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HEINRICH LANZ
Das Problem der Gegenständlichkeit
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"Diese monistische Lehre Kants vom Gegenstand als reinem Begriff und vom Ich als Grund jeder Objektivität, bildet bekanntlich einen Wendepunkt in der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie bekommt eine ganz neue Richtung. Diejenige Rolle, welche früher die objektive Substanz spielte, übernimmt jetzt das Bewußtsein, als höchste Bestimmung des Seins."

"Der Gedanke, welcher die Grundwahrheit und Grundvoraussetzung der ganzen vorkritischen Philosophie bildet, ist der, daß das Bewußtsein eine geistige Substanz sei, - unräumlich, unkörperlich und immateriell."

"Indem Kant dem Bewußtsein seine substanziell-geistige Färbung entnommen und es in die Einheit der reinen Geltung verwandelt hatte, bahnte er dadurch für die Gegenstandstheorie den richtigen Weg und legte den Grund für den wahrhaft wissenschaftlichen erkenntnistheoretischen Monismus."

"Das, was außerhalb des Bewußtseins liegt, ist nicht objektiv, weil die Objektivität eine ausschließliche Prärogative des Bewußtseins ist."

I. Kapitel
Kants Lehre von der Objektivität

Die Theorie des Gegenstandes in ihrer transzendentalen Beleuchtung erscheint seit KANT als Zentralpunkt der philosophischen Untersuchungen. Was ist die Natur und das Wesen des Gegenstandes, wo liegt der Grund seiner Objektivität, was ist diese Objektivität selbst, in welchem Verhältnisse zum Subjekt steht sie und endlich, was ist das, was wir Subjekt nennen? - Das sind die Grundfragen der transzendentalen Gegenstandstheorie. Mit einem Worte, das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt ist das Grundproblem des Kritizismus. Welcher Natur soll die Objektivität sein, damit ihre Erkenntnis möglich und begreiflich ist? - Solche Form hat die Fragestellung bei KANT.

Die vorkantische Philosophie antwortete auf diese Frage (wenn sie überhaupt mehr oder weniger tief sie zu berühren versuchte) entweder im Geiste der Intentionaltheorie, indem sie das Subjekt und Objekt als zwei selbständige kosmische Potenzen, welche durch das Gesetz des Parallelismus oder der prästabilisierten Harmonie miteinander verbunden und koordiniert seien, betrachtete; oder sie identifizierte im Geiste des alt-deutschen Mystizismus die Dinge mit dem Subjekt und das Subjekt mit dem Geiste; löste dadurch die ganze Objektivität auf und vernichtete sie in einem Akt der mystischen Anschauung. Das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt war immer als ein Verhältnis zwischen dem Geiste und den  Dingen,  zwischen einer denkenden und einer ausgedehnten Substanz (res extensa et res cogitans) gedacht. In dieser dualistischen Konzeption beider Begriffe liegt der Grundfehler der vorkantischen Philosophie. Das Bewußtsein, von der objektiven Welt getrennt, wurde selbst objektiviert und als objektiviertes verwandelte es sich in eine unräumliche Substanz oder Geist. Wo die Objektivität erhalten wurde, da erhielt sich auch der prinzipielle Dualismus, wo dagegen dieser Dualismus, wie bei den deutschen Mystiker und späteren englischen Idealisten, überwunden wurde, da verschwand auch die Objektivität, die Erkenntnis verlor jeden Boden und führte die Philosophie zum Skeptizismus. Diese zwei Grundfehler wiederholten sich in jedem philosophischen System, welches auch nur in einer sehr entfernten Beziehung zu den transzendentalen Tendenzen der Philosphie sich befand. Diejenigen Systeme aber, welche wir als Ursprung des transzendentalen Idealismus betrachten dürfen, - nämlich der neuplatonische Mystizismus und der englische Idealismus des 17. und 18. Jahrhunderts, - alle diese Systeme erheben diesen Fehler zum Grundprinzip ihres Philosophierens.

