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Das Elend der subjektiven Werttheorie [ 1 / 3 ]
Einleitung Die bürgerliche Nationalökonomie nach Marx Deutschland, die Wiege der "historischen Schule", war, im Vergleich zu England, rückständig und in der Hauptsache ein Agrarland. Die emporkommende deutsche Industrie litt ganz empfindlich unter der englischen Konkurrenz, insbesondere litt darunter die Schwerindustrie Deutschlands. Bedurfte auf diese Weise die englische Bourgeoisie keiner besonderen Betonung der nationalen Besonderheiten, so war es für die deutsche Bourgeoisie umgekehrt notwendig, doppelte Aufmerksamkeit eben der Eigenart und Selbständigkeit der deutschen Entwicklung zu widmen, mit ihnen theoretisch die Notwendigkeit der "Erziehungszölle" zu beweisen. Das theoretische Interesse konzentrierte sich eben auf die Klarstellung des historisch Konkreten und national Beschränkten; in der Theorie vollzog sich die Auswahl und das Hervorheben gerade dieser Seiten des wirtschaftlichen Lebens. Vom soziologischen Standpunkt aus betrachtet, war die historische Schule der ideologische Ausdruck dieses Wachstumsprozesses der deutschen Bourgeoisie, die die englische Konkurrenz fürchtete, deshalb den Schutz der nationalen Industrie forderte und daher die nationalen und historischen Besonderheiten Deutschlands und später - verallgemeinernd - auch die der anderen Länder, in den Vordergrund schob. Vom sozialgenetischen Standpunkt aus ist sowohl die klassische wie die historische Schule "national", da die eine wie die andere Richtung Produkt einer historisch und territorial beschränkten Entwicklung ist; vom logischen Standpunkt aus aber sind die Klassiker "kosmopolitisch", die Historiker "national". So war die deutsche Schutzzollbewegung die Wiege der historischen Schule. In ihrer weiteren Entwicklung brachte sie eine ganze Reihe Schattierungen hervor, deren wichtigste Richtung, mit GUSTAV SCHMOLLER an der Spitze (die sogenannte "jüngere historische" oder "historisch-ethische" Schule) eine agrar- konservative Färbung annahm. Die Idealisierung der Übergangsform in der Produktion, insbesondere der "patriarchalischen" Verhältnisse zwischen den Agrariern und Landarbeitern, die Furcht vor der "Proletarier-Seuche" und der "roten Gefahr" stellen diese "objektiven" Professoren ständig bloß und zeigen die sozialen Wurzeln ihrer "reinen Wissenschaft". Aus dieser soziologischen Charakteristik ergibt sich nun auch die entsprechende logische Charakteristik der historischen Schule. (5) Von der logischen Seite her sind die "Historiker" vor allem durch ihre negative Stellung zur abstrakten Theorie charakterisiert. Gegenüber derartigen Untersuchungen empfanden sie eine tiefe Abscheu; jede Möglichkeit, derartige Untersuchungen zu unternehmen, wurde ohne weiteres bezweifelt, mitunter überhaupt in Abrede gestellt; das Wort "abstrakt" bedeutete im Munde dieser Gelehrten "unsinnig"; manche dieser Gelehrten verhielten sich skeptisch sogar gegenüber dem wichtigsten Begriff jeder Wissenschaft - nämlich dem des "Gesetzes" - höchstens, daß sie nur die sogenannten "empirischen" Gesetze anerkannten, die mit Hilfe historisch-wirtschaftlicher und statistischer Forschungen aufgestellt werden. (6) Und so bildete sich ein enger Empirismus aus, der vor jeglicher Verallgemeinerung zurückschreckte. Die extremen Vertreter dieser Schule machten die Sammlung von konkret-historischem Material zu ihrer Losung und verschoben die verallgemeinernde theoretische Arbeit auf unbestimmte Zeit. So charakterisiert SCHMOLLER, dieses anerkannte Haupt der historischen Schule, die "jüngere Generation" wie folgt: "Der Unterschied der jüngeren historischen Schule von ihm (d. h. ROSCHER - N. B.) ist der, daß