p-4ra-3N. HartmannA. RiehlA. TrebitschM. Schlick    
 
JOHANNES REHMKE
Zum Lehrbegriff des Wirkens

"Der althergebrachte Satz vom Wirken als einem Abgeben und Übertragen von etwas auf das die Wirkung erfahrende Ding, tritt damit, indem er die Tatsache der Abnahme des wirkenden Dings einfach als eine eigentümliche Erscheinung dieses Wirkens selber hinnimmt, den Hauptsatz allen Geschehens, daß jede Veränderung eine Wirkung ist, mit Füßen. Denn wenn man meint, das Wirken selber sei zugleich ein Abgeben, so sagt man damit klipp und klar, daß das wirkende Ding sich in seinem Wirken zugleich durch sich selbst verändert; eine solche Veränderung aber ist ein Ding der Unmöglichkeit, denn ein einfaches Einzelwesen kann nicht zugleich grundlegende und wirkende Bedingung seiner Veränderung sein."

Was im Folgenden zur Darstellung gelangen soll, betrifft nicht die bekannte Frage, ob und mit welchem Recht Wirken oder ursächlicher Zusammenhang behauptet werden kann. Ich setze hier vielmehr den ursächlichen Zusammenhang, also Wirken, als Tatsächliches voraus und frage nur nach dem Sinn eines solchen Zusammenhangs, soweit die Tatsachen ihn uns lehren können, um daraus wiederum einen entsprechenden klaren Begriff des Wirkens zu erzielen.

Wir sprechen nur dann von einem Wirken, wenn etwas geschieht; jedes Geschehen aber bietet eine Veränderung, und diese Veränderung nennen wir eben, wann immer wir dabei ein "Wirken" feststellen, die Wirkung. Jede Wirkung ist Veränderung und es gibt kein Wirken, ohne daß nicht Wirkung da wäre. Veränderung setzt ferner etwas voraus, das eine Veränderung erfahren kann, setzt also etwas Veränderliches voraus, Veränderliches ist aber nur das Einzelwesen. Mithin ohne Einzelwesen auch kein Wirken.

Ein Einzelwesen, in seinem einzelnen Augenblickswesen betrachtet, ist die besondere Einheit, d. h. das notwendige besondere Zugleich einer Mehrzahl logisch gleichstehender Bestimmtheiten. So ist das Ding als Augenblickswesen die Einheit von einer Gestalt, einer Größe, einer Farbe, einer Temperatur, einer Härte usw.

Einzelwesen, als Veränderliches betrachtet, ist dagegen die besondere Einheit, d. h. das notwendige Nacheinander einer Mehrzahl logisch ausgesonderter Augenblickswesen, die sich einzig und allein in der Besonderheit derjenigen ihrer gemeinsamen Bestimmtheit unterscheiden, in der gerade das Einzelwesen sich als ein Veränderliches zeigt. So erfahren wir z. B. das Ding als Veränderliches, wenn es sich der logischen Zergliederung darstellt als die Einheit mehrerer Augenblickswesen im Nacheinander, die sich unterscheiden in der Besonderheit ihrer gemeinsamen Bestimmtheit "Gestalt", indem z. B. das erste Augenblickswesen dieses Dinges in seiner besonderen Gestalt als "rund", während sich das zweite Augenblickswesen desselben Dinges in seiner besonderen Gestalt als "länglich" bietet; wir nennen somit die bestimmte Veränderung, die das Ding hier erfahren hat, Gestaltveränderung und sagen, das Ding habe sich in seiner Gestalt verändert.

Bezeichnen wir am Einzelwesen A als einem Veränderlichen seine Augenblickswesen, die uns im Nacheinander das A darstellen, mit und a², indem hier die Verschiedenheit der Zahlzeichen 1 und 2 die Besonderheits-Verschiedenheit derjenigen gemeinsamen Bestimmtheit in der gerade das A als Veränderliches auftritt, andeuten mag, so bedeutet das Einzelwesen A hier die Einheit dieses Nacheinander "a¹ → a²", und die Veränderung des A besteht in dem, worin das als jetziges A sich vom als früherem A unterscheidet.

