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RUDOLF THIELE
Zur Charakteristik
von Machs Erkenntnislehre

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"Das gleichviel wie zu bestimmende Reale ist als solches Gegenstand des Erkennens überhaupt und des wissenschaftlichen Erkennens insbesondere. Das Reale besteht für Mach ausschließlich in dem, was in der unmittelbaren Erfahrung tatsächlich gegeben ist oder doch möglicherweise gegeben sein kann. Auf dieses also hat sich nach Mach die Wissenschaft als auf ihr Objekt zu beziehen. Die Aufgabe der Wissenschaft ist eine rein deskriptive; sie vollendet sich in der übersichtlichen Beschreibung und Inventarisierung des in der Erfahrung gegeben Materials. Wer sich andere Ziele setzt, der treibt nicht Wissenschaft, sondern verfolgt Scheinprobleme".

"Für Mach ist es völlig selbstverständlich, daß das Wirkliche sich im Unmittelbar-Gegebenen erschöpft; und nicht weniger selbstverständlich erscheint es ihm, daß in der vollständigen und einfachsten Beschreibung und Inventarisierung dieses Gegebenen die alleinige Aufgabe des Erkennens besteht. Dieser positivistisch-deskriptive Standpunkt erhebt, wie natürlich Anspruch auf absolute Geltung, so sehr, daß Mach jede Frage nach einem möglichen Transzendenten oder jeder Versuch, einen Einblick in den Wirkungszusammenhang des Geschehens zu gewinnen, ohne irgendeinen wissenschaftlichen oder philosophischen Sinn zu sein scheint. Denn ausdrücklich als sinnlos, nicht etwa nur als aussichtslos erscheint ihm jede Frage, die über die angegebene Problemstellung hinausgeht."


E i n l e i t u n g

Die vorliegende Arbeit verfolgt zunächst den Zweck, eine Darstellung und Verdeutlichung der MACHschen Erkenntnislehre in ihren wesentlichen Zügen zu geben. Bei der Mannigfaltigkeit von Gegenständen philosophischen und speziell erkenntnistheoretischen Interesses, die MACH in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen hat, dürfte sich der Versuch rechtfertigen, einmal durch eine schärfere Herausarbeitung der leitenden Gesichtspunkte den eigentlichen Grundcharakter seiner Lehren zu bezeichnen. Das Eigentümliche aber des MACHschen Standpunktes ins rechte Licht zu rücken scheint nichts geeigneter, als die Übereinstimmungen wie auch die Unterschiede gegenüber jenen philosophischen Lehrmeinungen hervorzuheben, als deren Fortbildung und Umbildung man die MACHschen Aufstellungen in sachlicher Hinsicht zu betrachten hat. Damit wird diesem Standpunkt zugleich sein historischer Ort in der allgemeinen philosophischen Problementwicklung angewiesen.

Überall ausgehend von einzelwissenschaftlichen Gesichtspunkten, aber die Grenzen des Spezialgebietes hinter sich lassen, ist MACH zu einer allgemein-philosophischen Orientierung gelangt, die ebensoviel Zustimmung wie Ablehnung in den philosophisch und naturwissenschaftlich interessierten Kreisen erfahren hat, jedenfalls aber in der Diskussion philosophischer Prinzipienfrage eine hervorragende Rolle spielt und weiter zu spielen bestimmt sein dürfte. Neben den im engeren Sinne erkenntnistheoretischen Problemen hat MACH besonders erkenntnispsychologischen und -biologischen Fragen sein Interesse zugewandt. Er ist dem wissenschaftlichen und dem vorwissenschaftlichen Denken auf seinen vielfach verschlungenen Pfaden nachgegangen und hat sich insbesondere überall bemüht, die Motive, welche den Naturforscher bei seiner Arbeit leiten, psychologisch zu durchleuchten. Indem er die Erkenntnistätigkeit als eine den allgemeinen biologischen Gesetzen unterstellte Lebensäußerung auffaßte, indem er, gewiß nicht als der erste und einzige, den Entwicklungsgedanken im Sinne DARWINs auf den Werdegang der Wissenschaft anwandte, hat er bedeutsame Beiträge zu einer Biologie der Forschung geliefert. Die Lehre von der Umbildung und Anpassung der Gedanken, die Auffassung der Wissenschaft als einer vom Ökonomieprinzip beherrschten Erscheinung bilden wohl die bemerkenswertesten Gesichtspunkte, die diese Betrachtungsweise hervorgebracht hat. Eine ausgezeichnete Kenntnis der Geschichte der Naturwissenschaften, die MACH in einer Reihe von historisch-kritischen Arbeiten aus dem Gebiet der Physik bewiesen hat, sichert diesen allgemeinen Betrachtungen eine stabile Grundlage.

Diese erkenntnispsychologischen und erkenntnisbiologischen Ausführungen, ebenso wie die verschiedenartigen logisch-methodologischen Untersuchungen, die sich auf Gegenstände wie das Experiment und Gedankenexperiment, die Hypothese, das Problem, Induktion und Deduktion usw. beziehen, sollen im Folgenden nicht besonders erörtert werden. So sehr diese Gedankengänge auch mit der MACHschen Grundüberzeugung zusammenhängen und dieselbe in mannigfacher Weise zu beleuchten geeignet sein mögen, so liegt doch ein Eingehen auf sie jedenfalls außerhalb des Planes unserer sich auf Prinzipielles beschränkenden Darstellung. Bei dieser Beschränkung entfällt auch die Notwendigkeit einer spezielleren und zusammenhängenden Erörterung der Lehren von Raum, Zeit und Mathematik bei MACH. Im allgemeinen ist ja die Art, wie diese Gegenstände behandelt werden, in der Tat ganz besonders geeignet, einen philosophischen Standpunt in erkenntnistheoretischer Hinsicht zu charakterisieren. Für die Kennzeichnung der MACHschen Position jedoch ist sie nicht eigentlich maßgebend, nicht mehr jedenfalls, als das etwa bei HUME der Fall ist. Diese Ausführungen bei MACH, die sich auf rein empiristischen Vorausseztungen bewegen, beanspruchen in der Hauptsache ein psychologisches und erkenntnisgenetisches Interesse. Die Beiträge zur "Psychologie und natürlichen Entwicklung der Geometrie", die Untersuchungen über die Beziehungen des "physiologischen Raumes", d. h. des Raumes der Sinneswahrnehmung, zum metrischen (speziell euklidschen) Raum sowie die analogen Betrachtungen über die Zeit stehen im Mittelpunkt dieser Ausführungen. Daneben kommen die Erörterungen über den "physikalischen Raum" und die "physikalische Zeit" besonders in Betracht die, ebenso wie die kritische Untersuchung weiterer Grundbegriffe der Physik, für die erkenntnistheoretische Fundierung dieser Wissenschaft bedeutsam sind, und auf die wir kurz eingehen werden.

Auf eine systematisch zusammenhängende Darstellung seiner Erkenntnislehre hat MACH verzichtet. Vielmehr finden sich seine erkenntnistheoretischen Lehren mit den oben berührten Gedankenreihen in einer Weise verflochten, die es nicht immer ganz leicht macht, beides reinlich auseinanderzuhalten. Eine solche Trennung ist aber im Interesse einer genauen Bezeichnung der Problemlage durchaus notwendig, da es zu irrtümlichen Auffassungen führen muß, wenn man etwa Ausführungen, die rein biologisch gemeint sind, ohne weiteres erkenntnistheoretisch interpretieren wollte. Derartige Verwechslungen, die ja durch die Art der MACHschen Darstellung nahegelegt sind, scheinen in der Tat nicht selten zu Verkennungen seines Standpunktes Veranlassung gegeben zu haben.

