tb-1ra-3Freudvon SteinBorkenauVeblen     
 
JOHANN FRIEDRICH HERBART
Über meinen Streit mit der
Modephilosophie dieser Zeit

[2/3]

"Die Frage ist, wie das Faktum des Bewußtseins erklärt werden muß. Ich erkläre es so, daß dabei Charakterbildung und Besserung bestehen können; daß von Erziehung die Rede sein dürfe; von solcher, im strengsten Wortverstand  sittlichen  Erziehung, welche das Inwendigste im Menschen, seinen Willen und die Wurzeln seines Willens, treffe und veredle. Dazu nun gehört schlechterdings, daß diese Wurzeln bildsam seien und daß sie die einmal angenommene Bildung auch behalten."

Mein Modephilosoph, wie gesagt, geht über zur Ästhetik. Ihm begegnet in meinem Buch die genaue Angabe, wie die allgemeine Ästhetik sich von den Kunstlehren unterscheide, denen sie notwendig vorangehen muß, wenn der Vorrath von gelegentlichen Reflexionen über schöne Natur und Kunst, der bisher versetzt mit einer Dosis falscher Metaphysik aus irgendwelchen Systemen, unsere Ästhetiken ausfüllte, auf das jenige soll zurückgeführt werden, was eigentlich das Gefallende und Mißfallende an Kunst- und Naturwerken ausmacht. Aber solche Genauigkeit ist in der Ästhetik heutzutage nicht Mode. Man nimmt das Schöne lieber massenweise; ja man will darain, als in einem uns rings umfangenden Element, -  leben  können. Gewiß ein glückliches Leben! nur kein philosophisches Denken. - Mein Rezensent, nachdem er die Vorwürfe der Leb- und Gehaltlosigkeit, ohne erläuternden Zusatz, ausgespendet hat, erzählte er weiter von dem, was er nicht begreife. Er fügt auch gleich die Ursachen hinzu, die ihn hinderten, etwas zu begreifen. Er hat nämlich selbst eine Art von Ästhetik und Sittenlehre; diese nun will er nicht einen Augenblick von sich tun; er stellt sie mir vielmehr mitten in den Weg und denkt mich aufzuhalten durch Dinge, an denen ich vor vielen Jahren, wohlwissend warum? vorbeigegangen bin. Was fängt man an mit einem Kritiker, der auch nicht einen Augenblick sich nur zum Versuch auf den Standpunkt seines Autors versetzen will? - "Rezensent begreift nicht, aus welchem Grund der Verfasser von ästhetischen Ideen spricht, da nicht eine Idee als solche, sondern nur ihre Darstellung und Verwirklichung ästhetisch ist." - Hier ist die Frage, was das Wort  ästhetisch  überhaupt heißen solle. Wird einmal der Rezensent ein Buch schreiben, so rede er  seine  Sprache; für jetzt rede ich die meinige; wenig abweichend von der allgemeien, wenigstens in diesem Punkt, denn man hört überall von  schönen Ideen  und von der  Idee des Schönen . Das Schöne aber ist eine Art des Ästhetischen, welches als Gattung, Schönes und Häßliches unter sich faßt; auch ist, nach meiner Logik, allemal der Name der Gattung wohl angebracht bei den Arten derselben. - "Rezensent begreift nicht, wie man lehren könne, aus welchen Elementen eine schöne Hymne oder ein Lust- und Trauerspiel zusammenzusetzen sei." - Zuvörderst habe ich niemanden lehren wollen, Hymnen, Lust und Trauerspiele zu verfertigen; so wenig als ich unternehme, jemanden die Tugend zu lehren. Nichtsdestoweniger ist am einen oder anderen ein nützlicher Unterricht gar wohl anzubringen; und wie sich die sämtlichen Grundzüge der Tugend aufzählen lassen, (ohne welche Aufzählung eine wissenschaftliche Sittenlehre unmöglich wäre), so wir auch der Ästhetiker, der  nichts  von den Elementen der genannten Kunstwerke angeben kann, am besten tun, von seinem Wissen zu schweigen.  Alle  Elemente derselben wird heutigen Tages auch der Beste nicht finden - weil wir noch keine Poetik haben. Aber von einem Konzert oder einer Symphonie lassen sich die  harmonischen  Elemente  alle, vollständig  angeben; - darum, weil in diesem Fach die allgemeine Ästhetik ihre Schuldigkeit getan hat. Und wie die Lehren der Harmonie dem Musiker helfen, ein guter Komponiest zu werden, obgleich sie ihm nicht vorschreiben, aus welchen Intervallen und Akkorden er  diese bestimmte  Sonate oder  jenes bestimmte  Konzert zusammensetzen soll, - ebenso sollen alle Teile der allgemeinen Ästhetik allen Fächern der Künste vorarbeiten. Das ist wenigstens die Idee, nach deren Ausführung in der Ästhetik gestrebt werden muß. Und diese Idee würde man kennen und begreifen, wenn diejenigen, die da lernen wollen über SHAKESPEARE und DANTE zu reden, sich zuvor bei irgendeinem Kapellmeister oder Organisten in die Lehre begäben, um hier am Beispiel der Musik zu  erfahren,  wie sich allgemeine Ästhetik und Kunst zueinander verhalten. Doch ich schreibe unbegreifliche Dinge für die Sehr-Lebendigen dieser Zeit!

