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KARL FRIEDRICH FORBERG
(1770 - 1848)
Entwicklung des
Begriffs der Religion


"Wenn demnach weder Erfahrung, noch Spekulation die Gottheit finden können, so bleibt uns nichts, als das Gewissen übrig, um auf die Aussprüche desselben eine Religion zu gründen. Und so ist es dann auch in der Tat. Die Religion ist weder ein Produkt der Erfahrung, noch ein Fund der Spekulation, sondern bloß und allein die Frucht eines moralischguten Herzens. Der Erfahrung und der Spekulation ist die Gottheit unzugänglich, nur der gute Mensch hat das VorRecht, sie zu erkennen, nur ein reines Herz darf die Gottheit schauen. Religion entsteht einzig und allein aus dem Wunsch des guten Herzens, daß das Gute in der Welt die Oberhand über das Böse erhalten möge."

"Religion ist demnach keine gleichgültige Sache, mit der man es halten kann, wie man will, sondern sie ist Pflicht. Es ist Pflicht zu glauben an eine solche Ordnung der Dinge in der Welt, wo man auf das endliche Gelingen aller guten Pläne rechnen kann, und wo das Bestreben, das Gute zu befördern und das Böse zu verhindern, nicht schlechterdings vergeblich ist; oder welches Eins ist: an eine moralische WeltRegierung, oder an einen Gott zu glauben, der die Welt nach moralischen Gesetzen regiert."

"Der religiöse Mensch wird nimmer müde, die Sache des Wahren und Guten in der Welt zu befördern, wenn auch seine Pläne noch so oft mißlingen, und eben darin, daß er nimmer müde wird, und daß er nimmer an der guten Sache verzweifelt, besteht seine Religion, und es gibt überall keine Religion, die vor der Vernunft bestände, außer dieser."

Religion ist nichts anderes, als ein praktischer Glaube an eine moralische Weltregierung; oder, um denselben Begriff in einer bekannten geheiligten Sprache auszudrücken, ein lebendiger Glaube an das Reich Gottes, welches kommen wird auf die Erde.

Wer eine moralische Weltregierung glaubt, und zwar praktisch glaubt, der hat Religion, und nur der hat Religion.

Was eine moralische Weltregierung sein soll, ist aus dem Wort von selbst klar. Wenn es in der Welt so zugeht, daß auf das endliche Gelingen des Guten gerechnet ist, so gibt es eine moralische Weltregierung. Ist hingegen Tugend und Laster dem Schicksal völlig gleichgültig, so gibt es keine moralische Weltregierung. Der erhabene Geist, der die Welt nach moralischen Gesetzen regiert, ist die Gottheit; und dies ist der einzige Begriff von Gott, dessen die Religion bedarf, oder durch den vielmehr die Religion selbst erst möglich wird. Die spekulativen Begriffe von *Gott, als dem allerrealsten, unendlichen, absolut notwendigen Wesen, sind der Religion fremd, wenigstens gleichgültig. Sie kann, wenn sie sie findet, etwas Praktisches damit machen, si kann sie aber auch ohne Schaden entbehren, wenn sie sie nicht findet. Die Religion kann ebensogut mit dem Polytheismus, wie mit dem Monotheismus, ebensogut mit dem Anthropomorphismus wie mit dem Spiritualismus zusammen bestehen. Wenn nur Moralität die Regel der Weltregierung bleibt, so ist es übrigens gleichgültig, ob man sich eine monarchische oder eine aristotelische Weltkonstitution denkt, und hätten die überirdischen Menschen, die sich die Alten als Götter dachten, nur moralischer gehandelt, so wäre auch von Seiten des Herzens nichts gegen sie einzuwenden gewesen. Die Spekulation, die ihre Grenzen kennt, hätte ohnehin nichts gegen sie einzuwenden, und die Kunst möchte wohl eher ihre Entfernung beklagen.

Es gibt eine moralische Weltregierung, und eine Gottheit, die die Welt nach moralischen Gesetzen regiert; - wer dies glaubt, der hat Religion.

Es entsteht billig die Frage: worauf gründet sich dieser Glaube?

Es gibt drei Quellen, woraus wir alle unsere Überzeugung am Ende schöpfen müssen. Sie heißen: Erfahrung, Spekulation und *Gewissen. Eine davon wird also die Quelle der Religion sein müssen.

Wir lernen aus der Erfahrung, daß es eine moralische Weltregierung gibt - das würde soviel heißen: wir sehen in der Erfahrung vor Augen, daß es den Guten am Ende gelingt, und den Bösen am Ende mißlingt. Allein gerade dies sehen wir in der Erfahrung eben nicht vor Augen, und es ist die alte Klage aller Rechtschaffenen von jeher gewesen, daß die böse Sache so oft über die gute triumphiert. Eher ließe sich aus der Erfahrung das Gegenteil folgern, nämlich, daß die Welt nicht moralisch regiert wird, oder daß wenigstens ein böser Genius mit einem guten umd die Herrschaft der Welt streitet, und bisweilen der gute, gemeiniglich aber der böse die Oberhand behält. Wer die Gottheit außerhalb seiner selbst, im *Lauf der Dinge* sucht, der wird sie niemals finden. "Werke des Teufels" werden ihm auf allen Seiten begegnen, aber nur selten, und immer schüchtern und zweifelnd, wird er sagen können: "hier ist Gottes Finger!"

