ra-2Ökonomie als WissenschaftIst metaphysikfreie Wissenschaft möglich? 
 
FRANZ BLEI
Die Metaphysik
in der Nationalökonomie


"Diese Theoretiker wissen nicht, worauf sie ihre Theorien bauen, sie wissen nicht, wessen Bodens Frucht diese sind. Sie dünken sich die voraussetzungslosen Realisten, da sie sich ja mit den so  nüchternen, praktischen  und  sinnfälligen  wirtschaftlichen Erscheinungen befassen."

"Aus der Ricardoschen Wertlehre hatten englische und französische Sozialisten die Konsequenz gezogen, daß der Arbeitslohn dem Arbeitsprodukt gleich sein müsse; da dieses aber tatsächlich nicht der Fall ist, bereichert sich die bürgerliche Gesellschaft - der Grundbesitzer und der Kapitalist - an dem, was sie dem Arbeiter vorenthält."

"Die Wertform ist für Marx die Körperzelle des ökonomischen Körpers."

"Marx wollte  erkennen,  daß die Menschen, soweit sie  Kapitalisten  sind, den Menschen, soweit sie  Arbeiter  sind, den größeren Teil ihres Arbeitsproduktes nicht  stehlen,  sondern daß dieses ihr Tun nur eine Wirkung der Naturgesetze der kapitalistischen Produktion ist, daß es sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, handelt."

"Die Bourgeois-Ökonomen stehen so stark unter dem Einfluß der theoretischen Tradition, daß sie gar nicht daran denken, an der  Tatsächlichkeit  und  Grundgesetzlichkeit  einer wirtschaftlichen Wertnorm zu zweifeln."


I.

Der Zweck der folgenen Untersuchung ist, zu zeigen, daß alle bisherige Nationalökonomie in ihren Versuchen, die Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens zu erklären, mit metaphysischen Voraussetzungen operiert; daß sie entweder die  Gesetze  der Wirtschaft aus der  Natur  derselben  ableitet,  zu welchen  Gesetzen  der Mensch nur als ein Zufälliges tritt - oder daß sie von  psychischen  Eigentümlichkeiten und Fähigkeiten des Menschen spricht, welche die  Gesetz  der Wirtschaft in irgendeiner Weise  beeinflussen.  Mit allen ihren bisherigen Theorien steht die Nationalökonomie auf metaphysischem Boden, alle ihre Theorien sind unbiologisch und deshalb unwissenschaftlich und wertlos für die Erkenntnis. Bis in die neueste Zeit hinein wird in der nationalökonomischen Literatur noch die alte Streitfrage diskutiert, ob die Nationalökonomie eine "Kunst" oder eine "Wissenschaft" sei. Gleichgültig wie die Entscheidung ausfällt, ist dieser Streit mit seiner Wort-Pointierung charakteristisch für den Mangel sowohl des Untersuchungsstandpunktes als für die undeutliche und unklare Kenntnis des Untersuchungsgegenstandes. Die Theoretiker wissen nicht, worauf sie ihre Theorien bauen, sie wissen nicht, wessen Bodens Frucht diese sind. Sie dünken sich die voraussetzungslosen Realisten, da sie sich ja mit den so "nüchternen", "praktischen" und "sinnfälligen" wirtschaftlichen Erscheinungen befassen. Aus der Art ihres Forschungsgebietes schließen die Nationalökonomen, daß sie den Naturwissenschaften - und unter diesen den Physiologen am nächsten stehen. (1)

Und sie haben auch alle mit manchen Richtungen in der Physiologie die verwandtschaftliche Ähnlichkeit, die nur immer ein gleiches Elternpaar - hier die Metaphysik und die Spekulation - ihren Kindern, den Physiologen und Ökonomen, geben kann. Die einen von den letzteren analysieren die  Erscheinungen  der  Wirtschaft,  ohne das auf diesem Weg Gefundene zum Verhalten der Individuen in Beziehung zu setzen: die Physiologen schließen das Verhalten des Individuums als  Wirkungen der Seele  von ihren Untersuchungen aus - die Ökonomen dieser Richtung erklären das Verhalten der Individuen als eine Negligible [Vernachlässigbare - wp] in Hinsicht auf die  immanenten  Gesetze der Wirtschaft. Eine andere Richtung fand eine  wirtschaftliche Seele  des Individuums und setzte diese  Seele  als  Ursache  der Wirtschaft.

