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Der Ursprung der heutigen philosophischen Sprachkritik bei Mauthner
FRITZ MAUTHNER (1849-1923), der heute fast Vergessene, nimmt, von heute aus gesehen, eine denkwürdige Stelle ein an der Gabelung hochmoderner Denkweisen über die Sprache, die in der Gegenwart zu keiner rechten Berührung kommen. Charakteristisch für MAUTHNERs Sprachphilosophie sind folgende Gedanken:
Daß MAUTHNERs sprachwissenschaftliches und kulturgeschichtliches Material zum Teil vom heutigen Stand der Forschungen überholt ist, darf doch den Blick nicht trüben für die Bedeutung der in ihm gegebenen Personalunion von philosophischer Sprachkritik und kulturgeschichtlicher Empirie der Sprachen. Zu 1): In seiner dreibändigen Kritik der Sprache mit ihren mehr als 2000 Seiten behandelt MAUTHNER die Psychologie der Sprache, die Sprachwissenschaft, das Verhältnis der Sprache zu Grammatik und Logik, das Verhältnis zwischen Denken und Sprechen u.a. Das kleinere Werk "Die Sprache" geht auf das Verhältnis der Sprache zur Völkerpsychologie ein. Zehn Jahre nach dem Erscheinen der Kritik der Sprache folgen 1910 die drei Bände des "Wörterbuch der Philosophie". Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. In starker Beeinflußung durch SCHOPENHAUER und NIETZSCHE nimmt MAUTHNER Stellung einerseits "gegen jede Form des Aberglaubens und Dogmatismus," andererseits aber "gegen den metaphysischen Materialismus". Was er geben will, ist eine sprachkritische Erkenntnistheorie. Philosophie ist ihm Erkenntnistheorie, Erkenntnistheorie aber Sprachkritik. Und diese führt zu dem Gedanken eines skeptischen Nominalismus: Wir können mit der Sprache, und damit auch mit der in Sprache gefaßten Philosophie, nie über eine bildliche Darstellung der Welt hinausgelangen. Insofern strebt diese Sprachkritik eine Revision der Grundbegriffe aller Wissenschaften an. Und insofern versteht sie sich als die Wissenschaft der Wissenschaften oder vielmehr als das Wissen vom Wissen. Wieso sich dieses Unternehmen gleichzeitig in zwei, bei MAUTHNER noch gekoppelten, Gedankenmotiven entfaltet, für die er die Stichworte "Begriffskritik" und "Wortgeschichte" gibt, wird gleich zu erläutern sein. Zunächst strebt MAUTHNER nach dem ihm vor allem am Herzen liegenden Aufweis der Unzulänglichkeit der menschlichen Sprache überhaupt, der Gefahren des Wortaberglaubens, der Wortfetische, insbesondere aber der philosophischen Begriffe und unter diesen wiederum speziell der allgemeinen Begriffe. Auch hier ist ein verbindender Faden zu wichtigen Bemühungen der englischen Gegenwartsphilosophie (MOORE, RUSSELL u.a.) nicht zu verkennen:
Was also in der vom heutigen Logischen Positivismus und Logical Empirism betriebenen Destruktion der Metaphysik - als eines Inbegriffs nicht eigentlich falscher, sondern sinnloser Sätze - angestrebt wird, war bei MAUTHNER bereits Programm. Wie aber unterscheidet sich ein Scheinbegriff von einem brauchbaren Begriff, ein "richtiger" Begriff von einem "falschen", ein "lebender" Begriff von einem "toten"? MAUTHNER operiert mit dem Ausdruck "falsche Begriffe" ausdrücklich unter Hinweis darauf, daß in allen Begriffen Urteile versteckt seien. Tote Begriffe zerfallen in totgeborene und solche die im Zuge der Geistesgeschichte absterben. Zu den ersteren rechnet er Begriffe wie imponderabilia, absolut, Phlogiston. Kriterium ist ihr Widerspruch mit den Tatsachen der Erfahrung. Dagegen: "Der Begriff Hexe wurde erst falsch, als der Begriff Teufel wiederum war lange genug lebendig und starb erst, als die menschliche Erkenntnis sich überzeugt hatte, daß weder ein Teufel, noch irgend welche seiner Wirkungen in der Wirklichkeitswelt zu beobachten wären". Das Kriterium der Unterscheidung brauchbarer Begriffe von toten beziehungsweise falschen Scheinbegriffen steht in nächster Nähe des neopositivistischen Kriteriums der Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit. Nur nimmt MAUTHNER die geistes-geschichtliche "Lebensdauer" ernst, was den extrem a-historischen