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KARL du PREL
Die Experimentalpsychologie der Zukunft

"Ein Amulett heilt: ist Wirkung der Suggestion. Kranke werden durch homöopathische Pillen gesund: ist Wirkung der Suggestion. Magnetiseure heilen: immer nur Suggestion."

Im Jahre 1886 kam mir das erste Heft der von Dr. BÉRILLON redigierten "Revuie de l'Hypnotisme" zu. Das Erscheinen dieser Zeitschrift gab der endlichen Anerkennung des Hypnotismus einen öffentlichen Ausdruck; die Perspektive einer Experimentalpsychologie war eröffnet. Ich hatte aber damals noch einen speziellen Grund zu frohlocken: Mir fielen GOETHEs Worte ein:
    Den Teufel spürt das Völkchen nie,
    Und wenn er sie beim Kragen hätte.
Der Hypnotismus war für mich eines der Eingangstore in das Gebiet des Okkultismus und dieses Tor war nun von der offiziellen Wissenschaft selbst durchschritten worden, aber ohne die Ahnung, daß damit nur der erste Schritt in einer ganz neuen Richtung getan war. Das dunkle Reich ist nun eröffnet, mit dessen Erforschung im Mittelalter so viele "arme schwitzende Menschenhäupter" sich geplagt haben und nun werden diesen vorangeeilten Pfadfindern bald die regelrechten Expeditionen folgen.

Zwar spürt das hypnotische Völkchen den Teufel immer noch nicht. Es verwechselt das Tor mit dem Gebäude. Es gibt noch heute Ärzte, die nicht glauben wollen, daß dieser erste Schritt sie bald zu weiteren verpflichten wird und die den Hypnotismus zu einem bloßen Kapitel der physiologischen Psychologie degradieren wollen. Es wiederholte sich eben damit die in der Geschichte der Wissenschaften bekannte Erscheinung, daß zwischen der anfänglichen Leugnung und dem schließlichen richtigen Verständnis der Tatsachen eine Zwischenperiode eingeschoben wird, in welcher - um mit BACON zu reden - "das Neue in der Weise des Alten ausgelegt wird."

Es gibt andere Ärzte, die zwar von der Entwicklung des Hypnotismus noch viele Entdeckungen erwarten, aber ihn doch für eine Sackgasse halten und nicht glauben wollen, daß schon hier der Wegweiser ins dunkle Reicht steht. Ich hatte mich aber damals schon seit einer Reihe von Jahren mit Somnambulismus und Spiritismus beschäftigt, also mitten im dunklen Reich herumgetrieben und wenigstens so weit orientiert, daß ich nun den am Wegweiser eingetroffenen neuen Ankömmlingen entgegensah, wie eben der Pfadfinder die regelrechte Expedition begrüßt. Hypnotismus, Somnambulismus und Spiritismus sind nur durch ganz flüssige Grenzen getrennt; wer also durch das hypnotische Eingangstor tritt, wird - es ist das nur eine Frage der Zeit und der Ausdauer - schließlich beim Spiritismus anlangen. Dieser Überzeugung gab ich damals einen vorläufigen Ausdruck in einem Aufsatz "Wohin führt der Hypnotismus?" (1), der seither in meine "Studien aus dem Gebiet der Geheimwissenschaften" aufgenommen wurde.

