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Forschung und Naturwissenschaft
Vorwort von Gereon Wolters ERNST (Waldfried Josef Wenzel) MACH wurde am 18. Februar 1838 in Chirlitz (heute: Chrlice, bei Brünn/Brno) im mährischen Teil der alten Donaumonarchie geboren. 1855 begann Mach das Studium der Mathematik und Physik an der Universität Wien, das er 1860 mit der Promotion der Physik abschloss. 1861 erfolgte die Habilitation in Wien. 1864 erhielt er eine Mathematik-, später auch Physikprofessur an der Universität Graz. Von 1867 bis 1895 war MACH Professor für Experimentalphysik an der Universität Prag. 1895 übernahm er an der Wiener Universität einen neugeschaffenen Lehrstuhl für "Philosophie, insbesondere Geschichte und Theorie der induktiven Wissenschaften". 1898 erlitt MACH einen Schlaganfall, der ihn rechtsseitig völlig lähmte und seiner Lehrtätigkeit ein Ende setzte. Trotz dieser Behinderung und zahlreicher Folgeerkrankungen setzte MACH seine wissenschaftliche und publizistische Arbeit bis zu seinem Tode fort. Er starb am 19. Februar 1916 in Vaterstetten bei München und liegt auf dem Friedhof von Haar [nicht im Waldfriedhof in München]. Eines besonders barsche und folgenreiche Abfuhr erhielt die MACHsche Erkenntnistheorie in Russland durch LENINs "Materialismus und Empirikritizismus". Anlaß dazu gab weniger ein philosophisches Erkenntnisinteresse als vielmehr der Umstand, daß russische MACH-Anhänger innerparteiliche politische Gegner LENINs waren. Lenins Einschätzung hat in den ehemalig sozialistischen Ländern eine unvoreingenommene MACH-Rezeption behindert. Dies ist umso bedauerlicher, als MACH einer der wenigen Professoren seiner Zeit die sozialistische Bewegung mit Sympathie begleitete und - ohne regelmäßig politisch tätig zu werden - auch aktiv unterstützte. MACH immer wieder eingeschärftes, methodologisches Hauptgebot ist die Denkökonomie, d.h. die Forderung, Wissenschaft als einfachste Beschreibung des Tatsächlichen aufzufassen. Die Denkökonomie hat eine methodische Transformation in der Physiologie erhalten, die seinen Namen trägt: "Machsches Ökonomieprinzip". MACH ist ferner einer der Väter der Gestalttheorie, da er den Gestalt-Begriff mit seinem dort verwendeten Bedeutungsfeld in die Psychologie eingeführt hat. Von Mach schreibt FRITZ MAUTHNER, daß für sein Denken die Bekanntschaft mit der Philosophie ERNST MACHs wichtiger war, als alle anderen Begegnungen. MACH lehrte 1867-1895 in Prag Experimentalphysik und hielt vor dem Publikum der Königlich Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften Vorträge. Aus der Wissenschaft die latenten metaphysischen Grundlagen zu eliminieren, diesen Anstoß habe er durch MACHs Auftreten in Prag erhalten, schreibt er 30 Jahre später dem verehrten Lehrer, als er selbst mit der Kritik der Sprache die Publizierung seiner eigenen Philosophie eröffnet. Machs Erkenntniskritik, nach der Begriffe "denkökonomische Einheiten" sind, denen keine Dinge entsprechen, legte den Keim zu jenem skeptischen, antimetaphysischen Grundzug im Mauthnerschen Denken. PAUL FEYERABEND schreibt über MACH: ERNST MACH war ein Wissenschafler. Er war ein Physiker, ein Psychologe, ein Wissenschaftshistoriker und ein Ideenhistoriker. Er kannte die Literatur und die Künste seiner Zeit und war an politischen Entwicklungen brennend interessiert. ERNST MACH hatte an den Wissenschaften seiner Zeit einiges auszusetzen. Die Physik, zum Beispiel, verwendete erstarrte Begriffe, wie den Begriff des Raumes oder den Begriff der Zeit, ohne sie näher zu untersuchen. Philosophen hatten angeblich gezeigt, und Physiker hatten zu glauben begonnen, daß derartige Dinge nicht von den Wissenschaften untersucht werden konnten, denn sie wurden von ihnen vorausgesetzt. ERNST MACH hatte nicht die Absicht, es dabei bewenden zu lassen. Für ihn war jeder wissenschaftliche Begriff und jeder wissenschaftliche Gegenstand, die Voraussetzungen eingeschlossen, ein möglicher Gegenstand der Forschung und der Korrektur