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JOHANN FRIEDRICH HERBART
Über meinen Streit mit der
Modephilosophie dieser Zeit

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"Er entspringt nicht aus unmittelbarer Reflexion auf den Zustand unserer vermeintlichen Erkenntnis, sondern aus dem Lesen und Hören dessen, was früher von anderen über unsere Erkenntnis gesagt wurde. Daher ist in der Regel jede spätere Modephilosophie schlechter, je mehr die Masse der Lesereien anwächst. Die Modephilosophie ist ein Auswuchs jener Tätigkeit, die, richt geleitet, gute Literatoren bildet. Wenn Leute, die zu solchen getaugt hätten, sich in den Platon, in Spinoza, in Fichte vertiefen, wenn sie sich brüsten, nun mehr zu sein, als andere arme Bücherwürmer, wenn ihre Eitelkeit zunimmt in dem Maß, wie sie die dort geschöpften Begriffe weiter umher tragen können in allerlei Gebiete der Künste und der positiven Wissenschaften, wenn sie vor eingebildetem Wissen immer unfähiger werden, die ursprünglichen Mängel und Schwächen aller menschlichen Erkenntnis wahrzunehmen, - wenn sie irgendein Anlaß vollends auf den höchsten Gipfel alles menschlichen Dünkels hinaufträgt, dorthin, wo man die Gottheit unmittelbar anzuschauen träumt: dann erzeugt sich das hohle, flatternde, kecke, plauderhafte Wesen von schlüpfrig-glänzendem Ansehen, was ich Modephilosophie nenne."

"Wer die Widersprüche in unserer ursprünglich vermeinten Kenntnis nicht vollständig kennt, der hat keinen vollständigen Anfang des Philosophierens gemacht. Einem solchen ist es natürlich, einen Teil der gemeinen Irrtümer mit in seine Philosophie zu verweben. Hier nun vermehren sie sich, sie erzeugen neue Irrtümer ohne Ende, vermöge des immer weiter fortschreitenden Denkens."

"Wir kommen näher zur Sache; zunächst zur Definition der Philosophie, die bekanntlich selbst als etwas äußerst schwieriges anzusehen ist und die bei jedem Philosophen vom Ganzen seiner Überzeugungen abhängt. Darüber streiten heißt in der Regel, über das ganze System streiten. Ich habe sie kurz so gefaßt: Philosophie ist Bearbeitung der Begriffe."

Gibt es auch, so könnte jemand beim Anblick des Titels dieser kleinen Schrift fragen, gibt es heutzutage eine Modephilosophie? da doch das Philosophieren selbst mehr und mehr aus der Mode zu kommen scheint? da nach allem anderen eher, als nach  Wahrheit um der Wahrheit willen,  gefragt zu werden pflegt? - Und ich erwidere: erst kürzlich noch begegnete mir die leibhaftige Modephilosophie in der Jenaischen Rezension meines Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie. Was aus den verschiedenen Schulen dieser Zeit sich zusammenhorchen läßt, floß aus ihrem Munde, eine Quintessenz aus all den Irrtümer, die ich von jeher in meinem Nachdenken auf das Sorgfältigste zu vermeiden gesucht habe. Mit diesen wollte sie mich widerlegen; und sie erinnerte mich dadurch, daß nicht sowohl sie gegen mich, als ich gegen sie, obwohl ohne mich gerade viel um sie zu bekümmern, gesprochen hatte.

Daß sie nun gegen mich, ihren Angreifer, sich verteidigt, ist ihr nicht zu verdenken; da sie aber dieses durch das Organ der vielgelesenen Jenaischen Literaturzeitung tut, so hat sie in dieser Zeit, wo wenig Bücher gekauft und desto mehr Zeitungen gelesen werden, einen nicht zu berechnenden Vorteil über mich; worauf ich, nach dem Urteil einiger verständiger Männer, schon früher etwas aufmerksamer hätte sein sollen.

Man erinner sich in meiner Umgebung bei dieser Gelegenheit an eine frühere Rezension in der nämlichen Zeitung, die schon vor drei Jahren unternahm, meine allgemeine Pädagogik - zu vernichten. Ein etwas seltsames Unternehmen, denn das Buch war damals schon sechs Jahre alt und unter den deutschen Pädagogen schon ziemlich bekannt geworden. Ohnehin beschäftigt mit psychologischen Rechnungen, überhörte ich damals die Stimmen, welche mir rieten, zu antworten; ich ließ es bei einigen Zeilen im "Königsberger Archiv für Philosophie" bewenden. Das wesentliche dieser Zeilen lag in der Frage: "Welches ist die Philosophie des Rezensenten?" Dieselbe schien mir schon damals ein wenig nach MacBeths Hexenküche zu schmecken. Jetzt will man zwischen den beiden erwähnten Rezensionen eine Art von Familienähnlichkeit bemerken. Dergleichen kann sehr täuschen, besonders da alle Modephilosophen Geistesverwandte sind. Um so eher aber paßt es auch, beide in einer Erwiderung zusammenzufassen und meine alte mit der neuen Schuld zu begleichen.

