cr-3Spörl - Landauers Wege von der Skepsis zur Mystik 
 
HANNA DELF - JULIUS SCHOEPS
Gustav Landauer - Fritz Mauthner

"Wie soll ich Ihnen für all Ihre Güte danken? Sie haben mir in schlimmer Zeit wieder auf den Damm geholfen. Bitte danken Sie auch dem unbekannten Spender in meinem Namen aufs herzlichste. Ich hätte nicht gedacht, daß mein  Todesprediger  mir so viel Lohn einbringt."


Gustav Landauer an Fritz Mauthner

Straßburg, 11.November 1890

Lieber Herr Mauthner!

Wie ich Sie kenne, werden Sie das, was ich Ihnen jetzt schreiben will, nicht anders auffassen, als es gemeint ist; ich hätte sonst gar nicht den Mut, mich in der Sache an Sie zu wenden.

Schon als ich in Karlsruhe mich noch befand, stand es mir fest, daß ich an einem Wendepunkt meines Lebens angelangt bin und daß ich gerade meinen hiesigen Aufenthalt dazu benutzen wollte, um rasch und bestimmt die Entscheidung zu treffen. Ich habe sie getroffen und in dem Sinne, den ich erwartete.

Obwohl es mir fast seit Beginn meines Studiums fest stand, daß ich weder zum Gymnasiallehrer noch zum Privatdozenten der Philologie geeignet bind, habe ich mich bisher nicht unfleißig dem Studium der Sprach- und Literaturwissenschaft hingegeben; tue das auch jetzt noch. Ihr Rat, den Sie mir in Berlin einmal gaben, jedenfalls ein Examen zu machen, war gut, es mag auch für viele das beste oder einzig richtige sein; ich kann ihn nicht befolgen. Ich müßte Jahre meines Lebens dieser Sache opfern und vollständig hingeben, während ich doch fühle, daß ich wenigstens manchmal im Jahre, besonders an den Abenden und Nächten (da bin ich ein ganz anderer Mensch) Zeit und Stimmung haben muß für andere, für produktiv-künstlerische Arbeit. Andererseits beherrsche ich die Methode der wissenschaftlichen Tätigkeit genügend, daß mich die Art der meisten Herren Dozenten anödet und ich ihrer Materialhäufung, denn darin besteht meist ihr Kolleg, so kritisch gegenüberstehe, wie es sich für einen demütig Studierenden kaum geziemt.

Die Sache liegt demnach so: Meine schriftstellerische (pfui; was für ein Wort!) Begabung in die Breite zerren, mit meinen künstlerischen Neigungen Wasser kochen  will  ich nicht; die meiste Zeit über auf der faulen Haut liegen und warten, bis wieder die Zeit an mich herankommt, wo ich was rechtes schreiben kann, will ich auch nicht; und die viele Zeit, die mir so übrig ist, als Student verbringen, kann ich nicht mehr. Auf ein Examen, das mir doch keinen Beruf eröffnet, den ich ergreifen wollte oder könnte, verzichte ich. Aber Tätigkeit will ich und brauche ich.

Ich nahe mich Ihnen als in aller Bescheidenheit und frage Sie, ob Sie nichts für mich wissen oder mir verschaffen können oder mir wenigstens einen Rat geben. Ich weiß wohl, daß Sie mich fest für die Nebenarbeit, die ich in Berlin bei Ihnen übernahm, für zu jung hielten, aber schließlich kann man nicht alle über einen Leisten schlagen, und vielleicht gehöre auch ich zu denen, die einen besonderen Leisten brauchen.

