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L o g i k I [ 1 / 7 ]
E i n l e i t u n g § 1. Aufgabe der Logik 1. Zu bestimmen, was Denken überhaupt ist, wie es sich von den übrigen geistigen Tätigkeiten unterscheidet, in welchen Beziehungen es zu denselben steht und welche Arten es etwa hat, ist zunächst Sache der Psychologie. Nun können wir uns zwar auf keine allgemein anerkannte Psychologie beziehen; es genügt aber für unsere vorläufige Untersuchung schon die Erinnerung an den Sprachgebrauch. Dieser bezeichnet durch Denken im weitesten Sinne jedenfalls eine Vorstellungstätigkeit, d. h. eine solche, in welcher an sich weder die innere subjektive Erregung liegt, die wir als Gefühl bezeichnen, noch eine unmittelbare Wirkung auf uns selbst oder auf anderes hervorgebracht wird, wie im Wollen und Handeln, deren Bedeutung vielmehr darin aufgeht, daß etwas dem Bewußtsein als Gegenstand gegenwärtig ist. Im Unterschied zur Wahrnehmung und Anschauung aber, welche eine unmittelbare Beziehung auf ein der subjektiven Tätigkeit unabhängig von ihr gegebenes Objekt ausdrücken, bezeichnet Denken eine rein innere Lebendigkeit des Vorstellens, die eben darum als ein spontanes, aus der Kraft des Subjekts allein hervorgehendes Tun erscheint; und ihre Produkte, die Gedanken, unterscheiden sich darum als bloß subjektive ideelle Gebilde von den Objekten, welche Wahrnehmung und Anschauung als real sich gegenüberstellen. In diesem Sinne nennt die Sprache sowohl die Erinnerung - an etwas denken - als die Einbildung - sich etwas denken - ebensogut ein Denken, wie das Nachdenken und Überdenken. Wo sich aber, wie in der Erkenntnis der äußeren Welt, Wahrnehmung und Denken auf dasselbe Objekt beziehen, unterscheiden wir ebenso die spontane Aufsuchung, Verknüpfung und Verarbeitung der der Wahrnehmung unmittelbar gegebenen Elemente als den dem Denken angehörigen Faktor vom unmittelbaren Gegebensein derselben. 2. Verstehen wir zunächst unter Denken alles, was der Sprachgebrauch darunter versteht: so ist sicher, daß mit der Entwicklung des bewußten Lebens Denken notwendig und unwillkürlich entsteht und daß der Einzelne, wenn er anfängt auf sein inneres Tun zu reflektieren, sich immer schon in mannigfaltigem Denken begriffen findet, ohne daß er vom Beginn des Denkens und seinem Hervorwachsen aus einfacheren und früheren Tätigkeiten eine unmittelbare Kenntnis haben könnte. Nur durch eine schwierige psychologische Analyse des immer schon in Bewegung begriffenen Denkens vermögen wir auf seine einzelnen Faktoren und hervorbringenden Kräfte zurückzuschließen und uns eine Vorstellung über die Gesetze seines unbewußten Werdens zu bilden. Die unwillkürliche Gedankenerzeugung geht ferner unser ganzes Leben hindurch fort; es ist schlechterdings unmöglich, im bewußten wachen Zustand die innere Lebendigkeit zu hemmen, welche durch die mannigfaltigsten Anlässe angeregt fortwährend Vorstellungen an Vorstellungen reiht, sie in immer neuen Verbindungen verknüpft und uns so ohne unsere Absicht eine innere Welt von Gedanken gegenwärtig erhält. 3. Allein über diesem unwillkürlichen Denken erhebt sich ein willkürliches Tun, ein Denkenwollen, das von bestimmten Interessen und Zwecken geleitet den zuerst unwillkürlichen Lauf der Gedanken zu regeln und auf bestimmte Ziele zu richten sucht, unter dem unwillkürlich entstehenden auswählend, dieses fallen lassend, jenes durch Aufmerksamkeit festhaltend und entwickelnd, Gedanken suchend und verfolgend. Wir können die Frage, ob es überhaupt eine direkte willkürliche Gedankenerzeugung gebe oder ob wir nur indirekt die Bedingungen herstellen können, unter denen die unwillkürliche Gedankenerzeugung das Gewünschte herbeiführt, auf sich beruhen lassen, da das Resultat im Wesentlichen dassselbe ist: die unter dem Einfluß des Wollens geschehene Entstehung von Gedanken die ein bestimmtes Interesse befriedigen. Dieses Interesse ist aber ein zweifaches. Von einer Seite steht die willkürliche Tätigkeit, die wir unserem Denken zuwenden, unter dem allgemeinen Gesetz, daß das Angenehme gesucht, das Unangenehme gemieden wird. Nun kann uns das Denken in doppeltem Sinn unter den Gesichtspunkte des Angenehmen fallen: einmal sofern jede naturgemäße Tätigkeit ein Gefühl der Befriedigung innerhalb gewisser Schranken ihrer Intensität gibt: dann sofern der mannigfache Inhalt unseres Denkens uns angenehm oder unangenehm berührt. Achten wir allein hierauf: so findet sich in uns eine Neigung, teils überhaupt unser Denken anzuregen und anregen zu lassen, um der Langeweile zu entgehen und uns Unterhaltung zu verschaffen, teils es in der Richtung zu leiten, daß uns das Gedachte angenehm ist. Indem wir bei angenehmen Erinnerungen verweilen und sie zu beleben suchen, indem wir Projekte machen und Luftschlösser bauen, indem wir widerwärtige Erinnerungen zu verscheuchen oder Furcht und Angst zu zerstreuen streben, ist der Einfluß der Willkür auf unser Denken durch diese Motive bestimmt. Die Befriedigung die dabei entsteht, hat einen durchaus individuellen Charakter; das einzelne Subjekt bezieht sich dabei nur auf sich selbst, seine besondere Natur und Lage und darum ist hier die individuelle Verschiedenheit des Denkens dies Regel und niemand kann sie aufheben wollen. 