Das hypnotische Völkchen hat seither einige Fortschritte gemacht; ja, es hat den Teufel gespürt; aber es glaubt, nicht von ihm gehalten zu werden, sondern vielmehr selbst ihn zu halten. Der Zusammenhang zwischen Hypnotismus, Somnambulismus und Spiritismus wird zwar eingesehen, aber im Sinne der historischen Aufeinanderfolge ausgelegt, wobei die früheren Stufen von der letzten verdrängt und abgelöst würden. Historisch trat zuerst der mittelalterliche Gespensterglaube auf, weil eben hier die Entdeckung am Leichtesten war; dann folgte die Entdeckung des Somnambulismus durch MESMER und PUYSEGUR und zuletzt die des Hypnotismus durch BRAID. Es herrscht nun heute noch die Ansicht, der Somnambulismus sei durch den Hypnotismus, MESMER durch BRAID, abgelöst. Man glaubt ferner, daß die Suggestion - diese bildet ja den Kern des Hypnotismus - sogar berufen sei, den wieder erstandenen Gespensterglauben, den Spiritismus, zu verschlingen, d. h. auf einen kleinen Wahrheitskern zu reduzieren. Gespenstererscheinungen werden als suggestiv erzeugte Halluzinationen betrachtet. In diesem Sinne hat erst jüngst einer vom hypnotischen Völkchen seine Trompete ertönen lassen und den ganzen Okkultismus in Suggestion aufgelöst: "So zerfällt das Kaleidoskop von Dichtung und Wahrheit, wie wir es in den Wundern des Volksglaubens aller Zeiten finden, unter dem Licht der Suggestion ... Es ist, abgesehen von der medizinischen und fachpsychologischen Bedeutung, ein hervorragendes Verdienst der Suggestionslehre, daß sie auch ein volles Licht wirft auf die Verirrungen der menschlichen Phantasie und die Ausschweifungen des Aberglaubens." (2)

Das bißchen Suggestion, das von der Medizin zwar nicht entdeckt, aber doch ausgebildet wurde, ist also bereits zum Mädchen für alles geworden. Ein Amulett heilt: ist Wirkung der Suggestion. Kranke werden durch homöopathische Pillen gesund: ist Wirkung der Suggestion. Magnetiseure heilen: immer nur Suggestion. In einer spiritistischen Sitzung erscheint ein Phantom: - ist nur Wirkung einer Autosuggestion oder Übertragung der Autosuggestionen des Mediums auf die Experimentierenden.

Wenn man aber schon so verfährt, sollte man wenigstens konsequent sein. Wenn Apotherquark heilt, warum sollte gerade hier keine Suggestion vorliegen? Es zeigt sich eben wieder einmal, daß wenn einer eine blaue Brille trägt, ihm alles blau erscheint. Kaum ist die Suggestion anerkannt, so glaubt man schon mit dieser Lanze alle Gegner niederstrecken zu können; der Erklärungsumfang des neuen Prinzips wird ins Ungeheuerliche ausgedehnt und eine Ausnahme machen die Ärzte nur - zu ihren eigenen Gunsten, zugunsten der Allopathie [Heilverfahren, bei dem Mittel eingsetzt werden, die eine der Krankheitsursache entgegengesetzte Wirkung haben - wp].

So meinen also die Herren vom hypnotischen Völkchen, den ganzen Okkultismus zu einem  monte testaccio  [Scherbenhügel von Rom - wp] zerschlagen zu können, auf dem sie den hypnotischen Aussichtsgipfel erbauen. Dies ist aber - und das soll im Nachfolgenden ausgeführt werden - das gerade Gegenteil von dem, was eintreten wird. Der Hypnotismus ist nicht der Gipfel auf den Trümmern des "Aberglaubens", sondern er wird eine solide Basis bereiten, auf der sich das Gebäude des Okkultismus erheben wird.

Ich denke von der Suggestion durchaus nicht gering; im Gegenteil wird gerade dieser Aufsatz zeigen, daß niemand sie höher stellt als ich. Sie ist meiner Meinung nach nicht bloß mit negativen Aufgaben gewachsen, sondern sehr positiven. Sie wird den Somnambulismus und Spiritismus nicht verschlingen, sondern sie wissenschaftlich begründen helfen.

Was zunächst den Somnambulismus betrifft, so werden ihm die merkwürdigsten Phänomene zugeschrieben; aber so lange wir geduldig warten müssen, bis die Natur sie hervorbringt und der Zufall uns Gelegenheit zur Beobachtung liefert, ist an eine allseitige Anerkennung dieser Phänomene nicht zu denken. Diese wird erst dann eintreten, wenn wir den Hebel entdecken, diese Phänomene willkürlich herbeizuführen. Ein solcher Hebel ist nun aber die Suggestion.