Bei meiner Darlegung der MACHschen Erkenntnislehre werde ich besonders auf eine Seite derselben Rücksicht nehmen, die wir mit einem später genau zu bestimmenden Ausdruck als die phänomenologische bezeichnen wollen. Es soll schon hier bemerkt werden, daß die phänomenologische Betrachtungsweise bei MACH nicht in voller Reinheit durchgeführt ist, daß sich vielmehr andere Auffassungen daneben geltend machen, so auch, daß der hervorgehobene Gesichtspunkt ohne Zweifel der maßgebliche bleibt. Die phänomenologische Analyse des unmittelbaren Tatbestandes und die phänomenologische Aufgabenbestimmung der Wissenschaft scheint uns das eigentlich Charakteristische wie auch Bedeutsame der MACHschen Aufstellungen. Die Herauushebung dieser Gesichtspunkte und die Vereinigung derselben zu einem möglichst geschlossenen Bild, das das Wertvolle dieser Anschauung erkennen läßt, soll neben der eigentlichen Darstellung und Verdeutlichung der MACHschen Gedankengänge das wesentliche Ziel dieser Arbeit sein.


I. Allgemeine Charakterisierung von Machs
erkenntnistheoretischem Standpunkt

1. Die Stellung eines Denkers zum Realitätsproblem ist für die Kennzeichnung seines erkenntnistheoretischen Standpunktes von maßgebender Bedeutung; denn sie begründet ja so fundamentale Unterschiede der Orientierung, wie sie sich im Gegensatz von Realismus und Idealismus aussprechen. Mit dem Realitätsproblem aber in einem engen Zusammenhang steht die (metaphysische) Frage nach der Natur des Wirklichen, des als real Erkannten, deren Lösungsversuche durch Ausdrücke wie Materialismus, Spiritualismus, Dualismus usw. bezeichnet sind. MACHs Stellungnahme zu diesen Fragen soll uns zunächst beschäftigen und zur allgemeinen Charakterisierung seiner erkenntnistheoretischen Grundüberzeugung dienen. Die uns geläufige Sondierung der beiden verwandten Probleme, die noch den Denkern des 17. und 18. Jahrhunderts fast völlig fremd ist, ist auch bei MACH zwar angedeutet, aber nicht reinlich durchgeführt, so daß dies auch in meiner Darstellung nicht ohne Künstlichkeit zu erreichen gewesen wäre.

Das Realitätsproblem in allgemeinster Formulierung besteht in der Frage, ob sich in der Mannigfaltigkeit des unmittelbar Vorgefundenen das, was wir als wirklich zu bezeichnen haben, erschöpft, oder ob sich im denkenden Bewußtsein Momente finden, die auf ein über diesen Bestand hinausgehendes und denselben bedingendes Sein hindeuten. Die Bejahung des ersten Teiles der Frage bezeichnet den Standpunkt der "Immanenzphilosophie" (1). Alle anderen philosophischen Stellungnahmen sind demgegenüber dadurch charakterisiert, daß sie in irgendeinem Sinn "transzendente" Faktoren anerkennen. Sie statuieren einen Unterschied zwischen Bewußtem und Außerbewußtem und sehen in Letzterem das den wechselnden Inhalt des Bewußtseins Bedingende. Dabei macht es für das so festgelegte Problem zunächst keinen Unterschied, ob diese außerbewußten Bedingungen des Bewußtseinsinhaltes in einem materiellen oder, wie etwa bei BERKELEY, in einem geistigen oder, wie bei KANT, in einem seiner Natur nach nicht näher zu charakterisierenden Realen angenommen werden. In einem engeren Sinne fällt das Realitätsproblem mit der Frage nach der Existenz einer materiellen Außenwelt zusammen, und man bezeichnet nach herrschendem philosophischen Sprachgebrauch den Standpunkt, welcher eine solche Außenwelt behauptet, als Realismus, den entgegengesetzten als Idealismus. Hier berührt sich das Realitätsproblem auf das Engste mit der Frage nach der Natur des Wirklichen im oben bezeichneten Sinn. Die Gegensatzpaare bewußt - außerbewußt, geistig - materiell, psychisch - physisch werden nicht mehr scharf auseinander gehalten.

Mit dem Idealismus und der Immanenzphilosophie leugnet MACH die Existenz der "Außenwelt" im Sinne der gewöhnlichen Sprech- und Denkweise, mit dem Idealismus das Dasein einer materiellen Außenwelt, mit der Immanenzphilosophie das einer über den Bestand des unmittelbar Gegebenen hinausgehenden außerbewußten Wirklichkeit überhaupt. Uns die Motive zu dieser Stellungnahme deutlich zu machen - soweit eine solche Motivierung überhaupt gegeben werden kann - werden wir zweckmäßig erst später versuchen. Man hat ja doch eine derartige Grundüberzeugung, gerade wie die entgegengesetzte realistische, als in einer ganz ursprünglichen Denkrichtung wurzelnd zu betrachten und anzunehmen, daß sie sich im allgemeinen bei ihren Vertretern schon lange in voller anschaulicher Klarheit vorfindet, ehe diese daran gehen, sie in begrifflicher Form zu entwickeln. Eine Beweis für die Richtigkeit seiner Überzeugung, etwa aus den unhaltbaren Konsequenzen des Gegenteils, wie ihn z. B. BERKELEY in seiner Polemik gegen die Unterscheidung LOCKEs der primären und sekundären Qualitäten zu liefern versucht hat, hat MACH nirgends ausdrücklich gegeben. Er beschränkt sich vielmehr darauf, die Durchführbarkeit seiner Ansichten auf den von ihm bearbeiteten wissenschaftlichen Spezialgebieten darzulegen, sie als die einfachsten und "ökonomischsten", dabei völlig zulänglichen zu erweisen und damit einen nicht unwesentlichen Anspruch der gegnerischen Position abzulehnen.

Durch die Verneinung der Außenwelt, die mit dem Idealismus und der Immanenzphilosophie gemein ist, ist aber die Stellung MACHs zum Realitätsproblem noch nicht hinreichend gekennzeichnet. Während nämlich der Idealismus aufgrund der Bestreitung einer materiellen Außenwelt zur Überzeugung kommt, daß alles Sein seiner Natur nach geistig ist, für die Immanenzphilosophie aber die gesamte Wirklichkeit eine Bewußtseinstatsache wird (Inhalt eines "bewußten Ich" bzw. eines "Bewußtseins überhaupt", SCHUPPE), gelangt MACH zu einer wesentlich anderen Einsicht. Er erkennt den Bewußtseinscharakter oder die psychische Natur des unmittelbar Gegebenen nicht an. Dieser Umstand unterscheidet ihn prinzipiell von den beiden genannten Standpunkten, aber auch zugleich von den übrigen Richtungen der Philosophie, und bildet somit das eigentlich charakteristische Merkmal seines Grundgedankens. Unsere Aufgabe wird also zunächst darin zu bestehen haben, uns den eigentümlichen Sinn dieser von der gewöhnlichen Orientierung sich so weit entfernenden Auffassung zu vergegenwärtigen.

Wir gelangen zu einem Verständnis der MACHschen Position vielleicht am zweckmäßigsten durch die folgende Betrachtung, die sich bei MACH selbst nirgends durchgeführt findet, sondern in freier Weise zu zeigen versucht, wie man von den diesem Standpunkt am nächsten stehenden philosophischen Überzeugungen aus zu demselben gelangen kann. Auf eine Vollständigkeit der Entwicklung in historischer Beziehung kann dabei natürlich nicht ausgegangen werden.

Indem man eine Tatsache als Bewußtseinstatsache, als ihrer Natur nach psychisch bezeichnet, meint man sie damit, wenn anders dieses Attribut überhaupt einen angebbaren Sinn haben soll, in bestimmter Weise zu qualifizieren. In der Tat ist dies für das Denken des DESCARTES etwa völlig selbstverständlich und unter den (dualistischen) Voraussetzungen dieses Denkens auch in keiner Weise zu beanstanden. Denn für diesen Philosophen steht ja fest, daß Geist und Materie, denkende und ausgedehnte Substanz (substantia cogitans und substantia extensa) wenn auch nicht gleich unmittelbar - das beweist die Möglichkeit des Zweifels an der Realität der Körperwelt -, so doch beide in wohlverbürgter Weise gegeben sind. Die beiden Substanzen unterscheiden sich voneinander durch die Attribute des Denkens und der Ausdehnung (cogitatio oder conscientia und extensio). Damit ist aber die eine gegenüber der anderen in genau bestimmter Weise als ein Eigentümliches charaktersiert.

