cr-4ra-1Humes KausalitätstheorieJacobi - HumeDie Lehre Humes    
 
CARL GRUBE
David Hume als Nominalist
(1711 - 1776)
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"Es ist klar, daß wir bei der Bildung der meisten Allgemeinbegriffe - wenn nicht bei allen - von jedem besonderen Grade der Quantität und Qualität abstrahieren."

"Ich stelle mir, wenn ich vom Hunde im Allgemeinen rede, nicht mehrere Hunde gleichzeitig oder gar nacheinander vor..."

§ 14. HUME bewunderte BERKELEYs Nachweis, daß es keine abstrakten Begriffe gäbe, als eine der größten Taten der Philosophie; daher sucht er selbst BERKELEYs Behauptung noch durch genauere Beweise zu stützen und seinerseits das Wesen der sogenannten abstrakten Begriffe zu erklären.

Er geht zunächst von unseren Vorstellungen überhaupt aus. Alle unsere Vorstellungen,  ideas,  entstehen aus unseren Empfindungen,  impressions;  denn wenn wir unsere Gedanken und Vorstellungen, so zusammengesetzt oder abstrakt sie immer sein mögen, analysieren, so lassen sich dieselben allemal in solche einfachen Vorstellungen auflösen, die eine vorhergegangene Empfindung zum Gegenstande haben; zweitens steht fest, daß, wenn Jemand wegen mangelnden Organs für gewisse Empfindungen keine Empfänglichkeit hat, derselbe ebensowenig der Vorstellungen fähig ist, die jenen Eindrücken entsprechen.

Es sind also alle unsere Vorstellungen die Abbilder unserer Empfindungen. Eine weitere Abstufung der Stärke findet nun auch noch unter den Vorstellungen selbst statt: die einen haben noch einen beträchtlichen Grad von Lebhaftigkeit; diese befinden sich als in der Mitte stehend zwischen Empfindung und Vorstellung im Gedächtnis, welches sie in der den Eindrücken entsprechenden Ordnung bewahrt.

Die andern dagegen haben gänzlich die Lebhaftigkeit verloren; diese befinden sich als reine Vorstellungen,  perfect ideas,  schwach und schwer festzuhalten in der Einbildungskraft, welche die Vorstellungen beliebig umstellen und verändern, und wo sie einen Unterschied zwischen denselben bemerkt, trennen kann.

Zu diesen letzten Vorstellungen zählen auch unsere allgemeinen Begriffe; doch bilden diese keine besondere Gattung von Vorstellungen, sondern sind im Grunde nur individuelle Begriffe, welche nur als allgemeine funktionieren. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung.

Sicherlich repräsentiert der abstrakte Begriff "Mensch" Menschen von allerlei Größen und Eigenschaften; dies kann nur dadurch möglich sein, daß er entweder alle möglichen Größen und Eigenschaften auf einmal in sich begreift, oder dadurch, daß er gar kein Individuum darstellt. Letzteres hält man gewöhnlich für richtig, ersteres aber für absurd; jedoch gegen diese gewöhnliche Annahme spricht zweierlei:
    erstens die Unmöglichkeit eine Quantität oder Qualität vorzustellen, ohne einen bestimmten Begriff ihrer Stärke zu bilden, und