Betrachten wir nämlich die Phänomene des Somnambulismus, so werden wir - so verschiedenartig sie auch sind - ohne Scharfsinn erkennen, daß in ihnen die Autosuggestion eine ebenso große Rolle spielt wie im Hypnotismus die Fremdsuggestion. Autosuggestion und Fremdsuggestion sind nun aber identisch; sie unterscheiden sich nicht dem Wesen nach, sondern nur durch die Quelle, aus der sie kommen. Beide sind dominierende Vorstellungen, die unter Ausschluß aller anderen Vorstellungen zur Alleinherrschaft gelangt sind. Von der Macht einer solchen Vorstellung kann man sich nicht leicht eine zu große Meinung bilden. Es wird behauptet, durch Suggestion könne eine Versuchsperson zu einem Verbrechen angetrieben werden. Warum nicht? Die Suggestion ist jedenfalls ein Motiv zum Verbrechen und wenn dieses Motiv dominiert und alle Gegenmotive fehlen, so muß sich die Suggestion notwendig in Handlung umsetzen. Es sind Fälle bekannt, daß Nachtwandler unter dem Einfluß einer traumhaften Autosuggestion aus fremder Quelle kommt.

Wenn Autosuggestionen und Fremdsuggestionen dem Wesen nach identisch sind, so müssen sie sich gegenseitig ersetzen können. Phänomene, die der Hypnotiseur erzielt, können also in spontaner Erzeugung auch von der Natur geliefert werden. Andererseits aber - und das ist für uns viel wichtiger - mußt die Autosuggestion auch durch Fremdsuggestion ersetzt werden können; der Hypnotiseur muß also die natürlichen Muster nachmachen können. Wenn dem so ist - und es ist so -, so eröffnet sich uns die Aussicht auf eine transzendentale Experimentalpsychologie und zwar mit Hilfe der Suggestion. Die Suggestion, weit entfernt, den Somnambulismus zu verschlingen, wird vielmehr in seinen Dienst gestellt; die vermeintliche Lanze, womit man den Somnambulismus niederstrecken wollte, wird sich in einen Hebel seiner Phänomene verwandeln.

Was bisher als Experimentalpsychologie geboten worden ist, reicht allenfalls hin zu einem Kapitel der Gehirnphysiologie, trägt aber zur Lösung des Menschenrätsels fast nichts bei. Ich verstehe unter transzendentaler Experimentalpsychologie eine solche, welche die Existenz einer Seele und deren noch unbekannten Fähigkeiten beweist. Daß aber die Suggestion der Hebel werden kann, diese in der Regel latenten Fähigkeiten auszulösen, ist nicht verwunderlich. Eine domnierende, alleinherrschende Vorstellung muß naturgemäß von der größten Leistungsfähigkeit sein. Wer von einer solchen beherrscht ist, wird alle seine Kräfte in ihren Dienst stellen und wenn die normalen Kräfte nicht ausreichen, wird er, in die Tiefen seines Wesens greifend, die abnormen Kräfte heranziehen.

Ein kurzer Überblick über die Phänomene des Somnambulismus und die Parallelfälle des Hypnotismus wird uns das erkennen lassen:

Nehmen wir z. B. das Stigma. Eine Nonne, etwa KATHARINA EMMERICH, ganz versunken in den Anblick des Kruzifixes, das sie in Händen hält, erweckt sich autosuggestiv so lebhafte Vorstellungen von den Schmerzen des Heilands, daß diese dominierende Vorstellung in der Gefühlssphäre ein lebhaftes Mitempfinden erregt und, sogar in die organische Sphäre übergreifend, am eigenen Leib das plastische Stigma erzeugt. Daß der psychische Vorgang von dieser Art ist, hat schon GIORDANO BRUNO gewußt, was aber unsere physiologischen Psychologen nicht abhält, noch 300 Jahre später alle Berichte dieser Art zum Aberglauben zu werfen. So z. B. Professor VIRCHOW in seiner Schrift "Über Wunder". Aber dieses "wissenschaftliche" Dekret war kaum erlassen, als der Parallelfall auf der Seite der Fremdsuggestion entdeckt wurde: das künstliche Stigma. Brandblasen, rot unterlaufene Schriftzüge oder Abbildungen von Gegenständen können am Leib von Versuchspersonen durch Fremdsuggestion erzeugt werden.