durch die Forschung unterworfen. Andererseits war es klar, daß die Wissenschaften seiner Zeit eine solche Korrektur nicht immer ausführen konnten; sie enthielten die problematischen Ideen in einer Weise, die ihre Untersuchung erschwerten. Es war daher nötig, eine neue Forschungspraxis einzuführen. Nach MACH befaßt sich die Forschung mit Elementen und ihren Beziehungen. Die Natur der Elemente ist nicht gegeben, sie muß durch die Forschung erst entdeckt werden. Bekannte Gegenstände wie Empfindungen, Wahrnehmungen, physikalische Gegenstände, oder Systeme physikalischer Gegenstände sind Kombinationen von Elementen. Es ist möglich, daß der Wiederaufbau der Gegenstände aus den Elementen alte Unterscheidungen reproduziert, wie z.B. die Unterscheidung von Subjekt und Objekt, aber es kann auch zu ganz anderen Anordnungen kommen; zu Beispiel kann sich herausstellen, daß jeder bekannte Gegenstand subjektive und objektive Gegenstände im alten Sinn enthält und daß reine Objektivität und reine Subjektivität einfach Irrtümer sind. Mach hielt die meisten traditionellen Unterscheidungen für inadäquat und er war überzeugt, daß die wissenschaftliche Forschung zu ihrer Aufhebung führen würde. MACHs Auffassung von der Natur der Forschung war weiter als die Auffassung seiner Zeitgenossen sowie fast aller seiner philosophischen Nachfolger. Bis zu MACH nahm man es als gegeben an, daß nicht alle Bestandteile der Wissenschaften einer wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich sind. Raum, Zeit, Objektivität, logischer Zusammenhang - diese Ideen, so dachte man, waren jenseits der Reichweite wissenschaftlicher Argumente (sie gehörten natürlich speziellen Fächern an und wurden durch Argumente in diesen Fächern gelegentlich verbessert; aber die Entwicklung der empirischen Wissenschaften hatte auf den Prozess der Verbesserung keinen Einfluß). Jetzt gab es Mittel, nicht nur diese Ideen, sondern die grundlegenden der Forschung zu kritisieren: kein Maßstab kann die Forschung lenken, ohne ihrer Kontrolle unterworfen zu sein. Erkenntnistheorie und Wissenschaft arbeiten nach langer Zeit wieder zusammen. Der Auffassung ERNST CASSIRERs nach liegt MACHs eigentliches Verdienst darin, daß er das Suchen nach Erklärungsgründen ablehnt und sich auf die Beschreibung des Phänomens beschränkt. Die Physik hat hiernach nur die Abhängigkeit der Erscheinungen untereinander festzustellen. Nur auf die Feststellung konstanter Relationen kommt es hierbei an. Falsche Metaphysik ist es dagegen für MACH, wenn man diesen Relationen materielle Substrate unterlegt, wenn man - wie es damals üblich war - vom Lichtstoff, vom Wärmstoff, vom magnetischen, elektrischen Stoff usw. redet. Indem MACH das Denken in Substanzbegriffen zu zerstören suchte, hat er jene erkenntnistheoretische Tendenz gefördert, ohne welche, nach Cassirers Auffassung, die moderne Physik nicht möglich gewesen wäre. EINSTEIN las MACH mit großem Interesse und war vielfach von ihm beeinflußt. Es wurde damals gelegentlich sogar behauptet, Einstein habe die Relativitätstheorie gefunden, weil er sich an die erkenntnistheoretischen Methoden MACHs gehalten habe. Wenn wir uns keinen Zwang antun, sehen wir die Erde feststehend, die Sonne aber am Fixsternhimmel aber bewegt. Diese Auffassung ist für gewöhnliche praktische Zwecke nicht nur ausreichend, sondern sie ist auch die einfachste und vorteilhafteste. Die entgegengesetzte Ansicht hat sich aber für gewisse intellektuelle Zwecke als die bequemere bewährt. Obgleich beide gleich richtig und in ihrem Gebiet zweckmäßig sind, hat sich die zweite nur nach hartem Kampfe gegen eine der Wissenschaft widerstrebende Macht, welche hier mit der instinktiven Auffassung des gemeinen Mannes im Bunde war, geltend machen können. Die Zumutung, sich auf der Sonne statt auf der Erde stehend als Beobachter zu denken, ist nun aber nur eine Kleinigkeit gegen die Forderung, sein Ich für nichts zu achten, dasselbe in eine vorübergehende Verbindung von wechselnden Elementen