Vielleicht ist die Spekulation glücklicher, eine Gottheit zu finden, da es die Erfahrung nicht ist! - Wäre dies, so müsse es gewisse theoretische Vernunftgrundsätze geben, die auf das Dasein eines moralischen WeltRegenten mit Sicherheit schließen lassen. Man hat deren mehrere aufgestellt, und die merkwürdigsten davon sind folgende gewesen: der bloße Begriff eines allervollkommensten Wesens schließt das Dasein desselben schon in sich; das Zufällige setzt etwas Absolutnotwendiges voraus, und, Ordnung ist ohne einen ordnenden Geist nicht möglich. Allein kein einziger von all diesen angeblichen theoretischen VernunftGrundsätzen wird bei schärferer Prüfung bewährt gefunden; jeder enthält in seinem Innern eine ganz willkürliche und unerweisliche Voraussetzung, die man nur aufzudecken braucht, um allen Schein sofort zu zerstreuen. Der bloße Begriff eines allervollkommensten Wesens schließt das Dasein desselben nicht in sich; denn der Begriff keines Dings schließt das Dasein desselben in sich, nur in der *Anschauung ist Dasein, und nur wenn Anschauung zum Begriff hinzukommt, ist Begriff und Dasein vereinigt. Nicht einmal der Begriff eines allervollkommensten Wesens, als eines Inbegriffs aller Realitäten schließt das Dasein in sich. Denn das Dasein ist keine Realität, und überhaupt keine Qualität. Wäre es eine Qualität, so müßte man auf die Frage: was ist das? allenfalls auch antworten können: es ist ein Ding, das ist - wie doch ohne Zweifel kein Vernünftiger (im Ernst) antworten wird.

Das Zufällige setzt etwas AbsolutNotwendiges voraus - haben andere gesagt, und daraus auf das Dasein einer Gottheit geschlossen. Nur, was ist zufällig? Ist es das, dessen Nichtsein sich denken läßt? So gibt es für das AbsolutNotwenige im ganzen Gebiet des menschlichen Verstandes keinen Begriff, denn es ist nirgends ein Ding aufzufinden, dessen Nichtsein sich nicht auf der Stelle denken läßt. Ist aber zufällig nur das, was nicht immer war, sondern erst irgendeinmal entstanden ist? So setzt es allerdings Etwas voraus, wodurch es entstanden ist - eine Ursache, die ihm sein Dasein gegeben hat. Nur, warum gab diese Ursache, wenn sie (als absolut notwendig) immer vorhanden war, ihm sein Dasein nicht eher? Konnte sie nicht? aber was machte die Hindernisse, die ihr im Weg standen, eben jetzt verschwinden? Wollte sie nicht? und was ging vor, um ihren Willen zu ändern? So verwandelt sich das AbsolutNotwendige in der Nähe selbst in ein Zufälliges, und an der Grenze allen Fragens sehen wir uns unvermeidlich über diese Grenze hinausgetrieben.

Ordnung, sagen noch andere, ist ohne einen ordnenden Geist nicht möglich. - Und warum nicht? Darum nicht, weil wir kein anderes Prinzip der Ordnung kennen, außer den Verstand? Aber seit wann ist die Grenze unserer Kenntnis die Grenze des Möglichen geworden? Und wo findet sich denn in der Welt die Ordnung so unverkennbar, daß sich auf das Dasein einer Gottheit mit Sicherheit schließen läßt? Im Physischen? Aber ein geschickter BauMeister ist noch bei weitem kein moralischer WeltRegent, ein großer Künstler noch lange kein Gott! Im Moralischen? Aber würde eine LobRede auf die moralische Ordnung einer Welt, "die im Argen liegt", nicht eher, wie eine Satire auf die Gottheit, als wie eine Demonstration ihres Daseins lauten? Könnte es in der Welt wohl schlimmer ausgehn, als es aussieht, könnte es wohl ärger hergehen, als es hergeht, wenn ein böses, wenn ein feindseliges, wenn ein übelwollendes Wesen die Herrschaft der Welt führen, oder sich wenigstens darein mit einem guten Genius teilen würde? Würde eine Verteidigung des Satans wegen Zulassung des Guten wohl weniger gründlich ausfallen, als die Verteidigung der Gottheit wegen Zulassung des Bösen bisher ausgefallen sind? und wäre der Schluß vom Dasein einer lasterhaften Welt auf das Dasein eines heiligen Gottes nicht zumindest sehr ungewöhnlich, sehr unnatürlich?

Wenn demnach weder Erfahrung, noch Spekulation die Gottheit finden können, so bleibt uns nichts, als das *Gewissen übrig, um auf die Aussprüche desselben eine Religion zu gründen. Und so ist es dann auch in der Tat. Die Religion ist weder ein Produkt der Erfahrung, noch ein Fund der Spekulation, sondern bloß und allein die Frucht eines moralischguten Herzens. Der Erfahrung und der Spekulation ist die Gottheit unzugänglich, nur der gute Mensch hat das VorRecht, sie zu erkennen, nur ein reines Herz darf die Gottheit schauen - und der Ausspruch eines großen Weisen: "seelig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!" erhält erst in der gegenwärtigen GedankenVerbindung seinen wahren und tiefen und heiligen Sinn!