4. Dieses Interesse sich durch Denken unmittelbar angenehm zu affizieren [berührt zu werden - wp] ist aber das untergeordnete; die dem Umfang wie dem Wert nach bedeutendere Masse der menschlichen Denktätigkeit verfolgt ernstere Zwecke. Zunächst nimmt das Bedürfnis und die Not des Lebens das Denken in seinen Dienst und setzt ihm Zwecke, die mit Bewußtsein aufgefaßt und verfolgt werden. Unsere Existenz und unser Wohlsein hängt von bewußtem Handeln, von zweckmäßiger Einwirkung auf die Dinge um uns ab. Dieses Handeln gelingt nicht mit müheloser instinktiver Sicherheit, sondern ist bedingt durch aufmerksame und nachdenkende Beobachtung der Natur der Dinge und ihrer Verhältnisse zu uns und durch mannigfaltige Berechnung und Überlegung in welcher Weise sie als Mittel zur Befriedigung unserer Bedürfnisse dienen können. Das menschliche Denken erreicht seinen Zweck, die Sicherung unseres Wohls, nur dann, wenn es aufgrund der Kenntnis der Dinge die Zukunft richtig vorbildet, das voraussehende Vorstellen also mit dem wirklichen Verlauf übereinstimmt, der durch unsere Eingriffe mitbedingt ist. Nach richtiger Erkenntnis der Dinge und ihres Verhaltens verlangt aber, auch über das praktische Bedürfnis hinaus, der überall lebendige Wissenstrieb; rein um des Erkennens willen soll sich unser Denken anstrengen die Natur der Dinge zu erforschen und in der Gesamtheit unseres subjektiven Wissens ein getreues und vollständiges Bild der objektiven Welt entwerfen. Die Befriedigung des Erkenntnistriebes schließt also jene Ziele des praktischen Denkens mit ein; Erkenntnis des Seienden ist der unmittelbare Zweck, der unser Denken in Bewegung setzt und seine Richtung bestimmt. 5. Allein mit diesem Interesse des Wissenstriebes sind die Zwecke unseres Denkens keineswegs erschöpft. Gleiche Anstrengung muten wir ihm in einer Richtung zu, die nicht unter den Begriff der Erkenntnis des Seienden gebracht werden kann. Wir stehen tatsächlich unter der Herrschaft bestimmter Gesetze, nach denen wir den Wert der menschlichen Handlungen beurteilen und denen wir uns in unserem Wollen und Tun unterwerfen wollen. Es ist für unsere Untersuchung gleichgültig, woher diese Gesetze stammen und was das Motiv ist, daß wir sie als für uns gültig anerkennen; genug, daß wir fortwährend beflissen sind, die Regeln des Anstandes, der Sitte, des Rechts, der Pflicht zu beobachten und in jedem Augenblick aufgefordert sind, und die Frage zu beantworten, was wir tun und wie wir handeln sollen, um mit den für uns geltenden Grundsätzen in Übereinstimmung zu bleiben, unsere Ehre und unser Gewissen rein zu erhalten. Nicht ein reeller Erfolg, der uns die Übereinstimmung unserer Berechnung mit der Natur der Dinge verbürgte, belehrt uns, ob unser Denken seinen Zweck erreicht hat oder nicht; der Erfolg selbst der beabsichtigt wird, besteht in lauter Gedanken; der wirkliche Erfolg sind ebenso die Gedanken die verklagen oder entschuldigen, die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Angemessenheit des einzelnen Handelns an die allgemeine Regel von Seiten anderer und unser selbst. 6. Fassen wir die letztere Sphäre, die den wichtigsten Teil unseres praktischen Denkens sowie unserer Beurteilung der praktischen Verhältnisse ausmacht, ins Auge: so haben wir vor dem Forum unseres eigenen Gewissens kein anderes Merkmal, ob das unser Handeln leitende Denken seinen Zweck erreicht hat oder nicht, als das innere Bewußtsein der Notwendigkeit unseres Denkens, die Gewißheit, daß aus der allgemeinen Regel die bestimmte Handlungsweise unabweislich folgt, die Evidenz, bei der wir uns beruhigen, daß es im gegebenen Fall recht und gut war, so zu handeln, weil die allgemeinen Prinzipien des Rechts und der Sittlichkeit es so forderten. Ebenso haben wir keine äußere Bestätigung, daß wir unseren Zweck erreicht haben, als die Zustimmung anderer, welche von denselben Voraussetzungen aus dieselben Folgerungen für notwendig erklären. Wenn wir von Notwendigkeit unseres Denkens reden: so ist der Sinn derselben zunächst vor einer Verwechslung zu schützen. Psychologisch betrachtet mag man alles was der Einzelne denkt für notwendige, d. h. gesetzmäßig aus den jeweiligen Voraussetzungen erfolgende Tätigkeit ansehen; daß gerade dies und nichts anderes gedacht wird, ist notwendige Folge des Vorstellungskreises, der Gemütsstimmung, des Charakters, der augenblicklichen Anregung, welche das einzelne Individuum erfährt. Allein neben dieser Notwendigkeit der psychologischen Kausalität steht eine andere, die rein im Inhalt und Gegenstand des Denkens selbst wurzelt, die also nicht in den veränderlichen subjektiven individuellen Zuständen, sondern in der Natur der Objekte begründet ist, welche gedacht werden und insofern objektiv heißen mag. Kommt hier unser Denken im Bewußtsein seiner objektiven Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit zur Ruhe, so sind es genau