Ungeübt in der Polemik, wie ich es bin, sollte ich billig die Muse anrufen, welche zu dieser edlen Kunst begeistert. Sie würde mich lehren, von den Personen und den Motiven meine Argumente herzunehmen, während ich mich jetzt nur an den Sachen werde halten wollen. Sie würde mich antreiben, auch die älteren Verdienste der Jenaischen Literaturzeitung, um mich nach Gebühr zu preisen. Es ist deren eine lange Reihe; ich habe, glaube ich, den Rezensenten an dieser Zeitung schon viel rote Tinte gekostet; leider, ohne die geringste Belehrung für mich! Ob wohl FICHTE und BOUTERWECK, nebst einigen anderen würdigen Männern, denen man ähnliche Zurechtweisungen hat angedeihen lassen, mehr auf solchem Weg gelernt haben? - Natürlich ist es übrigens, daß ein Redakteur einer gelehrten Zeitung, wenn er die Philosophie nur aus ihrem Erscheinen auf dem literarischen Markt kennt, die Polemik für das wesentliche an derselben und seine Zeitung für sehr philosophisch hält, weil seine Gehilfen die Kunst zu beißen mit vielem Anstand auszuüben wissen. Ich, meines Orts, vergebe hiermit die älteren Sünden, die vor jener Rezension meiner Pädagogik gegen mich begangen wurden; die Proben aber, welche ich jetzo vom Zustand der Jenaischen Literaturzeitung in philosophischer Rücksicht ans Licht ziehen werden, können vielleicht zur Veranlassung dienen, den Zustand des heutigen Philosophierens überhaupt zu überdenken. Ich fürchte, derselbe ist so beschaffen, daß das neunzehnte Jahrhundert, wenn es fortfährt wie es anfing, mit dem von ihm geschmähten achtzehnten niemals den Beinamen des philosophischen Jahrhunderts wird teilen müssen.

Da nun der Streit zwischen dem Rezensenten und mir die Nebensache, der Streit aber zwischen der Modephilosophie und mir die Hauptsache ist, worüber ich jetzo schreiben will: so wird es nötig sein, die streitigen Gegenstände erst unabhängig von jenen Rezensionen zu betrachten, alsdann den Geist der Modephilosophie mit einigen Zügen kennbar zu machen und danach erst aus den Rezensionen die wichtigeren Punkte herauszuheben.

Zuvörderst also eine kurze,  möglichst populäre,  (1) Angabe einiger Grundgedanken aus meinem Philosophieren, die man fürs erste immerhin als etwas bloß Historisch-Mitgeteiltes wird betrachten können.

Der Mensch hält seine äußeren und inneren Anschauungen für Erkenntnisse dessen, was außer ihm und in ihm ist. Aber diese Anschauungen sind zunächst nichts anderes, als für Ereignisse in ihm selber zu halten. Daß sie nicht Erkenntnisse sein können, verrät sich bei genauer Betrachtung des vermeintlich durch sie Erkannten. Die Materie und das Ich, der Wechsel der Dinge und der Vorstellungen, lösen sich bei sorgfältiger Zergliederung der Begriffe, die wir von ihnen haben, in Ungereimtheiten auf; unser Denken der Materie, des Ich, usw. widerspricht sich selbst. Es versteht sich, daß hier vom gemeinen Denken, wie es dem nicht philosophierenden Menschen natürlich ist, geredet wird. Es ist ferner zu bemerken, daß die Widersprüche nicht im eigenlichen Akt des Denkens liegen, sondern in dem,  was  dadurch  gedacht  und vermeintlich  erkannt  wird; woraus zu schließen ist, daß weder das Ich noch die Materie, noch der innere und äußere Wechsel, als solches, wofür es nach den gemeinen Begriffen gehalten wird, wirklich existiere; und umgekehrt, daß dasjenige Reale, welches vielleicht hinter dem Ich, hinter der Materie, usw. als Grund desselben liegt, auf keinen Fall etwas solches sein könne, wofür die gemeinen Begriffe es ausgeben. Hingegen inwiefern