Es fragt sich nun, wie und auf welchem Weg im Herzen eines moralischguten Menschen, und nur in ihm, Religion entsteht.

Um es mit zwei Worten zu sagen: Religion entsteht einzig und allein aus dem Wunsch des guten Herzens, daß das Gute in der Welt die Oberhand über das Böse erhalten möge. In einem bösen Herzen ist kein Wunsch derart vorhanden. Ihm läßt sich daher so etwas wie Religion gar nicht zumuten. Indessen ist kein Mensch so böse, daß er im Ernst wünschen könnte, das Böse möchte das Gute am Ende ganz vom Erdboden verdrängen. Dies wäre nicht der Wunsch eines Bösewichts, sondern eines Satans. Es gibt daher auf Erden zwar eine Religion der guten Menschen, aber keine Religion der Bösen. Der Glaube an den endlichen Untergang des Guten, der Glaube an ein Reich *Satans auf Erden - wäre die Religion der Hölle; aber im ärgsten Bösewicht ist nicht diese, sondern nur Irreligion vorhanden.

Ich denke mir die Art und Weise, wie Religion in einem guten Herzen entsteht, ungefähr so:

Es ist eine ganz bekannte Sache, daß jeder wünscht, an dem, woran er selbst Interesse nimmt, möchten auch alle anderen Menschen außer ihm Interesse nehmen - das, was er für seine Person als wahr und recht erkennt, möchten auch alle anderen Menschen außer ihm als wahr und recht erkennen. Dieser Wunsch ist tief in der menschlichen Natur gegründet, und durch nichts auszurotten. Er geht vielmehr nur zu oft in die heftigste Leidenschaft über. Ohne diesen im Innern der menschlichen Natur gegründeten Wunsch müßte es uns völlig gleichgültig sein, ob Andere unserer Meinung zustimmen, oder ob sie sie verwerfen: statt, daß uns dies jetzt keineswegs gleichgültig ist, sondern vielmehr das eine uns ein inniges Vergnügen, und das andere ein bitteres Mißvergnügen verursacht. Die Idee einer künftigen möglichen Übereinstimmung aller Menschen in allen *Urteilen schwebt jedem denkenden Menschen unablässig vor Augen. Jeder wünscht, daß seine Überzeugungen herrschend und allgemeingeltend werden möchten. Der Zeitpunkt, wo eine allgemeine Übereinstimmung aller Menschen in allen Urteilen stattfände, wäre das goldene Zeitalter für die Köpfe - wäre der Zeitpunkt, wo aller Irrtum vom Erdboden verschwunden und nichts als *Wahrheit in allen Köpfen angetroffen würde - die Wahrheit hätte den Irrtum völlig besiegt, und das Reich der Wahrheit wäre auf Erden erschienen! Es ist der Endzweck aller denkenden Menschen, der Endzweck, warum sie einander ihre Gedanken mitteilen, sie gegenseitig bestreiten und berichtigen, jenen Zeitpunkt, so viel in ihren Kräften steht, zu beschleunigen, zu machen, daß das Reich der Wahrheit bald auf Erden erscheint. Alle denkenden Köpfe stehen durch diesen gemeinschaftlichen Endzweck miteinander in einer gewissen Verbindung, in einer gewissen Gesellschaft. Diese Verbindung, in welcher alle denkenden Menschen, unwillkürlich und unabsichtlich, und selbst oft ohne darum zu wissen, stehn, und deren Zweck ist, alle Menschen in allen Urteilen nach und nach übereinstimmend zu machen, die Ankunft des Reichs der Wahrheit auf Erden zu beschleunigen - diese Verbindung ist die *Republik der Gelehrten*, in der die Vernunft das Oberhaupt, und jeder denkende Mensch ein Bürger ist. In der Republik der Gelehrten gilt nur ein einziger GlaubensArtikel, und dieser lautet: glaube, daß das Reich der Wahrheit kommen wird auf Erden, und tue nur du deines Orts, durch Mitteillung und Belehrung, durch Forschen und Prüfen, alles, was du kannst, daß es bald kommt, und sei übrigens unbekümmert um den Erfolg. Trachte du nur nach dem Reich der Wahrheit, so wird dir das Übrige, nämlich der Erfolg, schon von selbst zufallen! - Das Reich der Wahrheit ist indessen ein *Ideal. Denn es ist bei der unendlichen Verschiedenheit der Fähigkeiten, in der sich die Natur so sehr gefallen zu haben scheint, niemals zu erwarten, daß je ein Einverständnis aller Menschen in allen Urteilen stattfinden wird. Das Reich der Wahrheit wird also zuverlässig niemals kommen, und der Endzweck der Republik der Gelehrten wird aller Wahrscheinlichkeit nach in Ewigkeit nicht erreicht werden. Gleichwohl wird das in der Brust jedes denkenden Menschen unvertilgbare Interesse für Wahrheit in Ewigkeit fordern, dem Irrtum aus allen Kräften entgegenzuarbeiten, und Wahrheit von allen Seiten zu verbreiten, das heißt, gerade so zu verfahren, *als ob* der Irrtum einmal gänzlich aussterben könnte, und die Alleinherrschaft der Wahrheit zu erwarten wäre. Und eben dies ist der Charakter einer Natur, die, wie die menschliche, bestimmt ist, ins Unendliche sich *Idealen zu nähern.