betrachtet dieselben Merkmale, welche den Zweck unseres Denkens ausdrücken, wo es der Erkenntnis des Seienden dienen will. Auch hier können wir mit Sicherheit das Ziel, dem unser absichtliches Denken zustrebt, nicht anders bestimmen als so, daß unser Denken darauf ausgehen im Bewußtsein seiner Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit zu beruhen. Eine psychologische Notwendigkeit treibt allerdings den unbefangenen Menschen dazu, seine Empfindungen und die darauf sich beziehenden Gedanken zu objektivieren und sich eine Welt vorzustellen, der er ein von seinen subjektiven Tätigkeiten unabhängiges Dasein zuschreibt; und indem sein Erkenntnistrieb sich regt, setzt er sich ohne weiteres den Zweck, diese objektive Welt zu erkennen, seine Gedanken so zu bilden, daß sie mit dem Seienden übereinstimmen. Allein ob dieser Zweck erreichbar sei, ist streitig; die kritische Behauptung, daß alle unsere Erkenntnis zunächst und unmittelbar nur für uns etwas sei, in einem System von Vorstellungen bestehe, in unwiderlegbar; daß diesem Vorgestellten ein mit ihm übereinstimmendes Sein entspreche, ist entweder bloß ein blinder Glaube; oder, wenn es eine Gewißheit darüber geben kann, die den Zweifel aufhebt, so beruth sie auf einer Widerlegung des Zweifels, auf dem Nachweis, daß er unmöglich ist, also einerseits darauf, daß uns die Annahme eines Seienden in keine Widersprüche verwickelt, die wir nicht denken könnten, andererseits darauf, daß die Beschaffenheit unserer Vorstellungen uns zwingt, ein solches Sein anzunehmen; beides geht also auf eine Notwendigkeit in unserem Denken zurück. Es kann zu den sichersten Ergebnissen der Analyse unserer Erkenntnis gerechnet werden, daß jede Annahme einer außer uns existierenden Welt, eine durch Denken vermittelte, aus den subjektiven Tatsachen der Empfindung durch unbewußte Denkprozesse erst irgendwie abgeleitete ist; es gibt also außerhalb des Denkens kein Mittel sich zu vergewissern, ob wir den Zweck das Seiende zu erkennen, wirklich erreicht haben; die Möglichkeit, unsere Erkenntnis mit den Dingen zu vergleichen wie sie abgesehen von unserer Erkenntnis existieren, ist uns für alle Ewigkeit verschlossen; wir müssen uns schlechterdings auch im besten Falle mit der widerspruchslosen Übereinstimmung der Gedanken begnügen, die ein Seiendes voraussetzen, wie wir auf dem Gebiet unseres äußeren Handelns uns vollständig damit begnügen, daß unsere Vorstellungen und unsere Bewegungen nebst ihren Erfolgen unter sich und ebenso mit den Vorstellungen anderer durchaus übereinstimmen. Gibt es also ein erkennbares Sein: so ist eine Erkenntnis desselben nur dadurch möglich, daß eine gesetzmäßige Beziehung zwischen dem Sein und unserem subjektiven Tun besteht, vermöge der dasjenige was wir aufgrund des in unserem Bewußtsein Gegebenen notwendig denken müssen, auch dem Seienden entspricht und die Gewißheit unserer Erkenntnis ruht überall auf der Einsicht in die Notwendigkeit unserer Denkprozesse. Ferner: Gibt es ein erkennbares Sein außer uns: so ist es dasselbe für alle denkenden und erkennenden Subjekte und jeder, der das Seiende erkennt, muß in Beziehung auf denselben Gegenstand dasselbe denken, ein Denken also, welches das Seiende erkennen soll, ist notwendig ein allgemeingültiges Denken. Leugnet man dagegen die Möglichkeit etwas zu erkennen wie es an sich ist, ist das Seiende nur einer der Gedanken, die wir produzieren: so gilt doch das, daß wir eben denjenigen Vorstellungen die Objektivität beilegen, die wir mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit produzieren und daß, sobald wir etwas als seiend setzen, wir eben damit behaupten, daß alle anderen, wenn auch nur hypothetisch angenommenen, denkenden Wesen von derselben Natur wie wir es mit derselben Notwendigkeit produzieren müßten. Wir können also ohne weiteres behaupten: Wenn wir nichts als notwendiges und allgemeingültiges Denken produzieren, so ist die Erkenntnis des Seienden mit darunter begriffen; und wenn wir mit dem Zweck der Erkenntnis denken, so wollen wir unmittelbar nur notwendiges und allgemeingültiges Denken vollziehen. Dieser Begriff ist auch derjenige, der das Wesen der "Wahrheit" erschöpft. Wenn wir von mathematischen, tatsächlichen, sittlichen Wahrheiten sprechen: so ist der gemeinsame Charakter dessen, was wir wahr nennen, daß es ein notwendig und allgemeingültig Gedachtes sei. 7. Indem wir die Aufgabe, welche das von der Logik zu betrachtende Denken sich setzt, so fassen, weichen wir einmal den Schwierigkeiten aus, welche jede Logik drücken, die sich als Erkenntnislehre ankündigt, daß sie nämlich erst nachweisen muß, ob und inwiefern überhaupt Erkenntnis möglich sei und damit nicht nur auf das bestrittene Gebiet der Metaphysik übergeht, sondern, indem sie beweist und widerlegt, bereits eine Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit des Denkens voraussetzt, aus der erst die Überzeugung von der Objektivität des Denkens hervorgehen soll; ebenso aber entgehen wir der Einseitigkeit, in welche die erkenntnistheoretische Logik in der Regel verfällt, daß sie nämlich nur dasjenige Denken berücksichtigt, welches der Erkenntnis des rein Theoretischen dient, das andere aber vergißt, welches unser Handeln leiten soll. Und soch sind die geistigen Tätigkeiten in beiden Fällen ganz dieselben ihrem Wesen nach und die Zwecke fallen unter denselben Gesichtspunkt. 