Bei DESCARTES tritt die bereits in der antiken wie in der christlichen-mittelalterlichen Philosophie angelegte Lehre von den zwei Substanzen, der körperlichen und der geistigen, zum ersten Mal in einer klaren und zugespitzten Formulierung auf; von da an bleibt sie mit den in ihr enthaltenen Problemen einer der treibenden Faktoren in der Entwicklung des philosophischen Denkens. In der durch die Rezeption der mechanischen Unterscheidung LOCKEs zwischen primären und sekundären Qualitäten ist diese dualistische Auffassung festgehalten. Die Verschiebung aber des Schwerpunktes der Frage nach der erkenntnistheoretischen Seite hin, die bei LOCKE zuerst deutlich hervortritt, bringt ein ganz neues Moment in die Diskussion und bildet für die weitere Entwicklung einen bedeutenden Impuls. Für jeden dualistischen Standpunkt, gleichviel wie er gewonnen ist und ob er in rein metaphysischer oder in einer erkenntnistheoretischen Wendung auftritt, ist selbstverständlich das Psychische vom Physischen, das Geistige vom Materiellen durch angebbare Merkmale unterschieden, wodurch allein diesen Ausdrücken ein bestimmter Sinn zukommt. Worin aber diese Unterschiede von den verschiedenen Denkern erkannt werden, hat uns hier nicht zu beschäftigen. Es kommt für unsere Zwecke allein darauf an, den Dualismus als einen möglichen und tatsächlich vertretenen Standpunkt in der behandelten Frage festzustellen.

Für den Idealismus BERKELEYs bedeutet die Behauptung einer Außenwelt im Sinne einer materiellen Wirklichkeit extra mentem [aus dem Sinn - wp] in jeder Hinsicht einen Ungedanken. Die von jenen Denkern dualistischer Orientierung behauptete materielle Seite des Seins wird also hier aufgegeben und damit das Wirkliche als ein Geistiges erkannt. Geister (spirits) und deren Vorstellungen (ideas) machen allein den Bestand des Wirklichen aus:
    "Nothing properly but Persons, i. e. conscious things, do exist. All other things are not so much existences as manners of ye existences of persons." (2)
    [Nichts anderes als Personen existieren, d. h. bewußte Dinge existieren. Alle anderen Dingen haben genau soviel Existenz wie es geistige Modifikationen der Existenz einer Person gibt. - wp]
Das Sein der Ideen besteht in ihrem Perzipiertwerden durch die Geister, "their esse is percipi" [ihr Sein ist wahrgenommen werden - wp] (3). Sie sind Objekte, die Geister Subjekte des Bewußtseins. Die Körper, die "äußeren" Dinge (external things), die dem gewöhnlichen Denken als ein vom Geist toto genere [absolut - wp] Verschiedenes erscheinen, sind BERKELEY nichts als Komplexe solcher Ideen (collections of ideas) (4) und damit Affektionen oder Modifikationen (manners) der Geister (5), die an ihnen entweder durch sie selbst oder durch einen übergeordneten Geist (Gott) bestimmt werden. So gelangt BERKELEY zu einem mit seinem Idealismus auf das Engste zusammenhängenden Spiritualismus. Man kann nun mit Grund fragen, ob es logisch zulässig ist, das Ganze nicht nur einer möglichen Erfahrung, sondern des Denkbaren überhaupt in dieser Weise als ein Geistiges zu qualifizieren, ob es angängig ist, einen Begriff, der notwendig die Beziehung auf ein Korrelat in sich trägt, nach der Streichung dieses Korrelats im gleichen Sinn weiter zu verwenden. - In der Tat, wenn BERKELEY nach der Beseitigung der materiellen Wesenheiten die ihm darin noch übrigbleibenden Substanzen, den alten Ausdruck beibehaltend, als geistige bezeichnet, so fügt er damit dem bloßen Substanzbegriff kein neues, charakteristisches Merkmal hinzu. Denn gewiß kann ja die Behauptung einer geistigen Substanz nur für denjenigen eine sinnvolle sein, der mit ihr die gleichviel auf welchem Weg gewonnene Einsicht verbindet, daß ein andersartiges Reales existiert. Wenn BERKELEY dennoch, was ja außer Frage steht, das Wirkliche in seiner Gesamtheit als ein Geistiges bezeichnen will und damit eine dasselbe kennzeichnende Aussage getan zu haben glaubt, ohne sich dabei der angegebenen Schwierigkeiten bewußt zu werden, so ist dieses Verhalten eben nur aus den historischen und psychologischen Voraussetzungen eines Denkens heraus verständlich.

Indessen ist mit dieser Erörterung der Sinn von BERKELEYs Spiritualismus nicht erschöpft, ja nicht einmal sein wesentlicher Charakter getroffen. Dieser liegt vielmehr im Festhalten des Substanzbegriffs überhaupt im Zusammenhang seiner idealistischen Orientierung. Sehen wir nämlich von jener nur durch den Gegensatz zu möglichen andersartigen Existenzen zu rechtfertigenden Qualifikation seiner Substanzen ab, so bedeutet bei ihm die Behauptung: es gibt geistige Substanzen nichts anderes als: es gibt denkende, ichartige Wesen (I, myself, person). Diese aber sind als aktive Wesen im Gegensatz gedacht zu den rein passiven Ideen. Daß es unter der hier nicht zur Erörterung stehenden Voraussetzung solcher gleichviel wie zu nennenden und nur durch ihren Gegensatz zu den Ideen zu bestimmenden Substanzen in logischer Hinsicht durchaus zulässig ist, die Ideen als deren Affektionen oder Inhate, als Objekte oder Inhalte des Bewußtseins aufzufassen, ist deutlich. Es ergibt sich also auf diese Weise ein vom dualistischen wesentlich verschiedener, in sich völlig möglicher Bewußtseinsbegriff. Der (richtig zu verstehende) spiritualistische Substanzbegriff ist es also, der in der hier in Betracht gezogenen Hinsicht den Standpunkt BERKELEYs charakterisiert.

Der Orientierung BERKELEYs steht die Immanenzphilosophie insofern nahe, als sie am Ich als einem schlechthin Realen festhält, ja dieses geradezu zur philosophischen Grundtatsache und seine Anerkennung zum einzig möglichen Ausgangspunkt einer erkenntnistheoretischen Besinnung macht. Damit kann sie dann auch von Bewußtseinsinhalten dieses Ich reden.
    "Eine absolut klare unmißverständliche unbezweifelbare Tatsache ist nur das Ich, oder was damit gleichbedeutend ist, das bewußte Ich. Und diese Tatsache darf in keinem Fall einfach umgangen werden, daß dieses bewußte Ich all jene Data der Sinne zunächst als Inhalt seines Bewußtseins vorfindet. Man dann an dieser Tatsache gedeutet werden, was da will; von ihr muß als dem Ersten ausgegangen werden." (Schuppe) (6)
Ein prinzipiell trennendes Moment aber gegenüber BERKELEY ist dadurch gegeben, daß diese philosophische Richtung jeden transzendenten Faktor als Ursache dieser Bewußtseinsinhalte, wie er bei BERKELEY im Gottesbegriff gesetzt wird, schlechthin leugnet.

LOCKE war als Kritiker der überlieferten Substanzvorstellung aufgetreten; das Substanzproblem stand im Mittelpunkt seines Philosophierens. Er hat mit der Zersetzung des Substanzbegriffs einer bis auf ihn hin vorwiegend rationalistisch gerichteten Philosophie begonnen, indem er den dogmatischen Glauben an die Erkennbarkeit der Substanzen erschütterte und sie somit als "something I know not what" [etwas, von dem ich nicht weiß was es ist - wp] kennzeichnete. BERKELEY, an LOCKE anknüpfend, führt diese Auflösung weiter. Aus seiner idealistischen Grundstimmung heraus leugnet er die Existenz und Möglicheit materieller Substanzen, um allein die Geister als substantielle Wesenheiten anzuerkennen. Bereits der unmittelbare Nachfolger BERKELEYs in der empiristischen Entwicklungsreihe geht darüber noch hinaus, indem er auch diesen spiritualistischen Substanzbegriff zu beseitigen sucht. HUME bricht, prinzipiell zumindest, mit der substantiellen Auffassung des Geistes: wie es für BERKELEY schon die Körper waren, so ist nun für HUME auch der Geist nichts als "a bundle or collection of different perceptions" [ein Bündel oder Kollektion verschiedener Wahrnehmungen - wp] (7) Die "perceptions" ("impressions" und "ideas") bilden, in ihren mannigfachen Gruppierungen, ausschließlich den Bestand des unmittelbar vorgefundenen.

