ra-2Paul TillichReinhold NiebuhrReligion    
 
JOHANN LOSERTH
(1846-1930)
Der Kommunismus der
Hutterischen Brüder in Mähren

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    I. Die wiedertäuferischen Kommunisten in Mähren
II. Die Lehre von der Gemeinschaft
III. Die Durchführung der Gemeinschaft

"Krämerei und Kaufmannschaft zu treiben, gestatten wir niemandem, dieweil es ein sündiger Handel ist. Schon der weise Mann sagt: Ein Kaufmann und Krämer kann sich schwerlich vor Sünde bewahren, wie sich ein Nagel zwischen Tür und Angel einzwängt, also die Sünde zwischen Kaufen und Verkaufen."

"Sobald nur ein Wiedertäufer zu einem mährischen Herrn kömmt, flugs ist er der beste bei ihm. Da begehrt man weder Geburts- noch Lehrbrief zu sehen: es genügt, daß er ein Wiedertäufer ist. Diese sitzen mit ihnen an  einer  Tafel, essen aus einer Schüssel und trinken aus demselben Becher. Ja also spielen sie mit den Herren und der Grundobrigkeit, daß sie den wohlgeborenen Herrn Friedrich von Zierotin unter sich "Unsern Fritz" genannt haben."

"Die Wiedertäufer waren von einer tiefen Mißachtung gegen alles gelehrte Wesen erfüllt: sie behandelten die gelehrten Richter und die zu ihrer Bekehrung abgesandten Geistlichen mit großer Geringschätzung - die Folge jener Behandlung, der sie selbst als arme Bauern und einfältige Handwerke zumeist ausgesetzt waren. Sie verglichen sich mit den Aposteln, von denen ja auch keiner ein Gelehrter war. Weder in Rom, ruft einer aus, noch in Speyer lernt man die Weisheit. Die Christum ans Kreuz nagelten, verstanden auch Latein, Hebräisch und Griechisch, ja vor Zeiten gabs keinen Sauhirten um Rom, der nicht lateinisch gesprochen hätte; damals wars eine gemeine Sprach', jetzt heißts eine weltliche Kunst."


III. Die Durchführung der Gemeinschaft

Nach den Grundsätzen der mährischen Wiedertäufer gehörte all ihr Besitz der Gemeinde: Äcker und Wiesen, Wälder und Häuser, Gewerke und Gewerbe. Ackerbau und Gewerbe werden betrieben, damit jeder Einzelne in der Gemeinde  sein Auskommen  finde. Sie versorgt alle ihre Angehörigen mit Essen, Kleidung und Wohnung. Darum hat jeder Einzelne darauf zu sehen, daß der Gemeinde nichts verloren gehe; er muß für sie alle seine Kräfte anspannen. Niemand besitzt ein Eigentum und sei es auch das Geringfügigste. Wenn ein Bruder entschläft, sind alle Sachen, die er für sich und das Handwerk benützte, einzufordern. Selbst das Leib- und Bettgewand ist ihm abzunehmen. Der Gemeinde gehören die Geschenke, die etwa ein Einzelner von seinem Arbeitgeber erhält; selbst die Eßwaren, die ihm geschenkt werden, sind abzuliefern: sie gelangen in die Gemeindeküche. Ärzte und Bader dürfen von Bründern kein Geld nehmen; was sie sonst erhalten, gehört der Gemeinde.

