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HEINRICH RICKERT
Geschichtsphilosophie
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Einleitung
I. Die Logik der Geschichtswissenschaft
II. Die Prinzipien des historischen Lebens
III. Universalgeschichte


"Daß aber das Verhältnis des Teiles zum Ganzen nicht dasselbe ist wie das des Exemplars zu seinem übergeordneten Gattungsbegriff, sollte keiner Erörterung bedürfen. Trotzdem werden die verschiedenen Arten des  Allgemeinen vielfach miteinander verwechselt."

I.

Die Logik der
Geschichtswissenschaft

[Fortsetzung 1]

Was zunächst die  generalisierende  Betrachtung der Objekte betrifft, so ist nicht nur über die praktische, sondern auch über ihre theoretische Bedeutung für die Wissenschaft kein Zweifel. In einer Unterordnung des Besonderen unter das Allgemeine, die mit der Bildung allgemeiner Gattungsbegriffe und der Betrachtung der Objekte als deren Exemplar zusammenfällt, besteht die Methode vieler Wissenschaften. Die so entstehenden Begriffe besitzen natürlich die verschiedensten  Grade  der Allgemeinheit, je nachdem sie für ein mehr oder weniger umfassendes Gebiet gebildet sind, aber mag ihr empirischer Umfang auch noch so klein und ihr Inhalt auch noch so speziell sein, so heißt doch Erkennen dann immer so viel wie das Unbekannte in der Weise als Fall des Bekannten verstehen, daß das Individuelle, Einzigartige ausgeschieden und nur das  Gemeinsame  in die Wissenschaft aufgenommen wird. Das höchste Ziel dieser Erkenntnis ist, die zu erkennende Wirklichkeit so unter allgemeine Begriffe zu bringen, daß diese sich durch die Verhältnisse der Unter- und Überordnung zu einem einheitlichen  System  zusammenzuschließen und man wird dabei, wo es angeht, nach solchen Begriffen streben, deren Inhalt  unbedingt allgemein  für die zu untersuchenden Objekte gilt. Wo diese Erkenntnis gelungen ist, da hat man das erfaßt, was man die  Gesetze  der Wirklichkeit nennt.

Dabei ist nicht übersehen, daß von der Wissenschaft im Laufe der Zeit mehrere Arten der generalisierenden Methode herausgebildet worden sind, die darin, wie sie ihre allgemeinen Begriffe  zustande  bringen, auch logisch voneinander abweichen. So muß z. B. der allgemeine Gesetzesbegriff der modernen Naturwissenschaft in  dieser  Hinsicht natürlich vom Gattungsbegriff der antiken Naturphilosophie getrennt werden und mit vollem Recht hebt daher RIEHL die Unterschiede hervor, die zwischen der Analyse des einzelnen Falles und der Abstraktion beim Vergleich mehrerer Fälle miteinander bestehen. Aber mag auch dort die Verallgemeinerung die Folge der Erkenntnis und hier umgekehrt die Erkenntnis eine Folge der Verallgemeinerung sein, so kommte es doch für uns zunächst nur auf die Verallgemeinerung überhaupt an, das heißt, es haben die für andere logische Probleme wichtigen Unterschiede hier zurückzutreten, wo uns ja nur das in allem generalisierendem Verfahren  Übereinstimmende  interessiert, das im Gegensatz steht zu einem überhaupt nicht auf Verallgemeinerung gerichteten Verfahren und wo insbesondere nicht der Weg, auf dem die allgemeinen Begriffe gefunden werden, wichtig ist, sondern nur die logische Struktur der fertigen Begrife und ihr Verhältnis zur empirischen Wirklichkeit, für die sie gebildet sind. Sowohl die Analyse als die Abstraktion läßt einen Begriff entstehen, der auf eine Mehrheit von Objekten anwendbar ist und das ihnen  Gemeinsame  enthält, während er die individuellen Differenzen ignoriert. Das gilt vom modernen Gesetzesbegriff ebenso wie vom antiken Gattungsbegriff und darauf allein haben wir zu achten, um das Wesen des generalisierenden Verfahrens in seiner allgemeinsten Form zu charakterisieren und seine große Bedeutung fü einen Teil der Wissenschaften festzustellen.

Verstehen wir aber das Generalisieren so und erblicken daher im Gesetzesbegriff als dem unbedingt allgemeinen nur die vollkommenste Form des allgemeinen Begriffes überhaupt, dann ist es ferner auch ein durchaus berechtigter Versuch, diese Methode des Begreifens auf  allen  Gebieten der Wirklichkeit anzuwenden und daher überall, sei es im Geistigen oder Körperlichen, in den Naturvorgängen oder im Kulturleben nach Gesetzen zu suchen. Das mag freilich auf dem einen Gebiete schwieriger sein als auf dem anderen, ja vielleicht sind hier und da die unbedingt allgemeinen Urteile für den Menschen unerkennbar, so daß wir uns mit rein empirischen und numerisch allgemeinen Begriffen begnügen müssen, aber die generalisierende Betrachtung ist nirgends im  Prinzip  ausgeschlossen und daraus scheint sich eine grundlegende methodologische Folgerung zu ergeben. Man kann nämlich schließen, es sei das wissenschaftliche Denken überhaupt mit dem Bilden  allgemeiner  Begriffe, das heißt mit dem Zusammenfassen des einer Mehrheit von Objekten Gemeinsamen, das durch Abstraktion oder Analyse gefunden ist, identisch und es gebe daher unter rein formalen Gesichtspunkten nur  eine  wissenschaftliche Methode. Insbesondere der Gegensatz eines generalisierenden und eines individualisierenden Auffassens würde danach nur insofern Bedeutung für die Logik besitzen, als die Wissenschaft überall das Individuelle durch allgemeine Begriffe beseitigt und gerade weil in unserer Erörterung auf die Eigentümlichkeiten des Materials der verschiedenen Wissenschaften keine Rücksicht genommen ist, scheint durch sie die übliche Einteilung in Natur- und Geisteswissenschaften, jedenfalls in ihrer formal methodologischen Bedeutung, hinfällig zu werden. Das geistige Leben ist vielmehr ebenso generalisierend zu behandeln wie die Körperwelt und deshalb muß natürlich auch die Geschichtswissenschaft die generalisierende Methode anwenden.

