resultat meiner Untersuchung und meines Vergleichs der Ansichten von KANT und FRIES: unsere philosophischen Erkenntnisse, die notwendigen Grundwahrheiten unserer Vernunft jeder Art fordern allerdings eine Begründung. Diese ist die philosophische Deduktion. Diese ist aber nicht Beweis und nicht wieder Erkenntnis a priori, sondern der psychisch anthropologische Beweis, daß sie ihren Grund haben in der natürlichen Beschaffenheit unserer erkennenden Vernunft.

Es bleibt mir jetzt noch übrig, zu zeigen, daß auch in den neueren philosophischen Schriften ein rechtes Verständnis der philosophischen Deduktion, ihrer Bedeutung und der Art und Weise ihrer Erkenntnis zu finden ist. Es wird mir möglich sein, aufgrund der vorhin gegebenen Darstellung und nach ihrem Maßstab die abweichenden Meinungen als Mißverständnisse und Irrtümer erkennen zu können.

Ich beginne mit der trefflichen Schrift von JÜRGEN BONA-MEYER "Kants Psychologie". Ich begegne hier zu meiner Freude einem Philosophen, der neuerdings wie kein anderer, - ich nehme natürlich die eigentlichen Schüler von FRIES aus, denn als einen solchen darf ich BONA-MEYER selbst wohl nicht ansehen -, der, sage ich, die große Bedeutung von FRIES' Philosophie erkannt und anerkannt hat. Er sagt: FRIES habe nach einer gewissen Seite KANTs Philosophie in trefflicher Weise ergänzt, und auch in der Logik seien seine Bemühungen die besten Ergänzungen und wahre Fortschritte auf dem Boden der kantischen Philosophie. Dennoch gibt er FRIES in Betreff des Themas, das ich hier bespreche, nicht in allen Stücken Recht, und diese Punkte, in denen er FRIES tadelt, sind es allein, welche ich für meinen Zweck hier ins Auge zu fassen und zu erläutern habe.

Der erste Tadel, den BONA-MEYER gegen FRIES ausspricht, ist nur ein formaler. Er behauptet nämlich: "Fries schreibt nicht präzise, seine Ansichten lassen sich bündiger ausdrücken." Ich bin nicht ganz sicher, wie ich das zu verstehen habe. Soll es so viel heißen, als daß FRIES in seiner Darstellung und Ausdrucksweise nicht fest, bestimmt und genau ist: so muß ich das durchaus bestreiten. Vielmehr ist er immer scharf und konsequent in seinen Abstraktionen und in der Bezeichnung derselben; ein Hin- und Herflunkern, ein willkürliches Abweichen von seine einmal klar und deutlich gegebenen Bestimmungen wird man ihm nirgends nachweisen können. Das aber gebe ich zu: er ist in seinen Auseinandersetzungen oft zu kurz, nicht auf den ersten Blick klar und leicht verständlich. Das aber kommt daher, daß er in seinen philosophischen Werken nie ein größeres Publikum vor Augen hat, nie die Absicht hat, wie wir zu sagen pflegen, populär zu sein, sondern er setzt nur gute scharfe Denker, nur solche voraus, die wie er sich um die Philosophie als strenge und systematische Wissenschaft bemühen. Auch eine genaue eigene Kenntnis der Philosophie KANTs und einen größeren und weiteren Umblick auf das ganze Gebiet der Philosophie von jedem besonderen Punkt aus traut er denen zu, für welche er schreibt, eine Energie des Denkens, die freilich in dem Maße, wie er sie selber besessen hat, nur sehr Wenigen eigen ist und sein kann. Daß FRIES aber für gute und wissenschaftliche Denker klar und bündig genug ist, das beweist BONA-MEYER selbst am besten durch die klare Wiedergabe der philosophieschen Ansichten desselben in seiner Schrift. -

BONA-MEYER beginnt sein Werk mit einem historischen Rückblick auf die verschiedenen Ansichten über das Verhältnis der Philosophie KANTs zur Psychologie, und schildert hier im Besonderen mit eigenen Auszügen aus FRIES' Schriften klar und genau referierend dessen Meinung darüber. Um sich über die vorgebrachten so mannigfaltigen und so sehr voneinander abweichenden Ansichten zu verständigen, faßt BONA-MEYER dann ins Auge, welche Aufgabe KANT selbst seiner Vernunftkritik gibt, welche Stellung er ihr im System der philosophischen Erkenntnis anweist. Hier sagt er:
    "Auch Fries irrt, wenn er behauptet, die Transzendentalphilosophie habe Kant allein als reine Philosophie gegolten."