Diese Lehre von der Gemeinschaft hatte zur Folge, daß die Taufgesinnten sich auf's Engste aneinander schlossen. War eine genügende Anzahl an einem Ort versammelt, so gründeten sie eine  Haushabe,  d. h. ein großes Haus mit einer Anzahl von Nebengebäuden. Schon 1535 gab es in Mähren einige tausend Wiedertäufer. In Auspitz allein wohnten ungefähr 1000 in 3 Haushaben. In den größten Haushaben betrug ihre Zahl oft mehr als 2000. Im ersten Jahrzehnt des XVII. Jahrhunderts besaßen sie, wie ihr Gegner CHRISTOPH ANDREAS FISCHER versichert, "über die 70 Haushaltungen, Maierhöfe und Wirtschaften, in denen man 4, 5 - 600 Personen fand, ja in einzelnen über 1000, wie zur Neumühl in Pribitz, unangesehen die Maierhöfe, Mühlen, Brauhäuser, Gärten, Schäfereien, Ziegelstadel usw., die ihnen ihre Herren verordnet haben." Aus den Schriften FISCHERs erfahren wir auch einiges über die Anlage ihrer Haushaben. Indem er diese mit Taubenkobeln vergleicht, sagt er: Wie die Taubenkobeln ganz frei und am besten zu stellen seien, so seien auch die Häuser der Wiedertäufer an den besten und gelegensten Orten. Wie jene sehr viele Löcher haben, durch welche die Tauben ein und ausfliegen, so seien auch die Haushaben voll mit Wiedertäufern. Ein solches Haus besaß demnach eine große Zahl von Stuben und Kämmerchen, jene für die gemeinsamen Arbeiten in den Handwerken, die Waschstube, Woll- und Backstube usw., diese für die einzelnen Ehepaare mit den ganz jungen Kindern.

Über die Einrichtung der Haushaben in der ältesten Zeit haben wir keine Nachrichten. Erst in späterer Zeit vernehmen wir eine Klage des ANDREAS EHRENPREIS:
    "Tapfere Helden haben zaghaften Seelen und zweifelsüchtigen Menschen den Beweis  geliefert, daß es gar wohl möglich sei, eine Gemeinschaft aufzurichten.  Wir haben zu verschiedenen Zeiten 20 und mehr Haushaltungen gehabt an verschiedenen Orten, in Städten, Märkten und Dörfern. An einem solchen Ort gab es mitunter 300, 400, ja auch 600 Personen  in einer einzigen Haushaltung  nebeneinander. Sie hatten alle nur  eine  Kuchel,  ein  Backhaus,  ein  Bräuhaus,  eine  Schule,  eine  Stube für die Kindbetterinnen,  eine  Stube, da alle Mütter mit ihren jungen Kindern beisammen waren usw."

    "Da in einer solchen Haushaltung  ein  Wirt und Haushälter ist, der alles Getreide, Wein, Wolle, Hanf, Salz, Vieh und alle Notdurft einkauft von dem Geld aller Handwerke und alles Einkommens und wiederum nach Notdurft an alle im ganzen Haus austeilte, da holte man das Essen für die Schulkinder, Sechswöchnerinnen und für all das andere Volk zusammen in  eine  Stube - das Speisezimmer. Für die Kranken sind Schwestern verordnt, die ihnen das Essen zutragen."

    "Die gar Alten setzt man besonders und reicht ihnen etwas mehr als den jungen und gesunden Leuten und allen nach der Gebühr und dem Vermögen.  Und dieses Anrichten der Gemeinschaft hat nun aus Gottes Gnade zu unseren Zeiten schon seinen richtigen Gang weit über hundert Jahre unzerbrochen und in guter Ordnung gehabt.  Und ob wir gleich durch viel Trübsal, Raub und Brand oft in die höchste Armut geraten, durch Kriegsgewalt verdorben und etliche Haushaben eingegangen, sind wir dahin gezogen, wo man uns noch einen Platz gewährt hat."
Von den  Haushaben  waren nicht alle gleicher Größe. In den großen Haushaben kamen die Taufgesinnten insgesamt zusammen, um das Abendmahl zu empfangen; hier wohnen die Diener des Wortes und der Notdurft. An der Spitze eines Hause steht der Haushälter. Er hat alles Volk mit zeitlicher Notdurft zu versorgen und die Arbeiten anzurichten. Er geht zu den Vorständen der einzelnen Handwerke und sagt an, was zu tun von Nöten ist. Er muß früh und spät die Hut fleißig auf sich nehmen. Er soll oft in die Küche gehen und selbst von den Speisen kosten. Die Kinder, Kranken und Alten stehen unter seiner besonderen Hut. Er hat darauf zu achten, daß ein jeder nach seiner Gebühr erhält. Wenn er Grundstücke und bewegliche Güter kauft, darf das nie ohne den Rat der Ältesten geschehen; dann muß er alles sorgfältig austragen, verbriefen und verschreiben lassen. Das Bauen soll mit gutem Rat geschehen, kein Stüberl und keine Kammer soll zur Kuchel gebaut werden, um da etwa Gastereien zu halten. Mit Essen und Trinken sollen sich die Haushälter mäßig und gebührlich halten, weil sie der Gemeinde Gut in Händen haben. Ein jeder soll, was ihm von der Gemeinde anvertraut ist als das Teuerste ansehen und als seinen besten Schatz betrachten.