Im Gegensatz aber zu BERKELEY machen sich bei HUME wieder deutlich realistisch-dualistische Tendenzen bemerkbar, was ja durch das Aufgeben des Substanzbegriffs auf dem Gebiet des unmittelbar Gegebenen nicht augeschlossen wird. Mag man auch, und zwar mit Recht, diesem Moment im Zusammenhang der Philosophie HUMEs eine snoch so geringe Bedeutung beilegen, so kann doch nicht zweifelhaft sein, daß HUME den Dualismus zwischen Bewußtsein und Außenwelt nie vollständig überwunden, allerdings auch niemals mit voller Überzeugung behauptet hat. Im Gefühl dieses Zwiespalts dürfte für ihn neben den anderen ein Beweggrund liegen, der in seinen Standpunkt als Skeptizismus bezeichnen läßt. Schon im Ausdruck "impression" klingt der dualistische Gedankenkreis an; die durch die Einbildungskraft (imagination) zu den einzelnen Qualitäten "hinzugedichteten" (feign) "unknown somethings" [unbekannten Etwas - wp] (8) "original substances", "unkwnown causes" (9), "natural and physical causes" (10), oder wie die ähnlichen Wendungen sonst lauten, bieten weitere Belege für eine solche Tendenz zum Dualismus. Allein man wird diese Belege auch nicht als für den Standpunkt HUMEs entscheidend ansprechen dürfen; denn anderswo spricht HUME mit Entschiedenheit gegen die Annahme eines solchen "unknown, inexplicable something" als Ursache unserer Perzeptionen aus. (11) HUMEs Stellungnahme zu diesem Problem, das er durch seine Behandlung so sehr als ein solches hat hervortreten lassen, ist in der Tat eine unentschiedene geblieben. Die an den Namen HUMEs knüpfende Umgestaltung der Problemlage, soweit wir sie hier zunächst zu erörtern Anlaß haben, ist gegeben durch die Auflösung des spiritualistischen Substanzbegriffs.

Vereint man mit BERKELEY die Existenz einer materiellen Außenwelt und weiter einer über das unmittelbar (tatsächlich oder möglicherweise) Gegebene hinausgehenden Wirklichkeit überhaupt, und stimmt man gleichzeitig HUME in der Auflösung des substantiellen Ichbegriffs zu, so besteht von einem Psychischen, von Bewußtseinsinhalten usw. zu sprechen. Ein derartiger Psychomonismus oder Panpsychismus bzw. Konzeptualismus hätte keinen faßbaren Sinn. (12) Ein solcher Standpunkt würde eine falsche Konsequenz der Kritik von BERKELEY und HUME darstellen. Für denjenigen, der sich die Überzeugungen jener beider Philosophen in der eben angegebenen Verbindung zu eigen macht, zerfällt die Mannigfaltigkeit des Gegebenen nicht mehr in Empfindungen, Vorstellungen, Bewußtseinsinhalte, wenn mit diesen Ausdrücken irgendwie eine Wesensbeziehung vorgenommen sein soll, sondern in einzelne Tatsachen, Ereignisse, "Gegebenheiten" schlechthin. Damit ist aber der von MACH eingenommene Standpunkt bezeichnet.

Diese Grundüberzeugung findet bei MACH bereits in der Terminologie einen adäquaten Ausdruck. MACH vermeidet es grundsätzliche und zwar im vollen Bewußtsein der darin sich aussprechenden erkenntnistheoretischen Wendung, die Bestandteil des Wirklichen in allgemeinster Hinsicht als Empfindungen usw. zu bezeichnen; er verwendet vielmehr den indifferenten Ausdruck "Elemente". Der Begriff "Empfindung" gewinnt bei ihm einen spezielleren Sinn, was noch zu erörtern sein wird (13).
    "Die Welt besteht aus Farben, Tönen, ..., die wir jetzt nicht Empfindungen und nicht Erscheinungen nennen wollen, weil in beiden Namen oben eine einseitige, willkürliche Theorie liegt. (14) Wir nennen sie einfach Elemente (15).
In der Formulierung zeigt sich übrigens ein Ansatz zur Trennung der beiden Probleme, von der eingangs die Rede war. Der Begriff des "Elements" ist also ein durchaus zentraler in der MACHschen Erkenntnislehre. MACH unterläßt es ganz prinzipiell, das Wirkliche in irgendeiner Weise zu qualifizieren, über die Natur des Wirklichen in seiner Gesamtheit etwas auszumachen. Ihrem Bestand nach aber decken sich die Elemente natürlich vollkommen mit dem, was man nach der gewöhnlichen Auffassung als Erscheinungen, Bewußtseinsinhalte, als mögliche Wahrnehmungen (das Wort im weitesten Sinn genommen) zu bezeichnent hat. Der Umstand, daß MACH diese Qualifikation des Wirklichen als unmöglich erkennt, istes, was seinen Standpunkt recht eigentlich charakterisiert. Hieraus wird nun auch verständlich, warum sich MACH ausdrücklich dagegen verwahrt, daß sein Standpunkt mit einem idealistischen, panpsychischen, psychomonistischen verwechselt wird (16). Es ist zwar ein "monistisches" (17) Weltbild, das MACH entwickelt, aber kein psychomonistisches.

Bezeichnend für das Gesagte ist auch die Art, wie sich MACH zu einer Frage stellt, die man ja als eine zuweilen verwandte Formulierung des Realitätsproblems (DESCARTES, SCHOPENHAUER u. a.) anzusprechen hat, ob nämlich die Welt wirklich existiert oder ob sie nur geträumt wird. Es ist klar, daß MACH diese Frage von seinem Standpunkt aus nicht als eine sinnvolle gelten lassen kann. Denn um die Welt als Ganzes, um den Inbegriff des Gegebenen als das eine oder andere zu charakterisieren, müßte ja gleichsam, so können wir nach dem Vorausgeschickten sagen, ein unabhängiges Bezugssystem gegeben sein. Es hat, sagt MACH,
    "die oft gestellte Frage, ob die Welt wirklich ist oder ob wir sie bloß träumen, gar keinen wissenschaftlichen Sinn ... Wo kein Gegensatz (18) besteht, ist die Unterscheidung von Traum und Wachen, Schein und Wirklichkeit ganz müßig und wertlos." (19)
Daß den "Elementen" der Charakter der Wirklichkeit oder Realität zukommt, ist selbstverständlich. Sie sind wirklich zunächst in dem Sine, in dem man, gleichgültig auf welchem philosophischen Standpunkt man stehen mag, den "Empfindungen" Wirklichkeit zuspricht. Aber sie besitzen zugleich gewissermaßen einen höheren Realitätswert als jene, da sie von MACH nicht als Abbilder von oder als Zeichen für letzte und wahre Realitäten aufgefaßt serden, wie sie von der Transzendentalphilosophie und in anderer Weise vom naturwissenschaftlichen Realismus als hinter den Empfindungen, den "Erscheinungen" stehend angenommen werden,, sondern als die letzten Realitäten selbst. Die "Elemente" stehen für MACH auf derselben Stufe der Realität, auf der für den Anhänger der Transzendentalphilosophie die "Dinge ansich" stehen.