    zweitens das Vermögen unseres Geistes alle Grade der Quantität und Qualität zugleich zu begreifen, wenigstens soweit es den Zwecken unseres Denkens dienlich ist.
Der erste Satz, daß man keinen Begriff von Quantität und Qualität ohne den bestimmten Begriff ihrer Stärke bilden kann, ergibt sich als folgenden Argumenten:
  • Was verschieden (different) ist, ist unterscheidbar (distinguishable), und was unterscheidbar ist, ist auch in der Einbildungskraft trennbar (separable); - und umgekehrt, was trennbar, ist auch unterscheidbar und daher verschieden. Wir brauchen also nur zu prüfen, ob das, wovon wir in unsern allgemeinen Begriffen abstrahieren, d.h. absehen, auch wirklich unterscheidbar und verschieden von dem ist, was als Wesentliches zurückbleiben soll; dann erkennen wir, ob die Abstraktion eine Trennung in sich schließt.
    Da nun die bestimmt Länge einer Linie von der Linie selbst weder verschieden noch unterscheidbar ist, so kann man die Vorstellung der Linie nicht von derjenigen der Länge trennen, also keine Quantität und ebensowenig eine Qualität ohne bestimmten Grad vorstellen.
  • Jede Empfindung ist bezüglich des Grades der Quantität und Qualität bestimmt; unsere Vorstellungen sind aber, wie oben gezeigt, alle aus unsern Empfindungen entsprungen und nur schwächere Abbilder derselben; daher müssen auch unsere Vorstellungen graduell bestimmt sein.
  • Es ist ein allgemeiner Grundsatz der Philosophie, daß jedes Ding (every thing) in der Natur individuell ist, und daß es absurd ist, ein wirklich existierendes Dreieck anzunehmen, welches kein bestimmtes Verhältnis der Seiten und Winkel habe. Was in der Realität absurd ist, muß es auch in der Vorstellung sein, weil nichts, dessen klare und deutliche Vorstellung wir bilden können, absurd und unmöglich ist.
    Ferner ist es dasselbe, die Vorstellung eine Gegenstandes zu bilden oder eine Vorstellung schlechtweg; denn die Beziehung der Vorstellung auf ein Objekt ist nur eine äußerliche Benennung, von der die Vorstellung kein Zeichen in sich trägt, da es nun unmöglich ist, die Vorstellung eines Gegenstandes zu bilden, der Quantität und Qualität und doch keinen bestimmten Grad von beiden hat, so ist es also auch unmöglich, eine Vorstellung zu bilden, welche in dieser Hinsicht nicht bestimmt ist.
Abstrakte Ideen sind daher in sich selbst individuell, jedoch funktionell allgemein; im Geiste befindet sich nur das Bild eines besonderen, einzelnen Gegenstandes, aber es wird im Denken verwendet, als wäre es allgemein. Wie ist eine solche Verwendung unserem Denken möglich?

Darauf antwortet der zweite oben angeführte Satz, daß wir uns eine, wenn auch unvollkommene, Vorstellung aller möglichen Grade der Quantitäten und Qualitäten machen können, wenigstens insoweit, als sie zu den Absichten unseres Nachdenkens und zur Mitteilung der Gedanken dient.

Denn wir belegen Gegenstände, welche sich nur durch die Grade ihrer Quantität und Qualität unterscheiden, im übrigen aber ähnlich sind, darumm sämtlich mit gemeinsamen Namen. Daher erwacht später, sobald wir den Namen hören, die Vorstellung eines dieser Gegenstände in der Einbildungskraft mit allen individuellen Zügen, und da nach der Voraussetzung dasselbe Wort öfter auf andere Individuen angewandt ist, welche in vielen Stücken von der der Seele vorschwebenden Vorstellung verschieden sind, so ist der Name zwar nicht imstande, die Vorstellung von allen diesen Individuen, welche alle möglichen Grade der Quantität und Qualität aufweisen, wieder zu erwecken, aber er gibt der Seele einen Anstoß und ruft jene Gewohnheit wieder ins Leben, die wir durch Überblicken jener Individuen erworben haben.

Die Vorstellungen dieser Individuen sind nicht wirklich im Bewußtsein gegenwärtig, sondern bloß virtuell, wir ziehen sie in der Einbildungskraft nicht alle einzeln hervor, sondern wir halten uns in Bereitschaft, diejenigen von ihnen zu überblicken, zu denen wir durch Absicht oder Notwendigkeit eben veranlaßt werden. Das Wort erregt also eine individuelle Idee zugleich mit einer gewissen Gewohnheit, und diese Gewohnheit erzeugt irgend eine andere individuelle Idee, zu deren Vorstellung gerade Gelegenheit ist.

Da aber die Hervorbringung aller derjenigen Einzelvorstellungen, denen der Name zukommt, meistenteils unmöglich ist, so unterbrechen wir das Geschäft durch eine mehr besondere Betrachtung der einzelnen Begriffe, ohne daß aus dieser Verkürzung viele nachteiligen Folgen für unsere Schlüsse entständen.

Denn wenn wir über einen allgemeinen Begriff nachdenken und dabei nur ein Einzelding der betreffenden Gattung vorstellen, so erwacht sofort die diese Vorstellung begleitende Gewohnheit, noch andere Gegenstände derselben Gattung vorzustellen infolge des abstrakten und allgemeinen Namens, und wenn wir einen falschen Schluß machen, führt sie leicht eine andere individuelle Vorstellung herbei.

Wenn wir z.B. bei dem Worte "Dreieck" die Idee eines besonderen, gleichseitigen Dreiecks bildeten und dann behaupten wollten, daß die drei Winkel des "Dreiecks" einander gleich seien, so steigen sofort die Vorstellungen ungleichschenkliger Dreiecke in uns auf, um uns die Falschheit unserer Behauptung bemerkbar zu machen, obgleich der Satz hinsichtlich der zuerst gebildeten Vorstellung richtig war.

