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OLIVER HAZAY
Die Struktur des
logischen Gegenstandes

[6/6]
0 - Einleitung
1 - Die quasi-subjektiven Gegenstände
2 - Die Relationsstruktur der Gegenstände
3 - Das Argument der logischen Funktionen
4 - Das Problem der Äquivalenz
5 - Die "unmöglichen" Gegenstände

"Auch Trennen ist logisches Verknüpfen."

Erster Teil
Das System der logischen Gegenstände

5. Kapitel
Die "unmöglichen" Gegenstände

34. Das Problem der unmöglichen Gegenstände ist neuerdings von verschiedenen Seiten aufgeworfen worden, vor allem dort, wo eine gewisse unmittelbare oder mittelbare Abhängigkeit von BOLZANO besteht, der sich ja auch für dieselben interessierte. MEINONG und seine Schüler haben in den unmöglichen Gegenständen geradezu mit eine Rechtfertigung für ihre Forderung einer Gegenstandstheorie gesehen. Es hat aber auch an der Gegenseite nicht an Meinungen gefehlt, die diesen Gegenständen jeden Sinn absprachen und sogar leugneten, daß es sich hier überhaupt um Gegenstände handelt.

Wenn wir aber die an verschiedenen Orten angeführten Beispiele betrachten und vielleicht noch die sich zwischen denselben zeigenden Lücken ausfüllen, so zeigt es sich, daß hier unter gemeinsamem Namen logisch sehr Verschiedenartiges zusammengefaßt wird. Da wird z. B. von einem existierenden goldenen Berg gesprochen, also von einem ganz und gar nicht unmöglichen Gegenstand, Es mag vielleicht keinen derartigen Berg geben, aber wer wagte dies wohl zu beschwören, umsomehr, als nicht bloß unsere Erde in Betracht zu kommen hätte. Ein Berg kann sehr wohl golden sein; dies ist ein Gegenstand von eben derselben Art, wie für unsere Vorfahren ein fliegender Mensch. Wir haben es hier mit einem wohl möglichen, "aber nicht existierenden Gegenstand" zu tun. (1)

Dagegen steht z. B. ein fühlender Stein schon um einen Grad weiter. Man mag wohl in einer Phantasie über Allbeseelung auch über einen solchen ganz sinnvoll sprechen, aber der Gegenstand widerspricht doch dem, was wir unter Stein und Gefühl verstehen, die beiden Gegenstände können sich in der Naturwirklichkeit niemals treffen, wir können also hier von einem "unmöglich existierenden Gegenstand" sprechen. Noch extremer, aber doch noch dieser Gruppe einordenbar gestalten sich solche Gegenstände, denen ihre Eigenschaften überhaupt nicht mit viel Sinn beigemessen werden können, wie das etwa ein sittlich vollkommener Federhalter wäre. Sie sind dennoch nicht als sinnlos zu verwerfen und von ganz sinnlosen Wortverbindungen, wie "und seines aber" streng zu unterscheiden, denn sie geben doch einen verständlichen Gegenstand und unser Beispiel könnte z. B. In einem ANDERSENschen Märchen recht wohl stehen. Auch die eigentlichen Märchengestalten, die mythologischen Personen sind logisch den unmöglich existierenden Gegenständen zuzuordnen; ein Wesen, halb Mensch, halb Pferd, hat dem fühlenden Stein nichts voraus. Von diesen Phantasiegebilden ist aber zu den wissenschaftlichen Fiktionen, zum Atom oder z. B. zur Bildsäule CONDILLACs, nur mehr ein Schritt und so nehmen auch diese an den Schicksalen der unmöglich existierenden oder wenigstens der nicht existierenden Gegenstände teil.

Für die dritte Gruppe der zu untersuchenden Gegenstände sei unser Beispiel: eine Primzahl, die größer als 7 und kleiner als 11 ist. Erst das ist wirklich in gewissem Sinne ein unmöglicher Gegenstand, seine Unmöglichkeit ist zwar nicht offenundig, nicht schon in ihm selbst enthalten, aber a priori zu erweisen. Wir könnten solche Gegenstände, zum Unterschied zu den unmöglichen Gegenständen im allgemeinen, "als unmöglich erweisbare Gegenstände" nennen.

Dagegen ist dem runden Viereck seine Unmöglichkeit an die Stirn geschrieben. Dieser Umstand findet schon im Namen dieser Gegenstände seine Begründung, wenn wir dieselben "widersprechende Gegenstände" nennen.