In der Tat sind das die besten Gründe, auf welche man die Proklamierung einer  Universalmethode  stützen kann, denn es sind rein  formale  Gründe, und, insofern die generalisierende Auffassung in den  Naturwissenschaften  ihre höchsten Triumphe feiert, haben wir hier zugleich die beste Grundlage für den methodologischen Naturalismus. Eine Logik aber, welche die wirklich  vorhandenen  Wissenschaften verstehen will, wird sich hiermit doch nicht begnügen. Sie wird aus dem richtigen Satz, daß alle Wirklichkeit einer generalisierenden Betrachtung unterzogen werden  kann,  nicht schließen, daß die Bildung von allgemeinen Begriffen mit dem wissenschaftlichen Verfahren überhaupt identisch sei. Sie wird vielmehr zuerst fragen,  ob faktisch  alle Wissenschaften dieses Verfahren anwenden und sie muß diese Frage bei einem Blick auf die wissenschaftliche Arbeit, die in den Werken  aller Historiker  als Tatsache vorliegt, verneinen.

Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, daß die Methode der Geschichte sich in allen ihren Teilen und in jeder Hinsicht von der der Naturwissenschaften unterscheidet, sondern es kommt immer nur das Verhältnis ihrer Ergebnisse zur Wirklichkeit, die sie behandelt, das heißt die Art ihrer Umformung und Darstellung in Betracht. Insbesondere müssen wir auch hier wieder vom Weg, auf dem die Resultate der Geschichtswissenschaft allmählich gefunden werden, ganz abgesehen, um den Gegensatz zur Naturwissenschaft möglichst scharf herauszuarbeiten. RIEHL mag bis zu einem gewissen Grad recht haben, wenn er bestreitet, daß der wissenschaftliche  Beweis  in den sogenannten Geisteswissenschaften nach wesentlich anderer Methode geführt wird als in den Naturwissenschaften, obwohl es nicht leicht sein dürfte, in den Geschichtswissenschaften Beweise zu finden, die auf Analyse und Experiment im Sinne der Methode GALILEIs beruhen. Aber wie es sich damit auch verhalten möge, in diesem Zusammenhang kommt es darauf gar nicht an, denn alles das kann nicht das geringste an der Tatsache ändern, daß eine fertige historische Darstellung oder um das Wort in einem weiteren als dem üblichen Sinne zu gebrauchen, daß der historische Begriff zu den Objekten, für die er gebildet ist und die er meint, in einem logisch prinzipiell anderen Verhältnis steht, als wir es bei den Produkten jeder generalisierenden Begriffsbildung konstatieren können. Ja, diese Tatsache ist so evident, daß auch die Anhänger der generalisierenden Universalmethode oder des methodologischen Naturalismus sie nicht leugnen können. Sie suchen sich dadurch zu helfen, daß sie sagen, die Geschichtswissenschaft sei heut noch unvollkommen und passe deswegen nicht in das angedeutete System, aber je weiter sie fortschreite, um so mehr werde auch sie sich der einzig wissenschaftlichen, der generalisierenden Methode bedienen. Diese Ansicht jedoch ist unhaltbar und zwar nicht etwa, wie immer aufs schärfste hervorgehoben werden muß, deswegen, weil die Wirklichkeit, welche die Geschichte behandelt, nicht unter die allgemeine Begriffe gebracht werden  kann,  denn das ist eine für die formal verfahrende Logik unbeweisbare Behauptung, sondern einfach deswegen, weil es zum logischen Wesen der Geschichtswissenschaft gehört, daß sie, sobald sie sich selbst versteht, eine Bearbeitung der Wirklichkeit mit Rücksicht auf das den Objekten Gemeinsame nicht vollziehen  will  und deswegen nicht vollziehen will, weil auf diesem Weg die  Ziele,  die sie sich als Geschichte setzt, niemals zu erreichen sind.

Denn welches sind diese Ziele ihrem rein formalen Charakter nach? Unter allen Umständen gilt es, den geschichtlichen Gegenstand, sei er eine Persönlichkeit, ein Volk, ein Zeitalter, eine wirtschaftliche oder eine politische, eine religiöse oder eine künstlerische Bewegung, wenn er als  Ganzes  dargestellt werden soll, in seiner  Einmaligkeit  und nie wiederkehrenden  Indivdualität  zu erfassen und ihn so, wie er durch keine andere Wirklichkeit ersetzt werden kann, in die Darstellung aufzunehmen. Deshalb kann die Geschichte, soweit ihr letztes Ziel, die Darstellung ihres Objektes in seiner Totalität, in Betracht kommt, sich des generalisierenden Verfahrens nicht bedienen, denn dieses fällt ja mit Nichtbeachtung des Einmaligen als solchen und mit einer Ausscheidung des Individuellen zusammen und führt also zum logischen Gegenteil von dem, was die Geschichte anstrebt. Es ist dabei wiederum zunächst noch ganz gleichgültig, ob das historische Objekt körperlich oder geistig, Kulturprodukt oder Naturvorgang ist, sondern nur darauf kommt es an, daß, wo überhaupt ein geschichtliches  Interesse  an irgendeiner Wirklichkeit vorhanden ist, eine Darstellung des Einmaligen mit einem  individuellen  Inhalt angestrebt wird, da diese allein sich zur Lösung einer geschichtswissenschaftlichen Aufgabe eignet. Das soll nicht heißen, daß die Geschichte ein Abbild der Individualität ihres einmaligen Objektes zu geben versucht, denn das könnte sie ebensowenig erreichen, wie wir in den vorwissenschaftlichen Kenntnissen Abbilder der mit Eigennamen bezeichneten Objekte besitzen. Es soll auch nicht heißen, daß sie ihren Gegenstand in allen seinen  Teilen  individualisierend darstellt, sondern nur die Individualität des Ganzen kommt zunächst in Betracht und diese fällt, wenn wir vom Gedanken eines Abbildes absehen, durchaus nicht mit der Summe der Individualitäten seiner Teile zusammen. Es soll endlich auch nicht geleugnet werden, daß die Geschichte auf dem  Weg  zu ihrem Ziel, also z. B. bei ihren Beweisen für oder gegen die Tatsächlichkeit eines überlieferten Ereignisses, allgemeine Begriffe braucht und generalisiernd verfährt, ebenso wie umgekehrt in den generalisierenden Wissenschaften die Darstellung des Individuellen als Ausgangspunkt für die Bildung allgemeiner Begriffe nicht entbehrt werden kann. Vorläufig soll vielmehr nur der logische Charakter des letzten  Zieles  jeder historischen Darstellung und die diesem Ziel notwendig entsprechende logische Struktur des Ergebnisses zu Bewußtsein gebracht werden. Dieses Ergebnis aber kann als das zur Erreichung des Zieles geeignete Mittel nur aus Begriffen mit  individuellem Inhalt  bestehen.