Diese Gewohnheit leitet so sicher, daß eben dieselbe Vorstellung an mehrere, verschiedene Worte gebunden und zu verschiedenen Schlüssen gebraucht werden kann ohne eine Gefahr des Irrtums. So können wir ein gleichseitiges Dreieck vorstellen, einerlei, ob wir von einer Figur, einer regulären Figur, einem Dreieck oder wirklich von einem gleichseitigem Dreieck reden.

Es wird also eine individuelle Vorstellung dadurch zu einem allgemeinen Begriff, daß man dieselbe an ein allgemeines Zeichen bindet, d.h. an ein Zeichen, welches vermöge der beständigen durch Gewohnheit eingeführten Verknüpfung mit mehreren anderen Individuen eine Beziehung auf dieselben hat und sie darum leicht in der Einbildungskraft wiedere erweckt. § 15. Eine Kritik dieser Ansichten HUMEs ist umso schwieriger, als schon die Erläuterung der oben meist wörtlich gegebenen Darstellung nicht leicht ist und vor allem durch zahlreiche Unklarheiten des Ausdrucks beeinträchtigt wird. Allerdings ist nun MEINONG sehr scharfsinnig den HUMEschens Ausführungen nachgegangen, aber er hat dabei mehr für die Kritik als für die Erklärung gesorgt. Daher werden wir uns in erster Linie überall eine Erläuterung HUMEs angelegen sein lassen. Zunächst war es nötig, klar darüber zu sein, was HUME beweisen will.

MEINONG behauptet, HUME wolle alle Abstraktionen leugnen, und wundert sich dann, daß HUME nur von der Unmöglichkeit des Abstrahierens von Graden spreche.

Aber HUME selbst sagt nur, er wolle beweisen, "that all general ideas are nothing but particular ones" und in demselben Kapitel sagt er, er zeige "the impossibility of general ideas according to the common method of explaining them"; er will also beweisen, daß die allgemeinen Ideen nicht so erklärt werden können, wie es gewöhnlich geschieht, nämlich als abstrakte, sondern daß sie partikulare sind.

Leugnet HUME damit alle Abstraktion? Es scheint vielmehr aus den Worten HUMEs: "whether abstraction implies separation" hervorzugehen, daß HUME einmal durchaus nicht alle Abstraktion bestreitet und zweitens eine Abstraktion ohne "separation" annimmt. Diese Ansicht wird durch folgende Erwägungen noch gestützt.

In den früheren Kapiteln, besonders in demjenigen über die Einbildungskraft, hat er ausgeführt, daß die Einbildungskraft, nach gewissen Regeln mit den Ideen operiere, indem sie einfache Ideen trenne und vereine, d.h. doch wohl aus den komplexen Ideen die einfachen trenne und dieselben anders wieder vereine; so könne man am Apfel Farbe, Geschmack und Geruch unterscheiden, d.h. den komplexen Eindruck in diese 3 einfachen Ideen zerlegen. Dies ist vollkommen klar: HUME scheidet den einzelnen Sinnen entsprechend einfache Ideen; daher zählt er auch - was MEINONG vermutet - sicher zur Farbe die Ausdehnung, weil beide durch dieselbe Sinneswahrnehmung gegeben sind.

Man kann die einfachen Ideen in der Einbildungskraft trennen, weil man sie auch im Eindruck,  impression,  trennen könnte durch Ausschluß eines Sinnes, z.B. des Gehöres. So kann man sehr wohl einfach einen Geruch oder Geschmack ohne Ton vorstellen; die Trennung,  separation,  der einfachen Ideen erzeugt also einfache Ideen, welche nicht als Teile komplexer Vorstellungen, sondern für sich als selbständige Vorstellungen im Bewußtsein sein können.

Dies muß nach HUME  abstraction which implies separation  sein.

Von der Abstraktion ohne Trennung finden wir in dem Abschnitte von der  distinctio rationis  gehandelt. Allerdings hat MEINONG darauf verzichtet, diesen Teil zur Erklärung der HUMEschen Ansichten sofort herbeizuziehen, aber wir sehen uns nicht veranlaßt diesem Beispiele zu folgen. Denn einmal wäre MEINONGs Vorgehen nur berechtigt, wenn ohne Berücksichtigung dieses Abschnittes Alles leicht zu erklären wäre; aber MEINONG selbst erklärt wiederholt die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, HUME hier voll zu verstehen.