Und wie viel unbegreiflicher, ja wie viel schrecklicher und sündlicher muß für den, der nicht scharf nachdenkt, die Ketzerei lauten: die ganze praktische Philosophie, also Moral, Naturrecht, reines Staats- und Völkerrecht, seien Teile der Ästhetik, derselben Wissenschaft, die auch von Opern und Komödien handelt. Hätte mein Rezensent, der einmal von Allem Nichts begreift, sich hierüber etwas lebendiger geäußert, hätte er ermahnt und gewarnt, wie Männer von Charakter zu tun pflegen, wenn ihnen etwas, ihrer Meinung nach, sittenverderbliches in den Weg kommt: - wahrlich! ich hätte mich durch solchen Eifer lieber zum Streit herausfordern lassen, als daß ich mich jetzt mit der vor mir ausgebreiteten Flachheit bemühe. Ziemlich kalt meldet mein Rezensent, ich habe das sittliche Urteil mit dem ästhetischen verwechselt; dieses letztere gehe auf die angemessene und gefällige Darstellung, jenes auf die Gesinnungen und den Willen; nicht alles Sittliche, als solches, sei ästhetisch. Ich sehe mich wieder nach den Schülern um, denen das vordoziert wird. Leute, die eine Literaturzeitung lesen, pflegen das alles oft gehört zu haben; denn es wird in der Tat gemeinhin so gesagt. Niemand aber - und am allerwenigsten ich- sagt oder räumt ein, was nun weiter folgt:  man können nach meiner Voraussetzung jede wahre Erkenntnis, sie sei philosophisch, historisch oder mathematisch, auch ein ästhetisches Element nennen.  Nein! eine so wahnwitzige Voraussetzung ist mir nicht eingefallen. Vielmehr ist für diese Plauderei des Rezensenten auch nicht der entfernteste Anlaß in meinem Buch zu finden. Das Ästhetische, wie ich schon in § 8 gesagt habe, beruth auf Urteilen des Beifalls und Mißfallens, ohne alle Rücksicht auf die Realität des Vorgestellten. Wahre Erkenntnis, und ästhetisches Urteil, sind zwei so völlig verschiedene Dinge, wie eine chemische Analyse und ein Moment poetischer Begeisterung. Daß diese ineinander gepfropft sind, das gerade ist der allererste, und einer von den wichtigsten Punkten meiner Klage gegen die heutige Unphilosophie. Darauf eben beruth die ganze moderne Religionsschwärmerei, daß man sich in einer Art von Verzückung einbildet, zu  erkennen  und zu  verehren  in  einem  ungeteilten Akt der Vernunft; daß man die Idee von Gott für die unmittelbare Anschauung des höchsten Wesens nimmt und hierauf einen unbegrenzten Dünkel vermeinter Einsichten gründet.

"Wozu diese Vermengung?" so rufen diesmal der Rezensent und ich, mit  einem  Mund. "Wozu ferner," fährt er allein fort, "die hehre Sittlichkeit in ein Spiel mit Verhältnissen der - ziemlich schlecht bezeichneten - ästhetischen Elemente verwandeln?" Gewiß, die Sittlichkeit in ein Spiel verwandeln, wäre ein ebenso sündliches als törichtes Unterfangen. Das Spiel kommt in meinem Buch nicht vor.  Verhältnisse  der ästhetischen Elemente kommen dort ebenfalls nicht vor; dagegen steht im Anfang des § 79 der  Hauptsatz  der ganzen Ästhetik: daß  alle einfachen ästhetischen Elemente selbst Verhältnisse sein müssen,  nämlich Verhältnisse, deren einzelne Glieder, für sich allein genommen, keinen ästhetischen Wert haben. Dieser Satz, der nicht bloß für die Ästhetik, sondern auch für deren Verhältnis zur Metaphysik, die durchgreifendste Entscheidung abgibt und in Hinsicht dessen ich auf meine praktische Philosophie verwiesen habe, welche zu vergleichen die Schuldigkeit des Rezensenten war, - steht in meiner Einleitung so gerade an der Spitze dessen, was über die Sittenlehre soll gesagt werden, daß es scheint, als habe der Rezensent, der ihn wirklich übersah, nicht recht lesen können, - ein Umstand, über den ich mich zu wundern längst verlernt habe, denn er ist schon manchmal meinen Herrn Beurteilern begegnet.