Sucht man dafür nach Beispielen, so ist es natürlich auch ganz gleichgültig, welcher "Richtung" das geschichtliche Werk angehört, das man ins Auge faßt. Nehmen wir RANKEs "Weltgeschichte" oder TAINEs "Origines de la France contemporaine", TREITSCHKEs "Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert" oder BUCKLEs "Geschichte der Zivilisation in England", SYBELs "Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I." oder BURCKHARDTs "Kultur der Renaissance in Italien", MAX LEHMANNs, SCHARNHORST oder KARL LAMPRECHTs "Deutsche Geschichte", so finden wir überall, wie das den Titeln der Werke, die das historische  Ganze  mit einem  Eigennamen  bezeichnen, entspricht, eine Reihe von Ereignissen so behandelt, wie sie nur  einmal  in der Welt vorgekommen sind und welche Formung ihnen der Historiker auch gegeben haben mag, stets sind sie in ihrer Besonderheit und  Individualität  in die Darstellung aufgenommen. Oder enthält etwa LAMPRECHTs "Deutsche Geschichte", deren Verfasser glaubt, nach einer "neuen Methode" zu arbeiten, als wesentlichen Bestandteil nur das, was an anderen Exemplaren des allgemeinen Gattungsbegriffs einer Nation, also an der Entwicklung des französischen, des englischen, des russischen Volkes ebenfalls zu finden ist und was beliebig oft zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten sich wiederholt hat und sich wiederholen wird? Man braucht nur diese Frage zu stellen, um einzusehen, daß auch ein Historiker, der in der Theorie die "individualistische" Auffassung verwirft und so viel allgemeine Begriffe wie möglich in seiner Darstellung zu bilden sucht, in der Praxis sein Objekt als Ganzes stets individualisierend behandelt.

Andererseit aber ist dieses Verfahren, das zum Wesen jeder geschichtlichen Darstellung gehört, bei keinem Werk dder nicht geschichtlichen Wissenschaften, mögen sie sich mit Körpern oder mit geistigem Leben beschäftigen, angewendet. Man kann freilich, wie es HÖFFDING, den üblichen Einwand gegen diese Theorie umkehrend, getan hat, sagen, es sei das höchste Ziel auch der Naturwissenschaft, den großen  einmaligen  Prozeß zu verstehen, der in unserem Teil des Weltalls vor sich geht und es seien daher alle allgemeinen Gesetze der Naturwissenschaft zuletzt nur als Mittel und Wegen zu betrachten. Man kann das sagen, denn es findet in der Tat in der Natur wie in der Geschichte jede Begebenheit nur einmal statt und es gibt in Wirklichkeit keine Wiederholungen. Der Gesamtgegenstand, in den Naturwissenschaft und Geschichte sich teilen, ist, wie auch RIEHL hervorgehoben hat, individuelle: die einmalige und in einem einzigen Entwicklungsgang begriffene Wirklichkeit. Aber das ist gar kein Einwand gegen die hier vorgetragene Lehre, denn man darf das nicht so verstehen, daß auch die Naturwissenschaft stets das Ziel habe, ihre einmaligen Prozesse, wie die Geschichte es will,  in ihrer Einmaligkeit und Individualität  zu verstehen und sicher ist es daher falsch, daß alle Naturwissenschaften nur  vorläufig  am meisten an der Auffindung der allgemeinen Gesetze arbeiten. Man braucht wieder nur an bestimmte Beispiele zu denken. HELMHOLTZ' Lehre von den Tonempfindungen oder WEISMANNs Keimplasma, LOTZEs medizinische Psychologie oder von BAERs "Entwicklungsgeschichte der Tiere", MAXWELLs "Traktat über Elektrizität und Magnetismus" oder TÖNNIES' "Gemeinschaft und Gesellschaft", alle diese Werke berücksichtigen an ihren Objekten gerade in der endgültigen Darstellung, wie das ebenfalls schon die ausschließlich aus  Gattungsnamen  bestehenden Titel zeigen, nur das, was es gestattet, sie mit anderen Exemplaren desselben Gattungsbegriffes als gleich anzusehen und wovon man daher sagen kann, daß es sich beliebig oft wiederholt. Darin zeigt sich ihr  prinzipieller  logischer Unterschied von der Geschichte, der nie zu einem bloß graduellen werden kann. Daß es nicht nur generalisierende Geisteswissenschaften, sondern auch individualisierende Körperwissenschaften gibt, hat in diesem Zusammenhang gar keine Bedeutung. Uns beschäftigt ja hier noch nicht der Unterschied von Geist und Körper, sondern nur der formale Unterschied der wissenschaftlichen Ziele und der Methoden, soweit sie durch diese Ziele bestimmt sind und den Unterschied, den wir aufgezeigt haben, zu leugnen, wird auch den Fanatikern einer Universalmethode schwer werden. Es ist fast unbegreiflich, daß man hier überhaupt noch streitet. Die Behauptung von der "Einheit der wissenschaftlichen Methode" widerspricht durchaus den Tatsachen. Sie wird erst gelten, wenn die Historiker aufgehört haben, Geschichte zu treiben.