Eine andere Fähigkeit der Somnambulen ist der sogenannte Heilmittelinstinkt und es fehlt sogar nicht an Ärzten, die von dieser Fähigkeit mehr halten als von der wissenschaftlichen Therapie. Somnambule, die sich selbst überlassen sind, beschäftigen sich zunächst damit, ihre eigene Diagnose vorzunehmen und die Mittel ihrer Heilung zu suchen; aber nicht bei allen vertieft sich der Somnambulismus bis zu diesem Grad. Wenn er aber nicht spontan diese Richtung nimmt, so kann sie ihm ohne Zweifel durch Fremdsuggestion erteilt werden. Allem Anschein nach war das das Geheimnis des Tempelschlafes im Altertum. Wäre dabei nur Somnambulismus erweckt worden, so würde sich der Heiltraum wohl manchmal wie bei unseren Somnambulen, eingestellt haben, aber nicht regelmäßig. Ich vermute daher, daß die Tempelpriester das Geheimnis der Suggestion kannten. Als ich in meinem Arbeitszimmer einem Patienten eine solche Suggestion erteilen ließ, stellte sich nicht nur der - sogar posthypnotisch für die nächste Nacht angesetzte - Heiltraum ein, sondern die Traumphantasie dramatisierte den Vorgang sogar so, wie es vor Jahrtausenden bei den ägyptischen Tempelschläfern geschah, indem der Patient "eine Stimme hörte", die ihm therapeutische Ratschläge erteilte. (3)

Ein weiteres Phänomen ist der Heiltraum für andere. Nehmen wir zunächst ein natürliches Muster. Nach den Berichten alter Schriftsteller saß ALEXANDER der Große am Krankenbett seines Freundes PTOLEMÄUS - des späteren Königs von Ägypten -, der von einem vergifteten Pfeil verwundet worden war und unter großen Schmerzen den Tod erwartete. ALEXANDER war tief bekümmert und, von Müdigkeit überwältigt, schlief er ein. Im Traum erschien ihm der Drache, den seine Mutter Olympia hielt, mit einer Wurzel im Rachen, sagte ihm, wo diese Wurzel wachse und daß sie den PTOLEMÄUS heilen würde. Erwacht, beschrieb ALEXANDER diese Wurzel und deren Fundort; die ausgesendeten Soldaten brachten sie und nicht bloß PTOLEMÄUS wurde geheilt, sondern auch viele Soldaten, die ebenfalls Pfeilwunden erhalten hatten. (4) Hier zeigt sich nun sehr deutlich, daß ALEXANDER seine Sorge um den totkranken Freund als dominierende Vorstellung in den Schlaf hinüber nahm, welche Fernsehen und den Heiltraum auslöste. Ähnlich muß der Vorgang gewesen sein, wenn, wie es berichtet wird, die Tempelpriester manchmal für ihre Patienten den Heiltraum hatten. Als Parallelfälle auf seiten der Fremdsuggestion sind aber alle jene Fälle anzusehen, wo unsere Magnetiseure den Heilinstinkt der Somnambulen auf fremde Kranke lenken.

