ra-4Gegenwart und Zukunft der Philosophie in Deutschlandph
 

Zukunft der Philosophie
ALF ROSS

Eine Kritik des Glaubens an die Objektivität der Werte und die wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeit derselben wirklich eine recht eingehende und schwierige philosophische Analyse. Wenn man bei modernen, kritisch eingestellten, wissenschaftlich begabten Fachmännern und Laien häufig ein gesundes und richtiges Verständnis dieses Verhältnisses antrifft - natürlich ohne Kenntnis der subtileren Argumentation - so beruth dieses wohl darauf, daß die "objektiven Werte", wie so viele andere spekulative Erfindungen, eigentlich ihre Wurzel nicht im wissenschaftlichen Denken selber haben, sondern in religiösen und praktischen Bedürfnissen, die außerhalb desselben liegen, weshalb ihre Überwindung weniger in der Weise vor sich geht, daß sie "ad absurdum geführt" werden, als dadurch, daß die Entwicklung sei einfach überspringt, im gleichen Maß, wie sich das wissenschaftliche Interesse von seinen praktisch-emotionellen Parasiten befreit. Streng genommen ist wohl auch niemals APOLLOs Nicht-Existenz jemals bewiesen worden.

Ist eigentlich - so könnte man fragen - ein vernünftiger Grund dafür vorhanden, eine größere Argumentation gegen die "Objektivität der Werte" zu mobilisieren? Bedeutet es in Wirklichkeit nicht vergeblich verschossenes Pulver für eine Aufgabe von gleicher Dimension und Bedeutung, wie die, APOLLOs Nicht-Existenz zu beweisen? Indessen glaube ich, daß das Material, das ich in diesem Buch behandeln werde, selbst Beweis dafür sein wird, daß eine ernstliche Kritik nötig ist. Mit Beschämung muß nämlich eingeräumt werden, daß die Philosopie als Fach auf diesem Punkt bedeutend zurücksteht gegenüber, nicht allein der fachwissenschaftlichen, sondern auch der allgemeinen nicht-fachlichen Intelligenz. Die Zeit scheint vorbei zu sein, wo die Philosophie, wie in BRUNOs Tagen, die kühne Vorkämpferin des kritischen Denkens war; jetzt scheint sie eher als Wächterin der metphysischen Traumschätze angestellt zu sein. Selten erlebt man es, daß die Philosophie die Fachwissenschaft wirklich stützt und führt; eher verhält es sich umgekehrt; die Fachwissenschaft ist an die Spitze marschiert und hat unserer Erkenntnis neue Horizonte eröffnet und die Philosophie ist hinterhergehinkt und hat sich leiten, manchmal mißleiten lassen. (Es scheint in HEGELs Wort, daß MINERVAs Eule ihren Flug erst in der Dämmerung beginnt, ein anderer Sinn als beabsichtigt zu liegen). So hat auch die Wertmetaphysik immer noch ihre beste Stütze in der Philosophie; denn wer ist besser als die "Philosophen" dazu imstande, die Armut der Gedanken hinter einem Schleier von sinnreichen Begriffskonstruktionen zu verstecken? Die "Philosophen" sind wie die Weber in ANDERSENs Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: sie weben und weben und niemand wagt aus Angst, für unbegabt angesehen zu werden, einzuräumen, daß 'nichts auf den Webstühlen ist. Die Menge von logischen, ethischen, rechtsphilosophischen, wertphilosophischen, religionsphilosophischen Werken ist unzählig, in denen der für die praktischen Aspirationen des Menschen so erbauliche Glaube an den objektiven, absoluten und ewigen Charakter der Werte und Ideale verteidigt und metaphysisch begründet wird. Es kann mit größerer oder geringerer, manchmal mit wirklich großer Tüchtigkeit geschehen sein. Aber die Portion gewöhnlicher, kritischer Menschenintelligenz, die in diesen Konstruktionen enthalten ist, ist in allen Fällen geringer als die, die man in einem Roman von ALDOUS HUXLEY oder ROSE MACAULEY finden kann.


Alf Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis, Kopenhagen und Leipzig 1933