Wir stellen also als den  Ausgangspunkt  einer Logik der Geschichte fest: es gibt nicht nur in unseren vorwissenschaftlichen Kenntnissen zwei prinzipiell verschiedene Wirklichkeitsauffassungen, die generalisierend und die individualisierende, sondern es entsprechen ihnen auch zwei in ihren letzten Zielen und ebenso in ihren letzten Ergebnissen logisch prinzipiell verschiedene Arten der wissenschaftlichen Bearbeitung der Wirklichkeit. Nur dem einen Mißverständnis ist dabei vorzubeugen: selbstverständlich sollen damit nicht zwei Gruppen von Wissenschaften so voneinander getrennt werden, daß dadurch zugleich das Prinzip für die Teilung der wissenschaftlichen Arbeit angegeben wird. Logische  Einteilung  ist nicht wirkliche  Teilung  und zur wirklichen Teilung soll und kann der formale Gegensatz nicht dienen, weil diese nicht an logische, sondern an sachliche Verschiedenheiten des Materials anknüpft. Auch ist es völlig verfehlt, den logischen Wert des Gegensatzes damit zu bekämpfen, daß man sagt, er sei  innerhalb  jeder einzelnen Wissenschaft vorhanden, die logische Einteilung zerreiße daher die wissenschaftliche Arbeit in einer den Tatsachen widerspechenden Weise und wolle trennen, was doch faktisch überall zusammenwirke. Nur um das begriffliche Auseinanderhalten zweier verschiedener Auffassungstendenzen in den Wissenschaften handelt es sich hier, die faktisch sehr oft, ja vielleicht überall zusammenwirken mögen und diese begriffliche Auseinanderhaltung wäre sogar dann notwendig, wenn nicht einmal mit Rücksicht auf ihre letzten Ziele zwei Arten von Wissenschaften dadurch so voneinander geschieden werden könnten, wie wir das gezeigt haben.

Sucht man nach Feststellung des Ausgangspunktes das Wesen des  individualisierenden  Verfahrens nun genauer zu bestimmen, so ist zunächst hervorzuheben, daß die Methode der  Wissenschaft  nicht etwa mit jener individualisierenden Wirklichkeitsauffassung zusammenfällt, die wir in unseren vorwissenschaftlichen Kenntnissen besitzen. Auch bei der generalisierenden Auffassung sprechen wir erst dort von  Methode,  wo die Begriffsbildung im angegebenen Sinne  systematisch  vollzogen wird. Was entspricht in der Geschichte jenem systematischen Zusammenhang von mehr oder minder allgemeinen Begriffen? In der Aufzeigung dieser die Wissenschaftlichkeit der individualisierenden Methode ausmachenden Bestandteile wird die Logik der Geschichte ihre weitere Aufgabe sehen müssen. Hier kann es sich natürlich nur um das Hervorheben einiger Punkte handeln, die in neuerer Zeit zu Streitfragen Veranlassung gegeben haben und die besonders geeignet sind, den Unterschied des individualisierenden Verfahrens vom generalisierenden deutlich zu machen. Wir beginnen mit einer weiteren Erörterung des Begriffs, den wir gleich am Anfang in den Vordergrund gestellt hatten, des Begriffes vom historischen  Ganzen. 

Das vorwissenschaftliche Individualisieren hebt oft die Objekte so aus ihrer Umgebung heraus, daß es sie dadurch gegeneinander abschließt und insofern  vereinzelt.  Das Vereinzelte ist als solches jedoch nicht Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses und nichts ist verkehrter, als die individualisierende Methode mit dem bloßen Zusammenstellen vereinzelter Tatsachen zu identifizieren, wie das von ihren Gegnern getan wird. Alles soll vielmehr von der Geschichte, wie von den generalisierenden Wissenschaften, in einem  Zusammenhang  begriffen werden. Worin aber besteht der  historische  Zusammenhang? Er erstreckt sich von jedem geschichtlichen Objekte aus gewssermaßen nach zwei Dimensionen, die man als Breiten- und Längendimension bezeichnen könnte, das heißt, es gilt erstens, die Beziehungen festzustellen, welche das Objekt mit seiner  Umwelt  verbinden und zweitens, die verschiedenen Stadien, die es von seinem Anfang bis zu seinem Ende durchläuft, in ihrer Verbindung miteinander zu verfolgen, oder, wie man zu sagen pflegt: seine  Entwicklung  kennen zu lernen. Nun ist freilich ein so dargestelltes Objekt selbst wiederum ein Teil einer größeren Umwelt und einer weiter reichenden Entwicklung und von diesem umfassenderen Zusammenhang gilt wiederum dasselbe, so daß eine Reihe in beiden Dimensionen entsteht, die bis an die Grenzen des letzten historischen Ganzen führt. Wo diese Grenze liegt, läßt sich mit den bisher gewonnenen Begriffen noch nicht klar machen. In einer historischen Spezialuntersuchung hängt es von der  Wahl  des Themas ab, wo die Verfolgung des historischen Zusammenhangs aufhört. Hier kommt es vorläufig nur darauf an, den Begriff eines historischen Zusammenhangs überhaupt als den einer in Verbindung mit ihrer Umgebung aufgefaßten  Entwicklungsreihe  von verschiedenen untereinander verbundenen Stadien zu fixieren.