das Anschauen und Denken Ereignisse sind, die sich wirklich zutragen, insofern liegt in ihnen nichts widersprechendes; die Gesetze, nach denen sie sich in der Seele zutragen, lassen sich in der Psychologie erkennen; es läßt sich einsehen, daß unser ursprüngliches Vorstellen kein wahres Erkennen werden konnte und daß die erste vermeinte Erkenntnis sich als etwas Verkehrtes und Irriges werde verraten müssen, sobald der, welcher sie hat, sie seiner eigenen Reflexion unterwirft. Der Mensch ist zum Irrtum bestimmt; aber zu einem solchen Irrtum, den er selbst finden und berichtigen kann. Das Finden ist der Anfang des Philosophierens, das Berichtigen das erste Hauptgeschäft der Philosophie als Wissenschaft. Wer die Widersprüche in unserer ursprünglich vermeinten Kenntnis nicht vollständig kennt, der hat keinen vollständigen Anfang des Philosophierens gemacht. Einem solchen ist es natürlich, einen Teil der gemeinen Irrtümer mit in seine Philosophie zu verweben. Hier nun vermehren sie sich, sie erzeugen neue Irrtümer ohne Ende, vermöge des immer weiter fortschreitenden Denkens. Es verwickeln sich mit ihnen die moralischen Gefühle der Menschen. Diese letzteren leiden, ihrem psychologisch erkennbaren Ursprung gemäß, ohnehin an Dunkelheit, obschon nicht an innerer Unrichtigkeit. Durch ihre Verknüpfung mit den aus der ersten vermeinten Erkenntnis herstammenden Irrtümern, wird das zweite Hauptgeschäft der Philosophie noch erschwert; dieses nämlich, die moralischen  Gefühle  zurückzuführen auf die einfachsten moralischen  Urteile,  von denen, in Verbindung mit anderen Nebenvorstellungen, die eben genannten Gefühle erregt werden; und alsdann die moralischen Urteile, gehörig zusammengefaßt, anzuwenden auf die im Leben vorkommenden Angelegenheiten zum Tun und Lassen. Soll dieses zweite Geschäft der Philosophie wissenschaftlich vollbracht werden, so darf man es nicht trennen von dem, ihm in den meisten Hinsichten gleichartigen, die ursprünglichen, die völlig klaren und einfachen Urteile über Schönes und Häßliches, im weitesten Sinn dieser Worte, mit möglichster Vollständigkeit aufzuzählen; und alsdann ihre Anwendung auf zusammengesetzte Gegenstände der Natur und Kunst im Allgemeinen zu bezeichnen. Mit anderen Worten: die praktische Philosophie ist ein Teil der Ästhetik. Nur nicht ein untergeordneter Teil, sondern den anderen Teilen der nämlichen Wissenschaft koordiniert. Die Scheidewand nun, welche man hier zu ziehen pflegt, so daß die Ästhetik zur theoretischen Philosophie gezogen und dort mit der Metaphysik in Gesellschaft gebracht wird, rührt teils daher, daß die Ästhetik, als Wissenschaft, noch in der Kindheit ist, indem man sie aus allerlei Reflexionen über Natur und Kunst zusammen webt, ohne an ihre einfachen Prinzipien zu denken, teils stützt sich die besagte Scheidewand auf die Behauptung der transzendentalen Freiheit des Willens. Eine Behauptung, die erstlich theoretisch falsch und ungereimt und verwebt mit gemeinen, dem moralischen Bewußtsein sich unterschiebenden Erschleichungen, - zweitens außer aller Verbindung mit sittlichen Gesetzen und völlig unnütz und müssig für die Prinzipien der praktischen Philosophie, - drittens aber praktisch schädlich ist, indem sie die Anwendung der sittlichen Gesetze auf menschliche Handlungen, weit gefehlt dieselben zu vermitteln, vielmehr in allen Punkten undenkbar und unmöglich macht, besonders indem sie die Hoffnung auf moralische  Besserung  der Einzelnen und des gesamten Menschengeschlechts, von Grund aus zerstört.