Nach folgenden Proben der alleräußersten Nachlässigkeit, womit dieser Teil der Rezension hingeschleudert ist, bekümmere ich mich nun nicht weiter um das, was dem Rezensenten in meinen Ansichten der Ästhetik nue oder alltäglich vorkommt oder was für ihn gar veraltet ist, weil es in der modernsten Literatur nicht dementsprechend zu lauten pflegt. Kommt einmal ein Mann, der imstande ist, meine Grundsätze der praktischen Philosophie mit Einsicht zu bestreiten: diesem werde ich über jede feinste Bestimmung der Begriffe Rede stehen, denn ich weiß, wozu jede so und nicht anders gestellt wurde; es findet sich in meiner Darstellung jener Wissenschaft nichts auf gut Glück hingeworfenes. Etwas  ziemlich schlechtes  kann demnach in derselben kaum vorkommen, sondern nur, entweder, große Verkehrtheit oder reine Wahrheit; auf jeden Fall aber, entschiedene und völlig ausgearbeitete Überzeugung; von der ich nur bedaure, daß sie, verglichen mit KANT, FICHTE, SCHLEIERMACHER,  gar zu neu  ist und mir meinen Wunsche, mich an diese würdigen Männer anzuschließen, nicht gewähren will; da unterdessen zu der Ehre, etwas Neues zu sagen, allgemeine Metaphysik und Psychologie mir Wege genug eröffnen.

Bevor ich jetzt meinen Rezensenten weiter nachfolge, der im Begriff ist, zur Einleitung in die Metaphysik hinüber zu gehen oder zu springen, erlaube man mir einen Augenblick vom Nichtstun auszuruhn, indem ich mich mit der Sache selbst beschäftige. Nach meiner philosophischen Überzeugung zerfällt nicht bloß die Wissenschaft in drei völlig verschiedenartige Teile - Logik, Metaphysik, Ästhetik - sondern ebenso verschiedenartig sind auch die Geistesrichtungen, die man beim Philosophieren willkürlich entweder einzeln oder in Verbindung, zu verfolgen in seiner Gewalt haben muß. Denn wer unabsichtlich und gleichsam gezwungen, aus der einen in die andere verfällt, der weiß nicht mehr was er tut und verunreinigt jede der genannten Wissenschaften durch die anderen, woraus längst die größten Irrtümer auf allen Seiten entstanden sind. Es erhebt sich nun die Frage: soll die Einleitung oder die Vorübung zur Philosophie, jene drei Geistesrichtungen gleich zu Anfang sondern oder soll sie die natürliche Verbindung unter ihnen noch schonen und dem unwillkürlichen Zug des menschlichen Geistes nachgeben, der abwechselnd, wie es kommt, seine Gedanken ordnet, sie mit Lob und Tadel begleitet, sich in die Natur der Dinge vertieft? Ich hielt in früheren Jahren das Natürlichste für das Beste; nachmals hat es mir zweckmäßiger geschienen, die Übung gleich darauf einzurichten, daß sie die nötige Enthaltsamkeit herbeiführe, welche der Pfuscherei aus einem Fach ins andere entgegensteht. Dem zufolge habe ich meinen anfänglichen Plan, nach welchem eine größtenteils historische Einleitung alle Teile zusammen hielt, wieder aufgegeben und das Verschiedenartige getrennt. Und deshalb kann jetzt die Einleitung als ein Aggregat mehrerer Einleitungen erscheinen, vorzüglich weil die letzte Verbindung des mannigfaltigen zum Zweck der allgemeinen Geistesbildung nicht genug sichtbar ist. In diesem Punkt bin ich mit meiner eigenen Arbeit wenig zufrieden; es ist aber darum schwer hierin etwas zu verbessern, weil sich alles dem vorgeschriebenen Zeitmaß halbjähriger Vorträge anpassen muß und noch mehr darum, weil bei den Anhängern die einzelnen Forschungen nicht so schnell reifen, daß, was sie im Laufe eines Halbjahres gehört haben, sich schon am Ende desselben zur Verknüpfung in ein Ganzes eignete. Es ist besser, die einzelnen Fäden erst in den nachfolgenden systematischen Vorträgen weiter fortlaufen zu lassen. Übrigens geben die Vorlesungen über Psychologie mannigfaltige Gelegenheit, das zuvor Getrennte zweckmäßig untereinander zu verknüpfen. Und die Einleitung kann überhaupt nur in Verbindung mit den nachfolgenden akademischen Vorträgen, auf welche sie berechnet ist, gehörig beurteilt werden. Doch ich breche ab, um meinen Rezensenten, der auf das alles keine Achtung gibt, nicht zu lange allein zu lassen.