Wir nennen nun diese Veränderung, durch sich die A dann als darstellt, eine Wirkung, indem wir ihr Eintreten abhängig oder bedingt durch ein B wissen, das mit dem A als dem in einem besonderen Zusammengehen gegeben war.

Es bildet hier B mit dem in "a¹ → a²" als dieses bestimmte Veränderliche gekennzeichneten Einzelwesen A eine besondere Einheit, d. h. ein notwendiges Zusammen, das wir ursächliche Einheit heißen, derzufolge eben B ein logisches Bindeglied der beiden besonderen Augenblickswesen und darstellt.

Insofern also das Eintreten der Veränderung des A (von zu a²) bedingt ist durch das besondere Zusammengegebensein von A als und von B, erscheint die Einheit A als das Veränderliche "a¹ → a²"in die ursächliche Einheit eingebettet; die Einheit des Nacheinander "a¹ → a²", d. h. das Einzelwesen A als ein Veränderliches wurzelt augenscheinlich in dieser ursächlichen Einheit, so daß für uns tatsächlich das A als die Einheit "a¹ → a²" nur in einer solchen ursächlichen Einheit seine Erklärung findet. Mit anderen Worten: wir verstehen Einzelwesen als das Veränderliche und damit die Veränderung in ihrer Möglichkeit einzig nur aufgrund eines Wirkens; denn in der ursächlichen Einheit bezeichnet A als "a¹ → a²" das Veränderliche, das die "Wirkung" in sich aufweist, während B das "Wirkende" bedeutet.

Falsch aber wäre es, zu meinen, daß das B als sogenanntes "Wirkendes" jene ursächliche Einheit ganz allein durch sich schon begründet; denn die Möglichkeit einer Wirkung - und ohne letztere gibt es ja auch kein Wirken - setzt ebenso sehr das A als a¹, wie das B, voraus. Jede Wirkung ist ja eine Veränderung, und Veränderung fordert stets zu ihrer Möglichkeit auch etwas, das Veränderung erfahren kann. Also A in seinem Augenblickswesen und B sind zusammen die notwendige Voraussetzung und daher die Begründer jener ursächlichen Einheit, folglich auch der "Wirkung" und eben deshalb auch des "Wirkens". Ganz mit Recht pflegen wir daher im wissenschaftlichen Sprachgebrauch die "Ursache" einer Wirkung eben in A und B zusammen zu setzen. Der gewöhnliche Sprachgebrauch freilich denkt sie in B allein; wir verstehen das, da ja Wirken ganz allgemein, auch im wissenschaftlichen Gebrauch, von B allein ausgesagt wird, während dem A zweifellos allein die "Wirkung" als seine Veränderung zugehört. Diese nicht zu beanstandende Verteilung der Worte "Wirken" und "Wirkung" auf B und A hat sicherlich dem Irrtum Vorschub geleistet, als ob "Wirken" sowie "Wirkung" jedes für sich ohne das andere da sein, zumindest ein Wirken da sein kann, ohne daß schon seine Wirkung da wäre, und eine Wirkung da sein kann, ohne daß noch ihr Wirken da wäre. Freilich kann wohl ein B, nur als das besondere Gegebene betrachtet, gedacht sein, ohne daß es eine Veränderung des A wirkt, aber wenn von ihm das Wirken ausgesagt wird, so muß zugleich auch von A die Wirkung auszusagen sein; und ebenso kann auch A als a², d. h. als ein besonderes Gegebenes gegenüber dem früheren betrachtet werden, ohne daß B, welches die Veränderung gewirkt hat, mit in Betracht gezogen wird, aber diese Veränderung als eine Wirkung aussagen, die A erfährt, kann man doch nicht, ohne auch B zugleich als wirkend zu setzen.

