ra-4Herbart - Streit mit den Modephilosophen
 
Vorrede zur Verteidigung
meiner Schrift über das Leben Jesu

DAVID FRIEDRICH STRAUSS

Wenn es vielleicht manchem befremdlich gewesen ist, daß ich bei so zahlreichen und heftigen Angriffen, wie sie seit dem erstmaligen Erscheinen meiner Schrift über das Leben Jesu im Zeitraume von bald zwei Jahren, auf meine Arbeit, meine Ansicht und selbst meine Person gemacht worden sind, mit Ausnahme des Wenigen, was ich in den Vorreden zum zweiten Bande und zur zweiten Auflage zu sagen Gelegenheit nahm, ein so beharrliches Stillschweigen beobachtet habe: so darf ich zur Erklärung hiervon, und, falls es nötig erscheinen sollte, zu meiner Entschuldigung, vor Allem wohl das anführen, daß ich bis vor Kurzem nicht in der Lage war, mit einer so weit aussehenden Arbeit mich zu befassen. Denn das ließ sich von Anfang an voraussehen und zeigte sich bald genug in der Wirklichkeit, daß ich es nicht bloß mit einem oder einigen wenigen Gegnern zu tun bekommen, sondern daß deren eine ganz lange Reihe gegen mich aufstehen würde, von welchen es zu nichts half, mit dem einen oder anderen sich abzufinden; sondern wenn auf einen, so mußte auf alle Rücksicht genommen werden. Eben hierzu aber, wo wollte ich Zeit, Mittel und Lust hernehmen neben einem aufgedrungenen Schulamte, in einer von literarischen Hilfsquellen durchaus verlassenen Stadt - besonders da nach wenigen Monaten die Besorgung der zweiten Auflage des angegriffenen Werkes die Tätigkeit in Anspruch zu nehmen anfing?

Übrigens muß ich gleich gestehen, daß mit diesen äußeren Hindernissen ein inneres Hemmnis willig sich verband: eine gründliche Abneigung nämlich gegen alles, was Replik, Antikritik, heißt. Schon oft habe ich ehrenwerte Männer und liebe Freunde im Stillen halb belächelt, halb bedauert, wenn sie durch einen öffentlich auf sie geschehenen Angriff sich verleiten ließen, in öffentlichen Blättern sich zu verteidigen. Das Publikum, welches jene Blätter liest, hat seinem größten Teil nach von der Sache, um welche es sich handelt, besonders wenn diese eine wissenschaftliche ist, keine Kenntnis, noch strebt es ernstlich, eine solche sich zu erwerben; man bemüht sich vergebens, ihm den Streitpunkt deutlich zu machen: es betrachtet den Kampf immer nur als ein Spektakel, wobei es mit teilnahmsloser Aufmerksamkeit bald den einen, bald den anderen Kämpfer lobt oder verlacht, am Ende aber beide verachtet, die sich unpassenderweise vor demselben herumgebalgt haben. Daher, so oft ich es mir auch schon habe gefallen müssen, in öffentlichen Blättern mich zum Gegenstande des Tadels oder auch des Spottes gemacht zu sehen: habe ich doch nie die mindeste Lust empfunden und werde sie gewiß auch künftig nicht empfinden, auf einen solchen Kampfplatz hinabzusteigen; indem von den zwei Teilen des Publikums, das dergleichen Blätter liest, der größere, der die Sache, um welche ich streite, nicht versteht, mir in Lob wie Tadel gleichgültig ist, der kleinere, kundige Teil aber durch Allgemeinheiten, wie jene Blätter in der Regel sie enthalten, sein Urteil bestimmen läßt.

Freilich sind es keineswegs bloß Angriffe in öffentlichen Blättern, in gelehrten, unterhaltenden und erbaulichen Zeitungen gewesen, die auf mich gemacht wurden, sondern ebensoviele oder noch mehrere besondere Schriften sind über und gegen mein Werk erschienen, welche nun gleichfalls wieder in eigenen Schriften ausführlich zu beantworten, eine ganz andere und würdigere Aufgabe, als jene Zeitungspolemik, zu sein scheint. Doch auch hierzu ist Lust und Trieb in mir jederzeit nur gering gewesen, weil ich mir auch hiervon nicht viel Frucht versprechen kann. Wen sollten denn solche Gegenschriften auf andere Ansichten bringen? Die Gegner selbst? Nein, so einbildisch bin ich nicht, um mich der Hoffnung hinzugeben, diese frommen und gelehrten Männer werden ihre reiflich erwogenen Überzeugungen, bei welchen sie sich so wohl befinden, auf mein Zureden hin nun eiligst aufzugeben geneigt sein. Also das übrige Publikum? Von diesem werden diejenigen, welche wissenschaftlichen Sinn und Beruf haben, entweder durch den Eindruck des bestrittenen Werkes selbst in seiner Objektivität und seinem inneren Zusammenhange gewonnen; oder, wenn dieses nicht, so ist noch weniger ein abgerissenes polemisches Reden, das, statt dem notwendigen Gange der Sache selbst zu folgen, den zufälligen Wendungen des Gegners nachgehen muß, im Stande, einen günstigen Eindruck auf sie zu machen. Die Unkundigen und nicht Wissenschaftlichen aber - nun die wissen allerdings vielleicht an den hervorspringenden polemischen Ecken und Zacken die Sache eher anzufassen, als in der Rundung ihres wissenschaftlichen Zusammenhangs: allein das in solchen und auf diese Weise geweckte Interesse wird seiner Natur nach nur ein oberflächliches und wertloses sein.