Eine andere transzendentale Fähigkeit ist das Fernsehen im Traum. Relativ häufig und aus allen Jahrhunderten sind solche natürlichen Muster berichtet, wobei Leute, die über den Verlust einer Urkunde, Quittung etc. bekümmert einschliefen, im Traum Aufschluß erhielten, wo sie zu finden seien. Wie ich schon einmal (in Nr. 30 der "Zukunft") ausgeführt habe, können wir die experimentellen Parallelfälle dadurch gewinnen, daß wir die Autosuggestion durch Fremdsuggestin ersetzen. Was ferner die verschiedenen Arten von somnambuler Fernwirkung betrifft, so läßt sich in den Berichten darüber häufig der autosuggestive Hebel erkennen; ich zweifle daher nicht, daß auch dieses Phänomen durch Fremdsuggestion erzielt werden kann. Das aber ist bei der relativen Seltenheit der natürlichen Muster der einzige Weg, wodurch Zweifler von der latenten Existenz magischer Kräfte im lebenden Menschen überzeugt werden können. Im Jahrhundert der Experimente stellt man auch an die transzendentale Psychologie die Anforderung, Experimentalwissenschaft zu werden.

Noch aber haben wir die weitere Frage zu lösen, ob die Suggestion auch mit dem bedenklichsten und bestrittensten Teil des Okkultismus in Verbindung gebracht werden kann, mit dem Spiritismus und zwar als Hebel zur Erzeugung spiritistischer Phänomene. Nehmen wir gleich den extremsten Fall, die Materialisation. Wie ist eine solche denkbar? Wir würden uns nur wertlosen Phantasien hingeben, wenn wir sagten, der Mensch erwerbe im Tode die Fähigkeit, als Geist erscheinen zu können. Dagegen würde das Phänomen der Geistererscheinung aufhören, paradox zu sein, wenn sich nachweisen ließe, daß auch diese Fähigkeit, gleich dem Fernsehen und Fernwirken, zu den latenten Fähigkeiten schon des  lebenden  Menschen gehört. Nun ist im Okkultismus sehr viel vom Doppelgänger die Rede und dieser kann in dreierlei Weise gedacht werden:
    1. Als subjektive Halluzination des Sehers
    2. Als therapeutisch erzeugte Halluzination des Sehers
    3. Als reales Gebilde, also als Materialisation des Diesseits.
Dem Problem des Doppelgänger habe ich eine sehr ausführliche Untersuchung gewidmet (5) und wenn der Leser das dort angehäuft Tatsachenmaterial durchsieht, wird er leicht erkennen, daß die meisten Fälle zur zweiten Kategorie gehören, in die telepathisch erzeugten Halluzinationen. Meistens aber zeigt sich dabei der Mensch, der seinen Doppelgänger entsendet, beherrscht von einer dominierenden Vorstellung, z. B. von dieser Sehnsucht nach der Person des Sehers. Daß nun dieses telepathische Erscheinen als Halluzination des Sehers auch herbeigeführt werden kann, wenn wir die Autosuggestion durch Fremdsuggestion ersetzen, bedarf keiner näheren Ausführung. Uns aber, die wir den Zusammenhang zwischen Suggestion und Materialisatin finden wollen, interessiert hier nur die dritte Kategorie, der reale Doppelgänger, der seine Objektivität dadurch beweist, daß er reale und bleibende Wirkungen ausübt. Bei der Frage nun, ob auch dieses Phänomen in das Programm der Experimentalpsychologie aufzunehmen ist, müssen wir weider die natürlichen Muster betrachten und nach Fällen Umschau halten, wo unter dem erregenden Einfluß einer starken Autosuggestion die Entsendung eines realen Doppelgängers eintritt.

Einen Fall dieser Art aus neuerer Zeit finden wir in einer Zeitschrift von streng wissenschaftlichem Charakter berichtet (6), wo er viel ausführlicher dargestellt ist, als es hier geschehen kann und wo mehrfache Zeugenaussagen zusammengestellt sind. Herr WILMOT schiffte sich 1863 auf dem Dampfer "City of Limerik" in Liverpool nach New York ein, wo seine Frau und seine Kinder waren. Am zweiten Tag erhob sich ein Sturm, der über eine Woche anhielt und erst in der Nacht vom 8. und 9. Tag nachließ. Zum ersten Mal seit seiner Einschiffung hatte WILMOT nun wieder eine gute Nacht. Inzwischen hatte seine Frau die Nachricht von den Stürmen im Atlantischen Ozean erhalten und ihre Sorge steigerte sich aufs Höchste, als die Nachricht kam, daß die nach Boston segelnde "Afrika", die am gleichen Tag wie die "City of Limerik" England verlassen hatte, gescheitert war. Die Frau war in der größten Angst um ihren Ehegatten und blieb mit dem Gedanken an ihn sehr lange auf.