Wir lassen also das A als und das B in ihrem besonderen Zusammenhang für die "Ursache" der "Wirkung" (in A als dem a²) gelten, nennen aber von jenen beiden, die Ursache bildenden, Bedingungen dieser Veränderung im Besonderen die eine die grundlegende (A als a¹) und die andere die wirkende Bedingung (B). Damit werden wir auch dem allgemeinen Sprachgebrauch, der von B allein das "Wirken" aussagt, durchaus gerecht.

Das A der ursächlichen Einheit, welches als die "Wirkung" aufweist, also sich verändert zeigt, muß selbstverständlich ein Einzelwesen sein, da nur das Einzelwesen ein Veränderliches ist. Was aber bedeutet nun des Näheren das B der ursächlichen Einheit, das wir die wirkende Bedingung der Veränderung des A nennen?

Wir werden von vornherein geneigt sein, in der wirkenden Bedingung B ein besonderes Einzelwesen zu sehen, das dann also mit dem Einzelwesen A die ursächliche Einheit bildet; unsere Erfahrung scheint dafür genug Belege zu liefern: Das Fenster (A) und der Stein (B) bilden einen ursächliche Einheit, wenn der Stein das Fenster zertrümmert, ist das heile Fenster, das zertrümmerte Fenster, B der in das Fenster fliegende Stein. Sehen wir einen solchen Fall genauer an unter dieser unserer Voraussetzung, daß ein besonderes Einzelwesen selber als B, d. h. als die wirkende Bedingung in der ursächlichen Einheit anzusprechen ist, so bildet anscheinend für unsere Auffassung dieser und ebenso jeder andere Fall eines Wirkens in der Welt der Dinge einen treffenden Beleg. Denn stets finden wir: erstens, daß hier das als das "Wirkende" angesprochene Ding ein anderes, also ein besonderes Einzelwesen gegenüber dem die "Wirkung" als seine Veränderung erfahrenden Ding ist, und zweitens, daß das "wirkende" Ding bemerkenswerterweise ebenfalls selber einer Veränderung erfährt. Dann scheint also zweifellos nicht nur bestätigt zu sein, daß jedes Wirken zu seiner Möglichkeit zumindest zwei Einzelwesen voraussetzt, das eine, das die Wirkung als seine Veränderung erfährt, das ander, in dem die wirkende Bedingung gelegen sein wird, sondern auch, daß das wirkende Einzelwesen gerade in diesem seinen Wirken zugleich sich selbst verändert. Was den ersten Punkt angeht, so ist über ihn kein Zweifel mehr möglich, denn kein einfaches Einzelwesen kann für irgendeine seiner Veränderungen neben der grundlegenden auch noch die wirkende Bedingung selber sein, kein einfaches Einzelwesen kann sich also durch sich selbst allein verändern. (1)

Verhielte sich aber auch im zweiten Punkt die Sache so - und die Tatsachen des Wirkens in der Dingwelt scheinen dies offenkundig zu lehren - dann müßten wir sagen: die wirkende Bedingung ist stets ein Einzelwesen (B), das in diesem seinem Wirken selber auch eine Veränderung von zu erfährt; mit anderen Worten hieße dies: ohne eigene Veränderung kann etwas gar nicht "wirkende" Bedingung sein und demnach darf auch das Wirken nur von Veränderlichem ausgesagt werden, also auch nur das Veränderliche kann wirken.