8. Fassen wir nun alles dasjenige Denken zusammen, welche den gemeinsamen Zweck verfolgt, seiner Notwendigkeit gewiß und allgemeingültig zu werden: so läßt sich auch seine psychologische Abgrenzung vervollständigen. Alles Denken, das unter diesen Gesichtspunkt fällt, vollendet sich in Urteilen, die als Sätze innerlich oder äußerlich ausgesprochen werden. In Urteilen endigt jede praktische Überlegung über Zwecke und Mittel, aus Urteilen besteht jede Erkenntnis, in Urteilen schließt sich jede Überzeugung ab. Alle anderen Funktionen kommen nur als Bedingungen und Vorbereitungen des Urteils in Betracht, als Bedingungen und Vorbereitungen des Urteils. Das Urteil kann ferner nur insofern Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung sein, als es sich im Satz ausspricht; nur mittels des Satzes kann es gemeinsames Objekt der Betrachtung sein und nur als Satz kann es allgemeingültig werden wollen. 9. Nun lehren die Tatsachen des Irrtums und des ites, daß unser wirkliches Denken in Urteilen die es erzeugt seinen Zweck häufig verfehlt; daß diese Urteile teils von den einzelnen Denkenden selbst wieder aufgehoben werden, indem die Überzeugung eintritt, daß sie ungültig sind, d. h. daß notwendig anders geurteilt werden muß, teils daß die Urteile von anderen Denkenden nicht anerkannt werden, indem diese ihre Notwendigkeit bestreiten, sie für bloße Meinung und Vermutung erklären oder ihre Möglichkeit leugnen, sofern über denselben Gegenstand notwendig anders geurteilt werden müsse. Darin, daß das wirklich entstehende Denken seinen Zweck verfehlen kann und wirklich verfehlt, liegt das Bedürfnis einer Disziplin, welche den Irrtum und den Streit vermeiden und das Denken so vollziehen lehrt, daß die daraus hervorgehenden Urteile wahr, d. h. notwendig und gewiß, d. h. vom Bewußtsein ihrer Notwendigkeit begleitet und ebendarum allgemeingültig seien. Die Beziehung auf diesen Zweck scheidet die logische Betrachtung des Denkens von der psychologischen. Dieser ist es um die Erkenntnis des wirklichen Denkens zu tun und sie sucht demgemäß die Gesetze, nach denen ein bestimmter Gedanke unter bestimmten Bedingungen gerade so und nicht anders eintritt, sie setzt sich zur Aufgabe, jedes wirkliche Denken aus den allgemeinen Gesetzen der geistigen Tätigkeit und den jeweiligen Voraussetzungen des individuellen Falles zu begreifen - in gleicher Weise also das irrtümliche und streitige, wie das wahre und allgemein anerkannte Denken. Der Gegensatz von wahr und falsch hat ebensowenig eine Stelle in ihr, wie der Gegensatz von gut und böse im menschlichen Handeln ein psychologischer ist. Die logische Betrachtung dagegen setzt das Wahrdenkenwollen voraus und hat nur für diejenigen einen Sinn, welche sich dieses Wollens bewußt sind und nur für dasjenige Gebiet des Denkens, welches von demselben beherrscht wird. Indem sie, von diesem Zweck ausgehend, die Bedingungen untersucht unter denen er erreicht wird, will sie einerseits die Kriterien des wahren Denkens aufstellen, die aus der Forderung der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit fließen, andererseits die Anweisung geben, die Denkoperationen so einzurichten, daß der Zweck erreicht wird. So ist die Logik nach einer Seite eine kritische Disziplin gegenüber dem schon vollzogenen Denken, auf der anderen Seite eine Kunstlehre. Da aber die Kritik nur einen Wert hat, sofern sie ein Mittel ist, den Zweck zu erreichen: so ist ihre Bedeutung als Kunstlehre die oberste und diejenige, die ihr eigentliches Wesen ausmacht. Grenzen der Aufgabe Die Logik als Kunstlehre des Denkes kann nicht unternehmen Anweisung zu geben, wie von einem gegebenen Zeitpunkt an lauter absolut wahres Denken erzeugt werden soll. Sie muß sich darauf beschränken zu zeigen, teils welche allgemeinen Forderungen vermöge der Natur unseres Denkens jeder Satz erfüllen muß, damit er notwendig und allgemeingültig sein könne, teils unter welchen Bedingungen und nach welchen Regeln von gegebenen Voraussetzungen aus auf notwendige und allgemeingültige Weise fortgeschritten werden kann, indem sie darauf verzichtet über die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit der jeweiligen Voraussetzungen zu entscheiden. Die Befolgung ihrer Regeln verbürgt demnach nicht notwendig materiale Wahrheit der Resultate, sondern nur die formale Richtigkeit des Verfahrens. In diesem Sinne ist unsere Kunstlehre notwendig formale Logik. 