Er meint, dem Streit der Meinungen über diesen Punkt durch seine Darstellung des Verhältnisses der verschiedenen philosophischen Disziplinen zueinander nach KANT, indem er ein tabellarisches Schema gibt, ein Ende zu machen. Ich glaube nicht, daß ihm dies gelungen ist; es konnte ihm, wie er die Sache anfaßt, auch nicht gelingen. Denn er sagt selbst, obwohl KANT ein großes Gewicht legt auf eine bestimmte Unterscheidung der wissenschaftlichen Disziplinen, so verfährt er doch selbst im Gebrauch dieser Unterschiede nicht immer streng, er macht KANT ein Schwanken der Äußerungen über Vernunftkritik, Transzendentalphilosophie und Metaphysik zum Vorwurf. Aber, wenn dem so ist, können wir doch offenbar zur rechten Klarheit und Verständigung nicht dadurch kommen, daß wir uns allein darauf beziehen, wie KANT hier oder dort seine Einteilung aufstellt. Wir müssen uns anders zu helfen suchen.

Die große Schwierigkeit, uns hierüber zu verständigen, liegt eigentlich darin, daß KANT selber uns einzig und allein die Vernunftkritik vollständig geliefert hat, aber weder die Metaphysik noch die Transzendentalphilosophie. Ein anderer Übelstand ist der, daß die Bezeichnungen "Metaphysik" und "Philosophie" bald in einem weiteren, bald in einem engeren, ja, wohl auch in einem engsten Sinn gebraucht werden. Am unklarsten ist hier die Stellung der Transzendentalphilosophie zur Philosophie überhaupt, denn jene Bezeichnung ist eine KANT ganz eigentümliche. Ich meine doch, daß so, wie ich in meiner obigen Abhandlung das Verhältnis der drei philosophischen Disziplinen, Metaphysik, Kritik und Transzendentalphilosophie, zueinander nach FRIES angegeben habe, die Sache allein klar und verständlich ist, indem wir für eine solche Einteilung den notwendigen Grund zugleich leicht erkennen. Denn darüber scheinen doch so ziemlich Alle einverstanden, daß Metaphysik das *System der philosophischen Erkenntnis ist. In dieser Weise spricht auch KANT darüber in der Einleitung; er sagt immer, wahre Philosophie, wahre Metaphysik sei bisher noch nicht geliefert, da es an der rechten Methode gefehlt hat, um die philosophischen Erkenntnisse aufzufinden. So viel ich weiß, hat KANT selbst in der Kr. d. r. V., nämlich in der Architektonik und in der *Einleitung der "Kritik der Urteilskraft"* ausführliche Sonderungen der verschiedenen philosophischen Disziplinen gegeben. Auch diese beiden Einteilungen stimmen nicht völlig überein. Nach ihnen hat BONA-MEYER ein tabellarisches Schema entworfen, aber auch hier gehen die Bezeichnungen im engeren und weiteren Sinn durcheinander, und manche Stellengebung darin ist ohne Zweifel falsch, z. B. die empirische Psychologie, die Moral und die *Ästhetik werden in gleicher Weise "zur empirisch angewandten Philosophie gerechnet, als Vernunfterkenntnis aus empirischen Prinzipien. Aber empirische Psychologie ist doch gewiß Wissenschaft aus innerer Erfahrung; *Moral und Ästhetik dagegen haben keine empirischen Prinzipien, und sind doch keine Erfahrungswissenschaften. Allein auf all das näher einzugehen, ist hier nicht meine Aufgabe. Am klarsten treten bei KANT aber die drei Disziplinen auseinander: Kritik, Transzendentalphilosophie und Metaphysik: und ich meine, das Verhältnis derselben zueinander läßt sich so am deutlichsten einsehen, wenn wir nur festhalten, daß Metaphysik das eigentliche System, die systematische Ordnung und Zusammenstellung der philosophischen Erkenntnisse ist. Da begreift sich dann leicht, daß wir doch wissen müssen, wie wir zur Kenntnis jener Erkenntnisse gekommen sind.