Über den letzteren Punkt werde ich weiter unten Gelegenheit haben, mehr zu sagen. Für jetzt genüge das Vorgetragene zur Angabe des Streitigen; denn über logische Gegenstände werde ich mich wenig einlassen; diese verschwinden neben dem Wichtigeren, was vorliegt.

Jetzt also kommen wir auf den Geist der Modephilosophie. Dieser ist schon in seinem Ursprung dem wahren Geist der Wissenschaft entgegengesetzt. Er entspringt nicht aus unmittelbarer Reflexion auf den Zustand unserer vermeintlichen Erkenntnis, sondern aus dem Lesen und Hören dessen, was früher von anderen über unsere Erkenntnis gesagt wurde. Daher ist in der Regel jede spätere Modephilosophie schlechter, je mehr die Masse der Lesereien anwächst. Die Modephilosophie ist ein Auswuchs jener Tätigkeit, die, richt geleitet, gute Literatoren bildet. Wenn Leute, die zu solchen getaugt hätten, sich in den PLATON, in SPINOZA, in FICHTE vertiefen, wenn sie sich brüsten, nun mehr zu sein, als andere arme Bücherwürmer, wenn ihre Eitelkeit zunimmt in dem Maß, wie sie die dort geschöpften Begriffe weiter umher tragen können in allerlei Gebieten der Künste und der positiven Wissenschaften, wenn sie vor eingebildetem Wissen immer unfähiger werden, die ursprünglichen Mängel und Schwächen aller menschlichen Erkenntnis wahrzunehmen, - wenn sie irgendein Anlaß vollends auf den höchsten Gipfel alles menschlichen Dünkels hinaufträgt, dorthin, wo man die Gottheit unmittelbar anzuschauen träumt: dann erzeugt sich das hohle, flatternde, kecke, plauderhafte Wesen von schlüpfrig-glänzendem Ansehen, was ich Modephilosophie nenne. Ich brauche kaum zu sagen, daß der Modephilosoph, aller flatternden Lebendigkeit ungeachtet, niemals aus den Kreise dessen herauskommt, was er gehört und gelesen hat. Im Gegenteil, seine eigentliche Wohnung ist im Schnittpunkt aller gegenwärtig in Umlauf gesetzten Meinungen. Während JACOBI und SCHELLING miteinander streiten, liegt das wahre Absolute des Modephilosophen zwischen beiden Lehren irgendwo in der Mitte. Werden PLATON und SPINOZA zu einer gewissen Zeit beide gleich sehr empfohlen, so wird die absolute Substanz des einen angefüllt von den Ideen des anderen und die Trümmer des Platonismus, aufeinander gehäuft, dünken dem Modephilosophen ein bequemes Haus. Wie glücklich aber für denselben, daß in dieser Zeit Herr SCHELLING selbst sich die Mühe gemacht hat, das Amalgamisierungs-Geschäft der verschiedenen Systeme besorgen zu helfen. Es ist nun zwar nicht Mode, SCHELLINGianer zu sein; dennoch aber ist die SCHELLINGsche Lehre die Hauptgrundlage aller heutigen Modephilosophie; denn sie hat die großen Vorzüge, in ihren Begriffen möglichst unbestimmt, von aller Methode möglichst weit entfernt, an originellen Gedanken äußerst arm, an zusammen gemischtem fremden Gut sehr reich, dabei anwenbar auf Alles in der Welt zu sein und die ausgedehnteste Erlaubnis zum Plaudern ohne Gedanken zu geben, die noch je ein philosophisches System gegeben hat. Sagt man aber dem Modephilosophen, daß weder bei SCHELLING noch JAKOBI, weder bei FICHTE noch bei KANT, die Wahrheit zu finden, daß sie auch aus den Vorstellungsarten aller dieser Männer nicht zusammenzusetzen sei; sagt man ihm, (was der Erfolg, nämlich die heutige Verwirrung aller Philosophie, diejenigen lehren kann, die es mir nicht glauben wollen,) daß schon der erste Anstoß, den HUMEs sehr seichter Skeptizismus der ganzen neuen Deutschen Philosophie gegeben hat, dieselbe in ihrer Richtung verdorben habe; daß einzig in der kurzen und historisch dunklen Periode von THALES bis auf ARISTOTELES, ein  rein  philosophisches,  den ursprünglichen  Aufgaben der Wissenschaft angemessene, Streben nach Wahrheit zu bemerken sei, daß diese, weder durch kirchliche Rücksichten beschränkte, (2) noch durch psychologische Irrtümer geblendete Zeit  zwar nicht ausschließend verehrt,  aber  zuerst beachtet  werden müsse, wenn einmal von fremden Systemen zu unserer Belehrung Gebrauch gemacht werden soll: dann sagt man jenem unerhörte und unbegreifliche Dinge; und es kann nicht fehlen, daß, wie zahl er sich auch anfangs stelle, er dennoch allmählich in Unwillen und Eifer gerate und mit Deklamationen endige.

Ob mir die jetzt vorzunehmende Beleuchtung der beiden vorerwähnten Rezensionen viel oder wenig Gelegenheit anbieten werde, die bisherigen allgemeinen Bemerkungen weiter auszuführen, wird sich von selbst ergeben.

Gleich die Überschrift der Rezension meines Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie, zeigt zwei Verstöße gegen das Schickliche. Zusammengestellt und in Vergleichung gebracht in  einer  Kollektiv-Rezension, wird mein Buch mit Herrn Hofrat BOUTERWECKs "Lehrbuch der philosophischen Wissenschaften". Gewiß bin ich da in sehr gute Gesellschaft geführt; aber von wem? von einem Rezensenten! Was will der Mann?`will er die Spur des kollegialen Verhältnisses, welche zwischen Herrn Hofrat BOUTERWECK und mir noch übrig sein möchte, mutwillig antasten; will er zwischen uns eine Bitterkeit aufzuregen suchen, dergleichen da zu enstehen pflegt, wo zwei nahestehende Personen öffentlich miteinander verglichen werden? Oder weiß er nicht, was ein Rezensent und vollends ein Redakteur einer Literaturzeitung doch wissen sollte, daß ich während mehr als sechs Jahren neben Herrn Hofrat BOUTERWECK in Göttingen Philosophie gelehrt habe? - Ferner, wo der Vergleichungspunkt zwischen einer  Einleitung in die Philosohie  und einer Darstellung  der philosophischen Wissenschaften  zu finden sei, würde schwerlich jemand erraten; denn daß eine Wissenschaft und die Einleitung zu dieser Wissenschaft zweierlei sind, weiß jeder, dessen Begriffe nicht in völliger Verwirrung durcheinander laufen. Aber diesmal liegt der Vergleichungspunkt wirklich vor den Füßen:  das erste Wort in den beiden Titeln  ist das nämliche: es heißt  Lehrbuch.  Hätte nun der Rezensent die beiden Bücher als  Lehrbücher  miteinander verglichen, so wäre eine Spur Besonnenheit anzutreffen. Und wirklich finden sich  ein paar Zeilen  in der Rezension des meinigen, die eine Erinnerung an mein Buch  als ein Lehrbuch  enthalten und noch obendrein als ein Lehrbuch  zur Einleitung  in die Philosophie. Sie lauten so: "wir halten ein solches dialektisches Verfahren für angehende philosophische Zöglinge sehr nützlich zur Weckung und Übung ihres Verstandes; aber für sehr unzureichend, um die angeregten Schwierigkeiten zu beseitigen." Von dieser Stelle unterschreiben ich nicht nur den Anfang, sondern auch das Ende. Die Beseitigung der Schwierigkeiten gehört in das System, nicht in die Einleitung.