So wie die Idee einer künftigen möglichen Übereinstimmung aller Menschen in allen Urteilen allen denkenden Menschen unablässig vor Augen schwebt, so schwebt auch allen moralischguten Menschen die Idee einer allgemeinen Übereinstimmung im Guten, die Idee einer allgemeinen Verbreitung von *Gerechtigkeit und Wohlwollen, vor Augen. Jeder Wohlgesinnte, jeder, dem das Interesse der Tugend am Herzen liegt, wünscht, und muß wünschen, daß er nicht der einzige Rechtschaffene auf Erden ist, daß alle Menschen um ihn her dem Guten huldigen mögen, so wie er ihm huldigt, daß das Laster nach und nach ganz vom Erdboden verschwinden, und daß endlich eine Zeit kommen möge, wo nur gute Menschen, friedlich und freundlich auf Erden nebeneinander wohnen. Dieser Zeitpunkt, wenn er jemals einträte, wäre der Zeitpunkt einer allgemeinen Herrschaft des Guten über das Böse, wäre das goldene Zeitalter für die Herzen, wäre das Reich des *Rechts auf Erden. Es ist der innigste Wunsch jedes Rechtschaffnen, daß dieser Zeitpunkt einst kommen möge, und es muß dies der innigste Wunsch jedes Rechtschaffnen sein, so gewiß er ein Rechtschaffner ist, und so gewiß ihm, der die Tugend liebt, das Interesse der Tugend nicht gleichgültig sein kann. Allein es ist kein müßiger, kein tatloser Wunsch, sondern es ist sein ernsthaftes Trachten, den Sieg der guten Sache über die böse zu befördern, die Bosheit wo möglich ganz von der Erde zu verdrängen, Mißbräuche aller Art auszurotten, und die Ankunft des Reichs der Gerechtigkeit und des Friedens (welches das Reich Gottes ist), auf Erden zu beschleunigen. Es ist der Endzweck aller guten Menschen, zu machen, daß es überall recht in der Welt zugeht, und daß die Gerechtigkeit über die Ungerechtigkeit endlich triumphiert. Da alle guten Menschen gemeinschaftlich zu diesem Endzweck arbeiten, so findet insofern eine Vereinigung aller guten Menschen zur Erreichung dieses einen Endzwecks statt. Diese Vereinigung aller guten Menschen zur gemeinschaftlichen Beförderung alles Guten ist nun die Kirche, und jeder Rechtschaffne ist eben durch seine Rechtschaffenheit, aber auch nur durch seine Rechtschaffenheit, ein Mitglied der Kirche, ein Mitglied "der Gemeinde der Heiligen auf Erden." Der Zweck der *Kirche ist, das Gute soll herrschen über das Böse, das Reich des Rechts soll kommen auf Erden. In dieser Kirche ist weder Streit, noch Zwiespalt. Es ist nur die Fahne der Rechtschaffenheit, um die sich alle Mitglieder der Kirche versammeln. Es ist nur eine Kirche, und alle Rechtschaffnen gehören zu dieser einen. Sie ist die alleinseligmachende, und außer ihr ist kein Heil zu finden. Gäbe es mehr als eine Kirche, so müßte es zweierlei Rechtschaffenheiten geben - und dies widerspricht sich, wie jeder sieht, im Begriff!

Also - es ist der Wunsch und das Bestreben jedes Rechtschaffnen, dem Guten über das Böse in der Welt das Übergewicht zu verschaffen, und das Böse, wo möglich, am Ende ganz vom Erdboden zu vertilgen. Alle guten Menschen haben den gleichen Wunsch, und das gleiche Bestreben, und so entsteht eine Vereinigung aller guten Menschen zu einem Endzweck, und diese Vereinigung ist die Kirche, oder "die Gemeinde der Heiligen auf Erden".

Allein nun entsteht billig die Frage: ist denn das auch überall ein möglicher Endzweck, den sich die guten Menschen zur Erreichung vorsetzen? Sie wollen die Alleinherrschaft des Guten zustande bringen, sie wollen ein Reich des Rechts auf Erden aufrichten, die Tugend soll in der Welt das Alltäglichste, das Laster das Unerhörte, "die Sittlichkeit soll Sitte" werden. Ist das alles überhaupt auch möglich? oder ist es nicht vielmehr eine bloße und leere Chimäre [Trugbild - wp]? Kann mann hoffen, daß ein goldenes Zeitalter der Gerechtigkeit und des ewigen Friedens jemals auf Erden erscheinen wird, oder soll man vielmehr das Gegenteil fürchten, daß die Welt auch künftig, und in Ewigkeit, "im Argen liegen" wird, wie bisher?