Nun, offenbar ist das durch eine Kritik unserer Vernunft geschehen. So würde dann drittens noch die Beantwortung der Frage übrig bleiben: wie kommt es, daß wir gerade diese philosophischen Erkenntnisse in unserer Vernunft besitzen? Und darauf gibt eben die Transzendentalphilosophie die Antwort. Hier beschuldigt nun BONA-MEYER in Bezug auf die letztere FRIES eines Irrtums, nämlich darin, daß dieser behaupte, die Transzendentalphilosophie habe KANT allein als reine Philosophie gegolten, und er meint, eben wegen dieses Irrtums habe FRIES die Transzendentalphilosophie KANTs falsch aufgefaßt und unrichtig bezeichnet. Vom letzteren Punkt, dem wichtigsten, ist später ausführlich die Rede; hier will ich zhuerst jenen angeblichen Irrtum von FRIES beleuchten. BONA-MEYER hat, wir mir scheint, einen Satz in der *Einleitung der "Neuen Kritik der Vernunft"* von FRIES Seite 29 nicht ganz verstanden. Es ist zwar richtig, daß KANT in der Architektonik der Kr. d. r. V. sagt:
    "Die im engeren Verstand sogenannte Metaphysik besteht aus der Transzendentalphilosophie und der Physiologie der reinen Vernunft."
Verstehen wir nun unter Metaphysik, wie BONA-MEYER es auch in seinem Schema tut, das System der reinen Vernunft, richtiger, der reinen Vernunfterkenntnisse: so hat er Recht, zu sagen, nach KANT sei die Transzendentalphilosophie nur ein Teil der Metaphysik. Aber es läßt sich doch nicht leugnen, daß KANT, wie ich früher gezeigt habe, seine transzendentale Erkenntnis zwar als eine Erkenntnis a priori betrachtet, aber doch als eine solche, die sich von jeder anderen unterscheidet. Und das ist, was FRIES in dem angegebenen Satz ins Auge faßt. Er meint, bei KANT sei die transzendentale Erkenntnis diejenige, durch welche wir einsehen, welche Erkenntnisse a priori untere Vernunft besitzt, und wie sie in ihr entspringen; er unterscheidet sie von der metaphysischen, welche doch die eigentlich philosophische ist; transzendentale Prinzipien seien ihm solche, welche aus reinen Erkenntnisse a priori für sich entstehen, wogegen in der metaphysischen immer ein Begriff a priori auf einen durch Erfahrung erst zu gebenden angewandt wird. Und diese Behauptung von FRIES nennt BONA-MEYER einen Irrtum. Ich kann aber durch einen eigenen Satz KANTs, in welchem gerade dasselbe Beispiel angegeben wird, welches FRIES an jener Stelle herbeizieht, beweisen, daß FRIES nicht im Irrtum ist. Gleich in der Einleitung der Kr. d. r. V. am Schluß des Abschnitts I sagt KANT:
    "Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigen rein, denen gar nichts empirisches beigemischt ist. So ist z. B. der Satz: eine jede Veränderung hat ihre Ursache, ein Satz a priori, allein nicht rein, weil Veränderung ein Begriff ist, der nur aus der Erfahrung gezogen werden kann."