Wie hervorgehoben wurde, läßt sich alles Wirken in der Dingwelt mit dieser Behauptung an und für sich durchaus reimen, ja es scheint sie geradezu herauszufordern. Wo und wann nämlich jemals ein Ding auf ein anderes wirkt, da findet sich nicht nur das letztere, sondern auch das wirkende Ding verändert: an dieser Tatsache läßt sich nichts abmarkten. Aber auch nicht nur dies müssen wir anerkennen, sondern ebenfalls die noch genauer gefaßte Darstellung des Dingwirkens, wie sie im Gesetz von der "Erhaltung der Energie in der Dingwelt" seinen Ausdruck gefunden hat. Dieses Gesetz sagt, daß bei allem Geschehen, d. h. bei aller Veränderung in der Dingwelt die Energiegröße dieser Welt dieselbe bleibt, woraus folgt, daß ein Geschehen oder eine Veränderung, welche sich als eine Energiezunahme des die Veränderung erfahrenden Dings erweist, nur möglich ist, wenn ein anderes Ding zugleich eine Veränderung erfährt, die eine Energieabnahme des Dings darstellt, und zwar immer eine solche, die an Größe genau der Energiezunahme jenes die Wirkung erfahrenden Dinges gleichkommt. Daß in all diesen Fällen des Geschehens dasjenige Ding allein, welches die Energiezunahme erfährt, als das wirkende Ding bezeichnet wird, erscheint und dabei wohl selbstverständlich, da wir ja alle in der Meinung aufgewachsen sind, daß "Wirken" ein Abgeben und Übertragen bedeutet, also stets einen "Kraftverbrauch" für das Wirkende in sich schließt.

Indessen ist es doch nicht schlechthin geboten, das Energiegesetz des Dinggeschehens für die genauere Formel dessen anzusehen, was in der obigen Behauptung, nur Veränderliches wirken kann, ausgesprochen ist; das Energiegesetz führt keineswegs zwingend auf diese Behauptung zurück, als ob etwa durch die Wahrheit jenes Gesetzes die Wahrheit dieser Behauptung bekräftigt, ja von ihr gefordert würde. Nur unter einer bestimmten Voraussetzung müßte dies der Fall sei, wenn nämlich diejenigen wirklich recht hätten, welche das Wirken überhaupt für ein Abgeben und Übertragen von etwas auf das die Wirkung erfahrende Einzelwesen ausgeben. Unter diese Voraussetzung freilich muß jede "Wirkung" ihrerseits eine Empfängnis, also eine Energiezunahme des die Wirkung erfahrenden Einzelwesens und jedes Wirken für das wirkende Ding selber zugleich eine Energieabgabe bedeuten, womit sich allerdings das Energiegesetz, wie nicht zu leugnen ist, vortrefflich in Übereinstimmung bringen läßt.

Es muß uns daher ganz begreiflich erscheinen, daß die Verfechter des Wirkens als eines Abgehens und Übertragens das Energiegesetz in der Tat als die sicher gegründete Bestätigung der Meinung, alles Wirken sei ein Abgeben und Übertragen, froh begrüßen und in ihm zugleich auch einen sicheren Bundesgenossen für die aus diesem Satz vom Wirken unmittelbar folgende Behauptung zu besitzen glaubten, daß nur Gleichartiges auf Gleichartiges wirken kann. Wir wissen, wie folgenschwer diese Behauptung für die Auffassung vom Verhältnis des Leibes und der Seele, diesen zwei voneinander völlig verschiedenen Einzelwesen, gewesen ist. Ich meine aber, daß das Energiegesetz in der Dingwelt keineswegs mit jenem Satz vom Wirken steht und fällt, wenn es auch scheinbar nichts anderes als nur die genauere Formel jenes Satzes darstellt. Das Energiegesetz bleibt vielmehr auch dann bestehen, wenn jener Satz fällt, und daß er unhaltbar ist, daß also das Wirken nicht als ein Abgeben und Übertragen von etwas auf das die Wirkung erfahrende Einzelwesen aufgefaßt werden darf, wenn wir einem klaren, d. h. den Tatsachen unserer Erfahrung entsprechenden Begriff des Wirkens die Ehre geben wollen, läßt sich aus dem Widerspruch erweisen, in welchem er zu zwei Sätzen steht, die unbestreitbar zwei Hauptpfeiler unserer Wirklichkeit darstellen; diese Sätze heißen:
    1. Jede Bestimmtheit von Einzelwesen ist unveränderlich.