Über die Konzeption und Entwicklung seines Grundgedankens hat sich MACH wiederholt ausgesprochen. Die charakteristischste dieser Äußerung soll hier folgen, da sie geeignet ist, uns den Standpunkt MACHs psychologisch noch näher zu bringen (20):
    "Ich habe es stets als besonderes Glück empfunden, daß mir sehr früh (in einem Alter von 15 Jahren etwa) in der Bibliothek meines Vaters Kants Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik in die Hand fielen. Diese Schrift hat damals einen gewaltigen, unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht, den in in gleicher Weise bei einer späteren philosophischen Lektüre nie mehr gefühlt habe. Etwa zwei oder drei Jahre später empfand ich plötzlich die müßige Rolle, welche das Ding-ansich spielt. An einem heiteren Sommertag im Freien erschien mir einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Massen von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend."
Dieses intuitive Erleben der Welt als eines Zusammenhanges von Empfindungen ist wohl noch durchaus in einem idealistischen Sinn zu verstehen. MACH spricht verschiedentliche (21) von einer "idealistischen Phase" seines Denkens, die er in der Jugend durchzumachen hatte. Weiter heißt es an derselben Stelle:
    "Obgleich die eigentliche Reflexion sich erst später hinzugesellte, so ist doch dieser Moment für meine ganze Anschauung besimmend geworden. Übrigens habe ich noch einen langen und harten Kampf gekämpft, bevor ich imstande war, die gewonnene Ansicht auch in meinem Spezialgebiet festzuhalten. Man nimmt mit dem Wertvollen der physikalischen Lehren notwendig eine bedeutende Dosis falscher Metaphysik auf, welche von dem, was beibehalten werden muß, recht schwer loszumachen ist, gerade dann, wenn diese Lehren geläufig geworden sind. Auch die überkommenen instinktiven Auffassungen traten zeitweilig mit großer Gewalt hervor und stellten sich hemmend in den Weg. Erst durch eine abwechselnde Beschäftigung mit Physik und Physiologie der Sinne, sowie durch historisch-physikalische Studien habe ich (etwa seit 1863), nachdem ich den Widerstreit in meinen Vorlesungen über Psychophysik (im Auszug in der Zeitschrift für praktische Heilkunde, Wien 1863, Seite 364) noch durch eine physikalisch-psychologische Monadologie (22) vergeblich zu lösen versucht hatte, in meinen Ansichten eine größere Festigkeit erlangt."
Auf seinem endgültigen Standpunkt steht MACH dem Dualismus und dem Idealismus gleich fern (23).

MACH bemerkt gelegentlich, daß der Kritik, die seine Überzeugung gewöhnlich einer idealistischen (der BERKELEYs) gleichsetzt (24), seine "Welt aus Elementen", aus der die "Materie" verbannt ist, zuweilen als "zu luftig" erschienen ist. (25) Man kann in der Tat kaum besser zum Ausdruck bringen, wie dem Andersorientiertenn der Idealismus in der Regel erscheint. Trifft diese Bezeichnung aber schon an den Idealismus nicht zu (26), so gewiß noch weniger auf den Standpunkt MACHs. MACH erscheint die Welt so real, wie nur irgendeinem realistischen Denker. Es sind für ihn nicht Chimären [Mischwesen - wp], die uns umgeben, auch nicht Vorstellungen, hervorgerufen von irgendwelchen unerkennbaren Dingen, sondern die Dinge selbst in ihren wahren Beschaffenheiten. Man muß sich in diese eigentümliche intellektuelle Sehgewohnheit hineinversetzen, um den Grundgedanken MACHs nicht mißzuverstehen.

Wollen wir den Platz angeben, den die Überzeugung MACHs in der historischen Entwicklung des philosophischen Denkens einnimmt, so haben wir zu sagen, daß sie sich als eine konsequente Fortbildung des Idealismus in der Richtung über BERKELEY und HUME und zugleich als eine Überwindung dieses Idealismus darstellt. Mit Rücksicht darauf, daß MACH sich grundsätzlich auf das (als solches nicht weiter zu qualifizierende) Gegebene und damit auf die Konstatierung von Tatsachen beschränkt, daß er dieses Unmittelbar-Gegebene, wie wir von nun an sagen werden, und als dessen Bestandteile wir eben die "Elemente" zu betrachten haben, für das allein Wirkliche erklärt und jede metaphysische Überschreitung dieser Sphäre als unzulässig betrachtet, können wir seinen Standpunkt mit einem allerdings bereits vieldeutig gewordenen Ausdruck als einen positivistischen bezeichnen.

2. Im Sinne der traditionallen Auffassung wird man zu sagen haben, die Aufgabe der Tatsachenwissenschaften besteht darin, die Vorgänge der realen Welt zunächst zu beschreiben und weiterhin in ihrem gesetzmäßigen Zusammenhang zu erklären. Diese Unterscheidung zwischen Beschreibung und Erklärung wird fast allgemein als berechtigt zugegeben, und mit ihr verbindet sich eine verschiedene Wertung der beiden anerkannten Forschungsaufgaben. Denn die herrschende Meinung läßt behaupten, daß das eigentliche Ziel der Forschung in der Erklärung der Vorgänge besteht, welche eine Einsicht in den kausalen Zusammenhang des Geschehens gewährt, daß dagegen der bloßen Beschreibung eines Gebietes von Tatsachen lediglich die Bedeutung einer Vorstufe für diese letztenendes zu leistende wissenschaftliche Arbeit zukommt. Diese landläufige prinzipielle Unterscheidung und verschiedene Bewertung von Beschreibung und Erklärung wird von MACH nicht anerkannt. Hierin liegt ein für seine ganze Erkenntnislehre bedeutsames Moment, auf das wir an dieser Stelle nur soweit einzugehen haben, als es für die allgemeine Kennzeichnung seines Standpunktes notwendig erscheint (27).

Was MACH zu seiner Haltung gegenüber der eben erwähnten Frage bestimmt, ist seine Stellung zum Kausalproblem. Man wird aber als eigentlich charakteristisch für seinen Standpunkt nicht sowohl seine Auffassung des Kausalbegriffs selbst als vielmehr die aus ihr fließende Konsequenz, die alleinige Anerkennung der Beschreibung als wissenschaftlicher Aufgabe, ansehen müssen. MACH spricht dem Kausalbegriff seine wissenschaftliche Berechtigung ab, d. h. zunächst dem analytischen Kausalbegriff der rationalistischen Philosophie. Gegen diesen richtet sich eigentlich seine Polemik. Den kantischen Kausalbegriff, den er gleichfalls bekämpft, scheint er von jenem nicht gehörig zu unterscheiden, wie er dann überhaupt, soweit man dies aus seinen Äußerungen entnehmen kann, die Eigenart der kritischen Methode KANTs nicht richtig erfaßt hat. Gegen den "analytisch-rationalen Kausalbegriff" (28) Stellung zu nehmen sind für MACH ganz ähnliche Gründe maßgebend wie für HUME. Daß aber die Ereignisse der realen Welt untereinander in einer konstanten und daher gesetzmäßigen Verknüpfung stehen, die Wissenschaft überhaupt erst möglich macht, daß aufgrund dieses regelmäßigen Ablaufs der Vorgänge sich im erfahrenden Subjekt eine feste Gewohnheit herausgebildet hat, derzufolge dieses unter einem "psychischen Zwang" (29) steht, bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses das mit diesem erfahrungsgemäß verknüpfte zu erwarten: das zu bezweifeln liegt MACH gerade so fern wie HUME. Die Gesetzmäßigkeit und damit die wissenschaftliche Erfaßbarkeit des Geschehens steht für beide Denker außer Frage. MACH ist sich dieser Übereinstimmung mit HUME völlig bewußt.

Mit dem Aufgeben des analytisch-rationalen Kausalbegriffs entfallen für MACH auch die "kausalen Erklärungen" (30). Die Aufgabe der Wissenschaft erschöpft sich dann aber in der bloßen Beschreibung von Tatbeständen, in der "Konstatierung von Tatsachen und ihres Zusammenhangs". (31) "Wo wir eine Ursache angeben, drücken wir nur ein Verknüpfungsverhältnis, einen Tatbestand aus, d. h. wir beschreiben." (32) Was aber für MACH die Beschreibungen der Physik, überhaupt der exakten Naturwissenschaften (33), von jenen der gewöhnlich nur als beschreibende bezeichneten Disziplinen charakteristisch unterscheidet und ihnen jenen gegenüber die Dignität von Erklärungen gibt, werden wir uns an späterer Stelle vergegenwärtigen (34). Jedenfalls ist die Aufgabe der Wissenschaft eine rein deskriptive. Bleibt man sich dieser Einsicht bewußt, so empfiehlt es sich nach MACH, den Kausalbegriff ganz aufzugeben und durch den (mathematischen) Funktionsbegriff zu ersetzen. In diesem Punkt geht MACH über HUME hinaus. Da gewöhnlich verschiedene Beschreibungen desselben Tatsachengebietes möglich sind, so ist die Forderung noch weiter einzuengen: die Beschreibung soll die einfachste, "ökonomischste" sein. In diesem Sinne hat MACH die "ökonomische Darstellung des Tatsächlichen" (35) als das Ziel der Forschung bezeichnet.