sie weniger rasch generalisieren will, daß sie ein viel stärkeres Bedürfnis empfindet, von der polyhistorischen Datensammlung zur Spezialuntersuchung der einzelnen Epochen, Völker und Wirtschaftszustände überzugehen. Sie verlangt zunächst wirtschaftliche Monographien. Sie will lieber zunächst den Werdegang der einzelnen Wirtschaftsinstitutionen als den der ganzen Volkswirtschaft und der universellen Weltwirtschaft erklären. Sie knüpft an die strenge Methode rechtsgeschichtlicher Forschung an, sucht aber durch Reisen und eigenes Befragen das Bücherwissen zu ergänzen, die philosophische und psychologische Forschung heranzuziehen." (GUSTAV SCHMOLLER, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Leipzig 1908, Seite 119) Diese prinzipiell feindselige Stellung gegenüber jeder abstrakten Methode ist auch jetzt noch in Deutschland tonangebend. Noch im Jahre 1908 erklärte derselbe SCHMOLLER: "Wir stecken noch vielfach in der Vorbereitung und der Materialsammlung." (7) Im Zusammenhang mit der Forderung nach Konkretem steht auch eine andere Besonderheit der "historischen" Richtung: das sozial-wirtschaftliche Leben wird von ihr ganz und gar nicht von den anderen Seiten des Lebensprozesses getrennt, besonders nicht von Recht und Sitte, trotzdem die Ziele der Erkenntnis eine derartige Trennung durchaus notwendig machen. (8) Dieser Gesichtspunkt ist eben das Ergebnis der Abneigung gegen jede Abstraktion; - ist doch in der Tat der Lebensprozeß der Gesellschaft ein einheitlicher Strom, existiert doch in Wirklichkeit nur eine Geschichte und nicht etwa mehrere Geschichten der Wirtschaft, des Rechts, der Sitte usw. Erst die wissenschaftliche Abstraktion zerlegt das an sich einheitliche Leben in Teile, indem sie künstlich verschiedene Erscheinungsreihen hervorhebt und nach bestimmten Merkmalen gruppiert. Logischerweise müßte deshalb derjenige, der gegen die Abstraktion ist, auch gegen die Trennung der Wirtschaft von Recht und Sittlichkeit sein. Doch ein derartiger Standpunkt ware natürlich vollkommen unhaltbar. Es ist richtig, daß das soziale Leben eine Einheit bildet; doch darf man nicht vergessen, daß ohne Abstraktion überhaupt keine Erkenntnis möglich ist: schon der Begriff als solcher ist eine Abstraktion vom "Konkreten"; ebenso setzt jede Beschreibung eine gewisse Auswahl von Erscheinungen nach Merkmalen, die man aus irgendeinem Grund für wichtig hält, voraus, und so ist die Abstraktion ein nur notwendiges Attribut der Erkenntnistätigkeit; sie wird erst dann und nur dann unzulässig, wenn das Abstrahieren von konkreten Merkmalen die Abstraktion selbst völlig leer, d. h. für die Erkenntnis nutzlos macht. Die Erkenntnis erfordert die Zergliederung des einheitlichen Lebensprozesses. Dieser ist ansich so kompliziert, daß er zu seiner Erforschung in mehrere einzelne Erscheinungsreihen zerlegt werden muß. Wohin würde auch die Erforschung der Wirtschaft führen, wenn man z. B. versucht hätte, gleichzeitig Elemente in diese Forschung aufzunehmen, die den Gegenstand der philologischen Wissenschaft bilden - unter Berufung darauf, daß die Wirtschaft eben von Menschen gestaltet wird, die doch durch die Sprache miteinander verbunden sind? Es ist doch klar, daß jede gegebene Wissenschaft die Ergebnisse einer anderen benutzen darf, insofern diese zur Erforschung des betreffenden Gegenstandes der Wissenschaft beitragen können; dabei müssen jedoch diese fremden Elemente selbst vom Standpunkt gerade dieser Wissenschaft aus betrachtet werden; sie sind lediglich Hilfsmittel, sonst nichts. Und so führt das Anhäufen von verschiedenartigem Material eher zur Erschwerung als zur Erleichterung der Erkenntnis. Hinzu kommt noch, daß die "psychologisch-sittliche Betrachtung" der "jüngeren