Diese vier Gruppen wollen nur eine Übersicht über die in Betracht kommenden Gegenstände liefern, ohne daß damit auch über ihre logische Wesensverschiedenheit ein Urteil gefällt werden soll, überdies ist es wohl offenkundig, daß ihre Grenzen vielfach ineinander fließen.

Außerhalb unserer Gruppen steht aber z. B. der Gegenstand  √-1.  Auch er wurde oft den unmöglichen Gegenständen zugerechnet, seine Berechtigung wurde selbst von hervorragenden Mathematikern angegriffen, die in ihm nur einen rechnerischen Kunstgriff, aber keinen sinnvollen mathematischen Gegenstand sehen wollten. In der Tat scheint eine Zahl, die mit sich selbst multipliziert  -1  ergibt, ein als unmöglich erweisbarer Gegenstand zu sein, doch kommt das nur daher, weil man in das genus proximum [die nächsthöhere Gattung - wp]: "eine Zahl" schon das Attribut "real" versteckt hinein denkt; die "reale Zahl √-1" wäre freilich ein unmöglicher Gegenstand. Dieser Einwand ist nicht etwa eine petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp]. Wir wollen im Zahlbegriff nicht schon im voraus die Möglichkeit der irrealen Zahl mitdenken, aber ebenso darf auch ihre Unmöglichkeit nicht ab ovo [vom Ei weg - wp] hineinverlegt werden. Die irreale Zahl hat sich im Zahlensystem zu rechtfertigen. Gelingt ihr das aber, dann liegt die petitio principii im Satz, daß das Quadrat einer Zahl keine negative Zahl sein kann. Diese Rechtfertigung im Zahlensystem kann jedoch für die moderne Mathematik nicht fraglich sein, ihre gesamten Grundlagen würden durch Wegleugnung der irrealen und besonders der komplexen Zahl erschüttert werden. Und so wird man sich denn auch von diesem empiristischen Vorurteil freimachen und sowohl √-1 als auch alle übrigen derartigen wissenschaftlichen Gegenstände, die zwar auch "nicht existieren", aber auch gar nicht zu existieren behaupten, aus der Reihe der unmöglichen Gegenstände streichen.

Ganz ohne jede Beziehung auf unser Problem, aber auch ohne Beziehung auf die Logik im allgemeinen sind jene schon erwähnten sinnlosen Wortverbindungen, wie "und seines aber". Sie sind überhaupt keine Gegenstände, sondern nur Lautkomplexe;  als  Lautkomplexe betrachtet sind natürlich auch sie Gegenstände, ohne aber nun in irgendeiner Hinsicht von besonderem Interesse zu sein.

35. Wer sich, wie wir jetzt, daran macht, den unmöglichen Gegenständen ihren Platz inmitten der übrigen Gegenstände anzuweisen, wobei er sie doch selbst schon als Gegenstände betrachtet, dem muß die für sie gebräuchliche Bezeichnung störend im Weg stehen. Wir wollen uns jedoch jetzt nicht damit aufhalten, eine Kritik des Terminus "unmögliche Gegenstände" zu geben; er scheint uns selbst eine contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp] zu enthalten und selbst ein unmöglicher Gegenstand zu sein; doch ließe sich das schließlich durch eine passende Nominaldefinition des Wortes "unmöglich" umgehen und so käme das Ganze bloß auf einen Wortstreit heraus. Man mag diese Gegenstände nennen, wie es einem beliebt, solange der Name nichts weiter bedeuten soll, als eben einen Namen und nicht selbst eine Kritik dieser Gegenstände enthalten will.

Besonders störend wirkt diese Bezeichnung für unsere erste Gruppe. Es ist zwar leicht möglich, daß mancher diese Gruppe überhaupt aus unserem Problem hinausweisen will, indem er daran erinnert, daß sich diese Gegenstände prinzipiell doch gar nicht von ganz alltäglichen Denkgegenständen unterscheiden, daß der jetzt vor mir liegende Zirkel doch ebensowenig existiere, (es liegt nämlich gar kein Zirkel vor mir) wie der goldene Berg. Tatsächlich läßt sich zwischen den bloß willkürlich gedachten Gegenständen kein scharfer Schnitt machen, ebensowenig aber auch zwischen diesen und den weiteren Gruppen, so daß der Einwand nicht stichhaltig ist. Überdies lassen sich aber gewisse formale Widersprüche, die für die unmöglichen Gegenstände charakteristisch sind, gerade an den "nicht existierenden Gegenständen" besonders deutlich studieren.