1. Wenn für irgendeine menschliche Tätigkeit eine Kunstlehre aufgestellt wird, welche den Anspruch macht, den Erfolg der Tätigkeit zu sichern, für welche sie Regeln gibt: so wird dabei vorausgesetzt, daß diese Tätigkeit eine vollkommen freie und willkürliche sei; und darin liegt einmal, daß ich die Bedingungen meiner Tätigkeit jederzeit in meiner Gewalt habe sobald ich nur will und dann, daß das Bewußtsein des Zweckes und der für seine Erreichung gültigen Regeln genügt, um jede einzelne Operation diesen Regeln gemäß zweckmäßig zu vollziehen. Sollte also der Zweck notwendiges und allgemeingültiges Denken zu erzeugen und mittels desselben die Wahrheit zu erkennen und mit Hilfe einer Kunstlehre gesichert werden: so wäre vorausgesetzt, daß wir alle Bedingungen für dasselbe in unserer Gewalt hätten und daß wir von einem bestimmten Zeitpunkt an vollkommen frei unser Denken beherrschen könnten, um es den Regeln gemäß zu vollziehen. In diesem Sinne hat CARTESIUS seine Methode entworfen; sie sollte bewirken, daß mit einemmale aller Möglichkeit eines Irrtums ein Ende gemacht, aller Zweifel ausgeschlossen und eine Reihe von Gedanken hergestellt werde, die, von einem notwendig wahren und gewissen Satz ausgehend, in untrüglicher Weise fortschreitend, lauter absolut wahre Sätze enthielt. Seine Voraussetzung war, daß, wenn auch nicht das Haben von Vorstellungen, so doch das Urteilen ein vollkommen freier und willkürlicher Akt sei,sofern wir uns der Zustimmung zu jedem Satz enthalten können, den wir nicht mit voller Überzeugung als wahr und gewiß erkennen; daß es darum möglich sei, durch einen radikalen Zweifel sich aller und jeder Voraussetzungen zu entschlagen, welche die Gefahr eines Irrtums in sich schließen und die Tätigkeit des Denkens vollkommen von neuem zu beginnen: und ebenso nahm er an, daß die Hauptbedingungen dieser Tätigkeit, Begriffe und Grundsätze, uns angeboren, also von nichts als unserem Selbstbewußtsein abhängig seien. Wäre nun die letzte Annahme auch ebenos sicher, als sie bestritten ist, so würde höchstens auf dem Gebiet des apriorischen Wissens die Methode rein anwendbar sein; und nur für diejenigen, welche den Entschluß fassen und ausführen könnten, sich aller Voraussetzungen zu entschlagen. Es ist aber schlechterdings unmöglich, die Kontinuität zwischen dem früheren und dem jetzigen Denken willkürlich abzubrechen und ganz ab ovo [vom Ei weg - wp] zu beginnen; wie das willkürliche Denken im unwillkürlichen Erzeugen von Gedanken wurzelt und aus ihm fortwährend Nahrung zieht, so hätten wir ohne den Vorrat immer schon vorhandener Gedanken und die Sprache, welche denselben repräsentiert, gar nicht die Mittel von der Stelle zu kommen; und das eigene Beispiel des CARTESIUS zeigt, daß dem besten Vorsatz zum Trotz eine Menge von früheren Elementen in die neu begonnene Reihe eindringt. Ebensowenig ist es richtig, daß wir uns willkürlich jedes Urteils enthalten können, wenn es auch nicht in unserer Wahl stehe, die Vorstellungen auf die es sich bezieht zu haben oder nicht zu haben. Denn teils sind die Voraussetzungen, die wir mitbringen, Urteile, welche andere Urteile unausweichlich nach sich ziehen; teils sind mit der Natur der Vorstellungen, die wir haben, schon die Urteile über ihre Verhältnisse bestimmt und es ist nicht von unserer Willkür abhängig, ob wir bejahen oder verneinen wollen. Es kann also schlechterdings keine Methode geben das Denken von vorne anzufangen, sondern immer nur eine Methode, es von schon vorhandenen Voraussetzungen aus fortzusetzen, die, selbst wenn sie als ungewiß anerkannt würden, doch den Ausgangspunkt unseres ferneren Denkens abgeben müßten. 2. Die Notwendigkeit einer Einschränkung der Logik auf Regelung des Fortschritts im Denken gilt insbesondere in Bezug auf dasjenige Denken, welches die empirische Erkenntnis der Welt anstrebt. Die Voraussetzungen dieser Erkenntnis sind richtige Wahrnehmungen und ihr zweckmäßiger Vollzug hängt nicht allein von dem dieselben begleitenden Denken, sondern ebenso von den Bedingungen der sinnlichen Empfindung und dem Verhältnis unserer Sinne zu den Objekten ab. Die Kunst richtiger Beobachtung ist nur zum Teil mit der Kunst richtig zu denken gegeben, zum Teil beruth sie auf der Schärfe und Übung der Sinnesorgane, auf mechanischer Geschicklichkeit, auf der Kunst, das Objekt und unsere Sinnesorgane in die günstigsten Verhältnisse zu bringen und die Beobachtungsfehler zu eliminieren; sie muß sich in ihren verschiedenen Hilfsmitteln nach der mannigfaltigen Natur der Gegenstände richten, von denen jede Klasse ihre besondere Technik verlangt. Wollten wir auf dem Gebiet der empirischen Erkenntnis unser Denken und Urteilen suspendieren [zurückhalten - wp], bis wir von absolut gewissen und notwendigen Voraussetzungen ausgehen könnten: so wäre eine empirische Wissenschaft gar nicht möglich und es bliebe gar nichts übrig, als mit der Gültigkeit und Genauigkeit unserer Wahrnehmungen nicht bloß die Realität der sinnlichen Welt überhaupt, sondern auch die Möglichkeit allgemeingültiger Gesetze der Phänomene in suspenso zu lassen. Die Geschichte der Entwicklung unseres Wissens zeigt ferner, daß häufig nur auf dem Umweg eines Ausgangs von irrtümlichen und ungewissen Voraussetzungen aus die Wahrheit gefunden worden ist; und der Gang der wissenschaftlichen Forschung bringt es fortwährend mit sich, daß Streit durch Verfolgung falscher Sätze in ihre Konsequenzen geschlichtet wird. Jeder apagogische Beweis [aus der Falschheit des Gegensatzes gefolgert - wp] ist ein Beispiel dieses Verfahrens. Ein weites Gebiet unseres Allgemeingültigkeit anstrebenden Denkens ist endlich an Voraussetzungen gebunden, die ihre Gültigkeit von einem Wollen ableiten und in diesem Sinn rein positiv sind. Es hieße die ganze praktische Jurisprudenz von der logischen Betrachtung ausschließen, wenn an der Forderung festgehalten würde, daß die Logik die materiale Wahrheit aller Sätze begründen müsse. 