Es ist wahr, wenn der gute Mensch weniger auf die Stimme seines Herzens in sich selbst, als auf die Stimme der Erfahrung um sich her hören wollte, so würde er gar bald genötigt sein, seine Hoffnung besserer Zeiten aufzugeben, und damit zugleich auch sein Bestreben fahren zu lassen, die Annäherung jener besseren Zeiten durch alle Mittel, die in seinen Kräften stehen, zu beschleunigen. Er für seine Person hat freilich seine Pflicht unablässig vor Augen und im Herzen: er für seine Person tut freilich alles, damit des Unrechts in der Welt weniger werde; aber er sieht um sich - und wie wenige findet er, die gesinnt sind, wie er? Die Menge um ihn her tut von allem, was er tut, gerade das Gegenteil, und eben weil es die *Menge ist, mit ungleich glücklicherem Erfolg! Er entwirft manchen wohltätigen Plan zur Beförderung des Wohls seiner Brüder, zur Abstellung von Mißbräuchen, zur Ausrottung von Vorurteilen, zur Verbreitung aufgeklärter Einsichten in allen Arten menschlicher Geschäfte; aber durch Bosheit der Einen, und durch die Dummheit der Anderen sieht er oftmals nur umso mehr Verwirrung, Schaden und Unglück daraus hervorgehen! Er will das Unrecht von der Erde vertilgen, und doch wird rings um ihn herum "Unrecht wie Wasser getrunken". Er trachtet danach, daß das Reich Gottes, das ist, das Reich der Wahrheit und des Rechts, komme auf Erden; aber am Ende seiner Laufbahn sieht er es noch so fern wie zuvor - die Menschen sind nicht besser geworden - das Unrecht geht nicht weniger im Schwange - die Leidenschaften, und zwar die wildesten unter allen, Herrschsucht und Habsucht, verheeren die Menschheit noch so schamlos, wie sonst - die Sprache der Gerechtigkeit, der Redlichkeit, der Treue klingt noch immer in den Ohren der Welt wie Torheit - noch immer ist die Erscheinung er Uneigennützigkeit, der Unbestechlichkeit, der Großmut eine seltene, bewunderungswürdige Erscheinung - noch immer dauert die unverantwortliche Barbarei der Kriege fort, und Dinge, die man in Kleinen und in PrivatVerhältnissen strafbar und schändlich findet, werden im Großen, in öffentlichen Verhältnissen und in Verbindungen, die zum Schutz des Rechts errichtet sein wollen, und die sich eben deswegen heilig nennen lassen, (in Staaten) nicht nur geduldet, sondern bringen sogar noch Ehre und Ruhm! - Dies alles sieht der moralischgute Mensch. Was soll nun Er, der Einzelne, gegen eine unmoralische Welt? Soll auch Er aufhören, sich dem Strom des Unrechts entgegenzusetzen? Soll er es lieber hinfort in der Welt gehen lassen, wie es geht, ohne sich ferner anzustrengen, oder wohl gar aufzuopfern, für einen idealistischen Zweck, der niemals erreicht wird? Soll er sich zurückziehn, und aufhören, vor dem Riß zu stehen, weil es mit seinem Tun und Treiben, mit seinem Kämpfen und Leiden dann doch am Ende vergeblich ist, und weil die Welt, nach dem Urteil Einiger, gegen die alten Zeiten der Unschuld und Einfachheit und Biederkeit gerechnet, nicht nur nicht besser, sondern eher schlimmer wird? Soll der Rechtschaffne so denken, und soll er so handeln?

Nein - ruft ihm mit lauter Stimme sein gutes Herz zu - du sollst Gutes tun, und nicht müde werden! Glaube an die Tugend, daß sie am Ende siegen wird! Hoffe, daß das Recht über das Unrecht, die gute Sache über die böse, am Ende sicher noch die Oberhand behalten wird! Wirke du, so lang es Tag ist zu wirken, und laß keine Gelegenheit vorbei, das Gute zu stiften, das du stiften kannst, und bedenke, daß nach dir eine lange Nacht kommen kann, wo Niemand wird Gutes tun können oder wollen, und wo das Gute, das du gestiftet hast, der einzige Stern der Hoffnung sein wird für "die Redlichen im Lande!" Tue du, was du kannst, damit es besser, und heller, und aufgeklärter, und edler, und redlicher und friedlicher, und gerechter in der Welt zugeht, und sei unbekümmert um den Ausgang! Glaube, daß nichts Gutes, was du tust, oder auch nur entwirfst, sei es auch noch so klein und unmerklich und unscheinbar, verloren geht im regellosen Lauf der Dinge! Glaube, daß dem Lauf der Dinge ein, dir freilich unübersehbarer, Plan zum Grunde liegt, in dem auf das endliche Gelingen des Guten gerechnet ist! Glaube, daß das Reich Gottes, das Reich der Wahrheit und des Rechts, kommen wird auf die Erde, und trachte du nur danach, daß es kommt! Glaube, daß eben auf das Trachten von die Einzelnem alles berechnet ist, und daß ein erhabener Genius über das Schicksal waltet, der alles, was du beginnst, vollendet, vielleicht erst nach Jahrhunderten vollendet! Glaube, daß auf jeden Schritt, den du um der guten Sache willen tust, scheint er die auch noch so verloren, im Plan der Gottheit von Ewigkeit gerechnet ist, daß du jeden deiner Tage für die Ewigkeit lebst, und daß es bloß von dir abhängt, jeden Tag für das Beste der Welt auf ewig zu gewinnen, oder auf ewig zu verlieren! Es ist wahr, du kannst von all dem nicht szientifisch [wissenschaftlich - wp] beweisen, daß es so sein muß, aber genug, dein Herz sagt dir, du sollst so handeln, als ob es so wäre, und wenn du so handelst, so zeigst du eben dadurch, daß du Religion hast!