Nun werden wir doch darüber einverstanden sein, daß der beispielsweise angeführte Satz ein metaphysischer ist. Wenn nun KANT darüber noch eine andere Erkenntnis a priori stellt, und diese nur als rein a priori bezeichnet: welche Erkenntnis meint er dann? Ohne Zweifel die transzendentale, denn wir haben gesehen, daß er diese auch für eine Erkenntnis a priori ansieht, und zwar für diejenige, durch welche er die metaphysische Erkenntnis a priori beweisen will. Darum meine ich, FRIES hat mit seiner Behauptung Recht. - BONA-MEYER bespricht die Folgen des angeblichen Irrtums von FRIES, denn er meint, in ihm den Grund zu finden, weshalb FRIES den KANT tadelt hinsichtlich seiner Ansichten über den Wert der Psychologie überhaupt und der Bedeutung derselben im Besonderen für die philosophische Spekulation. Er zieht als erste Hauptfrage in Betracht, wie es sich mit der psychologischen Grundlage der kritischen Gesamtarbeit KANTs verhält. Er zeigt, daß KANT ausgeht von den drei Grundvermögen der Seele, dem Erkenntnis-, Gefühls- und Begehrungsvermögen, und daran die besonderen Vermögen derselben anknüpft. Er bekämpft *HERBART, der diese Lehre KANTs von den verschiedenen Seelenvermögen verworfen hat, und endet diesen Abschnitt damit, daß er sagt, er habe bewiesen, daß KANT seinen kritischen Arbeiten eine im Wesentlichen richtige psychologische Grundlage gegeben und dieselbe mit klarem Nachdenken gerechtfertigt hat. Aber das alles trifft die abweichenden Ansichten von FRIES gar nicht; hier stimmt BONA-MEYER mit ihm völlig überein. Denn FRIES hat wiederholt in seiner Geschichte der Philosophie und an anderen Orten die Irrtümer der Philosophie HERBARTs klar nachgewiesen und den Grund derselben aufgedeckt.-

Als zweite Hauptfrage bezeichnet BONA-MEYER, ob KANT innerhalb seiner kritischen Arbeit seine Hauptentdeckung, die des Apriorischen auf den verschiedenen Gebieten der Seelenvermögen, mittels psychologischer Selbstbeobachtung gemacht hat oder überhaupt auch nur hat machen können. Hier sagt er nun:
    "Fries hatte eine solche psychologische Auffindung des Apriori angenommen, aber behauptet, Kant selbst habe, getäuscht durch seinen Transzendentalismus, das Wesen der von ihm geübten Reflexion, und somit die psychologische Natur seiner Entdeckung verkannt."
Auch hier steht BONA-MEYER hinsichtlich der Art und Weise der Entdeckung der philosophischen Erkenntnis durch KANT mit ÜBERWEG auf Seiten von FRIES gegen ULRICI, LIEBMANN und KUNO FISCHER. Allein er behauptet:
    "Fries hatte somit Unrecht, wenn er behauptete, Kant habe diese psychologische Natur seiner eigenen Untersuchung verkannt, weil er das Wesen der Reflexion nie begriffen hat."
In diesem Streit gegen FRIES' Behauptungen über die Fehler der Kritik KANTs werden zwei Punkte nicht klar und scharf genug unterschieden, und daher rühren die Mißverständnisse der Lehren von FRIES. Das ist der Fall bei *KUNO FISCHER, so auch hier bei BONA-MEYER. Der erste Punkt ist der Streit darüber, ob FRIES Recht hat, wenn er behauptet, KANT habe die Erkenntnisse a priori, die philosophischen Erkenntnisse unserer Vernunft auf dem Weg der inneren Selbstbeobachtung, der Reflexion entdeckt, sei sich aber über das Wesen der Reflexion selber nicht klar gewesen. Der andere Punkt aber betrifft KANTs transzendentale Deduktion, seine Art, die philosophischen Erkenntnisse a priori zu begründen, und von dieser behauptet FRIES, daß sie fehlerhaft ist. Was den ersteren Punkt betrifft, so nimmt BONA-MEYER KANT in Schutz, indem er sagt:
    "Daraus ersah Kant deutlich, daß unmittelbares Selbstbewußtsein zur *Auffindung des Apriori* nicht genügt, daß vielmehr die Selbstbesinnung noch der Hilfe wissenschaftlicher Analyse und Reflexion bedarf. In diesem Sinn lehnte er also mit Recht die bloße Selbstbeobachtung als Mittel zur Entdeckung des a priori ab, aber gewiß nicht die durch wissenschaftliche Analyse und Reflexion geleitete Selbstbesinnung."