    2. Jede Veränderung von Einzelwesen ist eine Wirkung (hat eine Ursache). -
1. Jede Bestimmtheit von Einzelwesen ist unveränderlich: dieser Satz ist unantastbar! Veränderung erfährt allein das Einzelwesen und jede Veränderung eines Einzelwesens besteht in einem Wechsel von Besonderheiten einer Bestimmtheit dieses Einzelwesens. So verändert sich das Ding in seiner Bestimmtheit "Farbe" durch den Wechsel von Grün zu Rot, in seiner Bestimmtheit "Temperatur" durch den Wechsel von Wärme zu Kälte, in seiner Bestimmtheit "Bewegung" durch den Wechsel von Langsamkeit zu Schnelligkeit, in seiner Bestimmtheit "Örtlichkeit in aufeinanderfolgenden Augenblicken" durch den Wechsel von Ruhe zu Bewegung usw. Also immer das Einzelwesen verändert sich und zwar in seiner Bestimmtheit, die jedesmalige Bestimmtheit des Einzelwesens selber aber ist unveränderlich, sie bleibt oder sie verschwindet (ist nicht mehr da) oder tritt auch (ist nun da). Keine Farbe, keine Temperatur, keine Bewegung, keine Ruhe kann anders werden, als sie ist, auch wenn sie etwa aufhören oder ins Sein eintreten kann, indem eben eine andere, ihr gleichartige, Bestimmtheit mit ihr in jedem Fall wechselt. Dann aber kann auch das Wirken des Einzelwesens und somt das Wirken des Dinges im Besonderen auf keinen Fall ein Abgeben und Übertragen von etwas sein. Das nämlich, was man abgeben soll, müßte man doch besitzen; das Einzelwesen aber besitzt nichts anderes als eben seine Bestimmtheiten, die in ihrer jedesmaligen Besonderheit zwar aufhören können, sein Besitz zu sein, es also, wie man wohl im Bild sagt, "verlassen" können. Letzteres aber darf nicht heißen, daß sie sich als Bestimmtheit nun anderswohin begeben und dort als Bestimmtheit eines anderen Einzelwesens niederlassen. Denn Ortsveränderung ist, wie alle Veränderung, nur einem Einzelwesen möglich, Bestimmtheit von Einzelwesen aber ist doch nicht etwa selber auch wieder ein Einzelwesen. Das Rot eines Dinges kann, wenn dieses Ding aufhört rot zu sein, darum nicht, wie ein Einzelwesen, sich in der Örtlichkeit verändern und somit auf ein anderes Ding übergehen, kann also nicht von jenem Ding, dem es zugehört, abgegeben und auf dieses übertragen werden. Ebendasselbe gilt von der Temperatur, von der Bewegung, überhaupt von jeder Bestimmtheit eines Dings. So ist es also ganz unmöglich, daß das Wirken eines Einzelwesens ein Abgeben und Übertragen von etwas, das diesem Einzelwesen eigen ist, sein kann, da all sein Besitz eben nur Bestimmtheiten sind, und deshalb kann auch im besonderen Wirken des Dings nicht ein Abgeben und Übertragen von Energie auf ein anderes Ding bedeuten, denn Energie, wie der Sinn dieses Wortes auch näher gefaßt werden mag, ist auf alle Fälle eine Bestimmtheit des Dings.