Dies ist die Art und Weise, wie Religion im Herzen eines guten Menschen entsteht, und allein entstehen kann. Der gute Mensch wünscht, daß das Gute überall auf Erden herrschen möge, und er fühlt sich in seinem Gewissen verbunden, alles zu tun, was er kann, um diesen Zweck bewirken zu helfen. Daß dieser Zweck möglich ist, weiß er zwar nicht, nämlich er kann es nicht beweisen. Indessen kann er auch die Unmöglichkeit davon nicht beweisen. Es steht ihm also frei zu glauben, was er wünscht und will. Er glaubt also, daß der Zweck der Alleinherrschaft des Guten allerdings ein möglicher Zweck ist, daß allerdings ein Reich Gottes, als ein Reich der Wahrheit und des Rechts, auf Erden gegründet werden kann. Denn dies ist das, was er wünscht und will. Er kann es, wenn er spekuliert, dahin gestellt sein lassen, ob jener Zweck möglich oder unmöglich ist, nur wenn er handelt, muß er verfahren, als ob er sich für die Möglichkeit entschieden hätte, er muß trachten, jenem Zweck allmählich näher zu kommen; denn wollte er verfahren, als ob es ihm gleichgültig wäre, es möchte recht oder unrecht auf der Erde zugehen, wollte er das Gute, das er stiften kann, nicht stiften und das Böse, das er verhindern kann, nicht verhindern, darum weil es dann doch am Ende unmöglich ist, aus Menschen Engel zu machen; so würde er es sich doch selbst nicht leugnen können, daß es von einer großen und erhabenen Denkungsart zeugt, nach der entgegengesetzten Maxime zu handeln: er selbst aber würde sich wegen seiner kleinen und feigen Maxime in seinen eigenen Augen verächtlich vorkommen. -

Religion ist demnach keine gleichgültige Sache, mit der man es halten kann, wie man will, sondern sie ist *Pflicht. Es ist Pflicht zu glauben an eine solche Ordnung der Dinge in der Welt, wo man auf das endliche Gelingen aller guten Pläne rechnen kann, und wo das Bestreben, das Gute zu befördern und das Böse zu verhindern, nicht schlechterdings vergeblich ist; oder welches Eins ist: an eine moralische WeltRegierung, oder an einen Gott zu glauben, der die Welt nach moralischen Gesetzen regiert. Nur ist dieser Glaube keineswegs insofern Pflicht, sofern er theoretisch, das heißt, eine müssige Spekulation ist, sondern bloß und allein insofern, sofern er praktisch, das heißt, sofern er Maxime wirklicher Handlungen ist. Mit anderen Worten: es ist nicht Pflicht, zu glauben, daß eine moralische WeltRegierung oder ein Gott, als moralischer WeltRegent, existiert, sondern es ist bloß und allein dies Pflicht, zu handeln, als ob man es glaubte. In den Augenblicken des Nachdenkens oder des Disputierens kann man es halten, wie man will, man kann sich für den Theismus oder für den Atheismus erklären, je nachdem man es vor dem Forum der spekulativen Vernunft verantworten zu können meint, denn hier ist nicht die Rede von Religion, sondern von Spekulation, nicht von Recht und Unrecht, sondern von Wahrheit und Irrtum. Nur im wirklichen Leben, wo gehandelt werden soll, ist es Pflicht, nicht so zu handeln, als setzte man voraus, es sei ohnehin vergeblich, sich mit der Beförderung des Guten in der Welt viel Mühe zu machen, man werde doch nicht gegen den Strom schwimmen können, der Einzelne werde doch mit dem besten Willen gegen die Menge nichts ausrichten, es sei Torheit, eine Welt voller Narren und Schelme in eine Welt voll Engel umschaffen zu wollen, und es sei den Klugen zu raten, aus der allgemeinen Torheit zuvörderst für sich Nutzen zu ziehen, und übrigens die Sachen gehen zu lassen, wie sie gehn. In diesen Maximen würde man gegen sein eigenes Gewissen handeln. Man würde tun, als wüßte man das Mißlingen seiner guten Pläne im Voraus gewiß, da man es doch nicht gewiß weiß, sondern es ebensogut möglich ist, daß der Zufall unsere Absichten befördert, als daß er sie zerstört. Jene Maximen, (die Maximen der Irreligion) sind also pflichtwidrig und Sünde. Vor seinem Gewissen kann Niemand eine andere Maxime verantworten, als die, Gutes zu stiften und Böses zu verhindern, wo man weiß und kann, ohne sich durch die Besorgnis irre machen zu lassen, daß man den Erfolg doch nicht in seiner Gewalt habe - jeden guten und schönen und großen Einfall zu betrachten als ein anvertrautes Pfund, mit dem wir wuchern sollen, und unablässig zu arbeiten an der Verbreitung des Wahren und Guten in unserer Sphäre, und - wenn man Kraft dazu fühlt (Kraft aber ist Beruf), - an der Reformation der Welt nach *Idealen, in der Hoffnung, daß der Zufall (oder die Gottheit, als eines uns übrigens unbekannte *Macht), alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen wird; wissen wir auch nicht, wie und wann? und daß, wenn wir nur tun, was unsere Schuldigkeit ist, wenn wir nur mit Ernst und Eifer trachten nach dem Reich Gottes, das Übrige - der Erfolg - uns (oder unseren Nachkommen) zu seiner Zeit schon von selbst zufallen wird. Diese Maximen sind die Maximen der Religion, und die Religion ist demnach nichts anderes, als der Glaube an das Gelingen der guten Sache, so wie Irreligion dagegen nichts anderes ist, als Verzweiflung an der guten Sache. Religion ist folglich keineswegs ein NotBehelf menschlicher Schwäche (dies ist sie allerdings, sobald man sich den ReligionsGlauben als einen theoretischen Glauben denkt), sondern die Macht des moralischen Willens erscheint vielmehr nirgends herrlicher und erhabener, als in der Maxime des religiösen Menschen: Ich will, daß es besser wird, wenn auch die Natur nicht will! Irreligion ist wahre und eigentliche Schwäche des Geistes, aber selbstverschuldete Schwäche. Denn da Niemand an der guten Sache verzweifeln kann aus Einsicht (gleich als ob er einen Blick in das Buch des Schicksals getan hätte), so ist es im Grunde nur die Trägheit, die nach einigen mißlungenen Versuchen weitere Anstrengungen scheut, und die angebliche Fruchtlosigkeit dieser Anstrengungen ist nichts als ein Vorwand, wodurch der Träge das moralische Urteil Anderer, und dann auch seines eigenen Gewissens zu bestechen sucht, aber wenigstens das letztere nicht besticht.