MACH ist mit seiner Auffassung nicht allein geblieben. Vor allem hat GUSTAV KIRCHHOFF, zumindest mit Rücksicht auf sein Spezialgebiet, einen ähnlichen Standpunkt vertreten. Er hat bekanntlich die Aufgabe der Mechanik dahin bestimmt, daß sie "die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig auf die einfachste Weise zu beschreiben" hat (36). Im Sinn der gegebenen Ausführungen wollen wir den Standpunkt MACHs als einen rein deskriptiven bezeichnen.

Das gleichviel wie zu bestimmende Reale ist als solches Gegenstand des Erkennens überhaupt und des wissenschaftlichen Erkennens insbesondere. Das Reale besteht für MACH ausschließlich in dem, was in der unmittelbaren Erfahrung tatsächlich gegeben ist oder doch möglicherweise gegeben sein kann. Auf dieses also hat sich nach MACH die Wissenschaft als auf ihr Objekt zu beziehen. Die Aufgabe der Wissenschaft ist eine rein deskriptive; sie vollendet sich in der übersichtlichen Beschreibung und Inventarisierung des in der Erfahrung gegeben Materials. Wer sich andere Ziele setzt, der treibt nicht Wissenschaft, sondern verfolgt "Scheinprobleme" (37). Alles, was über eine solche positivistisch-deskriptive Orientierung über das Wirkliche hinausgeht, bezeichnet MACH als "metaphysisch" und damit als "müßig", (38) und er erkennt mit JOHN BERNHARD STALLO als die vornehmste Aufgabe einer erkenntnistheoretischen Besinnung auf die Grundlagen der Wissenschaft: "to eliminate from science its latent metaphysical elements". (39)

3. MACH lehnt den Namen des Philosophen ab; er will lediglich Naturforscher sein.
    "Ich erhebe keinen Anspruch auf den Namen eines Philosophen. Ich wünsche nur in der Physik einen Standpunkt einzunehmen, den man nicht sofort verlassen muß, wenn man in das Gebiet einer anderen Wissenschaft hinüberblickt, da schließlich doch alle ein Ganzes bilden sollen. Die heutige Molekularphysik entspricht dieser Forderung entschieden nicht."
So heißt es im Fortgang der weiter oben zitierten Stelle (Anm. 20)
    "Es gibt vor allem keine Machsche Philosophie, sondern höchstens eine naturwissenschaftliche Methodologie und Erkenntnispsychologie, und beide sind, wie alle naturwissenschaftlichen Theorien, vorläufige, unvollkommene Versuche." (40)
Trotz dieser und ähnlicher Versicherungen aber ihres Urhebers (41) werden wir nicht umhin können, den MACHschen Aufstellungen eine weitergehende Bedeutung beizulegen; sie treten tatsächlich mit dem Anspruch eine Weltanschauung auf. Daß MACH seine Untersuchungen in einem lediglich naturwissenschaftlichen Interesse unternommen haben will, kann daran nichts ändern. Wenn er also seine Hauptleistung zusammenfassend als eine naturwissenschaftliche Methodologie und Erkenntnispsychologie bezeichnet, so wählt er diese Bezeichnung sicher zu eng; er geht über die Grenzen der Einzelwissenschaft sowie über die bloße Methodologie und Erkenntnispsychologie eines wissenschaftlichen Spezialgebietes tatsächlich hinaus. Außerdem geht aus seiner ganzen Haltung mit Deutlichkeit hervor, daß er Fragen wie etwa die der Transzendenz keineswegs nur als solche betrachtet, die außerhalb seiner besonderen Arbeitssphäre liegen, sondern daß er ihnen überhaupt jede nur mögliche Berechtigung abspricht. MACH ist seiner Überzeugung nach Positivist (im angegebenen Sinn), und als solcher nimmt er einen philosophischen Standpunkt ein, der dem Realismus und dem Idealismus nebengeordnet ist. Eine andere Frage ist es, ob MACH ein einheitliches und in sich konsequentes System der Erkenntnistheorie gegeben hat, das auf Vollständigkeit zumindes ausgeht und jeder berechtigten Frage ihren systematischen Ort anweist, wenn es sie vielleicht auch nicht erschöpfend beantwortet. Daß die Lehre MACHs aus einer einheitlichen Grundauffassung fließt und in sich folgerichtig durchgeführt ist, soll aus unseren Darlegungen hervorgehen. Systematische Vollständigkeit dagegen ist nicht einmal erstrebt. (42) Eine Reihe von Prinzipienfragen der Erkenntnistheorie, die auch er von seinem Standpunkt aus als berechtigte Probleme anerkennen würde, hat er als seinem Interesse ferner liegend kaum gestreift. (43)

Für MACH ist es völlig selbstverständlich, daß das Wirkliche sich im Unmittelbar-Gegebenen erschöpft; und nicht weniger selbstverständlich erscheint es ihm, daß in der vollständigen und einfachsten Beschreibung und Inventarisierung dieses Gegebenen die alleinige Aufgabe des Erkennens besteht. Dieser positivistisch-deskriptive Standpunkt erhebt, wie natürlich Anspruch auf absolute Geltung, so sehr, daß MACH jede Frage nach einem möglichen Transzendenten oder jeder Versuch, einen Einblick in den Wirkungszusammenhang des Geschehens zu gewinnen, ohne irgendeinen wissenschaftlichen oder philosophischen Sinn zu sein scheint. Denn ausdrücklich als sinnlos, nicht etwa nur als aussichtslos erscheint ihm jede Frage, die über die angegebene Problemstellung hinausgeht. Kein Verzichtleisten, wie es sich im "ignoramus, ignorabimus" [wir wissen es nicht und werden es nie wissen - wp] von DUBOIS-REYMOND ausspricht, sondern eine grundsätzliche Ablehnung aller derartigen Probleme ist für seinen Standpunkt charakteristisch (44). Wenn man auch nicht zugeben will, daß durch die MACHschen Bestimmungen das Erkenntnisziel vollständig bezeichnet ist - und man wird dazu umso eher berechtigt sein, als MACH ja den eigentlichen Beweis für seine Aufstellung schuldig geblieben ist -, so wird man doch nicht bestreiten können, daß es zumindest teilweise getroffen wird. Und dann ist es möglich zu untersuchen, ob MACH zumindest an der Lösung dieser beschränkteren Aufgabe mit Erfolg tätig gewesen ist. Setzt man sich allein die Analyse und gedankliche Darstellung des Unmittelbar-Gegebenen zum Ziel, ohne damit metaphysische oder im eigentlichen Sinn erkenntnistheoretische Fragestellungen irgendwie ausschließen zu wollen, so gelangt man zu einer Betrachtungsweise, die wir zweckmäßig als eine phänomenologische (45) bezeichnen werden.

Die Phänomenologie, in dem so verstanden Sinn, ist ein System von allgemeinen Sätzen über die Struktur des Unmittelbar-Gegebenen. Sie vermeidet grundsätzlich, etwaigen metaphysischen Untersuchungen oder kritischen Erörterungen der Erkenntnisgrundlagen in irgendeiner Weise vorzugreifen; sie will, und das in bewußter methodischer Absicht, über die Zulässigkeit oder Aussicht solcher Fragestellungen nichts ausmachen. Nicht darum also handelt es sich, ob man das Unmittelbar-Gegebene als das allein Wirkliche anzuerkennen hat - was eine metaphysische Frage ist, die der Positivismus in dem oben bestimmten Sinn bejaht -, sondern um die Beschaffenheit des Gegebenen. Was denken wir im Begriff des Dings, der Kausalität, wenn wir alle metaphysischen Gesichtspunkte aus dem Spiel lassen und uns darauf beschränken, allgemein und in einer für die Einzelwissenschaften annehmbaren Weise zu formulieren, weas uns in jeder unmittelbaren Erfahrung gegeben ist. Was denkt die Physik tatsächlich im Begriff der Kraft, abgesehen von allen metaphysischen und anthropomorphen Zutaten usw. Solcher Art sind die Probleme, die hier zu verfolgen sind.