Der Stammvater der deutschen Mystik z. B., MEISTER ECKHART, kommt mit seinem Prinzip der Wesensgleichheit zwischen dem Erkennenden und dem Erkannten zur Idee der Transzendental-Philosophie sehr nahe, obgleich nur in ihrer allgemeinsten und zerflossensten Form. (1) "Denn Wesen wird nur mit dem erfaßt, was es selbst ist." (2) Das Wesen von allem bildet aber die Gottheit; folglich erscheint als das einzig wahre Objekt für das einzig wahre Subjekt - Gott - er selbst in verschiedenen Äußerungen seines Wesens. Die Seele des Menschen besitzt die wahre Erkenntnis nur im Akte der mystischen Offenbarung, folglich nur insofern sie die Funken des göttlichen Lichtes in sich trägt und mit seinem Wesen zusammenfällt. - "Mit dem Lichte der göttlichen Wesenheit sollen wir das göttliche Wesen erschauen." (3) "Sieht die Seele sich selbst an, so sieht sie Gott." Indem wir Gott erkennen, oder besser schauen, versinken wir in seinem Wesen, verlieren jede individuelle gegenständliche Bestimmtheit, verwandeln uns in das absolute nichts der göttlichen Substanz, welche (als höchster Begriff des Seins) jeder Bestimmtheit und jeder Verschiedenheit beraubt ist und als absolute Leerheit des reinen Bewußtseins, als der "unerschaffene Glanz der göttlichen Wesenheit," zugleich Alles und Nichts ist, (4) - das ewige "Schweigen" und vollständige "Ruhe" des abstraktesten aller Begriffe. "Im Erleben der Seligkeit wird der Mensch zu einem Nichts, und alles Erschaffene wird ihm zu nichts." (5) - In diesem Akte der mystischen Anschauung, im Erlebnis der höchsten Glückseligkeit, welcher ein Mensch nur fähig sei, verschwindet jede Gegenständlichkeit, jede Intention auf ein Objekt, verschwindet auch die Erkenntnis als Abbildung der einzelnen Dinge und bleibt nur die absolute Identität (6) des erkennenden Subjekts mit sich selbst.

Auf diese Weise vermittels der göttlichen Weisheit vernichtet die Mystik den Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt. Alles ist eines und dasselbe, alles ist Gottheit, d. h. absolutes Bewußtsein, "der unerschaffene Glanz des göttlichen Wesens." Das Wesen der Welt erschöpft sich in einem ewigen zeitlosen Akt der Selbstanschauung Gottes.

Diese kurze Darstellung der Philosophie von MEISTER ECKHART genügt schon, um zu sehen, wie nahe er, wenn nicht zu KANT selbst, so doch zu dem späteren Kantianismus eines FICHTE oder SCHELLING kommt; es ist die ursprüngliche Quelle der deutschen Spekulation, wenn wir von ihrer Verbindung mit dem Neuplatonismus abstrahieren. Aber unangesehen ihrer tiefen Verwandtschaft unterscheidet sie sich von der kantischen und nachkantischen Philosophie radikaler Weise in dem oben angeführten Punkte  Sie begründet nicht, sondern sie zerstört jede Objektivität,  sie verwandelt sie in einen Geist und indem sie diesen Geist in eine göttliche Substanz objektiviert, gießt sie den ganzen Inhalt der Welt des in die absolute Leerheit des göttlichen Nichts über. Die Einheit des Erkennenden und des Erkannten, welche sich nach ECKHART in der Selbstanschauung und Selbstoffenbarung Gottes vollzieht, ist schon keine Einheit der Erkenntnis mehr, da sie sich in "ein unbestimmtes", "übersinnliches" Sehen verwandelt, in welchem jede "Tätigkeit", jede Bestimmtheit und Getrenntheit des Seins und im Zusammenhange damit auch die ganze Gegenständlichkeit vernichtet wird. Die höchste Erkenntnis, sagt ECKHART, ist ein absolutes Schweigen; "nicht kommt der Seele da ein Wirken oder ein Erkennen zu, nicht mehr weiß sie da von irgendwelchem Bilde, weder von sich selbst noch von irgendeiner Kreatur." (7)

Mit noch vielleicht größerer Klarheit tritt wie diese Verwandtschaft, so auch der Unterschied von der kritischen Philosophie in demjenigen System zum Vorschein, als welchem die deutsche Mystik selbst ihre Überzeugungen schöpft und welches den Übergang von der alten zur neueren Periode der Philosophie bildet. Es ist das System des Neuplatonismus. Zwei Grundbegriffe des Neuplatonismus  en  und  nous  stellen ihn in die unmittelbare Verbindung mit der neueren Philosophie. Wenn der Begriff des Einen als eine Vorwegnahme der Idee der qualitätslosen und unendlichen Substanz erscheint, welche durch die ganze Geschichte der Philosophie hindurchgehende, sich sogar im FICHTEschen und SCHELLINGschen Begriff des Absoluten (8) widerspiegelt, so bildet der Begriff des Intellekts, als der Identität zwischen Denken und Sein, denjenigen Keim, als welchem durch die Vermittlung der spekulativen Philosophie alle monistischen Tendenzen der modernen Logik sich entwickelten.