Die Beschäftigung des Menschen mit den wirtschaftlichen Erscheinungen, das Denken des Menschen darüber erfuhr seine erste Anregung von besonders sinnfälligen Änderungen der  bekannten wirschaftlichen  Umgebung. Das  Schlechterwerden  des Geldes, die Leere in der Staatskasse oder der Kasse eines Fürsten, gab den Verwaltungsbeamten den nicht gerade willkommenen Anlaß, über diese Veränderungen nachzudenken oder darüber nachdenken zu lassen, ihren Ursachen nachzuspüren und Mittel zur Abhilfe zu ersinnen. Zusammen mit den Vorschriften für die Kammerbeamten gibt das das  Wissen  von der Wirtschaft in seiner anfänglichen Gestalt. Die Quantität dieser Äußerungen menschlichen Nachdenkens nahm zu mit der Zahl und Art der Änderungen menschlicher Erhaltungsbedingungen, soweit dieselben in den  Formen  der  Wirtschaft  sichtbar wurden.

In das Meinen und Raten der kameralistischen Ökonomen drängte sich nun die scheinbare Komplikation der  Wirtschaft  und der ökonomische Denker suchte nunmehr im Ganzen und den Teilen des Ganzen eine  höhere Einheit  zu finden; er wendet sich zu wenigsten scheinbar  unveränderlichen  abhängigen Multiponiblen [nach AVENARIUS Letztbeschaffenheit eines Systems - wp], welchen gegenüber die  Ereignisse  in ihrer  Veränderlichkeit  doch je als das  Konstante  gesetzt werden können. Die  Veränderung  wird als ein untergeordneter Einzelfall jenen  unveränderlichen  Werten gegenüber  begriffen;  die  Beunruhigungen  des Individuums durch die  Veränderungen  des Lebens vermindern sich mit dem  Begreifen  der  unveränderlichen  Werte. (2) Das so gewordene  wahrhaft Seiende  wird nun vom Individuum ektosystematisiert [von außen her systematisiert - wp] indem es von dieser  sicheren Warte der Wahrheit  herab den Lauf der Wirtschaft und der Wissenschaft von der Wirtschaft zu  fördern  trachtet.

So ist nach STEWART der Hauptzweck des  Wealth of Nations  "zu zeigen: wie die Natur durch die Grundlagen des menschlichen Geistes und durch die äußeren Lagen, in welche sie den Menschen versetzt, für die stufenweise Vermehrung des Nationalreichtums gesorgt hat; zugleich aber auch  zu beweisen, daß das wirksame Mittel, eine Nation groß und reich zu machen,  dieses ist, wenn man der Natur in ihren Anlagen und Einrichtungen folgt, indem man ..." usw.

Nirgens in der ganzen national-ökonomischen Literatur findet sich auch nur ein Ansatz, die Dinge der Wirtschaft im Sinne einer Analyse darzustellen; trotz aller Theorie und seit QUESNAY mit aller Theorie nimmt der Forscher immer "Stellung", er ergreift Partei für die eine oder die andere Gruppe wirtschaftender Individuen, für die eine oder die andere Form des wirtschaftlichen Betriebes, der wirtschaftlichen Politik - oft und meist nicht mit einer eigenen Theorie, sondern mit einer älteren; der Forscher steht seinem Problem nicht beschreibend gegenüber, sondern moralisieren. "Die erste Forderung, die wir für die Nationalökonomie aufstellen müssen, lautet: daß sie auf den Grundlagen der ethischen Gesetze aufgebaut werde. Das bedeutet nicht so viel, daß sie billige Lehren, salbungsvolle Ratschläge erteilt, sondern daß sie die Wirkung der ethischen Gesetze untersuche, die sittlichen Postulate formuliere und auf jedem Punkt nur solchen wirtschaftlichen Vorgängen zustimme (!), die mit dem Sittenkodex in Einklang stehen". (3)