An der Schwelle der Metaphysik, wo es darauf ankommt, alle Besonnenheit einzig und allein auf scharfes Denken zu richten, um auf dem bevorstehenden, bekanntlich höchst schlüpfrigen Weg, einen Schritt nach dem anderen mit Sicherheit tun zu können: - hier nimmt mein Rezensent eine fromme Miene an, vermutlich in der Hoffnung, ein Engel werde kommen ihn zu leiten. Seit jenen Alten vor ARISTOTELES, meint er, seien die Hauptaufgaben der  Philosophie  (ich dachte, es wäre von der  Metaphysik  und zwar von den  Anfängen  derselben die Rede),  wesentlich  verändert. "Gott, Vorsehung, Freiheit des Willens, Bestimmung der Menschheit, Sünde, Versöhnung und Unsterblichkeit sind  uns nun  der Kern und Mittelpunkt  jeder  philosophischen Untersuchung." Das klingt ganz vortrefflich und bereitet uns herrlich vor zum Empfang einer Offenbarung, die geraden Weges vom Himmel beschert werden soll. Aber noch einmal: ich meinte, es wäre von Metaphysik, einem Teil der  Welt weisheit, einem Versuch der schwachen menschlichen Vernunft, die Rede. Dahin geht  mein  Weg und ich möchte bitten, mich ungestört zu lassen, wenn man nich nicht begleiten will. Aber nein! so gut soll es mir nicht werden; der lästige Geselle hängt sich an meinen Arm und ich muß ihn schon schleppen.

Eben bin ich angelangt bei den bekannten Aufgaben, von dem was Raum und Zeit erfüllt, von dem was man  Ding und  Ursache  und  Ich  zu nennen pflegt. Ich spreche davon als von Begriffen, welche uns die Erfahrung aufdrängt in der Meinung, daß noch heute, wie so lange die Welt steht, jedermann diese Begriffe in seiner gemeinen Erfahrungskenntnis vorfinde. Da ertönt an meiner Seite folgendes Lied: "Begriffe sind Erzeugnisse der Reflexion, als des  willkürlich- denkenden Verstandes; welche Merkmale in Begriffe aufgenommen werden, hängt also vom freien Denken ab; kommen daher in denselben Widersprüche vor, so hat der Verstand sie hineingelegt und sie taugen nichts, er hat sich geirrt."

Bald glaube ich, es geht mir wie dem WALLENSTEIN beim Dichter, da er über dem Gerede von seinem Krieg den ganzen Krieg vergaß. - Wer ist denn jener willkürlich denkende Verstand, der Erzeuger der Begriffe? Ich besinne mich; es ist eins von den Hirngespinsten der Psychologen, die  erst  zu den Begriffen den Verstand hinzudichten, damit sie  hinterher  diejenigen Begriffe, die sie sich aus ihren Hirngespinsten nicht erklären können. So erdichteten die BROWNianer eine Sthenie und Asthenie, um sich gewisse Klassen von Krankheitserscheinungen begreiflich zu machen und als hinterher noch einige Dinge am Krankenbett vorfielen, die da nicht hineinpaßten, erklärten sie die Erfahrungen für falsch. Dergleichen pflegt man, wenn es mit gutem Bewußtsein geschieht, unverschämt zu nennen; ich aber bin überzeugt, daß mein Modephilosoph nicht weiter sieht, als die Psychologie, die er gelernt hat. - Lustig dünkt es mich indessen doch, daß der Mann seine Begriffe von Dingen in Raum und Zeit und vom Ich für willkürliche Erzeugnisse der freien Reflexion hält. Denn damit man mich wohl verstehe, ich rede hier von solchen Dingen wie der Lichtflamme, die wir in räumlicher Hinsicht als spitzig und als über der Kerze am Doch schwebend, außerdem als hell und als brennend wahrnehmen, so daß wir die erwähnten Merkmale sämtlich in den Begriff der Flamme hineintragen. Ist denn dieser Begriff willkürlich erzeugt und läßt er sich willkürlich abändern? Wohlan, mein Herr, versuchen Sie, die Flamme oben breiter als unten zu sehen, schauen Sie auch die Kerze als leuchten, die Flamme dagegen als dunkel an; halten Sie überdies den Finger in die Flamme und lassen Sie nun vermöge der Freiheit ihrer Reflexion das Merkmal der Hitze aus ihrem Begriff von der Flamme weg; während wir anderen unfreien Leute, wo wir das  Licht  der Flamme sehen, uns vor ihrer  Hitze  hüten. - Oder betrachten Sie das Papier, das hier vor Ihnen liegt und schaffen Sie den Erfahrungsbegriff, den Sie davon haben, so um, Kraft ihres freien Verstandes, daß auf diesem - ich sage, auf  diesem  nämlichen Papier lauter Lobreden auf Ihre sehr vortreffliche Rezension meines Lehrbuches zu lesen seien. Wenn Sie das nicht können: so merken Sie sich ein für allemal, daß ich von solchen Begriffen rede, die etwas  als Gegeben  vorstellen; und deren Bildung in keines Menschen Belieben steht; daß ich also auch von  derjenigen Zudringlichkeit der Erfahrung  spreche, welche macht, daß Sie die Flamme heißt und dieses Papier bedruckt finden, wie Sie wohl wissen.