Ich will frei heraus rede und will auch nicht mit dem zurückhalten: Mein Vater hat es von vornherein sehr ungern gesehen, daß ich Philologie studierte; er hätte gewünscht, daß ich Mediziner oder Jurist geworden wäre. Da er es endlich zugegeben hat, glaubt er bestimmt, daß ich, sobald als möglich ein Examen machen und eine Anstellung bekommen werde. Dennoch ist ihm meine in geringem Umfange betriebene literarische Tätigkeit bisher durchaus nicht mißliebig gewesen und wenn ein Buch von mir erscheint, wird er sich sicherlich  sehr  freuen, wenn er auch vom Inhalt desselben nicht recht erbaut sein mag. Wenn ich ihn mit einem  fait accompli  überraschen könnte und zu ihm zu sagen imstande wäre: Das und das ist mir angeboten worden, ich gedenke es anzunehmen - dann würde er sich kaum dagegen sträuben. Schwer kränken aber würde es ihn, ja es wäre ihm unbegreiflich, wollte ich ihm sagen: Ich hänge das Studium an den Nagel, auf einen der üblichen festen Berufe verzichte ich, ich arbeite für mich. Das geht natürlich gar nicht.

Und wie gesagt: Rezipieren kann ich nunmehr auf eigenem Wege besser als bei den Herren Dozenten, die ein hundertstel brauchbaren Weines mit 99 Teilen Wasse vermischen, für das ich keine Verwendung habe. Daneben aber bedarf ich produktiver Tätigkeit, die mir hier in meiner jetzigen Lebensweise, mehr als recht ist, abgeht.

Warum ich nun Ihnen das alles sage? Was ich von Ihnen denn eigentlich erwarte? Das ist mir selber unklar.

Unter Ihrer Aufsicht, für Sie und Ihr Blatt tätig zu sein, das wäre ein Ziel aufs innigste zu wünschen. Und ich bin stolz genug um zu wissen, daß ich dann  Deutschland  im engen und weiteren Sinne in mancher Hinsicht förderlich sein könnte. Aber ich weiß auch, daß das nicht bei Ihnen allein steht. Wüßte ich das nicht, so hätte ich Ihnen kaum davon geredet.

Und nun lege ich - nein, ich lege nichts in Ihre Hände. Aber ich bitte Sie um eine freundliche Antwort, und wäre Ihnen unendlich dankbar, wenn Sie mir helfen könnten, aus der unsicheren Lage, in der ich mich widerwillig befinde, herauszukommen.

Manches anders läßt mich noch wünschen, jetzt schon einen soliden Grund für meine Zukunft zu zimmern; ich werde es Ihnen nicht näher auseinandersetzen müssen.

Wie gesagt, ich trug mich schon länger mit dem Gedanken, in solchem Sinne an Sie zu schreiben, doch hatte ich mir vorgenommen, erst die endgültige Entscheidung über die Novelle abzuwarten. Doch bin ich bei diesem Vorsatz nicht geblieben, weil ich - Sie wissen es" - ein ungeduldiger Mensch bin und weil der gegenwärtige Zustand mir mehr und mehr peinvoll wird.

Mit herzlichem Gruß in Treue
Ihr Gustav Landauer
Allerheiligengasse 18, I



Fritz Mauthner an Gustav Landauer


...Sie gefällt mir bis zum Schlusse und ich lange geschwankt, ob ich das kecke Werk zum Abdruck bringen soll oder nicht. Ich habe mich endgültig für "nein" entschieden, weil ich eine Anklage nicht für unmöglich halte und mein junges Blatt davor beschützen muß. Ich sende Ihnen aber das Manuskript nicht zurück, weil ich Ihnen den Vorschlag machen möchte: Ich will einen Buch-Verleger dafür suchen, um dann über das Erschienene meine sehr günstige Meinung auszusprechen...



Gustav Landauer an Fritz Mauthner

26.6.1892
Karlsruhe, Kaiserstr. 25B

Lieber Mauthner,

hier erhalten Sie meinen Roman. Da Sie nichts von sich hören lassen, schreibe ich Ihnen und werde selbst bald folgen, wenn Sie mir schreiben, ob ich Sie zu Hause treffe. Ich möchte Sie bitten, mir einen Rat zu geben, an wen ich mich wegen des Verlages wenden soll. Ihn im  Magazin  zu drucken werden Sie keine Lust haben, obwohl er nicht sonderlich umfangreich ist.