Hier sehen wir also eine dominierende Autosuggestion auf der Grundlage tiefer Sorge erweckt und wenn auch der Originalbericht darüber schweigt, nehme ich an, daß der letzte Gedanke der Frau WILMOT vor dem Einschlafen ihr Gatte war, der demnach die dominierende Vorstellung blieb. Gegen 4 Uhr morgens träumte sie, über das in Aufruhr befindliche Meer geführt zu werden, wo sie einem schwarzen und niedrigen Schiff begegnete. Sie stieg an Bord und suchte in den Kabinen bis zu jenen des Hinterdecks. Dorf fand sie ihren Gatten und sie wunderte sich darüber, daß das über ihm befindliche Bett weiter zurückgeschoben war als sein eigenes. Im oberen Bett lag ein Mann, der sie fixierte, so daß sie einen Augenblick schwankte, ob sie eintreten sollte. Dann aber ging sie vorwärts, beugte sich über ihren Mann, umarmte ihn und ging wieder.

Wie sich nun später herausstellte, entsprach das Aussehen des Schiffes und der Kabine vollständig der Wirklichkeit. Es fragt sich also, ob hier die Autosuggestion ein räumliches Ferngesicht auslöste oder ob der reale Doppelgänger entsendet wurde. Um diese Alternative zu entscheiden, müssen wir die korrespondierenden Vorgänge auf dem Schiff und die Wahrnehmungen der beiden Kabinenbewohner zur gleichen Stunde untersuchen. Ihr Mann lag - wie erwähnt, zum ersten Mal gut schlafend - in seinem Bett. Gegen Morgen träumte er, seine Frau trete herein, zögere einen Augenblick beim Anblick des Schlafkameraden, gehe dann aber auf ihn zu, umarme ihn und entferne sich wieder. Als er erwachte -, und damit kommen wir auf den entscheidenden Punkt -, sah er seinen Schlafkameraden WILLIAM D., der mit aufgestützten Ellenbogen auf ihn herab sah. "Sie sind ein glücklicher Junge - sagte WILLIAM - eine Dame zu haben, die in dieser Weise zu Ihnen kommt." WILMOT bat ihn, sich näher zu erklären und nun erzählte WILLIAM, was er  wachend  gesehen hatte und was mit dem Traum WILMOTs genau übereinstimmte.

Man könnte nun sagen, Frau WILMOT habe einen Wahrtraum gehabt, den sie fernwirkend auf ihren Mann und dieser seinerseits auf den wachenden WILLIAM übertrug; aber eine solche Mehrheit ganz ungewöhnlicher Vorgänge, im gleichen Augenblick zusammenfallend, ist im höchsten Grad unwahrscheinlich. Fand dagegen die Entsendung des Doppelgängers statt, der genug Realität hatte, um auf den Gesichtssinn des wachenden WILLIAM zu wirken, so fällt der Wahrtraum der Frau WILMOT und dessen doppelte Übertragung als überflüssig weg.

Nun gibt es genug Berichte über Doppelgänger, die nicht bloß auf den Gesichtssinn Unbeteiligter wirken, sondern durch eine Tätigkeit von materieller und bleibender Wirkung ihre Realität beweisen. Im Falle von WILMOT aber ist diese Annahme umso zulässiger, als er dadurch sehr vereinfacht wird. Damit ist nun aber ein Punkt erreicht, der für die Experimentalpsychologie sehr wichtig ist. Es würde sich daraus ergeben, daß eine aufgrund hochgradiger Erregung eintretende Autosuggestion, wie sie die anderen okkulten Fähigkeiten auslöst, so auch die Entsendung des Doppelgängers auslösen kann, so daß er an dem ihm von der Autosuggestion angewiesenen Ort erscheint.