Doch jetzt wird mein Rezensent gelehrt! Er weiß was FICHTE, was die Eleaten und PLATON behauptet haben. Vermutlich muß mir, der ich in den Jahren von 1794 bis 1797 FICHTEs Zuhörer war, entfallen sein, was derselbe mich lehrte. Glücklicherweise gibt es Bücher, die wir miteinander aufschlagen können. - Sehr behutsam beginnt mein Mann: "Wenn (die Sache ist noch zweifelhaft!) wenn diese in einem Begriff Widersprüche aufgedeckt haben: so behaupteten sie nicht, daß das notwendige und aufgedrängte Begriffe seien, sondern sie nahmen die Begriffe mit den Merkmalen an, die man gewöhnlich und willkürlich damit verbunden hatte und zeigten die Unhaltbarkeit dieser Verbindung." Ey! wir wollen doch sehen! In FICHTEs Sittenlehre Seite 42 steht folgendes: "Nicht das Subjektive, noch das Objektive, sondern - eine Identität ist  das Wesen des Ich.  Kann nun irgendjemand diese Identität, als sich selbst denken? Schlechterdings nicht! denn um sich selbst zu denken, muß man ja eben jene Unterscheidung zwischen Subjektivem und Objektivem vornehmen, die in diesem Begriff  nicht  vorgenommen werden soll. Was das Ganze der FICHTEschen Lehren anbetrifft, so liegt der Grund, warum diese nicht verstanden werden, gerade darin, daß die Modephilosophie ihnen nicht glauben will, was sie mit dürren Worten, wie die angeführten sind, versichern. Bei den Eleaten spricht der Erfolg deutlich genug; sie verwarfen die Sinnenwelt und das menschliche Ich geradezu ganz, wie allenfalls in den Stellen nachgesehen werden kann, die ich in der Einleitung aus den Fragmenten des PARMENIDES ausgehoben habe. Nun überlege der Rezensent, ob FICHTE von willkürlichen Dinge rede, wo er  das Wesen  des Ich erklärt?, ob PLATO sich mit willkürlichen Begriffen trage, wo er den Weg verzeichnet, wie die künftigen Weisen und  Häupter  seines Staates, in frühen Lehrjahren auf das Widersprechende in der Sinnenwelt aufmerksam gemacht werden sollen? Denn vom Disputieren wider irgendeinen Sophisten ist in diesem Zusammenhang nicht im geringsten die Rede.

Übrigens ist meine Meinung nicht, mich hinter Autoritäten zu verschanzen. Meine Zusammenstellung der verschiedenen Probleme, die auf solchen Begriffen beruhen, wodurch das Gegebene unvermeidlich und von jedem, auch dem Leugner dieser Begriffe, unaufhörlich gedacht wird und die dennoch der darauf gerichteten zergliedernden Reflexion als klare Ungereimtheiten auffallen, - ferner meine Behandlung dieser Probleme (worin FICHTE ganz unglücklich war), diese gehört mir allein; ich verlange sie mit keinem Vorgänger zu teilen und die Blindheit der Modephilosophen um mich her dient bloß, mich allmählich stolz zu machen auf eine Einsicht, die so viele nicht erreichen, selbst nachdem man ihnen zeigt, was sie übersehen hatten.

