cr-4ra-2Fichte - Vom Ursprung der Sprache    
 
JOHANN GOTTLIEB FICHTE
(1762-1814)
Die Anweisung zum seeligen Leben

"Denn, was ist denn nun dieses Ist selber, in dem Satze: die Wand i s t ."

Vorrede
Diese Vorlesungen, zusammengenommen mit denen, die unter dem Titel: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, so eben in derselben Buchhandlung erschienen sind, und denen: über das Wesen des Gelehrten u.s.w. (Berlin, bei Himburg) in welchen letzern die, in diesen Vorträgen überhaupt, herrschende Denkart, an einem besondern Gegenstande sich entwickelt, machen ein Ganzes aus von populärer Lehre, dessen Gipfel, und hellsten Lichtpunkt, die gegenwärtigen bilden: und sie sind insgesammt das Resultat meiner, seit sechs bis sieben Jahren, mit mehr Muße, und im reifern Mannesalter, unablässig fortgesetzten Selbstbildung, an derjenigen philosophischen Ansicht, die mir schon vor dreizehn Jahren zu Theil wurde; und welche, obwohl sie, wie ich hoffe, manches an mir geändert haben dürfte, dennoch sich selbst seit dieser Zeit in keinem Stücke geändert hat.

Die Entstehung solcher Aufsätze, so wie die, äußere und innere, Form, welche in ihnen die Lehre erhielt, war von außen veranlaßt; und so hing auch die Vollendung niemals von meinem eigenen Willen, sondern von der Zeit ab, innerhalb deren sie für den Vortrag fertig seyn mußten. Zu dem Abdrucke derselben haben Freunde unter meinen Zuhörern, die nicht ungünstig von ihnen dachten, mich, ich dürfte fast sagen, überredet; und für diesen Abdruck sie nochmals umzuarbeiten, wäre, nach meiner Weise zu arbeiten, das sichere Mittel gewesen, sie niemals zu vollenden. Diese mögen es nun verantworten, wenn der Erfolg gegen ihre Erwartung ausfällt. Denn ich, für meine Person, bin durch den Anblick der unendlichen Verwirrungen, welche jede kräftigere Anstrengung nach sich zieht, auch des Dankes, der jedem, der das Rechte will, unausbleiblich zu Theile wird, an dem größern Publikum also irre geworden, daß ich mir in Dingen dieser Art nicht selber zu raten vermag, und nicht mehr weiß, wie man mit diesem Publikum reden solle, noch, ob es überhaupt der Mühe wert sey, daß man durch die Druckerpresse mit ihm rede.

Berlin, im April 1806.

Fichte



Seyn, -  Seyn,  sage ich, und Leben, ist abermals Eins und Dasselbige. Nur das Leben vermag selbstständig, von sich und durch sich selber, dazuseyn; und wiederum das Leben, so gewiß es nur Leben ist, führt das Daseyn bei sich. Gewöhnlich denkt man sich das Seyn, als ein stehendes, starres und todtes; selbst die Philosophen, fast ohne Ausnahme, haben es also gedacht, sogar indem sie dasselbe als Absolutes aussprachen. Die kommt lediglich daher, weil man keinen lebendigen, sondern nur einen todten Begriff, zum Denken des Seyns mit sich brachte. Nicht im Seyn, an und für sich, liegt der Tod, sondern im ertödtenden Blicke des todten Beschauers. Daß in diesem Irrthume der Grundquell aller übrigen Irrthümer liege, und durch ihn die Welt der Wahrheit, und das Geisterreich, für immer dem Blicke sich verschließe, haben wir wenigstens denen, die es zu fassen fähig sind, an einem andern Ort dargethan; hier ist die bloße historische Anführung jenes Satzes hinreichend.

Sie vernehmen, daß ich - Seyn, inneres, und in sich verborgenes, vom - Daseyn, unterscheide, und diese zwei, als völlig entgegengesetzte, und gar nicht unmittelbar verknüpfte Gedanken, aufstelle. Diese Unterscheidung ist von der höchsten Wichtigkeit; und nur durch sie kommt Klarheit und Sicherheit in die höchsten Elemente der Erkenntnis. Was nun insbesondere das Daseyn sey, wird am besten durch die wirkliche Anschauung dieses Daseyns sich deutlich machen lassen. Ich nemlich sage: Unmittelbar, und in der Wurzel, ist - Daseyn des Seyns das - Bewußtseyn, oder die Vorstellung des Seyns, wie sie an dem Worte:   I s t  , dasselbe von irgend einem Objekte, z. B. dieser Wand, gebraucht, sich auf der Stelle klar machen können. Denn, was ist denn nun dieses Ist selber, in dem Satze: die Wand  i s t . Offenbar ist es Nicht die Wand selber, und Einerlei mit ihr; auch giebt es sich dafür gar nicht aus, sondern es scheidet durch die dritte Person, diese Wand, als ein, unabhängig von ihm seyendes, aus von sich: es giebt sich also nur für ein äußeres Merkzeichen des selbstständigen Seyns, für ein Bild davon, oder, wie wir das oben aussprachen, und wie es am bestimmtesten auszusprechen ist, als das unmittelbare, äußere, Daseyn der Wand, und als  ihr Seyn außerhalb ihres Seyns  (Daß das ganze Experiment der schärfsten Abstraktion, und der lebendigsten innern Anschauung bedürfe, wird zugestanden; so wie, als die Probe, hinzugefügt wird, daß keiner die Aufgabe vollzogen hat, dem nicht, besonders der letzte Ausdruck, als vollkommen exact, einleuchtet.)

Zwar pflegt sogar dies von der gemeinen Denkart nicht bemerkt zu werden; und es kann wohl seyn, daß ich an dem Gesagten Vielen etwas ganz Neues und Unerhörtes gesagt habe. Der Grund davon ist der, daß ihre Liebe und ihr Herz ohne Verzug nur sogleich zum Objekte eilt, und nur für dieses sich interessiert, in dasselbe sich wirft, und nicht Zeit hat, bei dem Ist betrachtend zu verweilen, und so dasselbe gänzlich verliert. Daher kommt es, daß wir gewöhnlich, das Daseyn überspringend, in das Seyn selber gekommen zu seyn glauben; indeß wir doch, immer und ewig, nur in dem Vorhofe, in dem Daseyn, verharren: und gerade diese gewöhnliche Täuschung konnte den, Ihnen oben angeführten Satz fürs erste verdunkeln. Hier liegt nun alles daran, daß wir dieses einmal einsehen, und es uns von nun an merken für das Leben.
LITERATUR, Johann Gottlieb Fichte, Die Anweisung zum seeligen Leben oder auch die Religionslehre, Berlin 1828