3. Was also eine Kunstlehre des zweckmäßigen Denkens allein ausführen und sich also auch allein vorsetzen kann, ist die Anleitung, von gegebenen Voraussetzungen im Denken so fortzuschreiten, daß jeder fernere Schritt mit dem Bewußtsein der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit verbunden sei. Sie lehrt nicht was zu denken sei, sonst müßte sie der Inbegriff aller Wissenschaft sein, sie lehrt nur, daß wenn etwas so gedacht wird, ein andere so gedacht werden muß; mag nun das Gegebene, der Vorrat von irgendwie entstandenen Vorstellungen, einzelnen Beobachtungen, allgemeinen Sätzen, im übrigen beschaffen sein, wie er will. Es versteht sich dabei, daß wir unter "Fortschreiten" ein Vorwärtsgehen in jeder Richtung, vom Grund zu den Folgen wie von der Folge zum Grund, vom Allgemeinen zum Besonderen, wie umgekehrt begreifen, so daß sich die Kunstlehre auf alle Probleme muß anwenden lassen, die überhaupt unserem Denken gestellt sind. 4. In diesem Sinne, daß wir um der Allgemeinheit und praktischen Ausführbarkeit unserer Aufgabe willen nicht darauf ausgehen können, ein von vorn anfangendes Denken zu fingieren, verstehen wir es, daß die Logik eine formale Wissenschaft sei; in dem Sinne, daß wir die Gültigkeit der Voraussetzungen, von denen das Denken ausgeht, nicht mit aufzunehmen haben in die logischen Untersuchungen, sondern nur die Korrektheit des Fortschritts von den gegebenen Voraussetzungen. Nicht aber wollen wir die Logik in diesem Sinne für formal erklären, daß sie von der allgemeinen Beschaffenheit dieser Voraussetzungen ganz abgesehen und sie ignorieren könnte; gerade deswegen nicht, weil wir kein rein aus sich selbst im einzelnen Individuum anfangendes Denken, sondern nur ein Denken unter den allgemeinen Verhältnisse und Bedingungen und mit den allgemeinen Zwecken des menschlichen Denkens kennen. Es kann also weder von der bestimmten Art, wie unser Denken von der Sinnesempfindung Stoff erhält, noch von seiner historischen Bedingtheit durch die menschliche Gesellschaft abgesehen werden; sondern es wird nur abgesehen von der besonderen Beschaffenheit des jeweiligen Ausgangspunktes einer Reihe von Denkprozessen. Postulat der Logik Die Möglichkeit, die Kriterien und Regeln des notwendigen und allgemeingültigen Fortschritts im Denken aufzustellen, beruth auf der Fähigkeit, objektiv notwendiges Denken von nicht notwendigem zu unterscheiden, und diese Fähigkeit manifestiert sich im unmittelbaren Bewußtsein der Evidenz, welches notwendiges Denken begleitet. Die Erfahrung dieses Bewußtseins und der Glaube an seine Zuverlässigkeit ist ein Postulat über welches nicht zurückgegangen werden kann. 1. Wenn wir uns fragen, ob und wie es möglich sei, die Aufgabe in dem Sinn, indem wir sie gestellt haben, zu lösen: so konzentriert sich diese Frage in der Schwierigkeit ein sicheres Kennzeichen anzugeben, an welchem sich notwendiges unn allgemeingültiges Urteilen unterscheiden lasse von individuell differentem und damit, im obigen Sinne, den Zweck verfehlenden. Und hier gibt es zuletzt keine andere Antwort, als die Berufung auf die subjektiv erfahrene Notwendigkeit, auf das innere Gefühl der Evidenz, das einen Teil unseres Denkens begleitet, auf das Bewußtsein, daß wir von gegebenen Voraussetzungen aus nicht anders denken können, als wir denken. Der Glaube an das Recht dieses Gefühls und seine Zuverlässigkeit ist der letzte Ankergrund aller Gewißheit überhaupt; wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen. 2. Die Sicherheit der Allgemeingültigkeit unseres Denkens beruth in letzter Instanz auf dem Bewußtsein der Notwendigkeit und nicht umgekehrt; indem wir eine allen gemeinsame Zukunft voraussetzen, sind wir überzeugt, daß, was wir mit dem Bewußtsein unausweichlicher Notwendigkeit denken, auch von anderen so gedacht werde; und die empirische Bestätigung durch die faktische Übereinstimmung aller vermag wohl unsere Voraussetzung zu erhärten, daß andere unter demselben sie bindenden Gesetz stehen, aber das unmittelbare Gefühl der Notwendigkeit weder zu ersetzen, noch zu erzeugen. Die Übereinstimmung der Erfahrung mit unserer Berechnung aber und die Gewohnheit auf welche sich die Empiristen berufen, affiziert [berührt - wp] wiederum nur die Gültigkeit unserer Voraussetzungen von denen wir ausgehen, vermag aber den spezifischen Charakter der Denknotwendigkeit weder hervorzubringen, noch zu alterieren [verändern - wp]. So daß wir hier vor dem fundamentalen Faktum stehen, auf dem jedes logische Gebäude erbaut sein muß; und