Wie weit eine solche Blindheit gehen könne, lehrt der Rezensent an seinem eigenen Beispiel, wo er den Satz nicht begreifen kann:  alle Eigenschaften sinnlicher Dinge sind relativ; sie sind, was das Ding hat, nicht was es ist.  Dagegen setzt er keck und dreist den Satz: das Ding und seine Eigenschaften sind eins, beiden können nur im willkürlichen Denken getrennt werden. Wohl an! Dem Gold gehören die Eigenschaften gelb, schwer, dehnbar, usw. Dem Rezensenten nach sind diese Eigenschaften eins, nämlich das Gold. Jetzt trägt das Gold in eine Gegend des unendlichen Weltraums, wo es nicht die Erde, nicht der Mond, nicht die Sonne, nicht die Sterne merklich anziehen können; (1) wohin auch kein Lichtstrahl dringt; wo sich am wenigsten ein Hammer und dergleichen befindet, der das Gold ausdehnt. Was heißt nun das  gelb, schwer, dehnbar,  nachdem Licht, Gravitation und der Hammer weggenommen sind? Und was ist nun das Gold? Nichts, gar nichts ist es, wofern dem Rezensenten nach diese Eigenschaften das Gold konstituieren. Aber wir brauchen es nicht so weit zu tragen, wir brauchen nur zu fragen, was es  für sich selbst  ist, um das Gesagte sogleich zu finden. So weit sah auch LEIBNIZ, der die Monaden, um ihnen ein innerliches, nicht relatives Was anzuweisen, zu vorstellenden Wesen machte. Und LOCKE ist sehr ausführlich und für Anfänger belehrend, in mehreren merkwürdigen Stellen seines Werke über den menschlichen Verstand, wo er die gänzlich zufällige Aggregation der sinnlichen Eigenschaften und die Unmöglichkeit nachweist, dieses Aggregat für die Substanz zu halten. (2) Daran mögen sich sich diejenigen üben, die noch nicht imstande sind, mir an dieser Stelle zu folgen. Vielleicht daß ihnen nach solcher Übung mit der Zeit ein Licht aufgeht.

Bei Gelegenheit des, mit jenem verwandten Problem von der Veränderung, gibt der Rezensent eine ähnliche Probe seines Scharfsinns. Er weiß, daß ich die Erscheinung der Veränderung für betrüglich erkläre; eben diese Betrügerin soll gegen mich als Zeugin auftreten. Sie soll ein Zeugnis und zwar das offenbarste, ablegen von der aktuellen Unendlichkeit des Wesens der Dinge in endlichen Formen. Ebensogut kann der viereckige Zirkel bezeugen, daß zweimal zwei fünf ist.

Meine Nachweisung der Widersprüche im Gegebenen sonderbar zu finden, sie erkünstelt zu nennen, das hat der Rezensent mit vielen gemein. Vermutlich soll ich dagegen auf mein Gewissen beteuern, daß ich von keinem Künsteln etwas weiß, daß ich die Dinge zeige, wie ich sie sehe. Vorwürfe, denen man die Reinheit seines Herzens entgegensetzen muß, sind Schmähungen, nicht Widerlegungen. Schmähungen kann ich nicht verzeihen; gegen jene Widersprüche aber helfen sie soviel, als die Berufungen auf den gemeinen Menschenverstand gegen HUME und KANT geholfen haben. Sie beweisen, daß man in Deutschlangd, nach manchem Wechsel der Systeme, noch immer nicht gelernt hat, ein neues System mit Behutsamkeit anfassen, sei es zur Annahme oder Widerlegung.

Indem ich mich anschicke, dem Rezensenten noch weiter Antwort zu geben auf seine Einwürfe gegen das Trilemma von der Veränderung, gegen die Benutzung der Eleatischen und Platonischen Lehre, - was von diesen vorhin erwähnt wurde, bezog sich auf die Vorrede, nicht auf diejenigen Kapitel, die im Buch die Hauptsache sind, - will es mir scheinen, daß in der Rezension eine Lücke sei, ausgefüllt mit ein paar leeren Worten von fremder Hand. Zwar, die Redaktion braucht sich deshalb nicht bei mir zu entschuldigen, - aber, soviel ist gewiß, was in meiner Rezension meines Buches am notwendigsten hätte vorkommen müssen, die Prüfung dessen, worauf ich selbst das meiste Gewicht lege, und worauf ich in der Vorrede hinweise, - das fehlt!

Statt dessen findet sich etwas sehr überflüssiges. Ich habe meiner Einleitung ein paar kurze Notizen von meiner systematischen Metaphysik angehängt, teils, um nicht mit bloßen Schwierigkeiten zu endigen, sondern die Existenz vorhandener Resultate zu zeigen, teils, um etwas zu haben, worüber sich im mündlichen Vortrag mehr oder weniger sagen ließe, je nachdem die Zeit am Ende des Halbjahres und der Grad von Vorbereitung, den die Zuhörer nach dem Grad ihrer Aufmerksamkeit gewonnen haben, es mit sich bringen möchte. Hieraus schreibt der Rezensent eine lange Stelle ab, läßt dann einiges aus und schließt seinen Auszug mit einigen, von mir durchgängig unterstrichenen Zeilen; diese gibt er, gleichfalls unterstrichen, treulich wieder; nur Schade, sie beziehen sich auf das von ihm Ausgelassene. Er hat sie nicht verstanden; der Leser wird sie so noch weniger verstehen; aus einer Rezension hätte alles wegbleiben sollen, was das letzte Kapitel betrifft, das lediglich für diejenigen, die das ganze Buch aufs sorgfältigste studiert haben, brauchbar sein kann.