Es ist nämlich nicht zulässig zu urteilen: ein existierender goldener Berg existiert, obwohl das doch ein tautologisches urteil zu sein scheint. Doch das ist eben nur ein Schein, das Wort  existieren  ist in beiden Fällen von verschiedenem Rang, es soll im einen Fall eine einfache Eigenschaft bedeuten, im anderen aber die Zugehörigkeit zu einem System. Man könnte den Satz vielleicht so umschreiben: ein Berg, der golden ist und dem die Eigenschaft zu existieren zuerkannt wird, läßt sich im System des Existierenden nicht unterbringen. Oder noch besser, in unserer Sprache: der  Begriffsgegenstand  eines existierenden goldenen Berges hat im  transzendent  normierten Existenzsystem keinen Platz. Wo das Prädikat nicht auf so ein transzendentes System hinweist, ist auch die entsprechende Tautologie ein richtiges, analytisches Urteil. Es ist ganz richtig, wenn ich sage: ein existierender goldener Berg ist golden.

Daß der Fehler nicht in der Gegenstandsstruktur liegt, so daß der Gegenstand dadurch seine Gegenständlichkeit verlöre, sondern in der Einbeziehung des Gegenstandes in ein für ihn nicht gültiges System, sehen wir auch daran, daß dieselben widerspruchsvollen Verhältnisse auch bei den durchaus "möglichen" aber trotzdem nicht existierenden Gegenständen vorliegen, sobald wir sie in das Existenzsystem einbeziehen. Darum dürfte ich auch das folgende Urteil nicht fällen: "der Zirkel, welcher jetzt vor mir liegt, liegt vor mir", indem nämlich jetzt überhaupt kein Zirkel vor mir liegt. Auch in dieses Urteil ist nämlich durch den sprachlichen Ausdruck eine Existenzialaussage eingeschmuggelt. Der determinierende, bestimmte Artikel in "der Zirkel" drückt aus, daß mir derselbe bekannt ist, daß er existiert, es liegt in demselben ein falsches Existenzialurteil versteckt, aus Falschem läßt sich aber nicht richtig folgern. Sobald ich die falsche Einbeziehung in das Existenzialsystem ausschalte, sie es bloß logisch oder auch im sprachlichen Ausdruck, so verschwindet sofort die ganze Schwierigkeit. Ein Zirkel, der vor mir liegt, liegt natürlich vor mir; dabei bleibt die Frage unentschieden, ob es einen solchen denn auch gibt, es ist nur vom Begriff eines solchen die Rede.

Damit haben wir für unsere erste Gruppe von unmöglichen Gegenständen gezeigt, daß wir sie ganz treffend mit dem Namen: nicht existierende Gegenstände bezeichnet hatten, indem ihre ganze Eigentümlichkeit darin liegt, daß sie außerhalb des Existenzialsystems stehen. Darum treten bei ihnen Schwierigkeiten nur dann auf, wenn solche Fragen aufgeworfen werden, die das Existenzialsystem zur Voraussetzung haben. Nachdem wir im vorhergenden Kapitel die große Bedeutung des Systems, seine Verknüpftheit mit dem transzendenten Wahrheitswert erkannt hatten, werden wir jetzt die Ausgeschlossenheit unserer Gegenstände aus einem System sicherlich nicht als belanglos betrachten wollen, doch darf dadurch keineswegs auch die Gegenständlichkeit dieser Gegenstände in Frage gezogen werden, da Existenz doch kein notwendiges Merkmal des Gegenstandes ist.