keine Logik kann anders verfahren, als daß sie sich der Bedingungen bewußt wird, unter denen dieses subjektive Gefühl von Notwendigkeit eintritt und dieselben auf ihren allgemeinen Ausdruck bringt. Will man sagen, dann sei die Logik eine empirische Wissenschaft, so ist das in demselben Sinne richtig, in welchem auch die Mathematik eine empirische Wissenschaft ist; auch sie geht von inneren Tatsachen aus und der Notwendigkeit, die ihnen anhaftet. Was aber beide von der bloß empirischen Wissenschaft unterscheidet, ist eben, daß sie in ihren Tatsachen jene Notwendigkeit finden, welche der zufälligen Erfahrung mangelt und diese zu Basis der Gewißheit ihrer Sätze machen. Einteilung der Logik Mit der gestellten Aufgabe ist der Gang der Untersuchung gegeben. Zuerst ist das Wesen der Funktion zu betrachten, für welche die Regeln gesucht werden sollen; sodann sind die Bedingungen und Gesetze ihres normalen Vollzugs aufzustellen; endlich die Regeln des Verfahrens zu suchen, durch welches vom unvollkommenen Zustand des natürlichen Denkens aus aufgrund der gegebenen Voraussetzungen und Hilfsmittel der vollkommene erreicht werden kann. Somit zerfällt unsere Untersuchung in einen analytischen, einen gesetzgebenden und einen technischen Teil. 1. Wenn oben festgestellt worden ist, daß diejenige Tätigkeit in welcher unser absichtliches Denken seinen Zweck erreicht, das Urteilen ist: so ist notwendig der erste Schritt, daß die Funktion, um deren richtigen Vollzug es sich handelt, in ihrer Natur richtig verstanden und die in derselben liegenden Voraussetzungen erkannt werden. Umso mehr, da dieselbe Form des Urteils dem zweckmäßigen, allgemeingültigen und dem seinen Zweck verfehlenden Denken gemeinschaftlich ist. Wahrheit und Irrtum, Gewißheit und Zweifel, Übereinstimmung und Streit treten nur insoweit hervor, als das Denken die Gestalt von Urteilen angenommen hat und sich in ihnen abschließt. Es ist also dieselbe Funktion, die hier richtig und dort falsch vollzogen wird; und es lassen sich erst dann Regeln geben sie richtig zu vollziehen, wenn erkannt ist, worin sie besteht. Diese Erkenntnis ist nur durch eine Analyse unseres wirklichen Urteilens, durch Besinnung auf das zu gewinnen, was wir tun, wenn wir urteilen, welche anderen Funktionen etwa dem Urteilen vorausgesetzt sind, auf welche Weise sich aus ihnen das Urteilen bildet und welche allgemeinen Prinzipien diesen Bildungsprozeß von Natur beherrschen. Es muß dabei vorausgesetzt werden, daß vorläufig bekannt sei, welche Denkakte unter die Bezeichnung des Urteils fallen; und es genügt zunächst, sich an die Sprache zu halten und als Objekt der Untersuchung alle diejenigen Sätze auszusondern, die eine Aussage enthalten, welche den Anspruch macht, wahr zu sein und von anderen als gültig anerkannt und geglaubt zu werden, über deren Wahrheit oder Falschheit also eine Entscheidung getroffen werden kann oder soll. Damit fallen von den Sätzen, welche die Grammatik aufführt, alle diejenigen weg, die, wie Imperative [Befehle - wp] oder Optative [Möglichkeiten - wp], ein individuelles und unübertragbares Moment enthalten und ebenso alle, die zwar auf eine Behauptung hinweisen, aber dieselbe nicht als wahr aufstellen, wie die Fragesätze oder diejenigen, welche nur eine Vermutung oder eine subjektive Ansicht ausdrücken. Alle wirkliche Aussage- oder Behauptungssätze aber sind Gegenstand unserer Untersuchung, mögen sie betreffen, was sie wollen. Wir schließen uns damit der Auffassung des ARISTOTELES an und verwerfen die Unterscheidung eines sogenannten logischen Urteils von anderen Behauptungen, wonach nur etwa die Subsumtion eines Einzelnen unter sein Allgemeines in der Logik zu betrachten wäre, bloße Mitteilungen von Tatsachen aber außerhalb derselben fielen. Denn auch diese Sätze wollen wahr sein und machen Anspruch, geglaubt zu werden, auch in Beziehung auf sie findet Irrtum und Streit statt und darum fordern sie ebensogut wie die Subsumtionsurteile auf, die Bedingungen ihrer Gültigkeit zu untersuchen. (1) Nur wo die scholastische Ansicht vom Wesen der Wissenschaft herrschte, daß nur die Definition wissenschaftlichen Wert habe, könnte man die Logik auf Subsumtionsurteile beschränken wollen; wo aber das Bewußtsein lebendig ist, daß für einen großen Teil unseres Wissens einzelne Tatsachen die Basis und der Prüfstein sind, gehören auch die Urteile, welche Tatsachen aussprechen, unter die logische Betrachtung. Es liegt ferner in der Anlage unserer Untersuchung, daß wir die Analyse des Urteils da aufnehmen, wo es sich ohne Reflexion kunstlos im natürlichen Verlauf des Denkens bildet. 