Halten wir uns streng an diese Begriffsbestimmung der Phänomenologie, so können wir nicht sagen, daß die MACHschen Ausführungen einen rein phänomenologischen Charakter tragen. Vielmehr müssen wir zugeben, daß sie von mannigfachen erkenntnistheoretischen und selbst metaphysischen Elementen durchsetzt sind. Wir werden aber die phänomenologischen Gesichtspunkte durchaus in den Vordergrund unserer Darstellung und Erörterung rücken und glauben damit der Eigenart und der Darstellung der MACHschen Lehren am besten gerecht zu werden.

Keineswegs ohne weiteres mit dieser phänomenologischen Absicht gegeben, aber tatsächlich bei MACH aufgrund seines Positivismus auf das Entschiedenste ausgesprochen, ist die Auffassung, daß die Wissenschaft es ausschließlich mit dem Unmittelbar-Gegebenen zu tun hat, daß sie nirgendes Anlaß hat, über dessen Bestand irgendwie hinauszugehen. Aus dieser Auffassung heraus leugnet MACH die Notwendigkeit, eine besondere physikalische Materie anzunehmen, sofern darunter ein außersinnliches Reales verstanden werden soll. Damit negiert er zugleich die Moleküle, Atome usw. als Produkte der Unterteilung einer solchen hypothetischen Materie. Das Unmittelbar-Gegebene, wie es sich der phänomenologischen Betrachtung darstellt, ist das alleinige Objekt der Wissenschaft. die Möglichkeit dieser Auffassung kann natürlich nur durch die tatsächliche Durchführbarkeit derselben dargetan werden. Wir können von einer phänomenologischen Aufgabenbestimmung der Wissenschaft bei MACH reden. (46)