Die einzelnen Handwerke wurden im Großen betrieben; einzelne waren geradezu verboten. "Krämerei und Kaufmannschaft zu treiben, gestatten wir niemandem, dieweil es ein sündiger Handel ist. Schon der weise Mann sagt: Ein Kaufmann und Krämer kann sich schwerlich vor Sünde bewahren, wie sich ein Nagel zwischen Tür und Angel einzwängt, also die Sünde zwischen Kaufen und Verkaufen." Ebenso war es mit dem Wirtsgeschäft, ja selbst das Schneiderhandwerk und die Schmiedekunst durften nur mit Einschränkungen betrieben werden: Jenem stand das Gebot einfacher Tracht im Wege, bei diesem war es verboten, Wehr und Waffen anzufertigen. Außerordentlich hoch stand das Tuchmachergewerbe. Die Tücher der Wiedertäufer waren sehr geschätzt, so daß man nach der Vertreibung der Anabaptisten aus Mähren eine Zeitlang daran dachte, gewerbstüchtige Niederländer ins Land zu rufen, um den blühenden Erwerbszweig auf der alten Höhe zu erhalten.

Den andersgläubigen Handwerkern bereiteten die Wiedertäufer eine scharfe Konkurrenz, der jene umso weniger gewachsen waren, weil, ganz abgesehen von den viel einfacheren Lebensverhältnissen und Gewohnheiten, die Herstellungsart eine einfachere und billigere war. Hier ging alles auf den Großbetrieb aus und ein Handwerk arbeitete dem anderen in die Hände. Es war zunächst untersagt, die Rohwaren anderswoher als von den Wiedertäufern zu nehmen, wofern sie hier überhaupt zu beschaffen waren. So wurden aus den Schlächtereien die Felle an die Gerber abgeliefert, von diesen zubereitet und dann an Sattler, Riemer und Schuster abgeliefert. Ebenso war das Verhältnis zwischen den Wollstuben und Webereien, den Tuchmachern, Schneidern usw.