Zweitens ist MEINONG an anderen Stellen jenes Abschnittes sind:
    "Es ist gewiß, daß es dem Verstande nie eingefallen wäre, die Figur von dem figurierten Körper zu scheiden, da sie in der Wirklichkeit weder getrennt noch verschieden sind, wenn er nicht bemerkte, daß eben in dieser Einfachheit verschiedene Ähnlichkeiten und Verhältnisse enthalten sind ... Nach einiger Übung ... fangen wir an, die Figur von der Farbe in dem Verstande zu unterscheiden, da sie doch der Realität nach dieselben sind ... Ein Mensch, der da verlangt, daß man die Figur einer weißen Kugel betrachten solle, ohne an ihre Farbe zu denken, verlangt eine Unmöglichkeit, aber seine Meinung ist, daß wir zwar die Figur und Farbe zusammen betrachten können, aber wir sollen unser Augenmerkt nur auf die Ähnlichkeit mit der schwarzen Kugel ohne Rücksicht auf ihre Farbe und Materie richten."
Hier handelt es sich um Abstraktion innerhalb der Wahrnehmung eines und desselben Sinnes: Figur und Farbe sin der Realität nach nicht verschieden und nicht getrennt vorstellbar in der Einbildungskraft, aber ein logisches Unterscheiden durch den Verstand infolge des Vergleichens und Aufmerkens auf das Gemeinsame ist doch möglich, wenn auch dadurch keine besonderen, selbständigen Vorstellungen erzielt werden.

Nach diesen Ausführungen können wir den negativen Teil der HUMEschen Beweisführung besser verstehen. Es handelt sich für ihn hier um die im Bewußtsein selbständig existierenden Vorstellungen; HUME sucht nachzuweisen, daß, wenn wir allgemein sprechen, wir dennoch eine partikulare Idee vorstellen, und er beweist zu dem Zwecke, daß jede Idee graduell bestimmt sein müsse. Daß HUME hiermit alle Allgemeinbegriffe zu treffen glaubt, geht aus seinen Worten hervor:
    "Es ist klar, daß (wir) bei der Bildung der meisten Allgemeinbegriffe - wenn nicht bei allen - von jedem besonderen Grade der Quantität und Qualität abstrahieren."
Man kann MEINONG sehr wohl zugeben, daß der Ausdruck "Grad" nicht besonders passend gewählt ist, weil es Eigenschaften gibt, bei denen von Gradunterschieden keine Rede sein kann. Bei letzteren handeln wir aber gewiß nach HUMEs Meinung, wenn wir nur von individueller Bestimmtheit reden, auf welche ja HUMEs dritter negativer Satz schon hinweist. Daher können wir weder hier noch in der ganzen Formulierung der These so viel vermissen, wie MEINONG tut. Uns scheint im Gegenteil die Formulierung ganz passend:
    "Allgemeine Vorstellungen müßten, - wenn sie existierten, graduell unbestimmt sein - jede Vorstellung ist aber graduell bestimmt, folglich kann es keine allgemeinen Vorstellungen so, wie sie gewöhnlich aufgefaßt werden, geben."
Den Obersatz dieses Schlusses geben wir zu, den Untersatz wollen wir an Hand der HUMEschen Beweise prüfen.

Bei dem ersten derselben überraschen zunächst die Worte: "Was verschieden, ist unterscheidbar.. usw."; denn sie scheinen eine weit größere Abstraktion zuzulassen, als HUME sonst annimmt. Aber wenn wir bedenken, daß es sich hier um die selbständige Existenz abstrakter Vorstellungen handelt, müssen wir das "Unterscheiden" hier als Tätigkeit der Einbildungskraft, d.h. als getrennt Vorstellen auffassen. HUME selbst weist mit den Worten  firstly we have observed  auf die Auseinandersetzungen über die Einbildungskraft hin, welche wir bereits oben besprachen.

Somit legen wir HUMEs Worte folgendermaßen aus: "Dinge (resp. Eigenschaften), welche in der Realität verschieden sind, werden mit den Sinnen unterschieden und sind in der Einbildungskraft getrennt als selbständige Vorstellungen vorstellbar." So kann ich die Farbe eines Apfels vom Geruch und Geschmack desselben unterscheiden und getrennt allein vorstellen; aber ich vermag nicht eine Linie ohne Länge und zwar ohne bestimmte Länge vorzustellen.

So treffen wir hier wieder - und das stützt unsere ganze Auffassung - auf das Abstraktionskriterium BERKELEYs, "daß man nicht diejenigen Eigenschaften von einander durch Abstraktion trennen könne, welche nicht möglicherweise getrennt existieren könnten." Das ist in Wahrheit die anerkennenswerte Leistung BERKELEYs und HUMEs, daß sie die Unmöglichkeit des getrennten Vorstellens begrifflicher Vorstellungsteile darlegten.