Versuchen wir nun, die zu behandelnden Gegenstände in eine innere Ordnung zu bringen. Es wird zunächst zu fragen sein, wie sich für MACH der Bestand des Unmittelbar-Gegebenen darstellt. Die Antwort darauf liegt in der Elementenlehre. Im Zusammenhang damit steht die Frage, ob sich etwa innerhalb des Gegebenen ein prinzipieller Unterschied aufweisen läßt, wie man ihn gewöhnlich im Gegensatz von Psychischem und Physischem zu erkennen glaubt. Daß MACH Psychisches und Physisches nicht als zwei materiell verschiedene Gegebenheiten anerkennt, geht aus allem, was bisher gesagt wurde, mit Deutlichkeit hervor. Indessen wird sich zeigen, daß dieser Gegensatz bei ihm in einer anderen Form auftritt (Kapitel 2). Weiter werden wir dann fragen müssen, wie sich nach MACH die einzelnen Bestandsstücke des Gegebenen zu mehr oder weniger beständigen Gebilden zusammenordnen; wir werden in eine Erörterung des Ding- und die Ichbegriffs und, in Verbindung damit, des Substanzbegriffs einzutreten haben. Im Anschluß an die Erörterung des Ichbegriffs soll untersucht werden, wie sich MACH zur Frage der Vielheit der Iche oder, was damit gleichbedeutend ist, der Existenz eines fremden Bewußtseins stellt (Kapitel 3). Sodann ist zu Fragen, welcher Art sich MACH die Beziehungen denkt, die innerhalb des Gegebenen stattfinden. Wir dürfen uns dabei in der Hauptsache auf diejenigen Relationen beschränken, die den Zusammenhang des Geschehens bestimmen, und die man gewöhnlich als "kausale" bezeichnet. Auf die räumlich-zeitlichen Beziehungen werden wir nur gelegentlich zu sprechen kommen (Kapitel 4). In der Auffassung vom Wesen und Ziel der Wissenschaft findet die Überzeugung MACHs ihren letzten und prägnantesten Ausdruck. MACH sucht die Haltbarkeit seiner Anschauungen darzulegen, indem er sie gegenüber den Einsprüchen einer realistisch gerichteten Physik aufrechterhält, die seiner Aufgabenbestimmung der Wissenschaft entgegensteht. Die Erörterung dieses Punktes soll den Beschluß meiner Darstellung bilden (Kapitel 5).
LITERATUR - in Benno Erdmann (Hg), Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, Heft 45, Halle/Saale 1914
    Anmerkungen
    1) Die Hauptvertreter dieser Richtung sind SCHUPPE, REHMKE, von SCHUBERT-SOLDERN und MAX KAUFFMANN, letztere beiden Denker mit einer ihnen eigentümlichen Betonung des erkenntnistheoretischen Solipsismus.
    2) BERKELEY, Commonplace Book, große FRASER-Ausgabe, Seite 469.
    3) BERKELEY, Principles of Human Knowledge, § III.
    4) BERKELEY, ebd. § I.
    5) Obgleich die Bezeichnung der ideas als "manners", Modifikation der Geister sich in den späten Schriften BERKELEYs dieser Periode seiner Produktion ausdrücklich nicht mehr findet, hat er diese Auffassung doch der Sache nach festgehalten.
    6) WILHELM SCHUPPE, Erkenntnistheoretische Logik, 1878, Seite 60
    7) HUME, Treatise of Human Nature I, Seite 534
    8) HUME, Treatise I, Seite 507
    9) HUME, Treatise I, Seite 317
    10) HUME, Treatise II, Seite 75
    11) HUME, Enquiry concerning human Understandign, § 12, Teil I gegen Schluß.
    12) Nach den Ausführungen die THEODOR ZIEHEN in seiner "Psychophysiologischen Erkenntnistheorie" (zweite Auflage 1907) gegeben hat, könnte es den Anschein haben, als ob dieser Autor einen solchen Standpunkt vertritt. ZIEHEN bestreitet mit BERKELEY die "extrapsychische Existenz" (Seite 6). "Psychische, bewußt und existierend sind ganz kongruente Begriff. Esse = percipi (Seite 7). "... das Prädikat Sein, Existenz etc. ist ... buchstäblich sinnlos, sobald es nicht als Empfindung sein bedeutet oder als Vorstellung sein" (Seite 99). Auch spricht ZIEHEN von "individuellpsychischen" und "allgemein-psychischen" Objekten (Seite 105). Er geht aber insofern über BERKELEY hinaus, als er ebenso wie den Dingbegriff auch den Ichbegriff völlig eliminieren will. Trotzdem aber setzt er esse und percipi gleich und spricht fortwährend von "Empfindungen" und "Vorstellungen", was doch nur unter der Voraussetzung eines Ich angängig scheint (vgl. Seite 10). Daß es sich hierbei aber nur um eine mißverständliche Ausdrucksweise handelt, geht bereits aus den "Erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen" (Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, 1902, Bd. 27, Seite 305; 1903, Bd. 33, Seite 91; 1906, Bd. 43, Seite 241) völlig deutlich hervor (vgl. insbesondere Bd. 33, Seite 96f und Bd. 43, Seite 242). Und in der im vorigen Jahr erschienenen "Erkenntnistheorie auf psychophysiologischer und physikalischer Grundlage" heißt es ausdrücklich: "Dies alles (was wir nämlich erleben) durch eine gemeinsame Eigenschaft zu definieren ist, weil ein anderes nicht existiert, nicht möglich. Es bleibt uns nur möglich, dies alles mit einem Namen zu bezeichnen." (Seite 1) ZIEHEN wählt die Bezeichnung "Gignomena" oder "Gignomene", Ausdrücke, die nach seiner Meinung in keiner Weise "präjduzierend" wirken können (Seite 2). Die obigen Erörterungen zugrunde gelegt und, wie sich bald zeigen wird, den Schlüssel zum Verständnis des MACHschen Standpunktes bietende Ansicht, daß es nicht möglich ist, das Ganze des Wirklichen irgendwie zu qualifizieren, wird außer durch ZIEHEN auch noch durch JOSEPH PETZOLDT, einem Schüler von AVENARIUS, in seinem Buch "Das Weltproblem vom Standpunkt des relativistischen Positivismus" (zweite Auflage 1912) vertreten. So heißt es dort z. B.: "Es ist logisch unmöglich, der Gesamtheit dieser Zusammenhänge (nämlich der Welt) ein qualitativ Kennzeichnendes abzugewinnen". (Seite 179). Ferner: Die Begriffe des Psychischen und des Physischen "differenzieren sich in gegenseitiger unauflöslicher Beziehung auf dem Grund der einen einheitlichen Urerfahrung, die weder das eine noch das andere ist". (Seite 180) Mit den Einzelheiten der Entwicklungen PETZOLDTs kann ich mich vielfach nicht einverstanden erklären. Die Schrift PETZOLDTs sowie die auf die "Psychophysiologische Erkenntnistheorie" folgenden weiteren erkenntnistheoretischen Veröffentlichungen ZIEHENs wurden mir erst bekannt, als mir die oben dargelegte Auffassung des MACHschen Grundgedankens und seiner Stellung im Zusammenhang der historischen Entwicklung schon seit langem völlig geläufig war. Gerade durch die zuerst irrtümlich Auffassung von ZIEHENs Erkenntnislehre und durch die Schwierigkeiten, die in HUMEs Begriff der "Impression" liegen, wurde ich auf sie geführt.
    13) Im zweiten Teil des folgenden Kapitels.
    14) Von mir gesperrt. - Man vergleiche dazu KANT, Kritik der reinen Vernunft, erste Auflage, Seite 251f (ERDMANN-Ausgabe Seite 244f): Es folgt aus dem Begriff der "Erscheinung", "daß ihr Etwas entsprechen muß, was ansich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts für sich selbst und außer unserer Vorstellungsart sein kann, mithin, wenn nicht ein beständiger Zirkel herauskommen soll, das Wort Erscheinung schon eine Beziehung auf Etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber ansich, auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit ..., Etwas, d. h. ein von Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muß."
    15) Populärwissenschaftliche Vorlesungen, vierte Auflage 1910, Seite 239; Analyse der Empfindungen, sechste Auflage 1911, Seite 18 oben
    16) Vgl. Analyse der Empfindungen, Seite 295; Erkenntnis und Irrtum, zweite Auflage 1906, Seite 13f, Anm. MACH denkt dabei besonders an BERKELEY, VERWORN und GERARD HEYMANs.
    17) Analyse der Empfindungen, Seite 255
    18) von mir gesperrt.
    19) Analyse der Empfindungen, Seite 9
    20) Analyse der Empfindungen, Seite 24, Anm.
    21) vgl. z. B. Analyse der Empfindungen, Seite 46 und 295 oben.
    22) MACH spricht verschiedentlich davon, daß er durch eine monadologische Weltauffassung hindurchgegangen ist (vgl. z. B. in den "Leitgedanken meiner naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre und ihre Aufnahme durch die Zeitgenossen, "Scientia" Rivista di Scientia, Bd. VII, 14, Seite 225 auch "Physikalische Zeitschrift, Bd. 11, 1910, Seite 599. Daß diese Tatsache nicht ganz ohne Einfluß auf sein Denken geblieben ist, scheint uns aus dem am Schluß von Kapitel 3 Erörterten hervorzugehen.
    23) Vgl. Analyse der Empfindungen, Seite 46
    24) vgl. Analyse der Empfindungen, Seite 295
    25) vgl. Analyse der Empfindungen, Seite 295f
    26) Man denke an die gewöhnlich nicht genügend beachtete Unterscheidung BERKELEYs der Ideen in "real things" und "images of things" oder Ideen im engeren Sinne ("more properly termed ideas"), auch "chimeras" genannt (Principles, § 33f, Three Dialogues etc. Seite 330.
    27) Ausführlicher werden wir auf diesen Gegenstand in Kapitel IV zurückkommen.
    28) Vgl. BENNO ERDMANN, Über Inhalt und Geltung des Kausalgesetzes, Halle/Saale 1905.
    29) Die Prinzipien der Wärmelehre, Seite 434
    30) Analyse der Empfindungen, Seite 274
    31) Populärwissenschaftliche Vorlesungen, Seite 424, 426.
    32) Wärmelehre, Seite 435
    33) Auf die Geisteswissenschaften nimmt MACH dabei, ausdrücklich zumindest, keine Rücksicht.
    34) Kapitel IV gegen Schluß.
    35) Populärwissenschaftliche Vorlesungen, Seite 425
    36) KIRCHHOFF, Vorlesungen über Mechanik, 18971, Seite 1
    37) vgl. Analyse der Empfindungen, Seite IX.
    38) Analyse der Empfindungen, Seite VII
    39) Wärmelehre, Seite IX. Vgl. J. B. STALLO, The Concepts and Theories of modern Physics (deutsch von Hans Kleinpeter, 1901, Seite XV)
    40) Erkenntnins und Interesse, Seite VII, Anm.
    41) vgl. Erkenntnis und Interesse, Seite 13, Anm.; Analyse der Empfindungen, Seite VI, 26, 300 usw.
    42) vgl. Analyse der Empfindungen, Seite IX: "Nicht eine Lösung aller Fragen, sondern eine Erkenntnistheoretische Wendung" wird hier versucht."
    43) Es gilt dies für einen ganzen Kreis von Fragestellungen, welche die logische Struktur der Erfahrung, die Denknotwendigkeit usw. betreffen. Wir denken in erster Linie an die durch HUME vorgenommene fundamentale Einteilung der Gegenstände der Erkenntnis ("objects of human knowledge") in "relations of ideas" und "matters of fact" und die damit zugleich gegebene Unterscheidung der Urteile in "demonstrative reasonings" und "moral reasonings". Die relations of ideas, wie sie in den mathematischen Sätzen zum Ausdruck kommen, werden mit Notwendigkeit gedacht in dem Sinne, daß ihr Gegenteil als einen Widerspruch in sich schließend schlechterdings undenkbar ist; von den matters of fact, d. h. den in den physikalischen Sätzen gedachten Sachverhalten, gilt nicht das gleiche. Daß MACH diesen Unterschied kennt und anerkennt, geht aus Folgendem hervor: "Auf der Übung, die Vorstellung der Tatsachen mit jener ihres allseitigen Verhaltens fest zu verbinden, beruth die starke Erwartung eines bekannten Erfolges, der dem Naturforscher wie eine Notwendigkeit erscheint. Das Verhältnis, welches in den geometrischen Anschauungen von selbst besteht, wir hier allmählich künstlich hergestellt." (Wärmelehre, Seite 457f) Von den in den mathematischen Sätzen ausgedrückten Verknüpfungsverhältnissen muß er dagegen sagen: "Ein anderes Verhältnis, oder wenn man lieber so sagt: das Gegenteil, ist unvorstellbar" (Wärmelehre, Seite 456). Dagegen: "Physikalische Erfahrungen verhalten sich anders" (ebd.). Daß aber diese Einsicht im Zusammenhang der MACHschen Lehren irgendeine Bedeutung gewinnt, kann man nicht sagen. Jedoch muß man sich gegenwärtig halten, will man den MACHschen Standpunkt nicht falsch beurteilen, daß solche Aussagen über die logische Struktur der Erfahrung auf ihm keineswegs ausgeschlossen sind.
    44) vgl. Analyse der Empfindungen, Seite 298: "Die Probleme werden entweder gelöst oder als nichtig erkannt."
    45) Das Wort "Phänomenologie" wird neuerdings sehr häufig und in mannigfachen, oft allerdings nur wenig voneinander abweichenden Bedeutungen gebraucht (z. B. HUSSERL, STUMPF usw.). Keine derselben deckt sich mit der hier zugrunde gelegten.
    46) Man kann diese Auffassung auch vertreten, ohne auf einem positivistischen Standpunkt im oben Sinn zu stehen, d. h. ohne das Unmittelbar-Gegebene mit dem Wirklichen überhaupt zusammenfallen zu lassen, wie MACH es tut.