Historiker" die Form moralischer Wertschätzungen und Belehrungen angenommen haben. In die Wissenschaft, deren Aufgabe es ist, die kausalen Beziehungen aufzudecken, wird das nicht zur Sache gehörende Element der ethischen Normen hineingebracht; daher der Name dieser Schule: "historisch-ethisch". (9) Als das Ergebnis der Tätigkeit der historischen Schule erschien eine Anzahl von beschreibend-historischen Arbeiten: die Geschichte der Preise, des Arbeitslohns, des Kredits, des Geldes usw.; doch dadurch kam die Theorie des Preises und des Wertes, die Theorie des Arbeitslohns, der Geldzirkulation auch nicht um einen Schritt weiter. Es muß für jeden klar sein, daß es sich hier um zwei gänzlich verschiedene Dinge handelt. "Eine Sache ist die Statistik der Preise auf den Märkten von Hamburg oder London während der letzten dreißig Jahre und eine andere - eine allgemeine Wert- und Preistheorie, wie sie in den Arbeiten von GALIANI, CONDILLAC, RICARDO enthalten ist." (10) Gerade die Negation einer "allgemeinen Theorie" bedeutet die Negation der politischen Ökonomie als einer selbständigen theoretischen Disziplin, bedeutet deren Bankrotterklärung. Die Wissenschaft im allgemeinen kann überhaupt zwei Ziele verfolgen: entweder sie beschreibt das, was zu einer gewissen Zeit und an einem bestimmten Ort wirklich war oder sie versucht, die Gesetze der Erscheinungen abzuleiten, die sich durch die Formel ausdrücken lassen: wenn A, B, C da sind, muß auch D eintreten. Im ersten Fall weist die Wissenschaft einen ideographischen, im zweiten - einen nomologischen Charakter auf. (11) Es ist klar, daß die Theorie der politischen Ökonomie zum zweiten Typus der Wissenschaften gehört; sie verfolgt vor allem nomologische Aufgaben der Erkenntnis. Da aber die historische Schule es verschmäht, allgemeine Gesetze abzuleiten, vernichtet sie im Grunde genommen die politische Ökonomie als Wissenschaft schlechthin und ersetzt sich durch "reine Beschreibung" ideographischer Art, sie läßt sie in der Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsstatistik, dieser idiographischen Wissenschaft par excellence, aufgehen. Es war ihr versagt, ihre einzig richtige Idee, den Entwicklungsgedanken, in den Rahmen der theoretischen Forschung aufzunehmen und so erwies sie sich, gleich dem biblischen Feigenbaum, als unfruchtbar. Ihre positive Bedeutung besteht ausschließlich in der Materialsammlung für die theoretische Betrachtung und in diesem Sinne bilden die Arbeiten der historischen Schule etwas sehr Wertvolles. Es genügt, hier nur auf die hervorragenden Arbeiten hinzuweisen, die der "Verein für Sozialpolitik" über das Handwerk, den Kleinhandel sowie über das landwirtschaftliche Proletariat veröffentlicht hat. (12) ![]()
1) In diesem Zusammenhang ist das Werk RUDOLF HILFERDINGs "Das Finanzkapital" sehr hilfreich. 2) Der Erfolg der "neuen" Theorien wurzelt somit in den veränderten Verhältnissen der sozialen Psychologie und keineswegs in der logischen Vollkommenheit dieser Theorien. Eine der Ursachen der Abneigung gegen die Arbeitswerttheorie seitens der Bourgeoisie besteht sicherlich in ihrer Abneigung gegen den Sozialismus. BÖHM-BAWERK gibt das zum Teil selber zu, indem er schreibt: "Zwar hat, wie ich glaube, die Arbeitswerttheorie zunächt noch durch einige Jahre, im Zusammenhang mit der Ausbreitung der sozialistischen Ideen, eher an Ausbreitung gewonnen, in der jüngsten Zeit aber in den theoretischen Kreisen aller Länder entschieden an Terrain verloren und zwar hauptsächlich zugunsten der immer mehr zum Durchbruch gelangenden Theorie des Grenznutzens." - BÖHM-BAWERK, Kapital und Kapitalzins I, 2. Auflage, Seite 444, Anm. 3) Unter Kosmopolitismus versteht KNIES die Anschauung der Klassiker, daß