tb-3Rapoport - A.B. Johnson    
 
LARS GUSTAFSSON
Alexander Bryan Johnson
Die Sprache schafft Scheinprobleme
- I I -

"Die taktile Rundheit eines Gegenstands hat nichts mit der visuellen Rundheit eben dieses Gegenstands gemeinsam, was über den  Namen  hinausginge."

Über den schon genannten Unterschied hinaus - daß nämlich JOHNSON Verfechter einer sehr viel größeren Unabhängigkeit zwischen den Sinnesempfindungen ist - besteht ein weiterer Unterschied zu den schottischen Common-Sense-Philosophen darin, daß sich JOHNSON erkenntnistheoretischen Fragen viel mehr auf linguistischem Weg nähert.
"Dies steht mit dem allgemein gewonnenen Eindruck, daß die Sinne trügerisch sind. Wenn wir einen Stock ins Wasser halten, aber einen Teil nicht eintauchen lassen, dann erscheint der Stock krumm, was - wie wir gelernt haben - eine Sinnestäuschung ist: denn der Stock ist gerade.  Krumm  bezeichnet angeblich nur eine Existenz, in Wirklichkeit aber bezeichnet er zwei, einen Anblick und ein Gefühl. Der krumme Anblick ist mit dem Gefühl nicht identisch, außer dem Namen nach, wodurch wir beide durcheinander werfen.

Wahr ist, daß sie im allgemeinen miteinander verbunden sind, aber wenn wir daraus folgern, daß sie identisch seien, oder sogar, daß sie nie getrennt existierten, müssen wir das unserem Mangel an Erfahrung zuschreiben. Die Sinne selber hätten uns immer gelehrt, daß der krumme Anblick von einem Gefühl trennbar ist, wenn wir einen Stock ins Wasser geworfen hätten. Sie sind in diesem Fall nicht mehr für unsere irrigen Schlußfolgerungen verantwortlich, wie sie es aber wären, wenn wir glaubten - weil wir noch nie einen anderen schwarzen Gegenstand gesehen hätten als einen, der unsere Hände verfärbt -, daß die Verfärbung eine notwendige Folge der Schwärze sei, wie ich das bei Kindern erlebt habe."
Es ist nicht möglich, daß ein und derselbe Stab gleichzeitig krumm und gerade ist. Wenn eine Sinnesempfindung den Eindruck erweckt, daß ein Stab gerade sei, und eine andere gleichzeitige Sinnesempfindung, daß er krumm sei, muß - so haben eine Reihe Philosophen argumentiert - zumindest eine dieser Sinnesempfindungen von Dingen nicht unmittelbar selber mit Dingen gleichsetzen.

JOHNSONs semantische Alternative zu seiner Sinnesdaten-Theorie zielt darauf ab, das Problem durch die Erklärung zu lösen, die Erscheinung, daß ein Stab gleichzeitig krumm und gerade erscheint, sei kein Widerspruch, sondern durch eine  Vieldeutigkeit  des Wortes "krumm" verursacht worden. Visuell existiert ein gebrochener Stab und taktil ein gerader Stab, und was das Auge als gebrochen empfindet, schließt die taktile Empfindung von Gradheit nicht aus.

Oder, mit anderen Worten, wir haben es mit  zwei  Stäben zu tun, einem visuellen und einem taktilen. JOHNSONs Vorschlag ist interessant, da er die Möglichkeit zeigt, wie gewisse klassische erkenntnistheoretische Aporien umgangen werden können, ohne "Dinge an sich" hinter den Empfindungen zu postulieren.

Wörter, sagt JOHNSON, die sich auf innere Gefühle beziehen, sind alle den Interpretationsregeln unterworfen, die wir schon auf die äußeren Empfindungen angewendet haben. Das bedeutet mit anderen Worten, daß Emotionen nichts anderes als Sensationen oder Empfindungen sind, die wir in unseren eigenen Organismus verlegen. Genaus so, als wenn es um sprachliche Ausdrücke für Dinge der Außenwelt geht, kann ein Ausdruck für eine Emotion eine Vorstellung von Einheitlichkeit oder Einfachheit erwecken, die die wirkliche Empfindung, auf die der Ausdruck sich bezieht, nicht besitzt.