Aber widerspricht hier nicht der bare Augenschein? Wird nicht tatsächlich Bewegung oder wird nicht tatsächlich Energie von einem Ding, das wir das wirkende nennen, auf ein anderes Ding übertragen? Können wir nicht durch Messung genau feststellen, daß jenes gerade so viel Bewegung oder soviel Energie verloren hat, als dieses, das die Wirkung erfuhr, gewonnen hat? Angesichts dieser letzten Tatsache, die unbestreitbar ist und unseren Satz, daß jede Bestimmtheit unveränderlich ist, daher auch keine Ortsveränderung erfahren kann, in Bedrängnis zu bringen scheint, gilt es, sich diese Tatsache zunächst selber rein darzustellen. Wie bietet sich uns, wenn ein Ding (B) auf ein anderes (A) wirkt? A gewinnt Energie (+4), B verliert an Energie (-4), also A und B erfahren beide zugleich eine Veränderung, eine Energiezunahme dort, eine Energieabnahme hier, und diese Veränderungen decken sich der Größe nach genau; nichts weiter besagt die Tatsache. Ein Abgeben und ein Übergehen einer Energiegröße 4 von A auf B bietet und lehrt sie nicht. Wie aber ist denn diese Tatsache zu begreifen, daß bei einem solchen Wirken des Dings B auf A das B immer um die gleiche Energiegröße abnimmt, um die A zunimmt? Dürfen wir denn diese Energieabnahme des wirkenden A nicht als ein eigentümliches Anhängsel oder vielmehr ein Stück eben dieses Wirkens selber ausgeben? Nein, denn Energieabnahme ist ebenso, wie Energiezunahme, eine Veränderung des Dings, und

2. Jede Veränderung ist eine Wirkung. Läßt es sich nun nicht leugnen, daß beim Wirken des Dings B auf das Ding A ausnahmslos das B ebenfalls, wie A, eine Veränderung erfährt, so muß auch diese, ebenso wie die des A, als eine Wirkung begriffen werden, sie muß also ebenfalls eine wirkende Bedingung haben. Nun ist die grundlegende Bedingung der Energieabnahme des B zwar selbstverständlich in ihm selber als dem gelegen, die wirkende Bedingung jedoch muß in etwas Anderem als in diesem B gesucht werden; denn niemals kann ein einfaches Einzelwesen sich allein durch sich selbst verändern, die wirkende Bedingung seiner Veränderung muß demnach stets in einem anderen Einzelwesen gelegen sein. Da nun Energieabnahme eines Dings ebensogut eine Veränderung ist, als Energiezunahme, so muß, wenn die Energiezunahme des A sich durch das wirkende B erklärt, auch die mit dem Wirken des B zugleich auftretende Energieabnahme dieses B ihrerseits eben als Veränderung auf dem Wirken eines anderen Einzelwesens, als B selber ist, beruhen. Diese Notwendigkeit hat leider jener althergebrachte Satz vom Wirken als einem Abgeben und Übertragen von etwas auf das die Wirkung erfahrende Ding völlig übersehen lassen, indem er die Tatsache der Abnahme des wirkenden Dings einfach als eine eigentümliche Erscheinung dieses Wirkens selber hinnimmt, aber damit den Hauptsatz allen Geschehens, daß jede Veränderung eine Wirkung ist, mit Füßen tritt. Denn wenn man meint, das Wirken selber sei zugleich ein Abgeben, so sagt man damit klipp und klar, daß das wirkende Ding sich in seinem Wirken zugleich durch sich selbst verändert; eine solche Veränderung aber ist ein Ding der Unmöglichkeit, denn ein einfaches Einzelwesen kann nicht zugleich grundlegende und wirkende Bedingung seiner Veränderung sein.

Auf die Frage nun, wo die wirkende Bedingung für die Energieabnahme des die Energiezunahme des A seinerseits wirkenden Dinges B zu suchen ist, werden wir die Antwort leicht finden: für B liegt die wirkende Bedingung seiner zugleich mit seinem Wirken auftretenden Energieabnahme in A als a¹. Damit ist die zugleich stattfindende Energieabnahme (in B) und Energiezunahme (in A9, also die gleichzeitige Veränderung von A und B zwanglos erklärt, ohne daß wir zu der verzweifelten Behauptung, Wirken sei ein Abgeben und Übertragen, greifen müssen. Wir haben aber zugleich auch, was nicht weniger wichtig ist, dem Satz, daß jede Veränderung eine Wirkung ist, volle Anerkennung verschafft, da er ja unerbittlich fordert, daß nicht nur die Energiezunahme, sondern auch die Energieabnahme des Dings als eine Wirkung anerkannt und begriffen wird. Und letzteres bewahrt uns dann auch wiederum davor, in die alte Meinung, Wirken sei ein Abgeben und Übertragen, zurückzufallen.