Das Sein ist nur als Sein des Gedankens möglich. Wenigstens in der Sphäre der intelligiblen Ideenwelt erscheint dieser Satz für PLOTIN als eine Grundwahrheit. "Nicht verschieden vom Intellekt ist jede Idee, sondern eine jede ist Intellekt. Und der Intellekt in seiner Gesamtheit ist die Gesamtheit der Ideen." (9) Das Sein der intelligiblen Welt ist ein Produkt der intellektuellen Tätigkeit, der Energie des Denkens. " Der Intellekt vollende und zeuge das Seiende durch sein Wirken und Denken." (10) Wie bei FICHTE so erschöpft sich auch bei PLOTIN das Sein des Denkens in seiner Tätigkeit. Das Produkt des Denkens ist seinem Wesen nach nichts anderes, als die Tätigkeit selbst, oder "Hypostase" [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] ist im Grunde genommen mit der "Energie" des Denkens völlig identisch, d. h. sie sind nur zwei Momente eines und desselben Denkens und nur in der Reflexion verschieden. Die Gegenstände des Denkens liegen nicht außerhalb des Denkens selbst, sondern sind innerhalb des Denkens enthalten. Der Intellekt steht nicht der intelligiblen Welt als ein von ihr unabhängiges Wesen gegenüber, welches die von ihm getrennte Wirklichkeit abbildet und widerspiegelt, sondern diese intelligible Welt ist der Intellekt selbst, fällt mit ihm völlig zusammen." Demnach darf man das Intelligible nicht außerhalb des Intellekts suchen und annehmen, daß es im Intellekt Abdrücke des Seienden gebe. (11) "Das Sein ist nur in und durch die Wahrheit möglich und ist nichts anderes, als die Wahrheit selbst." "Die absolute Wahrheit stimmt nicht mit einem anderen, sondern mit sich selbst überein und sie sagt nichts anderes außer sich selbst aus;  sie ist; und was sie ist, das sagt sie auch."  (12) Ihr Sinn fällt völlig mit ihrem Objekte zusammen.

Dieses "sie ist, was sie ist" könnte man als Schlagwort des modernen erkenntnistheoretischen Monismus betrachten, wenn in ihm nicht dasjenige Element der mystischen Metaphysik versteckter Weise enthalten wäre, welches trotz völliger Identität der Ausdrücke durch eine tiefe Kluft die plotinische Lehre von der modernen Erkenntnistheorie trennt. Nur die neuere Zeit durch die Kantische Philosophie verstand diese Metaphysik zu überwinden und sich zum Begriffe des erkenntnistheoretischen Subjekts, als einer ideellen Einheit, reiner Form der Ichheit, welche, selbst unwirklich, alles wirklich macht, zu erheben. Für PLOTIN aber (wie für die vorkantische Philosophie) erscheint der Intellekt nicht nur als reine Form des Bewußtseins, sondern zugleich auch als die höchste Stufe der Wirklichkeit. Die Identität des Denkens und Seins ist bei ihm gleichbedeutend mit der Identität des Seins und Denkens. Denken des Seins fällt in seiner Philosophie mit dem Sein des Denkens zusammen. Man soll nicht vergessen, daß das Denken für PLOTIN nicht als ein absolut letztes, erkenntnistheoretisches Prius erscheint, sondern aus einem absoluten, allen Gegensätzen entrückten metaphysischen Prius - en  - abgeleitet wird; dadurch versinkt der Intellekt aus dem klaren Gebiete des Bewußtseins in das dunkle Reich der metaphysischen Wesenheiten.  Das Bewußtsein wird wiederum objektiviert  und für eine Äußerung der objektiven Substanz angenommen; darin liegt der Grundfehler der vorkantischen Philosophie; sie ist transzendent und illusionistisch. Transzendent ist sie darum, weil sie im Bewußtsein eine geistige Substanz der objektiven Welt sucht; illusorisch, - weil sie die objektive Welt der Dinge in eine Welt des Geistes (oder noch mehr, eines Etwas, das dem Geiste übergeordnet ist) verwandelt. Der Gedanke, welcher die Grundwahrheit und Grundvoraussetzung der ganzen vorkritischen Philosophie bildet, ist der, daß das Bewußtsein eine geistige Substanz sei, - unräumlich, unkörperlich und immateriell.