Die Rezension selbst beginnt mit einer Unwahrheit, die mir eine Unbesonnenheit aufbürdet. Ich wolle, so wird erzählt, meiner Sache gewiß,  durch diese Einleitung sie gegen alle Mißverständnisse sicherstellen - !  Doch wohl nicht gegen die Mißverständnisse des Rezensenten? Der meinige berichtet gleich hinterher und sie mit voller Wahrheit, daß ich von der öffentlichen Kritik nicht viel Brauchbares  erwartet  habe. Mißverständnisse in Menge habe ich erwartet; aber kein so arges, als ob durch die Einleitung auch nur diese Einleitung selbst, vollends als ob dadurch die Theorie von den Störungen und Selbsterhaltungen, vom intelligiblen Raum usw. gegen falsche Auslegungen hätte gesichert werden sollen. Damit ein philosophisches Lehrbuch verstanden werde, vollends ein gedrängt geschriebenes Lehrbuch, das von der Heerstraße abweicht, muß der Leser einen Grad von Aufmerksamkeit anwenden, den kein Modephilosoph in seiner Gewalt hat.

Wir kommen näher zur Sache; zunächst zur Definition der Philosophie, die bekanntlich selbst als etwas äußerst schwieriges anzusehen ist und die bei jedem Philosophen vom Ganzen seiner Überzeugungen abhängt. Darüber streiten heißt in der Regel, über das ganze System streiten. Ich habe sie kurz so gefaßt: Philosophie ist Bearbeitung der Begriffe. Hier erwartete ich Anfechtungen von allen Seiten. Die einen mußten bemerken, daß dadurch die Mathematik nicht ausgeschlossen ist, (welches auch meiner Absicht gemäß nicht geschehen sollte;) die anderen konnten den Ausdruck:  Bearbeitung  viel zu unbestimmt finden, (obgleich die Art der Bearbeitung erst bei jedem Teil der Philosophie insbesondere zu bestimmen ist;) am ersten aber, vermutete ich, würden mir die  sehr Lebendigen  unserer Zeit entgegen stürmen mit dem Vorwurf der  Leblosigkeit;  denn man ist neuerlich gewohnt, die Begriffe tot und Ideen dagegen lebendig nennen zu hören. Mein Rezensent nun gehört wirklich zu den Sehr-Lebendigen, auch hat er den erwähnten Vorwurf - der erstaunlich bequem ist, indem er schmäht, statt zu widerlegen, - weiterhin gar nicht gespart. Diesmal aber begnügt er sich mit einer Parenthese [Einschub - wp]. "Nicht sowohl die Begriffe, als die von ihnen unabhängigen Gegenstände, worauf jene sich beziehen, interessieren die Philosophie; und eine Hauptfrage ist, inwiefern lassen sich diese durch jene bestimmt erkennen?" Diese Stelle war ohne Zweifel ursprünglich mit roter Tinte geschrieben; denn in solchem Ton korrigiert man Schüler. Wenn denn nur der Unterricht brauchbar wäre! Aber die Rede war gar nicht von dem, was die Philosophie interessiere, sondern was sie sei. Auch werden zwei ganze Hauptteile der Philosophie, nämlich die Logik und die praktische Philosophie, geradezu damit verdorben, wenn sie sich unmittelbar für, von den Begriffen unabhängige, Gegenstände interessieren. Es ist hundertmal gesagt, daß die reine Logik vom Inhalt der Begriffe, also noch vielmehr vom Realen, was dadurch erkannt werden mag, abstrahiere; und ebenso oft, daß die Moral sich mit dem beschäftige, was sein solle, unbekümmert fürs erste um das, was sei. Wenn es hie und da Personen gibt, die das nicht fassen können, so muß man deren individuelle Beschränktheit beklagen, nicht aber darum die Philosophie in eine Definition einschließen, die zu eng sein würde. Auch selbst die Metaphysik, die allerdings alle ihre Untersuchungen in Beziehung auf das Reale anstellt, tut das nicht aus besonderem Interesse dafür, - welches Interesse diejenigen Individuen, die damit behaftet sind, in der Regel untüchtig macht, das weite Gebiet der abstraktesten Begriffe auch nur zu berühren, das zum Behuf metaphysischer Einsichten ganz notwendig durchwandert werden muß, - sondern die Beziehung auf das Reale liegt hier ursprünglich in den vorliegenden Problemen, welche aus der ersten  vermeintlichen Erkenntnis eines Realen  hervorgehen. Die ganze Parenthese des Kritikers ist daher nur ein Sympton von Schwächlichkeit der Modephilosophie, die nicht mehr stehen kann, wenn sie nicht den festen Boden des Realen unter ihren Füßen zu fühlen - sich einbildet. Übrigens ist es eine bekannte Sache, daß wir  durch unsere Vorstellungen  erkennen, falls es überhaupt eine Erkenntnis für uns gibt; und daß wir durch alles Philosophieren unmittelbar nur  unsere Vorstellungen  bearbeiten. Wer dieses vergessend, sich gleich ins Reale stürzt, der fällt in den alten Sumpf, aus welchem KANT mit Mühe seinen Zeitgenossen herauszuhelfen suchte; und einem solchen ziemt es am allerwenigsten, an anderen die Abweichung von KANT zu tadeln. Unser erstes, größtes Interesse, unsere Hauptangelegenheit im Philosophieren ist das Zurechtstellen unserer eigenen Gedanken; wie viel Erkenntnis des Realen wir damit erreichen, das findet sich am Ende, als Lohn für gewissenhafte Vollführung derjenigen Geschäfte, die uns zunächst aufgegeben waren. Wer es anders haben will, dem lohnt Irrtum statt der Wahrheit.