Der zweite Satz sucht aus der graduellen Bestimmtheit unserer Empfindungen dieselbe Bestimmtheit für unsere Vorstellungen zu folgern, weil alle Vorstellungen nur schwache Abbilder der Empfindungen seien. Da HUME nun sonst allerdings die Einbildungskraft mit den Ideen Veränderungen, Trennung und Vereinigung vornehmen läßt, so wird HUME nicht bestreiten, daß wir manche Vorstellungen haben, welche nicht direkte Abbilder von Empfindungen sind; wir müssen daher HUME so verstehen, daß eben nur die einfachen Ideen, aus welchen die komplexen Vorstellungen zusammengesetzt sind, wirklich direkte Abbilder der Empfindungen sind und graduell bestimmt sein müssen.

Aber man könnte bezweifeln, ob man nur diejenigen Empfindungsgrade vorstellen kann, welche man wahrgenommen hat; HUME selbst führt einen Fall an und MEINONG bespricht denselben eingehend, um diesen Zweifel zu begründen. HUME meint nämlich, wenn jemand z.B. alle Schattierungen von Blau außer einer erfahren hätte und alle ihm bekannten Nuancen ihm der Reihe nach vorgeführt würden, so würde er nicht nur diese Lücke wahrnehmen, sondern auch durch die entsprechende Idee ergänzen können.

Dazu fügt MEINONG noch die Fälle: "Wenn uns heute das hellste Weiß vor Augen kommt, das wir je gesehen, so können wir uns immer noch ein helleres denken. Wird ein Ton von so vielen Instrumenten auf einmal angegeben, wie wir nie zusammen spielen gehört haben, so können wir uns den Ton doch immer noch stärker und voller vorstellen und dgl."

Die beiden von MEINONG erwähnten Fälle können wir nicht bestätigen, vielmehr halten wir es für kaum möglich, überhaupt das hellste Weiß, das wir je sahen, und den stärksten Ton, den wir je hörten, wieder vorzustellen, geschweige denn noch Steigerungen derselben zu bilden.

HUMEs Beispiel ist etwas anderer Art, weil in demselben zu beiden Seiten der neu zu bildenden Vorstellung Wahrnehmungen gegeben sind. Sicherlich wird jemand in einer einheitlichen Abstufung von Farbennuancen dort, wo eine Stufe fehlt, die Lücke bemerken. Wie wird er diese ausfüllen? Er wird die über und die unter der Lücke liegende Nuance ins Auge fassen und sich bemühen, die eine z.B. etwas dunkler, die andere etwas heller vorzustellen, aber er wird keine derartig feste Vorstellung bilden können, daß, wenn ihm die fehlende Nuance gezeigt würde, er sagen könne, die und keine andere habe er sich vorgestellt.

Wir wollen keineswegs der konstruierenden Tätigkeit, und am wenigsten jenem Verfahren nach der Formel  a:b = b:x  seinen hohen Wert für das  Denken  absprechen; wir erhalten ja z.B. eine gewisse Vorstellung der Sonnenferne durch eine solche Proportion, wenn wir denken: "wie sich dieser einzige Nadelkopf hier zu jener mächtig hohen Kirche verhält, so verhält sich letztere zur Entfernung der Sonne von der Erde", - aber man erhält auf diese Weise keine neue selbständige Vorstellung, sondern das Neue ist hier nur das Urteil, die Konstatierung eines gewissen Verhältnisses zwischen zwei gegebenen und einer nicht gegebenen Vorstellung.

Wir können daher, ohne HUMEs eigene Bedenken weiter zu teilen, den zweiten Satz billigen, indem wir denselben so auslegen:
    "Jede Empfindung ist bezüglich des Grades der Quantität und Qualität bestimmt; unsere Vorstellungen sind aber alle aus den Empfindungen entsprungen und die einfachen Ideen, aus welchen unsere Vorstellungen bestehen, sind nur schwächere Abbilder der einfachen Empfindungsteile. Daher müssen unsere einfachen Ideen alle graduell bestimmt sein und auch die aus denselben zusammengesetzten komplexen Vorstellungen."
Dem dritten Beweissatz hat MEINONG so schlagend logische Fehler nachgewiesen, daß auch wir denselben für völlig verunglückt halten und nicht genauer auf denselben eingehen werden. Jedoch drängt sich dabei noch die Frage auf, wie HUME überhaupt dazu komme, noch diesen Beweissatz den früheren hinzuzufügen.

Nachdem er im ersten Satz zeigte, daß die Einbildungskraft keine selbständigen, allgemeinen Vorstellungen bilden könne, und nachdem er in zweiten Satze darauf hinwies, daß wir keine allgemeinen Empfindungen hätten, schließt er hier aus der Ansicht, daß das Allgemeine keine reale, selbständige Existenz habe, auf die Unmöglichkeit allgemeiner Vorstellungen.