Mathematikern und Physikern im neopositivistischen "Wiener Kreis" ferne lag. Seine Leistungskraft überfordert MAUTHNER mit dem Versuch, noch Näheres über die Beschaffenheit der philosophischen Scheinbegriffe zu sagen, indem er sie als "substantivische Begriffe" zu kennzeichnen sucht. Die Beziehungen der substantivisch gedeuteten Welt sind durch die Sprache auf die Welt projizierte Raumbeziehungen. Außer BENJAMIN L. WHORFs These von der für unser Weltbild grundlegenden Verräumlichung der Zeit, die in unseren Sprachen "kodifiziert" sei, dürfte MAUTHNERs Sprachkritik an diesem Punkt kaum bedeutende Nachfolge gefunden haben. Er zeigt sich vielmehr hier als typische in der Entwicklung zwischen NIETZSCHEs Werdensphilosophie und HEIDEGGERs Sein und Zeit stehend. Die substantivische Welt ist ihm unwirklich, weil sie die Welt des Seins ist. Die Welt des Seins aber entbehrt "der wichtigsten Bedingung aller Wahrnehmung", der Zeit. "In der Zeit gibt es nichts Bleibendes, gibt es kein Sein, gibt es nur ein Werden". Der substantivischen Welt stellt er die verbale Welt und die adjektivische Welt gegenüber. Ersichtlich wird hier der Bezirk einer Kritik der Sprache überschritten oder werden zum mindesten die Grenzpfähle nicht deutlich. Daß Begriffe und Wörter abgehandelt werden, wie wenn sie dasselbe wären, gehört zum durchgehenden methodischen Prinzip MAUTHNERs. Die Zerstörung der Scheinbegriffe hält MAUTHNER für eine mehr als theoretische Angelegenheit. Die Erlösung vom Glauben an die Sprache enthält die Befreiung vom Aberglauben an die Scheinbegriffe als Phase in sich. Die Entlarvung der Irrtumsquelle der Sprache - ein altes, aber unstreitig in der Gegenwart beherrschend hervortretendes Gedankenmotiv - ist also nicht nur mit Formeln WITTGENSTEINs, RUSSELLs und der Neopositivisten zu belegen. MAUTHNER steht, in Nachfolge NIETZSCHEs, auf einem Standort, der weniger parteiisch für die Sprache der Mathematik und der Naturwissenschaft (in der allein "sich etwas sagen läßt" nach WITTGENSTEINs Tractatus Logico-Philosophicus) votiert, wie dies im Grund bei den genannten Anhängern und Abtrünnigen des Neopositivismus der Fall ist. MAUTHNER hat das Verdienst, den Wortaberglauben der "Scholastik" auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch die "Scholastiker unter den materialistischen Naturforschern" zum Gegenstand seiner kritischen Prüfung zu machen. D.h. statt des dogmatischen Programms der Antimetaphysik, behält er die Tatsache im Auge, daß Scheinbegriffe in metaphysischer und antimetaphysischer Sprache ihr Wesen treiben. Zu 2): Dem neopostivistischen Interesse an der Verifizierbarkeit von Aussagen durch Beobachtungen und demjenigen WITTGENSTEINs am "Gebrauch" der Wörter, am "Funktionieren unserer Sätze", steht bei MAUTHNER noch zur Seite das Interesse an der Verwirklichung alles Sprachlichen in der Geschichte. De SAUSSUREs unparteiische Anerkennung des synchronischen (gleichzeitig ablaufende Vorgänge darstellend) und diachronischen (entwicklungsgeschichtlichen) Sprachaspekts ist später aus der Mode gekommen. Für MAUTHNER ist der Inhalt eines Begriffs oder Wortes Niederschlag "der Wort- oder Begriffsgeschichte; wer vergessene Ereignisse einer Wortgeschichte besser kennen lernt, versteht auch die Nuancen des gegenwärtigen Gebrauchs besser; die Geschichte ist die wahre Kritik jedes Worts ... Man wird sich daran gewöhnen müssen, in jeder Wortgeschichte eine Monographie zur Kulturgeschichte der Menschheit zu erblicken. Sprachgeschichte, Wortgeschichte ist immer Kulturgeschichte, wenn wir den Stoff betrachten; eine besondere Sprach- oder Wortgeschichte gibt es nur für die Form". Dazu kommt nun die Hauptthese MAUTHNERs. Man wird schwer bestreiten können, daß sie sich auf einen fruchtbaren Gedanken bezieht, der jedoch überspannt und überschätzt wird. In der Geistesgeschichte sollen die Hauptrolle Entlehnung und Lehnübersetzung gespielt haben. MAUTHNER hat diesen Gedanken in seiner Kritik der Sprache herausgestellt und erklärt nun, daß fast