aufzulösen. Diese letztere Auffassung ist ja längst von verschiedenen Seiten vorbereitet. (Mach spielt hier auf Lichtenberg, Hume und buddhistische Ansichten an.) Wir sehen solche Einheiten, welche wir Ich nennen, und die bei der Zeugung entstehen und durch den Tod verschwinden. Das Ich ist das Band aller meiner Erlebnisse und die Quelle aller meiner Tätigkeit. Praktisch können wir nun handelnd die Ichvorstellung so wenig entbehren, als die Körpervorstellung wenn wir nach einem Ding greifen. Physiologisch bleiben wir Egoisten und Materialisten, so wie wir die Sonne immer wieder aufgehen sehen. Theoretisch muß aber diese Auffassung nicht festgehalten werden. Nicht das Ich ist das Primäre, sondern die Empfindungselemente. Die Empfindungselemente bilden das Ich. Ich empfinde Grün, will sagen, daß das Element Grün in einem gewissen Komplex von anderen Elementen (Empfindungen, Erinnerungen) vorkommt. Wenn ich aufhöre Grün zu empfinden, wenn ich sterbe, so kommen die Elemente nicht mehr in der gewohnten geläufigen Gesellschaft vor. Damit ist alles gesagt. Nur eine ideelle denkökonomische, keine reelle Einheit hat aufgehört zu bestehen. Das Ich ist keine unveränderliche, bestimmte, scharf begrenzte Einheit. Nicht auf die Unveränderlichkeit nicht auf die bestimmte Unterscheidbarkeit von anderen und nicht auf die scharfe Begrenzung kommt es an, denn alle diese Momente variieren schon im individuellen Leben von selbst, und deren Veränderung wird vom Individuum angestrebt. Wichtig ist nur die Kontinuität. Die Kontinuität ist aber nur ein Mittel, den Inhalt des Ich vorzubereiten und zu sichern. Dieser Inhalt und nicht das Ich ist die Hauptsache. Die Gewohnheit, den unanalysierten Ich-Komplex als eine unteilbare Einheit zu behandeln, hat sich wissenschaftlich oft in eigentümlicher Weise geäußert. Aus dem Leibe wird zunächst das Nervensystem als Sitz der Empfindungen ausgesondert. Im Nervensystem wählt man wieder das Hirn als hierzu geeignet aus, und sucht schließlich, die vermeintlich psychische Einheit zu retten, im Hirn noch nach einem Punkt als Sitz der Seele. So rohe Anschauungen werden aber schwerlich geeignet sein, auch nur in den gröbsten Zügen die Wege der künftigen Untersuchung über den Zusammenhang des Physischen und Psychischen vorzuzeichnen. Daß die verschiedenen Organe, Teile des Nervensystems, mit einander physische zusammenhängen und durch einander leicht erregt werden können, ist wahrscheinlich die Grundlage der psychischen Einheit. Ich hörte einmal ernstlich die Frage diskutieren: "Wieso die Wahrnehmung eines großen Baumes in dem kleinen Kopfe des Menschen Platz fände?" Besteht auch dieses Problem nicht, so wird doch durch die Frage der Verkehrtheit fühlbar, die man leicht begeht, indem man sich die Empfindungen räumlich in das Hirn hinein denkt. Ist von den Empfindungen eines anderen Menschen die Rede, so haben diese in meinem optischen oder überhaupt physischen Taum natürlich gar nichts zu schaffen; sie sind hinzugedacht, und ich denke sie kausal (oder besser funktional), aber nicht räumlich an das beobachtete oder vorgestellte Menschenhirn gebunden. Spreche ich von meinen Empfindungen, so sind dieselben nicht räumlich in meinem Kopf, mein Kopf "teilt" vielmehr mit ihnen dasselbe räumliche Feld. Sowenig ich nun das Rot oder Grün als einem individuellen Körper angehörig betrachte, so wenig mache ich auf dem Standpunkt, den ich zur allgemeinen Orientierung hier annehme, einen wesentlichen Unterschied zwischen meinen Empfindungen und den Empfindungen eines anderen. Dieselben Elemente hängen in vielen Verknüpfungspunkten, den "Ichs", zusammen. Diese Verknüpfungspunkte sind aber nichts Beständiges. Sie entstehen, vergehen und modifizieren sich fortwährend. Wer von dem "Ich" als einer Realität, die allem zugrunde liegt, nicht abzusehen vermag, der wird auch nicht umhin können, zwischen meinen Empfindungen und deinen Empfindungen einen fundamentalen Unterschied zu machen. So erscheinen dem, der an eine absolute