Aber mein Rezensent begnügt sich mit Auszügen aus dem, was er hätte ganz unberührt lassen sollen. Er kann nicht umhin, zu urteilen. Zwar, sein Endurteil über mein System will er gütigst noch verschieben. Aber mit einigen Wehklagen darüber muß er doch endigen. Ein Urteil ist im Anzug; man will das menschliche Gemüth der Rechnung unterwerfen! Man leugnet die transzendentale Freiheit! Dieselbe Freiheit, die zwar LEIBNIZ verwarf, die aber seit KANT, - aus Gründen, die mit der Eigentümlichkeit des Kantischen Systems aufs genaueste zusammenhängen und mit derselben stehen und fallen, - für ein unentbehrliches Requisit der Sittlichkeit gehalten wird. Trotz des Leugnens der  transzendentalen  Freiheit existiert nun immerfort dasjenige im Menschen, dessen er sich bei aller Selbstüberwindung und Selbstanklage bewußt ist; und  dies  zu leugnen ist mir niemals eingefallen. Die Frage ist nur, wie dieses Faktum des Bewußtseins erklärt werden muß. Ich erkläre es so, daß dabei Charakterbildung und Besserung bestehen können; daß von Erziehung die Rede sein dürfe; von solcher, im strengsten Wortverstand  sittlichen  Erziehung, welche das Inwendigste im Menschen, seinen Willen und die Wurzeln seines Willens, treffe und veredle. Dazu nun gehört schlechterdings, daß diese Wurzeln bildsam seien und daß sie die einmal angenommene Bildung auch behalten. Nach der kantischen Freiheitslehre ist an die geforderte Bildsamkeit auf keine Weise zu gedenken; denn da liegt die Wurzel des Willens, - eben die Freiheit selbst -, in der intelligiblen Welt, wohin keine Kausalität reicht. Und nach den gemeinen Vorstellungen derer, die von der  zeitlosen  intelligiblen Welt nicht viel begreifen, kann der freie Wille sich jeden Augenblick ändern; dabei besteht kein  Behalten,  so wie bei der vorigen Lehre kein  Annehmen  der Bildung. Folglich wissen beide Vorstellungsarten nichts von der Charakterbildung. Und wasnoch das ärgste ist, wer die Erziehung leugnet, der muß aus denselben Gründen auch jene große Erziehung des Menschengeschlechts durch die Vorsehung leugnen. Woraus dann gar bald weiter folgt, daß das ganze Erdenleben des Menschen, mit seinen vielen Plagen und seinen kurzen Freuden, etwas rein zweckloses ist, da es nicht mehr als Bildungsschule betrachtet werden kann.

So begeisternd ist die Lehre von der transzendentalen Freiheit! An ihrer Stelle habe ich geredet von einer  solchen Freiheit,  die erworben werden kann, mit Hilfe der Erziehung und Selbstbildung. Darüber sind dem Rezensenten schlimme Gedanken aufgestigen. Es fällt ihm der Jagdhund ein, den man gewöhnen kann, seine Begierden zu beherrschen.

Und mir fällt zuerst die Frage ein, ob etwa die Psychologie der Jagdhunde dem Rezensenten bekannt sei? - Von seiner Kenntnis des menschlichen Geistes hatten wir oben die Proble, da er die Erfahrungsbegriffe für Erzeugnisse des willkürlichen Denkens hielt. Es könnte ihm begegnen, daß er von den Hunden zu niedrig dächte. PLATON vergleicht mit ihnen die Wächter seines Staates, diejenige gebildete Klasse, welche den Häuptern am nächsten stehen soll. Und wie vergleicht er sie? So, daß er seine Bewunderung der Hunde ausdrückt und ihnen eine  philosophische Natur  zuschreibt. Und wer kann der Treue der Hunde seine Bewunderung versagen? Was hinter dem sogenannten  analogon rationis  steckt, das man, in höchster Unbestimmtheit, den Tieren zuzuschreiben pflegt, wer hat das ermessen? Wer hat ergründet, was Menschen ohne Hände und Sprache sein würden?