Diesem Schlusse tritt MEINONG direkt entgegen mit der Behauptung, daraus, daß es absurd wäre, ein existierendes Ding ohne Qualität und Quantität anzunehmen, folge durchaus nicht, daß auch solche Idee absurd wäre. Und in der Tat wäre die Voraussetzung dieses Schlusses, daß wir nur etwas vorstellen könnten, was wirklich existiere. Aber wir glauben, daß MEINONG HUME hier mißversteht; alles ist klar und sicher in HUMEs Sinne ausgelegt, wenn wir als die Voraussetzung jenes Schlusses den Satz annehmen, daß man sich nur das vorstellen kann, dessen einfache Empfindungsteile wirklich existieren und darum als einfache Ideen vorgestellt werden.

Da nun alle komlexen Vorstellungen aus einfachen Ideen bestehen und letztere entsprechend den Empfindungen graduell bestimmt sind, so müssen auch die komplexen Vorstellungen selbst graduell bestimmt sein. So hoffen wir allerdings in dieser Hinsicht HUME gerechtfertigt zu haben, aber der ganze Beweis gewinnt dadurch nichts an Haltbarkeit.

Aus dieser ganzen negativen Beweisführung ergibt sich, daß logische Begriffe keine psychische Sonderexistenz führen, sondern nur partikulare Vorstellungen sind. Soweit stimmen wir HUME zu, aber wir können es nicht billigen, daß er den Begriffen nicht doch eine besondere Stellung innerhalt der Vorstellungen einräumt. Wenn ich z.B. auf eine Tafel genau und deutlich ausgeführt ein menschliches Antlitz zeichne, so entspricht dies etwa der lebhaften Vorstellung, welche HUME als erste Vorstellungstufe anführt. Wische ich über die Zeichnung weg, so daß ein schwach sichtbares, unklares Bild zurückbleibt, so wäre dies etwa eine schwache Vorstellung des Antlitzes; wäre es auch ein Begriff desselben? Keineswegs.

Freilich kann der Begriff mit der unklaren Vorstellung das eine gemein haben, daß manche Teile seines Inhalts weniger klar sind als andere; aber während bei der unklaren Vorstellung alle Teile gleich dunkel oder irgendwelche zufälligerweise etwas deutlicher als die andern sein können, sind in der Vorstellung, welche man einen Begriff nennt, die klarer hervortretenden Teile stets dieselben, nämlich die wesentlichen Merkmale des Einzeldings.

Die Unklarheit unserer Begriffe liegt hauptsächlich in der Unwissenheit darüber, wie viele jener unwesentlichen Merkmale sich mit den wesentlichen meistenteils verknüpft finden, dagegen beruht die Unklarheit der Vorstellungen überhaupt auf der Verwischtheit und dem zufälligen Hervortreten irgendwelcher Eigenschaften.

Somit nimmt der Begriff schon durch seine Vorstellungsart doch eine besondere Stelle unter den Vorstellungen ein, welche HUME ihm jedoch darum nicht einräumen konnte, weil er das Problem, welches die allgemeine Verwendung der partikularen Vorstellung bietet, anders löste.

§ 16. Auch in dieser positiven Darstellung wollte HUME nur BERKELEYs Ansicht ausführen, aber er hat - wie MEINONG zutreffend nachwies - dabei BERKELEY eine andere Meinung untergeschoben. Denn bei BERKELEY stehen die allgemein funktionierenden Einzelideen und der allgemeine Name sich unvermittelt gegenüber, HUME aber stellte eine Vermittelung her durch den folgenden Satz, welchen er aus Berkeley entnommen haben will:
    "Alle allgemeinen Begriffe sind im Grunde nichts als individuelle Begriffe, die man an einen gewissen Ausdruck hängt, der ihnen eine ausgedehntere Bedeutung gibt und macht, daß man sich bei Gelegenheit anderer Individuen erinnert, die ihnen ähnlich sind."
Von dieser Ansicht findet sich bei BERKELEY nichts; HUME hat hier eine Lücke in BERKELEYs Theorie ausgefüllt; daß er sie nicht in BERKELEYs Sinn ausfüllte, hat MEINONG ebenfalls nachgewiesen; prüfen wir, ob wir die HUMEsche Ansicht billigen können! Dazu ist nun allerdings nötig erst HUMEs Auffassung ganz zu verstehen, und das wird jeden, der HUMEs Ausführungen und MEINONGs zersetzende Kritik derselben gelesen hat, keine Kleinigkeit dünken. Gehen wir direkt auf unser Ziel los und fragen: "Was wird nach HUME bei der Nennung eines allgemeinen Namens im Bewußtsein vorgestellt?"