Für die Produkte ihrer gewerblichen Tätigkeit fanden die Wiedertäufer nicht nur an ihren Brüdern, sondern auch an den übrigen Nachbarn fleißige Abnehmer. Sehe ich nicht, klagt der katholische Pfarrer FISCHER, die Leute alle Sonn- und Feiertage haufenweise zu Euch laufen? Daher die lebhaften Klagen, daß die Katholiken neben ihnen nicht aufzukommen vermögen, daß die Wiedertäufer ihnen "das Brot vor dem Maul wegschneiden" usw., Klagen, welche die Regierung bewogen, der Sache auf den Grund zu sehen, zunächst aber nur eine sehr starke Besteuerung der Wiedertäufer zur Folge hatten. Für die einzelnen Handwerke waren Einkäufer, Austeiler und Vorgestellte als Aufseher bestimmt. Allen sind genaue Weisungen für ihr Verhalten gegeben. Die Einkäufer sollen bei großen Käufen miteinander Rat halten und gegeneinander nicht auf Vorteile bedacht sein. Empfangenes Geld ist dem Haushälter zu übergeben. Der Einkäufer beaufsichtigt die Vorgestellten, nimmt die Verteilung der Rohwaren vor und sieht darauf, daß sie ihrem Zweck zugeführt werden. Die Arbeiter dürfen von dem ihnen zugeteilten Material nichts ins Eigentum nehmen und nichts verkaufen. Die Einkäufer sorgen dafür, daß das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben erhalten oder zugunsten jener verschoben wird. Von den einzelnen Handwerkern muß das erlöste Geld alle 14 Tage an den Einkäufer abgeliefert werden. Der Ausgeber verfügt sich des Morgens in die Spinnstube (beziehungsweise in ein anderes Handwerk), damit die Nachlässigen Furcht vor ihm haben. Er achtet darauf, daß in der Webstube fleißig gearbeitet werde und die Tuchmacher hinterher sind, daß die Tücher die rechte Länge und Breite haben. Ebenso ins Einzelne gehend sind die Vorschriften für die Vorgestellten der einzelnen Handwerke. Neben dem der Tuchmacher und Messerschmiede hatte das Müllerhandwerk einen ausgezeichneten Ruf. 1560 kommt ein Müller aus Bellinzona zu den Brüdern, um hier das Muster einer Ochsenmühle zu holen; umgekehrt werden Müller in die Schweiz entsandt, um die verschiedenen und besten Arten des Betriebs kennen zu lernen.

Es kam vor, daß einzelne Werkstätten zu groß angelegt waren; "sollten sie ganz besetzt sein, so kann man die Menge der fertigen Messer nicht verkaufen." Wenn dann in einem Handwerk weniger zu arbeiten war, so mußten die Handwerker auch bei der Feldarbeit fleißig zugreifen. Viele Brüder arbeiteten überhaupt nur in Wald und Feld und von diesen wieder die meisten  nicht in der Gemeinschaft,  sondern in der  Einöd.  Auch diese erhalten von der Gemeinde ihr Gewand; den Lohn an Geld müssen sie an diese abführen und die freie Zeit, die ihnen übrig bleibt zu Arbeiten für die Gemeinde verwenden.

Die Arbeit, die sie zu verrichten hatten, war keine leichte. Die Arbeitszeit dauerte vom Sonnenaufgang bis zum Untergang und war nur Mittags durch eine Stunde Rast unterbrochen. Während dieser Zeit verfügten sich die Handwerker in die Eßstuben.

Bei so harter körperlicher Anstrengung war es notwendig, daß sie entsprechend genährt wurden. Wir erfahren aus einer Ordnung, die während einer großen Teuerung durchgeführt wurde, daß die Mitglieder der Gemeinde sich im Ganzen besser zu ernähren in der Lage waren, als die Kleinbauern und Handwerker von heute.