Es ist das umso notwendiger, als sich hieran weit verbreitete Irrtümer über das Wesen der historischen Methode geknüpft haben. Den historischen Zusammenhang kann man im Gegensatz zu den einzelnen Objekten das  Allgemeine  der Geschichte nennen und daraus ist dann die Ansicht entstanden, daß auch die Geschichtswissenschaft generalisierend verfahre. Die Einordnung eines Objektes in seine  Umwelt  ist jedoch, so wie der Historiker sie vornimmt, ein dem Verfahren der generalisierenden Wissenschaften fremder Vorgang. Das "milieu" ist stets individuell und kommt für den Historiker in seiner Individualität in Betracht. Allgemein ist es nur in dem Sinne, daß die ihm eingeordneten einzelnen Individuen seine Teile sind. Daß aber das Verhältnis des Teiles zum Ganzen nicht dasselbe ist wie das des Exemplars zu seinem übergeordneten Gattungsbegriff, sollte keiner Erörterung bedürfen. Trotzdem werden die verschiedenen Arten des "Allgemeinen" vielfach miteinander verwechselt und so sei denn wenigstens auf einen Umstand hingewiesen, um die fundamentale logische Bedeutung dieses Unterschieds klar zu machen. Der Begriff des allgemeinen  Ganzen,  mit dem es die Geschichte zu tun hat, ist im Vergleich zu den Begriffen seiner Teile  inhaltsreicher,  während der allgemeine Begriff der Naturwissenschaft notwendig  inhaltsärmer  ist, als die ihm untergeordneten Exemplare und während der Inhalt eines naturwissenschaftlichen Gattungsbegriffes im allgemeinen mit dem Wachsen seines Umfangs  abnimmt,  wird umgekehrt, ganz im Gegensatz zur bekannten logischen Regel, der Begriffsinhalt eines historischen Ganzen umso  größer  werden, je  mehr  Teile dieses Ganze umfaßt, denn jeder historische Teilbegriff tritt mit seinem Inhalt zum historischen Begriff vom "allgemeinen", das heißt größeren Ganzen hinzu. Gerade weil die Geschichte also das Einzelne stets im "Allgemeinen", das heißt als Glied eines Ganzen zu betrachten hat, muß sie mit Rücksicht auf ihre letzten Ziele zu den individualisierenden Wissenschaften gerechnet werden.

Und genau dasselbe Resultat ergibt sich bei einer Betrachtung der historischen  Entwicklung.  Auch sie ist allgemein nur in dem Sinne, daß sie das ihre Teile umfassende Ganze bildet. Auch ihr Begriff wächst inhaltlich, je mehr Stadien sie umfaßt. Ja, sie bedeutet in der Geschichte stets das Entstehen von etwas  Neuem,  bisher noch nicht Dagewesenem und weil in Gesetzesbegriffe nur das eingeht, was so angesehen werden kann, als ob es sich beliebig oft wiederholt, so schließen die Begriffe der historischen Entwicklung und des Gesetzes einander geradezu aus. Nur die Vieldeutigkeit des Wortes "Entwicklung" ermöglicht es, entwicklungsgeschichtliches mit gesetzeswissenschaftlichem Verfahren zu vereinigen und von "Entwicklungsgesetzen" zu reden, nämlich dort, wo man, wie z. B. in der "entwicklungsgeschichtlichen" Embryologie, Entwicklungsreihen auf das hin ansieht, was sie miteinander gemeinsam haben und wo also das geschichtliche Werden des Neuen in seiner Eigenart gerade  nicht  in Betracht kommen soll, sondern der allgemeine Begriff für mehrere Reihen gebildet wird.

Weil das möglich ist, so darf man andererseits sich auch nicht, wie XÉNOPOL will, auf den bloßen Begriff der Entwicklung oder der "Reihe" beschränken, um das logische Wesen der Geschichte zu bestimmen und so die Reihe als solche schon dem Gesetz entgegenstellen. Es ist richtig, daß historische Objekte stets Reihen sind, aber der Begriff der Reihe ist für eine Definition des Geschichtlichen doch viel zu  weit.  Es gibt ja überhaupt keine Wirklichkeit, die nicht in der Zeit ist, in ihr sich mehr oder weniger verändert, also eine Reihe bildet. Absolut unveränderlich sind nur Begriffe. Jedenfalls:  alle  Reihen lassen sich auch generalisierend, das heißt mit Rücksicht auf das einer Mehrheit von ihnen Gemeinsame betrachten. Also nicht in Entwicklungsreihen überhaupt, sondern einmalige und individuelle Entwicklungsreihen sind Objekt der Geschichte und vollends verkehrt ist es daher, einen Gegensatz von der Art aufzustellen, daß nicht das Individuelle, sondern die Entwicklung der Gegenstand der Geschichte sei. Einen solchen Gegensatz gibt es nicht. Historische Entwicklungen sind vielmehr nichts anderes, als historische Individualitäten in ihrem Werden und Wachsen aufgefaßt und ihre Darstellung ist daher, wie die des Zusammenhangs mit der historischen Umwelt, nur mit einer individualisierenden Methode möglich. Ja, der "allgemeine" historische Zusammenhang ist gar nichts anderes, als das historische Ganze selbst, nicht etwa ein System von allgemeinen Begriffen und gerade dieses Ganze kommt für die Geschichte immer in seiner Besonderheit, Einmaligkeit und Individualität in Betracht.