Es gibt verfängliche Fragen, die man sich am Schluß einer Theorie selbst vorlegen muß, wenn man wissen will, ob man (ein man, worunter bisweilen der Autor selbst gehört), sich die Grundsätze der Theorie gehörig zu eigen gemacht habe, oder nicht. Nur muß man diese Fragen beantworten in eben dem Stil, worin sie aufgeworfen werden, und nicht im Stil des Systems, von dem es ohnehin noch sehr zweifelhaft ist, ob er der Wissenschaft oder der Unwissenheit mehr Vorschub geleistet hat.

Dergleichen verfängliche Fragen in Beziehung auf die Religion sind folgende:

Ist ein Gott? Antwort: Es ist und bleibt ungewiß. (Denn diese Frage ist bloß aus spekulativer Neugierde aufgeworfen, und es geschieht dem Neugierigen ganz Recht, wenn er bisweilen abgewiesen wird.)

Kann man jedem Menschen zumuten, an einen Gott zu glauben? Antwort: Nein. (Denn die Frage nimmt ohne Zweifel den Begriff des Glaubens in einem theoretischen Sinn, für eine besondere Art des Fürwahrhaltens, und dieser theoretische Sinn ist dann auch der einzige, den der gemeine Sprachgebrauch anerkennt, und den die Philosophen vielleicht nicht hätten verlassen sollen.)

Ist die Religion eine Überzeugung des Verstandes, oder eine Maxime des Willens? Antwort: Sie ist keine Überzeugung des Verstandes, sondern eine Maxime des Willens. (Was von Überzeugung des Verstandes dabei ist, ist Aberglaube.)

Wie handelt der religiöse Mensch? Antwort: Er wird nimmer müde, die Sache des Wahren und Guten in der Welt zu befördern, wenn auch seine Pläne noch so oft mißlingen, und eben darin, daß er nimmer müde wird, und daß er nimmer an der guten Sache verzweifelt, besteht seine Religion, und es gibt überall keine Religion, die vor der Vernunft bestände, außer dieser.

Kann man jedem Menschen Religion zumuten? Antwort: Ohne Zweifel, so wie man jedem Menschen zumuten kann, gewissenhaft zu handeln; und Irreligion (Verzweiflung an der guten Sache ohne hinlängliche Gründe) ist Gewissenlosigkeit.

Wieviel gibt es GlaubensArtikel der Religion? Antwort: Zwei; - Glaube an die Unsterblichkeit der Tugend, und Glaube an ein Reich Gottes auf Erden. Der Glaube an die Unsterblichkeit der Tugend ist der Glaube, daß es immer auf Erden *Tugend gab und gibt, daß die Tugend nie ausgestorben ist und die Geneigtheit, überall Tugend und gute Absichten zu finden, selbst auf den schwächsten Beweis zu finden, Laster und böse Absichten aber nicht anders, als auf den stärksten Beweis anzuerkennen. Der Glaube an ein Reich Gottes auf Erden ist die Maxime, an Beförderung des Guten wenigstens so lange zu arbeiten, als die Unmöglichkeit des Erfolgs nicht klar erwiesen ist, und das Motto der Religion überhaupt ist: "Seelig sind, die nicht sehen, und doch glauben!"