Am tüchtigsten waren die mährischen Wiedertäufer in der Feld- und Forstwirtschaft. Es erregte den größten Neid unter den andersgläubigen Nachbarn, daß die Barone des Landes mit Vorliebe aus den Wiedertäufern ihre Gutsbediensteten und Verwalter wählten, sie zu "Kastern, Kellnern, Burggrafen, Müllern, Schäfern, Fischmeistern, Gärtnern, Förstern und Meiern" machten. Den Herren - diese mochten katholisch, utraquistisch oder protestantisch sein - empfahlen sie sich durch ihre unbedingte Treue und Gewissenhaftigkeit und durch ihre Einhaltung jener strengen Ordnung, zu der die Maier und ihre Leute verpflichtet waren. Es möge gestattet sein, einige Stellen aus dieser Ordnung anzuführen:
    "Die Gedanken des Meiers sollen auf alle Werke, Orte und Winkel früh und spät gerichtet sein, was gut, ehrlich und nutz sei, zu fördern, allem Gegenteil so viel als möglich zuvorzukommen und es zu verhindern. Er sei der Erste aus dem Bett und der Letzte darin, wie es einem fleißigen Wirt geziemt. Morgens und abends gehe er in alle Ställe und sehe ab und zu auch während der Nacht nach, ob nicht etwa ein Dieb vorhanden sei, ein notleidendes Stück Vieh schreie. Sonderlich sei er wohl aufs Feuer bedacht. Er sehe fleißig auf Äcker, Wiesen und Gründe, zu welcher Jahreszeit und Witterung und mit welchen Mitteln auf ihnen zu arbeiten sei, achte auf die Gepflogenheiten anderer guter Wirte, behandle die Leute mit gebührendem Ernst, leiste ihnen Rat und Hilfe, achte darauf, daß im Herrendienst nicht so viel Geld aufgehe usw. Er sehe auf die Roboter, daß sie ihre Dienste leisten. Die Fütterung soll zu rechter Zeit geschehen, das Gras nicht zu alt sein; denn namentlich die Schafe können das stenglichte Futter nicht vertragen. Heu und Streu soll man recht gebrauchen, um auch in langen Wintern ein Auslangen zu finden. Wenn der Meier nicht im Feld zu tun hat, so soll er im Hof arbeiten, an Dach und Türen, im Stall und an den Zäunen bessern, die Meierin beaufsichtigen und sich nicht in Müßiggang begeben, um nicht auch anderen Ursache dazu zu geben. Es ist einem Meier eine größere Ehre, wenn ihn der Herr nicht in einem saubern Schürzel, das auf den Müßiggang deutet, antrifft, sondern in kotigem Hemde findet."
Der Herr soll nicht Ursache haben zu klagen: "Der Meier bessert keine Lücke im Zaun oder keinen Schaden im Stall aus, läßt das Geschirr im Freien liegen, läßt den Pferden zu viel einlegen usw. Das muß fürwahr ein fauler Kerl sein; denn wäre er ein rechter Bruder, dann wäre er auch im Fleiß anders, als er ist."

Im ganzen Land berühmt war die Pferdezucht der Wiedertäufer. Auch die Gegner sprachen mit Lob davon. Man entnimmt es den betreffenden Ordnungen, daß man in den Haushaben und Meiereien der Wiedertäufer mit einer gewissen Vorliebe der Pflege des Viehs oblag, gewiß noch eine Erbschaft der tirolischen Heimat der Taufgesinnten.

Der Adel des Landes sah in solcher Weise Haus und Hof, Äcker und Wiesen wohl versorgt und brachte daher den Wiedertäufern ein unbegrenztes von den Katholischen so ungern vermerktes Vertrauen entgegen. Jetzt finden wir, klagt FISCHER, daß sich alles mit den Wiedertäufern gemein macht; die Herren essen und trinken mit ihnen, laden sie zu Gast, besuchen ihre (mit Recht hochgerühmten) Bäder, lassen sie - denn sie halten auch sehr geschickte Ärzte - in ihren Krankheiten zu sich kommen, nehmen Arzneien von ihnen und vertrauen ihnen sogar ihre Kinder zur Erziehung an.
    "Sobald nur ein Wiedertäufer zu einem mährischen Herrn kömmt, flugs ist er der beste bei ihm. Da begehrt man weder Geburts- noch Lehrbrief zu sehen: es genügt, daß er ein Wiedertäufer ist. Diese sitzen mit ihnen an  einer  Tafel, essen aus einer Schüssel und trinken aus demselben Becher. Ja also spielen sie mit den Herren und der Grundobrigkeit, daß sie den wohlgeborenen Herrn FRIEDRICH von ZIEROTIN unter sich "Unsern Fritz" genannt haben."
Man wird nach alledem begreifen, daß der Adel in den Fällen, wo es die Austreibung der Wiedertäufer galt, nur seinen eigenen Vorteil wahrte, wenn er recht nachdrücklich zu ihren Gunsten eintrat.