Sonst aber ist, wie wir sahen, in unseren Gegenständen kein Widerspruch enthalten, sie sind völlig sinnvoll, determinierte, logische Gebilde. Eben dadurch, daß ein vor mir liegender Zirkel ein klar verständlicher Gegenstand ist, bin ich imstande, über ihn auszusagen, daß es dergleichen nicht gibt. Ich kann mir einen goldenen Berg existierend vorstellen, weiß aber dann, daß die Geographie, die es mit den existierenden Bergen zu tun hat, über einen derartigen aus Gold nichts auszusagen weiß. Ich spreche dabei fortwährend von Gegenständen; und ebenso, wenn ich vom fühlenden Stein, von der hoffärtigen Stopfnadel ANDERSENs, vom Kentaure, vom Atom spreche: auch für diese Vertreter unserer zweiten Gruppe gilt dasselbe, was wir früher in bezug auf die Existenz erörtert hatten, aber sie sind klare, eindeutige Gegenstände. Ein hoffärtige Stopfnadel ist nicht bloß ein "flatus vocis" [von der Stimme erzeugter Lufthauch - wp], denn sonst hätte das ganze Märchen keinen vernünftigen Sinn.

Im allgemeinen gehen die Logiker diesen zwei Gruppen von Gegenständen auch wirklich nicht allzu scharf zu Leibe; auch DRIESCH hat z. B. gegen eine Katze mit sechs Flügeln, welche Mathematik treibt, nichts einzuwenden. Einige Logistiker jedoch, extreme Anhänger der Umfangslogik, strafen diese Gegenstände dermaßen mit ihrer Mißachtung, daß sie dieselben sogar alle, sowohl untereinander, als auch mit den Gegenständen der weiteren Gruppen, äquivalent sein lassen. Die Begründung dafür ist natürlich die, daß der Umfang dieser Gegenstände allemal = 0 ist. Daß diese Auffassung von unserer Position aus gesehen richtig ist, ist offenkundig. Ein goldener Berg ist golden, eine Katze mit sechs Flügeln aber nicht; nur innerhalb der recht mageren Subsumtionsprobleme kann von einer Äquivalenz ad hoc die Rede sein.

36. Je weiter wir in der Reihe der unmöglichen Gegenstände fortschreiten, umso mehr werden dieselben angegriffen. Die Gegenstände der zwei weiteren Gruppen, die in ihren Bestimmungen selbst einen versteckten oder gar offenen Widerspruch enthalten, werden auch von einer Anzahl solcher Forscher abgelehnt, die den bisher besprochenen Gegenständen ihr Heimatrecht innerhalb der Logik nicht streitbar machen. Und doch ist der Sprung nicht so jäh, wie es auf den ersten Blick scheint. Zum Begriff der Katze gehört ein gewisser, dem Säugetiert eigentümlicher Körperbau, DRIESCHs Katze mit sechs Flügeln, also mit zehn Extremitäten, widerspricht dieser Bestimmung. Es hängt also nur davon ab, wie wir den Gegenstand wenden, ob wir auch in diesem einen Widerspruch entdecken wollen oder nicht; und die geflügelte Katze verdankt ihre bevorzugte Stelle teilweise ihrer Anschaulichkeit, also einem psychologischen Moment.

Es ist also nicht Widerspruch im Gegensatz zu Widerspruchslosigkeit, was bei den nun zu besprechenden Gegenständen die neue Schwierigkeit schafft, obwohl eben das für die Zurückweisung derselben zugunsten der früher besprochenen Gegenstände ein Hauptargument zu sein pflegt. Sondern es ist vielmehr die Beweisbarkeit dieses Widerspruchs aus Grundprinzipien, mit anderen Worten: die Stellung dieser Gegenstände in Bezug auf ein a priori ordnungsgemäßes System. Und das gilt für die "als unmöglich erweisbaren" und für die "widersprechenden" Gegenstände in gleicher Weise; der Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist vor allem psychologischer Natur und innerhalb der Logik höchstens noch "quasi-subjektiv". Da bei der ersteren Gruppe der Widerspruch nur durch Einbeziehung der Konstanten zutage tritt, so stört er auch nicht den Aufbau des Gegenstandes auf seinen Variabeln. Daher ist es auch möglich, eine Primzahl zwischen 7 und 11 als Aufgabe sinnvoll zu denken, während ein rundes Viereck den Widerspruch schon im quasi-subjektiv betonten Teil verrät. Von dieser Scheidung der beiden Gegenstandsgruppen können wir jedoch für unsere Zwecke getrost absehen. Wenn wir dem runden Viereck einen Platz innerhalb der logischen Mannigfaltigkeit zuweisen können, so wird das für die Primzahl zwischen 7 und 11 a fortiori [umso mehr - wp] möglich sein.