JOHNSONs wenig poetisches Beispiel bezieht sich auf einen Vergleich zwischen der Vieldeutigkeit des Wortes "Fisch" in seiner Zuordnung (Referenz) zu verschiedenen Empfindungen und des Wortes "Liebe", das in derselben Weise sich auf eine Reihe verschiedener  emotionaler Empfindungen  beziehen kann.

Irgendeinen Erklärungsversuch, weshalb wir gewisse Wahrnehmungen, z.B. taktile Warhnehmungen von Härte, außer uns selbst verlegen, dagegen andere, z.B. solche, die mit "Sorge" zusammenhängen, in uns hinein, unternimmt JOHNSON nicht, obgleich das offensichtlich Aufgabe seiner Emotionstheorie hätte sein müssen. Dagegen behauptet er, daß innere Empfindungen, also Emotionen, von Natur aus weniger spezifisch sind als Wahrnehmungen, die wir mit der Außenwelt verbinden.

Wir kommen nun zur Wissenschaftstheorie, einem Gebiet, das einige der fruchtbarsten Ideen JOHNSONs enthält. Denn auf diesem Gebiet gibt seine Lehre von der Natur der universellen Negation, seine Lehre von sinnlich wahrnehmbaren und von verbalen Bedeutungen und seine Lehre von nur begrifflich bestehenden Einheiten und Homogenitäten, Anlaß zu Betrachtungen, die klar operationalistische Strömungen des 19.Jahrhunderts, vor allem Theorien ERNST MACHs und P. W. BRIDGMANs, vorwegnehmen.

Wir haben schon festgestellt, daß nach seiner Auffassung die taktile Rundheit eines Gegenstands nichts mit der visuellen Rundheit eben dieses Gegenstands gemeinsam hat, was über den  Namen  hinausginge.

Rundheit als eine gemeinsame abstrakte  Form,  die der taktile Eindruck mit dem visuellen gemeinsam hat, wird genau wie alle anderen abstrakten Eigenschaften, z.B. Strukturgleichheiten, auf einen gemeinsamen  Namen  reduziert, der sich an verschiedenen Stellen einer Skala mit zunehmender Vieldeutigkeit befinden kann.

Indem er Erkenntnis in einem extrem nominalistischen Geist mit RUSSELLs "aquaintance" identifiziert, d.h. mit einzelnen und unmittelbaren Wahrnehmungsinhalten, erscheint JOHNSON dem Zauberer - der Lieblingsfigur aller Philosophen - nicht unähnlich, der vor der Vorstellung ein Kaninchen in den Hut schmuggelt und es dann vor dem erstaunten Zuschauer wieder herausgeholt.

Der erste Schritt, der der Situation des Zauberers entspricht, bevor er die Bühne betritt, besteht darin, als  Erkenntnis  nur spezifische individuelle Eigenschaften zu erlauben, die Wahrnehmungsinhalte sind.

Der zweite Teil, der unter den Augen der Öffentlichkeit stattfindet, besteht in der Frage, wie die Sprache (in abstracto) anders, als uns von neuem auf unsere individuellen und spezifischen Sinnesempfindungen zurückzuverweisen, Erkenntnisse über den Teil der Wirklichkeit vermitteln kann, der nicht Sprache ist.

Da das Rot, das ich sehe, sich nie als identisch mit dem Rot herausstellen kann, das Du siehst, muß die Antwort darin bestehen, daß beide Erlebnisse von Rot eine abstraktere und allgemeinere Eigenschaft gemeinsam haben können.