Ich möchte Sie bitten, falls Sie die Zeit finden, ihn mehrmals ganz im Zusammenhang zu lesen. Jedenfalls müssen Sie das 2. Kapitel noch einmal lesen, da es Änderungen und Zusätze hat. Das dritte bis fünfte ist für Sie neu.

Mit herzlichem Gruß und der Bittte, mir bald zu schreiben bin ich

Ihr Gustav Landauer



Gustav Landauer an Fritz Mauthner

Bregenz, 20.5.1895
Oberstadt

Lieber Mauthner,

wir sitzen nunmehr wieder in unserem molligen und gemütlichen Heim und es wäre sehr schön, wenn einen die Sorgen zum rechten Leben und Arbeiten kommen ließen. Ein sehr schöner Roman geht mir im Kopfe herum, ein verrücktes Ding, das  Der Eskimoheiland  heißen soll, in Grönland beginnt und in Kastans Panoptikum endet, aber ich komme zu keiner Sammlung. Die Sache mit dem hiesigen Blatt wird aller Voraussicht nach nichts; mit Bestimmtheit sogar nichts. Der Mann ist ganz gut - moralisch; weniger gut scheint er geschäftlich. Er dachte sich, er bekomme die feste Bezahlung und ich übernehme das Risiko, während ich es umgekehrt meinte. Daher auch seine Begeisterung für den Plan. Es fehlt also der Boden zur Verständigung. Die Verhandlungen sind noch nicht total abgebrochen, da der Mann mich eingeladen hat, mich - in irgendwelcher Form - an seinem Geschäft zu beteiligen, wofür ich irgendwelche Beschäftigung, vermutlich an seiner Tageszeitung, haben könnte. Die Sache wird aber scheitern; das Geschäft wird nicht solid genug sein, als daß ich das Geld auftreiben könnte.

Ich habe nun vor, wenn sich mir vorher nichts bietet, bis zum Herbst hier zu bleiben. Findet sich bis dahin absolut keine lohnende Schriftstellerbeschäftigung, so muß ich bis dahin entschlossen sein, Medizin zu studieren, wozu ich, als dem ungefähren Ende meines literarischen Daseins, die denkbar größte Unlust habe. Auch glaube ich nicht, es durchführen zu können, da mein Leben mir dann keinen rechten Sinn mehr hätte.

Wenn Sie also noch etwas für mich finden können, was mich und die Meinigen, ohne mich als Schriftsteller zu beerdigen, nährt etc., so wäre ich Mensch und Schriftsteller Ihnen fürs Leben dankbar. Oder können Sie mir wenigstens raten, wie ich es anstellen muß? Vielleicht erkunden Sie, wenn möglich, was Curt Baake mit mir vorhatte.

Indessen muß ich bis dahin noch leben und meine Hilfsquellen sind versiegt. Ich entschließe mich daher zu der Anfrage, ob sich für erste noch ein lieber Mann finden kann, der mir noch einmal helfen kann? Ich wäre Ihnen und ihnen  sehr  dankbar. Wäre es nicht denkbar - man verfällt auf allerhand Ideen - daß Brahm für sein Theater einen "Dramaturgen" oder so etwas brauchen kann? Ich glaube es zwar nicht.

Meiner lieben Frau geht es verhältnismäßig recht gut; ganz frei von Beschwerden ist sie noch nicht. Unser liebes kleines Kind gedeiht hier sehr erfreulich.

Ich hoffe, es geht Ihnen recht gut. Ich übersende Ihnen gleichzeitig die Broschüre, von der ich Ihnen sprach.

Seien Sie herzlichst gegrüßt, auch namens der lieben Frau.

Ihr getreuer Gustav Landauer



Gustav Landauer an Fritz Mauthner

Bregenz, 16.Juli 1895

Lieber Mauthner,

Wie soll ich Ihnen für all Ihre Güte danken? Sie haben mir in schlimmer Zeit wieder auf den Damm geholfen. Bitte danken Sie auch dem unbekannten Spender in meinem Namen aufs herzlichste. Ich hätte nicht gedacht, daß mein  Todesprediger  mir so viel Lohn einbringt.