Wir wollen all das nicht wiederholen, was  für  diese unmöglichen Gegenstände schon vor uns vorgebracht wurde, die Position, die wir in Bezug auf sie einnehmen, ist aus dem Vorhergehenden schon ersichtlich und wir können uns nunmehr kürzer fassen. Indem wir über das runde Viereck nachdenken, von ihm aussagen, es sei widersprechend, erkennen wir es schon als Gegenstand an. Als flatus vocis kann es nicht widersprechend sein, da sich Widerspruch auf Sinn bezieht. Dagegen müßte es vielleicht nicht unbedingt  ein  Gegenstand sein, man hat vorgebracht, es handelt sich um eine unstatthafte Verknüpfung  zweier  widersprechender Gegenstände. Aber zwei Gegenstände sind an sich nicht widersprechend, auch ihre bloße Verknüpfung zu einem Verbindungsgegenstand (z. B. durch ein "und") ist es nicht, erst ihre  Ineinssetzung  kann den Widerspruch bewirken. Tatsächlich bespreche ich jetzt  eine  Figur, die zugleich rund und viereckig ist, ich urteile, daß eine solche nicht konstruierbar ist. Was ist nicht konstruierbar? Der flatus vocis, der bloße Lautkomplex ist akustisch und phonetisch möglich und auf ihn bezüglich kann "konstruierbar" nur diesen Sinn haben;  zwei  Figuren, eine runde und eine viereckige, sind sehr wohl konstruierbar, auch ineinander oder durcheinander. Nur für den  einen  Gegenstand, der sowohl rund als auch viereckig ist, für den gilt mein Urteil, daß er nicht konstruierbar ist.

Wir haben es also auch hier mit verständlichen Gegenständen zu tun, über die natürlich auch Aussagen gemacht werden können. Allerdings ist, wie wir soeben sehen konnten, gerade diesbezüglich die Sachlage eigentümlich, da sich nun auch widersprechende Aussagen mit gleichem Recht aufstellen lassen. Das runde Viereck ist rund und es ist eckig: beides ist in gleicher Weise berechtigt. Man möge aber nicht glauben, daß hier ein Novum in schroffer Weise plötzlich auftritt. Wir haben ähnliches schon bei der geflügelten Katze gesehen, aber selbst der vor mir liegende Zirkel zeigt von einem gewissen Standpunkt aus gesehen derartige Eigentümlichkeiten. Für jene höhere Vernunft des erkenntnistheoretischen Gottes, die die ganze Welt als notwendiges, gesetzmäßiges System verstünde, wäre das In-diesem-Augenblick-vor-mir-Liegen mit dem Zirkel-Sein genauso widersprechend. Für uns natürlich nicht, denn daß etwas ein Zirkel ist, ist mit seinem Vor-mir-Liegen im allgemeinen verträglich und für uns unterscheidet sich dieser Weltaugenblick im Prinzip durchaus nicht von allen übrigen. Wer aber die Weltlage bis in die kleinsten Einzelheiten verstünde, wer von diesem Augenblick an aus den Weltgesetzen a priori begriffe, daß er sich nur so und in keiner Weise anders gestalten konnte, der würde sehen, daß vor mir jetzt kein Zirkel liegen kann, mit derselben Notwendigkeit, wie ich einsehe, es könne keine rationale Quadratwurzel von 70000 geben.

Worin liegt also nun die Erklärung für die prinzipielle Verschiedenheit der einzelnen Fälle für uns oder allgemeiner für das logische Bewußtseins. In der Tatsache des Systems. Darin, daß die Mannigfaltigkeit der Zahlen ein logisch beherrschbares System ist und auch die Geometrie ein a priori aufgebautes System bildet. Auch der Bau der Katze gehört in ein wissenschaftliches System, doch ist dasselbe schon zu einem großen Teil auf logisch unbegründbaren Elementen aufgebaut und das schmälert dann auch gewaltig die einschneidende Bedeutung des im Gegenstand liegenden Widerspruches. Ebenso stehen die Verhältnisse, wo es sich z. B. um die örtliche Lage eines sich laut eines Systemes bewegenden Körpers handelt, etwa eines Planeten oder eines fallenden Steines. Dem entgegen erscheint die Lage eines Gebrauchsgegenstandes, etwa eines Zirkels, im allgemeinen genommen als völlig durch den Zufall bestimmt, was soviel heißen soll, wie überhaupt nicht bestimmt, außerhalb jedes uns bekannten Systems, selbst jedes Teilsystems stehend und daher kann dann auch die (physikalisch mögliche) Bestimmung: "vor mir liegend" keinen Widerspruch enthalten.