Wir haben von den mystischen und idealistischen Systemen gesagt, daß sie die Objektivität der Welt durch eine Vergeistigung des Bewußtseins zerstören. Alle realistischen Systeme dagegen bleiben, was noch schlimmer ist, auf dem prinzipiell dualistischen Standpunkte stehen. Sie verweilen im Gebiete der intentionalen Vorurteile. Obgleich DESCARTES z. B. zuweilen auch sehr nahe zu KANT kommt, (13) besteht doch die Grundtendenz seiner Metaphysik darin, durch den Gottesbegriff die Objektivität und transzendente Gültigkeit der Erkenntnis zu begründen: Gott ist vollkommen; darum steht der Betrug im Widerspruche mit seinem Begriff; folglich sollen den Zuständen der denkenden Substanz die absolut objektiven Zustände der körperlichen entsprechen und korrespondieren. Der Dualismus bei SPINOZA ist ebenso unzweifelhaft.

Aus diesen historischen Beispielen sehen wir klar, daß, wie nahe die vorkantischen Systeme den Ideen der transzendentalen Philosophie auch kommen mögen, sie in einem Punkte prinzipiell von ihr verschieden sind:  sie verwechseln alle den Begriff des Bewußtseins mit dem der geistigen Substanz,  oder psychischen Zustände; daher stammt ihr Jllusionismus, daher auch ihre Transzendenz.  Erst  KANT  hat zu zeigen verstanden, daß die geistige Substanz und das Bewußtsein zwei ganz verschiedene Dinge sind.  Durch das Faktum unseres Denkens ist noch gar nicht sein Sein als eines Geistes bewiesen; cogito ergo sum ist eine unrichtige Schlußfolgerung, welche sich auf einer ungerechtfertigten Objektivation des Denkens gründet. Denken ist Bewußtsein der reinen Gültigkeit eines Begriffs; wenn ich das Sein denke, so folgt daraus noch nicht, daß das Denken ein Sein ist; vielmehr umgekehrt; man darf daraus nur schließen, daß das Sein nichts anderes ist, als eine Art des Denkens oder der Geltung; es gibt auch die Gültigkeiten vom Physischen; - man darf aber nicht daraus den Schluß ziehen, daß die Gültigkeit etwas Physisches sei, sondern nur, daß Physisches als solches, eine Art des gültigen Urteils sei; mit einem Worte: von dem Objekte ausgehend können wir keine Folgerung für das Wesen und die Beschaffenheit des Subjekts machen. Es folgt also daraus, daß Objekte existieren und das Ich ihrer bewußt ist, noch nicht, daß dieses Ich selbst real existiere. Es ist doch in diesen Objekten nicht als ihr Bestandteil, sondern als ihre logische Bedingungen, als allgemeine Form ihres Seins, enthalten. Als reine Form jedes objektiven Daseins, als abstrakte Seinsart eines jeden Objekts ist dieses Ich gar nicht von seinem Objekte abtrennbar und nicht seinerseits als ein selbständiges Objekt vorstellbar. Es existiert und wird erkannt nur in seinen Objekten, in seinen Äußerungen, in seinen Gedanken "und abgesondert können wir von ihm niemals den mindesten Begriff haben," "weil das Bewußtsein an sich nicht sowohl eine Vorstellung ist, die ein besonderes Objekt unterscheidet, sondern eine Form derselben überhaupt, sofern sie Erkenntnis genannt werden soll." (14) Ein solches Bewußtsein mit allen seinen Formen oder Kategorien ist eine Abstraktion, eine logische Voraussetzung der Möglichkeit der Erkenntnis und ihrer Objekte, eine "logische Funktion," keineswegs aber eine metaphysische Realität. "Alle Modi des Selbstbewußtseins im Denken an sich sind daher noch keine Verstandesbegriffe von Objekten (Kategorien), sondern bloß logische Funktionen, die dem