Eine Wissenschaft, welche die deskriptivste unter allen zu sein berufen ist, ist durch die literarische Tradition und durch das augenblendende und ohrenbetäubende Marktgewirr der um ihre Erhaltung tätigen Menschheit dahingekommen, mit  Induktion  und  Deduktion,  mit und ohne  Psychologie  metaphysisch zu werden. Die national-ökonomische Theorie hat bei den Merkantilisten, Physiokraten und Klassikern mannigfache Aufschlüsse gegeben, wie man zu Geld kommt,  gestützt  auf die  Gesetze  der  Natur  und des  Menschengeistes  - die Theorie hat bei MARX an konstruierten Vorgängen "wirtschaftliche Gesetze" konstatiert, wobei die  Gesetze  im Initialabschnitt der abhängigen Vitalreihe standen, die wirtschaftlichen Vorgänge im Finalabschnitt - die Theorie hat bei der "österreichischen Schule" an konstruierten Individuen wirtschaftliche "Wollungen" und "Triebe" konstatiert, wobei die  tatsächliche Wirtschaft  im Initial-, die  psychischen Gesetze  im Finalabschnitt standen.

Die  Wirtschaft  wurde den Ökonomen zu einer transzendentalen Kategorie, in welcher sie die  Gesetze  fanden, welche sie finden wollten: die  Gesetze  des  Kapital und der  Arbeit der  Rente,  des  Lohnes,  des  Profits.  Der Mensch wurde bei den Ökonomen zu einem platonischen Begriff des  Kapitalisten,  zu einem solchen des Arbeiters usw. Der Sozialismus gab dem "Kapitalisten" noch den Charakter  profitwürdig,  der Liberalismus dem Arbeiter den Charakter  begehrlich  - und beide Charaktere wurden ferner noch als aus dem  gesetzmäßigen Wirken des Kapitals  erklärt. Das Verhältnis der modernen ökonomischen Metaphysik zur älteren der SMITH und RICARDO zeigt folgender Satz eines zur "Österreichischen Schule" gehörenden Theoretikers: "Zu SMITHs Zeiten erklärte man die gewordenen Zustände aus der "ursprünglichen" Menschennatur und dem "ursprünglichen" Stand der Dinge und war zufrieden. Wir wollen die Wirklichkeit aus der Wirklichkeit erklären, die Philosophie selbst ist empirisch geworden, sie läßt kein Beweismittel zu, das nicht aus der Erfahrung beglaubigter Zustände gezogen ist. Der geschichtliche Staat, das positive Recht, die empirische Wirtschaft sind die Objekte der Untersuchung und zugleich die ausschließlichen Quellen für die Hilfsmittel der Untersuchung. SMITH und RICARDO, wenn sie heute schrieben, wären sie des heutigen Geistes voll und selbst, wenn sie nicht die Fülle von Beobachtungen und Erkenntnissen zu Gebote hätten, die dank dem Genie des einen und dem Scharfsinn des anderen uns zu Gebote stehen, so würden sie doch ungleich vollkommenere Werke schaffen, als zu ihrer Zeit und sicherlich die Fehler vermeiden, denen der Menschengeist seither entwachsen ist." (4)

Dies ist auch die Sprache der modernen Seelenphysiologen, wenn sie von der alten "Lebenskraft" sprechen; aber die moderne Physiologie hat vielleicht mehr Recht so zu sprechen, als die moderne Ökonomik. Diese hat der älteren Metaphysik eines SMITH und RICARDO nur einen etwas anderen Inhalt gegeben, sie ist "intelligenter" geworden und in diesem "naturwissenschaftlichen Zeitalter" kann sie natürlich nur lächeln über die "ursprüngliche" Menschennatur. - In dem oben zitierten Satz ist von einem  Fortschritt  der  Wissenschaft  die Rede. Daß dem Forscher jetzt eine größere Zahl und Art der Erscheinungen vorliert, als zur Zeit RICARDOs, ist nicht ein Fortschritt der  Wissenschaft.  RICARDO könnte in unserer Zeit leben und seine Theorie könnte ganz gut in unserer Zeit entstehen, die doch sich so ausschließende ökonomische Theorien zutage gefördert hat, trotzdem alle ja vor den gleichen  wirtschaftlichen Erscheinungen  stehen. Man braucht nicht erst die Trivialität zu sagen, daß ein Metaphysiker in seiner Wesenheit einem vorangegangenen gegenüber keinen  Fortschritt  aufweist, SCHOPENHAUER nicht KANT und WIESER nicht SMITH gegenüber. E-Werte [nach AVENARIUS der Beschreibung zugängliche Werte - wp] als Abhängige von Independenten haben in den Umgebungsänderungen keine Änderungsbedingung, so wie sie auch von Umgebungsbestandteilen der Gattung  R  als solchen nicht bedingt worden sind.