Was lehren also die Tatsachen des auf einem bloßen Dingwirken beruhenden Geschehens in der Dingwelt? Wann immer ein Ding B die wirkende Bedingung für die Energiezunahme eines anderen Dings A stellt, so stellt dieses andere Ding A zugleich die wirkende Bedingung für eine Energieabnahme jenes Dings B und zwar in gleicher Größe. Was lehrt uns das Energiegesetz? Kein Ding wirkt auf ein anderes, ohne daß nicht auch zugleich dieses auf jenes wirkt, und zwar geschieht dies so, daß stets die beiderseitigen Wirkungen als Energieveränderungen ihrer Größe nach wie +4 und -4 sich aufheben. Aller Wirkungszusammenhang der Dinge untereinander ist also in einem reinen Sinn Wechselwirkung. (2)

Daß wir uns dessen ungeachtet im gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht leicht davon frei machen werden, von zwei in Wechselwirkung stehenden Dingen dasjenige, welches die Energiezunahme des anderen wirkt, das "eigentlich" wirkende Ding zu nennen, ist vor allem aus der Überlieferung leicht verständlich. Aber wir dürfen immerhin nicht vergessen, daß doch der "Kraftverbrauch" des "eigentlich" wirkenden Dinges als eine Veränderung selbstverständlich auf ein anderes "wirkendes" Ding hinweist und daher das "eigentlich" wirkende Ding tatsächlich doch auch ein "eigentlich" Wirkung erfahrendes Ding ist.

Kein Ding wirkt auf ein Ding, ohne zugleich von ihm auch eine Wirkung zu erfahren: dieser Satz der Wechselwirkung besteht für das Geschehen innerhalb der bloßen Dingwelt uneingeschränkt zu Recht.

Was heißt nun also Wirken? Nichts anderes als "Bedingung sein für die Veränderung eines anderen Einzelwesens". Jedes besondere Wirken in der Welt überhaupt fordert folglich zu seiner Möglichkeit mindestens zwei Einzelwesen, das eine, welches die Wirkung als seine Veränderung erfährt, und das andere, welches wirkt, d. h. die eine Bedingung (die sogenannte wirkende) für die Veränderung des ersten Dings stellt. Diese Wahrheit bleibt bestehen, auch wenn sich bei genauerer Betrachtung des Wirkens von Ding auf Ding ergibt, daß im eigentlichen Sinn als die "wirkende Bedingung" niemals das Ding, sei es als Augenblickswesen, sei es als Einzelwesen, d. h. sich Veränderndes, sondern nur eine Bestimmtheit dieses Dings angesprochen werden darf. Jedenfalls ist doch diese wirkende Bestimmtheit dann niemals Bestimmtheit des die Wirkung erfahrenden, sondern immer die eines anderen Dings, das dann eben, weil jene Bestimmtheit doch die seinige ist, auch selber mit Fug und Recht selber das Wirkende genannt werden darf.

Steht es nun so, daß kein Wirken eines Dings auf ein anderes stattfindet, dem nicht ein gleichzeitiges Wirken des letzteren auf das erstere zur Seite stände, und zwar beides derartig verknüpft, daß die Wirkungen als Energiegrößen betrachtet sich wie +4 und -4 decken, so stellen sie sich innerhalb der Dingwelt als ausnahmslos auftretende Wechselwirkung dar und mahnt uns wiederum daran, daß ein sich als wirkendes zugleich selbst veränderndes Einzelwesen also eben zu gleicher Zeit, wie es eine Wirkung auf ein anderes ausübt, so auch eine Wirkung vom anderen erfährt.
LITERATUR - Johannes Rehmke, Zum Lehrbegriff des Wirkens, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 120, Leipzig 1902