Nach MEINONGs Darstellung wäre nicht einmal hierüber volle Klarheit zu gewinnen. Denn einmal sagt HUME, es würde durch den Namen eine Partikularidee wachgerufen und alle andern Ideen wären nur virtuell gegenwärtig; im folgenden Satze meint er, daß das Wort eine Individualidee erwecke nach einer gewissen Gewohnheit und diese Gewohnheit eine andere Idee, zu der wir Veranlassung hatten; drittens spricht HUME von einer "teilweisen Betrachtung", wobei zweifelhaft bleibt, ob das Wort "teilweise" auf den Inhalt oder den Umfang des Begriffes zu beziehen ist, endlich bemerkt er, daß, wenn wir einen falschen Schluß machen, noch eine andere Vorstellung, welche der ersten in manchen Eigenschaften ähnlich, in andern unähnlich sei, vorgestellt werde.

Unmöglich kann man annehmen, daß HUME in diesen vier, auch im Original so unmittelbar aufeinanderfolgenden Sätzen verschiedene Ansichten ausspreche; wir müssen uns bemühen, eine einheitliche Ansicht HUMEs festzustellen.

Da ist vor allem den Inhalt des zweiten der angeführten Sätze in betracht zu ziehen; folgte dieser Satz nicht dem ersten, so wäre MEINONGs Einwand berechtigt, daß Vorstellungen, die nur virtuell der einen Individualvorstellung zur Seite ständen, eben gar nicht im Bewußtsein wären und daher auch nicht die erste Vorstellung allgemein machen könnten. Vielmehr muß der zweite Satz als nähere Ausführung des ersten gefaßt werden:
    "Der partikularen Idee stehen alle anderen Vorstellungen virtuell zur Seite, d.h. es kann von allen anderen jede beliebige auftregen, weil sie alle unter demselben Namen assoziiert sind; welche jedoch auftritt, hängt von den näheren Umständen ab."
Dieser Inhalt wird im dritten Satze nochmal so wiederholgt, daß gesagt wird, von den sämtlichen, virtuell vorhandenen Ideen fände nur eine teilweise Betrachtung, d.h. Vorstellung weniger Ideen statt; das sei eine Abkürzung des ganzen Verfahrens, d.h. des Verfahrens, jede einzelne der sämtlichen virtuell vorhandenen Ideen vorzustellen.

Daß die Abkürzung ohne Gefahr für die Richtigkeit des Denkens geschähe, besagt dann der vierte Satz, welcher nicht etwas Neues hinzubringen, sondern nur das ganze Verfahren noch klarer machen soll.

Ziehen wir außerhalb dieser Stelle noch jene oben erwähnte von HUME BERKELEY untergeschobene Erklärung der Allgemeinbegriffe in betracht und fügen noch folgenden von HUME wenig später gebrachten Satz hinzu:
    "Eine partikulare Idee wird allgemein dadurch, daß sie an einen allgemeinen Ausdruck geknüpft ist, d.h. an einen Ausdruck, welcher infolge einer gewohnheitsmäßigen Verknüpfung eine Beziehung auf viele andere partikularen Ideen hat und dieselben leicht in die Einbildungskraft zurückruft"
- so müssen wir als HUMEs Ansicht annehmen, daß beim allgemeinen Denken bei dem Allgemeinnamen zunächst eine partikulare Idee deutlich vorgestellt wird, darnach herbeigeführt durch den Namen eine oder mehrere andere Ideen.

Eins ist bei dieser Ansicht HUMEs hoch anzuerkennen, daß er bestimmt behauptet, bei einem Allgemeinnamen werde ein Einzelding der Gattung mit allen individuellen Zügen vorgestellt, aber ein Fehler ist es, wenn er die allgemeine Funktion dieser Idee durch Hinzutreten des Namens und anderer Ideen erklärt.

Es ist schon auffallend, daß HUME fast stets so spricht, als ob erst, nachdem der Allgemeinname genannt sei, die partikulare Idee resp. mehrere derselben vorgestellt würden; man sieht nicht recht ein, wie denn das stille Denken vor sich gehen soll, wenn man HUME nicht so auffaßt, daß unmittelbar mit der durch die Assoziationen herbeigeführten ersten partikularen Idee auch der allgemeine Name und diesem folgend dann die weiteren partikularen Ideen auftauchen müssen. Dann erscheint es aber doch wieder wunderbar, warum sich an die erste partikulare Idee gerade der allgemeine und nicht ein spezieller Name knüpft.

Aber abgesehen hiervon können wir auch eine solche Assoziation aller Einzelideen derselben Gattung durch und unter dem Allgemeinnamen und eine Reproduktion infolge desselben unmöglich zugeben.