Denken gar keinen Gegenstand zu erkennen geben." (15) Logische Erörterung des Begriffs des Denkens soll nicht für eine metaphysische Bestimmung des Objekts genommen werden. Man kann nicht dasjenige objektivieren, was die logische Bedingung jeder Objektivation darstellt. Das Bewußtsein ist eine solche Bedingung; folglich in seiner logischen Funktion, d. h. als bestimmendes (nicht als bestimmtes) darf es nicht objektiviert werden. "Nicht das Bewußtsein des bestimmenden, sondern nur das des bestimmbaren Selbst, das ist meiner inneren Anschauung, ... ist das Objekt." (16) Bestimmendes und denkendes Ich ist die reine Form der Objektivität als solcher; wenn wir von einem gegebenen Objekte alles abstrahieren, was zur Sinnlichkeit und Anschauung gehört, so wird in ihm nur das bleiben, wodurch es ein Objekt ist, was es zu einem solchen macht, z. B. Größe, Realität, Dinghaftigkeit usw.; es wird also das Objekt als solches das reine Objekt bleiben, - (Ding an sich) - welches, wie wir weiter sehen werden, völlständig mit dem reinen Denken zusammenfällt.  Diese Objektivität an sich oder das reine Denken, als abstraktes Moment der Gegenständlichkeit überhaupt kann nicht ihrerseits ein reales Objekt sein,  weil wir sie künstlich, durch Abstraktion aus dem realen objektiven Ganzen, von welchem sie real gar nicht abtrennbar ist, herausanalysiert haben. Sie ist also eine reine Abstraktion und keine Wirklichkeit. Für die Wirklichkeit irgend eines Objektes ist die reine Form des Denkens (die reine Objektivität) bei weitem noch nicht genügend; dafür sind noch Anschauung und Empfindung erforderlich; darum bezeugt uns die reine Tatsache des reinen Denkens nicht seine Realität und Objektivität; denn um daraus ein wirkliches Objekt zu machen, sollen wir es nicht nur als ein Denken denken, sondern als ein reines Denken innerlich anschauen; aber die Anschauung des reinen Denkens ist unmöglich, weil es dann empirisch, d. h. schon unrein wäre. Inwiefern wir uns innerlich anzuschauen vermögen, insofern erkennen wir uns selbst; aber diese Erkenntnis ist empirisch und ist keine Erkenntnis des reinen Denkens, sondern diejenige der inneren empirischen Zustände des Bewußtseins. "Also erkenne ich mich nicht selbst dadurch, daß ich mir meiner als denkend bewußt bin, sondern wenn ich mir der Anschauung meiner selbst als in Ansehung der Funktion des Denkens bestimmt bewußt bin." (17) Das, was für das reine Denken gilt, behält seine Geltung auch für das Bewußtsein überhaupt, weil das letztere eine noch höhere Abstraktion ist. Also fällt das Bewußtsein gar nicht mit dem Begriffe der Seele oder geistigen Substanz zusammen. Das Bewußtsein ist Gegenständlichkeit, der Geist ist aber Gegenstand. Ein Objekt kann ein Gegenstand des Bewußtseins sein, ohne sich in einen Geist zu verwandeln. Als Bewußtsein kann er auch aus der materiellen und ausgedehnten Substanz bestehen, da die materielle Substanz ebenfalls eine Art des Bewußtseins ist.  Der Gegensatz zwischen Geist und Ding fällt nicht mit dem zwischen Gegenstand und Bewußtsein zusammen.  Das hat gerade KANT zum ersten Male gezeigt. Indem er dem Bewußtsein seine substanzielle-geistige Färbung entnommen und es in die Einheit der reinen Geltung verwandelt hatte, bahnte er dadurch für die Gegenstandstheorie den richtigen Weg und legte den Grund für den wahrhaft wissenschaftlichen erkenntnistheoretischen Monismus.