Daß der Adel seine Kinder den Wiedertäufern zur Erziehung gab, ist nicht gerade wörtlich zu nehmen. Im äußersten Fall kann es sich nur um die Anfangsgründe des Unterrichts gehandelt haben. Die Wiedertäufer waren ja von einer tiefen Mißachtung gegen alles gelehrte Wesen erfüllt: sie behandelten die gelehrten Richter und die zu ihrer Bekehrung abgesandten Geistlichen mit großer Geringschätzung - die Folge jener Behandlung, der sie selbst als arme Bauern und einfältige Handwerke zumeist ausgesetzt waren. Sie verglichen sich mit den Aposteln, von denen ja auch keiner ein Gelehrter war. Weder in Rom, ruft einer aus, noch in Speyer lernt man die Weisheit. Die Christum ans Kreuz nagelten, verstanden auch Latein, Hebräisch und Griechisch, ja vor Zeiten gabs keinen Sauhirten um Rom, der nicht lateinisch gesprochen hätte; damals wars eine gemeine Sprach', jetzt heißts eine weltliche Kunst.

Die Verachtung  eitlen  Wissens teilen die Wiedertäufer mit allen Gesinnungsverwandten, wie mit den Anhängern SCHWENKFELDs, der sich womöglich noch heftiger über die Gelehrten und Verkehrten ausläßt. Was hat uns, ruft GABRIEL ASCHERHAM aus, und unseren Junkern seit 1500 Jahren der Besuch der hohen Schulen zum Seelenheil genützt? Jene, die wohl danach getrachtet haben, hat man daran gehindert und noch heute wird im Grund der Wahrheit nicht  einer  gefunden, der durch ihre Lehre und Predigt besser werden könnte.

Bei dieser Verachtung gelehrten Wissens haben sie gleichwohl ihr Schulwesen schon im 16. Jahrhundert auf eine hohe Stufe gebracht. Wohl die meisten - wenn nicht alle - Taufgesinnten waren des Lesens und Schreibens kundig. Ihre Schulen genossen einen guten Ruf. Sie mußten sich natürlich ebenfalls in das System der  Gemeinschaft  einfügen. Ja, hier tritt der kommunistische Grundzug vielleicht am schärfsten hervor. Schon von der Brust der Mutter weg wurden die Kinder in die Zucht der Gemeinde genommen. Das Schulhaus war ihr Vaterhaus. Hier fanden sie zuerst die notwendige Pflege des Körpers, der sich sodann jene des Geistes anschloß. Im Schulhaus befanden sich die Räume für die Pflege der Kleinen Kinder und die Erziehung der großen. Hier gab's gemeinsame Schlaf-, Speise- und Arbeitszimmer. In mancher Haushabe gab es eine Schule für die Kleinen und eine andere für die Großen.

Jede Schule hatte mehrere Schulmeister, eine Schulmutter, Schulschwestern und Kindsdirnen. Die letzteren sorgen für die Reinhaltung der Schlaf- und Speiseräume, die Schulschwestern reichen der Jugend bei Tisch Speis' und Trank, beaufsichtigen sie des Nachts, pflegen sie in den Krankheiten usw. Die Schulmutter sorgt für die Wirtschaft im Haus: Nahrung und Kleidung wird vom Haushälter beigestellt. Die Hauptarbeit haben die Schulmeister. Ihnen ist untersagt, sich für länger als einige Stunden von Haus und Hof zu entfernen und die Verantwortung für die Aufsicht auf andere abzuwälzen.