In der zweiten Parenthes tritt der Rezensent abermals als Lehrer auf für, ich weiß nicht welche, Schüler. Er unterweist sie - ich weiß nicht zu welchem Zweck - in dem, was man  gewöhnlich  Metaphysik nennt und was  nach anderen  demensprechend heiße; und nun wundert er sich, daß damit meine Definition dieser Wissenschaft nicht stimmen wolle. Er vermißt bei mir die wichtige Frage, woher das Reale der Begriffe stamme, desgleichen den Beweis für meine Bestimmung der Metaphysik. Und wo vermißt er das alles? Er, der meinem Buch von Anfang bis Ende auf dem Fuße folgt? - Im  ersten  Kapitel des  ersten  Abschnitts der  Einleitung  in die Philosophie. Er vermißt dieses trotz meinem ausdrücklichen Zusatz: "die Tatsache, daß widersprechende Begriffe im Gegebenen ihren Sitz haben, wird  weiter unten  ausführlich nachgewiesen werden."

Jetzt können wir die Einteilung nach Parenthesen des Rezensenten fallen lassen. Denn nachdem er mit Hilfe derselben das erste Kapitel kritisiert hat, "können wir," sagt er, "zur Würdigung der einzelnen Teile fortschreiten." Wer in der Tat etwas würdigen  kann,  der pflegt sonst in Rezensionen den  Bericht  vor der Würdigung voranzuschicken; und in diesem Punkt muß ich auch vom gegenwärtigen Rezensenten rühmen, daß die Ausführung nicht so schlimm ist, als die Ankündigung. Er stellt zuerst drei verschiedene Bestimmungen aus meinem Buch zusammen, die das Wesen der Logik betreffen, mit der Bemerkung, er könne sie nicht vereinigen. Ich begreife, daß es einen Augenblick schwierig scheinen kann, dieselben ineinander aufzulösen; Erläuterung darüber gebe ich um so lieber, weil ich auf den § 34 in meinem Buch einiges Gewicht lege.

Nach demselben sollen in der Logik diejenigen Formen der möglichen Verknüpfungen des  Gedachten  nachgewiesen werden, welche das Gedachte selbst nach seiner Beschaffenheit zuläßt. Diese Bestimmung hat zur Absicht, die Fragen nach dem denkenden Seelenvermögen abzuschneiden, welche man sonst hierbei zu erheben pflegt und welche die Folge haben, daß die logischen Regeln als Äußerungen gewisser, im menschlichen Verstand nun einmal liegender, vielleicht von höherer Macht willkürlich in uns hineingepflanzter, Gesetze erscheinen, die bei anderen Vernunftwesen wohl auch anders sein könnten. Dem gemäß die ganze Logik nur die Aufstellung eines pychologischen Phänomens. Aber die Logik schreibt vielmehr vor, wie das Denken gehen sollte, als wie es wirklich geht, das zeigt sich bei allen übereilten Schlüssen und schon bei den falschen Einteilungen und Erklärungen, mit einem Wort, bei einer Menge von Irrtümern, die psychologisch vollkommen möglich, obgleich logisch unerlaubt sind. Auf die Psychologie wirkt es ferner sehr schädlich, wenn die Logik für eine Art von Naturwissenschaft des Verstandes gehalten wird. Die Vermögen der Begriffe, Urteile und Schlüsse, sind ebensoviele mythologische Personen, die man erdichtet hat, wie das Altertum die Götter des Donners, des Windes, des Regenbogens erdichtete; nach dem ganz seichten Schluß: wir haben Begriffe, also ein Vermögen der Begriffe; gleichwie: es gibt Regenbogen, also eine himmlische Kraft, welche dergleichen hervorbringt. Da nun die Logik über psychologische Fragen nicht die geringst unmittelbare Belehrung geben kann: so war die Bemerkung nötig, daß alle logischen Vorschrifen, von der Reflexion auf den Akt des Denkens unabhängig, sich bloß auf das Gedachte beziehen und aus dessen Betrachtung unmittelbar entspringen. Man denke den Zirkel und das Viereck zusammen, desgleichen das Weise und Nicht-Weise; man wird in diesen und ähnlichen Beispielen  unmittelbar  und ohne vom Denken als einer Tätigkeit in uns das Mindeste zu wissen,  finden,  daß jene Entgegengesetzten sich ausschließen; man wird mit ursprünglicher Evidenz, wie bei Axiomen, dasjenige richtig finden, was die Logik von konträren und kontradiktorischen Gegensätzen allgemein ausspricht. Aber nachdem das, was zu finden war, einmal gefunden ist, nachdem die Logik existiert und gelehrt wird, erleichtert sie alle diejenigen Reflexionen, aus denen sie sich selbst erheben mußte. Die allgemeinen Formen, in welchen das Gedachte zusammenpaßt, sind nun bekannt; mit ihrer Hilfe kann man weit geläufiger, als vor deren Aufstellung, dasjenige Gedachte auseinandersetzen, was sich aufhebt oder auch nur verschieden ist, - man kann  Klarheit  in die Begriffe bringen, wo die Gefahr der Verwechslung drohte, - man kann bequemer das Auseinandergesetzte zugleich zusammenhalten, -  Deutlichkeit  in den Inhalt der Begriffe bringen, die, obschon in ihre Merkmale zerlegt, doch auch zugleich, als aus denselben bestehend, betrachtet werden. Nun ist ferner alles Denken klarer und deutlicher Begriffe schon ein Urteilen und rückwärts, das Urteilen drückt das Entstehen klarer und deutlicher Begriffe aus; indem es immer in reinem Gegensetzen oder Verbinden besteht. Das Schließen aber ist ein vermitteltes Urteilen und fällt insofern selbst in das Urteilen, das heißt, in das Aufklären und Verdeutlichen der Begriffe hinein. Alles dieses richtet sich nach der Möglichkeit - nicht des Denkens, die bei der Unaufgelegtheit und beim Mangel an Übung sehr beschränkt ist, daher auch die meisten nur  nach denken, was andere  vor dachten: - sondern nach der Möglichkeit  verknüpft zu werden,  sich die Verknüpfung gefallen zu lassen, die im  Gedachten  ihren Sitz hat. In logischer Hinsicht ist es völlig einerlei, wie weit zu irgendeiner Zeit dasjenige Wissen, was im Denken gefunden  werden  kann, schon gefunden und unter wie viele Menschen es verbreitet ist, die es nun wirklich  denken. 