Ich will versuchen, das Gesagte an zwei in unseren Tagen herrschenden national-ökonomischen Theorien nachzuweisen, an der Theorie von MARX und an der Theorie der sogenannten Österreichischen Schule, so genannt, weil ihre Gründe und Vertreter meistens Österreicher sind. (5)


II.

Während FRIEDRICH ENGELS das erste und einzige deskriptive Buch des modernen Sozialismus "Die Lage der arbeitenden Klassen in England" schrieb, "warf sich MARX aufs Studium der politischen Ökonomie, der französischen Sozialisten und der Geschichte Frankreichs". (6)

MARX ging bereits mit einer sozialistischen Weltanschauung an dieses Studium heran und sein Erkenntnisziel war, dieser seiner Weltanschauung die  theoretische Begründung  zu geben zur  Sicherung  seines Anfangswertes. Er fand bei RICARDO dieses Wertgesetz: daß der Wert jeder Ware einzig und allein bestimmt wird durch das zu ihrer Produktion nötige Arbeitsquantum und daß das Produkt der gesamten gesellschaftlichen Arbeit unter die Grundbesitzer (als Rente), die Kapitalisten (als Profit), die Arbeiter (als Lohn) verteilt wird.

Aus dieser Wertlehre hatten englische und französische Sozialisten bald nach RICARDO die Konsequenz gezogen, daß der Arbeitslohn dem Arbeitsprodukt gleich sein müsse; da dieses aber tatsächlich nicht der Fall ist, bereichert sich die bürgerliche Gesellschaft - der Grundbesitzer und der Kapitalist - an dem, was sie dem Arbeiter vorenthält. Die Arbeiter sind ja nach RICARDO die alleinigen wirklichen Produzenten, ihnen gehöre demnach als  ihr  Produkt das gesamte gesellschaftliche Produkt.

Diese Konsequenzen der französischen Sozialisten aus RICARDO konnten MARX zur  Sicherung  seines in eine Vitaldifferenz gebrachten E-Wertes  Weltanschauung  nicht genügen, denn sie bildeten bereits als  Entrüstung über den Diebstahl an den Arbeitern  u. ä. einen Bestandteil im Inhalt seines Anfangswertes. Die Konsequenzen wurden als "ökonomisch formell falsch" verworfen, denn sie sind "einfach eine Anwendung der Moral auf die Ökonomie". "Was aber ökonomisch falsch ist, kann darum doch weltgeschichtlich richtig sein. Erklärt das sittliche Bewußtsein der Masse eine ökonomische Tatsache für unrecht, so ist das ein Beweis, daß die Tatsache selbst sich schon überlebt hat, daß andere ökonomische Tatsachen eingetreten sind. Hinter der formellen ökonomischen Unrichtigkeit kann also ein sehr wahrer ökonomischer Inhalt verborgen sein." (7)

In dem oben Zitierten ist der Medialabschnitt der Abhängigen abgehoben, der uns hier beschäftigt. Nach der  Erkenntnis,  daß hinter dem  sittlichen Bewußtsein des Unrechts  eine  ökonomische Tatsache  verborgen sein müsse, setzt der Finalabschnitt ein, die  ökonomische Tatsache  zu  erkennen.  Oder anders: es gilt nun, den Anfangswert  Weltanschauung  in den  ökonomischen  Tatsachen wiederzufinden' zur  Sicherung  des Anfangswertes. - Diese bestimmte Variation der Abhängigen enthält schon die MARXsche Metaphysik, gleichgültig, wie das  Erkannte  im Finalabschnitt auftritt. Die  sozialistische Weltanschauung,  als der independente E-Wert  absolute Wahrheit, begründet  sich  nachher  durch eine  spezielle  Erkenntnistheorie - nämlich das ökonomische System von MARX und die materialistische Geschichtstheorie. Es ist dies die Entwicklung einer abhängigen Vitalreihe am  Widerspruch,  den ein als  absolute Wahrheit  charakterisierter E-Wert ( Weltanschauung )  erleidet,  mit der Richtung auf  Sicherung  eben dieses Anfangswertes  absolute Wahrheit.  (8)