Auch diese Ansicht BONA-MEYERs trifft FRIES' Behauptung nicht recht. Die wesentliche Unterscheidungt zwischen Selbstbeobachtung und Selbstbesinnung ist mir nicht klar. Unter Selbstbesinnung kann man sich doch nichts Anderes denken, als das Lenken der *Aufmerksamkeit auf das, was im Inneren vorgeht, und Selbstbeobachtung ist eben die Folge davon. BONA-MEYER stellt unmittelbares Bewußtsein gegenüber der Selbstbesinnung. Aber jenes ist kein Selbstbeobachten. Wenn ich nur das an mir vorübergehen lasse, was momentan und unmittelbar in meinem inneren Sinn fällt: so kann von einem genauen Selbstbeobachten nicht die Rede sein, denn dieses setzt eine Lenkung des Blickes, der Aufmerksamkeit, das Festhalten des *Gegenstandes voraus. Nur dem Grad nach kann die Selbstbeobachtung verschieden sein, und gewiß, wir reden bei KANT allein von tieferer, gründlicher Selbstbeobachtung, von wissenschaftlicher Reflexion. Aber das ist es ja gar nicht, worauf sich der Vorwurf von FRIES bezieht. Im Gegenteil, er ist durchaus der Überzeugung, daß KANTs kritische Methode die einzig richtige des Philosophierens ist, und unter allen Schülern KANTs hat er dies am klarsten erkannt, und keiner ist in dieser Beziehung KANT so treu geblieben wie er. FRIES erkennt an, daß KANT den allein richtigen Weg zur Entdeckung der philosophischen Erkenntnisse, der synthetischen Urteile a priori eingeschlagen und verfolgt hat, er hält an seiner Ableitung der Kategorien am Leitfaden der logischen Momente der Urteile fest. Aber während der Verlauf der kritischen Reflexion KANTs ein richtiger ist, behauptet FRIES, trotzdem sei KANT über das Wesen und die Bedeutung der Reflexion nicht ganz klar gewesen. Und der Grund davon liegt in einem Mangel der inneren Selbstbeobachtung. KANT will das Erkenntnisvermögen der menschlichen Vernunft prüfen, kritisch beleuchten. Nun schilder er das innere Leben derselben so, wie wir es reflektierend auffassen. Der reflektierende Verstand ist ihm das einzige Vermögen *objektiver Erkenntnis. Dahinter sieht er sogleich die Dinge selbst. So begründet er die Einheit und Notwendigkeit in der Natur der Dinge durch die Einheit der *Apperzeption, d. h. des Bewußtseins, der Reflexion. Da hat nun FRIES gezeigt, daß dazwischen noch die unmittelbare Erkenntnis unserer Vernunft steht. Denn durch Reflexion werden wir und mittelbar nur der Einheit und Notwendigkeit in unserer ursprünglichen und unmittelbaren Erkenntnis bewußt. Und eben dies meint FRIES mit seinem Vorwurf: KANT habe das Verhältnis der mittelbaren Erkenntnis zur unmittelbaren, das des reflektierenden Verstandes zur unmittelbar erkennenden Vernunft nie klar eingesehen. Und darin hat er ohne Zweifel Recht. -

Der andere Punkt ist die transzendentale Deduktion. Und gerade diese, welche hier mein eigentliches Thema ist, versteht auch BONA-MEYER nicht recht, und darum auch FRIES' Behauptung nicht, diese sei bei KANT fehlerhaft. Zwar bemerkt er richtig, sie diene bei KANT zur wissenschaftlichen Rechtfertigung der Erkenntnis a priori, obwohl richtiger gesagt werden muß: zur "Begründung" derselben. Denn einer "Rechtfertigung" bedarf sie nicht, da wir sie ja durch Kritik im Besitz der menschlichen Vernunft aufgefunden haben. BONA-MEYER sagt:
    "sie bestand darin, daß die apriorischen Anschauungsformen, Verstandesbegriffe und Vernunftideen als Grundbedingungen zur Möglichkeit aller Erfahrung dargestellt wurden."