Die Schulordnung, die 1568 festgelegt wurde, verzeichnet die "notwendigen Punkte, wie die fürgestellten Brüder und Schwestern samt ihren Mithilfen in Schulen in Zucht und Pflege der Jugned Ordnung halten sollen". Fast der größere Teil der  Ordnung  befaßt sich mit dem körperlichen Wohl der Jugend und man findet da Grundsätze, die auch der Schule der Neuzeit Ehre machen. Einige Abschnitte sind der Pflege der Reinlichkeit gewidmet. Es ist genau angeordnet, wie man mit kranken Kindern zu verfahren habe, wer und wie man ihren Schlaf zu überwachen habe, wie lange der Schlaf dauern soll, zu welchen Arbeiten die Mädchen und Knaben anzuleiten sind usw.
    "In der Zucht der Kinder bedarf es großen Aufmerkens und eines rechten Unterschieds: das eine läßt sich mit Freundlichkeit ziehen, das andere wird durch Gaben gewonnen, ein drittes erfordert strengere Zucht." "Den Kleinen, die zum erstenmal zur Schule kommen, soll man nicht die Köpfe zu brechen versuchen." "Kein Schulmeister soll mit Widerwillen an die Arbeit gehen: es wäre kein Segen dabei und die armen Kinder müßten es entgelten. Wo der Wille nicht gut ist, da sind die Worte ungeschickt."
Den meisten Zeitgenossen war diese kommunistische Art der Kindererziehung ein Greuel. Man klagte die Wiedertäufer an: sie handeln gegen die Natur, indem sie, unbarmherziger als die Tiere, die Kinder, die kaum daß sie von der Mutter entwöhnt sind, in die gemeinsame Schulstube sperren und unbekannten Schulmeistern und jähzornigen Schuldirnen überlassen. Man vergaß dabei, daß diese Art der *Erziehung für die Kinder jener Wiedertäufer, die fern von den großen Haushaben als Hauer, Schaffner usw. dienten, von unberechenbarem Vorteil war. Unsere Kindergärten weisen, zumal in großen Städten, eine frappante Ähnlichkeit mit den Kinderstuben der Wiedertäufer auf. Dem Unterricht im Lesen und Schreiben folgte der in der Lehre: die Stücke von der Taufe, dem Abendmahl und, man darf sagen, auch von der Gemeinsacht, als die Stützpunkte des ganzen Systems, wurden mit großer Genauigkeit vorgenommen.

In solcher Weise gestaltete sich das Leben der Gemeinde. Ein strenger Ernst, der sich in Miene, Haltung und Kleidung jedes Einzelnen ausprägte, durchwehte das ganze. Auf die Zeitgenossen machte dieses Leben, welches in allem und jedem dem in der ersten Christengemeinde gleichen sollte, einen unverkennbaren Eindruck. Man wird nicht irren, wenn man sagt, daß die ganze südliche Hälfte Mährens der Wiedertaufe verfallen wäre, hätten sich nicht die Folgen der Schlacht auf dem weißen berg auch über den Häuptern dieser Separatisten entladen. Dem gemeinen Mann sagte das Leben und die ganze Haltung der Wiedertäufer zu. Ihre Gegner verkünden ihren Ruhm: "Sie leben", sagt FISCHER, "nicht stattlich, kleiden sich einfach und kennen keine weltliche Pracht." Vom Streben beseelt, den Aposteln nachzueifern, sah man sie verkaufen, was sie hatten und den Erlös zu Füßen ihrer Lehrer legen. Man vernahm mit Staunen, mit welcher Standhaftigkeit sie alle Marter und Pein, selbst den Tod für ihre Lehre ertrugen. "Wenn man", sagt ein gut katholischer Mann, wie es HOSIUS war, "die Wahrheit einer Religion nach der Bereitwilligkeit und Freudigkeit beurteilen sollte, die ihre Anhänger im Leiden zeigen, so könnte die Meinung keiner Sekte wahrer und zuverlässiger sein." Noch drastischer spricht sich FRANZ AGRICOLA in seinem "Evangelischen Prozeß" aus und SCHWENKFELD sagt: "Heutzutage sieht man alle jene, die ein gottseliges Leben führen, als Wiedertäufer an." Freilich blieben dem kundigen Beobachter auch die Schattenseiten ihres Wesens nicht verborgen. Mit einer ans Unglaubliche grenzenden Überhebung sich als  die Heiligen dieser Welt  erklärend, blickten sie mit Hochmut und offen zur Schau getragenen Verachtung auf alle Andersgläubigen herab, denen ihr stark sauertöpfisches Wesen wenig zusagte; mit Eifersucht wachten sie über die von ihren Stiftern überkommenen Bräuche und straften die geringsten Übertretungen in schärfster Weise; auch das alte Übel, das ihnen so viele treffliche Genossen entzog, die Streitsucht und Unverträglichkeit trat mit den Jahren immer schärfer in den Vordergrund: aber alle diese Momente waren ihrem Bestand weniger gefährlich als der Umstand, daß ihnen die Fahne, unter der sie bisher gekämpft hatten, die Gemeinschaft, erst gleichgültig - dann allmählich unerträglich wurde.