In diesem erkenntnistheoretischen Monismus liegt das Wesen der transzendentalen Philosophie, die Quintessenz aller transzendentalen Beweise und Begründungen. Der Gegenstand, indem er völlig real, objektiv, materiell und ausgedehnt bleibt, verwandelt sich von der Seite seiner Gegenständlichkeit in den reinen Begriff, - nicht in einen Geist, sondern in den Begriff, welcher sowohl psychisch wie auch physisch sein kann. Wenn wir das in die Sprache der modernen Erkenntnistheorie übersetzen, können wir sagen, daß der Gegenstand als solcher die reine Gültigkeit oder der "Sinn" des reinen Begriffs ist. Da aber bei KANT, ebenso wie bei seinen nächsten Nachfolgern, noch keine Trennung der Geltungseinheit von ihrem Bewußtsein vorhanden ist, da die Geltung für ihn ihrem Wesen nach als eine  bewußte  Geltung erscheint (obgleich gar nicht als ein psychischer Zustand), so können wir den Grundgedanken des reinen Kritizismus folgendermaßen ausdrücken:  der Gegenstand ist Bewußtsein im reinen Begriffe oder Bewußtsein des reinen Begriffs. Dieser monistische Satz scheint seit KANT Zentralpunkt der transzendentalen Philosophie zu sein; auf ihm als auf dem höchsten Grundsatz ruhen - direkt oder indirekt - alle transzendentalen Beweise.

Mit besonderer Klarheit tritt die zentrale Stellung dieses Grundsatzes des erkenntnistheoretischen Monismus bei FICHTE hervor. Dieser Grundsatz erscheint in seiner ersten Wissenschaftslehre als dasjenige Grundmittel, mit der er alle inneren Pseudo-Widersprüche, welche dialektisch im Ich entstehen, aufzulösen versucht. FICHTE findet einen notwendigen Widerspruch des Ich mit sich selbst darin, daß es in sich selbst seine absolute Negation, das unbewußte Objekt, das Nicht-Ich setzt; damit scheint es sich selbst logisch aufzuheben und zu vernichten. WIe ist die Auflösung dieses Grundwiderspruchs, welcher die Quelle eines ganzen Systems ähnlicher Widersprüche bildet, möglich? Diese Auflösung findet FICHTE im Begriff der Begrenzung oder Teilbarkeit, d. h. gerade in dem höchsten Grundsatz des erkenntnistheoretischen Monismus: Das Nicht-Ich ist seinem Wesen nach nichts anderes, als das begrenzte, bis zur Bestimmtheit konzentrierte Ich; das Nicht-Ich ist dieselbe Tätigkeit des Ich, nur nicht von der Seite ihrer Tätigkeit, sondern von der Seite ihrer Bestimmtheit angesehen; das reine Nicht-Ich ist nach Fichte eigentlich nur ein Moment, nämlich das Moment der Bestimmtheit, der Begrenztheit des Ich; ebenso erscheint auch das reine Ich als ein abstraktes Moment, nämlich als Moment der unbegrenzten und unbestimmten Bewußtheit oder, wie es genannt wird, der Tätigkeit des Bewußtseins. Beide Momente weisen notwendig aufeinander hin; beide stehen in einer notwendigen Relation und Koordination miteinander. Es ist klar, daß die reine Begrenztheit  als solche,  als Moment, außerhalb desjenigen positiven Begriffs, dessen Teilnegation sie darstellt, undenkbar ist. Daraus ist die absolute Unmöglichkeit und logische Undenkbarkeit des reinen transzendenten Nicht-Ich völlig klar; es ist gerade kraft seines logischen Wesens und darum völlig undenkbar, weil das Ich zu seinem Begriff notwendig gehört und logisch in ihm als einem Nicht-Ich enthalten ist, da das Nicht-Ich eine Teilnegation, eine Begrenzung des Ich, ein bestimmtes Ich, d. h. ein Objekt darstellt. Von diesem Standpunkt aus, durch dieses Grundmittel des Denkens löst FICHTE das ganze System seiner Widersprüche auf; das heißt, er macht den Grundsatz der erkenntnistheoretischen Monismus zur Grundmethode der Transzendentalphilosophie.

Derselbe Gedanke liegt auch, wie wir sehen werden, der Kantischen transzendentalen Deduktion zu Grunde. FICHTE hat nur mit größerer Klarheit als KANT selbst die methodologische Bedeutung dieses Grundsatzes verstanden. Die transzendentale Deduktion irgend eines Begriffes oder einer Anschauung zu geben, heißt ihre objektive Gültigkeit a priori, im System der Erfahrung zu zeigen und zu beweisen, daß ohne diesen Begriff kein Gegenstand der Erfahrung möglich ist; das ist nur durch den Hinweis möglich, daß der betreffende Begriff ein konstitutives Moment des Gegenstandes selbst bildet, das heißt, daß in diesem Begriffe das Wesen der Gegenständlichkeit liegt, daß der Gegenstand nichts anderes, als der Begriff selbst ist. Die Identität des Gegenstandes und des Begriffs wird dabei in dem Satz "Ich denke" vorausgesetzt.