37. Nun sehen wir deutlich, was den verschiedenartigen unmöglichen Gegenständen den gemeinsamen Charakter verleiht und wodurch andererseits ihre Abgrenzung in den verschiedenen Gruppen logisch begründet ist. Sie sind alle klar verständliche Begriffsgegenstände, Relationsschnittpunkte wie alle anderen, stehen aber sämtlich in einem mehr oder weniger offenbaren Gegensatz zu einem System. Je nachdem nun dieser Gegensatz deutlicher zu begreifen ist und besonders, je nachdem das System ein logisch beherrschbares ist oder aber ein solches, das wir nur beiläufig, empirisch festzustellen vermögen, (es muß nicht gerade unbedingt das Existenzialsystem sein) je nachdem wird auch das spezifisch negative Moment am Gegenstand mehr oder weniger hervortreten, so daß wir ihn dieser oder jener Gruppe einordnen werden.

Das System hatten wir jedoch als Entfaltung des transzendenten Gegenstandes zu verstehen gelernt. Und so bedeuten dann auch unsere letzten Ergebnisse, daß den unmöglichen Gegenständen ihr Platz unter den Begriffsgegenständen unbestritten zuerkannt werden muß, während ihre Unzulänglichkeit ihre Beziehung zur transzendenten Sphäre betrifft. Je mehr wir das jeweilige System zu beherrschen vermögen, je näher wir also zum transzendenten Gegenstand heran können, umso offensichtlicher ist auch die Unverbundenheit des unmöglichen Gegenstandes mit der transzendenten Sphäre.

Dies stimmt aber auch genau mit unserer früheren Charakteristik der Begriffsgegenstände, sowei der transzendenten Gegenstände überein. Indem wir die Begriffsgegenstände der "Willkür" im logischen Sinn des Wortes, d. h. der Gesetzlosigkeit überlieferten, indem wir sie als "Hypothesis" betrachteten, ließen wir auch die Möglichkeit für widersprechende Relationsverbindungen offen, für falsche Verknüpfungen; hier ist dann auch der logische Platz jedes falschen Urteilsgehaltes. Von Wahrheit konnte erst in der transzendenten Sphäre die Rede sein, diese ist der logischen Willkür entrückt, diese ist gesetzmäßig. Von dieser sind aber unsere unmöglichen Gegenstände getrennt. Außer ganz trivialen analytischen Urteilen ist es nicht möglich, über sie Wahres auszusagen, denn die synthetische Wahrheit a priori liegt eben im System begründet, im systembildenden, transzendenten Gesetz. Alle möglichen Arten des Vierecks sind im Gesetz des Vierecks implizit enthalten und fügen sich so dem geometrischen System ein, gültige, wahre Urteile z. B. über ihre Winkel, ihre Diagonalen usw. lassen sich aus dem System ableiten; für das runde Viereck jedoch ist in diesem Gesetz nichts vorgesehen, es fällt außerhalb des Systems, es läßt sich nicht auf seine weiteren Relationen hin untersuchen, es bleibt bloßer Begriff, bloße Hypothesis.

Wenn wir ferner unserer früheren Methode gemäß die transzendente Schicht der unmöglichen Gegenstände untersuchen wollen, so wird das Fehlen dieser Schicht noch auffälliger werden. Wir wollen zu diesem Zweck unser altes Äquivalenzbeispiel passend variieren und nach dem äquivalenten Gegenstand des gleichseitigen, runden Dreiecks fragen. Das gleichseitige Dreieck ist dem gleichwinkligen äquivalent, ist das beim runden gleichseitigen auch der Fall? Ist das runde, gleichseitige Dreieck gleichwinklig? Ja und Nein. Denn indem es ein gleichseitiges Dreieck ist, ist es gleichwinklig und indem es rund ist, hat es überhaupt keine Winkel. Es kann also die Äquivalenz weder behauptet, noch geleugnet werden. Jemand wird vielleicht die Äquivalenz verfechten wollen und zur Begründung vorbringen, es schade nichts, daß nun rund und gleichwinklig zusammenkommen, da der äquivalente Gegenstand des unmöglichen Gegenstandes ohnedies selbst wieder ein unmöglicher Gegenstand sein müsse. Zugegeben! Aber dann kann ich mit demselben Recht behaupten, das runde, gleichseitige Dreieck sei im Gegenteil ungleichwinklig oder gar winkellos, da es ja doch nichts schade, daß nun Dreieck und winkellos zusammentreffen. Wir sehen, auf diese Art läßt sich zu keiner Entscheidung gelangen.