Aber, da JOHNSON diese Antwort prinzipiell verschlossen bleibt, muß er nun notwendigerweise zu der dritten Stufe gelangen, entsprechend dem Augenblick, in dem das Kaninchen aus dem Zauberhut hervorgeholt wird.

Sprache kann keine Erkenntnis vermitteln. Sie kann uns nur immer wieder auf unsere eigenen Erlebnisse zurückverweisen. Sprachliche Bestimmungen sind nichts anderes, als unendlich vieldeutige Namen. Deren Bedeutung besteht in ihren Definitionen, und da ja die letzteren wiederum nur aus Wörtern bestehen, gelangen wir in eine Regression, die sich nur dadurch abbrechen läßt, daß wir auf unsere eigenen spezifischen Sinnesempfindungen zurückgreifen.
"Wir müssen unsere Sinne zu dem machen, was Worte erklären sollen, anstatt Worte das erklären zu lassen, was unsere Sinne empfinden."
Kenner seines Werkes haben häufig die Frage diskutiert, wieso Johnson "A Treatise on Language" 1828 wie auch 1836 derart unbemerkt von der gelehrten Welt seiner Zeit bleiben konnte und nur gelegentlich höfliche Kommentare ausgelöst hat.

Nicht haltbar ist natürlich der Standpunkt, daß das geringe Echo ein Beweis für die Bedeutungslosigkeit des Werks darstelle: ein solcher Kreisschluß träfe auf eine Reihe bedeutender Leistungen der abendländischen Ideengeschichte zu.

Man hat auf das äußerst dürftige intellektuelle Milieu hingewiesen, in dem Johnson lebte, auf den weitverbreiteten Unwillen zeitgenössischer europäischer Zeitschriften, sich mit amerikanischen Büchern zu befassen (in dieser Zeit wird ein Aufnahmegesuch von Louis Moreau Gottschalk ins Pariser Konservatorium mit der Begründung abgelehnt: "aus Amerika kommen nur Dampfmaschinen"), und man hat sich vorzustellen versucht, daß es für die Zeitgenossen schwer war, den Banker Johnson auch als Philosophen zu akzeptieren.

Die fachkundige Rezension, die "A Treatise on Language" von 1828 erhielt, stammt von Timothy Flint und wurde in der kleinen Zeitschrift "Western Monthly Review" veröffentlicht, deren Erscheinen kurz darauf eingestellt wurde. Russel Blackwood zitiert in einer Studie über die zeitgenössische Aufnahme, die Johnsons Werk fand, einen Brief Auguste Comtes, eine Empfangsbestätigung für "The Meaning of Words".

Der Brief ist bezeichnend in seiner höflichen ablehnenden Haltung. Comte sagt darin, daß das im Werk behandelte Problem eines der fundamentalsten der Philosophie sei, daß er aber leider nicht versprechen könne es zu lesen,da ein Prinzip seiner "hygiéne cérébrale" das verhindere, um die Originalität seiner Gedanken zu bewahren. Er verspricht jedoch, einen seiner hervorragenden Schüler mit dem Lesen zu beauftragen, um sich darüber ein Urteil zu verschaffen.

Der ausschlaggebende Grund für die mangelnde Resonanz seiner Zeitgenossen ist schwer zu ermitteln. Im Gegensatz zu FRIEDRICH NIETZSCHE erhält er im Laufe der Zeit wohlwollende und höfliche Rezensionen, inspiriert aber niemanden in seiner Umwelt.

JOHNSON war dreimal verheiratet. Seine erste Ehe, die er nach seiner Rückkehr nach Utica einging, war vielleicht die interessanteste: 1814 heiratete er eine Enkelin des Präsidenten der USA, John Adams. Dies verschaffte ihm lebhaften Kontakt mit einigen der politisch führenden Kreise der Zeit und führte zu einer recht ausführlichen Korrespondenz mit JOHN QUINCY ADAMs. In den Briefen seines Schwiegervaters taucht eine religiös motivierte Skepsis gegenüber den philosophischen Ambitionen des Schwiegersohns auf. Johnsons häusliches Leben scheint in allen drei Ehen von einer gewissen Gefühlskälte geprägt gewesen zu sein.