Das ist für die reinen Anschauungsformen und die reinen Verstandesbegriffe richtig, denn KANT will sie beweisen aus dem Prinzip "möglicher Erfahrung". Aber für die Vernunftideen ist das falsch; denn, wie konnte er sie aus diesem Prinzip deduzieren, da sie transzendent sind, d. h. über alle mögliche Erfahrung hinausgehen? Vielmehr in der Kr. d. r. V. begründet er sie für spekulative Vernunft durch ihre Dialektik, d. h. durch die Logik des Scheins; durch einen notwendigen transzendentalen Schein werde die Vernunft in Trugschlüssen zu ihnen geführt. Die eigentliche Deduktion derselben gibt KANT erst durch seine moralischen Beweise in der Kritik der praktischen Vernunft. BONA-MEYER fährt fort:
    "Kant konnte in dieser Deduktion irren; aber soweit dies nicht der Fall war, mußte sie allerdings den vollgültigen wissenschaftlichen Beweis für die Richtigkeit seiner Entdeckung liefern."
Er meint dann, es sei begreiflich, daß KANT mehr Aufmerksamkeit auf diese seine transzendentale Deduktion verschwendet hat, als auf den psychologischen Gang seiner Kritik und behauptet, die Äußerungen KANTs darüber bezeichnen deutlich den von ihm genommenen Weg als den der psychologischen Analyse und Reflexion. Diese letztere Behauptung ist offenbar gegen FRIES gerichtet, weil er sich dahin ausgesprochen und nachgewiesen hat, daß KANT die psychisch-anthropologische Natur der philosophischen Deduktion durchaus verkannt hat. Aber alle diese Bemerkungen BONA-MEYERs zeigen deutlich, daß er den Tadel, den FRIES gegen KANTs Deduktion ausgesprochen hat, gar nicht verstand. FRIES zeigt, KANTs Fehler bestehe darin, daß er die Deduktion als Beweis der Erkenntnis a priori angesehen, und die Erkenntnisweise derselben wieder für eine Erkenntnis a priori gehalten hat. Ich habe darüber in meiner obigen Abhandlung ausführlich gesprochen. Die Begründung der philosophischen Erkenntnisse durch Deduktion kann nicht Beweis sein, denn jene sind nicht abgeleitete, sondern allgemeine und notwendige Wahrheiten unserer Vernunft. Die Erkenntnisweise der Deduktion kann auch nicht Erkenntnis a priori sein, denn dann forderte diese wieder eine Deduktion uns fort immer aufs Neue. Die Deduktion ist ganz anderer Art.

Da wir durch Kritik entdeckt haben, daß unsere Vernunft im Besitz von Erkenntnissen a priori ist, so kann ihre Begründung einzig und allein darin bestehen, daß wir nachweisen, wie der Grund derselben in der eigentümlichen Natur unserer erkennenden Vernunft liegt. Diese Natur kann doch aber offenbar nur durch gründliche innere Selbstbeobachtung erkannt werden. Also ist die Erkenntnisweise der philosophischen Deduktion keine Erkenntnis a priori, sondern von psychisch-anthropologischer Art. Gerade in der Berichtigung dieser Deduktion und in der Verbesserung der ganzen Erkenntnistheorie ist FRIES über KANT hinausgegangen, und nicht eigentlich, wie BONA-MEYER meint, in der kritischen Aufsuchung und Entdeckung der Erkenntnis a priori. Und wenn BONA-MEYER gegen FRIES sagt:
    "Kuno Fischer hat Recht, hervorzuheben, daß der Beweis der Rechtmäßigkeit des a priori im Sinne Kants mehr ist als eine psychologische Entdeckung":
so sehen wir deutlich, daß KUNO FISCHER jene beiden angegebenen Punkte, die scharf unterschieden werden müssen, miteinander vermengt hat, nämlich die Entdeckung der Erkenntnisse a priori auf dem Weg der Kritik und die Begründung der Erkenntnis a priori durch Deduktion.