Die Frage nach dem äquivalenten Gegenstand eines unmöglichen Gegenstandes hat vielmehr überhaupt keinen Sinn. Wir erinnern uns natürlich, daß wir die rein formale Äquivalenzauffassung, nach welcher das runde Dreieck mit dem vor mir liegenden Zirke äquivalent sein sollte, weil beide eine Nullklasse bilden, als logisch völlig uninteressant zurückgewiesen haben. Dort aber, wo der wirkliche logische Sinn des Gegenstandes in Betracht kommt, lassen sich derartige Fragen, wie die nach dem Äquivalent eines unmöglichen Gegenstandes überhaupt nicht aufwerfen. Was im unmöglichen Gegenstand selbst liegt, läßt sich selbstverständlich über ihn analytisch aussagen, über ihn hinausgehen können wir aber nicht, denn über ihm liegt eben nichts mehr. Es gibt keinen transzendenten Gegenstand, den er meint und der die Wahrheit über ihn, die man urteilen  soll,  verkörpert.

Ist das aber nicht eine glänzende Rechtfertigung derjenigen, die gegen die unmöglichen Gegenstände Stellung nahmen? Ist nicht durch das Fehlen jeder Beziehung zum Wahrheitswert die Leugnung dieser Gegenstände verständlich? Gewiß ist sie verständlich; wer je gezweifelt hätte, daß in der Meinung so vieler ernster Forscher ein richtiger Kern steckt, der hätte damit eine eigenartige Auffassung von der Wissenschaft und ihren Förderern verraten. Auch wir geben natürlich die Minderwertigkeit der unmöglichen Gegenstände zu, ihrer gänzlichen Ignorierung können wir jedoch keinesfalls das Wort sprechen, denn damit würden auch wichtige logische Probleme verdeckt werden. Was soll, um nur ein hervorstechendes Beispiel zu erwähnen, mit der ganzen großen Gruppe der für die Wissenschaften unentbehrlichen, vorläufigen, hypothetischen Gegenstände geschehen? Soll, wenn es sich später herausstellt, der wissenschaftliche Gedanke widerspricht gewissen Grundprinzipien, soll dann derselbe nicht nur als unzutreffend verurteilt werden, sondern auch seine Gegenständlichkeit geleugnet werden?

38. Und dann darf doch auch nicht vergessen werden, was doch unser Ausgangspunkt war, daß auch über die unmöglichen Gegenstände gewisse gültige,  wahre  Urteile gefällt werden können. Über das runde Viereck läßt sich zumindest urteilen, daß es unkonstruierbar ist, daß es "unmöglich" und widerspruchsvoll ist, über die Primzahl zwischen 7 und 11, daß es dergleichen nicht gibt usw.. Ein solches Urteil läßt sich aus den Gegenstandsbestimmungen a priori folgern, ist aber natürlich nicht analytisch und kann in manchen Fällen recht schwer oder gar nicht zu erkennen sein, da der Widerspruch in den Bestimmungen nur aufgrund des auf dieselben bezüglichen Systems festzustellen ist. Es ist vielmehr ein synthetisches Urteil, daß über den unmöglichen Gegenstand geurteilt werden  soll. 

Wie ist das aber nun zu verstehen? Wir hatten doch den unmöglichen Gegenständen ihren Platz innerhalb der Systeme verweigert und ihnen jegliche Beziehung zur transzendenten Sphäre abgesprochen; und nun wagen wir aufgrund von Systemgesetzen unbedingt gültige Urteile über sie auszusagen. Dann müssen diese unmöglichen Gegenstände doch auch in irgendeiner Relation zu den transzendenten Gegenständen stehen.