Doch, wir wollen bei unseren gewöhnlichen Begriffen von den Tieren stehen bleiben. Diesen gemäß ist ihre Ähnlichkeit mit dem Menschen, wenn beide sich der Befriedigung einer Begierde enthalten, klar genug. In beiden unterdrückt  ein  Gedanke das Streben, womit der andere sich hervorarbeitet: Aber, - worauf hier alles ankommt - der Jagdhund verfährt hierbei gerade wie derjenige Mensch, der sich zurückhält  aus Furcht vor Strafe.  Da paßt die Vergleichung. Wo hat mein Rezensent gelesen, daß, wenn ich von Erziehung rede, ich dieselbe auf Furcht gründe? Wer berechtigt ihn, seine Vergleichung mit dem dressierten Hund da anzubringen, wo ich von sittlicher Bildung spreche? Alle Welt weiß, daß weder die Rute noch der Galgen die Werkzeuge einer solchen Bildung sind, wobei der Mensch sich durch das Selbsturteil über seinen eigenen Willen bestimmt. - Dem Rezensenten ist zu raten, daß er künftighin seinen eigenen Willen ein wenig schärfer beurteile, ehe er den Büchern, die ihm unter die Finger kommen, ein böses Gerücht bereitet. Er wird an seiner Sittlichkeit keinen Schaden nehmen, wenn er sich, trotz der transzendentalen Freiheit, die in der intelligiblen Welt wohnt, für diese Zeitlichkeit einigermaßen durch diese meine öffentliche Ermahnung bestimmen läßt.

Soll ich mich bequemen, diesem Mann zu gefallen, mich noch einzulassen auf das, was in der Philosophie eine begeisternde Lehre sei und was nicht? - Zum Philosophieren taugt einzig eine solche Begeisterung, die, vor allen Dingen in und außer der Welt, nach  Wahrheit  strebt.  Kann  irgendetwas, das im menschlichen Gemüt vorgeht, berechnet werden,  so  soll es berechnet werden; wer anders denkt, dessen Wort bewegt mich nicht. - Und die Weisheit, nach welcher die Philosophie strebt, was ist sie anderes, als eine Lenkerin der mannigfaltigen Arten von Begeisterung, die sie in den Menschen und in der Gesellschaft schon vorfindet? Sie selbst kann den zum Schwindel geneigten Enthusiasmus, den sie hüten soll, daß er nicht fanatisch werde, nicht in sich aufnehmen. Sie muß vielmehr als  einen  Gedanken ertragen können, der dem gewöhnlichen Menschen schrecklich vorkommt, weil er ihn nicht zu durchdringen vermag. -

Noch über die Grenzen der Rezension meines Buches zieht mich der Mann mit sich fort, dem ich das Prädikat des Modephilosophen beigelegt habe. Seine Anzeige des Werkes von Herrn Hofrat BOUTERWECK ist von Vergleichungen mit dem meinigen so hinten und vorn eingeklammert, daß ich beinahe nicht umhin kann, auch ein wenig in die Mitte hineinzusehen, - bloß um zu erfahren, ob ihm jenes Prädikat durchgehend anpasse. - Man sollte meinen, eine ausführliche Kollektiv-Rezension zweier Bücher, deren jedes den ganzen Umfang der Philosophie durchläuft, müßte die Frage beantworten, deren ich oben erwähnte: welches ist die Philosophie des Rezensenten? Zwar nicht vollständig, aber doch so, daß irgendwelche feste Punkte seiner eigenen Überzeugung zum Vorschein kämen. Denn so etwas muß er doch haben, um danach das Fremde beurteilen zu können. - Aber hier vermag ich von einem solchen Etwas nichts zu erkennen, als daß der Mann zwischen KANT und SCHELLING umherflattert. Vornehme Worte gegen Herrn BOUTERWECK daß er nicht  mehr  wisse; - eigenes Schwanken in allen Äußerungen! Charakteristisch ist die Stelle; "Rezensent will aber deswegen nicht behaupten, es (das Absolute) müsse als ein zusammengesetztes und ausgedehntes Wesen gedacht werden, weil ihm die Bestimmung der Einfachheit mißfällt, so wenig als er glaubt, daß das substantielle Wesen der endlichen Dinge einfach oder ausgedehnt genannt werden dürfe."

Nun, mein Herr, wofern Sie wirklich  hier  noch beim  Glauben  und  nicht behaupten wollen  stehen, wofern Sie demnach noch gar keine Grundlagen Ihrer eigenen Metaphysik haben, so ist es noch nicht Zeit für Sie, anderen in den Weg zu treten, die längst wissen, was ihnen als Wahrheit gilt. Sehn Sie in Ihr Kämmerlein, oder besser, gehen Sie in Sich selbst; da haben Sie zu tun, nicht auf dem literarischen Markt. Können Sie aber durchaus die Tinte nicht halten, so hüten Sie Sich, mir, den Sie gereizt haben, Ihre Blößen zu zeigen!
LITERATUR - Johann Friedrich Herbart, Über meinen Streit mit der Modephilosophie dieser Zeit, Sämtliche Werke, Bd. 2, (Ausgabe Kehrbach), Langensalza 1888
    Anmerkungen
    1) Die geringe Gravitation der Teile des Goldes untereinander setzte ich hier beiseite. Sie würde noch einen äußerst verminderten Grad von Realität übrig lassen; mehr oder weniger nach der Masse des Goldes.
    2) Zum Beispiel im 6. Kapitel des 4. Buches