Der reale Doppelgänger ist nun innerhalb der transzendentalen Psychologie eben das, was auf dem Gebiet des Spiritismus die Materialisation ist; er ist die Materialisation des Diesseits. Er bildet eine von den vielen merkwürdigen Analogien zwischen Somnambulismus und Spiritismus und zwar diejenige, die sich auf den Superlativ des Spiritismus bezieht. Die Fähigkeit der Somnambulen, real an einem entfernten Ort zu erscheinen, ist identisch mit der von Verstorbenen, sich dort zu materialisieren, wohin ihre Gedanken und Gefühle gerichtet sind. Nur ein Gradunterschied scheint vorhanden zu sein, weil sich das leibliche Leben als ein beträchtliches Hindernis erweist. Es bedarf beim lebenden Menschen einer sehr tief gehenden Erregung und einer in hohem Grad dominierenden Autosuggestion, damit sein transzendentaler Wesenskern affiziert und zur Entsendung des Doppelgängers veranlaßt wird. Darum eben ist das Phänomen auch selten. Bei Verstorbenen scheint es eines so starken Anstoßes nicht zu bedürfen, die Seltenheit des Phänomens daher anderen Usachen zugeschrieben werden zu müssen. Dem transzendentalen Subjekt sind ja alle mystischen Fähigkeiten normal und sie bedürfen keiner hochgradigen Motivation. Wohl aber ist diese nötig, wenn der erste Anstoß vom sinnlichen Bewußtsein des lebenden Menschen ausgeht, weil sich nur starke Erregungen auf den transzendentalen Wesenskern fortpflanzen und übertragen und ihn in Mitleidenschaft ziehen. Damit stimmt die Erfahrung überein. Dem Erscheinen des Doppelgängers liegt immer eine lebhafte Autosuggestion des lebenden Menschen zugrunde; dem Erscheinen spiritistischer Phantome entspricht schon der normale Motivationsgrad.

Die wichtigste Frage der Experimentalpsychologie wäre nun die, ob auch die spiritistische Materialisation dem Experiment zugänglich gemacht werden kann. Wer an spiritistisch Materialisation nicht glaubt, erklärt sie aus Maskeraden der Medien oder aus Halluzinationen der Zuschauer. Aber auch der Spiritist, der sich von der objektiven Realität der Phantome überzeugt hat, wird sich vielleicht doch sagen, daß der Identitätsbeweis, d. h. der Beweis, daß wir es dabei mit einem Verstorbenen zu tun haben, bisher noch nicht geliefert worden ist.

Zum Experiment, das ich in dieser Hinsicht vorschlagen möchte, haben wir schon im bisherigen einige Anhaltspunkte gewonnen. Bei den verschiedenen mystischen Fähigkeiten nämlich hat sich die Autosuggestion als ein sehr günstiger Auslösungshebel gezeigt, und es hat sich ergeben, daß sein Ersatz durch Fremdsuggestion die experimentellen Parallelerscheinungen liefert. Der autosuggestive Hebel ist nun auch beim Doppelgänger erkenntlich und daraus dürfen wir schließen, daß auch hier durch Fremdsuggestion ein gleichwertiger Ersatz geboten werden kann. Ein großer Vorzug der Fremdsuggestion ein gleichwertiger Ersatz geboten werden kann. Ein großer Vorzug der Fremdsuggestion ist es nun aber, daß sie auch  posthypnotisch  angesetzt werden kann und wenn sich dieser Vorteil für den Doppelgänger, für die Materialisation des Diesseits, ausnützen ließe, so muß auch die spiritistische Materialisation, d. h. der posthume Doppelgänger, auf diesem Wege möglich sein. Vom Standpunkt der Logik läßt sich gegen diese Möglichkeit nichts einwenden; wichtiger aber ist, daß auch der Erfahrungsbeweis schon in zahlreichen Fällen geliefert worden ist, nur daß man sich über den psychologischen Prozeß nie klar genug war, um das Experiment mit dem nötigen wissenschaftlichen Raffinement anzustellen.