Noch während ihres Aufenthaltes in Mähren war die alte strenge Zucht vielfach brüchig geworden; man klagte, daß selbst ihre Vorsteher, die Diener des Wortes, ihren Pflichten nicht nachkämen. Der schärfste Gegner der Gemeinschaft "der *Eigennutz" machte sich in allen Kreisen der Genossenschaft bemerkbar. Schon am Ende des 16. Jahrhunderts vernehmen wir die Klage, daß die Brüder das Eigentum der Gemeinde verschleppen oder geradezu stehlen, auf die Märkte laufen, mi Gemeindegeldern ihre Eitelkeit befriedigen, ihre Kühe und Schweinställe, Truhen und Betten versorgen. Alle Handwerksordnungen sind voll von Versuchen, dem Eigennutz beizukommen. So wird geklagt, daß die Bader Gemeindesachen stehlen, wo sie nur können. In den Werkstätten arbeite jeder für sich; die Weber, Töpfer, Messerer usw.  vertragen  was sie nur können. Gutes Zeug nehme man von der Gemeinde entgegen, schlechte Ware liefere man ab. Auch der alte Fleiß nehme ab. Dafür mache sich der Hand zum Luxus bemerkbar. Niemand könne den Brüdern und erst gar den Schwestern die Gewänder fein genug machen. Wir hören die Klagen FISCHERs:
    "Wer ist hoffärtiger und stolzer als diese Wiedertäufer? Bisher haben sie die Welt so hoch gescholten, daß sie Samt und Seide trage. Jetzt gehen die Hutterischen Weiber in den schönsten Doppelaffeten, in feinen Röcken und seidenen Gewändern, als wenn sie von Adel oder gar Freiinnen wären und doch sind es nur Baders-, Kellners-, Haushälters- oder Dienersweiber. Man findet bei ihnen silberne Löffel und silbernes Trinkgeschirr, schöne, kleine, goldene Ührlein, herrliche Teppiche, silberne Gürtel und Korallen. Es geht dieses Badergesinde so stolz und geschlissen mit schönen glatten Hosen einher, als wenn die ganze Welt auf seine stinkende Hoffart sähe. Sie reiten auf den stattlichsten Rossen einher, trotz einem Edelmann."
In dieser Schilderung FISCHERs ist vieles übertrieben, aber sie enthält doch auch manches Wahre. Wie die Dinge lagen, war die  Gemeinschaft,  wie sie von den Gründern des mährischen Anabaptismus erdacht worden war, auf die Dauer nicht zu erhalten. Sie erlag schließlich dem Eigennutz, wie das schon einer ihrer besseren Führer vorhergesehen hatte, indem er sagte:

Die Gemeinschaft wär' nicht schwer,
Wenn der Eigennutz nicht wär'.

LITERATUR Johann Loserth, Der Kommunismus der Hutterischen Brüder in Mähren im XVI. und XVII. Jahrhundert, Zeitschrift für Sozialpolitik und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, Weimar 1895