Die dritte Hauptfrage der Arbeit BONA-MEYERs betrifft KANTs Stellung zur empirischen Psychologie überhaupt, um die unleugbar von KANT ausgesprochene Abweisung aller psychologischen Empirie von seiner kritischen Aufgabe zu erklären. Auf eine sehr gründliche und klare Weise stellt BONA-MEYER hier die verschiedenen Äußerungen KANTs und die entgegenstehenden Ansichten über diesen Punkt einander gegenüber. Von diesem reichen Inhalt habe ich natürlich hier nur das näher ins Auge zu fassen, was mehr oder weniger gegen FRIES' Ansichten gerichtet zu sein scheint. BONA-MEYER macht sehr richtig darauf aufmerksam, daß bei KANT von der Erfahrung nicht immer im gleichen Sinn die Rede ist. KANT selbst bemerkt einmal, wenn wir von Erfahrungserkenntnissen sprechen: so meinen wir damit in der Regel nur die gegenständliche Erkenntnis, die wir erst durch sinnliche Anregung, äußerlich oder innerlich, gewinnen. KANT selbst aber redet auch von der Erfahrung, als dem erst durch den Verstand verknüpften Ganzen der einzelnen Wahrnehmungen. Ich meine, wir können uns die Sache klar machen, wenn wir den Satz genauer beachten, mit dem KANT seine Kr. d. r. V. beginnt:
    "Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, daran ist gar kein Zweifel. Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung."
Sehr richtig! Denn unsere Erkenntnis beginnt erst dann, wenn uns ein Gegenstand zur Erkenntnis gegeben ist; die Art und Weise aber, wie wir das Gegebene in unsere Erkenntnis aufnehmen, erkennend auffassen, wird uns nicht gegeben, sondern gehört uns selber von Natur, entspringt also nicht erst aus der Erfahrung, kommt aber erst bei der Erfahrung zur Anwendung, zum Vorschein. Und das ist eben der Teil unserer Erkenntnis, welcher Erkenntnis a priori genannt wird. Auf diesen richtigen Satz gründet KANT seine ganze Kritik. Aber er macht dann den Fehler, den reflektierenden Verstand zu verwechseln mit der unmittelbar erkennenden Vernunft. BONA-MEYER wiederholt seine Unterscheidung zwischen Selbstbesinnung und Selbstbeobachtung, und meint, KANT habe nur die durch *Induktion gewonnene innere Erfahrung von seiner Kritik abgewiesen, nicht aber die gründliche Besinnung mit Hilfe der Analyse und Reflexion. Allein damit schützt er KANT vor dem Tadel von FRIES nicht, und verwirrt sich offenbar selber. Denn zuerst gibt er Kant Recht, gleich darauf aber nimmt er selbst sowohl für die Kritik wie auch für die Deduktion den psychologischen Charakter in Anspruch, und sagt:
    "Die Aufwendung verschiedener Erkenntnismittel in verschiedenen Richtungen dieses allgemeinen psychologischen Zwecks bedingt keine Sonderung der Disziplinen."