Meine liebe Frau wird wohl in wenigen Tagen nach Berlin abreisen - ins Krankenhaus. Eine traurige Fahrt. Möge alles gut werden: Ihr subjektives Befinden ist durchaus günstig; fast ohne jede Beschwerden. Es wäre lieb von Ihnen, wenn Sie sie ab und zu im Jüdischen Krankenhaus, Auguststraße 14/6 besuchen wollten. Ich schreibe Ihnen bald wieder.

Arbeiten Sie nur tapfer weiter, "als ob Sie ein Philosoph" wären. Hoffentlich reißt Ihnen aber nicht gleich mir der Draht ab.

Die Zeitungen riechen jetzt auffällig nach Krieg. Sie sind näher am Pulverfaß und haben eine feine Nase. Ist wohl was dran? In diesem Fall ließe ich mir am besten rechtzeitig ein Schloß vor den Mund machen, um nicht Hochverräter zu werden.

Die herzlichsten Grüße, auch von meiner Frau, die Ihnen gleich mir dankt.

Ihr Gustav Landauer

Ich habe oben vergessen zu bemerken, daß ich mit dem Kind hierbleiben werde. Im Herbst aber werden wir uns doch wohl in Berlin sehen.



Gustav Landauer an Fritz Mauthner

Pankow, 11.2.1896
Spandauerstr.44

Lieber Mauthner,

als ich gestern Abend aus einer imposanten Schneiderversammlung in etwas gehobener Stimmung nach Hause kam und Ihren Brief vorfand, glaubte ich, einige Worte des Dankes vorzufinden für die Huldigung, die ich Ihnen dargebracht. Es kam aber ganz anders, und jetzt bin ich bitter betrübt, daß Sie mir so unrecht und sich so weh tun können. Und daß die Stellen meines Artikels, die mit dem  Willen  geschrieben waren, Ihnen eine Freude zu machen, Sie zu dem Gedanken führten, Ihr Lebenswerk zu vernichten, daß dieser Gedanke so nachhaltig war, daß Sie nur ihn mitteilten - was soll ich dazu sagen?

Die Tatsachen sind folgende:

Aus Gründen, die lediglich in unserer anarchistischen Bewegung zu finden sind, entschließe ich mich, eine Reihe von teilweise polemischen Artikeln zu schreiben, der ich den etwas anspruchsvollen Titel "Zur Entwicklungsgeschichte des Individuums" gebe. Ich benutze die Gelegenheit,  jahrealte  Ideen, zu deren Aufzeichnung ich die Muße nicht finde, anzudeuten; notabene:  Meine  Ideen. Ich kann Ihnen in alten Notizbüchern Aufzeichnungen über  Individuum und Gemeinschaft  zeigen, ebenso über einen großen Plan, von dem ich Ihnen vor langem gesprochen:  Der Organismus ein Herrschaftssystem ... In diesem Buch sollte nur ein kleiner Teil von dem ausgearbeitet werden, was ich noch länger schon plane und wozu ich in Sorau studierte, eine  Kritik der Schopenhauerschen Philosophie.  Meine Excerpte aus SCHOPENHAUER und meine darin enthaltenen eigenen Bemerkungen (in Sorau geschrieben) stehen Ihnen zur Verfügung, zum Beweis, daß was ich in jenen Artikeln geschrieben habe, von Anfang bis zu Ende, inhaltlich  meine  Gedanken sind.

In dem Bewußtsein aber, daß im wesentlichsten Punkte Sie da, was  auch  mein ist schon vorher mein war, viel besser, schärfer, klarer, umfassender, ausgesprochen haben, in dem Gedanken, daß Sie der Mann sind, der das grundlegende Buch dieser neuen Anschauung schreibt, ferner, daß ich nicht mehr  genau  auseinanderhalten kann, was von der Form und dem Ausdruck meiner Gedanken mein ist und was auf Sie zurückgeht, komme ich im Moment des Schreibens auf den Einfall, vorerst nur für Sie verständlich, im Hinblick auf die Zukunft  Ihnen die Priorität zu wahren,  damit es nicht späterhin einem Schurken einfallen kann, mich gegen Sie auszuspielen.