Doch, auch abgesehen von dem voraussichtlich geringen Erfolge einer solchen Polemik, ist die Arbeit an sich selbst eine unerfreulich. Nicht daß ich hierher die Notwendigkeit rechnete, mit Schriften von Gegner, die nicht im schmeichelhaften Ton abgefaßt sind, genau und anhaltend sich zu beschäftigen; was keiner sich ersparen wird, dem es um Berichtigung und Vervollkommnung seiner Ansichten ernstlich zu tun ist, und was auch ich, wie die zweite Auflage meines Werkes beweist, mir schon bisher nicht erspart habe; sondern ist das Unbefriedigende bei Abfassung solcher Streitschriften, daß man nicht direkt auf einen wissenschaftlichen Kern losarbeitet, sondern mit einem Aggregat von Einwürfen und abweichenden Ansichten es zu tun hat, wobei man nicht durch die Aussicht, einen wissenschaftlichen Zusammenhang hervorzubringen, ermuntert, vielmehr gar oft durch die Leidenschaftlichkeit und Gehässigkeit der Gegner aus aller wissenschaftlichen Stimmung herausgeworfen wird.

So würde ich, wenn ich meiner eigenen Neigung folgen wollen, wie die bisherigen, so auch die ferner noch gegen meine Bearbeitung des Lebens Jesu erscheinenden Schriften zwar gelesen, und sie, wie auch bei der zweiten Auflage bereits zum Teil geschehen ist, zur Berichtigung oder näheren Bestimmung meiner Ansichten benützt haben - Modifikationen, welche ich, wenn sie Wesentliches betrafen, dann nicht versäumt haben würde, dem Publikum gelegentlich mitzuteilen: an den Versuch einer eigentlichen Bekämpfung und Widerlegung der Gegner aber wäre ich wohl nicht gekommen.

Hier lag nun aber die Gefahr nahe, daß das Stillschweigen auf Angriffe als Schwäche und Bewußtsein des Geschlagenseins oder doch als Bequemlichkeit ausgelegt würde, welche sich hinter den Schein eines stolzen Ignorierens verstecke; zumal wenn einer so, wie ich, von allen Seiten angegriffen, und von manchen Gegnern im Hochgefühl der Bedeutung ihrer Angriffe, ausdrücklich zur Erwiderung herausgefordert worden ist. Eine solche Deutung meines Schweigens drohte nicht nur von Seiten der Gegner; sondern auch Freunde der freien kritischen Forschung konnten dadurch getäuscht und auf die Meinung gebracht werden, als könnte oder wollte ich nach so mannigfachen Angriffen die früher geäußerten Überzeugungen nicht mehr vertreten. Indessen auch hierüber würde mich der Grundsatz beruhigt haben, daß, wenn eine Sache in sich Kraft hat, ihr die einfache wissenschaftliche Darstellung (wie in meiner Schrift über das Leben Jesu) genügt, um sich, wenn auch langsam durchzukämpfen; hat sie aber keine Kraft, dann ist es nicht nur unmöglich, sondern selbst nicht wünschenswert, ihr durch Verteidigungschriften nachzuhelfen.

Doch es bot sich an einer solchen Unternehmung, der Beziehung auf mein mehrgenanntes Werk gegenüber, noch eine andere Seite dar. Es war diesem Buche die, freilich nur formelle, Ehre widerfahren, daß Theologen der verschiedensten Standpunkte über dasselbe sich geäußert hatten; es war die verschiedene Stellung zu demselben, die eigentümliche Art, es zu bekämpfen, für jene verschiedenen theologischen Standpunkte charakteristisch geworden: und so ließ sich die Verteidigung meines Werkes mit einer Charakteristik der Standpunkte verbinden, von welchen aus es angegriffen worden war. Dies schien eine fruchtbare Arbeit werden zu können, und diese Aussicht war die vornehmste unter denen, welche mich zur Übernahme des gegenwärtigen Geschäftes bestimmten.


LITERATUR, David Friedrich Strauß, Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie, Tübingen 1838