Das ist nun die Hauptbestimmung, daß die Logik die möglichen Verknüpfungen des Gedachten allgemein bezeichne. Soll ich aber dem Anfänger die  erste  Nachricht geben, was für eine Art des Philosophierens ihn die Logik lehren werde: so wähle ich die davon abgeleitete, aber leichter verständliche Bestimmung: sie helfe Begriffe sondern und gesonderte als Merkmale zu Begriffen zusammen halten; oder, klar und deutlich denken. Ist endlich die Rede vom fortschreitenden Räsonnement, von Prinzipien und Methoden: so ist hier der Ort, von der Logik zu sagen, sie sei die allgemeinste Methodenlehre.

Und an eben diesem Ort macht der Rezensent, ich weiß icht nach welcher Logik, folgenden Schluß: Wenn man die Beschaffenheit des Gedachten berücksichtigen muß und jedes besondere Wissen seine eigene Methode fordert, so ist die Logik als allgemeine Methode ebenso unzureichend als überflüssig (soll wohl heißen: ebenso überflüssig als unzureichend) und als besondere Methode behandelt fällt sie mit den besonderen Wissenschaften zusammen. - Wie? Das Einmaleins ist unzureichend in der Astronomie: darum ist es überflüssig? - Die Logik vermag nicht, widersprechende metaphysische Grundbegriffe aufzulösen (weil solche Widersprüche, die man nicht geradezu verwerfen kann, etwas spezielles sind, das die Logik nichts angeht,): darum ist die Logik in der Metaphysik überflüssig?? - Wer hat je geschlossen. Wasser ist unzureichend zur menschlichen Nahrung, also ist es überflüssig? - Die Logik gibt allgemeine Methoden; diese müssen überall befolgt werden, weil sie sich auf die  allgemeinen  Eigenschaften des Gedachten, aus  allen  Klassen des Denkbaren, beziehen; weil sie überall die Verknüpfung des Gedachten in gewisse Grenzen einschließen. Damit aber reicht man nicht aus. Die besonderen Eigentümlichkeiten  gewisser  Probleme fordern  noch überdies  besondere Methoden. Und  diese  besonderen Methoden fallen in die besonderen Wissenschaften; sie würden in der Logik, die allgemein brauchbar sein muß, sich schlecht ausnehmen. Gerade die besonderen Methoden aber sind das Vernachlässigte, darum sieht es in der praktischen Philosophie und Metaphysik so übel aus. Die einzige Mathematik ist voll von besonderen Methoeden, welche  neben  dem allgemeinen, was die Logik fordert, zur Anwendung kommen. Sollen etwas diese Rechnungsmethoden mit in die Logik aufgenommen werden; damit alles, was nur Methode heißen mag, beisammen sei?

Doch schon zu lange verweile ich bei einerlei Schwachheit. Der Rezensent will wissen, von welcher Wissenschaft die Logik abstrahiert sei, um danach ihren Gebrauch beim realen Erkennen zu bestimmen. Hier mag FICHTE einigen Anteil an seinem Irrtum haben, den die Vorliebe für seine Wissenschaftslehre verleitete, auch die, ein paar tausend Jahre ältere, Logik davon abhängig machen zu wollen. Er ermahnt mich, meiner hohen Achtung gegen das griechische Altertum getreu , aus der Logik eine allgemeine Wahrheits- und Wissenschaftslehre zu machen; und vergißt, daß meine hohe und  besondere  Achtung sich auf dasjenige Altertum beschränkt, was noch keine ausgearbeitete Logik hatte, auf das zwischen THALES und ARISTOTELES. Er tadelt, daß auf andere Lehrbücher verweise, wo ich mich in der Logik zu kurz gefaßt habe; - und ich würde wünschen, noch mehr auslassen zu können, das andere besser gesagt hätten als ich; auch wüßte ich eben nicht, wo ich mich zu kurz gefaßt hätte. Die Prinzipien der Identität, vom zureichenden Grunde, vom ausschließenden Dritten, werde ich niemals in die Logik aufnehmen, wo nicht als Antiquität, die der mündliche Vortrag dem Lehrbuch nachbringt. Meine Grundsätze in den Lehren von Urteilen und Schlüssen sind, so viel ich sehe, noch von niemandem gehörig durchdacht worden; die flüchtigen Bemerkungen des Rezensenten darüber verdienen keine Rücksicht.