die volkswirtschaftlichen Gesetze für jedes Land und Volk die gleichen sind; unter Perpetualismus - die analoge Anschauung der klassischen Schule in bezug auf die verschiedenen historischen Epochen - siehe KNIES, Die politische Ökonomie vom geschichtlichen Standpunkt, 1883, Seite 24 4) Als erster Theoretiker der historischen Schule kann FRIEDRICH LIST betrachtet werden, der eine protektionistische Politik forderte. Siehe "Das nationale System der politischen Ökonomie", 1841 5) So zählt z. B. A. MICHAILOWSKY die "Taten" Professor SCHMOLLERs auf: "Er war bestrebt, die Einführung der staatlichen Arbeiterversicherung aufzuschieben, er war gegen die Ausdehnung der Arbeiterschutzgesetzgebung auf die Arbeiter in ländlichen und handwerksmäßigen Betrieben ... Er hielt es für angebracht, das Strafgesetz bei einer Verletzung von Arbeitsverträgen auf die landwirtschaftlichen Arbeiter anzuwenden, er war gegen die Rechtsfähigkeit der Gewerkschaften und Arbeitervereien, er war für das Sozialistengesetz ..." (Die philosophischen, historischen und theoretischen Grundlagen der politischen Ökonomie des XIX. Jahrhundert, Jurjew 1909, Seite 578 6) Einer der gemäßigsten Vertreter der historischen Schule, NEUMANN, meint z. B., daß "die Möglichkeit exakter Gesetze auf wirtschaftlichem Gebiet ausgeschlossen ist" (Naturgesetz und Wirtschaftsgesetz, Zeitschrift für die gesamte Sozialwissenschaft, 1892, Jhg. 48, Seite 435) über den Begriff des "Typischen" äußert sich derselbe Autor: "Dort (d. h. in den Naturwissenschaften - N. B.) besteht Typisches, aus dem wieder Typisches hervorgehen und als Typisches erforscht werden kann. Hier (in den Gesellschaftswissenschaften - N. B.) soll das Wort Typisches gedacht, d. h. fingiert werden." (a. a. O. Seite 442) 7) GUSTAV SCHMOLLER, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Leipzig 1908, Seite 123 8) SCHMOLLER hebt drei "Grundgedanken" der historischen Schule hervor: "1. Die Anerkennung des Entwicklungsgedankens... 2. eine psychologisch-sittliche Betrachtung ... 3. ein kritisches Verhalten gegenüber der individualistischen Naturlehre wie gegen den Sozialismus" (Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Leipzig 1908, Seite 123). 9) Sehr treffend bemerkt hierzu H. DIETZEL: "Genau ebenso gut wie von einer "ethischen" Wirtschafts theorie oder Wirtschafts geschichte, könnte man von einer "ethischen" Anthropologie, Physiologie usw. sprechen" (Theoretische Sozialökonomie, Seite 31). Vgl. auch E. SAX: "Das Wesen und die Aufgaben der Nationalöknomie", Wien 1884, Seite 53. Ebenso verspottet auch LÉON WALRAS die "Moral" in der Theorie und vergleicht dieses Verfahren mit dem Versuch "spiritualiser la géometrie". (LÉON WALRAS, Etudés d'économie sociale. Theorie de la repartition de la richesse sociale, Lausanne-Paris 1896, Seite 40) 10) LUIGI COSSA, Introduzione allo Studio dell' Economica Politica, Milano 1892, Seite 15 11) Die Terminologie stammt von A. A. TSCHUPROW dem Jüngeren, siehe seine "Grundzüge einer Theorie der Statistik", St. Petersburg 1909. In etwas anderer Bedeutung werden diese Termini bei RICKERT und WINDELBAND gebraucht. 12) Besonders eingehend ist das Handwerk untersucht worden. Den Grund dafür finden wir in einer Erläuterung von SCHMOLLER: "Nur die Erhaltung eines ... Mittelstandes kann ... uns davor bewahren, in letzter Instanz einer politischen Entwicklung entgegenzugehen, die in einer abwechselnden Herrschaft der Geldinteressen und des vierten Standes bestehen wird ... nur sie (die soziale Reform - N. B.) erhält die Aristokratie der Bildung und des Geistes an der Spitze des Staates" (GUSTAV SCHMOLLER, Über einige Grundfragen der Sozialpolitik und der Volkswirtschaftslehre", Leipzig 1898, Seite 5 und 6 |