Im Laufe des Artikels kommt mir dann noch, wie klein meine Einfälle gegenüber Ihrem Gedanken und Ihrer Ausarbeitung sind, und ich schließe diesen Artikel mit dem Bewußtsein, Ihnen zu huldigen, mit einem wieder nur Ihnen verständlichen Hymnus auf Mauthner. - Und nun, lieber Mauthner, regen Sie sich so ohne jeden Grund auf, und schreiben mir einen so bösen Brief, wo jedes Wort, das dasteht, und manches, das nicht dasteht, mich aufs tiefste verwunden muß. Sie schreiben, jeder beliebige Broschürenschreiber könne Sie nun um die Frucht Ihrer Arbeit bringen; und damit ich ja diese Stelle im bösesten Sinne verstehen muß, deuten Sie am Schluß die Möglichkeit an,  ich  könne meine Artikel als Broschüre herausgeben. Und dann jene andere Stelle, wo Sie schreiben, daß Sie im Falle des Todes mich mit der Herausgabe des Werkes betrauen wollten; "so aber habe ich's nicht gemeint". Das heißt: Der Landauer hat den Versuch gemacht, schon bei Lebzeiten meine Erbschaft anzutreten und Leichenraub zu treiben.

Nun aber will ich lieber aufhören; denn der Zorn, den ich seit gestern Abend nahen fühlte, ist soeben angelangt.

Lieber Mauthner: Ich habe mich in dem Artikel als Freund gezeigt, der  peinlich  darauf achtet, daß Ihnen bleibt, was Ihnen gehört. Sie aber stellen mich als leichtfertigen Dieb und Verräter hin. Bitte, wir wollen nicht um Worte streiten - wir wollen überhaupt nicht streiten. Es soll mich sogar freuen, wenn es Ihnen wohler geworden ist, dadurch daß Sie mir weh getan haben.

Ich bitte Sie, wenn Sie wieder ruhiger geworden sind, was hoffentlich bald der Fall, um einige Zeilen der Freundschaft; Sie müssen einsehen, daß meine Absichten nicht nur "harmlose" waren (auch dieses Wort ist verletzend, weil es mir nicht  genug  tut), sondern reine und edle.

Endlich: Wirkung, in irgendwelchem Sinne, der Ihren Befürchtungen nahe käme, wird dieser Artikel ganz und gar nicht tun. Kein Mensch außerhalb des  Sozialist-Leserkreises wird ihn beachten; und kein Mensch wird meine Privathuldigung verstehen  können .

Es tut mir von Herzen leid, daß ich Sie , der ich das Gegenteil wollte, in Ihrer Arbeit und Ihrer Gemütsruhe, die Sie dringend benötigen, gestört habe. Möge diese Stimmung des Mißtrauens recht bald weichen, möge Ihre große, gewaltige Arbeit so weiter gedeihen und möge bald der Tag kommen, wo ich mein "Heil dem Manne!", das ich Ihnen jetzt privatim zurief, um einen schwer Geprüften zu erfreuen, auch öffentlich und vor aller Welt bekunden kann.

Mit den herzlichsten Grüßen,  nicht nur  an Sie (wer mag zu dem Unheil beigetragen haben?)

Ihr getreuer G.L.



Gustav Landauer an Fritz Mauthner

Tegel, 27.9.1899

Lieber Mauthner, ich habe schon wieder Bitten.

Wollen Sie mir möglichst umgehend 150 Zigarren zusenden lassen? Da ich täglich  eine  rauchen darf, werden sie gerade ungefähr reichen und ich werde sie als eine Art Kalender benutzen können. Dieser Umstand veranlaßt mich auch zu der Bitte, daß Sie kein kleines Format wählen.

Ich benutze die Gelegenheit gleich zu der Mitteilung, daß ich die Bücher, von denen Sie mir welche schicken wollten, recht bald brauchen könnte. Vielleicht geht es in einem Paket.