Der Rezensent geht jetzt über zum dritten Abschnitt meiner Einleitung, der Einleitung in die Ästhetik. Er geht dazu über - nicht anders, als hätten zwei Bücher neben ihm gelegen, eins über die Logik, das andere über die Ästhetik; und als wäre er nun fertig mit dem ersten, legte es beiseite und käme jetzt zu der neuen Arbeit am zweiten. Daß der zu kritisierende Verfasser wohl etwas dabei gedacht haben könne, wie die verschiedenen Teile seines Buches zusammengefügt werden müßten, welches Verhältnis unter ihrer Größe herrschen solle, ob eine plötzliche und gerade eine  solche  Abwechslung der Gemütslagen, wie aus dem Studium des Buches hervorgehen wird, wenn man es wirklich studiert, nun auch die rechte und wünschenswerte sei: - das alles fällt meinem Rezensenten nicht ein. Pädagogischer Geist scheint diesem Mann nicht beizuwohnen, sonst würde er wohl ein Lehrbuch  als ein Lehrbuch  beurteilt haben, zudem da dieses hier einen Gegenstand betrifft, der mehr als alles andere, was auf Universitäten gelehrt wird, pädagogische Rücksichten erfordert und zwar Rücksichten dieser Art  im Großen,  denn man will durch die Einleitung in die Philosophie die Zuhörer den herrschenden Meinungen des Zeitalters  entweder  zuführen  oder  dagegen sichern. Wenigstens habe ich einen solchen, reiflich und nach meinem besten Wissen und Gewissen überlegten Willen. Der ganze Ton meiner Einleitung arbeitet wider die modernen Schwärmereien, von denen ich überzeugt bin, daß sie das Gift des Zeitalters sind, die einzelnen Lehren aber sind so gestellt und gewählt, daß dadurch das Verstehen dessen mö glich wird, was jenen Schwärmereien Vernünftiges zugrunde liegt. Das Mehr oder Weniger in jedem Paragraphen ist auf lange Übung, auf vielfältig abgeänderte Versuche im mündlchen Vortrag gegründet, vollends also die Länge jedes Kapitels und jedes Abschnitts. Logik, Metaphysik und Ästhetik sind drei Dinge; diese lassen sich sechsfach versetzen; welche von diesen Verletzungen für das Lehrbuch die rechte sei, leuchtet nich unmittelbar ein. Man könnte ganz füglich die Logik ans Ende hinstellen, denn obgleich sie den  Wissenschaften,  Ästhetik und Metaphysik, voran gehen muß, daß diese in systematischem Gang einherschreiten, so gilt das doch keineswegs von der Einleitung; indem die unvermeidliche Trockenheit der Logik für den Anfänger fast noch zurückschreckender ist, als die Schwierigkeiten der Metaphysik. Solche Dinge hat der Rezensent mit seinem Autor zu überlegen, wenn sein Rezensieren zu etwas nützen soll. Und wie gern würde ich einen verständigen Beurteiler über jede der zahlreichen Rücksichten, die ich bei meinem Buch stillschweigend genommen habe, Rede gestanden haben! Wie viel hätte ich auf gegebene Veranlassung zu sagen gehabt über die rechte  Gymnastik des Geistes,  welche der erste akademiche Unterricht in der Philosophie beabsichtigen muß! Wie vieles  über  die Notwendigkeit, das philosophische Studium auf den Schulen vorzubereiten; da jetzt die Unvorbereiteten meine Einleitung größtenteils zu hoch finden und diese doch auch niedriger gestellt werden kann, weil sie auch den besser Ausgebildeten genügen muß und besonders, weil sonst zwischen ihr und den nachfolgenden Vorträgen ein Sprung sein würde.
LITERATUR - Johann Friedrich Herbart, Über meinen Streit mit der Modephilosophie dieser Zeit, Sämtliche Werke, Bd. 2, (Ausgabe Kehrbach), Langensalza 1888
    Anmerkungen
    1) Ich muß mir verbitten, daß jemals ein Kritiker die folgenden Zeilen als eine  genaue  Aussage meiner Grundsätze betrachte. So kurze Andeutungen können keinen wissenschaftlichen Wert haben.
    2) Die Kirche ist eine unschätzbare Wohltat für den Menschen; - nur nicht in Hinsicht der Spekulation. Dieser frommt einzig die völlige Unbefangenheit des Mathematikers; aber keinerlei Bestreben,  für  oder  wider  eine Sache zu reden.