Beständigkeit eines Körpers glaubt, alle Eigenschaften als diesem einen Träger angehörig. Wenn aber dieses silberweiße Stück Natrium schmilzt, sich in Dampf auflöst, der dem ursprünglichen Ding gar nicht mehr ähnlich sieht, wenn das Natrium in verschiedene Partien geteilt, in verschiedene chemische Verbindungen übergeführt wird, so daß mehr oder weniger Körper vorhanden sind als vorher, so läßt sich die gewohnte Denkweise nur mehr äußerst künstlich aufrecht erhalten. Es wird dann vorteilhafter, dieselben Eigenschaften als bald diesem, bald jenem Komplex (Körper) angehörig angesehen, und an die Stelle der nicht beständigen Körper das beständige Gesetz treten zu lassen, welches den Wechsel der Eigenschaften und ihrer Verknüpfungen überdauert. Nicht die Körper erzeugen Empfindungen, sondern Empfindungskomplexe bilden die Körper. Erscheinen dem Physiker die Körper als das Bleibende, Wirkliche, die Elemente hingegen als flüchtiger vorübergehender Schein, so beachtet er nicht, daß alle Körper nur Gedankensymbole für Empfindungskomplexe sind. Die Zumutung, diese neue Denkgewohnheit anzunehmen, ist wieder keine geringe. Wie würden sich die antiken Forscher gesträubt haben, wenn man ihnen gesagt hätte: "Erde, Wasser, Luft sind gar keine beständigen Körper, sondern das Beständige sind die in denselben steckenden heutigen chemischen Elemente, von welch viele nicht sichtbar, andere sehr schwer isolierbar oder aufbewahrbar sind. Das Feuer ist gar kein Körper, sondern ein Vorgang usw." Die große Wandlung, die in diesem Schritt liegt, vermögen wir kaum mehr richtig abzuschätzen. Wollte man das Ich als eine reale Einheit ansehen, so käme man nicht aus dem Dilemma heraus, entweder eine Welt von unerkennbaren Wesen demselbe gegenüberzustellen (Was ganz müßig und ziellos wäre), oder die ganze Welt die Ich anderer Menschen eingeschlossen, nur in unserm Ich enthalten anzusehen (wozu man sich ernstlich schwer entschließen wird). Faßt man aber ein Ich nur als eine praktische Einheit auf für eine vorläufig orientierende Betrachtung, auf für eine vorläufig orientierende Betrachtung, als eine stärker zusammenhängende Gruppe von Elementen, welche mit anderen Gruppen dieser Art schwächer zusammenhängt, so treten Fragen dieser Art gar nicht auf, und die Forschung hat freie Bahn. In seinen philosophischen Bermerkungen sagt LICHTENBERG: "Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht von uns abhängen; andere, glauben wir wenigstens, hingen von uns ab; wo ist nun die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zuviel, sobald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis. Mag auch der Weg, auf dem Lichtenberg zu diesem Resultat gelangt, von dem unsrigen verschieden sein, dem Resultate selbst müssen wir zustimmen. Man betone nicht die Einheit des Bewußtseins. Da der scheinbare Gegensatz der wirklichen und der empfundenen Welt nur in der Betrachtungsweise liegt, eine eigentliche Kluft aber nicht existiert, so ist ein mannifaltiger zusammenhängender Inhalt des Bewußtseins um nichts schwerer zu verstehen, als der mannigfaltige Zusammenhang der Welt. Das Ich ist unrettbar. Teils diese Einsicht, teils die Furcht vor derselben führen zu den absonderlichsten pessimistischen und optimistischen, religiösen, asketischen und philosophischen Verkehrtheiten. Der einfachen Wahrheit, welche sich aus der psychologischen Analyse ergibt, wird man sich auf die Dauer nicht verschließen können. Man wird dann auf das Ich, welches schon während des individuellen Lebens vielfach variiert, ja im Schlaf und bei Versunkenheit in eine Anschauung, in einen Gedanken, gerade in den glücklichsten Augenblicken, teilweise oder ganz fehlen kann, nicht mehr den hohen Wert legen. Man wird dann auf individuelle Unsterblichkeit gern verzichten, und nicht auf das Nebensächliche mehr Wert legen als auf die Hauptsache. Man wird hierdurch zu einer freieren Lebensauffassung gelangen, welche Mißachtung des fremden Ich und Überschätzung des eigenen ausschließt. |