Ich werde morgen mit dem Abschnitt  Sprachwissenschaft  fertig werden. Dazu werde ich ihnen nicht viel zu bemerken haben, und nur solches, was sich auf das Druckfertig-Machen bezieht. Indessen bin ich doch der Meinung, daß die Psychologie an den Anfang gehört. Das Ganze ist ja doch Psychologie größten Stils, da müssen die Grundfragen am Anfang behandelt werden, meine ich.

Sie kamen mir das letzte Mal etwas gehetzt vor, bitte schonen Sie sich! Und besuchen Sie mich nur, wenn es Ihre Gesundheit und Ihre Zeit erlaubt. Ich werde auch so getreulich an Ihrem Werk weiterarbeiten. Mir geht es gut.

Mit bestem Gruß Ihr G. Landauer

Noch eine Bitte: Eine Büchse Zahnpasta und eine Schachtel Zahnpulver sollte dem Paket beiliegen. - Ja, ja, das kommt vom Verkehr mit gefangenen Junggesellen!



Gustav Landauer an Fritz Mauthner

30. September 1899

Lieber verehrter Freund,

das tut mir von Herzen leid, daß Sie wieder einmal ausspannen müssen; überrascht hat es mich, offen gesagt, nicht, Sie kamen mir, als Sie das letzte Mal hier waren, recht angegriffen vor. Nun lassen Sie es aber eine rechte, eine große Ruhe sein und sein Sie dessen recht sehr bewußt, daß kein Mensch in der Welt sie so redlich verdient hat wie Sie.

Niemand aber auch in der Welt sowie ich ist im Stande, Ihnen zu sagen, daß Sie sich diese Ruhe getrost gönnen  dürfen.  Sie wissen, ich bin ein wenig geradezu, und habe nicht aller Welt sondern meine eigene Lebensart. Nehmen Sie es also hin, daß ich Ihnen ins Gesicht sage, daß Sie mit Ihrer Lebensarbeit eine grandiose  Tat  getan haben und daß diese Tat Ihnen gelungen ist! Ich glaube,  das  Bewußtsein haben Sie nicht genügend, und ich würde es mir als kein kleines Verdienst anrechnen, wenn ich es Ihnen beibringen könnte, daß Ihr Werk (ohne Nebensinn diesmal!)  so gut wie fertig  ist. Sie erinnern mich in  dem  Sinne an HELMHOLTZ, daß auf dem Gebiet, das Sie bearbeiten, andere nicht mehr viel zu beackern finden.

Sie haben, das kann man ruhig sagen, die  Sprachkritik  für uns geschaffen; und haben sie außerdem so kolossal, vehement und eindringend ausgebaut, daß das, was jetzt noch zu tun ist, von Ihnen ohne jede Erregtheit ganz gemählich, jetzt oder später und, wenn's not täte, auch gar nicht, getan werden kann. In Ihnen arbeitet seit Jahren kaum etwas anderes als dieses Fieber: Ich muß mein Werk fertig machen! Bei Gott, ich hätte Sie auch darin nicht stören mögen, selbst auf Kosten Ihrer Gesundheit. Jetzt aber sehe ich mit großer Freude: Seien Sie versichert, für  jeden,  der lesen kann, ist das Werk  fertig.  Was noch not tut, ist eine verflucht mühevolle und ziemlich langweilige Arbeit für den, der es geschrieben hat, aber in jedem Fall nichts Drängendes, nicht's, worauf's je ankommen kann: Denn was das Wichtigste ist, ist unverlierbar.

Die Forschungen, die Untersuchungen, die Betrachtungen, die noch beizutragen sind, die werden schon noch beigetragen werden, in diesem oder im nächsten Jahrhundert. Sie haben uns mit einer unvergleichlichen Bestimmtheit und Klarheit auf die rechten Wege geleitet. Sie  können  getrost und wahrhaft ruhig ausspannen. Und tun Sie es, ich bitte Sie herzlich darum. Ich schreibe so eindringlich, weil ich das Gefühl habe, es harrt noch ein schönes Stück Leben und Arbeit auf Sie; von allem andern abgesehen müssen Sie Ihr schönes Talent, ein Privatmensch zu sein, pflegen. Seien Sie,  bitte,  um  mich  gar  nicht  besorgt! Das sehen Sie ja doch wohl selbst, daß ich mir zu helfen weiß.