MARX ging nun daran, den tatsächlichen Widerspruch im RICARDOschen Wertgesetz aus den "ökonomischen Tatsachen selbst" zu erklären. Anders wie ENGELS, der auf dem Weg der Beschreibung seine  Erkenntnistheorie  gesucht hatte - diesen Weg aber durch MARX' Einfluß aufgab - knüpfte MARX an die Wertlehre RICARDOs an, genauso, wie die sozialistischen Engländer und Franzosen. MARX fand in der  Wertform  das, was "der Menschengeist seit mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht hatte." (9) Die Wertform ist für MARX die "Körperzelle" des "ökonomischen Körpers." Und "bei der Analyse der ökonomischen Formen kann ... weder das Mikroskop dienen, noch chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muß beide ersetzen." (10)

MARX "faßt die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturwissenschaftlichen Prozeß," (11) seine Aufgabe ist die Entdeckung der "Naturgesetze der kapitalistischen Produktion, dieser mit eherner Notwendigkeit wirkenden und sich durchsetzenden Tendenzen." (12)

MARX wollte  erkennen,  daß die Menschen, soweit sie  Kapitalisten  sind, den Menschen, soweit sie  Arbeiter  sind, den größeren Teil ihres Arbeitsproduktes nicht  stehlen,  sondern daß dieses ihr Tun nur eine Wirkung der "Naturgesetze der kapitalistischen Produktion" ist, "es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind". Und eine Zeile vorher heißt es: "Die Gestalten von Grundeigentümer und Kapitalist zeichne ich keineswegs im rosigen Licht." (13)

Um nun die tatsächlich sich vollziehende Teilung des Arbeitsproduktes zwischen Arbeiter und Kapitalist als eine Gesetzmäßige der ökonomischen Kategorien nachzuweisen, stellt MARX ein hypothetisches Wertgesetz auf, um mit Hilfe desselben zu einem  Mehrwert  zu kommen. Dieser ist ihm der Sesam der  ökonomischen  Erscheinungen. Das Wertgesetz stellt sich im Verlauf der dreibändigen Untersuchungen des  Kapitals  als nicht weiter brauchbar heraus und wird fallengelassen, sowie daraus der "Mehrwertbegriff" deduziert ist. Mit Hilfe dieses Mehrwertbegriffes findet nun das  subjektiv Wahre  der MARXschen Weltanschauung seine  objektive Wahrheit  in der Erkenntnistheorie der  ökonomischen Kategorien  - die Sicherung des Anfangswertes ist vollzogen, die Metaphysik hat ihre nachträgliche Erkenntniskritik erhalten.


III.

Gegen eine in Deutschland vielgeübte Historie in der Nationalökonomie trat die sogenannte Österreichische Schule auf, die sich auch gerne die "psychologische" nennen hört. Für sie gilt prinzipiell der  Wert  ebenso als "Körperzelle" des ökonomischen Organismus wie für MARX. Es ist die durch MARX wieder neu belebte Tradition der Klassiker, welche den Ökonomen den "Wert" so wert gemacht hat. Die sozialistischen "Konsequenzen", die MARX durch Weiterbildung der klassischen Theorie aus derselben gezogen hat, haben wohl mittelbar die "Bourgeois-Ökonomen" auf das "Wertproblem" festgebannt ... Sie stehen so stark unter dem Einfluß der theoretischen Tradition, daß sie gar nicht daran denken, an der  Tatsächlichkeit  und  Grundgesetzlichkeit  einer wirtschaftlichen Wertnorm zu zweifeln. Es steht für sie aprioristisch fest, daß das  Wertproblem  das Haupt- und Grundproblem der Wirtschaft ist, daß der Wert "den eigentlichen Kern- und Angelpunkt des gesamten Wirtschaftsgetriebes bildet." (NEUMANN) Für die "Österreichisches Schule" ist ein Wertgesetz nicht ein denkbares, sondern ein "wirkliches", "ausgemachtes"; ihre Aufgabe ist, mit welcher "Methode" können wir das Wertgesetz aus der Wissenschaft offenbaren; die Frage, wie sind wir überhaupt zu diesem Problem gekommen? diese stellen sie nicht. Die "Wertgesetz-Existenz" steht hier am Beginn der abhängigen Vitalreihe; die  Wertgesetz-Existenz  ist nicht erst durch die wissenschaftliche Beschreibung nachzuweisen, sie ist schon im "reinen, erfahrungslosen Denken" vorhanden. Der E-Wert "wirtschaftliche Wertgesetz-Existenz" ist unabhängig von allen Umgebungsbestandteilen der Gattung  R gedacht  als  Norm der Wirtschaft.  Aber diese "Tatsache" von der "Wirtschafts-Norm" eines Wertgesetzes, welche der "Österreichischen Schule" als "bekannt" gilt, ist uns eben  nicht  bekannt; wäre sie das, so wäre sie uns auch erklärt. Die "Österreichische Schule", welche mit allen modernen Standpunkten der Erfahrungswissenschaft liebäugelt, kennt den grundlegenden Satz ROBERT MAYERs nicht: "Es ist unsere Aufgabe, die Erscheinungen  kennen  zu lernen, bevor wir nach Erklärungen suchen. Ist einmal eine Tatsache nach allen ihren Seiten hin bekannt, so ist sie eben damit erklärt und die Aufgabe der Wissenschaft ist beendet." Da nun die Wertgesetzlichkeit in der Wirtschaft nicht nach allen ihren Seiten bekannt ist, bleibt der "Österreichischen Schule" wohl oder übel nichts anderes übrig, als sie - mit einem großen Aufwand von Streit über die "Methode" - zu "erklären". (14)