Fragen wir sodann auch nach der Rollen welche nun wirklich die allgemeinen Begriffe in der Geschichtswissenschaft spielen, so stoßen wir zunächst darauf, daß alle  Elemente  der historischen Urteile und Begriffe allgemein sind. Sie müssen es schon deswegen sein, weil man sie ja stets mit allgemein verständlichen Worten bezeichnet und weil die Worte ihre Verständlichkeit nur dem Umstand verdanken, daß sie eine allgemeine, das heißt für mehrere Objekte gemeinsame Bedeutung haben. Stets also wird die Geschichte mit  allgemeinen  Begriffen von Wirklichkeiten als den letzten Elementen ihrer individuellen Begriffe arbeiten und nur durch eine bestimmte Kombination dieser allgemeinen Elemente ihre individualisierende Darstellung zustande bringen.

Aber damit ist die Bedeutung der Allgemeinbegriffe in der Geschichte noch nicht erschöpft. Sie sind vielmehr gerade auch für die Herstellung des historischen Zusammenhangs unentbehrlich. Die Verknüpfung der verschiedenen Stadien einer historischen Entwicklungsreihe miteinander oder eines geschichtlichen Objektes mit seiner Umwelt ist stets eine  kausale  und die Geschichtswissenschaft hat diese Verhältnisse von Ursache und Wirkung darzustellen, um die Verbindung der Teile mit dem Ganzen zum Ausdruck zu bringen. Nicht selten freilich wird behauptet, die Objekte der historischen Untersuchung oder ein Teil von ihnen seien "freie" Wesen und deshalb habe der Historiker nicht nach den kausalen Zusammenhängen zu fragen. Doch auch wenn wir davon absehen, ob der Begriff der Freiheit überhaupt mit dem der Ursachlosigkeit gleichzusetzen ist und ob das Freiheitsproblem nicht aus der theoretischen Philosophie in die Ethik verwiesen werden sollte, so hat der Begrif der Ursachlosigkeit eines Faktums jedenfalls für eine empirische Wissenschaft keinen Sinn. Auch die Geschichte muß voraussetzen, daß jedes ihrer Objekte die notwendige Wirkung vorangegangener Ereignisse ist und sie hat daher auch nach dem kausalen Zusammenhang zu forschen.

Wir stoßen damit wiederum auf einen Punkt, der zu vielen Streitfragen führen kann. Man hat nämlich eine "kausale Methode" der Geschichte proklamiert, die der Methode der generalisierenden Gesetzeswissenschaften gleichen soll, Das kann man jedoch nur dort für richtig halten, wo man den Begriff der Kausalität mit dem der Gesetzmäßigkeit identifiziert. Freilich, wenn man das tut, dann ist jede Wissenschaft, die nach kausalen Zusammenhängen forscht, also auch die Geschichte, eine Gesetzeswissenschaft, aber zu dieser Identifizierung besteht kein Recht. Kausalverbindungen müssen vielmehr, wenn sie überhaupt empirische Realität besitzen sollen, individuelle Wirklichkeiten sein, denn andere als individuelle empirische Wirklichkeiten gibt es nicht. Gesetze dagegen sind immer allgemein und können daher, wenn sie mehr als Begriffe sein sollen, nur als metaphysische Realitäten gelten. Von metaphysischen Voraussetzungen aber hat sich die Methodenlehre frei zu halten und deshalb darf sie nur  von individuellen Kausalverbindungen  als empirischen  Wirklichkeiten  und von Gesetzen nur als allgemeinem  Begriffen  sprechen. Der Ausdruck "kausale Methode", der heute besonders als Gegensatz zum "teleologischen" Verfahren gebraucht wird, ist ein nichtssagendes Schlagwort, gerade weil  jede  empirische Wissenschaft es mit Kausalzusammenhängen zu tun hat und weil Kausalzusammenhänge als solche noch indifferent gegenüber den Unterschieden der Methoden sind, das heißt wie jede andere empirische Wirklichkeit sowohl eine generalisierende als auch eine individualisierende Auffassung gestatten.

Aber, und damit kommen wir auf die Bedeutung der allgemeinen Begriffe zurück, wenn auch jeder historische Kausalzusammenhang zwischen zwei Stadien einer geschichtlichen Entwicklungsreihe ein Vorgang ist, bei dem durch die Ursache etwas bewirkt wird, was noch niemals da war, so ist doch die  Darstellung  solcher historischer Kausalverknüpfungen nicht allein, wie jede Darstellung des Individuellen, nur mit Begriffselementen möglich, die jedes für sich einen allgemeinen Inhalt haben, und die erst in ihren besonderen Zusammenstellung die Individualität der Wirklichkeit zum Ausdruck bringen, sondern es kommt bei der Darstellung individueller Kausalverbindungen etwas hinzu, was in der Tat den Gebrauch allgemeiner Begriffe noch in einem besonderen Sinne fordert. Der Historiker will nämlich nicht nur die zeitliche Folge von Ursache und Wirkung angeben, sondern auch einen Einblick in die  Notwendigkeit  gewinnen, mit der aus dieser individuellen, nie wiederkehrenden Ursache diese individuelle, nie wiederkehrende Wirkung hervorgeht und dabei ist ein  Umweg  über allgemeine Begriffe von Kausalverhältnissen und eventuell Kausalgesetzen nicht zu vermeiden. Wir haben, so wenig die Kausalverbindung als empirische Wirklichkeit allgemein genannt werden darf, zum wissenschaftlichen  Ausdruck  ihrer Notwendigkeit nur das räumliche und zeitliche "Schema" des überall und immer und dadurch verknüpft sich mit der wissenschaftlichen Darstellung auch der individuellen kausalen Notwendigkeit stets die Bildung eines  allgemeinen  Begriffs oder, wo das erreichbar ist, eines allgemeinen Kausalgesetzes, ein Umstand, der zugleich die übliche Verwechslung von Gesetz und Kausalität erklären kann. Das zwingt auch die Geschichte, wenn sie zwischen einer individuellen Ursache und ihrer individuellen Wirkung eine Brücke schlagen will, daß sich der Kausalzusammenhang als notwendig begreifen läßt, allgemeine Begriffe von Kausalverbindungen zu gebrauchen.