Diese monistische Lehre KANTs vom Gegenstand als reinem Begriff und vom Ich als Grund jeder Objektivität, bildet bekanntlich einen Wendepunkt in der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie bekommt eine ganz neue Richtung, welche wir als Bewußtseinspantheismus bezeichnen können. Diejenige Rolle, welche früher die objektive Substanz spielte, übernimmt jetzt das Bewußtsein, als höchste Bestimmung des Seins; ebenso wie früher die Dinge als Akzidenzien einer Substanz betrachtet wurden, erscheinen sie jetzt als Akzidenzien, Bestimmtheiten oder Inhalte des Bewußtseins. "Es kommt nach meiner Ansicht alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebenso sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken", - (18) so formuliert HEGEL treffend diejenige prinzipiell neue Tendenz, welche die nachkantische von der vorkantischen Philosophie unterscheidet. Einerseits soll die Substanz, als höchste logische Grundlage des Seins, als Subjekt begriffen werden, andererseits -  nicht  als ein Geist; die erste Seite repräsentiert die positiven Tendenzen der modernen Erkenntnistheorie, - ihren immanenten Monismus; die zweite dagegen verfolgt die negativen Zwecke, nämlich den Kampf gegen die Psyche, - den Anti-Psychologismus. Beiden Tendenzen beginnen ihr bewußtes Dasein seit KANT, in dessen System sie wieder in eine ganze Reihe der einzelnen Probleme zerfallen und dementsprechend in verschiedenen Färbungen auftreten, durch diese Verzweigung eine Reihe der Schulen der Zukunft - der modernen Erkenntnistheorie - bedingend. In KANT liegen die Keime aller Schattierungen des späteren Kritizismus. Dies zu zeigen ist die Hauptaufgabe dieses Kapitels.
LITERATUR, Heinrich Lanz, Das Problem der Gegenständlichkeit in der modernen Logik, Kantstudien, Ergänzungsheft Nr. 26, Berlin 1912
    Anmerkungen
    1) WINDELBAND, Geschichte der neueren Philosophie
    2) MEISTER ECKHARTs Schriften und Predigten, Übers. von BÜTTNER, Bd. I, Seite 85
    3) MEISTER ECKHART ebenda Seite 200
    4) MEISTER ECKHART ebenda Seite 202. Vgl. auch N. CUSANUS, De docta ignorantia. Übers. von SCHORPFF, Seite 18. "Denn Gott, das absolut Größte, ist nicht Dieses und ein Anderes nicht, er ist nicht da und dort nicht, sondern gleichwie Alles, so auch nichts von Allem." Vgl. auch HEGELs "Identität von Sein und Nichts", Log. 77 - 108
    5) MEISTER ECKHART ebenda Seite 202, Vgl. Seite 199
    6) MEISTER ECKHART ebenda "Einheit" Seite 199 - 200
    7) MEISTER ECKHART ebenda Seite 34
    8) FICHTE z. B. definiert den Begriff des Absoluten in der dritten Wissenschaftslehre vom Jahre 1801 vollständig im Sinne PLOTINs, als ein über dem Denken und Sein stehendes Etwas. "Das Absolute ist weder Wissen, noch ist es Sein, noch ist es Identität, nocht ist es Indifferenz beider, sondern es ist bloß und lediglich das Absolute" und die Argumentation bleibt dieselbe wie bei PLOTIN: weder Wissen noch Sein dürfen streng absolut genannt werden, da sie einander voraussetzen und also eine innere Spaltung in sich enthalten.
    9) PLOTINs Enneaden, Enn. V. 9, 8
    10) PLOTIN ebenda Enn. V 9,8
    11) PLOTIN ebenda Enn. V 5,2
    12) PLOTIN ebenda Enn. V 5,2
    13) ERNST CASSIRER, Das Erkenntnisproblem, Bd. I, Seite 375 - 433
    14) KANT, Kritik der reinen Vernunft, Seite 341
    15) KANT, ebenda Seite 343
    16) KANT, ebenda Seite 343
    17) KANT, ebenda Seite 343
    18) HEGEL, Phänomenologie des Geistes (Werke, Bd. II, Seite 14) Zitiert nach KUNO FISCHER


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