Es ist nur natürlich, wenn die Theoretiker dieser Richtung dahin kommen, die Erfahrung selbst erst über die Theorie zu informieren, damit erstere sich dann "erfahrungsgemäß" benehme. "Bloß diejenige Theorie der Wertschätzung kann wahr sein, der die Praxis ihre volle Zustimmung gibt. Nur freilich, daß der Richter (also die Praxis!) erst unterrichtet werden muß". (15) Wem fällt bei diesem Satz nicht eine nicht minder vielgerühmte moderne Experimentalpsychologie ein!

Aus dem Entwickelten ergibt sich mit Erlaub schon, welcher Art die "Psychologie" der  Österreichischen Schule  sein muß. "Der Nationalökonom ... kann des Rüstzeuges (!) der Psychologie nicht entbehren. Nun greifen aber auch (!) Recht und Wirtschaft innig ineinander über. Die ganze Rechtsordnung ist grundlegend für die Gestaltung der Wirtschaft" usw. (16)

Und ein anderer angesehener nationalökonomischer Theoretiker sagt in seiner Besprechung des Buches, dem voriges Zitat entnommen ist: "In der praktischen Psychologie, welche so bedeutend in die Nationalökonomie hineinspielt (!), ist der Verfasser ein Meister und diese Meisterschaft beeinflußt aufs wohltuendste" usw. (17)

Es ist die alte Introjektions-Psychologie, welche die "psychologische Schule" handhabt und nur handhaben kann, da nur sie imstande ist, mit den "Trieben" der "Menschennatur" die bequemen Brücken von den unerklimmbaren Wolkenhöhen der Metapyhsik selbst zum Menschen zu schlagen. Da die "Österreichische Schule" die Existenz des Wertgesetzes "erklären" wollte, mußte sie, um diese "Erklärung" zu  sichern,  die "wirtschaftliche Natur des Menschen" oder die "Natur des Menschen in der Wirtschaft" erklären. Die Independente des Initialabschnittes mußte sich in der Independenten des Finalabschnittes der abhängigen Vitalreihe der "Österreichischen Schule" wiederfinden. Die "Wertgesetzlichkeit" mit der "Psychologie" als Erkenntniskritik bei den Österreichern ist ebenso Metapyhisk, wie MARX "Weltanschauung" mit ihren "ökonomischen Kategorien" als nachträglicher Erkenntniskritik.


IV.

Aus unserem Standpunkt ergibt sich, daß von einem  Eingehen  auf den Inhalt der verschiedenen  Wertgesetze  nicht die Rede sein kann. Uns kam es nur darauf an, die Abhängige aufzudecken, welche als  Stellung zum Problem der Nationalökonomie  charakterisiert ist. Da diese Abhängige sowohl für MARX als auch für die "Österreichische Schule" in einer bestimmten Variation des als Independente charakterisierten E-Wertes gegeben war - einmal  Weltanschauung,  das andere Mal  Existenz eines wirtschaftlichen Wertgesetzes als Norm der Wirtschaft  - mußte die  Lösung  des  Problems  metaphysisch werden. Oder: da der Anfangswert unabhängig von der reinen Erfahrung gesetzt war, endete der Verlauf der abhängigen Vitalreihe in beiden Fällen in einer  Sicherung  des Anfangswertes.