Und dann heißt es sofort doch, KANT habe nicht gerade die psychologische Natur der apriorischen Erkenntnis verkannt, aber er habe doch aus Vorurteil Anstand genommen, ihr diesen richtigen Namen zu geben. Mir scheint aber, jenes Rechthaben KANTs und dieses Vorurteil gegen die richtige Bezeichnung nicht zu stimmen; denn dieses Vorurteil kann doch nicht bloß gegen das Wort, den Namen gerichtet sein, sondern muß die Sache selbst, eben die empirische Psychologie betreffen. Nein, dadurch verliert der von FRIES ausgesprochene Tadel nichts an Richtigkeit und Bedeutung. Ja, wenn BONA-MEYER diesen Tadel so bezeichnet, als habe KANT die psychologische Natur der apriorischen Erkenntnis verkannt: so muß ich vermuten, daß er doch die Meinung FRIES' selbst nicht ganz verstanden hat. Denn FRIES spricht nicht direkt von einer psychologischen Natur der Erkenntnis a priori, sondern vom psychologischen Charakter der Auffindung und Begründung derselben. Beides erfordert innere Selbstbeobachtung, aber die Art und Weise ist natürlich verschieden, weil Absicht und Ziel verschieden sind. Bei der Aufsuchung analysieren wir reflektierend die Erkenntnisse, wie wir sie im Innern vorfinden, um durch Abstraktion das zu entdecken, was unserer Erkenntnis a priori gehört; bei der Begründung, der Deduktion aber suchen wir die Natur unseres Erkenntnisvermögens im Ganzen zu erforschen, um einzusehen, weshalb wir gerade diese Erkenntnis a priori besitzen. Der Tadel von FRIES ist umso klarer und gegründeter, weil wir dabei klar einsehen, wie KANT zu seinen Fehlern gekommen ist. Wir richtig dieser auch dabei seinen kritischen Weg verfolgt und sein Ziel erreicht: so wurde ihm das Wesen und die Bedeutung der Reflexion doch nicht ganz klar, weil er das Verhältnis der mittelbaren, reflektierten Erkenntnis zur unmittelbaren und ursprünglichen nicht erkannte, die Spontaneität des reflektierten Verstandes verwechselte mit der Selbsttätigkeit der unmittel erkennenden Vernunft. Den psychologischen Charakter der Deduktion mußer er aber verkennen, weil er sie irrtümlich für einen Beweis gehalten hat, und so befürchten mußte, daß man ihn des Empirismus eines LOCKE und HUME beschuldigt, den er doch verworfen hatte.

Schließlich bezeichnet BONA-MEYER den eigentlichen Mangel in den psychologischen Ansichten KANTs, und zeigt, wie wir danach von KANT aus in der Psychologie fortschreiten müssen. Aber darin kann ich ihm nicht beistimmen. Er bekräftigt nämlich zunächst die Wahrheit der Behauptung KANTs, daß wir vom Wesen der Seele kein Wissen besitzen. Dann sagt er:
    "Kants Irrtum aber bestand darin, daß er über dieser Wahrheit die Bedeutung der idealistischen Auffassung der Seele als Theorie verkannte. Die Lehre von der rationalen Psychologie, welche aus der Einheit des Selbstbewußtseins die Selbständigkeit, Einfachheit des Wesens der Seele folgert, ist unrichtig, insofern sie beansprucht, ein sicheres Wissen vom Wesen der Seele zu sein, aber vollständig berechtigt ist sie als idealistische Theorie vom Wesen der Seele, von ihren Erscheinungen und Gesetzen. Als eine solche Theorie hat sie den Beweis ihrer Tauglichkeit gleich jeder anderen Theorie dadurch zu führen, daß sie sich besser als eine andere imstande zeigt, die Erscheinungen des Seelenlebens zu erklären." -
Das aber ist ein Irrtum. Denn Theorie aus Ideen ist nicht möglich; aus *Ideen können wir die empirischen Erscheinungen des Seelenlebens nimmermehr erklären. Gerade umgekehrt, innere Naturlehre muß und kann allein unsere Aufgabe und unser Ziel sein. So deutet es selbst KANT an jener Stelle der "Architektonik" richtig an. Über bloße psychologische Natur*beschreibung müssen wir hinausstreben zu einer wahren inneren Naturlehre, zu einer Theorie des inneren Gefühlslebens, zu einer psychischen Anthropologie, nicht einer "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht", wie KANT sie uns gegeben hat, sondern einer Anthropologie in theoretischer Absicht, um die Erscheinungen des inneren Lebens in ihrem Zusammenhang und ihren Gründen zu verstehen. Und gerade hierfür liefert die gründliche Arbeit BONA-MEYERs einen wertvollen Beitrag, und weil er darin FRIES so nahe steht, wurde ich zu einer umfangreicheren Besprechung seiner Schrift veranlaßt, als eigentlich meine besondere Aufgabe hier verlangt. -
LITERATUR: Carl Grapengießer, Die transzendentale Deduktion, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge, Bd. 65, Halle/Saale 1874