Ist Rechtschaffenheit möglich ohne Religion? Antwort: Nein. (Rechtschaffenheit ohne Religion, und Religion ohne Rechtschaffenheit sind gleich unmöglich. Das eine wäre Rechtschaffenheit ohne Interesse für Rechtschaffenheit und das andere Interesse für Rechtschaffenheit ohne Rechtschaffenheit.)

Kann man rechtschaffen sein, ohne an einen Gott zu glauben? Antwort: Ja. (Denn in der Frage ist ohne Zweifel von einem theoretischen Glauben die Rede.)

Kann ein Atheist Religion haben? Antwort: Allerdings. (Von einem tugendhaften *Atheisten kann man sagen, daß er denselben Gott im Herzen erkennt, den er mit dem Mund verleugnet. Praktischer Glaube und theoretischer Unglaube auf der einen, sowie auf der anderen Seite theoretischer Glaube, der aber dann Aberglaube ist, und praktischer Unglaube können ganz wohl beisammen bestehen.)

Wie verhält sich die Religion zur Tugend? Antwort: Wie der Teil zum Ganzen. (Die Religion, als die Maxime der unermüdlichen Standhaftigkeit in Beförderung des Guten trotz aller Hindernisse, ist eine von den einzelnen Erscheinungen des tugendhaften Charakters überhaupt.)

Kann man Religion lernen? Antwort: Ja. (So wie man Gerechtigkeit, Nachgiebigkeit, Geduld lernen kann, und lernen soll - nämlich durch Übung.)

Ist die Religion Hilfsmittel der Tugend? Antwort: Nein. (Denn *Zweck und Mittel* können unmöglich Eines sein. Die Religion hilft nicht zur Tugend, sondern nur zu Tugenden. Sie macht den Charakter nicht tugendhafter, aber sie macht die Erscheinung des tugendhaften Charakters vielfältiger.)

Ist die Religion ein SchreckMittel des Lasters? Antwort: Auch nicht. (Der Aberglaube kann ein SchreckMittel des Lasters sein, aber nie die Religion. Wer die Gottheit fürchtet, hat sie noch nicht gefunden. Es ist das Glück der Tugend, eine Gottheit zu finden, und das Unglück des Lasters, keine zu finden.

Wird jemals ein Reich Gottes, als ein Reich der Wahrheit und des Rechts auf Erden erscheinen? Antwort: Es ist ungewiß, und, wenn man auf die bisherige Erfahrung bauen darf, die jedoch im Vergleich mit der unendlichen Zukunft eigentlich wie nichts zu rechnen sein möchte, sogar unwahrscheinlich.

Könnte nicht statt eines Reichs Gottes auch wohl ein Reich Satans auf Erden erscheinen? Antwort: Das eine ist so gewiß und so ungewiß wie das andere.

Wäre demnach die Religion der Hölle nicht ebenso gründlich, als die Religion der guten Menschen auf Erden? Antwort: Die eine hat vor dem Forum der Spekulation allerdings nicht mehr und nicht weniger für sich, als die andere.

Ist die Religion Verehrung der Gottheit? Antwort: Keineswegs. (Gegen ein Wesen, dessen Existenz erweislich ungewiß ist, und in Ewigkeit ungewiß bleiben muß, gibt es überall nichts zu tun. Wer das Mindeste bloß und allein um Gottes willen tut, ist abergläubisch. Es gibt keine einzige Pflicht gegen Gott, außer man müßte mit Worten spielen wollen.)

Ist der in dieser Theorie aufgestellte Begriff der Religion auch der wahre und richtige? Antwort: Ohne allen Zweifel; vorausgesetzt nämlich, daß der Begriff der Religion der Begriff von etwas Vernünftigem und nicht von etwas Unvernünftigem sein soll. (Wäre von Religion kein anderer Begriff ausfindig zu machen, als der gemeine und seit Jahrtausenden gewöhnliche, (eines Kultus übermenschlicher Wesen), so wäre die Religion eine Chimäre, und es dürfte von ihr unter Leuten von Verstand hinfort nicht mehr die Rede sein. Indessen, da dem Ausdruck: Religion ein vernünftiger und doch mit dem alten unvernünftigen Begriff einigermaßen verwandter untergelegt werden kann; so mag nun jeder bei sich selbst entscheiden, ob er es ratsamer findet, an einen alten Ausdruck einen neuen Begriff zu binden, und dadurch diesen der Gefahr auszusetzen, von jenem wieder verschlungen zu werden, oder lieber den alten Ausdruck gänzlich beiseite zu legen, aber dann zugleich auch bei sehr vielen schwerer, oder gar nicht, Eingang zu finden.)

Und endlich, ist nicht der Begriff eines praktischen Glaubens mehr ein spielender, als ein ernsthafter philosophischer Begriff? Die Antwort auf diese verfängliche Frage überläßt man billig dem geneigten Leser selbst, und damit zugleich das Urteil, ob der Verfasser des gegenwärtigen Aufsatzes am Ende auch wohl mit ihm nur habe spielen wollen!

LITERATUR Friedrich Karl Forberg, Entwicklung des Begriffs der Religion, Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten, hg. von J. G. Fichte und F. I. Niethammer, achter Band, 1. Heft, Jena und Leipzig 1798.