Nach 1855, dem Jahr der Brandkatastrophe, scheint er sich immer mehr auf seine Philosophie zurückgezogen zu haben.

In dem ausführlichen Nachruf, der im  Utica Morning Herald  am 12. September 1867 erschien, zwei Tage nach Johnsons Beerdigung, heißt es unter anderem:
"Sein Umgang und seine Gewohnheiten waren die eines Einzelgängers und bewirkten, daß er in vielerlei Hinsicht mißverstanden wurde. Er wußte, daß ihm der Ruf vorausging, er widme sich vorwiegend dem Geldmachen."
JOHNSON muß gegen Ende seines Lebens den Glauben an den Wert seiner philosophischen Arbeiten verloren haben. Das kompakte Schweigen, dem er zu Lebzeiten mit Ausnahme einiger weniger freundschaftlicher, aber weit verstreut erschienener Rezensionen und anderer Reaktionen begegnete, scheint selbst für eine solche Vitalität und Eigenständigkeit zuviel gewesen zu sein.

Auf einer der letzten Seiten seiner "Autobiographie" gibt er eine recht pessimistische Zusammenfassung:
"Und wenn ich jetzt Abschied nehme von meinen verschiedenen Schriften... merke ich, daß es vergebliche Mühe war, was die Anerkennung meiner Lehren durch die Welt oder den Einfluß auf die Gedanken denkender Menschen betrifft. Lehren, die wie die meine radikal die Aufgabe vorhandener Begriffe fordern, haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die man wohl für unüberwindlich halten kann, während die mit herrschenden Meinungen harmonisierenden Lehren bereitwillig angenommen werden."
Groß, grau und ernst betrachten uns Johnsons Augen aus den Porträts. Unzählige Male ringt er - streng, pädagogisch und aufrecht - mit der Aufgabe, uns von dem begrifflichen Ballast zu befreien, den er, der philosophierende Bankmann, für unnütz und belastend hält. Nicht selten gewinnt man den Eindruck, sein allgegenwärtiger Widerwille gegen Abstraktionen, seine Begriffsfeindlichkeit,seien durch einen für seine strebsame und puritanische Umgebung typischen Widerwillen gegen alles, was nicht handfest ist, bestimmt. Sein radikaler Nominalismus, sein radikaler Empirismus könnten - auf literarischer Ebene - Ausdruck des Puritanismus Neu-Englands sein, kombiniert mit dem Streben des Bankmanns, stets liquid zu bleiben.

In seinem Werk findet man kaum einen Scherz, und wo dennoch einer auftaucht, ist er häufig das Ergebnis seiner Überarbeitung.

JOHNSON nimmt in seiner Erkenntnistheorie mehr oder weniger ausdrücklich eine Reihe modernen Ideen voraus: das Verifikationsprinzip, P.W. Bridgmans Operationalismus, bestimmte Fragestellungen des späten Wittgenstein. Umso bewundernswerter erscheint uns Johnson, wenn wir ihn in der Perspektive jener Begrenzungen sehen, die seine Umgebung, sein geistiger Horizont und sein Temperament ihm auferlegten.

ALEXANDER BRYAN JOHNSON liegt in Utica im Staate New York begraben. Sein Grabstein trägt die von ihm selbst gewählten Worte:
"THE AUTHOR OF MANY BOOKS:
A LAWYER BY EDUCATION
A BANKER DURING ACTIVE LIFE
A STUDENT OF PHILOSOPHY ALWAYS"
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LITERATUR, Lars Gustafsson, Alexander Bryan Johnson - Die Sprache schafft Scheinprobleme, in ders. Sprache und Lüge, München/Wien 1980