Freilich weist HUME sehr richtig auf die Benennung mit gemeinsamen Namen infolge der Ähnlichkeit hin. Sicherlich haben viele Gattungsnamen erst dadurch ihre volle Bedeutung gewonnen, daß der Name eines Dinges bald mehreren, endlich allen ähnlichen Dingen beigelegt wurde. Täglich können wir bemerken, daß kleine Kinder zuerst z.B. jeden Mann "Papa", jede Frau "Mama" nennen, und überhaupt oft Dinge, die irgendwelche, ihnen besonders auffallende Eigenschaften gemeinsam haben, mit gleichem Namen belegen. Andere Beispiele dieser Art führt MAX MÜLLER an.

HUME geht jedoch auf das Verhältnis der Ähnlichkeit zu der Benennung und besonders auf den Einfluß dieser Ähnlichkeit, d.h. der Gemeinsamkeit gewisser Eigenschaften bei Wiederholung derselben Wahrnehmungen nicht weiter ein; er sagt einfach, der Name bezeichne alle unter ihm zusammengefaßten Einzeldinge.

Aber man hat doch, weil man nach der Ähnlichkeit benannte und dabei von anderen ungleichen Merkmalen, die aber doch überall vorhanden waren, absah, eigentlich nur die jedesmal gemeinsam vorhandenen Merkmale, auf deren Anwesenheit die Ähnlichkeit beruhte, benannt.

Auch HUME übersah diese Folgerung, wie BERKELEY, weil er darin, daß ein Zeichen mit mehreren Individuen gleichzeitig verknüpft sei, den Grund der allgemeinen Verwendung des Zeichens sah. Aber schon bei BERKELEY ist bemerkt, daß Allgemeinheit auf einer Beziehung unter den Dingen selbst gründet. Eine allgemeine Sitte ist eine Handlungsweise, welche von jedem einzelnen Menschen ausgeübt wird, eine allgemeine, menschliche Eigenschaft ist eine Eigenschaft, welche jeder Mensch besitzt; ein allgemeines Zeichen ist darum allgemein, weil es etwas bezeichnet, das bei jedem Einzelnen vorhanden ist.

So bezeichnet also der allgemeine Name Eigenschaften, welche vielen Dingen gemeinsam sind, nicht jedoch selbst viele Dinge. Es ist daher zum allgemeinen Denken nicht nötig, daß man über den Umfang eines Begrifes etwas in der Vorstellung desselben habe, sondern einzig und allein ist nur die richtige Hervorhebung des Inhalts, d.h. der wesentlichen Merkmale des Begriffes erforderlich. Darum braucht keineswegs der Name, weil er allgemein ist, uns zugleich oder nacheinander mehrere Einzeldinge ins Bewußtsein zu rufen, vielmehr lehrt auch gerade die Erfahrung, daß dies gewöhnlich nicht der Fall ist.

Ich stelle mir, wenn ich vom Hunde im Allgemeinen rede, nicht mehrere Hunde gleichzeitig oder gar nacheinander vor; allerdings vermag ich es, und wenn ich es tue, so geschieht es absichtlich und willkürlich, um die Wesentlichkeit der an dem zuerst vorgestellten Einzelding haftenden Eigenschaften zu bestimmen.

Dieses Mittel befestigt und klärt unsere Begriffe, aber es ist nicht der Begriff selbst.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß durch ein rein äußerliches hinzutreten des Namens und einiger unter ihm assoziierten Vorstellungen eine partikulare Idee nie allgemeine Geltung erhalten kann, sondern daß dies innerhalb der partikularen Idee und zwar durch besonderes Hervortreten der wesentlichen Merkmale geschehen muß. Denn diese bezeichnet ja eben der Allgemeinname, und mit diesen ist derselbe so eng assoziiert, daß ein Hervortreten der wesentlichen Merkmale in der partikularen Vorstellung den Allgemeinnamen und ein Vernehmen des Allgemeinnamens das Hervortreten der wesentlichen Merkmale in der partikularen Vorstellung herbeiführt.

Wenn ich daher den Satz ausspreche: "der Mensch ist ein Tier", so drücke ich damit aus, daß in der Vorstellung oder Wahrnehmung eines Menschen, die ich gerade habe, die dem Tiere wesentlichen, d.h. mit diesem Namen bezeichneten Merkmale als besonders stark hervortretend erkannt werden, nicht aber, daß ich eine Gruppe Menschen und eine Gruppe Tiere und die erstere Gruppe als Teil der letzteren vorstelle.
LITERATUR - Carl Grube, Über den Nominalismus in der neueren englischen und französischen Philosophie, Halle 1889