Wie die Geschichte dabei im einzelnen verfährt, bedarf eingehender Untersuchung. Hier sei nur schematisch das Prinzip angedeutet. Sie kann ihr Ziel dadurch erreichen, daß sie den Begriff des individuellen Objektes, das als notwendiger Effekt begriffen werden soll, in seine stets allgemeinen Elemente zerlegt, diese Elemente dann mit ebenfalls allgemeinen Elementen des Begriffs der individuellen Ursache verbindet, so daß jede dieser Verbindungen von allgemeinen Begriffselementen den notwendigen kausalen Zusammenhang der unter sie fallenden Wirklichkeiten zum Ausdruck bringt. Ist dies geschehen, so schließt die Geschichte die für sich betrachtet allgemeinen Elemente des Begriffs der Ursache zu einem die Individualität dieser Ursache darstellenden Begriff wieder zusammen und hat dann auf dem Umweg über die allgemeinen Kausalbegriffe eine wissenschaftliche Einsicht in die notwendige Verbindung der individuellen historischen Ursache mit der individuellen historischen Wirkung gewonnen. Selbstverständlich ist hiemit nur ein formales logisches Ideal aufgestellt, dessen Verwirklichung überall dort nur teilweise sich erreichen läßt, wo es nicht gelingt, alle Elemente des Effektbegriffs Elementen von Ursachbegriffen kausal zuzuordnen und deswegen wird ein kausal unableitbarer Rest aus den historischen Darstellungen wohl nur selten verschwinden. In solchen Fällen spricht man dann auch von Freiheit, aber doch nur deshalb, weil die Einsicht in die kausale Notwendigkeit fehlt.

Welche Mittel die Geschichte besitzt, um die Notwendigkeit einer historischen Kausalverknüpfung möglichst vollständig zu begreifen und in welches Verhältnis sie dabei zu den generalisierenden Wissenschaften tritt, soll hier nicht näher erörtert werden. Es ist schon jetzt klar, daß auch für den Historiker die Kenntnis von Kausalgesetzen Bedeutung gewinnen muß und daß dadurch das individualisierende Verfahren mit dem generalisierenden innerhalb der Geschichtswissenschaft auf das engste verknüpft sein kann, ein Umstand, der es erklärt, daß man die Geschichte selbst zu einer Gesetzeswissenschaft machen möchte. Es ist aber ebenso klar, daß durch diese Bedeutung der Gesetzesbegriffe an den letzten  Zielen  der Geschichte und an der logischen Struktur ihrer Methode, soweit sie durch diese Ziele bestimmt ist, also besonders an der Struktur ihrer endgültigen Darstellung nichts geändert wird. Die Produkte des generalisierenden Denkens sind dür sie eben immer nur Umwege und dienen, ebenso wie die allgemeinen Elemente der historischen Begriffe überhaupt, einer Darstellung, die das historische Ganze individualisierend auffassen will.

Doch auch mit einer Darlegung aller der Fälle, in denen das generalisierende Verfahren nur Umweg zu einer individualisierenden Darstellung ist, würde die Bedeutung, welche die allgemeinen Begriffe in der Geschichte haben, noch nicht erschöpft sein. Nur das historisch  Ganze  kommt stets mit Rücksicht auf seine Einmaligkeit und Individualität in Betracht, nichta ber auch alle seine  Teile.  Viele von ihnen werden durch die Geschichte überhaupt nicht dargestellt, wenn sie nämlich für die Individualität des Ganzen keine Bedeutung haben und auch die Mehrzahl der dargestellten Teile wird nur unter allgemeine Gruppenbegriffe zusammengefaßt. Ja, man kann behaupten, daß Begriffe von Teilobjekten, die nur Einmaliges und Individuelles enthalten, in einer historischen Darstellung gar nicht vorzukommen brauchen und daß also lediglich Gruppenbegriffe in ihr gebildet werden, die das einer Mehrheit von Objekten Gemeinsame enthalten. Solche Gruppenbegriffe müssen dort entstehen, wo der Historiker von den Ereignissen, die er darstellt, nicht genug weiß, um bis zu ihrer Individualität vorzudringen und er sich daher mit einem allgemeinen Begriff zu begnügen genötigt ist. In sehr vielen und eventuell auch in allen Fällen aber  will  der Historiker in der Tat nur einen Gruppenbegriff bilden und dann scheint er auch mit Rücksicht auf sein Ziel generalisierend zu verfahren.

Im Anschluß hieran läßt sich wieder eine vielbehandelte Streitfrage verstehen. Man hat nämlich gemeint, es sei zwar richtig, daß die "alte Richtung" in der Geschichtsschreibung "individualistisch" sei, aber nur deswegen, weil sie zuviel Wert auf die politischen oder anderen Ereignisse und damit auf einzelne Personen lege. Die "neue" Richtung müsse, um nicht an der Oberfläche zu bleiben, sich weniger mit den politischen Aktionen einzelner Persönlichkeiten als vielmehr mit den  Massenbewegungen  beschäftigen und dadurch zum eigentlichen "Wesen" der Kulturentwicklung vordringen. Deshalb stellt man der alten "individualistischen" Methode eine neue "kollektivistische" Methode entgegen und preist diese, eben weil sie nur allgemeine Begriffe bildet, als die einzig wissenschaftliche, in den Naturwissenschaften auch längst angewendete, neue Methode der Geschichte.