In der älteren Literatur nämlich sowie in Sammelwerken der Neuzeit sind ziemlich viele Fälle berichtet, wo lebende Menschen, durch starke Bande der Freundschaft und Liebe verbunden, unter dem erregenden Einfluß einer Abschiedsstunde sich gegenseitig das Versprechen gaben, daß der zuerst Sterbende dem Überlebenden erscheinen sollte und daß diese Erscheinung dann entweder im Augenblick des Sterbens oder bald darauf eintrat. Hier liegt also eine gegenseitige und zwar posthum angesetzte Fremdsuggestion vor. Gewiß sind solche Versprecheungen nur in seltenen Fällen eingelöst worden und zwar darum, weil Fremdsuggestionen, im Wachen erteilt, nur selten haften. Solche Versuche würden aber häufiger von Erfolg begleitet sein, wenn sich der Empfänger jeweilig in dem für Suggestionen günstigsten Zustand befände. Dieser Zustand ist der Hypnotismus. Ich möchte daher dem Versuch das Wort reden, das Versprechen posthypnotischer oder posthumer Erscheinung hypnotisierten Personen abzuverlangen. Die posthume Ausführung solcher Suggestionen dürfte sogar leichter sein als die posthypnotische zu Lebzeiten, diese aber wieder umso leichter, je mehr sich der Zustand der Versuchsperson dem posthumen Zustand annähert, d. h. je geringer das leibliche Hindernis ist. Es kann der normale Schlaf genügen, mehr Erfolg aber dürfte der Somnambulismus bieten oder wenn die Versuchsperson als lebendig begrabener Fakir das leibliche Hindernis vorübergehend abgelegt hat.

Wir rühmen uns eines großen Vorzugs vor den Tieren, nämlich unseres Selbstbewußtseins. Wie schlecht es aber mit diesem bestellt ist, ersehen wir daraus, daß der Streit, ob wir eine Seele besitzen und unsterblich sind, nun schon seit Jahrtausenden geführt wird, ohne erledigt zu sein. Es ist also wohl der Mühe wert, einen Versuch unzustellen, der diesen Streit experimentell und definitiv zur Entscheidung brächte. Logisch läßt sich der Vorschlag, wie gesagt, rechtfertigen; aber probieren geht über studieren und da nun schon so zahlreiche Gesellschaften bestehen, welche den Okkultismus erforschen, so sollten die Versuche ernstlich in die Hand genommen werden, die ohnehin nur eine hypnotisierbare Person voraussetzen. Wenn dem posthypnotisch oder posthum angesetzten Phantom zudem eine Tätigkeit von materieller und bleibender Wirkung anbefohlen und der photographische Apparat zur Stelle wäre, der zur angesetzten Stunde den Beweis der Realität des Phantoms liefern könnte, so würden den zahlreichen Fällen, wo das Erscheinen des Phantoms durch Autosuggestion ausgelöst wird, bald auch die Parallelfälle auf seiten der Fremdsuggestion beigefügt werden können. So würden wir, ausgehend von der hypnotischen Suggestion und hindurchgehend durch die verschiedenen Mittelglieder, beim Superlativ des Spiritismus, bei der Materialisation und dem Identitätsbeweis anlangen und erst dann wäre die Behauptung, daß der Hypnotismus zum Spiritismus führt, auch experimentell erwiesen.

LITERATUR - Karl du Prel, Die Experimentalpsychologie der Zukunft in "Die Zukunft", Maximilian Harden (Hg), Bd. 5, Berlin 1893
    Anmerkungen
    1) KARL du PREL, Psychische Studien, Januar 1888
    2) Allgemeine Zeitung, Beilage, 7. April 1893
    3) du PREL, Studien aus dem Gebiet der Geheimwissenschaften
    4) CICERO, de divinat. II c 66; CURTIUS RUFUS IX, 8. STRABO XV, 2. 7; DIODORUS XVII, 103; SUETONIUS IX
    5) du PREL, Monistische Seelenlehre, Seite 167 - 261
    6) Annales des sciences psychiques I, Seite 219 - 226