jeder Artikel des philosophischen Wörterbuchs zur Untermauerung der These diene. Nicht ohne Recht bemerkt er, daß die interkulturelle Entlehnung von Sachen und Worten untrennbar sei von der Geschichte der Handelsbeziehungen und Handelswege. Er nennt das Weitergegebenwerden der Spiele als einen besonders wichtigen Fall der Entlehnung und Nachahmung von Sachen, Wörtern und Bedeutungen und verweist auf die durch riesige Zeit- und Kulturräume sich erstreckende Wanderung sehr alter Spiele, zum Beispiel des Schachspiels. Das Problem der "Kulturverbreitung" und "Kulturbegegnung" in der heutigen Kulturanthropologie ist tatsächlich mit MAUTHNERs Kategorien der "Entlehnung, Übersetzung und Nachahmung" angeschnitten. Die Sprachgeschichte wird geradezu eine Geschichte der internationalen Wortentlehnung und die Untersuchung der letzteren überschneidet sich mit der Sprachkritik. Zwei Arten von Entlehnung sind zu unterscheiden, und zwar nicht nur für die Sprache, sondern für alle Arten von Kulturinhalten und geschichtlich wirkenden Vorbildern: Die bewußte und ahnungslose Übernahme. Mit alledem steht MAUTHNER in der Polemik gegen die in seiner Zeit noch eine Rolle spielenden Hypothesen von einer Ursprache oder gar von einem Urvolke der Menschheit. Ihm heissen die zahllosen Wogen- und Wellenkreuzungen der Entlehnung "Kultur". Die Entlehnung gehört speziell zum Phänomen menschlicher Sprache. Jede Kultur verwirklicht sich im Strom der Geschichte und ist damit zum mindesten der Möglichkeit nach der Begegnung mit anderen Kulturen offen. Nicht der übliche Begriff der "Völkerwanderung" erscheint MAUTHNER als eine wichtige Kategorie der Kulturgeschichte. Vielmehr ist es die Wanderung von Sachen und Namen von Kultur zu Kultur, die er zur Richtschnur seiner Sprachgeschichte nimmt. Der Nachteil seiner Arbeiten ist, daß sie doch bei der Wort-Geschichte bleiben, daß überhaupt alle seine Bemerkungen über Sprache überwiegend an den Wörtern haften. Im Vorwort des Wörterbuchs der Philosophie erkennt er freilich an, daß nicht nur einzelne Wörter das Wichtige sind, sondern Sprichwörter, Scherze, Anekdoten, Erzählungen, Redensarten, - "wandernde Motive". Die "Übersetzungen ganzer Kulturen" sind die eigentlich großen Beispiel, an denen MAUTHNERs Theorie des Kulturwandels Gewicht gewinnt, aber die er nur skizziert. Die Trennung von Kulturgeschichte und Sprachgeschichte entlarvt MAUTHNER in ihrer verhängnisvollen Unsinnigkeit. Er behauptet, die neuere Kulturgeschichte habe sich zu wenig um die Wandlung der Begriffe gekümmert, die vergleichende Sprachwissenschaft aber zu sehr nur um den Lautwandel. Die allgemeine Wissenschaft vom Bedeutungswandel ("Semasiologie) wird von MAUTHNER - auch in der zweiten Auflage seines Wörterbuchs von 1922 - nicht beachtet. MAUTHNERs Interesse konzentriert sich auf zwei Arten von "Kulturwandlungen": Einerseits die Verbreitung von Realbegriffen von Kultur zu Kultur; andererseits die Wandlung religiöser und philosophischer, großenteils hochabstrakter Begriffe. Ein Beispiel für das erstere sieht er in der Aufnahme der antiken Naturwissenschaft und Medizin durch die Araber, von denen die Grundbegriffe wiederum über das Lateinische dem Abendland weitergegeben wurden. Für die zweite Art von Wandlung hält er den Weg der christlichen Lehre und der Lehre des ARISTOTELES aus dem antiken Kultur- und Sprachraum in den Raum der geschichtlich von Missionierung und Wiederbelebung der Antike erfassten europäischen Völker für die ausgezeichneten Beispiele. Er übersieht keineswegs, daß in alledem eine Aporie (Unmöglichkeit eine philosophische Lösung zu finden) steckt: die Wortgeschichte setzt Kenntnis der Kulturgeschichte voraus; die Erschließung der Kulturgeschichte aber setzt eben gerade Kenntnis der Sprachgeschichte voraus. In dem großartigen Gedanken der "Übersetzung ganzer Kulturen" ist jene Aporie schon enthalten, ebenso wie der Kultur- und Sprach-Relativismus zwischen NIETZSCHE, SPENGLER und der amerikanischen Kulturanthropologie unserer Tage. ![]() |