2. Ist die Untersuchung dessen, was im Urteilen geschieht, beendet, so läßt sich dann erst fragen, welches die Anfordernungen sind, welche an ein vollkommenes, dem Zweck nach allen Seiten entsprechendes Urteilen gestellt werden müssen und damit ein Ideal aufstellen, mit dem unser Denken übereinstimmen soll. Indem wir nämlich von der Forderung ausgehen, daß unser Denken notwendig und allgemeingültig sei und diese Forderung an die nach allen ihren Bedingungen und Faktoren erkannte Funktion des Urteils halten, ergeben sich daraus bestimmte Normen, welchen das Urteilen genügen muß und ebendamit bestimmte Kriterien zur Unterscheidung des vollkommenen und unvollkommenen Urteilens. Diese Normen konzentrieren sich, soweit die logische Betrachtung in unserem Sinne sie verfolgen kann, in zwei Punkten: erstens, daß die Elemente des Urteils durchgängig bestimmt, d. h. begrifflich fixiert sind; und zweites, daß der Urteilsakt selbst auf notwendige Weise aus seinen Voraussetzungen hervorgehe. Damit fällt in diesen Teil die Lehre von den Begriffen und Schlüssen als Inbegriff normativer Gesetze für die Bildung vollkommener Urteile. 3. Da nun aber mit der Erkenntnis, wie beschaffen ein ideal vollkommenes Denken sein muß, nicht von selbst auch schon die Möglichkeit gegeben ist, diesen idealen Zustand wirklich zu erreichen, noch die Kenntnis des Weges der zum Ziel führt: so bedarf es der Besinnung darüber, wie aus dem uns gegebenen Zustand heraus, mit den Mitteln, die uns von Natur zu Geboten stehen und unter den Bedingungen, unter denen unser menschliches Denken steht, die logische Vollkommenheit erreichbar sei; es handelt sich also um die Methoden, zu richtigen Begriffen und brauchbaren Voraussetzungen von Urteilen und Schlüssen zu gelangen. Das ist das Gebiet der Kunstlehre im engeren Sinn, die eigentlich technische Anweisung, zu welcher die beiden vorangehenden Teile die notwendigen Vorbereitungen sind. In ihm hat als wichtigster Teil die Theorie der Induktion ihre Stelle, als die Lehre von der Methode, aus einzelnen Wahrnehmungen Begriffe und allgemeine Sätze zu gewinnen. 4. Durch diese Fassung der Aufgabe und Anordnung der Untersuchung glauben wir, die verschiedenen Gesichtspunkte zu vereinigen, welche in der Bearbeitung der Logik herausgetreten sind und jedem sein Recht widerfahren zu lassen. Denn wenn man einerseits der Logik zuwiese, die Naturformen und Naturgesetze des Denkens aufzustellen, denen es notwendig folge, so erkennen wir die Notwendigkeit an, solche Naturgesetze, unter denen alles Urteilen überhaupt steht, aufzustellen und die Prinzipien zu finden, unter denen es als bewußte Funktion von dieser bestimmten Art notwendig stehen muß; aber wir leugnen, daß damit die Aufgabe der Logik erfüllt sei, weil diese nicht eine Physik, sondern eine Ethik des Denkens ein will; wenn man sie andererseits als Lehre von den Normen des menschlichen Denkens oder Erkennens definiert hat, so erkennen wir an, daß ihr dieser normative Charakter wesentlich ist; aber wir leugnen, daß diese Normen erkannt werden können, anders, als auf Grundlage des Studiums der natürlichen Kräfte und Funktionsformen, welche durch jene Normen geregelt werden sollen und wir leugnen ebenso, daß ein bloßer Kodex von Normalgesetzen für sich schon fruchtbar sei und dem Zweck genüge, um dessentwillen es überhaupt eine Logik aufzustellen lohnt, zu erreichen. Vielmehr halten wir es für nötig, dasjenige, was meist nur anhangweise abgehandelt wird, zum eigentlichen, letzten und Hauptziel unserer Wissenschaft zu machen, nämlich die Methodenlehre. Indem diese zu ihrem Hauptgegenstand das Werden der Wissenschaft aus den natürlich gegebenen Voraussetzungen des Wissens haben muß, hoffen wir auch denjenigen gerecht zu werden, welche, um der Leerheit und Abstraktheit der formalen Schullogik zu entgehen, ihr die Aufgabe der Erkenntnistheorie zuweisen, nur daß wir allerdings alle Fragen über die metaphysische Bedeutung der Denkprozesse ausschließen und uns rein innerhalb des vorgeschriebenen Rahmens halten innerhalb dessen wir das Denken als subjektive Funktion betrachten und die Anforderungen an dasselbe nicht auf eine Erkenntnis des Seienden ausdehnen, sondern auf das Gebiet der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit beschränken, in welchen Charakteren der Sprachgebrauch immer und überall das unterscheidende Wesen des Logischen sieht.
1) Gegen ULRICI, Compendium der Logik, 2. Auflage, § 72, Seiten 266 und 267. HEGEL, der das Urteil als das Bestimmen des Begriffs durch sich selbst bezeichnet, sagt schon (Logik, Werke IV, Seite 69): "Ein Satz hat zwar im grammatischen Sinn Subjekt und Prädikat, ist aber darum noch kein Urteil. Zu letzterem gehört, daß das Prädikat sich zum Subjekt nach dem Verhältnis von Begriffsbestimmungen, alsos als ein Allgemeines zu einem Besonderen oder Einzelnen verhalte. ARISTOTELES ist im 73. Jahr seines Alters, im 4. Jahr der 115 Olympiade gestorben, ist ein bloßer Satz, kein Urteil." Er fügt aber bezeichnenderweise hinzu: "Es wäre von letzterem nur dann etwas darin, wenn einer der Umstände, die Zeit des Todes oder das Alter jenes Philosophen in Zweifel gestellt gewesen, aus irgendeinem Grund aber die angegebenen Zahlen behauptet würden ... So ist die Nachricht: mein Freund N. ist gestorben, ein Satz; und wäre nur dann ein Urteil, wenn die Frage wäre, ob er wirklich tot oder nur scheintot wäre." Somit ist auch nach HEGEL jeder Satz doch ein Urteil, sofern man nach seiner Wahrheit fragen und Gründe dafür verlangen kann. |