Wenn wir unsere Kritik nur an MARX und der "Österreichischen Schule" geübt haben, so ist daraus noch nicht zu schließen, daß die nicht-marxische und nicht-"österreichische" nationalökonomische Theorie  nicht  metaphysisch ist. Wenn wir daher zum Schluß noch kurz von der dritten tonangebenden Schule, der "historischen", sprechen, so geschieht das einerseits, um die Allgemeinheit unseres Standpunktes  allen  Theorien gegenüber zu konstatieren - andereseits hervorzuheben, daß der von uns gebrauchte Ausdruck "wissenschaftliche Beschreibung" nichts gemein hat mit den "Beschreibungen der historischen Schule. Die abhängige Vitalreihe hat auch hier die Richtung auf  Sicherung  des Anfangswertes  Wirtschaftsgesetze,  nur liegen im Medialabschnitt einige hundert oder mehr Bände - die nötige Anzahl wird von den Vertretern der Richtung verschieden angegeben - historischer Untersuchungen,  Suchungen  der "Gesetzmäßigkeit" in den "Gesetzen" der Geschichte.
LITERATUR, Franz Blei - Die Metaphysik in der Nationalökonomie, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Leipzig 1895
    Anmerkungen
    1) Siehe "Bau und Leben des sozialen Körpers" von A. SCHÄFFLE
    2) RICHARD AVENARIUS, Kritik der reinen Erfahrung II
    3) BELA FÖLDES, A sarsadalmi gaz das ágtan elemei (Die Elemente der Sozialökonomie), Budapest 1893, Seite 4 [Zitiert nach einem Referat in der "Zeitschrift für Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften".]
    4) FRIEDRICH von WIESER, Der natürliche Wert, Wien 1889, Seite IV
    5) An einem anderen Ort, wo ich mich direkter an die Ökonomen wende werde, denke ich das in dieser philosophischen Zeitschrift nur in den Hauptpunkten Angedeutete ausführlicher zu behandeln.
    6) FRIEDRICH ENGELS, Artikel "Marx" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Band 4, Seite 1131
    7) KARL MARX, Das Elend der Philosophie. Die zitierte Stelle ist aus dem Vorwort von ENGELS dazu, Seite XI
    8) Die bisherige MARX-Kritik  kritisierte  die Weltanschauung MARX aus dem ökonomischen System MARX, sie wollte die Weltanschauung, den Sozialismus widerlegen, indem sie versuchte, das ökonomische System MARX zu widerlegen. Die  psychologische Kausalität  MARXens wurde von seinen Kritikern für eine  logische  genommen, die sozialistische Weltanschauung für ein Ergebnis der MARXschen ökonomischen Erkenntnislehre.
    9) KARL MARX, Das Kapital, Bd. 1, Seite VI der 4. Auflage 1890
    10) MARX, ebenda Seite VI
    11) MARX, ebenda Seite VI
    12) MARX, ebenda Seite VIII
    13) MARX, ebenda Seite VIII. - Daß sich die  Wirtschaft  nicht in den  ökonomischen Kategorien  abspielt, zeigt die  Tätigkeit  der Sozialisten aller Länder  zur Verbesserung  der Lage der Arbeiter, zur  Befreiung  der Arbeiter aus dem  Joch  des  Kapitalismus  usw.
    14) BÖHM-BAWERK, Wert, im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 6, Seite 686, Note 1: "Das SCHÖNBERGsche Handbuch begnügt sich ... mit der bloßen Darstellung und Erörterung der Wertbegriffe, ohne es für nötig zu finden, der Entwicklung des Begriffs des subjektiven Wertes auch eine Erklärung (!) der diesem Begriffe zugrunde liegenden realen Erscheinungen an die Seite zu stellen."
    15) FRIEDRICH von WIESER, Der natürliche Wert, Wien 1889, Seite 4
    16) LEHR , Grundbegriffe und Grundlagen der Volkswirtschaft, Leipzig 1893, Seite 11
    17) A. SCHÄFFLE in der Zeitschrift für Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, 2. Band, Seite 5, Leipzig 1894