Mit der Arbeit geht es gut voran: Wenn Sie gesund sind, mache ich weitere Vorschläge zu Ihrer Bequemlichkeit, zur Erleichterung des Druckfertig-Machens. Hol der Teufel al diese Äußerlichkeiten, die für den Kern von gar keinem Belang sind! Das heißt, ich wäre sehr gern dieser Teufel um Ihretwillen.

Ihr G.L.



Fritz Mauthner an Gustav Landauer

Grunewald, den 5.10.1899

Lieber Landauer!

Ich muß nun doch abreisen, ohne mit Ihnen über die Weiterarbeit persönlich Rücksprache genommen zu haben. Der Arzt hat mir jede Berufstätigkeit verboten. Gestern habe ich mein Werk nach langer Pause angesehen, habe neues Vertrauen in die Zukunft gefaßt, die Stunde aber mit sehr heftigen Kopfschmerzen bezahlt.

Also nur einige dringende geschäftliche Mitteilungen. Ich lege 2 kleine Stücke bei. Nr.338 hatten Sie offenbar aus Versehen dem psychologischen Teile beigepackt. Ich finde sie gemäß und füge Nr.153 bei, die ebenfalls besser in die Logik paßt.

Sollten Sie binnen 8 Tagen keine andere Adresse von mir erhalten, so bitte ich Sie, mir dann unter der Adresse: FM im Sanatorium Janofskov Winternitz Kaltenleutgeben bei Wien, über den Fortgang der Arbeit zu berichten. Sollten Sie Papiere, Bücher und dergleichen, kurz was mein Werk betrifft brauchen, so bitte ich Sie, sich an meine Haushälterin Frl. Grigorowicz zu wenden, der ich Bescheid gesagt habe. Sehr erwünscht wäre es mir, wenn Sie für mich einzelnes aus dem mittelalterlichen Theosophen Eckhart übersetzen wollten. Sie werden das Buch nächstens erhalten.

Mit besten Grüßen Ihr
Fritz Mauthner



Gustav Landauer an Fritz Mauthner

Strafgefängnis Tegel, 27.12.1899

Lieber Mauthner,

empfangen Sie, Ihre Tochter und Frl. Grigorowicz meinen herzlichen Dank für Ihre schönen Weihnachtsgaben und auch für Ihre freundlichen Begleitzeilen. Indessen komme ich heute schon wieder mit einer Bitte: Meine Zigarren sind, da ich seit geraumer Zeit tägliche zwei rauche, ausgegangen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir noch 100 Stück schicken wollten. Die Zigaretten von Frl. Grete rauche ich daneben als Extraluxus.

Mit meiner Eckhart-Übersetzung bin ich gerade rechtzeitig fertig geworden, um eine Abschrift zu Weihnachten an eine Ihnen bekannte Dame senden zu können. Ich glaube, sie wäre gerne bereit, Ihnen einiges daraus vorzulesen; es ist fast in jedem Stück vieles, was Sie sehr interessieren würde. Ich empfehle besonder Predigt 6,9,12,14 und vor allem 16; dann auch die Fragmente.

Hoffentlich bleibt es nun dauernd gut mit Ihrer Gesundheit. Ich kann zufrieden sein.

Ich denke - falls Sie mir die Bücher aus der Kgl. Bibliothek besorgen können- mit der Einleitung zu Meister Eckhart hier noch fertig zu werden.

Ihr Manuskript habe ich beinahe durchgearbeitet; natürlich werden wir mancherlei darüber zu sprechen haben, was aber fast nur die äußerliche Anordnung, Zusammenziehung mehrerer Stücke in eines und dergl. betrifft. Es hat mir sehr viele gut und köstliche Stunden bereitet.

Mit herzlichem Gruß
Ihr Gustav Landauer
LITERATUR - Hanna Delf /Julius H. Schoeps (Hrsg), Gustav Landauer - Fritz Mauthner: Briefwechsel 1890-1919, München 1994