Nehmen wir, um die logische Bedeutung dieser Ansicht zu verstehen, einmal an, es sei richtig, daß der Historiker mit Gruppenbegriffen allein auskomme; denn logisch widersinnig wie die Behauptung, daß die Geschichte ein System allgemeiner Begriffe zu bilden habe, ist dieser Satz ja nicht und denken wir uns z. B. eine Darstellung der französischen Revolution, die nur Massenbewegungen berücksichtigt, weil das, was die einzelnen Personen dabei getan haben, als unwesentlich erscheint. Würde man dann auch sagen können, daß die Geschichte nun wirklich nach der neuen Methode nicht nur kollektivistisch, sondern auch generalisierend verfahre, wie eine Naturwissenschaft? So selbstverständlich diese Meinung den Vertretern der neuen Methode erscheint, so falsch ist sie; denn - dieser Grund ist immer wieder maßgebend - es sind ja eben nur die  Teile  des Ganzen, die sich unter allgemeine Begriffe bringen lassen. Das Ganze selbst kommt auch für eine kollektivistisch verfahrende Geschichte stets in seiner Einmalikgiet und Individualität in Betracht und auch die allgemeinen Gruppenbegriffe müssen daher so gebildet sein, daß sie sich zur Darstellung der Individualität des Ganzen eignen. Von generalisierender Methode dürfte man nur dann sprechen, wenn mit den Gruppenbegriffen irgendeine beliebige Revolution und nicht, wie wir voraussetzten und, solange die Darstellung Geschichte ist, voraussetzen müssen, vielmehr diese eine bestimmte französische Revolution dargestellt werden soll, die im Jahre 1789 begann usw. Die Gegenüberstellung einer "individualistischen" und einer "kollkektivistischen"  Methode  ist daher irreführend. Mehr oder weniger kollektivistisch, das heißt Gruppenbegriffe bildend, verfahren alle Historiker und haben es immer getan. Der Umstand, daß heute mancher möglichst viel mit allgemeinen Schlagwörtern von Zeitaltern und Massenbewegungen arbeitet, nur noch von sozialpsychologischen Faktoren redet und alle "Individualpsychologie" (die übrigens mit der "indidivualistischen" Geschichtsauffassung nur von Dilettanten in Verbindung gebracht werden kann) für unbrauchbar erklärt, um sich und anderen vorzumachen, als verfahre er "naturwissenschaftlich", gestaltet daher vielleicht die Geschichte verschwommen und unbestimmt oder führt wegen Vernachlässigung der wesentlichen Persönlichkeiten zu direkter Fälschung der Tatsachen, kann aber am individualisierenden Charakter der historischen Methode nicht das geringste ändern.

Ja, wir müssen noch einen Schritt weiter gehen. Auch die allgemeinen Gruppenbegriffe der Geschichte sind, obwohl sie nur das einer Mehrheit von Objekten Gemeinsame enthalten, doch nicht Allgemeinbegriffe in dem Sinne, wie eine systematisch verfahrende, generalisierende Wissenschaft sie bildet. Nur dann nämlich kann sich der Historiker mit einem Gruppenbegriff begnügen, wenn darin zugleich schon die im historischen Zusammenhang für ihn bedeutsame Individualität aller Glieder dieser Gruppe enthalten ist. Das Ziel also, mit Rücksicht auf welches die historischen Gruppenbegriffe gebildet sind, ist nicht eine Verallgemeinerung von der Art, wie die generalisierenden Wissenschaften sie vollziehen, sondern Darstellung der  Gruppenindividualität.  Auch diese in gewisser Hinsicht allgemeinen Begriffe sind stets Produkte eines individualisierenden Verfahrens insofern, als das Prinzip, welches ihre Bestandteile bestimmt, sich nur aus den Zielen der individualisierenden Geschichte verstehen läßt. Man wird sie daher auch als  individualisierende Kollektivbegriffe  bezeichnen können, um sie sowohl von den in den generalisierenden Wissenschaften angestrebten Kollektivbegriffen als auch von den in der Geschichte als Umwege verwendeten Allgemeinbegriffen zu unterscheiden.

Doch diese Unterscheidung klingt vielleicht so lange etwas spitzfindig, als nicht noch eine andere Seite der historischen Methode erörtert worden ist. Es reicht nämlich nicht nur der Begriff der "Reihe", sondern auch der der einmaligen Reihe zur Bestimmung des Historischen nicht aus. Um das klar zu machen, braucht man nur die Aufmerksamkeit wieder auf den bereits erwähnten Umstand zu lenken, daß, weil alles Wirkliche individuell und unübersehbar mannigfaltig ist, die indivdualisierende Auffassung nicht die  ganze  individuelle Mannigfaltigkeit einer Wirklichkeit berücksichtigen kann, sondern daß der Historiker in seiner Darstellung die Wirklichkeit stets vereinfachen muß. Man wird hiergegen hoffentlich nicht den Einwand erheben, daß die Geschichte in den meisten Fällen von den Vorgängen, die sie darstellen will,  weniger  weiß, als sie wissen möchte und damß man ihr also nicht die Aufgabe stellen könne, ihr Material noch zu vereinfachen. Um die Vereinfachung  dieses  Materials, das heißt der "Quellen", handelt es sich hier nicht; denn seine Vollständigkeit oder Unvollständigkeit ist logisch zufällig und daher in diesem Zusammenhang ganz gleichgültig. Nur von der Einfachheit, die der Inhalt der historischen Begriffe im Vergleich zur Mannigfaltigkeit der historischen  Vorgänge selbst  besitzt, ist hier die Rede. An diesen Vorgängen ist nicht alles geschichtlich, was wir von ihnen wissen könnten und deswegen wird der Historiker stets eine Auswahl des für ihn Wesentlichen aus dem Inhalt seiner Objekte treffen. In der Geschichtswissenschaft aber muß dieser Auswahl und Umbildung ein  Prinzip  zugrunde liegen und erst dessen ausdrückliche Klarstelung wird daher die Einsicht in das logische Wesen der geschichtlichen Methode vollenden.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Geschichtsphilosophie, Philosophische Abhandlungen, Festschrift für Christoph Sigwart, Tübingen 1900