Diese Relation ist freilich bloß eine negative. Sie ließe sich etwa folgendermaßen beschreiben: der Gegenstand fordert seinem Sinn nach, daß er in ein bestimmtes System hineinbezogen werde, die Gesetze jedoch, die dieses System beherrschen, widersetzen sich seiner Einordnung, sie machen die Äquivalenz irgendeines zum System gehörigen Gegenstandes mit dem in Frage stehenden unmöglich. Hieraus ersehen wir aber, daß nicht so sehr der unmögliche Gegenstand beurteilt wird, als vielmehr jenes gesetzmäßig geordnete System. Daß über dieses System wahre Urteile möglich sind, darin liegt nichts Verwundernswertes mehr. Tatsächlich urteile ich eigentlich nicht über die Primzahl zwischen 7 und 11, sondern auch über 8, 9, und 10. Und darum konnte auch bei mangelhafter Bestimmtheit oder gar Unkenntnis des entsprechenden Systems auch in betreff des unmöglichen Gegenstandes leicht ein Irrtum unterlaufen. Vor der Entdeckung der nichteuklidischen Geometrien war ein Dreieck mit einer größeren Winkelsumme als zwei Rechte ein unmöglicher Gegenstand, denn das ihm gerecht werdende System war unbekannt.

Wenn auch nun die letzte Begründung unserer Wahrheiten doch wieder im System verankert ist, so ist damit die Frage doch noch nicht vollständig gelöst. Der unmögliche Gegenstand ist jetzt vom System getrennt, aber damit ist selbst wieder eine Relation statuiert und zwar eine gültige Relation, die anerkannt werden soll. Auch Trennen ist logisches Verknüpfen. Der Gegenstand steht nun außerhalb des Systems und "außerhalb" ist, obwohl es hier nicht räumlich, sondern nur logisch verstanden werden darf, doch immer eine Relation. Es hilft also nichts: auch dem unmöglichen Gegenstand wird eine Relation transzendent vorgeschrieben und so muß also auch er irgendwie in einem System stehen. Dieses System ist unschwer aufzufinden. Wir müssen nur beachten, daß der unmögliche Gegenstand nicht mit den einzelnen Gegenständen des früher besprochenen Systems in Relation steht, sondern mit dem System als Ganzem. Eine Relation zu einem System ist aber nur in einem höher stehenden System möglich, nur in diesem kann das andere System als einfaches Glied fungieren.

Tatsächlich gehört die gesuchte Relation zum allgemeinsten aller logischen Systeme, zum System der logischen Gegenstände überhaupt. Wie immer wir auch den Wirkungskreis des unmöglichen Gegenstandes in diesem Kapitel einschränkten, eines mußten wir ihm immer einräumen, nämlich daß auch er ein Gegenstand ist. Als solcher steht er natürlich auch im allgemeinen Gegenstandssystem, als solcher gebührt seinen rein logischen Relationen, die ihm als Gegenstand, als Glied des logischen Gegenstandssystems zukommen, voller Wahrheitswert. So ist es auch zu verstehen, daß bloße analytische Aussagen auch über ihn gültig sind, denn aus dem Bereich der Logik und ihrer Gesetze ist er ja nicht ausgeschlossen. Die geflügelte Katze ist ein Tier und das runde Viereck ist ausgedehnt.

Innerhalb des logischen Gegenstandssystems, durch seine Gesetze steht auch der unmögliche Gegenstand mit allen übrigen in Beziehung, wir haben schon früher klar gesehen, daß hier schließlich jeder Gegenstand zu jedem anderen in Relation tritt. Dies wird durch die Einheit der Erkenntnis, durch die Einheit aller Wahrheiten gefordert. Auch die unmöglichen Gegenstände dürfen diese Einheit nicht durchbrechen, auch die falschen Urteilsgehalte müssen, um falsch sein zu können, ihren Platz in diesem einheitlichen Gewebe erhalten, auch sie müssen nach denselben transzendent wahren logischen Gesetzen beurteilt werden. Und darum wäre auch jene Übersicht, die wir vom Aufbau des Systems der logischen Gegenstände in den vorhergehenden Kapiteln zu erlangen trachteten, lückenhaft geblieben, wenn wir nicht auch den unmöglichen Gegenständen ihre Stelle inmitten der Begriffsgegenstände zugewiesen hätten.
LITERATUR - Oliver Hazay, Die Struktur des logischen Gegenstandes, Kant-Studien, Ergänzungsheft, Bd. 35, Berlin 1915
    Anmerkungen
    1) Daß ein existierender Berg nicht existiert, ist kein Widerspruch; existieren ist in den beiden Fällen nicht gleichwertig, das Urteilsprädikat ist dem Attribut übergeordnet. (Vgl. dazu § 35)